Radioaktivität, Röntgenstrahlen und Gesundheit Strahlenschutz

Transcription

Radioaktivität, Röntgenstrahlen und Gesundheit Strahlenschutz
Bayerisches Staatsministerium für
Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz
Radioaktivität, Röntgenstrahlen
und Gesundheit
Strahlenschutz
Bayerisches Staatsministerium für
Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz
Radioaktivität,
Röntgenstrahlen und
Gesundheit
Oktober 2006
Strahlenschutz
Gesamtkoordinierung
und Gesamtleitung:
Prof. Dr. K. Hahn
Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin
Ziemssenstr. 1, 80336 München
E-Mail: [email protected]
Autoren:
Prof. Dr. L. Feinendegen
Wannental 45, 99131 Lindau am Bodensee
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. K. Hahn
Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin
Ziemssenstr. 1, 80336 München
E-Mail: [email protected]
Dr. Dr. Hubert Löcker
GSF – Institut für Strahlenschutz
Ingolstädter Landstr. 1, 85764 Neuherberg
E-Mail: [email protected]
Dr. Heinz Müller
GSF – Institut für Strahlenschutz
Ingolstädter Landstr. 1, 85764 Neuherberg
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. H. G. Paretzke
GSF – Institut für Strahlenschutz
Ingolstädter Landstr. 1, 85764 Neuherberg
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. Ch. Reiners
Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin
Josef-Schneider-Str. 2, 97980 Würzburg
E-Mail: [email protected]
PD Dr. Werner Rühm
GSF – Institut für Strahlenschutz
Ingolstädter Landstr. 1, 85764 Neuherberg
E-Mail: [email protected]
Dr. Rita Schneider
Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin
Josef-Schneider-Str. 2, 97980 Würzburg
E-Mail: [email protected]
Dr. Ch. Zach
Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin
Ziemssenstr. 1, 80336 München
E-Mail: [email protected]
II
Vorwort
Radioaktive Stoffe, wie etwa das Uran, kommen seit der
Entstehung der Erde in großem Umfang in der Natur vor
oder werden künstlich hergestellt (wie z.B. Technetium-99m)
und in Medizin und Technik verwendet. Als Abfallprodukte
entstehen sie auch bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Seit der Entdeckung der Radioaktivität im Jahre
1896 durch A.H. Becquerel wird auch die Wirkung der von
radioaktiven Stoffen ausgehenden Strahlung auf den Menschen untersucht. Gleiches gilt für die von Conrad Wilhelm
Röntgen im Jahr 1895 entdeckte und nach ihm benannte
Strahlung, die als ionisierende Strahlung vergleichbare Eigenschaften wie die von radioaktiven Stoffen ausgehende
Strahlung besitzt. Besonders bei der friedlichen Nutzung der
Kernenergie und bei der Medizin hat die Frage nach der
Auswirkung der Radioaktivität und der Röntgenstrahlung auf
die Gesundheit der Menschen stets eine wichtige Rolle
gespielt. Zuweilen wird in diesem Zusammenhang - oft aus
mangelnder Kenntnis strahlenbiologischer Fakten oder aufgrund fehlerhafter Auswertung statistischer Daten - versucht, eine Beziehung zwischen einer an einem bestimmten
Ort beobachteten erhöhten Zahl von Krebsfällen oder anderen Erkrankungen und den dort gemessenen oder vermuteten niedrigen Strahlendosen herzustellen. In der Öffentlichkeit erregen solche Behauptungen in der Regel beträchtliches Aufsehen.
Die durchaus verständliche Folge derartiger beunruhigender
Aussagen ist in der Regel eine häufig überzogene Angst vor
jeglicher Strahlung. Diese Angst kann sich unter anderem
auch aufgrund der Tatsache entwickeln, dass sich Radioaktivität der direkten Sinneswahrnehmung des Menschen
entzieht und ihre Wirkungen für den Einzelnen nicht aus der
Erfahrung heraus zu beurteilen sind.
Der Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl am 26. April 1986
hat diese Angst verstärkt. Bei dem Unfall wurden sehr große
Mengen an radioaktiven Stoffen freigesetzt; in der Umgebung musste ein Gebiet von etwa 1000 km2 evakuiert werden. Ein Teil der radioaktiven Spaltprodukte wurde von den
Luftströmungen viele hundert Kilometer weit transportiert
und auch in geringen Mengen in Mitteleuropa abgelagert.
III
Bei den geäußerten Ängsten vor der Radioaktivität und vor
Röntgenstrahlen bleibt jedoch häufig unerwähnt, dass nach
vielen Jahrzehnten weltweiter intensiver Forschung heute
ein Wissensstand über die Wirkung der ionisierenden Strahlung erreicht ist, der die Kenntnisse über die Wirkung anderer Schadstoffe bei weitem übertrifft. Dieser hohe Kenntnisstand wird auch dadurch belegt, dass sich das prinzipielle
Bild, das in Medizin und Biologie über die Strahlenwirkung
besteht, in den letzten Jahrzehnten nicht mehr grundsätzlich
geändert hat. Es wurden in dieser Zeit lediglich die Kenntnisse vertieft, noch unbekannte Detailmechanismen aufgeklärt und die anfänglich wegen noch unzureichender Daten
unsicheren Risikoschätzungen präzisiert.
Die vorliegende Broschüre, deren einzelne Kapitel von ausgewiesenen wissenschaftlichen Experten bearbeitet wurden,
berücksichtigt den Kenntnisstand bis Mitte 2006.
K. Hahn, München
IV
Inhalt
Vorwort......................................................................
III
1.
1
Physikalische Grundlagen ......................
Ch. Zach
1.1
Bau der Atome .................................................
Nuklide und Isotope
1
1.2
Radioaktivität ...................................................
Definitionen und Kenngrößen x Strahlenarten x
Reichweite und Wechselwirkung mit Materie x Abschirmung
2
1.3
Dosisbegriffe....................................................
13
1.4
Messgrößen im Strahlenschutz .....................
20
1.5
Literatur ............................................................
24
2.
Biologische Grundlagen ..........................
25
L. Feindegen
2.1
2.2
Wirkungsweise ionisierender Strahlung auf
einzelne Zellen .................................................
Zellen als kleinste Funktionseinheiten lebender
Körper x Mechanismen der Zellschädigung x
Strahlenempfindliche Teile der Zelle x Reparatur von Strahlenschäden in der Zelle x Unterschiedliche Strahlenempfindlichkeiten im Körper x Genom-Instabilität; Apoptose x Akute und
chronische Bestrahlung x Biologische Dosimetrie
Wirkungsweise ionisierender Strahlung auf
vielzellige Organismen....................................
Bystander Effekte x Strahleninduzierte Störungen des biologischen Gleichgewichtes, adaptive Reaktionen x Abwehr- und Reparaturmechanismen vielzelliger Systeme x Stochastische Strahlenwirkungen x Deterministische
Strahlenwirkungen x Genetische Strahlenwirkungen x Faktorenabhängigkeit der Strahlenwirkungen
25
40
V
2.3
Akute Strahlenschäden...................................
Zellerneuerungssysteme x Akute Strahlenkrankheiten nach einmaliger Ganzköperexposition x Strahlenschäden der Haut, verstärkende Schäden x Strahlenschäden der Keimdüsen x Strahlenschäden des ungeborenen Lebens
53
2.4
Späte Strahlenschäden...................................
Deterministische Spätschäden - Effekte durch
chronische Strahlenexposition mit niedriger
Dosisrate - Somatische Spätschäden nach
Strahlenexposition mit hoher Dosis oder Dosisrate x Stochastische Spätschäden - Allgemeine Einleitung, Risikoanalyse - Sekundäre Faktoren bei der Risikoanalyse - Die Überlebenden in Hiroshima und Nagasaki - Für einzelne
Organe geschätzte Risikoanteile am Gesamtrisiko - Andere epidemiologische Studien an
exponierten Populationen
61
2.5
Anstehende Modifikationen der Risikoanalyse .............................................................
Die möglichen Dosis-Risiko Beziehungen für
Strahlenkrebs x Physiologische Abwehr- und
Anpassungsreaktionen biologischer Systeme
71
2.6
Hormesis und kleine Dosen ...........................
76
2.7
Literatur ............................................................
80
3.
Anwendung ionisierender Strahlung in
Technik, Wissenschaft und Medizin ....
82
H. Müller, H. G. Paretzke, W. Rühm, K. Hahn
3.1
Energieerzeugung (Kernspaltung, Fusion)...
Kernfusion x Kernspaltung x Reaktortypen x
Strahlenexposition durch den Betrieb von
Kernkraftwerken - Beschäftigte - Bevölkerung
82
3.2
Beispiele für Anwendungen in der Industrie
Radiographie - Werkstoffprüfung – Röntgenfloureszenz-Analyse x Industriell genutzte Be-
92
VI
strahlungsanlagen - Anlagen zur Sterilisation
und Konservierung - Anlagen zur Polymerisation von Kunststoffen x Herstellung von Radioisotopen - Radioisotope in Kalibrierquellen - Radioisotope für Rauchmelder - Radioisotope in Regel- und Messeinrichtungen
3.3
3.4
Beispiele für Anwendungen in der
Wissenschaft ...................................................
Radioisotope x Partikel- und Photonenstrahlung x Untersuchungen im Forschungsreaktor
Beispiele für Anwendungen in der Medizin
zur Diagnostik und Therapie ..........................
Radionuklide in der modernen medizinischen
Diagnostik und Therapie - Voraussetzungen
zur Anwendung von Radionukliden in der Medizin - Radionuklide in der Diagnostik - Spezielle nuklearmedizinische Untersuchungen Nuklearmedizinische
Tomographie-Untersuchungsverfahren - Radionuklide in der Therapie x Röntgendiagnostik x Perkutane Strahlentherapie
96
101
3.5
Behandlung radioaktiver Abfälle ...................
124
3.6
Literatur ............................................................
129
4.
Strahlenexposition und
Umweltradioaktivität ..................................
130
H. Löcker, H. Müller, H. G. Paretzke
4.1
Das Verhalten radioaktiver Stoffe in der
Umwelt (Radioökologie)..................................
Ausbreitung in der Atmosphäre x Einflussgrößen bei der Ausbreitung – Wind - Turbulenzzustand der Atmosphäre - Freisetzungshöhe Physikalisch-chemische Form x Ausbreitungsmodelle - Gauss-Modelle - Eulersche Ausbreitungsmodelle - Lagrangesche Ausbreitungsmodelle x Deposition und Verbleib auf Oberflächen - Trockene Deposition - Nasse Deposi-
130
VII
tion – Interzeption - Verbleib auf Oberflächen Resuspension x Ausbreitung in Gewässern x
Radionuklide in Nahrungsketten - Kontamination von Pflanzen - Kontamination von Tierprodukten - Einfluss der Verarbeitung und Lagerung auf die Kontamination x Interne Strahlenexposition - Ingestion - Inhalation - Verhalten
der radioaktiven Stoffe im Körper x Externe
Strahlenexposition - Strahlung aus einer „radioaktiven Wolke“ - Strahlung von abgelagerten Nukliden
4.2
Strahlenexposition aus natürlichen Quellen
Externe Strahlenexposition - Kosmische Strahlung - Kosmogene Radionuklide - Terrestrische Strahlung x Interne Strahlenexposition Das radioaktive Edelgas Radon - Natürliche
radioaktive Stoffe in der Nahrung x Gesamte
natürliche Strahlenexposition
4.3
Strahlenexposition aus zivilisatorischen
Quellen .............................................................
Strahlenexposition in der Nähe von kerntechnischen Anlagen x Strahlenexposition durch
den Reaktorunfall von Tschernobyl x Strahlenexposition durch den Transport von radioaktiven Stoffen (Castor) x Strahlenexposition
durch Quellen in Industrie, Wissenschaft und
Medizin – Bestrahlungsanlagen - Zerstörungsfreie Materialprüfung - Leuchtziffern (Lumineszenz) - Radioisotope – Produktion und Versand - Bohrlochmessungen („Well Logging“) Beschleuniger x Medizinische Strahlenexposition x Berufliche Strahlenexposition
4.4
4.5
VIII
157
171
Problematik epidemiologischer Studien
zur Strahlenexposition der Bevölkerung
(Fallkontroll-Studien) ......................................
185
Literatur ............................................................
192
5.
Strahlenschutz und gesetzliche
Vorschriften ..................................................
194
Ch. Zach
5.1
Planung und Durchführung des praktischen
Strahlenschutzes.............................................
Schutz vor äußerer Exposition x Personenkontamination und Dekontaminationsmöglichkeiten x Inkorporation und Dekorporationsmöglichkeiten
5.2
Gesetzliche Schutzvorschriften .....................
Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) - Festlegung der Grenzwerte unter gesundheitlichen,
gesellschaftspolitischen und ökonomischen
Aspekten - Höchstwerte der Oberflächen- und
massebezogenen Kontamination - Freigabeverfahren x Röntgenverordnung (RöV) x Neue
Regelung in der StrlschV und in der RöV Rechtfertigende Indikation - Diagnostische Referenzwerte - Ärztliche Stelle - Berücksichtigung natürlicher Strahlenquellen bei der Arbeit
x Strahlenschutzvorsorgegesetz - Immissionsund Emissionsüberwachung - Höchstwerte der
Aktivitätskonzentration in Luft und Wasser
5.3
Genehmigungspflicht des Umgangs mit
radioaktiven Stoffen ........................................
Genehmigungsvoraussetzungen
(Rechtfertigung, Sicherheitsanforderungen) x Nachweis
der Einhaltung der Schutzbestimmungen (Radioökologische Berechnungen u.a.)
194
204
223
5.4
Literatur ............................................................
226
6.
Vorsorgemaßnahmen bei
Strahlenunfällen ..........................................
227
R. Schneider, Ch. Reiners
6.1
Reaktorunfälle (Beispiel Tschernobyl) ..........
Reaktorunfälle vor Tschernobyl x Der Tschernobylunfall x Gesundheitliche Folgen des Tscher-
227
IX
nobylunfalls - Exponierte Personen - Strahlendosen - Schilddrüsenerkrankungen - Leukämie
- Andere solide Tumoren als Schilddrüsenkrebs - Andere gesundheitliche Effekte - Strahlenexposition in Deutschland durch Tschernobyl x Iodblockade als Maßnahme zur Strahlenschutzvorsorge
6.2
Missbrauch von radioaktiven Stoffen............
Nuklearkriminalität x Nuklearterrorismus „Schmutzige Bombe“ - Sabotage bzw. terroristischer Anschlag - Improvisierte Nuklearbombe
x Gegenmaßnahmen
6.3
Überwachung der Umweltradioaktivität
in Bayern .........................................................
Integriertes Mess- und Informationssystems
(IMIS) zur Überwachung der allgemeinen Umweltradioaktivität x Immissionsmessnetz für
Radioaktivität (IfR) zur Überwachung der Umweltradioaktivität x Umgebungsüberwachung
bayerischer Kernkraftwerke x KernreaktorFernüberwachungssystem (KFÜ)
6.4
Radioaktivitätsmessungen beim
grenzüberschreitenden Verkehr ...................
„Tschernobyl-Verordnung“ x Grenzmonitoring
243
252
257
6.5
Katastrophenschutz-Maßnahmen..................
Katastrophenschutz - Zuständigkeit und rechtliche Grundlagen - Maßnahmen x Strahlenschutzvorsorgezentren
260
6.6
Literatur ............................................................
266
7.
Erläuterung von Fachbegriffen ..............
274
8.
Sachverzeichnis ..........................................
300
X
1.
1.1
Physikalische Grundlagen
Bau der Atome
Die belebte und unbelebte Materie setzt sich aus kleinsten
Bausteinen, den Atomen, zusammen. Diese bestehen aus
dem Atomkern und der Atomhülle. Nahezu die gesamte
Masse des Atoms ist im Kern konzentriert; die Atomhülle
umgibt den Kern wie eine Wolke. Der Atomkern ist aus zwei
verschiedenen Bausteinen aufgebaut, Nukleonen genannt.
Es sind dies:
x Das Proton (p), es trägt eine positive Elementarladung
und hat definitionsgemäß die Massenzahl 1.
x Das Neutron (n), das elektrisch neutral und gleich schwer
wie das Proton ist. Es besitzt also ebenfalls die Massenzahl 1.
Die Anzahl der Protonen im Atomkern, die Kernladungszahl,
kennzeichnet das chemische Element.
Beispiele:
Wasserstoff
Helium
Kohlenstoff
Uran
1
2
6
92
Proton
Protonen
Protonen
Protonen
Die Summe der Nukleonen (p+n, Protonen und Neutronen)
im Kern nennt man die Massenzahl des betreffenden Atoms.
Die Hülle eines Atoms wird aus Elektronen gebildet. Sie tragen je eine negative Elementarladung und besitzen nur etwa
1/2000 der Protonenmasse. Die Zahl der Elektronen in der
Hülle entspricht der Zahl der Protonen im Kern, das Atom ist
also nach außen hin elektrisch neutral.
Die Elektronen befinden sich in verschiedenen Schalen –
mit den Buchstaben K bis Q bezeichnet – in unterschiedlichen Abständen vom Kern und sind unter anderem für die
Fähigkeit der meisten Atome verantwortlich, miteinander
chemische Bindungen einzugehen, also Moleküle zu bilden.
Der Durchmesser des Atomkerns verhält sich zum Durchmesser der Atomhülle etwa wie 1:100000, das entspricht
dem Durchmesser eines Streichholzkopfes im Verhältnis zu
einem 200 m hohen Fernsehturm.
1
Nuklide und Isotope
Allgemein nennt man Atome, die durch die Summe der
Nukleonen im Kern, die Massenzahl, bestimmt sind, Nuklide. Man fügt zu ihrer Bezeichnung dem Elementnamen
oder dem Elementsymbol die Massenzahl zu: Wasserstoff-2
(H-2), Kohlenstoff-14 (C-14) oder Iod-131 (I-131) sind also
Nuklide.
Von jedem chemischen Element gibt es eine Reihe verschiedener Nuklide, die sich nur durch die Zahl der Neutronen im Kern unterscheiden. Sie nennt man Isotope. Isotope
eines Elements besitzen gleiche chemische Eigenschaften.
Beispiele:
Die Nuklide Wasserstoff-1 (H-1) mit 1p, Wasserstoff-2 (H-2) „Deuterium" mit 1p+1n und Wasserstoff-3 (H-3) „Tritium" mit 1p+2n sind
Wasserstoffisotope (Abb. 1.1);
die Nuklide Kohlenstoff-12 (C-12) mit 6p+6n und Kohlenstoff-14
(C-14) mit 6p+8n sind Kohlenstoffisotope;
die Nuklide Uran-235 (U-235) mit 92p+143n beziehungsweise
Uran-238 (U-238) mit 92p+146n sind Uranisotope.
Abb. 1.1 Die Kerne der Wasserstoffisotope: Wasserstoff, Deuterium und Tritium
1.2
Radioaktivität
Die Zahl der Neutronen im Atomkern ist für jedes Element
nur in bestimmten Grenzen variabel (maximal um etwa 40),
wobei mit steigender Kernladungszahl das Verhältnis zwischen Neutronen und Protonen insgesamt zunimmt. Zum
Aufbau eines stabilen Atomkerns sind innerhalb dieser
Grenzen allerdings nur wenige Werte „erlaubt".
2
Für einen stabilen Wasserstoffkern darf das Verhältnis nicht über
1:1 liegen (1 Proton und maximal 1 Neutron);
ein stabiler Atomkern des Eisens darf zu seinen 26 Protonen nur
28, 30, 31 oder 32 Neutronen besitzen (Verhältnis im Mittel knapp
1:1,2);
beim Blei (82p) sind es 122, 126, 127 oder 130 Neutronen (Verhältnis etwa 1:1,5).
Definitionen und Kenngrößen
Die meisten in der Natur vorkommenden Elemente und ihre
Isotope sind stabil, es gibt aber auch einige natürliche Isotope, die instabil sind, beispielsweise Tritium, Kohlenstoff-14,
Kalium-40, Rubidium-87, Platin-190, Blei-204 und die Isotope der „schweren" Elemente, zum Beispiel des Poloniums,
Radiums, Radons, Thoriums oder Urans (siehe auch Abschnitt 4.2). Sie alle sind durch die bei der Kernumwandlung
freigesetzte Strahlungsenergie die Quelle der Erdwärme.
Der französische Physiker Antoine-Henri Becquerel beobachtete an einem natürlich vorkommenden instabilen Element im Jahre 1896 erstmals die bei Kernumwandlungen
auftretende Strahlung:
Er entdeckte, dass von Uransalzen eine Strahlung ausging,
die lichtdicht verpackte Photoplatten zu schwärzen in der
Lage war. Seine Schüler Marie und Pierre Curie fanden
1898 die gleiche „Becquerel-Strahlung" bei den von ihnen
entdeckten Elementen Thorium, Radium und Polonium. Sie
nannten diese Erscheinung, dass ein Stoff ohne vorherige
Anregung und von außen nicht beeinflussbar Strahlung aussendet, Radioaktivität (= Strahlungsaktivität).
Da der ursprüngliche Stoff dabei allmählich „verschwindet"
und die ablaufenden physikalischen Vorgänge noch unbekannt waren, prägte man damals den Begriff radioaktiver
Zerfall. Diese Bezeichnung, die dem eigentlichen Vorgang
(Kernumwandlung!) nicht gerecht wird, ist bis heute in der
wissenschaftlichen Literatur gebräuchlich geblieben.
Die Anzahl der in der Zeiteinheit zerfallenden Kerne bezeichnet man als Aktivität. Die Einheit der Aktivität ist seit
1978 das Becquerel (Bq), das ist die Zahl der Zerfallser3
eignisse pro Sekunde. 1 Bq entspricht einem Zerfall in einer Sekunde. Die bis 1977 gebräuchliche Einheit war das
Curie (Ci), die Aktivität von einem Gramm Radium-226. In
1 g Ra-226 ereignen sich pro Sekunde 37 Milliarden Zerfälle. 1 Ci entspricht also 37 Milliarden Bq. Da das Becquerel eine sehr kleine Einheit ist, verwendet man häufig die dezimalen Vielfachen Kilobecquerel (1 kBq = 1·103 Bq = 1.000 Bq),
Megabecquerel (1 MBq = 1·106 Bq = 1.000.000 Bq) und Gigabecquerel (1 GBq = 1·109 Bq = 1.000.000.000 Bq).
Die Aktivität pro Masseeinheit (zum Beispiel Bq/g) nennt
man spezifische Aktivität. Ra-226 hat also eine spezifische
Aktivität von 37 Milliarden Bq/g (= 3,7·1010 Bq/g).
Der radioaktive Zerfall ist ein statistisches Ereignis und erfolgt nach den Gesetzen einer Exponentialfunktion: In gleichen Zeitabschnitten zerfällt immer der gleiche Prozentsatz
der noch vorhandenen radioaktiven Kerne. Trägt man die
Zahl der noch vorhandenen Atome gegen die Zeit auf, erhält
man die Kurve der Abb. 1.2. Es ist daher keine genaue Aussage darüber möglich, wann das letzte Atom zerfallen sein
wird, es lässt sich aus der Kurve aber exakt ablesen, nach
welcher Zeit sich die Hälfte der ursprünglich vorhandenen
radioaktiven Kerne umgewandelt hat. Diese Zeit wird Halbwertszeit genannt. Nach einer Halbwertszeit sind noch die
Hälfte, nach zwei Halbwertszeiten ein Viertel und nach drei
Halbwertszeiten ein Achtel der ursprünglichen Kerne vorhanden.
Die Halbwertszeiten der einzelnen Radionuklide sind sehr
unterschiedlich. Manche natürlichen Radionuklide besitzen
eine so lange Halbwertszeit, dass sie wegen der schwierigen Nachweisbarkeit ihrer äußerst geringen Strahlung bis
vor kurzem noch als stabil galten. Der derzeitige „Spitzenreiter" unter den natürlichen Radionukliden, das Tellur-128,
besitzt eine Halbwertszeit von 1,5 Trilliarden Jahren (eine 15
mit 20 Nullen). Sein doppelter ȕ--Zerfall zum Xenon-128
wurde erst Ende der 70er Jahre entdeckt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass noch langlebigere, zurzeit als stabil angesehene Radionuklide gefunden werden. Das natürliche
Polonium-214 hat dagegen nur eine Halbwertszeit von
0,00016 Sekunden. Ähnliche Spannen gibt es auch bei den
künstlichen Radionukliden, beispielsweise 15,7 Millionen
4
Jahre für das Iod-129 und 0,0000001 Sekunden (= 1·10-7 s
= 0,1 µs) für Thorium-218.
Abb. 1.2. Die Halbwertszeit beim radioaktiven Zerfall
Strahlenarten
Die Zahl der stabilen Isotope jedes Elements ist also relativ
klein, von manchen Elementen existiert sogar kein einziges.
Alle Atomkerne mit zu viel oder zu wenig Neutronen oder mit
aus anderen kernphysikalischen Gründen „unerlaubten"
Neutronenzahlen (zum Beispiel Eisenatomkerne mit 29 Neutronen) sowie die Kerne mit den Kernladungszahlen 43
(Technetium) und 61 (Promethium) und die „schweren Kerne" mit Kernladungszahlen ab 84 (Polonium) sind instabil.
Die durch Spaltung schwerer Kerne (mit ihren im Verhältnis
zu den Protonen hohen Neutronenzahlen) entstehenden
leichteren Spaltprodukte besitzen in der Regel einen Neutronenüberschuss und sind deswegen instabil. Alle nicht
stabilen Atomkerne wandeln sich unter Abgabe energiereicher Strahlung – teilweise in mehreren Stufen – in stabile
Kerne um.
5
Beispiele:
Beim Wasserstoff ist mehr als ein Neutron nicht „erlaubt". Im Tritium-Kern wandelt sich daher ein Neutron unter Aussendung eines
negativ geladenen Betateilchens (ȕ-) in ein Proton um (wie in Abb.
1.3 Mitte für ein schwereres Nuklid dargestellt). Die Betateilchen
sind Elektronen wie die Hüllelektronen auch. Da sie aber aus dem
Kern stammen, erhielten sie zur Unterscheidung von den Hüllelektronen diese besondere Bezeichnung. Bei der Beta-Umwandlung
nimmt die Zahl der Neutronen im Kern um 1 ab, die Zahl der Protonen um 1 zu. Die Kernladungszahl steigt damit um 1, die Massenzahl bleibt unverändert. Es entsteht im vorliegenden Falle das Helium-3, ein stabiles Nuklid.
Der schwere Kern des Uran-238 sendet – gewissermaßen zur „Erleichterung" – einen kompletten kleinen Atomkern aus (Abb. 1.3
oben), bestehend aus 2 Protonen und 2 Neutronen, ein Alphateilchen (Į = Heliumkern). Die Kernladungszahl nimmt dadurch um 2,
die Massenzahl um 4 (2p+2n) ab. Es entsteht das Nuklid Thorium234, das als „schweres Element" seinerseits ebenfalls instabil ist
und sich weiter umwandelt. Die Umwandlungen durch Alpha- oder
Betastrahlung geschehen so oft, bis am Ende einer solchen Zerfallsreihe ein stabiler Kern entsteht, in diesem Falle dann das Bleiisotop Blei-206.
Abb. 1.3 Strahlenarten beim radioaktiven Zerfall
6
Das jeweilige Produkt einer Kernumwandlung – gleichgültig
ob stabil oder nicht – wird als Tochternuklid bezeichnet.
Die Aussendung der Teilchenstrahlen (Alpha- oder Betastrahlung) hinterlässt in vielen Fällen einen energetisch angeregten Kern. Diese Anregungsenergie wird dann durch
Abgabe einer energiereichen elektromagnetischen Wellenstrahlung, der Gammastrahlung (Ȗ), abgebaut (Abb. 1.3 unten). Durch die Aussendung von Gammastrahlung ändern
sich weder die Kernladungs- noch die Massenzahl.
In den meisten Fällen ist die Lebensdauer des angeregten
Zustandes unmessbar klein, das heißt, die Gammastrahlung
erfolgt praktisch gleichzeitig mit der Beta- oder Alphastrahlung. Es gibt aber auch Fälle (metastabile Zustände), in denen der angeregte Kern eine messbare Lebensdauer besitzt.
Derartige Nuklide werden mit einem an die Massenzahl angehängten m gekennzeichnet, zum Beispiel Barium-137m.
Wie jede elektromagnetische Wellenstrahlung transportiert
auch die Gammastrahlung die Energie in genau festgelegten „Päckchen" (Quanten), die um so energiereicher sind, je
kürzer die Wellenlänge ist. Damit besitzt auch Wellenstrahlung gewisse Teilcheneigenschaften. Die Quanten der kurzwelligen elektromagnetischen Wellenstrahlung (zum Beispiel
von sichtbarem Licht, UV-, Röntgen oder Gammastrahlen)
werden auch als Photonen bezeichnet. In manchen Fällen
wird die Anregungsenergie des Kerns nicht als Gammaquant abgestrahlt, sondern durch elektromagnetische Wechselwirkung auf ein Hüllelektron übertragen, das dann emittiert wird. Solche Elektronen, die zwar die Folge einer Kernumwandlung sind, selbst aber nicht aus dem Kern stammen,
bezeichnet man als Konversionselektronen.
Alpha-, Beta- oder Gammastrahlung verlassen den Kern mit
einer für das jeweilige Nuklid spezifischen Strahlungsenergie. Als Maßeinheit wird das Elektronenvolt (eV) verwendet.
Ein Elektronenvolt ist diejenige (Bewegungs-) Energie, die
ein Teilchen mit einer Elementarladung nach Durchlaufen
einer Potentialdifferenz von 1 Volt erhalten hat. Die beim
radioaktiven Zerfall auftretenden Energien liegen in der Regel im Bereich von Kiloelektronenvolt (1 keV = 1·103 eV)
7
oder Megaelektronenvolt (1 MeV = 1·106 eV). Das Elektronenvolt ist eine winzige Energieeinheit: 1 MeV entspricht
1,6021·10-10 Joule.
Radioaktive Nuklide (Radionuklide, Radioisotope) kann
man, wie bereits angedeutet, auch künstlich erzeugen. Gelingt es beispielsweise, ein zusätzliches Neutron in einen
Kern einzubauen, so bildet sich ein neues Isotop des betreffenden Elements. Der dadurch in der Regel hervorgerufene
Neutronenüberschuss im Kern führt dann zur Umwandlung
eines Neutrons in ein Proton und zur Aussendung eines Betateilchens. Durch Neutronenbestrahlung können also stabile Isotope eines Elements in Radioisotope umgewandelt
werden. Dieser als Aktivierung bezeichnete Prozess spielt
bei den Strukturmaterialien von Kernreaktoren (Reaktordruckbehälter, Brennstabhüllen usw.) eine wichtige Rolle.
Die leichte Aktivierbarkeit mancher Elemente durch Bestrahlung mit Neutronen nutzt man auch zur analytischen Bestimmung winzigster Mengen dieser Elemente aus (Aktivierungsanalyse).
Bei der Spaltung schwerer Kerne (Uran-235, Plutonium-239)
entstehen, wie schon erwähnt, ebenfalls Radionuklide, die in
der Natur in der Regel nicht vorkommen. Daneben ist die
Erzeugung künstlicher Radionuklide auch durch Beschuss
von Atomkernen mit geladenen Teilchen, beispielsweise
Protonen oder kleinen Atomkernen, mit Hilfe aufwendiger
Teilchenbeschleuniger (beispielsweise Zyklotronen) möglich. Damit können auch Radioisotope mit Protonenüberschuss hergestellt werden. Analog zu den Nukliden mit
Neutronenüberschuss wandelt sich hier ein Proton in ein
Neutron um, bei manchen Nukliden unter Abstrahlung eines
positiv geladenen Teilchens mit der Masse eines Elektrons,
eines Positrons (ȕ+), bei anderen Nukliden fängt sich der
Kern aus einer kernnahen Elektronenschale (K- oder LSchale) ein Elektron ein, wodurch ein Proton dann zum
Neutron „neutralisiert" wird (K-, L-Einfang, İ). In vielen Fällen können bei einem Nuklid beide Prozesse (mit unterschiedlicher Häufigkeit) stattfinden. Es gibt sogar Nuklide,
bei denen ȕ-- und ȕ+-Zerfall und K-Einfang nebeneinander
erfolgen (Kalium-40). Reine Positronenstrahler kommen in
der Natur nicht vor. Bei der Wechselwirkung mit Materie
8
verhalten sich Positronen als „Antiteilchen" der Elektronen:
Beim Zusammentreffen mit einem Elektron werden – entsprechend der Theorie von Materie und Antimaterie – die
Massen beider Teilchen und ihre Bewegungsenergien vollständig in (elektromagnetische) Strahlungsenergie umgewandelt. Aus den Massen der beiden Teilchen entsteht eine
charakteristische „Vernichtungsstrahlung", zwei Ȗ-Quanten
mit je 0,511 MeV (Megaelektronenvolt).
Manche schwere Kerne (ab dem Uran) zeigen mit einer gewissen Häufigkeit Spontanspaltungen; der Kern zerbricht
dabei ohne äußere Einwirkung in zwei etwa gleich große
Bruchstücke und es tritt Neutronenstrahlung auf. Einige
Nuklide (beispielsweise Curium-250) zerfallen ausschließlich
durch Spontanspaltung.
Reichweite und Wechselwirkung mit Materie
Dass es sich bei der „Becquerel-Strahlung" nicht um eine
einheitliche Strahlung, sondern um drei verschiedene Strahlenarten handelt, wurde 1899 von Rutherford nachgewiesen,
von ihm stammt auch die Namensgebung nach den ersten
drei Buchstaben des griechischen Alphabets. Alle drei
Strahlenarten haben jedoch eine Eigenschaft gemeinsam:
Wegen der relativ hohen Energie ihrer Teilchen oder Quanten können sie bei der Wechselwirkung mit Materie Hüllelektronen herausschlagen und dadurch auf direktem oder
indirektem Weg geladene Teilchen, Ionen, erzeugen. Wegen dieser Wirkung fasst man die Strahlung radioaktiver
Stoffe und andere Strahlungen mit den gleichen Eigenschaften, beispielsweise Röntgenstrahlung, unter dem Sammelbegriff ionisierende Strahlung zusammen. Die umgangssprachliche Bezeichnung „radioaktive Strahlung" meint nur
die ionisierende Strahlung, die von radioaktiven Stoffen
ausgeht. Sie führt leicht zu Missverständnissen: Nicht die
Strahlung ist radioaktiv, sondern das Nuklid, von dem sie
ausgeht.
Die Strahlung geladener Teilchen, wie z. B. Alpha- und Betastrahlung, erzeugt Ionen und freie Elektronen in der Materie durch direkte Stöße (Stoßionisation). Sie wird auch als
direkt ionisierende Strahlung bezeichnet. Bei jedem Stoß9
prozess, den man sich wie Stöße von Billardkugeln vorstellen kann, verliert das Teilchen etwas Energie bis es schließlich in der Materie vollständig abgebremst wird. Die Reichweite des Teilchens in der Materie nimmt mit der Energie
(Geschwindigkeit) des Teilchens zu und ist umso größer, je
geringer die Dichte der Materie ist.
Neben der Stoßionisation können geladene Teilchen durch
die Wechselwirkung mit der positiven Ladung der Atomkerne abgebremst und in ihrer Bahn abgelenkt werden. Die
freiwerdende Energie wird als Photonenstrahlung (Bremsstrahlung) abgegeben. Dieser Effekt wird in der Röntgenröhre zur Erzeugung der Röntgenstrahlung ausgenutzt, indem
beschleunigte Elektronen auf eine Metallanode, meist Wolfram, geschossen werden.
Die Gammastrahlung ist eine indirekt ionisierende Strahlung. Sie gibt ihre Energie in zwei Stufen an die Materie ab.
In der ersten Stufe werden einige wenige energiereiche geladene Teilchen erzeugt, die dann die Materie weiter ionisieren. Die wichtigsten Wechselwirkungen von Photonen mit
Materie sind der Photoeffekt, der Comptoneffekt und die
Paarbildung. Eine wichtige Eigenschaft der indirekt ionisierenden Strahlung ist, dass sie in ausreichend dicker Materie
zwar beliebig geschwächt, aber nie vollständig abgeschirmt
werden kann.
Beim Photoeffekt gibt ein Photon seine gesamte Energie an
ein Hüllelektron ab, das Photon verschwindet und die Strahlung wird damit abgeschwächt. Das Hüllelektron erhält kinetische Energie (Geschwindigkeit), wird aus dem Atom herausgeschlagen und ionisiert auf seinem Weg durch die Materie weiter Atome (Abb. 1.4). Der Photoeffekt ist der dominierende Effekt bei Photonenenergien unterhalb von etwa
100 keV.
10
Abb. 1.4 Wechselwirkung von Gammastrahlung mit Materie
Beim Comptoneffekt gibt das Photon nur einen Teil seiner
Energie auf ein Hüllelektron ab, das ebenfalls aus dem Atom
herausgeschlagen wird. Das Photon wird inelastisch gestreut, d.h. es fliegt in einer anderen Richtung mit geringerer
Energie (Frequenz), größerer Wellenlänge, davon. Hiernach
sind weitere Comptonstreuprozesse möglich, bis das Photon
durch einen Photoeffekt schließlich verschwindet oder die
Materie verlässt.
Als Paarbildungseffekt wird die Bildung eines ElektronPositron-Paars im Feld der Atomkerne bezeichnet. Das Photon verschwindet. Zur Bildung des Elektron-Positron-Paares
werden 1022 keV benötigt. Daher tritt die Paarbildung erst
bei Photonenenergien oberhalb dieser Schwelle auf. Die
restliche Energie des ursprünglichen Photons wird in kinetische Energie des Elektrons und des Positrons umgewandelt. Die Paarbildung ist die dominierende Wechselwirkung
bei hohen Photonenenergien ab 20 MeV.
11
Abschirmung
Alpha-, Beta- und Gammastrahlen unterscheiden sich erheblich in ihrer Fähigkeit, Materie zu durchdringen (Abb.
1.5):
x Alphastrahlen haben in Luft eine Reichweite von nur wenigen Zentimetern, in lebendes Gewebe können sie sogar
nur einige hundertstel Millimeter eindringen. Bereits ein
Blatt Papier schirmt Alphastrahlung völlig ab.
x Betastrahlen können einige Meter Luft durchdringen, in
lebendem Gewebe haben sie je nach Energie Reichweiten von einigen Millimetern bis einigen Zentimetern. Ein
dickes Buch, eine dicke Plexiglasscheibe oder eine dünne Aluminiumplatte schirmen Betastrahlung vollständig
ab.
x Gammastrahlen besitzen in Luft sehr große Reichweiten
und durchdringen – wie Röntgenstrahlung – auch lebendes Gewebe leicht. Zur Abschirmung verwendet man dicke Schichten aus Materialien mit hoher Dichte (Blei,
Schwerbeton). Gammastrahlung ist durch entsprechende
Schichtdicken beliebig stark (bis unter die Nachweisgrenze) abzuschwächen, aber nie vollständig abschirmbar.
Abb. 1.5 Die Abschirmung
Die verschiedenen Strahlenarten werden durch Materie unterschiedlich abgeschirmt.
12
Analog der Halbwertszeit lassen sich Halbwertsschichtdicken angeben. Die Habwertsschichtdicken sind stark von
der Art und Energie der Strahlung und der Dichte des Abschirmmaterials abhängig. Durch eine Abschirmung von einer Halbwertsschichtdicke wird die Strahlung auf die Hälfte,
bei zwei Halbwertsschichtdicken auf ein Viertel geschwächt.
Die Strahlungsintensität nimmt mit zunehmender Dicke der
Abschirmung exponentiell ab. Setzt sich die Strahlung aus
mehreren Anteilen zusammen, z. B. Beta- und Gammastrahlung oder Gammastrahlung verschiedener Energien, so
ist die Abschirmwirkung für jede Komponente mit ihrer individuellen Halbwertsschichtdicke separat zu bestimmen.
1.3
Dosisbegriffe
Bei der Wechselwirkung von Strahlung mit Materie wird die
Strahlungsenergie ganz oder teilweise von der Materie aufgenommen (absorbiert). Dabei werden in der Materie Ladungsträger beiderlei Vorzeichens (positive und negative
Ionen) erzeugt. Die erzeugte Ladung je Masseeinheit, gemessen in Coulomb pro Kilogramm (C/kg), heißt lonendosis
J. Früher wurde für die lonendosis eine besondere Einheit
verwendet, das Röntgen (R). 1 R entspricht 0,000258 C/kg
(in Luft).
Die pro Masseeinheit absorbierte Energiemenge wird als
Energiedosis D bezeichnet. Die Einheit der Energiedosis ist
seit 1978 das Gray (Gy). 1 Gy entspricht einer absorbierten
Energie von 1 Joule pro Kilogramm (1 J/kg). Bis 1977 war
die Einheit der Energiedosis das Rad (rd), abgekürzt aus
„radiation absorbed dose". 100 rd sind 1 Gy.
Der unterschiedlichen biologischen Wirkung verschiedener
Strahlenarten und -energien wird in den Empfehlungen der
internationalen Strahlenschutzkommission (ICRP) /ICR-91/
und auch in der deutschen Strahlenschutzverordnung
(StrlSchV) /STR-01/ mit dem Strahlungs-Wichtungsfaktor wR
Rechnung getragen (Tabelle 1.1). Die mit wR multiplizierte,
über ein Organ gemittelte Energiedosis DT,R (T steht für
tissue, R für radiation) wird als Organdosis HT bezeichnet.
HT,R = wR · DT,R
13
Strahlungsart und -energie
Photonen
(Gamma- u. Röntgenstrahlung)
Elektronen und Myonen
Neutronen (je nach Energie)
Protonen (> 2 MeV)
Alphateilchen, Spaltfragmente,
schwere Kerne
Strahlungs-Wichtungsfaktor wR
1
1
5–20
5
20
Tab. 1.1 Strahlungs-Wichtungsfaktoren wR (StrlSchV Anlage VI
Teil C /STR-01/)
Besteht die Strahlung aus Arten und Energien mit unterschiedlichen Strahlungs-Wichtungsfaktoren, so werden zur
Bestimmung der Organdosis die Beiträge, die durch die einzelnen Strahlungsarten und -energien verursacht werden,
addiert.
HT = Ȉ wR · DT,R
Der Strahlungs-Wichtungsfaktor ist dimensionslos. Die Dimension der Organdosis (J/kg) entspricht daher der Dimension der Energiedosis, man verwendet jedoch für die Organdosis eine besondere Bezeichnung, das Sievert (Sv).
Der tausendste Teil eines Sievert ist das Millisievert (mSv),
der millionste Teil das Mikrosievert. Falls der StrahlungsWichtungsfaktor gleich 1 ist, wie für Beta-, Gamma- oder
Röntgenstrahlung, entspricht ein Sievert einem Gray, für (inkorporierte) Alphastrahler entsprechen (nach Tabelle 1.1) im
Regelfall 20 Sievert einem Gray.
Von einer Organdosis spricht man, wenn die Strahlenexposition eines einzelnen Organs oder Gewebes gesondert betrachtet wird, beispielsweise die Exposition der Schilddrüse
im Falle einer Inkorporation von Radioiod. Die Wirkung einer
Dosis auf ein Organ hängt von dessen Größe und Empfindlichkeit ab, daher sind die Grenzwerte für verschiedene Organe oder Gewebe unterschiedlich hoch (Kapitel 5.2). Bei
der Beschreibung und Bewertung von Strahlenwirkungen
wird noch eine Reihe weiterer Dosisbegriffe verwendet. Von
einer Ganzkörperdosis spricht man, wenn der gesamte Körper der Strahlenexposition ausgesetzt ist, von einer Teilkör-
14
perdosis, wenn nur Teile des Körpers betroffen sind. Der
Überbegriff hierzu ist die Körperdosis.
Die ICRP-Empfehlungen und das deutsche Strahlenschutzrecht verwenden bei der Festlegung von Grenzwerten neben der Organdosis die effektive Dosis E. Bei einer gleichmäßigen Dosisverteilung über den gesamten Körper sind
die Werte der Ganzkörperdosis und der effektiven Dosis
gleich.
Wenn nur Teile des Körpers oder einzelne Organe exponiert
sind (Teilkörperexposition), wie z. B. bei Teilkörperdurchleuchtungen in der Medizin, sind insgesamt die schädlichen
Wirkungen einer Strahlenexposition geringer als bei einer
gleichmäßigen Exposition des gesamten Körpers (Ganzkörperexposition). Die effektive Dosis entspricht dann derjenigen Ganzkörperdosis, die dasselbe Strahlenrisiko bedingt,
wie die einzelnen unterschiedlichen Organdosen. Sie ist die
Summe der durch die Gewebe-Wichtungsfaktoren wT (nach
Tabelle 1.2) entsprechend dem Strahlenrisiko gewichteten
Organ- und Gewebedosen.
E = Ȉ wT · HT
Gewebe oder Organe
Keimdrüsen
Knochenmark (rot)
Dickdarm
Lunge
Magen
Blase
Brust
Leber
Speiseröhre
Schilddrüse
Haut
Knochenoberfläche
Andere Organe und Gewebe
GewebeGewichtungsfaktoren wT
0,20
0,12
0,12
0,12
0,12
0,05
0,05
0,05
0,05
0,05
0,01
0,01
0,05
Tab. 1.2 Gewebe-Wichtungsfaktoren wT (StrlSchV Anlage VI
Teil C /STR-01/)
15
Die Gewebe-Wichtungsfaktoren sind über die Bevölkerung
(alle Altersstufen, alle Länder) und beide Geschlechter gemittelte Werte. Die effektive Dosis spiegelt nicht die Altersabhängigkeit des Strahlenrisikos wider – auch nicht genetische, geschlechtsspezifische und andere personenbezogene Faktoren, die das individuelle Strahlenrisiko beeinflussen.
Die effektive Dosis ist deshalb zur Abschätzung des Strahlenrisikos einzelner Personen kaum geeignet.
Da die biologische Wirkung einer Strahlendosis unter anderem von der Dosisverteilung im Gewebe, von der zum Teil
genetisch bedingten Strahlenempfindlichkeit und von der bei
den einzelnen Lebewesen sehr unterschiedlichen Wirksamkeit der Reparatursysteme abhängt (siehe auch Kapitel 2.2),
gilt die so definierte effektive Dosis nur für den Menschen
oder für menschliche Organe und Gewebe. Für einzelne
Zellen, Tiere oder Pflanzen kann die Dosis immer nur als
Energiedosis in Gray angegeben werden.
Für das besonders in der Neutronendosimetrie benutzte
Kerma verwendet man als Einheit in der Regel ebenfalls das
Gray. Kerma (kinetic energy released in matter) ist definiert
als die Summe der kinetischen Energien aller in einem bestimmten Volumen erzeugten geladenen Teilchen pro Masse der Materie in diesem Volumen.
Ein häufig gebrauchter Dosisbegriff ist die Kollektivdosis. Sie
ergibt sich aus der Summe aller Einzeldosen eines Kollektivs und wird in Personen · Sievert (früher Personen · rem)
angegeben. Sie ist mit Einschränkungen (es ergibt strahlenbiologisch keinen Sinn, winzigste Einzeldosen zu summieren) als Maß für das radiologische Gesamtrisiko eines Kollektivs verwendbar.
Eine besonders definierte Dosis ist die genetisch signifikante
Dosis. Sie stellt den Mittelwert der nach Alter, Geschlecht
und Kindererwartung gewichteten Keimdrüsendosen eines
Kollektivs dar und ist damit ein Maß für das genetische Risiko dieses Kollektivs. Seit der Einführung des Konzeptes der
effektiven Dosis – die auch die vererbbaren Schäden berücksichtigt (Tabelle 1.2) – wird die genetisch signifikante
Dosis im Strahlenschutz nicht mehr benutzt.
16
Bis zum Erscheinen der ICRP-Veröffentlichung Nr. 26 im
Jahr 1977 /ICR-77/ und der Einführung des Konzepts der effektiven Dosis wurde im Strahlenschutz das Konzept des kritischen Organs zur Festlegung von Grenzwerten angewendet.
Wenn mehr als ein Organ oder Gewebe strahlenexponiert
war, galten diejenigen Organe oder Gewebe als kritische
Organe, denen aufgrund ihrer Strahlenempfindlichkeit und
der erhaltenen Dosis für den sich möglicherweise ergebenden gesundheitlichen Schaden die größte Bedeutung zukommt. Bei einer Ganzkörperexposition wurde der Ganzkörper als kritisches Organ betrachtet und die Ganzkörperdosis
angegeben.
In der Radioökologie (vgl. Kapitel 4.1) wird der Begriff des
kritischen Organs auch weiterhin verwendet. Er dient zur
Charakterisierung desjenigen Organs, dem die größte Bedeutung für einen möglichen Gesundheitsschaden zukommt, der sich durch Aufnahme eines Radionuklids in den
Körper aufgrund der Anreicherung des Nuklids in diesem
Organ, der daraus resultierenden Organdosis sowie der
Strahlenempfindlichkeit dieses Organs ergibt.
Die Höhe des Schadens im Körper durch ionisierende Strahlung ist bei einer gegebenen Energiedosis nicht nur von der
Strahlenart und der Strahlenenergie abhängig, eine wichtige
Rolle spielen auch die räumliche und zeitliche Dosisverteilung. Die räumliche Dosisverteilung wird durch das Konzept
der effektiven Dosis berücksichtig.
Der Zeitraum, über den eine Dosis verteilt ist, beeinflusst deren Wirksamkeit ebenfalls stark. Die gleiche Dosis hat eine
stärkere Wirkung, wenn sie in kurzer Zeit aufgenommen
wird als bei Verteilung über einen längeren Zeitraum (Zeitfaktor Abb. 1.6). Die Erscheinung ist dadurch erklärbar, dass
bei zeitlicher Streckung der Dosis auch die Schäden erst
nacheinander entstehen, der je Zeiteinheit auftretende
Schaden daher kleiner ist und deshalb auch wirkungsvoller
repariert werden kann. Der Zeitfaktor ist damit sichtbarer
Ausdruck der Reparaturfähigkeit lebender Zellen (siehe
auch Kapitel 2.2).
17
Abb. 1.6 Der Zeitfaktor
Gleiche Dosis ist bei Verteilung über einen längeren Zeitraum
weniger wirksam.
Die je Zeiteinheit aufgenommene Dosis (den Quotienten aus
einem Dosisbetrag und dem Zeitraum, über den er gleichmäßig einwirkt) bezeichnet man als Dosisleistung. Sie wird
in der Regel in Gray, Milligray, Sievert oder Millisievert pro
Minute oder Stunde angegeben.
Bei sehr langen Zeiträumen (Wochen, Monaten, Jahren)
spricht man nicht mehr von Dosisleistung, sondern von Wochen-, Monats- beziehungsweise Jahresdosis.
18
Ionendosis
Energiedosis
Äquivalentdosis
Effektive
Dosis
Dosisleistung
Genetisch
signifikante
Dosis
Kollektivdosis
Durch ionisierende Strahlung pro Masseeinheit erzeugte Ladung
Einheit: Coulomb pro Kilogramm (C/kg)
Pro Masseeinheit absorbierte Strahlungsenergie
Einheit: Gray (Gy)
Gy = J/kg
Auf gleiche biologische Wirkung normierte
Dosis. Die Energiedosis wird multipliziert mit
einem Bewertungsfaktor q, der die relative
biologische Wirksamkeit der verschiedenen
Strahlenarten berücksichtigt.
Einheit: Sievert (Sv)
Summe aller entsprechend den Organempfindlichkeiten gewichteten Teilkörperdosen
Sie repräsentiert das genetische und somatische Gesamtrisiko für Strahlenspätschäden.
Einheit: Sv
Verteilung einer Dosis über einen gegebenen Zeitraum, Dosis pro Zeiteinheit
Gebräuchliche Einheiten:
Gy/h, Sv/h
Mittelwert der entsprechend Alter, Geschlecht und Kindererwartung gewichteten
individuellen Keimdrüsendosen eines Kollektivs
Einheit: Sv
Summe aller Individualdosen eines Kollektivs
Einheit: PERSONEN · Sv
Tab. 1.3 Wichtige Dosisbegriffe
19
1.4
Messgrößen im Strahlenschutz
Organdosis und effektive Dosis können ausschließlich rechnerisch bestimmt werden. Zum Einen können in lebenden
Personen keine Messgeräte platziert werden, zum Anderen
wird zur Berechnung die über ein Organ gemittelte Energiedosis verwendet. Für die Abschätzung des Risikos einer äußeren Strahlenexposition werden im praktischen Strahlenschutz die Äquivalentdosis H, bzw. die Äquivalentdosisleistung verwendet. Diese Dosisgrößen sind einer direkten
Messung zugänglich.
Die Stärke der biologischen Wirkung ionisierender Strahlung
ist nicht nur von der Energiedosis, sondern auch vom linearen Energieübertragungsvermögen (LET) L’ (übertragene
Energie pro Wegeinheit) und damit der lonisationsdichte
(Zahl der lonisationsereignisse pro Wegeinheit in der Materie) sowie der Dosisverteilung im Körper abhängig. Unterschiedliche Strahlenarten und Strahlenenergien haben daher eine quantitativ unterschiedliche biologische Wirksamkeit.
Auch die Äquivalentdosis berücksichtigt wie die Organdosis
die biologische Wirksamkeit der Strahlungsarten. Sie berechnet sich aus der Energiedosis durch Multiplikation mit
dem Qualitätsfaktor Q. Dieser Qualitätsfaktor hat für jede
Strahlenart und Strahlenenergie einen charakteristischen
Wert. Strahlung mit hohem L’ bezeichnet man auch als
dicht ionisierend. Sie gibt in Materie ihre Energie auf einem
sehr kurzen Weg an diese ab (Alphateilchen, Protonen,
Neutronen) und hat einen hohen Qualitätsfaktor. Gibt die
Strahlung ihre Energie auf einem sehr langen Weg an die
„durchstrahlte" Materie ab, nennt man sie locker ionisierend
(Betateilchen, Positronen, Gamma- und Röntgenstrahlung).
Sie besitzt einen niedrigen Qualitätsfaktor. Der Qualitätsfaktor wird für verschiedene Strahlungsqualitäten so festgelegt,
dass gleiche Äquivalentdosen verschiedener Strahlungsqualitäten unter Strahlenschutzgesichtspunkten gleich bewertet
werden können. Für Beta- und Gammastrahlung hat der
Qualitätsfaktor den Wert 1 und ist damit zahlenmäßig gleich
dem Strahlungs-Wichtungsfaktor wR. Er besitzt wie dieser
die Dimension 1. Die Einheit der Äquivalentdosis ist ebenfalls das Sievert.
20
Früher wurde für die Äquivalentdosis die Einheit rem (abgekürzt aus roentgen equivalent man) verwendet. Für die Umrechnung gilt: 1 Sv = 100 rem. Die Einheit rem war in der Öffentlichkeit durch die Kernenergiediskussion so geläufig geworden, dass sie – ebenso wie die Einheit Röntgen – im Zusammenhang mit dem Reaktorunfall von Tschernobyl auch
noch verwendet wurde, obwohl sie offiziell ab 1.1.1986 nicht
mehr zulässig war.
Die Äquivalentdosis kann zum Einen einer Person zugeordnet sein, zum Anderen einem Ort. Die Personendosis HP
wird z. B. durch das amtliche Dosimeter, in der Regel die
Filmplakette, bestimmt. Sie misst die Monatsdosis des Trägers unabhängig von dessen Aufenthaltsort. Die Ortsdosis
H* dagegen ist eine ortsfeste Größe.
Um eine möglichst gute Übereinstimmung der Äquivalentdosis mit der Körperdosis zu erzielen wird die Äquivalentdosis
in 10 mm Gewebetiefe bestimmt (Tiefen-Personendosis
HP(10) und Umgebungs-Äquivalentdosis H*(10)). Messtechnisch bedient man sich hierzu eines Körperphantoms, das in
seiner Dichte und stofflicher Zusammensetzung menschlichem Weichteilgewebe entspricht. Dadurch werden auch
diejenigen Dosisanteile erfasst, die von im Gewebe gestreuter Strahlung hervorgerufen werden.
Die Umgebungs-Äquivalentdosis H*(10) ist definiert als das
Produkt der Energiedosis in 10 mm Tiefe einer weichteiläquivalenten ICRU-Kugel und dem Qualitätsfaktor Q. Die
ICRU-Kugel (International Comission on Radiation Units) hat
einen Durchmesser von 30 cm und die Dichte 1 g/cm3. Sie
besteht aus 76,2 % Sauerstoff, 11,1 % Kohlenstoff, 10,1 %
Wasserstoff und 2,6 % Stickstoff (Gewichtsanteile) /ICR-80/.
Die ICRP weist ausdrücklich darauf hin, dass die empfohlenen
Werte Q nur für die Anwendung im Strahlenschutz vorgesehen
sind, dass sie auf der Grundlage relevanter Werte für die relative
biologische Wirksamkeit ausgewählt wurden und auch noch die
Tatsache berücksichtigen, dass von der Wirkung hoher Energiedosen extrapoliert wurde (siehe hierzu Kapitel 2.4). Die Kommission stellt fest, dass die Werte von Q nicht unbedingt repräsentativ
für die relative biologische Wirksamkeit bei hoher Energiedosis sein
müssen. Äquivalentdosis und effektive Dosis sollten daher beispielsweise nicht für die Ermittlung zu erwartender Frühschäden
bei Strahlenunfällen verwendet werden (siehe auch Kapitel 2.3 und
21
2.4). Aus derartigen Gründen wird auch bei der medizinischen Anwendung von Beta-, Gamma- oder Röntgenstrahlung die Dosis
häufig als Energiedosis (in Gray) und nicht als Äquivalentdosis angegeben.
Da Alpha- bzw. Betastrahlung in lebendem Gewebe je nach
Energie eine Reichweite von nur einigen Hundertstel Millimetern bzw. einigen wenigen Millimetern hat, wird ihr Anteil
an der effektiven Dosis durch die Messgrößen HP(10) und
H*(10) nicht erfasst. Daher wird eine weitere Dosisgröße, die
Oberflächen-Personendosis HP(0,07), verwendet, die als die
Äquivalentdosis in 0,07 mm Tiefe im Körper an der Tragestelle des Personendosimeters definiert ist.
Die Oberflächendosis ist wegen der geringen Eindringtiefe
von Alpha- und Betastrahlung stark von der Einfallsrichtung
der Strahlung abhängig. In der Ortsdosimetrie wird daher die
Strahlungsrichtung berücksichtig und das Analogon zur
Oberflächen-Personendosis als Richtungs-Äquivalentdosis
H’(0,07, ȍ) angegeben (Äquivalentdosis in 0,07 mm Tiefe
der ICRU-Kugel). Hierbei ist ȍ der Einfallswinkel der Strahlung.
Moderne Messgeräte zur Dosisleistungsbestimmung sind in
der Lage, die Äquivalentdosisgrößen H*(10) und H’(0,07)
anzuzeigen. Ab dem 1.8.2011 sind bei Messungen der Personendosis ausschließlich die Größen HP(10) und HP(0,07)
und in der Ortsdosimetrie die Messgrößen H*(10) und
H’(0,07, ȍ) zu verwenden. Bis dahin darf daneben noch die
alte Äquivalentdosisgröße H benutzt werden, die nicht zwischen Tiefendosis und Oberflächendosis unterscheidet und
auch keine Dosisanteile von im Gewebe gestreuter Strahlung berücksichtigt.
Die messbare Äquivalentdosis ist ausschließlich dafür geeignet das Risiko einer äußeren Strahlenexposition abzuschätzen. Bei einer Inkorporation radioaktiver Stoffe, die zu
einer inneren Strahlenexposition führen, ist ein anderer Weg
einzuschlagen.
Abhängig von der Art der Aufnahme des radioaktiven Stoffes, Ingestion, Inhalation oder Kontamination von Wunden,
sind Dosiskoeffizienten in der „Bekanntmachung der Dosiskoeffizienten zur Berechnung der Strahlenexposition“ vom
23.07.2001 im Bundesanzeiger Nr. 160 a und b /BUA-01/
22
veröffentlicht worden. Mit deren Hilfe kann die effektive Dosis ausgehend von der inkorporierten Aktivitätsmenge berechnet werden.
Den Dosiskoeffizienten liegen biokinetische Modelle zugrunde. Diese beschreiben die Aktivitätsverteilung im
menschlichen Körper von der Inkorporation der Radionuklide über deren Verteilung im Körper und deren Anreicherung
in spezifischen Organen bis zu ihrer Ausscheidung. Sowohl
alters-, als auch geschlechtsbedingte Unterschiede sind berücksichtigt. Mit den so gewonnenen zeitlichen Aktivitätskonzentrationen im Körper können die Organdosen abgeschätzt werden. Die verwendeten Modelle sind in etlichen
Veröffentlichungen der ICRP detailliert beschrieben /ICR-03,
ICR-75/.
Die Messgrößen für die innere Strahlenexposition sind damit
die zugeführten Aktivitäten. Diese können pauschal bestimmt werden, wie etwa durch Messung der Aktivitätskonzentration in der Raumluft am Arbeitsplatz für eine chronische Aktivitätszufuhr, oder individuell über die Ganzkörperaktivität, die Aktivitätskonzentration in den Ausscheidungen
oder im Blut. Bei den letzten beiden Möglichkeiten erhält
man die inkorporierte Aktivität ebenfalls aus dem kinetischen
Modell.
Reichert sich der inkorporierte radioaktive Stoff beinahe vollständig in einigen wenigen Organen im Körper an, so kann
die gespeicherte Aktivitätsmenge auch direkt bestimmt
werden; z. B. wird Iod über längere Zeit nur in der Schilddrüse gespeichert. Bei Inkorporation von I-131 lässt sich die
Schilddrüsenaktivität mit einem NaI - Detektor relativ einfach
bestimmen, da die Hauptkomponente der Gammastrahlung
mit 364 keV den Körper beinahe ungeschwächt verlässt.
(Die Schilddrüse liegt etwa 1 cm unter der Haut).
23
1.5
Literatur
Bundesanzeiger (2001). Bekanntmachung der Dosiskoeffizienten zur Berechnung der Strahlenexposition vom
23.07.2001 – Dosiskoeffizienten bei äußerer und innerer
Strahlenexposition. BAnz (/BUA-01/) 160(a und b).
International Commission on Radiological Protection (ICRP)
(1975). Reference Man: Anatomical, Physiological and
Metabolic Characteristics. ICRP Publication 23 (/ICR-75/).
Oxford, Pergamon Press.
International Commission on Radiological Protection (ICRP)
(1977). Recommendations of the International Commission
on Radiological Protection. ICRP Publication 26. Annals of
the ICRP (/ICR-77/) 1(3). Oxford, Pergamon Press.
International Commission on Radiation Units and Measurements (ICRU) (1980). Radiation quantities and units. ICRU
Report 33 (/ICR-80/). Bethesda, MD, USA.
International Commission on Radiological Protection (ICRP)
(1991). 1990 Recommendations of the International Commission on Radiological Protection. ICRP Publication 60.
Annals of the ICRP (/ICR-91/) 21(1-3). Oxford, Pergamon
Press.
International Commission on Radiological Protection (ICRP)
(2003). Basic Anatomical and Physiological Data for Use in
Radiological Protection: Reference Values. ICRP Publication
89. Annals of the ICRP (/ICR-03/) 32(3-4). Oxford, Pergamon Press.
Strahlenschutzverordnung (2001). (/STR-01/).
http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/strlschv_2001/
gesamt.pdf.
24
2.
Biologische Grundlagen
Die in diesem Kapitel besprochenen Sachverhalte entsprechen dem sich in den letzten Jahren abzeichnenden Paradigmenwechsel in der Strahlenbiologie, vor allem bei kleinen
Dosen. Bisher wurden Strahlenwirkungen wesentlich als Ergebnis von Reaktionen der direkt von Strahleneinfangereignissen getroffenen Zellen betrachtet und weniger als Reaktionen eines komplexen mulizellulären biologischen Systems, was heute in den Vordergrund tritt. Alle wesentlichen
neuen Forschungsergebnisse werden in diesem Kapitel angesprochen. Der Versuch der allgemein verständlichen Darstellung der komplexen Materie wird ergänzt durch eine ausführliche Bibliographie zur vertieften wissenschaftlichen Dokumentation.
2.1. Wirkungsweise ionisierender Strahlung
auf einzelne Zellen
Zellen als kleinste Funktionseinheiten lebender Körper
Der menschliche Körper mit seinen Organen, höchst differenzierten Strukturen und Funktionen in vielfältigen Variationen, welche die Besonderheit jedes einzelnen Individuums
ausmachen, wird von in Netzwerken kommunizierenden Zellen gesteuert. Ein 70 kg schwerer Mensch hat mehrere
zehntausend Milliarden (1013) Zellen mit vielen verschiedenen Aufgaben in den verschiedenen Organen und Geweben. Zellen sind die kleinsten Funktionseinheiten des Körpers. Ihre Masse liegt im Mittel bei etwa 1 Nanogramm (ng),
d.h. etwa einem Milliardstel Gramm. Jede solche Zelle umfasst etwa 100 Milliarden Moleküle, die wiederum jeweils
aus wenigen bis zu vielen Tausend Atomen bestehen, und
zwar zu über 99 % aus Kohlenstoff (C), Wasserstoff (H),
Sauerstoff (O), Stickstoff (N), Schwefel (S) und Phosphor
(P). Die etwa eine Milliarde Zellen pro Gramm Organe und
Gewebe des menschlichen Körpers schwanken in ihrer
Form und Größe, haben vielfach ein angenähert sphärisches Volumen mit einem mittleren Durchmesser von
12,4 Mikrometer (µm).
25
Abb. 2.1 zeigt schematisch übersichtlich den hierarchischen
Aufbau von Organismen, die Stellung von Zellen in ihnen
und den primären Ort der Wechselwirkung ionisierender
Strahlen auf der atomaren Ebene.
Hierarchie der Strukturen Biologischer Systeme
Die Ebenen der Organisation
Ionisierende Strahlen interagieren mit Atomen
Ionisierende
Strahlen
Organismus
Gewebe-Organe
Zellen
Moleküle
Atome
Signale benutzen Moleküle,
die in Zellen produziert werden
~ 109 Zellen / g Gewebe-Organe
~ 1011 Moleküle / Zelle
~ 2 – 104 Atome / Molekül
Leben braucht ~ 30 Elemente
> 99% sind C; H; O; N, S; P
Feinendegen LE, Neumann RD, 2005
Abb. 2.1
Als kleinste Funktionseinheiten des Körpers haben Zellen
organ- und gewebespezifische Aufgaben. Sie sind jedoch
prinzipiell alle sehr ähnlich strukturiert, haben fast stets nur
einen Zellkern, dem Hauptsitz des genetischen Materials,
der Desoxyribonukleinsäure, DNS. Sowohl im Zellkern wie
im Zytoplasma der Zelle, d.h. außerhalb des Kernes, befindet sich eine Vielzahl von mikroskopischen Strukturen wohl
gegeneinander meist durch Membrane abgegrenzt. Die
Bausteine dieser Strukturen, in ihnen und um sie herum sind
Moleküle, kleine wie sehr große, vielfach Eiweißkörpern,
Fetten und Kohlehydraten zugeordnet, Substanzen mit
meist ganz speziellen Eigenschaften und Wirkungen. Etwa
80 % der Zellmasse ist Wasser. So ist jede Zelle in sich eine
Art höchst komplex organisiertes und funktionierendes
“Feuchtbiotop“. Zelluläre Membranen bestehen aus Doppelschichten von vernetzten Fettsäuren, den Lipiden. Zellen
umschließende Membranen bilden Barrieren zum Schutz
nach außen und innen, mit Mechanismen zum Transport
von Stoffen, z. B. Nährstoffen und einzelnen Elementen wie
26
Natrium, Kalium, Calcium, und sie tragen Antennen, so genannte Rezeptoren, für von außen kommende Signalmoleküle. Im Zellinneren umschließen Membrane besondere Regionen für spezielle Funktionen. Hierfür sind sehr individuelle „Werkzeug-Moleküle“, so genannte Enzyme, erforderlich.
Diese sind Eiweißmoleküle in vielen Variationen, die den
Stoffaufbau, -umbau und -abbau reguliert durchführen. Die
dazu erforderlichen Signale besorgen wiederum Kaskaden
von großen und kleinen Molekülen oft mit Hilfe von Membranen. Zellen reagieren als Ganzes. Abb. 2.2 zeigt schematisch eine Zelle mit ihren funktionsspezifischen Strukturen in
mikroskopisch kleinen Räumen angeordnet.
Säugetierzelle
Rezeptoren
für Bindung von
Signalmolekülen
Strukturen mit
biologischen
KonstruktionsWerkzeugen
(Enzyme)
für Energielieferung,
Synthese,
Um- und Abbau
EnergieGenerator
(Mitochondrium)
Transportund
Jonenkanäle
Sitz des
genetischen
Materials
(DNS)
Membranen
Zellkern (N) (Cx 8 µm ‡ )
Abb. 2.2
Die Zellen des Körpers arbeiten als Bauelemente der Körpergewebe und Organe in einem außerordentlich komplexen Netz molekularer Signale, welche von Zellen synthetisiert werden und einerseits innerhalb der Zellen aktiv sind,
zum anderen zwischen Zellen in einem gegebenen Organ
wirken, sowie zwischen Zellen in verschiedenen Organen
den ganzen Körper beeinflussen können. So werden die
Funktionen des Gesamtkörpers aufeinander harmonisch
abgestimmt. Ionisierende Strahlen können in ihrer Wechselwirkung mit Atomen und Molekülen durch Veränderung
der Zellfunktionen somit den ganzen Körper beeinflussen
(siehe Abb. 2.1).
27
Mechanismen der Zellschädigung
Ionisierende Strahlen, ob sie nun von externen Quellen oder
von im Körper inkorporierten radioaktiven Elementen kommen, interagieren im exponierten Organismus mit Atomen,
regen sie an und verursachen Ionisationen, wodurch atomare Hüllenelektronen freigesetzt werden, wie im Kapitel 1
dargelegt ist. Die negativ geladenen freien Elektronen haben
je nach Strahlenqualität und Energie auf gewundenen Bahnen im biologischen Material unterschiedliche Reichweiten
in mikroskopischen Dimensionen. Für jede Strahlenart gibt
es einen Mittelwert der Energie und damit auch eine mittlere
Reichweite der erzeugten Elektronen. Im Falle von Röntgenund Gamma-Strahlen entsteht pro atomarem Strahleneinfangereignis primär ein aus der atomaren Hülle freigesetztes
Elektron. Dieses hat bei 100 KeV Röntgenstrahlen eine mittlere Energie von etwa 6 KeV und reicht im Gewebe im Mittel
etwa 1 µm weit. Entlang ihren gewundenen Flugbahnen kollidieren diese primären Elektronen unregelmäßig wiederum
mit Atomen und kreieren damit ihrerseits erneut zahlreiche
atomare Anregungen und Ionisationen, deren Zahl für ein
etwa 6 KeV Elektron bei etwa 200 liegt. Abb. 2.1.3 zeigt das
Beispiel eines mit etwa 0.5 mGy Röntgen-bestrahlten Gewebes mit Elektronenbahnen (e-), und dazu ein zusätzlichen
D-Teilchen (D) aus dem Zerfall zum Beispiel eines radioaktiven Polonium oder Radium Atoms. Ob Elektronen oder DTeilchen, die entlang ihrer Flugbahn im Gewebe erzeugten
Ionisationen stellen Energieabsorptionsereignisse dar, die
als mikroskopisch mehr oder weniger kompakte „Energiepakete“ imponieren.
28
Partikelbahnen in exponiertem Gewebe
Į
PartikelBahnen
e- ; Į+
Gewebe
eZellen
Matrix
Normale HintergrundStrahlung bringt etwa 1-2 Treffer / Zelle / Jahr
Feinendegen LE, 2005
Abb. 2.3
Je größer die Flussdichte von Strahlen, je dichter kommen
primäre Strahleneinfangereignisse zustande und damit die
Dichte der daraus resultierenden Energiepakete im Gewebe.
Mit anderen Worten, je höher die Dosis ionisierender Strahlen je zahlreicher sind die Energiepakete pro Volumen des
exponierten Gewebes. Im Falle der 100 KeV Röntgenstrahlen mit den durch sie erzeugten Energiepaketen von etwa
200 Ionisationen bringt die Absorption der gesamten Energie eines solchen Paketes in einer Mikromasse von 1 ng,
d.h. in etwa einer Zelle, die Dosis von 1 mGy. Dies bedeutet
auch, dass bei einer Ganzkörperdosis von 1 mGy dieser
Röntgenstrahlen etwa jede Zelle im Körper im Mittel einmal
von einem solchen Energiepaket getroffen wird. Wäre die
Dosis Röntgenstrahlen über ein Jahr verteilt, wie dies bei
chronischer Ganzkörperexposition vorkommen kann, würde
jede Zelle des Körpers einmal im Jahr getroffen. Tatsächlich
ist die natürliche Hintergrundstrahlung etwa in Höhe des
Meeresspiegels in der hier für Röntgenstrahlen geschilderten Größenordnung, so dass man in Annäherung sagen
kann, dass diese Hintergrundstrahlung für jede Zelle im
Körper mindestens einmal im Jahr ein Energiepaket von etwa 6 KeV bringt. Bei einem 70 kg schweren Menschen entspricht dies pro Sekunde etwa 2-3 Millionen solcher ZellTreffer im ganzen Körper verteilt.
29
Die im exponierten Organismus entstehenden Teilchenbahnen mit ihren Energiepaketen können zufällig jede Art von
Gewebe- und Zellstruktur erfassen, wie aus Abb. 2.3 und
auch Abb. 2.1 schematisch erkennbar ist. Die in den Energiepaketen, d.h. entlang der Flugbahn geladener Teilchen, von diesen angeregten, bzw. ionisierten Atome bringen sekundär direkt
molekulare Strukturveränderungen je nach Art des Atoms, seinem Platz in einem Molekül, und dem Ausmaß der Störung. Je
nach Bedeutung des getroffenen Moleküls werden wiederum
sekundäre Molekülreaktionen ausgelöst und dabei auch Substanzen produziert, die für Zellen toxisch sein können. Da Gewebe und Zellen zu etwa 80 % aus Wasser bestehen, finden
entsprechende Anteile der Ionisationen an Wassermolekülen
statt. Die getroffenen Wassermoleküle wandeln sich sehr rasch
zum größten Teil in so genannte reaktive Sauerstoff-Verbindungen, die auch Sauerstoff-Radikale oder reaktiven Sauerstoff
tragende Spezies von Molekülen (in englisch: reactive oxygen
species, ROS), genannt werden. Hier ist in Anwesenheit von
Sauerstoff in der Zelle die Radikalausbeute höher als in mit
Sauerstoff schlecht versorgten Zellen. Die durch Strahlen induzierten ROS sind überwiegend identisch oder sehr ähnlich solchen ROS, die normalerweise in Sauerstoff nutzenden Zellen
endogen durch eine Reihe biochemischer Reaktionen in verschiedenen Zellräumen und in großer Zahl insbesondere in den
Mitochondrien ständig gebildet werden, von wo ein relativ kleiner Teil auch in die Gesamtzelle gelangt. Während endogene
ROS durchweg in bestimmten zellulären Räumen entstehen,
sind die durch Strahlen induzierten ROS entlang der Teilchenbahnen mit diesen rein zufällig verteilt ohne Rücksicht auf spezielle zelluläre Räume. Generell haben ROS ungeachtet ihrer
Entstehung eine sehr kurze Lebensdauer, können aber über
unmittelbar sekundäre molekulare Reaktionsprodukte nicht nur
über Stunden sondern auch über größere Entfernungen in den
Zellen wirksam sein. So sind ROS einerseits generell, ob sie
durch Strahlen induziert sind oder endogen entstehen, potentiell
toxisch durch ihre Bildung sekundärer molekularer Strukturveränderungen mit womöglich Kaskaden von sekundären biochemischen Reaktionen, wo immer sich dazu die Gelegenheit bietet. So sind erwartungsgemäß mit Sauerstoff wohl versorgte
Zellen generell strahlensensibler als solche, deren Sauerstoffkonzentration gering ist, wie bei vielen Tumorzellen. Andererseits haben vor allem in normalen Zellen plötzliche geringe Änderungen von lokalen ROS-Konzentrationen auch Signalwir30
kung und können biochemische Stressreaktionen mit biopositiven Wirkungen hervorrufen.
So interagieren ionisierende Strahlen mit zellulären Molekülen
und Strukturen einmal direkt über atomare Ionisationen und indirekt über die Wirkung der von ihnen erzeugten ROS. Je höher
der LET Wert, je geringer wird die Bedeutung der indirekten Effekte von Seiten der ROS. Insgesamt haben geladene Teilchen
mit einem hohen LET Wert, wie D-Teilchen aus einem zerfallenden Atom, eine größere biologische Wirksamkeit als solche
mit niedrigen LET Werten, wie Elektronen im Röntgen- oder
Gammastrahlenfeld, und zwar je nach der Empfindlichkeit der
Zellteile, die getroffen werden. Die als „Relative Biologische
Wirksamkeit“ (RBW) bekannte Größe ist der Quotient von zwei
Dosen unterschiedlicher Strahlenarten, die den gleichen Effekt
herbei führen, wobei die als Vergleichstandard dienende Dosis
(Dstd), meist von Röntgen- oder Gammastrahlen, im Zähler des
Quotienten steht und die Dosis der zu prüfenden Strahlen im
Nenner. So ist für einen definierten biologischen Effekt die RBW
= Dstd. / Dx. RBW Werte schwanken und zwar je nach Höhe der
Dosis, mit dem gemessenen Effekt, und mit der Art der Zellen
und Gewebe, wobei zum Beispiel der RBW Wert für D-Teilchen
gegen Röntgenstrahlen durchaus über 10 und nicht selten eher
bei 20 liegen kann.
Strahlenempfindliche Teile der Zelle
Die zum einen direkten und zum anderen über ROS indirekten Wirkungen ionisierender Strahlen auf zelluläre Moleküle
und Strukturen haben auf lebenswichtige Funktionen je nach
ihrer Bedeutung für die betroffenen Zellen unterschiedliche
Konsequenzen. Alle solche Substrate und biochemischen
Verbindungen, die in vielen Kopien in der Zelle vorliegen
und agieren, sind für Zellfunktionen offensichtlich weniger
störanfällig, als solche Verbindungen, die solitär sind bzw. in
nur wenigen Duplikaten aktiv sind. Zu den letzteren gehört
vor allem das genetische Material, die DNS, welche zu über
90 % im Zellkern lokalisiert ist. Darüber hinaus erscheint es
nicht überraschend, dass auch die zellulären Membranen
als zelluläre Schutzwälle mit Transportfunktionen und als
Träger von wichtigen Enzymen (siehe Abb. 2.1) relativ sensitiv und damit im Vergleich zu anderen zellulären Strukturkomponenten erhöht strahlenempfindlich sind. Zu den sensi31
tiven Strukturen werden auch verschiedene, für die Zellstruktur und interne Signalgebung spezielle Einweißstrukturen gerechnet, wie die kleinen Fibern, Fibrillen. Da alle Komponenten einer Zelle in komplexen Signalnetzen miteinander
verbunden sind, bedeutet ein auch kleiner lokaler Strahlenschaden in der Zelle immer auch eine gesamtzellulär wirksame Funktionsbeeinträchtigung, auch wenn sie nur sehr
kurz sein sollte.
Die durch ionisierende Strahlen bedingten primären DNSSchäden sind in Abb. 2.4 für den Fall einer Röntgenbestrahlung
schematisch zusammengefasst. Die beiden Stränge der DNS
werden durch komplementäre Basenpaare zusammengehalten,
wobei jeweils ein Thymin mit einem Adenin und ein Cytosin mit
einem Guanin gekoppelt ist. Schäden treten an diesen Basen
wie auch in den Strängen bildenden Desoxyribose- und Phosphatmolekülen auf. Die primären Schäden sind prinzipiell häufig
aber nicht immer qualitativ ähnlich denjenigen DNS-Schäden,
die von den ROS des normalen Zellstoffwechsels, d.h. von endogenen ROS, kommen. Besonders bedrohlich erscheinen die
durch Strahlen induzierten DNS-Doppelstrangbrüche (DSB).
Wie Abb. 2.4 zeigt, ist das Verhältnis der Zahl von Gesamtschäden der DNS zur Zahl von DSB in Folge von Röntgenbestrahlung etwa 50: 1.
Strahleneffekte in der DNS
RöntgenStrahlen
Indirekte Effekte
von Radikalen (~ 80 %)
O
H
H
OH•
e+
Basenverlust
Basenänderung
(~10 / 0.01 Gy)
Direkte Effekte
(~ 20 %)
Einzelstrangbrüche
ESB (~ 10 / 0.01 Gy)
Doppelstrangbrüche
DSB (~ 0.4 / 0.01 Gy)
5HSDUDWXUYRQ'166FK¦GHQ
EHJLQQWVRIRUWXQGNDQQYRQ
0LQXWHQELV]X6WXQGHQXQG
7DJHQGDXHUQ
Abb. 2.4
32
Quervernetzungen
(~ 1-2 / 0.01 Gy)
Bei endogener Verursachung hauptsächlich durch ROS liegt
dieser Quotient nach Berechnungen und Messungen bei etwa
107: 1. Dies bedeutet, dass ionisierende Strahlen pro DNSSchaden etwa hundert tausend Mal effizienter DSB erzeugen
als dies Radikale von Seiten des Zellstoffwechsels tun. Jedoch
entstehen bei der enormen Zahl von endogen entstehenden
DNS-Schäden, die auf eine Million pro Zelle pro Tag geschätzt
werden, auch DSB-Schäden mit zum Teil ähnlichen biochemischen Strukturen wie nach Bestrahlung. Dennoch erscheinen
die biochemischen Strukturen der durch Strahlen induzierten
DSB je nach Strahlenart zu einem hohen Anteil deutlich komplexer zu sein als die von endogenen ROS verursachten DSB.
Man schätzt, dass pro Zelle pro Tag im Mittel tausend Mal mehr
DSB von endogenen ROS als von normaler Hintergrundstrahlung stammen.
Die Komplexität von Zellstrukturen und Funktionen lässt verständlich erscheinen, dass Zellen in ihren Phasen zwischen
zwei Zellteilungen unterschiedlich strahlenempfindlich sind. Insbesondere ist die Phase zwischen der Reproduktion des DNS,
die so genannte DNS-Synthese Phase, und die anschließende
Phase bis zur darauf folgenden Zellteilung, Mitose, und die Mitose selbst besonders strahlensensitiv. Auch während der DNSSynthese Phase durchlaufen Zellen unterschiedliche Perioden
der Strahlenempfindlichkeit, die zum Teil mit der Zellkapazität
zur DNS-Reparatur und deren Ablauf korreliert ist. Generell relativ strahlenresistent ist die Zykluszeit zwischen der Mitose und
der darauf folgenden Phase der DNS-Synthese. Diese Umstände sind vor allem auch für die klinische Tumortherapie wichtig.
Reparatur von Strahlenschäden in der Zelle
Um die schon oben erwähnte, enorme Zahl der unterschiedlichen, endogen entstehenden DNS-Schäden unter Kontrolle zu
halten, verfügen Zellen über feinst abgestimmte Reparaturmechanismen. Diese haben sich im Laufe der Evolution wesentlich
in Anpassung an die endogenen Schäden entwickelt und sprechen nahezu immer auch auf durch ionisierende Strahlen verursachte Schäden an. Die DNS-Reparatur wird genetisch gesteuert und involviert weit über hundert bisher bekannte Gene. Für
jede der bekannten DNS-Schäden stehen in der Zelle Enzyme
bereit, welche sehr spezialisierte Aufgaben haben, wie zum
33
Beispiel für die Entfernung geschädigter DNS-Bausteine, d. h.
von geschädigten Basen, für Neusynthese von DNS-Stücken
an bestehenden komplementären DNS-Einzelketten, für das
Aneinanderfügen von DNS-Bruchenden, je nach der Komplexität des DNS-Schadens. Während die Reparatur von Basenschäden und Einzelstrangbrüchen schnell abläuft mit Halbwertszeiten von 5 Minuten bis zu 1 Stunde und einem Mittelwert
von etwa 25 Minuten nach der Schädigung, dauert die Reparatur von Doppelstrangbrüchen länger mit Halbwertszeiten von
etwa 30 Minuten bis zu mehreren Stunden. Je komplexer die
DSB sind, um so länger dauert die Reparatur, wenn sie überhaupt von der Zelle durchgeführt werden kann. Bei vorliegenden
genetischen Defekten an Reparaturenzymen kann die Zelle
DNS nur teilweise reparieren. Abb. 2.5 zeigt DNS-Reparaturen
in bestrahlten Lymphozyten unterschiedlicher Personen, wobei
„AT-Patient“ eine Person mit der Erkrankung Ataxia Telangiectasia identifiziert, bei der DNS-Reparaturenzyme teilweise fehlen.
Die Wahrscheinlichkeit von Fehlern bei der DNS-Synthese, d. h.
Verdopplung, vor jeder Zellteilung ist bei Normalpersonen außerordentlich gering; aber nicht vernachlässigbar. Dieser Fehler
beträgt etwa10-10 pro Basenpaar in der DNS. Bei der DNSReparatur ist die Fehlerwahrscheinlichkeit höher und falsch reparierte DNS-Schäden geben Anlass zu genetischen Mutationen. Man rechnet bei Normalpersonen mit etwa einer Mutation
pro Zelle pro Tag allein als Resultat der von endogenen ROS
schließlich dauerhaft bleibenden DNS-Veränderungen in überlebenden Zellen. Diese Mutationen sind wesentlich verantwortlich für zelluläres Altern und damit auch für das Altern des Organismus. Die spontane Krebshäufigkeit in der Bevölkerung
wird hauptsächlich auf Fehler der DNS-Reparatur nach endogener Schädigung und das Versagen anderer Abwehrmechanismen zurück geführt, wie unten ausführlicher besprochen
wird.
34
75
50
hypersensible L
AT-Patient
sensible L
25
Re siduale DNS Schäden (%)
100
DNS Reparatur
in Lymphozyten (L) in Kultur
0
resistente L
0
30
Müller WU et al., 2001
60
90
120
150
180
Reparaturzeit (Minuten)
Abb. 2.5
Unterschiedliche Strahlenempfindlichkeiten im Körper
Je nach Zellart und -stoffwechsel kann die DNS-Reparaturkapazität unterschiedlich sein. Sie unterliegt, wie bereits erwähnt, wie
andere zelluläre Prozesse genetischer Steuerung. Generell zeigen die Lymphozyten und die unreifen Zellen, wie die Stammzellen zahlreicher Gewebe mit hohem Zellumsatz, eine höhere
Strahlenempfindlichkeit als reifende Zellen, und diese wiederum
sind strahlenempfindlicher als ausgereifte Zellen, wie sie z. B.
im zirkulierenden Blut, der Haut oder Schleimhaut des MagenDarmkanals anzutreffen sind. Abb. 2.6 gibt eine Auflistung von
Zellen und Geweben, die nach ihrer Strahlenempfindlichkeit geordnet sind.
Strahlenempfindlichkeit von Zellen und
Geweben
Lymphozyten, Stammzellen
Hoch
Spermatogonien
Blutbildendes Knochenmark
Intestinale Epithelzellen
Haut
Nervenzellen
Muskelzellen
Knochen
Bindegewebe
Niedrig
Abb. 2.6
35
Man kann die Strahlenempfindlichkeit von Zellen auf verschiedene Weise messen. Die konventionell am meisten angewandte Art ist die Bestimmung derjenigen Dosis, welche die überlebende Fraktion der bestrahlten Zellen auf 50 % oder 37 % reduziert. Diese „Letal-Dosen“ (LD50 oder LD37). werden konventionell meist über die Erstellung von Dosis-Effekt-Kurven gefunden. Diese geben den Anteil der überlebenden Zellen als Funktion der jeweils eingestrahlten Dosen von 0 bis zu mehreren Gy
an. Bei solchen Kurven wird der Anteil der überlebenden Zellen
logarithmisch auf der Ordinate (Y-Achse) ausgedrückt. So kann
man direkt die Wahrscheinlichkeit der Zelltötung pro DosisEinheit auf der Abszisse (X-Achse) ablesen. Relativ strahlenresistente Zellen haben pro Dosis-Einheit bei kleinen Dosen nur
eine geringere Wahrscheinlichkeit abzusterben, als pro DosisEinheit bei hohen Dosen. Die Kurve hat bei kleinen Dosen zunächst einen mehr oder weniger flachen Verlauf. Die Wahrscheinlichkeit des Zelltodes pro Dosis-Einheit erhöht sich mit
steigender Dosis bis zu einem Dosiswert, über den hinaus die
Wahrscheinlichkeit des Zelltodes pro Dosis-Einheit konstant
bleibt, das heißt, die Kurve beginnt nun eine gerade Linie zu
werden. Die sehr strahlenempfindlichen Zellen zeigen diese Linearität schon bei kleinen Dosen. Der im linearen Verlauf der
Kurve gemessene Wert der LD37 wird auch als D0 bezeichnet. Sie
gibt die Dosis an, welche im Mittel mit der Wahrscheinlichkeit 1
eine Zelle tötet. Diese wichtige Dosis D0 wird erst messbar,
wenn die bei kleinen Dosen aktiven Schutz- und Reparaturkapazitäten der Zellen erschöpft sind.
Bei tödlicher Bestrahlung ist zumeist eine verbleibend
schwere DNS-Schädigung die Ursache. Bei relativ geringeren verbleibenden DNS-Schäden überleben die Zellen und
tragen damit eine vom Ausmaß der Schädigung abhängende Wahrscheinlichkeit, bleibende Mutationen weiterzugeben
und je nach Art der Zelle und ihrer Veränderungen nach
Jahren unter Umständen eine Krebserkrankung zu verursachen. Mehr dazu wird weiter unten besprochen.
Genom-Instabilität; Apoptose
Über unmittelbar von der Bestrahlung herrührende Mutationen
können Zellen bei einem bestimmten Grad der DNS-Schädigung solche Nachkommen bringen, die über viele Zellgenera36
tionen hinweg häufiger als normale Zellen von äußeren und inneren Zellgiften betroffen Gen-Änderungen mit Mutationsanhäufungen zeigen. Solch befallene Zellen tragen dann das, was
man eine Genom-Instabilität nennt, welche auch zur Krebsauslösung durch die befallenen Zellen beitragen kann. Es ist wahrscheinlich, dass für die Induktion einer Genom-Instabilität eine
zelluläre Dosis von etwa 0.1 Gy, hier bei niedrigem LET, erforderlich ist.
Eine weitere zelluläre Reaktion auf bereits relativ kleine Dosen
von weniger als 0.1 Gy ist der signalinduzierte Zelltod, die so
genannte Apoptose. Die Wahrscheinlichkeit der durch Strahlen
induzierten Apoptose kann bei entsprechend vorgeschädigten
bzw. empfindlichen Zellen dosisabhängig ansteigen. Apoptose
erleiden auch physiologisch solche Zellen, die in Folge von genetisch programmierten lokalen Gewebeentwicklungen überflüssig werden. Die durch Strahlen, insbesondere bei kleinen
Dosen auch von Seiten normaler Hintergrundstrahlung, induzierte Apoptose von bereits DNS-Schäden tragenden Zellen
wird als biopositiver Effekt der Schadensbeseitigung angesehen.
So wird auf Grund ihrer zentralen Rolle den strahlenbedingten
DNS-Schäden mit ihren Konsequenzen eine besondere Aufmerksamkeit in der bio-medizinischen Grundlagenforschung zuteil. Je besser die DNS-Reparatur in einer Zelle, je höher ist ihre
Strahlenresistenz und je geringer sind die verbleibenden Schäden, mit denen der Gesamtorganismus soweit wie möglich zur
Erhaltung seiner Lebensfähigkeit fertig zu werden hat.
Akute und chronische Bestrahlung
Die bisher besprochenen Effekte ionisierender Strahlen und biologischen Reaktionen betrafen die Folgen von akuter Strahlenexposition, d.h. von Bestrahlung über eine sehr kurze Zeit im
Sekunden- bis Minutenbereich. Zusätzliche Umstände müssen
berücksichtigt werden, wenn eine Strahlenexposition über einen
längeren Zeitraum anhält, entweder in einem dauernd bestehenden Strahlenfeld, z. B. bei der natürlichen Hintergrundstrahlung, oder über bestimmte Zeiten an einem Arbeitsplatz mit kontinuierlicher Strahlenbelastung, oder bei kurzzeitig wiederholten
Expositionen in Abständen von Minuten bis Stunden, wie z. B.
37
in einer Strahlenklinik bei nicht sorgfältiger Abschirmung des involvierten Personals.
Die oben besprochenen Gegebenheiten bei durch Strahlen induzierter zellulärer Schädigung erläutern, dass Strahleneinwirkung stets über die Strahleneinfangereignisse abläuft, die mikroskopisch kleine Energiepakete entlang von geladenen Teilchen
deponieren, wie von Elektronen oder Alpha-Teilchen in Abb. 3
zu sehen ist. Wird eine bestimmte Dosis über einen längeren
Zeitraum absorbiert, treten somit die individuellen Energiepakete über die gesamte Expositionszeit verstreut auf, wodurch sich
die einzelnen Treffer dosisabhängig unterschiedlich häufig in einem bestimmten mikroskopischen Gewebeteil, wie in einzelnen
Zellen, ereignen. Der zeitliche Abstand zwischen zwei aufeinander folgenden Treffern von Energiepaketen in einem definierten Gewebeteil, wie im Bereiche einzelner Zellen, bestimmt die
Zeit, welche eine Zelle zur vollen Reparatur oder Wiederherstellung ihres Funktionsgleichgewichtes zur Verfügung hat. Ist der
zeitliche Abstand zwischen zwei aufeinander folgenden Treffern
kürzer als eine Zelle zur optimalen Reparatur und Wiederherstellung ihrer Funktion braucht, kann die Initialstörung oder
Schädigung durch den zweiten Treffer erheblich verstärkt werden. Ist andererseits der zeitliche Abstand zwischen zwei aufeinander folgenden Treffern größer als die optimale Reparaturund Wiederherstellungszeit, kann die Reparaturkapazität der
Zellen voll genutzt werden. Hiernach verbleibende Schäden akkumulieren im Laufe der Zeit in langlebigen Zellen und deren
Nachkommen.
Wie oben bereits angedeutet, bringt eine Exposition mit 100 KeV
Röntgenstrahlen bei einer Dosis von 1 mGy etwa ein Energiepaket von im Mittel 6 KeV pro ng exponierten Gewebes, d.h.
etwa pro Zelle. Wird die Dosis über ein Jahr hinweg kontinuierlich dem Ganzkörper verabreicht, wird im Mittel jede Zelle im
Körper in diesem Jahr einmal mit 1 mGy bestrahlt: So erhält hier
an jedem Tag eine von annähernd 365 Zellen eine Dosis von
zirka 1 mGy. Dieses Szenario entspricht in etwa dem der Exposition bei einer niedrigen natürlichen Hintergrundstrahlung. Im
Hinblick auf die Signalvernetzung der Zellen und Gewebe lokal
wie im ganzen Organismus sind bei der chronischen Strahlenbelastung die pro Zeit auftretenden Häufigkeiten von Strahleneinfangereignissen mit ihren Energiepaketen in Zellen, bzw.
Gruppen von Zellen im Gewebe, sowohl hinsichtlich der DNS38
Schäden, als auch deren Reparatur, und der Induktion von
adaptiven Reaktionen zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang ist speziell der Bystander Effekt wichtig, wie unten in
Abschnitt 2.2 weiter besprochen wird.
Biologische Dosimetrie
Schwere und bleibende DNS-Schäden können zu Strukturänderungen von Chromosomen führen. Diese sind bei Zellteilungen
leicht beobachtbar. Die relative Häufigkeit von Chromosomenschäden zum Beispiel in speziellen, zirkulierenden weißen Blutzellen, den Lymphozyten, können mit verschiedenen Methoden
erkannt werden. Neben den rein strukturell schon direkt im Mikroskop sichtbaren groben Veränderungen, d.h. Aberrationen,
werden auch einzelne Abschnitte von Chromosomen und deren
Verschiebungen innerhalb oder zwischen Chromosomen durch
moderne Methoden der Färbung deutlich. Abb. 2.7 zeigt einen
zellulären Satz von Chromosomen, die zum Teil durch Bestrahlung verändert worden sind.
Chromosomen-Aberrationen (CA)
nach Bestrahlung menschlicher Lymphozyten
Ringförmige CA
Dizentrische CA; Fragment-CA
Hall E, 2000
Abb. 2.7
Die Häufigkeit von DNS-Schäden wie auch von Chromosomenveränderungen in bestrahlten Zellen ist je nach Strahlenart mit
dem Ausmaß einer Strahlenexposition, d.h. der absorbierten
Strahlendosis, korreliert, wie dies schematisch die Abb. 2.8
zeigt. Daher können sowohl bleibende DNS-Schäden wie auch
die verschiedenen Chromosomenveränderungen zur biologi39
schen Dosimetrie herangezogen werden. Ganzkörperbestrahlungen bis herunter zu Dosen um 0,1 Gy sind auf diese Weise
im exponierten Körper zum Beispiel nach einem Unfall relativ
genau bestimmbar.
DNS-Schaden
Lymphozyten mit Chromosomenaberrationen, wie sie in Abb.
2.7 zu sehen sind, haben nur eine beschränkte Lebensdauer
und verschwinden je nach Typ innerhalb von Wochen bis Monaten aus dem peripheren Blut. Deswegen sollte die Zeit nach der
Strahlenexposition bei der Auswertung der Daten Berücksichtigung finden. Biologische Dosimetrie dieser Art sollte so früh wie
möglich nach einem Strahlenunfall angewandt werden. Bei Teilkörperbestrahlungen verlangt die biologische Dosimetrie über
die Auswertung von Chromosomenaberrationen in Lymphozyten zusätzliche Rücksicht auf die Tatsache, dass die beobachteten Lymphozyten während der Exposition im ganzen Körper zirkulierten.
Die Häufigkeit von DNS-Schäden
wie auch Chromosomen-Aberrationen
in bestrahlten Zellen
steigt progressiv mit der Strahlendosis
Abb. 2.8
Absorbierte Dosis
2. 2. Wirkungsweise ionisierender Strahlung auf
vielzellige Organismen
Wie schon einzelne Zellen außerordentlich komplexe Systeme sind, in welchen alle Elemente mit ihren direkten und
indirekten Wechselwirkungen von zahlreichen lokalen strukturellen und biochemischen Faktoren beeinflusst werden
und die Zelle als ganzes reagieren lassen, muss auch auf
der Ebene der Gewebe und Organe das Gesamtsystem mit
seinen Vernetzungen von Zellen in lebenswichtigen Struktu40
ren und Funktionen berücksichtigt werden. Auch in diesem
Zusammenhang sind Strahlenwirkungen dosis- und zeitabhängig zu betrachten, wie bereits oben erwähnt wurde. Sowohl die so genannten Bystander Effekte, die meist lokal im
Gewebe berücksichtigt werden, als auch entferntere Einwirkungen auf das Funktionsgleichgewicht des Gesamtsystems
können bedeutsam sein. Funktionsgleichgewicht, auch als
Homöostase bezeichnet, besteht innerhalb von Zellen, zwischen den Zellen und den verschiedenen Geweben und Organen des Körpers und wird über die zwischen diesen allen
wirkenden Signalvernetzungen aufrecht erhalten. Die vielfältigen hier involvierten biochemischen Mechanismen sind wie
alle Zellfunktionen letztlich unter genetischer Kontrolle und
hängen auch vom individuellen Alter, von der Lebensweise
und von Umwelteinflüssen ab.
Bystander Effekte
Im Laufe des letzten Jahrzehntes haben zahlreiche Experimente deutlich gemacht, dass bestrahlte Zellen im Verband
mit anderen Zellen entweder in Kultur oder auch im intakten
Organismus kurz nach Bestrahlung, innerhalb von Stunden,
Substanzen ausscheiden können, die nicht-bestrahlte Zellen
in der Nachbarschaft der bestrahlten Zellen beeinflussen
können. Bei diesen Vorgängen spielen direkte Zellkontakte
sowie auch außerhalb der Zellen diffundierende Substanzen
eine Rolle, deren chemisch-biochemische Natur gegenwärtig intensiv erforscht wird. Diese in nicht-bestrahlten Zellen
erscheinenden aber von bestrahlten Zellen ausgelösten Wirkungen werden Bystander Effekte genannt. Abb. 2.9 zeigt
schematisch die von einer bestrahlten Zelle ausgelösten
Wirkungsrichtungen.
Bei der Auswertung von Verteilung und Häufigkeit von DNSSchäden und Zelltod in Kulturen, in denen einzelne Zellen
gezielt mit unterschiedlichen Dosen bestrahlt wurden, zeigte
sich, dass Bystander Effekte bei kleinen Dosen von etwa
1 mGy kaum erkennbar sind, danach ansteigen bis zu einem Plateau der Wirkung bei etwa 0.1-0.2 Gy. Bei D-Strahlen wurde das Wirkungsplateau bei etwa 2 Teilchen in der
den Effekt auslösenden Zelle erreicht. Solche Bystander Effekte sind nicht nur in der Lage, in nicht bestrahlten Zellen
41
DNS-Schäden inklusive DSB zu verursachen, sondern auch,
wie weiter unten besprochen, biopositive Wirkungen. In diesem Zusammenhang ist ein besonderer Bystander Effekt zu
sehen, der in nicht bestrahlten Nachbarzellen bestimmte
Signale induziert, welche dann durch Rückwirkung in einem
zweiten Schritt die bestrahlte Zelle zum Selbstmord, d.h. zur
Apoptose, bringt. Dadurch wird die primär geschädigte Zelle
als Schadensträger aus dem Gewebe eliminiert.
Es ergibt sich somit, dass in einem Organismus, in dem auf
Grund einer sehr kleinen Dosis nur einzelne Zellen ein
Strahleneinfangereignis mit einem Energiepaket erleiden,
die Zahl der auf dieses Ereignis reagierenden Zellen größer
als die Zahl der getroffenen Zellen ist. Daher wird auch diskutiert, ob einerseits die Wahrscheinlichkeiten einer Krebserkrankung und das Ausmaß anderer zellulärer Reaktionen
im so bestrahlten Organismus bei kleinen Dosen größer sind
als auf der Basis einer linearen Dosis-Risiko Beziehung erwartet würde. Da diese Verhältnisse für den Strahlenschutz
von großer Bedeutung sind, wird auf diesem Gebiet gegenwärtig intensiv geforscht. Wie weiter unten ausgeführt ist,
erscheint es unwahrscheinlich, dass der Bystander Effekt
bei sehr kleinen Dosen über Vervielfachung von DNSSchäden im Gewebe nennenswert zu einer Erhöhung der
Krebswahrscheinlichkeit beiträgt.
Signale zwischen Zellen in Matrix und Gewebe
Getroffene
Zelle
Zellverbindung
Gewebe
Zellen
Matrix
= Bystander Effekte
Feinendegen LE, 2005
Abb. 2.9
42
Strahleninduzierte Störungen des biologischen Gleichgewichtes, adaptive Reaktionen
Die von ionisierenden Strahlen erzeugten primären
Interaktionen mit Atomen entlang der Teilchenflugbahnen
mit ihren direkten und indirekten Wirkungen auf Moleküle
können je nach Art und Ausmaß sekundär auf Strukturen
und die mit ihnen gegebenen Funktionen auf den
verschiedenen Organisationsebenen des Körpers einwirken.
Diese dosisabhängigen Beeinflussungen und deren zeitliche
Abfolge werden wesentlich durch den hierarchischen Aufbau
des Körpers bestimmt.
Innerhalb der einzelnen biologischen Organisationsebenen
sowie zwischen diesen Strukturen werden alle lebenswichtigen Funktionen, die das strukturelle Zusammenwirken des
Organismus garantieren, in einem äußerst komplexen Signalnetz miteinander koordiniert und aufeinander abgestimmt, um die Homöostase aufrecht zu erhalten. Das für
Homöostase nötige Signalnetz arbeitet, wie bereits oben
resümiert, innerhalb von Zellen, zwischen Zellen und Matrix,
d. h. extrazellulären Gewebestrukturen eines Organes, und
zwischen Zellen verschiedener Organe und Gewebe. Alle
Signale erfassen schließlich Zellen, welche die besonderen
Funktionen eines Organs und Gewebes bestimmen. Die
Abb. 2.10 veranschaulicht schematisch die wesentlichen
drei Signalschleifen in einem Körper.
Signalnetze in biologischen Systemen
Sie antworten auf Störungen
der Homöostase, je nach
Spezies, Zelltyp und
Stoffwechsel
Gewebe
Zellen
Organe
Neuro-Hormonale
Signale
Interzelluläre
+ Matrix Signale
Intrazelluläre
Signale
Zelluläre Moleküle
antworten
Stress
Adaptiver Schutz
Ausmass der Störung
Schaden
Feinendegen LE, 2005
Abb. 2.10
43
Jede Einwirkung auf die verschiedenen, übergreifenden Signalschleifen, ob durch äußere oder innere Reizfaktoren,
führt zu Reaktionen innerhalb der Signalnetze mit dem Ziel
der Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der Homöostase der aufeinander abgestimmten Funktionen des Gesamtkörpers sowie seiner Teile. Bei geringfügigen lokalen
oder weitreichenden Störungen des Systems wie bei Stress
wird Homöostase in den betroffenen Systemkomponenten
durch Rückkopplungsmechanismen relativ schnell wieder
optimiert.
Darüber hinaus induziert eine gegebene Stresssituation mit
Verzögerung meist vorübergehend eine Anpassung dergestalt, dass das System auf erneute Störung weniger anfällig
ist. Beispiele für solche mit zeitlicher Verzögerung erkennbaren adaptiven Reaktionen sind Zunahme von Muskelmasse
nach körperlichem Training, oder Bräunung der Haut nach
mäßiger UV Strahleneinwirkung, oder Immunschutz vor Infektionen nach Impfung. Kommt es zu einer Zerstörung der
durch Signale gesteuerten Koordination durch Ausschaltung
der funktionstragenden Strukturen, bricht das System lokal
zusammen und kann, wenn es nicht repariert wird je nach
Schweregrad schließlich zum Untergang des Gesamtorganismus führen. Beispiele sind wiederum Kreislaufzusammenbruch beim übermäßigem Training, oder Verbrennungen der Haut bei übermäßiger UV-Bestrahlung, oder tödliche Infektionen bei Immunschwäche.
Abwehr- und Reparaturmechanismen vielzelliger
Systeme
Ionisierende Strahlen sind allgemein in der Lage einerseits
Schäden zu setzen wie auch Stressreaktionen auszulösen.
Das Verhältnis der beiden Rektionsmuster zueinander verschiebt sich zu Schäden mit steigender Dosis. Je nach Höhe
der Dosis und damit je nach dem Grad der Einwirkung auf
Strukturen kann der bestrahlte Körperteil sofort erkranken
und nach Überwindung der akuten Krankheit viele Jahren
später über zelluläre Gen-Veränderungen überlebender Zellen einen bösartigen Tumor entwickeln. Die Wahrscheinlichkeit einer akuten Strahlenkrankheit sowie auch einer Krebserkrankung hängt wiederum von der Fähigkeit des gesam44
ten Organismus ab, Störungen im System zu korrigieren,
bzw. Krebszellen als Ursachen von Störungen zu beseitigen. Bei einer Einschränkung dieser Korrekturen im System
wird z. B. einer Krebsentwicklung ebenso Vorschub geleistet, wie anderen Erkrankungen, die von solchen Korrekturen
in Schach gehalten werden, zum Beispiel verschiedene Infektionskrankheiten.
Dass ein gesunder Organismus über immense Abwehrkräfte
verfügt, ist nicht nur eine tägliche Erfahrung, zum Beispiel
bei der Immunabwehr von Infektionen, sondern zeigt sich
auch in den Quantitäten der Schäden, die nach Bestrahlung
in den verschiedenen Organisationsebenen des Körpers erkennbar werden. Solche Daten sind in der Abb. 2.11 für den
Fall einer Strahlenexposition mit 1 mGy im roten Knochenmark zusammengefasst.
Bei Bestrahlung des roten Knochenmarks als besonders
strahlenempfindliches Gewebe mit 1 mGy Röntgenstrahlung
wird pro Zelle, wie oben erklärt, im Mittel ein Strahleneinfangereignis mit dem entsprechenden Energiepaket erzeugt.
Dieses verursacht direkte und indirekte Wechselwirkungen
mit zellulären Substraten. So entstehen durch Ionisierung
von Wassermolekülen etwa 150 Sauerstoff-Radikale; insgesamt werden etwa 2 Veränderungen der DNS beobachtet,
und davon sind etwa 1 DNS-DSB in jeder fünfundzwanzigsten Zelle, und die Wahrscheinlichkeit einer Chromosomenaberration, wie sie Abb. 6 zeigt, ist pro Zelle etwa 1 zu
10.000. Während diesen Daten präzise Messungen zu
Grunde liegen, ist die Wahrscheinlichkeit einer so getroffenen, potentiell Leukämie bildenden Stammzelle, eine tödliche verlaufende Leukämie auszulösen, eine Schätzung. Sie
beruht auf der linearen Extrapolation der bei hoher Dosis
beobachteten Leukämierate pro Dosiseinheit, wie sie unten
im Abschnitt 2.4.2.4 besprochen ist. So ergibt sich für die
tödliche Leukämie ein geschätztes Risiko von etwa 1 zu
einhundert Billionen (10-14) pro blutbildender Stammzelle pro
1 mGy. Mit anderen Worten, die Wahrscheinlichkeit einer
tödlichen Leukämie pro DNS-DSB in der Stammzelle ist hier
ungefähr 10-12, d. h. bei 1 zu einer Billion. Die immense Zahl
von DNS-DSB, die hier für eine tödliche Leukämie nötig
sind, verdeutlicht die Fähigkeit des gesunden Organismus
45
Risko für eine Stammzelle
pro 1 mGy 100 kV Rö.-Strahlen
Der Körper als
komplex adaptives System
in verschiedenen Ebenen
im menschlichen roten Knochenmark
durch Extrapolation von hoher Dosis
Organismus
~ 10-14 Maligne Transformation
mit tödlichem Krebs
Gewebe
?
Zellen
Moleküle
~ 10-4 Chromosomen Aberr.
~ 4 x 10-2 DNS - DSB
~
RöntgenStrahlen
Atome
2
~ 150
¦ DNS Änderungen
Sauerstoff-Radikale
Feinendegen LE et al, 1995
Abb. 2.11
zur Schadensabwehr und lässt die oft von Nichtfachleuten
gehörte Aussage, dass jeder durch Strahlen induzierte Doppelstrangbruch eine potentiell krebsauslösende DNS Störung ist, als zumindest übertrieben und sogar als ungerechtfertigt erscheinen.
Die dem Körper physiologisch gegebenen Reparatur- und
Abwehrmechanismen sind, wie bereits aus den Abb. 2.10
und 2.11 zu erkennen, überaus vielfältig und auf jeder Organisationsebene wirksam. Sie umfassen biochemische
Entgiftungsreaktionen, vor allem von ROS, zelluläre Reparaturmechanismen, vor allem von DNS-Schäden, Änderungen
des Zellzyklus zwischen Zellteilungen, und Beseitigung von
geschädigten Zellen einmal durch signalausgelösten Zelltod, Apoptose, zum anderen durch Immunreaktionen, und
auch durch Differenzierung zu Zellen mit begrenzter Lebensdauer. Die beseitigten Zellen werden durch Nachschub
funktionstüchtiger Zellen ersetzt. Daraus ergibt sich, dass
jede Organisationsebene Barrieren setzt, die Schäden sozusagen aszendierend überwinden müssen, um zu einer
Gesundheitsstörung zu führen. Die kaskadenförmig aszendierend aktiven Abwehr- und Korrekturmechanismen auf
den verschiedenen Organisationsebenen des Körpers reagieren prinzipiell in ähnlicher Weise insofern, als das jeweils
46
reagierende System eine Störung, bzw. Schädigung zunächst auf seiner Ebene blockiert und erst dann auf höhere
Ebene weiter gibt, wenn die Störung bzw. Schädigung von
dieser Ebene nicht ausreichend kompensiert oder beseitigt
werden kann. So kann Schaden von der molekularen auf
die zelluläre, Gewebe- bzw. Organebene, und schließlich
auf Gesamtkörper-Ebene verstärkt zur gesundheitlichen Bedrohung werden. Aus dieser Darlegung ergibt sich, dass die
Wahrscheinlichkeit einer bedrohlichen Gesundheitsstörung
keinesfalls proportional mit dem Ausmaß eines Schadens
auf der molekularen Ebene, inklusive der DNS, ansteigt,
sondern dass auf jeder Ebene zunächst ein bestimmter Minimalschaden vorhanden sein muss, bevor er die Barriere
der Abwehrmechanismen durchringt. Die Wahrscheinlichkeit
der Überwindung einer solchen Barriere ist sicherlich auch
abhängig von Art, Qualität und Quantität, die ein gegebener
Anfangsschaden besitzt. Auch bei der Entstehung einer
Krebserkrankung aus einer bösartig transformierten Zelle
mit lokaler Vermehrung, d.h. mit klonalem Wachstum, sind
die genannten Abwehrmechanismen auf zellulärer und Gewebe bzw. Organebene wesentlich über das Immunsystem
wirksam. Es ist offensichtlich, dass die hier kurz angedeuteten Reaktionsmuster bei Störungen biologischer Systeme
auf ihren verschiedenen Organisationsebenen für das Verständnis der akuten und späten Strahlenwirkungen und ihrer
Risiken bedeutsam sind.
Stochastische Strahlenwirkungen
Die Unterscheidung zwischen so genannten stochastischen
und deterministischen Wirkungen von ionisierenden Strahlen bedarf einer grundsätzlichen Erläuterung. Stochastisch
werden allgemein solche Schäden genannt, welche durch
zufällige Interaktionen von durch ionisierende Strahlen erzeugten Energiepaketen mit biologisch bedeutsamen Strukturen, wie dem genetischen Material, proportional zur Zahl
der Interaktionen ausgelöst werden. Folgendes Beispiel mag
dies erläutern. Mit einem Beil lassen sich Kerben in einen
Holzstamm von bestimmter Härte schlagen. Die Tiefe der
Kerbe hängt von der Kraft ab, mit der das Beil auf das Holz
trifft. Jedoch ist eine minimale Kraft nötig, um überhaupt ei-
47
ne Kerbe zu erzeugen. Andererseits kann eine bestimmte
Kerbentiefe durch eine bestimmte Kraft des Beiles erzeugt
werden. Nimmt man allerdings nun zahlreiche solcher Holzstämme und bearbeitet sie alle parallel oder hintereinander
getrennt mit einem definiert kräftigen Beilschlag, so zeigt
sich, dass die Kerbentiefe nicht immer ganz genau gleich ist
sondern dass sie um einen Mittelwert schwankt. Die Zahl
der Kerben in diesem Beispiel steigt mit der Zahl der Beilschläge jeweils auf einen getrennten Holzstamm. Man sagt
auch, dass hier die Zahl der Kerben linear mit der Zahl der
definierten Beilschläge im Kollektiv der bearbeiteten Holzstämme ansteigt. Diese Situation findet ihre Analogie in der
Schädigung der DNS in einem Strahlenfeld. Die DNS bietet
ein Kollektiv von räumlich getrennten Abschnitten, welche im
obigen Beispiel den Holzstämmen entsprechen. Die von
ionisierenden Strahlen im Gewebe erzeugten Energiepakete
haben einen mittleren Wert pro Strahlenart und stellen somit
Kraftinkremente dar, die im obigen Beispiel den definierten
Beilschlägen entsprechen. Mit der Dosis steigt die Zahl der
erzeugten Energiepakete pro Einheit Gewebemasse an, wie
obern besprochen, und dementsprechend steigt die Zahl der
von diesen bewirkten DNS-Veränderungen, welche im obigen Beispiel der Zahl der Kerben mit einer bestimmten Tiefe
entsprechen. Welche DNS-Abschnitte von Energiepaketen
direkt und indirekt getroffen werden, ist weitgehend zufällig.
Wenn allerdings die Dosis soweit ansteigt, dass zahlreiche
Energiepakete sich überschneiden und so gemeinsam auf
einen DNS-Abschnitt stoßen, werden zunehmend schließlich alle DNS-Abschnitte nicht nur einmal getroffen. Der daraus resultierende lokale Zusammenbruch macht das Ausmaß des Gesamtschadens größer als die Summe der Einzelschäden.
Es ist somit offensichtlich, dass unterhalb einer bestimmten
Dosis für eine bestimmte Strahlenart die Zahl der DNSSchäden linear mit der Dosis ansteigt, und bei steigender
Dosis, je nach Strahlenart Effektüberschneidungen auftreten, was sich durch einen Übergang in eine exponentiell
steigende Effektkurve ausdrückt. Diese Art von Dosis-Wirkungskurve folgt dann zunächst der Funktion E = DD x ED2,
wobei E der Effekt und D Dosis ist, und D und E sind die für
niedrige wie höhere Dosen gemessenen Proportionalitäts48
konstanten. Bei weiter ansteigender Dosis beginnt der Effekt
zunehmend abzunehmen, weil die involvierten Zellen absterben und den Effekt nicht mehr zeigen können, wie dies
in Abb. 2.12 zu sehen ist.
Es ist unbestritten, dass die Wahrscheinlichkeit, dass eine Zelle mit einer Latenzzeit von vielen Jahren eine Krebserkrankung auslöst, von der Schädigung ihrer DNS abhängt. Diese
Erkenntnis und die auch experimentell bestätigte Proportionalität zwischen DNS-Schäden und der Dosis unterhalb eines bestimmten Wertes stellen die Grundlage der Annahme, dass
die Häufigkeit von Krebserkrankungen linear mit der Dosis
bis zu einem bestimmten Wert ansteigt. Da die DNS-Schäden,
die für eine Krebserkrankung wesentlich sind, durch Strahlen verursachte, zufällig treffende Energiepakete entstehen,
bezeichnet man die durch ionisierende Strahlen bedingten
Krebserkrankungen auch als stochastische Spätschäden.
Wie schon im vorigen Abschnitt und unten des weiterten
dargelegt ist, wird bei der Annahme der linearen Beziehung
zwischen absorbierter Dosis und Krebshäufigkeit in einer
exponierten Population allerdings oft übersehen, dass gerade im kleinen Dosisbereich auch solche Zell- und Gewebereaktionen auftreten, die als Antworten im Kontext des gesamten biologischen Systems auf Störungen der Homöostase zu verstehen sind. Wie bereits besprochen, wird durch
den Versuch des biologischen Systems zur Wiederherstellung der Homöostase, die Weitergabe von Schäden aufsteigend zu höheren Organisationsebenen erschwert oder ganz
unterbunden. Darüber hinaus tendieren diese Reaktionen
vor allem bei kleinen Dosen zur Auslösung von den bereits
erwähnten adaptiven Veränderungen in dem Sinne, dass
das betroffene biologische System für eine bestimmte Zeit
vor erneuter Attacke ähnlich wirkender toxischer Substanzen, wie z. B der im Stoffwechsel ständig gebildeten ROS,
geschützt wird.
Die stochastische Dosis-Effekt-Kurve in Abb. 2.12 beginnt
hier konventionell mit einem linearen Ansatz (DD) und das
Fragezeichen soll die in den letzten Jahren bekannt gewordene Unsicherheit im kleinen Dosisbereich betonen, worauf
später noch einmal verwiesen wird. Der spätere Kurvenverlauf folgt der Gleichung DD + ED2.
49
Dosis-Effekt Kurven bei niedrig-LET Strahlung
Stochastische Effekte
(Späte E.)
Deterministische Effekte
(Meist akute E.)
Schwelle
E (S)
E (W)
ĮD + ȕD2
?
ĮD
D
D
Niedrige Dosi s Region: < 200 mGy
Abb. 2.12
Deterministische Strahlenwirkungen
Unter deterministischen Strahlenwirkungen versteht man
solche Effekte, deren Schweregrad mit der Dosis, d. h. der
einwirkenden Kraft, ansteigt. Um beim obigen Beispiel der
Beilschläge auf Holzstämme zu bleiben, wird die Tiefe einer
Kerbe im Holzstamm von der Kraft des Beilschlages bestimmt. Bei sehr geringem Beilschlag kommt es je nach Härte des Holzes nicht zur Kerbe. Und jenseits einer bestimmten starken Wucht des Beilschlages wird der Holzstamm
stets voll zertrennt und zwar dann unabhängig von der
Wucht des Beilschlages. Wenn dieses Beispiel auf Strahlenexposition übertragen wird, entspricht eine Dosis bestimmter Strahlenart mit ihren Energiepaketen einer Summe
von Beilschlägen für dieselbe Kerbe. Wenn die Summe der
primären biologischen Schäden einen gewissen Wert überschreitet, wird eine bestimmte Zahl von Zellen entweder innerhalb kurzer Zeit in ihren Funktionen wesentlich verändert
oder stirbt, so dass z. B. die Gewebefunktion nicht mehr voll
aufrecht erhalten werden kann. Um einen solchen Systemschaden zu machen, muss die absorbierte Dosis einen Mindestwert übersteigen. Mit einer Maximaldosis wird auch das
Maximum eines definierten Schadens erreicht, z. B. alle Zel-
50
len inaktiviert oder getötet, und bei einer weiteren Dosiserhöhung bleibt es beim Plateau des maximalen Schadens.
Deterministische Schäden können sich als akute Strahlenkrankheit oder mit einer Latenzzeit von Jahren in verschiedenen Geweben, wie Haut, Lunge, Bindegewebe als chronische Erkrankungen manifestieren.
Den verschiedenen Formen der akuten wie auch chronischen Strahlenkrankheiten ist gemeinsam, dass sie durch
Ausfall von funktionstragenden Zellen entstehen. Nur dann
kommt es zur klinischen Erkrankung, wenn die Zahl der ausfallenden Zellen mit organspezifischen Funktionen einen für
ein Organ bestimmten Wert überschreitet. Wie später weiter
ausgeführt, wird der natürliche Verlust von Zellen mit organtragenden Funktionen durch Zellnachschub über Zellvermehrung und -reifung kompensiert. Hierbei ist die Integrität
der Stammzellen als Vorläuferzellen für die Aufrechterhaltung der Zellerneuerung wesentlich. Knochenmark-Stammzellen sind generell besonders strahlenempfindlich, wie
auch Abb. 2.6 zeigt. Die Schwere einer Strahlenkrankheit
geht einher mit der Höhe des Verlustes an Stammzellen. Da
die Zeit vom Stammzellenstadium über die Zellvermehrung
und Zellreifung zur Ausbildung von Funktionszellen mehrere
Tage in Anspruch nimmt, treten die Folgen von strahleninduziertem kritischen Verlust zum Beispiel von blutbildenden
Stammzellen mit Verzögerung von etwa 6 Tagen auf; es
kommt zu einem zunehmenden Mangel an reifen weißen
Blutzellen und Blutplättchen, neben einem schon früher erkennbaren abrupten Abfall der im Blut zirkulierenden Lymphozyten, die ähnlich den Stammzellen relativ strahlenempfindlich sind. Infektbereitschaft und Blutungen des betroffenen Organismus sind nach Tagen auftretende herausragende klinische Symptome.
So zeigen Dosis-Effekt Beziehungen für akute und chronische Strahlenkrankheiten als deterministische Strahleneffekte in Abb. 2.12 einen Dosis Schwellenwert für das Auftreten
des jeweiligen Effektes. Mit steigender Dosis nimmt das
Ausmaß der Erkrankung zu, bis das Krankheitsbild maximal
ausgeprägt ist, d. h. die deterministische Kurve in Abb. 2.12
zeigt einen so genannten sigmoiden Verlauf, der zum Plateau des maximalen Effektes führt.
51
Genetische Strahlenwirkungen
Die bisher angeführten Strahleneffekte werden generell als
„somatische“ Strahlenwirkungen bezeichnet, da sie biologische Systeme als Ganz- oder Teilkörper betreffen. Hiervon
getrennt sollen diejenigen Effekte gesehen werden, die man
allgemein als „genetische“ Strahlenwirkungen kennt. Diese
entstehen durch Bestrahlung von Keimgewebe, wie Hoden, in
denen Samenzellen gebildet werden, und Eierstöcke, in denen
Eizellen seit Geburt angelegt sind. Genetische Strahlenschäden
können über mehrere Generationen vererbet werden und beruhen auf strahleninduzierten DNS-Schäden in den Keimzellen.
Genetische Schäden mit den von ihnen hergeleiteten Mutationen äußern sich generell als körperliche Veränderungen in
der Nachkommenschaft von Individuen, deren Keimgewebe einer gewissen Dosis ausgesetzt worden sind. Die Variabilität von strahleninduzierten Mutationen kann um den Faktor
35 schwanken, so dass man generell eher von einer durchschnittlichen Mutationsrate spricht. Von Tierexperimenten wird
abgeleitet, dass die Dosis, nach der sich die spontane Mutationsrate verdoppelt, – sie wird als Verdopplungsdosis bezeichnet, – etwa bei 1 Gy liegen dürfte. Bei Menschen sind genetische Strahleneffekte in diesem Bereich bisher kaum erkennbar geworden und daher für Risikoanalysen nicht auswertbar.
Von den genetischen Schäden sind solche Schäden zu unterscheiden, die als Konsequenz von Bestrahlungen von Individuen in embryonaler oder fötaler Entwicklung auftreten, wie später
besprochen wird.
Faktorenabhängigkeit der Strahlenwirkungen
Die unterschiedlichen Strahlenwirkungen sind je nach ihrer
Art von einer Reihe von Faktoren abhängig, die im wesentlichen oben besprochen und Abb. 2.13 zusammengefasst
sind.
52
Strahlenart
Zell-Type
Milieu
Dosis
Strahlenwirkung
Strahlenempfindl.
Abb. 2.13
2.3
Dosis
im Raum
Dosis
in der Zeit
Akute Strahlenschäden
Zellerneuerungssysteme
Akute Strahlenschäden treten klinisch je nach Dosis und ihrer
räumlichen und zeitlichen Verteilung in sehr unterschiedlicher
Weise auf. Der Grund hierfür liegt in der breit gefächerten
Strahlenempfindlichkeit einer Reihe von Zellerneuerungssystemen mit ihren jeweiligen Stammzellen. Insbesondere sind
hier wichtig das blutbildende System im roten Knochenmark,
das Schleimhautsystem des gesamten Verdauungstraktes,
und die äußere Haut. Eine weitere wesentliche Rolle spielen
die Lymphknoten, in denen die meisten Lymphozyten für das
zirkulierende Blut und die Gewebe des Körpers gebildet werden.
Den genannten Zellerneuerungssystemen ist gemeinsam,
dass ein relativ hoher täglicher Verlust von Funktionszellen
durch Zellvermehrung und -reifung von Vorläuferzellen wett gemacht werden muss, um das Gleichgewicht zwischen Zellverlust und Zellerneuerung aufrecht zu halten. Im Durchschnitt werden im erwachsenen menschlichen Körper täglich etwa 550 g
Zellen verloren, die ersetzt werden müssen. Davon sind etwa
490 g Zellen, die im Blut zirkulieren. Die für den Zellnachschub erforderlichen jeweiligen Vorläuferzellen werden nach
Bedarf aus dem Reservoir von Stammzellen geliefert, wobei die
Teilung der Stammzellen je eine Vorläuferzelle und eine neue
53
Stammzelle bringt. Die verschiedenen Zellerneuerungssysteme gehorchen speziellen Signalsubstanzen, welche die
Homöostase im System sehr genau regulieren. Die Abb. 2.14
zeigt das Schema von Zellerneuerungssystemen.
Schema System der Zellerneuerung
Stammzelle
ȅ
Zellvermehrung
ȅ
ȅ
ȅ
ȅ
ȅ
ȅ
ȅ
ȅ
ȅ
ȅ
Strahlensensibel
-reifung Funktionszellen
ȅ
ȅ
ȅ
ȅ
ȅ
ȅ
ȅ
ȅ
ȅ
ȅ
ȅ
ȅ
ȅ
ȅ
ȅ
ȅ
ȅ
ȅ
ȅ
ȅ
ȅ
Strahlenresistent
Abb. 2.14
Für die Entwicklung von Strahlenkrankheiten ist die immer relativ hohe Strahlenempfindlichkeit der für ein Gewebe jeweils
zuständigen Stammzellen ausschlaggebend. Die Blut bildenden Stammzellen sind ähnlich strahlenempfindlich wie die
Lymphozyten, die Stammzellen der Haut und die der Schleimhäute des Verdauungstraktes sind strahlenresistenter. Bei
anderen Geweben, wie zum Beispiel bei Bindegewebe, Gehirn, Lunge, Niere und Leber, ist der Zellumsatz außerordentlich oder wesentlich geringer, wodurch deren Strahlenempfindlichkeit vorwiegend durch die Funktionszellen bestimmt
wird. Es ist somit erklärlich, dass unterschiedliche Ganzkörperdosen unterschiedliche klinische Symptome auslösen.
Akute Strahlenkrankheiten nach einmaliger Ganzkörperexposition
Die Symptome der verschiedenen Formen der akuten Strahlenkrankheit sind in Abb. 2.15 schematisch zusammengefasst, und zwar als Folge einer akuten, d.h. kurz dauernden,
Strahlenexposition des Ganzkörpers mit unterschiedlichen
54
Dosen in Sv. Die Ordinate (Y-Achse) zeigt die Dosen, bei
der die Krankheiten auftreten, und die Zeit ihrer maximalen
Entwicklung zeigt die Abszisse (X-Achse) in Stunden und
Wochen. Die akuten Strahlenkrankheiten erscheinen in drei
wesentlichen klinischen Syndromen. Für die hier nicht näher
aufgeführten späten stochastischen wie deterministischen
Schäden erstreckt sich die Zeitachse auf Jahre. Die eingezeichnete Kurve verdeutlicht in ihren Abschnitten die drei
akuten klinischen Syndrome: das Knochenmark-, oder Hämatologische Syndrom; das Magen-Darm-Trakt-, oder gastrointestinale Syndrom; und das Syndrom des zentralen Nervensystems, welches nach sehr hohen Dosen rasch als Folge des akuten Schadens der funktionstragenden Nervenzellen des Hirns auftritt. Die klinischen Symptome der drei akuten Strahlenkrankheiten sind jeweils unter der SyndromBezeichnung in der Abb. Kurz skizziert. Der zeitliche Unter-
Strahlenkrankheiten, abhängig von Dosis und Zeit
Zeit nach Ganzkörperbestrahlung
Cottier H et al., 1994, nach Cronkite
Abb. 2.15
schied zwischen dem Auftreten des hämatologischen Syndroms und des gastrointestinalen Syndroms wird weitgehend
durch die Zeiten bestimmt, welche die Produktion von Funktionszellen nach Stammzellenteilung braucht.
55
Unabhängig von diesen Syndromen können Strahleneffekte
auch bei kleineren Dosen sozusagen klinisch subjektiv unauffällig bereits früh nach der Exposition durch die Zahl der
im peripheren Blut zirkulierenden Lymphozyten erkannt werden. Wie bereits besprochen, besitzen Lymphozyten eine
ähnlich hohe Strahlenempfindlichkeit wie blutbildende
Stammzellen. So zeigen sich nach Ganzkörperexpositionen
im Bereich von 0.2 bis 0.3 Sv bereits Blutbildveränderungen,
und zwar sinkt zunächst die Zahl der Lymphozyten. Dementsprechend kann die Prognose eines Frühschadens mit dem
Absinken der Lymphozytenzahl unter den Normalwert annähernd bestimmt werden.
Die folgende Übersicht summiert ausführlicher die bei
verschiedenen Dosen auftretenden klinischen Befunde und
Symptome nach akuter Ganzkörperbestrahlung analog zur
Abb. 2.15:
SCHWELLENDOSIS
0.25 Sv
ERSTE KLINISCH FASSBARE STRAHLENEFFEKTE (0.2-0.3 Sv)
Abfall der Blut zirkulierenden Lymphozyten
innerhalb von 1–2 Tagen.
SUBLETALE
DOSIS
1 Sv
VORÜBERGEHENDE STRAHLENKRANKHEIT (0.75-1.5 Sv + )
Unwohlsein (Strahlenkater) am ersten Tag
möglich. Absinken der Lymphozytenzahl im
Verlauf von zwei Tagen auf Werte deutlich
unter 1500/mm3. Nach einer Latenzzeit von
zwei bis drei Wochen treten Haarausfall,
wunder Rachen, Appetitmangel, Diarrhöe,
Unwohlsein, Mattigkeit, stecknadelkopfgroße purpurfarbene Hautflecken (Petechien) auf. Bei Männern vorübergehendes
Absinken der Spermienproduktion. Meist
baldige Erholung.
MITTELLETALE SCHWERE STRAHLENKRANKHEIT
DOSIS
(3-6 Sv + )
4 Sv
Übelkeit und Erbrechen am ersten Tag.
Absinken der Lymphozytenzahl bei Dosen
um ca. 3 Sv auf Werte unter 1000/mm3, und
56
bei Dosen über 5 Sv fast vollkommenes
Verschwinden aus der Blutbahn. Bei Granulozyten zunächst steiler Anstieg, dann
steiler Abfall und nach erneutem abortiven
kurzen Anstieg ab zweiter Woche wieder
Abfall der Werte auf weniger als 2000/mm3.
Hauptursache für große Infektionsneigung.
- Nach 10 bis 14 Tagen zeigen sich Haarausfall, Appetitmangel, allgemeines Unwohlsein, Diarrhöe, schwere Entzündungen im Mund- und Rachenraum, innere
Blutungen (Hämorraghien), Fieber, Petechien, Purpura (größere purpurfarbene Hautflecken). Bei Männern je nach Dosis vorübergehende bis lebenslange Sterilität, bei
Frauen Zyklusstörungen. Bei fehlenden Therapiemaßnahmen ist bei Dosen über 5 Sv
mit etwa 50 % Todesfällen zu rechnen. Bei
spontaner Regeneration Wiederanstieg der
Granulozyten etwa Ende der 4. Woche.
LETALE
DOSIS
7 Sv
TÖDLICHE STRAHLENKRANKHEIT
(6-10 Sv + )
Übelkeit und Erbrechen nach 1-2 Stunden.
Nach drei bis vier Tagen: Diarrhöe, Erbrechen, Entzündungen in Mund und Rachen
sowie im Magen-Darmtrakt mit Blutungen
(Hämorraghie), Fieber, schneller Kräfteverfall. Bei fehlender Therapie Mortalität fast
100 %.- Bei Dosen über 15 Gy innerhalb
einer Woche zunehmend schnell Koma
und Tod.
Bei Dosen von über 20 Sv treten zunehmend die Symptome
des Zusammenbruches des zentralen Nervensystems auf.
Je nach Schweregrad kommt es z. B. bei Dosen von etwa
100 Sv innerhalb von Stunden bis zu wenigen Tagen zu Verwirrungszuständen, Krämpfe, Bewusstlosigkeit immer mit tödlichem Ausgang.
Die Überwindung einer akuten Strahlenkrankheit ist von der
Erholung der betroffenen Zellerneuerungssysteme abhängig
57
und wird von der Zahl der überlebenden und funktionstüchtigen Stammzellen bestimmt. Zum Versagen des Systems
kommt es erst beim Zusammenbruch der Zellerneuerung
hauptsächlich durch Insuffizienz im Reservoir der Stammzellen. Daher gehört zur Therapie der schweren akuten Strahlenkrankheit auch der Versuch der Transplantation von
Stammzellen des blutbildenden Systems. Wenn erfolgreich,
gleichen die transplantierten Stammzellen Zellverluste wieder
aus und sind in der Lage, die Infektionsabwehr zu stärken,
Blutungsneigung zu verringern, und die Erholung von Schäden im Magendarmtrakt zu fördern.
Strahlenschäden der Haut, verstärkende Schäden
Die oben aufgeführten klinischen Befunde und subjektiven
Beschwerden können sich erheblich ändern, wenn noch andere gesundheitliche Sekundärschäden zusätzlich verstärkend, d.h. synergistisch, auftreten, wie Weichteilverletzungen, Verbrennungen und Infektionen.
Zudem entstehen je nach der Expositionsweise zum Beispiel anlässlich eines Unfalls und auch je nach Strahlenart
sowohl akute wie chronische Hautverletzungen mit erheblicher Infektionsgefahr. Ausmaß und Entstehungszeit geben
Auskunft über die erhaltene Dosis im Gewebereich der Verletzung. So tritt nach etwa 2 Gy akuter Röntgenbestrahlung
innerhalb von 2 bis 24 Stunden eine vorübergehende Hautrötung auf, die auch frühes Erythem genannt wird. Eine stärkere, massive Rötung erscheint bei 6 Gy nach einer Zeit von
etwa 10 Tagen. Temporären Haarausfall sieht man bei 3 Gy
im Verlauf von etwa 3 Wochen. In derselben Zeit verursachen 7 Gy permanenten Haarausfall. Schlecht heilende
Geschwüre erleidet die Haut etwa 2 Monate nach akuter
Bestrahlung mit etwa 20 Gy; diese können bis zu mehreren
Jahren anhalten und zu Hautkrebs entarten.
Strahlenschäden der Keimdüsen
In diesem Zusammenhang sind auch die strahleninduzierten
akuten Schäden in Keimdrüsen zu erwähnen. Untersuchungen
an Menschen ergaben eine vorübergehende männliche Sterilität
bereits nach einer akuten Dosis von 0.15 Gy; nach 2 Gy eine
58
mehrere Jahre dauernde Sterilität, und permanente Sterilität
nach 6-8 Gy. Weibliche Eizellen sind extrem strahlenempfindlich
hinsichtlich Zelltod. Etwa 60–70 % von ihnen gehen bereits
nach einer akuten Dosis von 0.12 Gy zugrunde. Einmal induzierte Sterilität bleibt lebenslang bestehen, da Eizellen sich nach
ihrer Entstehung vor der Geburt nicht mehr teilen. Nicht abgestorbene Eizellen zeigen eine relativ hohe Reparaturfähigkeit.
Strahlenschäden des ungeborenen Lebens
Die aufgezeigten Verhältnisse verdeutlichen, dass Gewebe mit
hoher Zellteilungsaktivität generell strahlenempfindlicher sind
als Gewebe, in denen die Zellerneuerung sehr langsam ist.
So ist erwartungsgemäß das ungeborene Leben im Mutterleib durch ionisierende Strahlen besonders gefährdet.
Dabei bilden die ersten Entwicklungsmonate, in denen im gesamten Embryo rasch aufeinander folgende Zellteilungen ablaufen, das empfindlichste Stadium. Hier können schon relativ
niedrige akute Dosen, wie bei Stammzellen, Zelltod verursachen, und in überlebenden Zellen solche DNS-Schäden induzieren, die Mutationen bringen und zu Missbildungen, d.h. teratogenen Schäden, führen. Vor allem werden während der
Zeit embryonaler Anlage von Organen durch DNS-Schäden
anhaltende Störungen von Zellfunktionen eingeleitet, die je
nach Dosis während der Schwangerschaft schwerwiegende
Organstörungen mit Missbildungen, vor allem am zentralen
Nervensystem nach sich ziehen können.
Die folgende Übersicht gibt die akuten Minimaldosen an, bei
denen Effekte im Embryo und Föten beobachtet worden sind:
TIEREXPERIMENTE:
Verlust von Oozyten (Primaten) 50 % Letaldosis bei 0.5 Gy
Schäden des zentralen Nervensystems (Maus)
Schwellendosis bei 0.1 Gy
Hirnschaden und Verhaltensstörungen (Ratte)
Schwellendosis bei 0.06 Gy
BEOBACHTUNGEN AN MENSCHEN:
Kleiner Kopfumfang mit
geistiger Retardierung
Schwellendosis bei 0.06 Gy
59
Man kann zusammenfassend feststellen, dass messbare
Schäden am ungeborenen Leben bei akuten Dosen unter
0.1 Gy auftreten können, wenn diese Dosen in der besonders
strahlenempfindlichen Phase der kindlichen Entwicklung einwirken. Die Abb. 16 fasst einige Ergebnisse zusammen, die
bis auf Beobachtungen geistiger Retardierung bei Menschen
von Tierexperimenten stammen, bei denen relativ hohe Dosen gebraucht wurden. Beim Menschen ist die für die Hirnentwicklung sensibelste Phase zwischen der 8. und 15.
Schwangerschaftswoche.
0
Tierstudien
1
2
4
Präimplantation
Organanlagen
Pränatal er
Tod
Mißbildungen
Neotal er Tod
Wachstum p
6
8
10
15
Hall E., 2000
2
4
40
25
40
Permanente
Wachstumshemmung
Geistige
Retardierung
Risiko
hoch
1
25
Fötale Periode
AtomBomben
Überlebende
Japan
0
20
6
8
10
Geistige
Retardierung
Risiko
4 x kleiner
15
20
Schwangerschaft in Wochen
Abb. 2.16
Die Wahrscheinlichkeit fötalen Todes nach akuter Bestrahlung nimmt von der Implantationsphase bis zur etwa 5. Woche rasch ab. Danach treten Missbildungen häufiger auf. Im
letzten Drittel der Schwangerschaft nimmt die Resistenz auch
gegen Missbildungen stark zu. In dieser Phase dürften akute
Dosen oberhalb von etwa 0.1 Gy das Risiko kindlicher
Krebserkrankungen erhöhen. Was die verringerte Schädelgröße, häufig in Kombination mit geistiger Behinderung, betrifft, wird zwar, wie oben angegeben, eine Schwellendosis
von etwa 0.06 Gy angegeben, aber die Wahrscheinlichkeit einer solchen Fehlbildung lag in Hiroshima und Nagasaki bei
etwa 2–3 % der Exponierten mit fraglicher statistischer Signifikanz. Erst nach etwa 0.25 Gy begann dieses Risiko mit der
Dosis praktisch linear anzusteigen. In Hiroshima und Nagasa60
ki waren etwa 50 % derjenigen Kinder geschädigt, die im
Mutterleib einer mittleren Dosis von 1 bis 1,5 Gy ausgesetzt
waren. Sorgfältige Dosiserhebungen sind bei etwaigen Unfällen schwangerer Frauen unerlässlich, um gegebenenfalls therapeutische Entscheidungen treffen zu können.
2.4.
Späte Strahlenschäden
Bei späten Strahlenschäden nach akuter wie chronischer oder
fraktionierter Exposition kann es sich um deterministische wie
stochastische Schäden handeln. Auch hier müssen Erbanlagen, Alter des Individuums, und Lebensweise sowie Umwelteinflüsse berücksichtigt werden.
Deterministische Spätschäden
- Effekte durch chronische Strahlenexposition mit
niedriger Dosisrate
Die oben für bestimmte Dosisbereiche genannten Symptome
akuter Strahlenkrankheit gelten für Ganzkörperexpositionen innerhalb von Sekunden bis wenigen Minuten, d. h. bei hoher
Dosisleistung. Nimmt die Dosisleistung ab, so vermindert sich
die Strahlenwirkung auf den Gesamtorganismus. Im allgemeinen reduziert sich die Wirkung einer bestimmten Strahlendosis
mit wachsendem Zeitraum, in welchem der Körper dieser Dosis ausgesetzt ist. So wurde bereits erklärt, dass mit fallender
Dosisrate der Zeitraum zwischen zwei aufeinander folgenden
Strahleneinfangereignissen mit ihren Energiepaketen in einem
definierten Gewebevolumen sich soweit vergrößern kann,
dass Reparaturmechanismen auf einzelne Treffer optimal ablaufen können. Eine ähnliche Situation entsteht bei mehrmaliger Exposition mit kleinen Einzeldosen in entsprechend längeren zeitlichen Abständen, oder bei Teilkörperbestrahlung,
bei der im Gesamtorganismus Reserven für Reparaturfähigkeit vor allem über im Blut zirkulierende Stammzellen erhalten bleiben.
Eine bei kurzzeitiger Ganzkörperexposition tödlich wirkende
Dosis lässt sich experimentell so weit strecken, dass sie auf
Grund der Reparatureffizienz des Körpers klinisch zunächst wirkungslos bleibt. Schließlich führt Dosisakkumulation jedoch über
Akkumulation von DNS-Schäden vor allem in den Stammzellen
für die Blutbildung zum relativ abrupten Zusammenbruch nicht
61
selten mit Todesfolge. Auch ist zu berücksichtigen, dass während
der Expositionszeit sich die Wirkung der dem Körper zur Verfügung stehenden Abwehr- und Reparaturmechanismen zur Erhaltung der Population funktionstüchtiger Zellen optimiert, solange
Stammzellen differenzierende Zellen nachliefern können. Der klinische Verlauf und Ausgang solch spät auftretender Erkrankungen zeigt die Erschöpfung des Stammzellenreservoirs mit Insuffizienz der Bildung zirkulierender Blutzellen und geht gewöhnlich
einher mit Infektionen und Blutungen.
Andererseits liegen verschiedene Beobachtungen vor, dass
kleine Dosisraten mit Ȗ-Strahlen im Bereich von 1 mGy pro
Stunde bei Mäusen die Immunabwehr stimulieren und dadurch auch therapeutisch wirksam sein können. Auch genetische Mutationsraten wurden bei kleinen Dosisraten in ähnlicher Größenordnung untersucht, und es ergab sich eine
von der Dosisrate abhängige Minimierung der Mutationen
unterhalb des Kontrollwertes. Diese Berichte deuten auf die
Fähigkeit von Anpassungsreaktionen von Organismen auf
kleine Dosen und zwar abhängig von der Dosisrate.
- Somatische Spätschäden nach Strahlenexposition mit
hoher Dosis oder Dosisrate
Auch die relativ strahlenresistenten Gewebe und Organe des
Körpers können nach akuter Einwirkung hoher Dosen und nach
chronischer Exposition mit hohen Dosisraten im Verlaufe von
Jahren klinisch deutliche Funktionsstörungen mit entsprechenden anatomischen Organveränderungen entwickeln. Bei diesen
Krankheitsbildern sind die Symptome wiederum Folge von akkumulierten Zellschäden, und häufig von solchen Schäden, die
sich in den entsprechenden Vorläuferzellen der betroffenen
Gewebe und Organe angehäuft haben. So ist verständlich, dass
eine Mindest- oder Schwellendosis zur Ausbildung solcher
Schäden erforderlich ist. Die niedrigste Schwellendosis für deterministische Spätschäden betrug, wie sie bisher von den Erhebungen bei den Überlebenden der Atombomben in Japan erkennbar waren, etwa 0.5 Gy.
Bei deterministischen Spätschäden können Herz- Kreislaufstrukturen, insbesondere Blutgefässe, Lungengewebe, Augenlinse, und, wie oben bereits genannt, auch Haut und Schleimhäute betroffen sein. Die für die Ausbildung einiger solcher
Schäden erforderlichen Dosen sind relativ hoch und kommen
62
praktisch nur bei Teilkörperbestrahlung als auslösende Ursache
in Frage. So sind zur Entwicklung einer chronischen Hautentzündung (Dermatitis) mit trockener, atrophischer, haarloser Haut
mit kleinen Blutgefäßerweiterungen und Pigmentierungen Dosen von 10 Gy und mehr nötig. Für die Ausbildung einer Augenlinsentrübung ist eine akute Exposition von 2 Gy erforderlich
und bei Langzeitexposition braucht es dazu etwa 15 Gy. Auch
die Lungen sind relativ zu einigen anderen Organen für deterministische Spätschäden strahlenempfindlich, so dass eine
Strahlen-Pneumonie schon 2-6 Monate nach etwa 17-18 Gy
auftreten kann und bei noch höheren Dosen eine irreversible
Gewebeverhärtung durch so genannte Fibrose mit Verzögerungen von Jahren nach sich zieht. Diese Veränderungen werden
als besondere Gefahren bei Strahlentherapieplanung im Brustbereich berücksichtigt. Das Ausmaß der Reaktionen hängt ab
vom bestrahlten Gewebevolumen, der Dosis und der Art der
fraktionierten Bestrahlung, wobei die letztere Expositionsart für
die Lunge akut schädlicher sein kann als einmalige Dosis. Tabakrauchen mit Inhalation hat eine besonders starke Förderwirkung bei der Ausbildung von strahlenbedingten Lungenerkrankungen. Zu den deterministischen Schäden können auch chronische Infektionen auf Grund eines kompromittierten Immunsystems gezählt werden, wobei je nach chronischer Belastung eine
Dosisakkumulation von mehreren Gy schon ausreicht.
Stochastische Spätschäden
- Allgemeine Einleitung, Risikoanalyse
Stochastische Spätschäden sind bösartige Erkrankungen, die
mit einer zeitlichen Verzögerung, oder Latenzzeit, von Jahren
auftreten. Auch heute noch, über 60 Jahre nach der Katastrophe, werden in der Gruppe der Überlebenden der Atombomben
in Japan mehr Krebsfälle registriert, als in der gewählten Kontrollpopulation auftreten. Keine andere menschliche Gruppe ist
unter so sorgfältiger und langfristiger medizinischer Kontrolle
wie die der Japanischen Atombombenopfer. Diese Daten und
andere Kollektive, die langfristig nach akuter Bestrahlung klinisch beobachtet worden sind, zeigen eindeutig, dass Dosen
über etwa 0.2 Gy eine erkennbare Anhebung der Krebshäufigkeit bei den Exponierten bedingen.
Eine besondere Schwierigkeit der Risikoabschätzung bei stochastischen Spätschäden, vor allem nach Exposition mit kleinen
63
Dosen, ist die Tatsache, dass die durch ionisierende Strahlen
ausgelösten Krebs- und Leukämieerkrankungen, ebenso wie
Erbschäden keine leicht erkennbaren spezifischen Merkmale
als Strahleneffekte aufweisen. Solche Erkrankungen werden
durch viele andere toxische Substanzen ebenfalls verursacht.
Sie treten in großem Umfang „spontan“ auf, ohne dass die
auslösende Ursache klar erkannt wird. Die Krebstodesrate in
Industrieländern liegt bei etwa 25 %, wobei regionale Schwankungen unabhängig von einer Strahlenexposition registriert
werden. Eine geringfügige Erhöhung dieser Todesrate um
Bruchteile eines Prozents eventuell durch niedrige Dosen, wie
im Bereich der natürlichen Strahlenexposition, ist daher, wenn
überhaupt, nur an sehr großen Personengruppen, d.h. Kollektiven, nachweisbar, wobei die für eine sichere Aussage notwendige Größe des Kollektivs von der Höhe der Strahlenexposition
abhängt: Je kleiner die Dosis, um so größer muss das Kollektiv sein, um einen Zusammenhang mit der Strahlung nachzuweisen. So kann leicht berechnet werden, dass zum etwaigen Hinweis auf eine strahlenbedingte Erhöhung der Krebsrate von einer zusätzlichen jährlichen Exposition mit 1 mGy die langfristige
Beobachtung von 5 bis 10 Millionen so exponierter Menschen
notwendig ist. In der Realität werden Kollektive, die auch nur
annähernd diese Bedingungen erfüllen, wohl niemals zu finden
sein. Aufgrund der hohen natürlichen oder spontanen Krebsraten
auf der Welt, besonders in Industrieländern, mit erheblichen regionalen und auch zeitlich statistisch bedingten Schwankungen,
die zum Teil durch individuelle Lebens- und Ernährungsweisen
bestimmt werden. können gegenwärtig keine eindeutigen Aussagen der Epidemiologie gemacht werden, inwieweit kleine Dosen Krebs verursachen. Bessere Zugänge zur Frage der Krebshäufigkeit bei kleinen Dosen erlauben Tierexperimente, die Mechanismen etwaiger Zusammenhänge zwischen ionisierenden
Strahlen, Krebsentwicklung und individuellen Umwelt- und Lebensbedingungen generell erklären lassen, aber durchaus nicht
einfach auf menschliche Kollektive übertragen werden können.
Bei der Entwicklung epidemiologischer Methoden, zwischen Dosishöhe und Krebsrate einen Zusammenhang herzustellen, sind
einwandfrei gemessene Daten bei höheren Dosen zur Auswertung gekommen. Hier stellt das Kollektiv der Überlebenden der
Atombomben in Hiroshima und Nagasaki den heute wichtigsten Ansatz. Aber auch andere Kollektive überexponierter
64
Personen sind meist bei chronischer Exposition vorhanden.
So stellen beispielsweise die Bergarbeiter im sächsischen
Erzbergbau ein solches Kollektiv. Dieser Personenkreis
wurde schon im 16. Jahrhundert dadurch auffällig, dass ungewöhnlich viele Arbeiter an der so genannten „Schneeberger
Krankheit" litten und starben. Diese 1879 als Lungenkrebs erkannte Krankheit hatte ihre Ursache in der Inhalation hoher
Konzentrationen von Radon und seinen Folgeprodukten mit der
Atemluft wegen unzureichender Bewetterung der Stollen, wobei Lungendosen von 10 bis 100 Sv auftraten.
Für die Abschätzung des Risikos bei kleinen Dosen benutzen
Epidemiologen meist die Methode der Extrapolation von beobachteten Effekten bei hohen Dosen. Somit wird die bei hoher Dosis und hoher Dosisleistung gefundene mehr oder weniger lineare Dosisabhängigkeit des Risikos auf den niedrigen
Dosisbereich umgerechnet. Die Rechtfertigung für das Modell der linearen Dosis-Risiko Beziehung basiert wesentlich
auf der experimentell bestätigten linearen Beziehung zwischen Dosis und der Anzahl der DNS-Schäden und der daraus folgenden Mutationsfrequenzen in exponierten Zellen
und Organismen. Lineare Extrapolationen für Krebserkrankungen unterstellen jedoch, dass ionisierende Strahlen im unteren Dosisbereich die gleiche Wirkung auf das Gesamtsystem pro Dosiseinheit haben wie bei hohen Dosen. In der Tat
liegen heute Hinweise darauf vor, dass der Gesamtorganismus
bei hohen Dosen anders reagiert als bei kleinen Dosen.
- Sekundäre Faktoren bei der Risikoanalyse
Bei der generellen Entscheidung der meisten Epidemiologen für das Modell der linearen Dosis-Risiko Beziehung bei
kleinen Dosen, werden auch andere Faktoren in Betracht
gezogen. Sie beziehen sich auf die Tatsache, dass Krebserkrankungen generell mit dem Alter häufiger auftreten. So
sind zum Beispiel für das zeitliche Auftreten der einem
Strahlenrisiko zugewiesenen Krebserkrankung nach einer
Exposition zwei Modelle entwickelt worden.
Das erste Modell bestimmt das relative Risiko und geht davon aus, dass nach der Exposition das Krebsrisiko um einen
bestimmten Prozentsatz des Spontanrisikos erhöht ist, und
dass der Faktor der Erhöhung im Laufe des Lebens konstant bleibt. Nach heutiger Kenntnis entsprechen diesem
65
Modell am besten die verfügbaren Daten über das Risiko
bei hohen Dosen für solide Krebstumoren. Es gibt neuerdings aber auch Hinweise, dass nach einigen Jahrzehnten
dieses Risiko wieder abnimmt.
Das zweite Modell betont das absolute Risiko. Es geht nach
der Exposition mit einer bestimmten Dosis von einer Gesamtzahl zusätzlicher Krebsfälle innerhalb eines bestimmten
Zeitraums aus. Nach diesem Zeitraum entspricht die Krebsrate im exponierten Kollektiv wieder der Spontanrate. Mit
diesem Modell decken sich die vorliegenden Daten über
Knochenkrebs, wie Osteosarkome, und auch Leukämien
nach hohen Dosen.
Bei der Abschätzung der Gesamtzahl aller zusätzlichen
Krebstodesfälle durch eine Strahlenexposition spielen im
Modell des relativen Risikos die mittlere Lebenserwartung
des Kollektivs und das Alter zur Zeit der Strahlenexposition
eine besondere Bedeutung. Der notwendige Beobachtungszeitraum umfasst die gesamte Lebenszeit. Beim Modell des
absoluten Risikos wird dagegen die abgeschätzte Zahl über
einen bestimmten Zeitraum lediglich durch unterschiedliche
Empfindlichkeiten der einzelnen Altersgruppen beeinflusst.
Der notwendige Beobachtungszeitraum umfasst nur die
Zeitspanne, in der das Risiko erhöht ist.
- Die Überlebenden in Hiroshima und Nagasaki
Aktuelle Daten aus Japan zeigt die Abb. 2.17. Hier sind die
Zahlen der in den einzelnen Dosiskategorien beobachteten
Personen und der in diesen Gruppen aufgetretenen Krebserkrankungen eingetragen und mit Erwartungswerten von
Kontrollkollektiven verglichen, wobei die annähernde Standardabweichung mit angegeben ist. Für die mit diesen Zahlen durchgeführte epidemiologische Auswertung wurde die
lineare Dosis-Risiko Beziehung gewählt, und zwar über den
gesamten Dosisbereich von unter 0.005 Gy bis zu über 2 Gy.
Die Begründung für die Annahme der Linearität ist, wie bereits erwähnt, die vielfach bestätigte Beobachtung, dass
DNS-Schäden mit der Dosis proportional, d. h. linear ansteigen. Mit dieser Prämisse und unter Berücksichtung der beobachteten Häufigkeit verschiedener Krebsarten bei den
einzelnen Dosiskategorien wurde dann errechnet, dass Do66
Registrierte und erwartete Tote mit solidem Carcinom
1950 – 1997 bei Atombomben Überlebenden in Japan
Dosi s
Gy
Nr. Pers.
beobachtet
Solide Ca +
beobachtet
Solid Ca +
erwartet
< 0.005
37458
3833 ± 62
3844 ± 62
0.005 - 0.1
31650
3277 ± 57
3221 ± 57
0.1 - 0.2
5732
688 ± 26
622 ± 25
0.2 - 0.5
6332
763 ± 28
678 ± 26
0.5 - 1.0
3299
438 ± 21
335 ± 18
1.0 - 2.0
1613
274 ± 17
157 ± 13
488
82 ± 9
86 572
100 %
9335 ± 97
10.8 %
2.0 +
Gesamt
Prozent
38 ±
6
8895 ± 30
10.3 %
nach Preston DL et al., 2003
Abb. 2.17
sen bereits im Bereich von 0.05 Gy krebsauslösend sein
könnten. Die Zahlen in Abb. 2.17 belegen den relativ kleinen
Anteil von etwa 0.5 % von tödlichen Krebserkrankungen, die
im Gesamtkollektiv der exponierten Personen über die Jahre
als strahleninduziert gelten könnten. Die hohe Zahl spontaner Krebserkrankungen macht es in kleinen Dosisbereichen
besonders schwierig, wenn nicht gar unmöglich, den einer
Strahlenexposition rechnerisch zugeordneten Anteil der
Krebserkrankungen tatsächlich der Einwirkung von Strahlen
zuzuschreiben. Die Anwendung des Modells der linearen
Dosis-Risiko Beziehung, wie sie sich aus der Analyse von
DNS-Schäden ergibt, gilt vielen Strahlenschützern bis heute
noch als der sicherste Weg für einen optimalen Strahlenschutz.
Das Bemühen, den best möglichen Strahlenschutz zu gewährleisten, führte die Internationale Strahlenschutzkommission (ICRP) schon in der 70er Jahren dazu, mit Hilfe des
Modells der linearen Dosis-Risiko Beziehung die Krebshäufigkeit in der exponierten Population pro Dosis-Einheit
anzugeben und zudem auch für einzelne Krebsarten solche
Wahrscheinlichkeiten zu benennen und diese Werte jeweils
den neuen im wesentlichen aus Japan stammenden Erhebungen anzupassen. Andere internationale Organisationen
67
unternahmen ähnliche Bemühungen und veröffentlichten
Daten zum Risiko im Laufe des Lebens an strahleninduziertem Krebs zu erkranken. Die folgende Aufstellung vergleicht
die Schätzungen des Lebenszeitrisikos pro Dosis-Einheit für
eine Reihe strahleninduzierter Krebserkrankungen, wie sie
1991 von der Internationalen Strahlenschutzkommission
(ICRP), und 2000 von der Wissenschaftlichen Kommission
für Effekte Atomarer Strahlung der Vereinten Nationen
(UNSCEAR) vorgetragen worden sind. Alle diese Angaben
wurden unter Anwendung des Modells der linearen DosisRisiko Beziehung im kleinen Dosisbereich erstellt und zwar
unter Berücksichtigung des relativen und absoluten Risikos.
Geschätztes Lebenszeitrisiko pro 0.01 Gy pro 106
exponierte Personen
(Spontan-Risiko liegt bei etwa 250,000 pro 106 Personen)
KREBSICRP 1991 UNSCEAR 2000*
ERKRANKUNG
Leukämie
50
50
Alle Krebserkrankungen
außer Leukämie
450
520
Verdauungstrakt
Speiseröhre
30
25
Magen
110
18
Kolon
85
75
Leber
15
20
Lungen
85
160
Weibliche Brust
20
43
Knochen
5
Haut
2
Eierstöcke
10
Blase
30
22
Niere
Schilddrüse
8
Andere solide Krebserkrankungen 50
160
Für UNSCEAR * = Mittelwert verschiedener Ansätze (relatives vs. absolutes Risiko)
68
- Für einzelne Organe geschätzte Risikoanteile am
Gesamtrisiko
Aus den obigen Daten hat die ICRP 1991 für den praktischen Strahlenschutz eine Reihe von Wichtungsfaktoren
empfohlen. Diese geben denjenigen geschätzten Anteil von
zu erwartenden strahleninduzierten Gesamtkrankheitsfällen
an, der in einer Population nach Ganzkörperexposition mit
einer bestimmtem Dosis in Sv auf das jeweilig aufgeführte
Organe entfällt. Wichtungsfaktoren sind somit Ausdruck von
definierten Risiken und basieren auf der Annahme einer linearen Dosis-Risiko Beziehung in kleinen Dosisbereich. Die
erfassten Erkrankungen schließen sowohl genetische Schäden als auch stochastische Spätschäden in Sinne von
Krebserkrankungen ein:
Keimdrüsen (Risiko durch vererbbare,
d.h. genetische, Schäden)
0,20 (20 %);
Rotes Knochenmark (Leukämierisiko), Lunge,
Enddarm und Magen
je 0,12 (je 12 %);
Brust, Schilddrüse, Blase, Leber und
Speiseröhre
je 0,05 (je 5 %);
Knochenoberfläche und Haut
je 0,01 (je 1 %);
Alle übrigen Gewebe insgesamt
Summe (Gesamtkörper)
0,05 (5 %);
=1
(100 %).
Es ist offensichtlich, dass die hier genannten Wichtungsfaktoren Näherungswerte sind und Spätschäden zusammenfassen wollen, welche zum Zwecke des Strahlenschutzes
auch zur Ermittlung der so genannten „effektiven Äquivalentdosis" dienen sollen. Diese Dosis in Sv repräsentiert das
genetische und somatische Gesamtrisiko für strahleninduzierte Spätschäden; das heißt, sie ist die Summe aller entsprechend den Organempfindlichkeiten gewichteten Teilkörperäquivalentdosen.
- Andere epidemiologische Studien an exponierten
Populationen
Neben den Studien in Japan sind verschiedene große epidemiologische Studien vor allem in den letzten Jahren veröffentlicht worden: an Arbeitern in der Kernkraftindustrie und
im Uranbergbau verschiedener Länder, und in Werften von
69
Kernkraft getriebenen Schiffen, sowie an solchen Bevölkerungsgruppen, die erhöhter Strahlenexposition in der Nähe
von Kernwaffen produzierenden Anlagen ausgesetzt waren,
oder die in der medizinischen Strahlenkunde vor allem in der
Frühphase der Röntgenologie gearbeitet haben. Bei nahezu
all diesen Studien wurden die Daten prinzipiell nach dem
Modell der linearen Dosis-Risiko Beziehung im kleinen Dosisbereich ausgewertet. Die entsprechenden Schlussfolgerungen sind widersprüchlich.
Es scheint, dass bei chronischer Exposition mit kleinen Dosen erst bei relativ hohen akkumulierten Dosen das Krebsrisiko erkennbar ansteigt. Ein besonders hoher Schwellenwert
von etwa 5 Gy zeigte sich bei Malerinnen von Uhrenzifferblättern mit Leuchtfarben, die Radium-226 und Radium-228
enthielten. Die Malerinnen befeuchteten die feinen Pinsel
mit der Zunge, und das so im Körper aufgenommene Radium mit seinen D-Teilchen führte zu chronischer Bestrahlung
und nach Jahren zur Entwicklung von Knochensarkomen.
Ein noch höherer Schwellenwert von etwa 10 Gy war für
Knochensarkom bei chronisch exponierten Hunden mit
Strontium-90, einem reinen E-Strahler, zu sehen. Auch bei
epidemiologischen Analysen von Kernindustrie-Arbeitern,
die chronisch hauptsächlich Ȗ-Strahlung ausgesetzt waren,
ergaben ohne Anpassung der in den Dosis-Kategorien beobachteten Krebshäufigkeiten an das Modell der linearen
Dosis-Risiko Beziehung, dass im kleinen Dosisbereich die
erhobenen Zahlen an Krebskrankheiten nicht nur keine statistisch signifikante Anhebung erkennen lassen, sondern
eher einen Dosis-Schwellenwert für die Induktion von
Krebserkrankungen ergaben oder sogar eine Verringerung
der Krebserkrankungen zeigten.
Zablotska LB et al. publizierten 2004 die Mortalität bei
45.468 Arbeitern der kanadischen Kernkraftindustrie nach
chronischer Exposition mit niedrigen Strahlendosen: „Für alle soliden Krebsarten zusammen zeigt die kategorische
Analyse eine signifikante Verringerung des Risikos in der
Kategorie 1–49 mSv im Vergleich zur niedrigsten Kategorie
(< 1 mSv) mit einem relativen Risiko von 0.699 (95 % VI:
0.548, 0.892).“ und „Über 100 mSv schien das Risiko zu
steigen.“
70
Auf Grund früher bekannter Daten und nun neuerer zahlreicher experimenteller und epidemiologischer Untersuchungsergebnisse über den Mangel an beobachtbarer Linearität
der Beziehung zwischen Krebs und kleinen Dosen hat sich
vor allem in den letzten Jahren der Zweifel an der Richtigkeit
der wissenschaftlichen Grundlage der Anwendung der linearen Dosis-Risiko Beziehung verstärkt. Diese Tendenz wird
unterstützt durch strahlenbiologische Grundlagenforschung
über die Wirkung kleiner Dosen auf komplexe biologische
Systeme. Zunehmend werden systemimmanente und
Schutz bringende Reaktionen neben DNS- und anderen
Schäden berichtet. Auch die ICRP hat stets betont, dass die
Annahme einer linearen Dosis-Risiko Beziehung bis zur
kleinsten Dosis zwar für den Strahlenschutz die höchste Sicherheit bringt, aber für die Anwendung in epidemiologischen Studien wissenschaftlich nicht begründet ist. Vor allem erscheint es nicht angebracht, unter Einsatz der linearen Dosis-Risiko Beziehung im kleinen Dosisbereich Vorraussagen zu machen, wie viele Krebserkrankungen nach
einer Exposition im kleinen Dosisbereich auftreten, wie dies
vor allem nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl ausgiebig gemacht worden ist.
2.5.
Anstehende Modifikationen der Risikoanalyse
Die möglichen Dosis-Risiko Beziehungen für Strahlenkrebs
Angesichts dieser neueren Entwicklungen ist es angebracht,
alternative Modelle der Dosis-Risiko Beziehung zu betrachten. Sicher hat das Modell der linearen Dosis-Risiko Beziehung eine gewisse Stütze in der Grundlagenforschung und
auch viele Vorteile in der praktischen Anwendung für eine
Risikoanalyse, wie oben dargelegt. Aber sie verführt auch zu
nur scheinbar gültigen Aussagen, deren Gewicht in der breiten Öffentlichkeit eindeutig zu einer großen Strahlenangst
geführt hat, welche auch medizinisch gerechtfertigte Strahlenexpositionen im Bereich ärztlicher Anwendung erschwert
und jede beruflich bedingte Strahlenexposition wo auch immer ausschließen will, wenn sie sogar unter den Dosen liegen, die natürlicherweise auf der Erde unvermeidbar sind.
71
So ergibt sich die Situation, dass Patienten aufgrund ihrer
Angst vor Strahlen strahlendiagnostische Untersuchungen
ablehnen, damit das frühzeitige Erkennen einer Erkrankung
verhindern und sich somit selbst einen größeren Schaden
durch eine zu späte oder unterlassene Therapie zufügen.
Für eine rationale Risiko-Nutzen-Analyse einer Strahlenexposition haben sowohl das eigentliche Strahlenrisiko als
auch medizinisch-psychologischen Risiken wie auch die mit
diesen verbundenen Kosten für die Allgemeinheit hohen
Rang.
Die für die Strahlenschutz offensichtlich zentrale Bedeutung
der linearen Dosis-Risiko Beziehung für Krebserkrankungen
durch kleine Dosen wird gegenwärtig von Befürwortern und
Gegnern kontrovers diskutiert. Die Befürworter sehen in der
Linearität der Beziehung zwischen DNS-Schäden und Dosis
die stärkste Stütze ihrer Argumente, wobei sie auch auf die
große Tradition der mit dem Nobelpreis gewürdigten strahlenbiologischen Mutationsforschung verweist. Die Gegner
der linearen Dosis-Risiko Beziehung für strahleninduzierten
Krebs bei kleinen Dosen berufen sich sowohl auf neuere
Analysen epidemiologischer Daten wie vor allem auf die
neueren Forschungsergebnisse der Strahlenbiologie vor allem der beiden letzten Jahrzehnte mit Entdeckungen von
strahleninduzierten komplexen Systemreaktionen bei kleinen Dosen, wie adaptive Protektion, Bystander Effekten,
und der Instabilität des Genoms.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass große Anstrengungen
gemacht werden, um zu einer vernünftigen und dem Schutz
des Menschen wie der Natur dienenden Modell einer wissenschaftlich begründeten und gesellschaftlich akzeptablen
Dosis-Risiko Beziehung bei kleinen Dosen zu kommen. Die
Abb. 2.18 zeigt die grundsätzlich bestehenden Alternativen
der Dosis-Risiko Beziehungen: die supra-lineare, die lineare,
die linear-quadratische, die Schwellen- und HormesisFunktion. In dieser Darstellung ist die Dosis als Logarithmus
eingetragen, um die im kleinen Dosisbereich großen Variationsmöglichkeiten leichter zu veranschaulichen.
Bei der Abwägung der unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten dieser fünf prinzipiell möglichen und auf Modellen basierenden Funktionen müssen zelluläre Besonderheiten je nach
72
Alternative
Dose-Risk
Functions
Options
of
Low-Dose
Induced
Cancer Risk
Mögliche
Dosis-Risiko
Beziehungen
relatives Risiko für Krebs
für durch
Strahlung bedingten
Radiation-Induced
Cancer Krebs
Supralinearität ?
Linearität ?
ĮD • ȕD2 ?
1
Log. Dosis
Dose D
Log.
D
Schwelle ?
Hormesis ?
Abb. 2.18
Organismus, Zellart, Zellstoffwechsel und Zellzyklusphase
berücksichtigt werden. Aber ungeachtet der indivi-duell speziellen Strahlenempfindlichkeit verschiedener Organismen
und Zellsysteme ist doch allen biologischen Systemen gemeinsam, dass sie in hierarchisch organisierten Strukturen
mit ihren besonderen Signalnetzen Mechanismen besitzen,
die dem Erhalt des gesamten Organismus dienen, wie dies
bereits erläutert wurde.
Physiologische Abwehr- und Anpassungsreaktionen
biologischer Systeme
Die biologischen Antwortreaktionen auf Störungen der Homöostase in biologischen Systemen hängen vom Ausmaß der
Störung ab, d. h. von ihrer Qualität und Quantität, und von der
Art der betroffenen Zellen und Gewebe. Um es erneut zum
Ausdruck zu bringen, bei minimalen Störungen kommt es generell relativ schnell zur Wiederherstellung der physiologischen Ausgangslage, während bei größeren bzw. ernsteren
Störungen zunehmend kompliziertere Regelkreise mitspielen,
die wiederum andere Signalnetze mit ihren Folgereaktionen
auf höheren Organisationsebenen beeinflussen können.
Kommt es zu partieller Zerstörung funktionstragender Strukturen, reagieren biologische Systeme mit dem Bemühen der
73
Reparatur. Beispiele solcher Reaktionen wurden bereits im
Kapitel “Abwehr- und Reparaturmechanismen“ genannt.
Über die direkten Reaktionen immanenter Abwehrmechanismen hinaus können kleine Dosen wie auch andere Stress
auslösende Störungen in betroffenen biologischen Systemen verspätet einsetzende und meist nur zeitweise wirksame Reaktionen verursachen, welche die vorhandenen Abwehrmechanismen vorübergehend stärken und somit das
System vorübergehend anpassen, d. h. adaptieren, um erneut auftretende Störungen effektiver zu bewältigen als dies
bei der vorangegangenen Störung der Fall war. Adaptive
Reaktionen können alle Organisationsebenen umfassen,
Gen-Expressionen ändern, und erscheinen als 1.) verbesserte Abwehr gegen toxische Agenzien, wie reaktive Sauerstoffradikale, d.h. ROS, 2.) verbesserte und beschleunigte
DNS-Reparatur mit Änderungen des Zellzyklus zwischen
den Zellteilungen, und 3.) Stimulierung der Schadensbeseitigung zum Beispiel durch Signal-induzierten Zelltod, d. h.
Apoptose, oder durch Stimulierung der Immunabwehr, sowie
Zelldifferenzierung. Bei Dosen über etwa 0.1–0.2 Gy wurde
das Versagen dieser adaptiven Reaktionen ausgenommen
die Apoptose zunehmend deutlich. Eine Zusammenfassung
veröffentlichter Daten zur Dosisabhängigkeit beobachteter
adaptiver Reaktionen zeigt schematisch die Abb. 2.19.
Induktion von Schutz durch niedrigere Dosen
Schutz vor Gewebeschaden
Schema der Dosisabhängigkeit des adaptiven Schutzes
Adaptiver Schutz involviert
Gen Expression und bringt:
• Schutz vor DNS-Schaden
• Reparatur von DNS-Schaden
• Immunreaktion
• Zelltod (Apoptose)
max. Ȉ Schutz
| 0.6 - 1
0.1
Feinendegen LE, 2005
Abb. 2.19
74
0.2
0.3
0.4
0.5
0.6
0.7
Dosis (Gy)
A
Induktion von Schutz durch niedrige Dosen
Schema der Dauer des adaptiven Schutzes (tp)
Normalisierte Reaktion
DNS Schutz (ROS Abbau); Apoptose
DNS Reparatur; Zellproliferation
Immunreaktion
Sofort-Reparatur
0
0
Stunden
Tage
Wochen
Monate
Log Zeit nach einmaliger Bestrahlung
Feinendegen LE 2005
Abb. 2.20
Die Dauer der Wirkung dieser Reaktionen ist schematisch in
Abb. 2.20 aufgetragen. Die in verschiedenen biologischen
Systemen insbesondere in Mäusen und Ratten erhobenen
experimentellen Daten lassen erkennen, dass die unterschiedlichen Schutzmechanismen nach ihrer Induktion von
Stunden bis mehrere Wochen anhalten. Besonders lange
währt der induzierte Immunschutz, der sich über mehrere
Monte erstrecken kann. Diese relativ neuen Untersuchungsergebnisse bei unterschiedlichen biologischen Systemen
schließen auch Dosis spezifische Änderungen der Expression von zahlreichen Genen ein.
Reaktion biologischer Systeme
auf ionisierende Strahlung
Organismus
Zellen
*HVXQGKHLWVVFKDGHQVWHLJW
QLFKWSURSRUWLRQDO
PLW0ROHN¾O=HOOVFKDGHQ
XQGEHLNOHLQHQ'RVHQ
QLFKWOLQHDUPLW'RVLV
%HLNOHLQHQ'RVHQ
VWHLJHQ'166FK¦GHQ
OLQHDUPLW'RVLV
DNS
Feinendegen LE, Neumann RD, 2005
Abb. 2.21
75
Die Abb. 2.21 skizziert schematisch die Bedeutung der physiologischen sofortigen Abwehr- und verspäteten Anpassungsprozesse biologischer Systeme für das Ausmaß von
Gesundheitsschäden als Folge von Primärschäden auf der
atomar-molekularen Organisationsebene, d. h. auch der
DNS. Der für DNS-Schäden beobachtete lineare Anstieg mit
zunehmender Dosis setzt sich im Gesamtsystem des Organismus nicht fort. Erst wenn die physiologischen Prozesse
zur sofortigen Kontrolle der Homöostase und für die adaptiven Reaktionen auf den verschiedenen Organisationsebenen erlahmen oder zerstört werden, zum Beispiel durch hohe Dosen, kann ein Schaden auf der untersten Organisationsebene sich sozusagen wenig gehindert mit hoher Wahrscheinlichkeit im gesamten System ausbreiten, z. B. vom
DNS-Schaden zur Krebszelle, und mit Latenzzeiten von
Jahren zum tödlichen Tumor führen. Daher erscheint die
Wahrscheinlichkeit strahlenbedingter Krebserkrankungen
solange nicht proportional zum Ausmaß strahleninduzierter
DNS-Schäden zunehmen, wie die sofortigen Abwehr- und
verspäteten Anpassungsprozesse intakt funktionieren. Erst
hohe Dosen, wie experimentell und epidemiologisch nachgewiesen, bedrohen den Gesamtorganismus proportional
zum Ausmaß des DNS-Primärschadens. Die Information in
Abb. 2.21 dient als Begründung für die Rechtfertigung der
Annahme, dass in Abb. 2.18 diejenigen Dosis-Risiko Funktionen unwahrscheinlich sind, die im kleinen Dosisbereich
eine lineare oder supra-lineare Dosis-Risiko Beziehung annehmen. So bleiben die Schwellendosis oder/und die Hormesis Funktionen eher wahrscheinlich.
2.6.
Hormesis und kleine Dosen
Wie im diesem Abschnitt näher erläutert wird, verdient die
Hormesis Funktion nach Bestrahlung mit niedriger Dosis eine
besondere Erwähnung und Erklärung, auch wenn sie gegenwärtig von zahlreichen im Strahlenschutz arbeitenden Personen und vielen Strahlenbiologen als völlig konträr zum bestehenden System des Strahlenschutzes zurück gewiesen wird.
Die Frage lautet, wie kann eine niedrig dosierte Strahlenexposition zu einer Verringerung der spontanen Krebshäufigkeit in einer Population führen, oder wie kann die Wahr76
scheinlichkeit einer Krebserkrankung oder einer anderen Erkrankung in einer mit kleiner Dosis bestrahlten Person unter
die entsprechend natürlich gegebene Wahrscheinlichkeit
sinken? Wie können vorliegende diesbezügliche epidemiologische und tierexperimentelle Daten erklärt werden? In
den letzten Jahren sind viele wissenschaftliche Untersuchungen gemacht worden, deren Ergebnisse die gestellte
Frage einer Beantwortung zumindest nahe bringen.
Die wesentliche Erklärung geht von der Tatsache aus, dass
die von ionisierenden Strahlen erzeugten biologischen Effekte im kleinen Dosisbereich sehr ähnlich solchen Effekten
sind, die im normalen Zellstoffwechsel auftreten. Hier spielen die reaktiven Sauerstoff-Radikale, ROS, eine besondere
Rolle. Diese sind je nach dem Ort ihrer Entstehung und ihrer
Konzentration in der Zelle sowohl Signalsubstanzen wie
auch Gifte. So wird heute allgemein zugestimmt, dass im
Stoffwechsel der Zelle produzierte ROS ständig DNSSchäden verursachen. Das Ausmaß dieser Schäden ist so
groß, dass mit modernen Methoden erkannt wird, dass pro
Zelle im Körper im Mittel pro Tag etwa zwischen 0.1 und etwa 5 DNS-Doppelstrangbrüche, DNS-DSB, entstehen, wobei wahrscheinlich ist, dass mit fortschreitendem Alter des
Individuums die Zahl der DNS-DSB zunimmt und eher im
oberen Bereich liegt. Diese DNS-Schäden werden wesentlich verantwortlich für das Auftreten spontaner Krebserkrankungen gemacht. Die Wahrscheinlichkeit tödlicher Krebserkrankungen in Industrieländern liegt pro Person bei etwa
0.25, d. h. etwa 1 von 4 Personen mit langer Lebenserwartung in Industrieländern stirbt an einem bösartigen Tumor.
Die Wahrscheinlichkeit durch Strahlen induzierter Krebserkrankungen ist dagegen verhältnismäßig sehr klein, wie
Abb. 2.17 zeigt.
Es wurde berechnet und experimentell untermauert, dass
die endogen im Laufe des normalen Stoffwechsels auftretenden DNS-DSB etwa 1000 mal häufiger im Mittel pro Zelle
pro Tag sind als die durch normale Hintergrundstrahlung im
Körper unausweichlich erzeugten DNS-DSB. Wenn die in
Abschnitt „Die Überlebenden von Hiroshin and Nagasaki“
genannten Zahlen auch für kleine Dosen angenommen werden, wäre wohl wegen der relativ häufig qualitativ komplexeren Art der durch Strahlen verursacht DNS-DSB das Ver77
hältnis der spontanen Krebshäufigkeit ( ~ 250 000) in einer
Population von einer Million Personen zu der durch lebenslanger Hintergrundstrahlung (50 x 0.002 Gy ~ 0.1 Gy) verursachten Krebshäufigkeit in dieser Population (5000) nicht
1000 sondern nur etwa 50. Dies dürfte bedeuten, dass DNSDSB von ionisierenden Strahlen etwa 20 (1000 / 50) mal effektiver für die Erzeugung von zum Tode führenden Krebs
sind als die DNS-DSB durch endogene Stoffwechselgifte,
wie ROS.
Die oben detaillierter erwähnten adaptiven Reaktionen nach
kleinen Dosen bringen nicht nur Schutz gegen ionisierende
Strahlen, sondern auch gegen andere toxische Substanzen,
die DNS-Schäden verursachen. Hier spielen die ROS eine
besondere Rolle. So darf man zu Recht annehmen, dass
adaptiver Schutz auch gegen ROS wirksam ist. Diese Annahme ist konsistent mit einer Reihe von tierexperimentellen
Untersuchungen. Unter dieser Annahme stellt sich die Frage, ob der von kleinen Dosen bewirkte Schutz gegen spontane Krebsentstehung so groß sein kann, dass der von kleinen Dosen selbst verursachte Schaden ausgeglichen wird,
oder der Schutz sogar größer ist als der durch Strahlen induzierte Schaden. Verschiedene, auf experimentellen Beobachtungen beruhende Berechnungen zeigen, dass die gestellte Frag positive beantwortet werden kann. Das folgende
Beispiel soll dies erläutern, auch wenn das Resultat eine
grobe Vereinfachung der Abschätzung ist:
1. Die Krebshäufigkeit mit tödlichem Ausgang beträgt in
den Industrieländern etwa 250 000 pro einer Million
Menschen.
2. Das von 0.01 Gy induzierte Lebenszeitrisiko für Krebserkrankungen liegt nach den Angaben im Abschnitt 2.4.2.3.
bei etwa 550-600 pro einer Million erwachsene Personen. Dabei ist nochmals zu betonen, dass diese Zahl auf
der Annahme einer linearen Dosis-Risiko Beziehung basiert, welche wie oben erläutert eher eine Überschätzung
des tatsächlichen Risikos bringen dürfte.
3. Wird das Lebenszeitrisiko für zum Tode führende Krebserkrankungen auf einen Zeitraum von 50 Jahren, d.h. 600
Monaten, angesetzt, entstehen im Mittel etwa 420 tödliche
Krebserkrankungen pro Monat (250 000/ 600 ~ 420).
78
4. Wenn der von 0.01 Gy induzierte adaptive Schutz umfassend etwa 1.5 Monate anhalten würde, wie dies Abb.
20 zeigt, wäre der durch Strahlen induzierte Schutz vor
spontanem Krebsrisiko etwa gleich hoch wie das durch
Strahlen induzierte Risiko.
5. Damit würde klinisch keine Erhöhung der Krebshäufigkeit
nach 0.01 Gy zu erkennen sein.
Bei der Annahme einer kleineren oder höheren Dosis würden sich die obigen Zahlen natürlich ändern; aber der Effekt
eines Schutzes gegen spontane Krebserkrankung würde
bleiben, und zwar so lange, wie die Dosis in demjenigen Bereich bleibt, in dem adaptive Schutzmechanismen optimal
beobachtet werden, wie dies in Abb. 2.19 zu erkennen ist.
Generell erscheint das Nettorisiko von durch Strahlen induzierten Krebserkrankungen gleich zu sein der Differenz zwischen den beiden dosisabhängigen Wahrscheinlichkeiten: 1.
der durch Strahlen induzierten Krebserkrankungen hier maximal basierend auf der linearen Dosis-Risiko Beziehung
über primäre DNS-Schäden, und 2. der durch Strahlen systembiologisch verminderten spontanen Krebserkrankungen.
Dies illustriert das Schema in Abb. 2.22 für den Fall einer
Dualer Effekt kleiner Dosen (niedrig-LET)
– Krebsri si ko +
Schema von Dosi s-Ri siko Beziehungen bei Krebserkrankungen
Induktion von
primären
DNS -Schäden
?
Netto
Krebsri siko
„Spontaner“ Krebs
Wirkung von
physiologi schem und
adaptivem Schutz
0.2
0.4
Feinendegen LE, Neumann RD, 2005
0.6
0.8
Dosi s (Gy)
Abb. 2.22
79
einmaligen Exposition. Die in dieser Abb. eingezeichneten
Kurven veranschaulichen schematisch eine Reihe von Befunden, die weiter zu präzisieren sind aber grundsätzlich eine experimentelle Grundlage haben.
2.7
Literatur
Alberts, B., D. Bray, et al. (1994). Molecular Biology of the Cell.
New York, Garland Publication.
Cottier, H., L. E. Feinendegen, et al. (1994). Arzt und Strahlenunfälle. Bern, Göttingen, Toronto, Seattle, Verlag Hans Huber.
Feinendegen, L. E., H. Muehlensiepen, et al. (1983). Acute effect of very low dose in mouse bone marrow cells: a physiological response to background radiation? Biological Effects of
Low Level Radiation. International Atomic Energy Agency.
Vienna, Austria: 459-471.
Feinendegen, L. E. (1991). Radiation risk of tissue late effect, a
net consequence of probabilities of various cellular responses.
Eur J Nucl Med 18: 740-751.
Feinendegen, L. E., M. K. Loken, et al. (1995). Cellular mechanisms of protection and repair induced by radiation exposure
and their consequences for cell system responses. Stem Cells
13 (suppl 1): 7-20.
Feinendegen, L. E. and R. D. Neumann (2000). Cellular
Response to Low Doses of Ionizing Radiation. Washington,
DC, Bethesda, MD, USA, Workshop of the US Department of
Energy (DOE) National Institutes of Health (NIH): SC-047.
Feinendegen, L. E., V. P. Bond, et al. (2000). The dual
response to low-dose irradiation: Induction vs. prevention of
DNS damage. Biological Effects of Low Dose Radiation.
M. C. Yamada, Mothersill C., Michael, B.D., Potten C, Excerpta
Medica. Amsterdam, London, New York, USA, Elsevier: 3-17.
Feinendegen, L. E. (2005). Low doses of ionizing radiation:
Relationship between biological benefit and damage induction.
A synopsis. World J Nucl Med 4: 21-34.
Feinendegen, L. E. and R. D. Neumann (2005). Physics must
join with biology in better assessing risk from low-dose irradiation. Radiat Prot Dosim. 117: 346-356.
80
Friedberg, E. C., G. C. Walker, et al. (1995). DNS Repair and
Mutagenesis. Washington, DC, USA, ASM Press.
Hall, E.J. (2000). Radiobiology for the Radiologist 5th ed. Philadelphia, Baltimore, New York, USA, Lippincott Williams&Wilkins.
International Commission on Radiation Units and Measurements (ICRU) (1998). Fundamental Quantities and Units for
Ionizing Radiation. ICRU Report 60. Bethesda, MD, USA.
Kondo, S. (1993). Health Effects of Low Level Radiation. Kinki
Univ Press. Osaka, Japan, Medical Physics Publishing, Madison, WI, USA.
Lodish, H., A. Berk, et al. (2000). Molecular Cell Biology, 4th
ed. New York, NY, USA, W.H. Freeman & Co.
Luckey, T. D. (1991). Radiation Hormesis. Boca Raton,
USA, CRC Press.
Muller, W. U., T. Bauch, et al. (2001). Radiation sensitivity of
lymphocytes from healthy individuals and cancer patients as
measured by the comet assay. Radiat Environ Biophys 40: 8389.
Pollycove, M. and L. E. Feinendegen (2003). Radiation-induced
versus endogenous DNS damage: Possible effect of inducible
protective responses in mitigating endogenous damage.
Human Exper Toxicol 22: 290-306.
Streffer, C., H. Bolt, et al. (2004). Low Dose Exposures in the
Environment, Dose-Effect Relations and Risk Evaluation. Berlin, Heidelberg, New York, Springer Verlag
Sugahara, T., L. A. Sagan, et al. (1992). Low-Dose Irradiation
and Biological Defense Mechanisms. Amsterdam, Niederlande,
Excerpta Medica.
Tubiana, M. and A. Aurengo (2005). Dose-effect relationship
and estimation of the carcinogenic effects of low doses of ionizing radiation. Paris, French Academy of Sciences.
United Nations Scientific Committee on the Effects of Ionizing
Radiation. (UNSCEAR) (1994). Sources and Effects of Ionizing
Radiation, Adaptive Responses to Radiation in Cells and Organisms. UNSCEAR 1994 Report. Annex B. New York, USA,
United Nations.
United Nations Scientific Committee on the Effects of Ionizing
Radiation (UNSCEAR) (2000). Report to the General Assembly,
with 10 scientific Annexes. New York, USA, United Nations.
81
3.
3.1
Anwendung ionisierender Strahlung
in Technik, Wissenschaft und Medizin
Energieerzeugung (Kernspaltung, Fusion)
Im Jahre 1938 machten Otto Hahn und Fritz Strassmann die
Entdeckung, dass beim Beschuss von Uran mit thermischen
Neutronen ein radioaktives Bariumisotop entsteht. Nachdem
Lise Meitner und Otto Frisch die Beobachtungen der beiden
kurze Zeit später als Spaltung der Urankerne interpretiert
hatten, dauerte es nur 4 Jahre, bis Enrico Fermi die erste
auf der Spaltung von 235Uran basierende Kettenreaktion in
Gang gesetzt hatte. Durch den gerade stattfindenden Zweiten Weltkrieg wurde auch an die militärische Nutzung dieser
Entdeckung gedacht und entsprechende Forschungs- und
Entwicklungsarbeiten fanden ihren grimmen Höhepunkt im
Bau von Atombomben („Manhattan Projekt“). Die tragischen
Folgen der Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki machten klar, welch zerstörerisches Potential in der
Kernspaltung innewohnen kann. Nach Beendigung des
Krieges wurde intensiv an Wegen zur friedlichen Nutzung
der in Atomkernen enthaltenen Energie gearbeitet. Im Jahre
1997 existierten weltweit 437 Kernkraftwerke, die zusammen eine Kapazität von 352 GW elektrischer Leistung
aufwiesen. Die mittels Kernkraft produzierte elektrische
Energie entsprach einem Anteil von etwa 17 % an der global
produzierten elektrischen Energie und machte etwa 6 % des
globalen Energieverbrauchs aus (UNSCEAR 2000).
Für das Verständnis der Kernenergie ist die Tatsache wichtig, dass sich die Bindungsenergie eines jeden Nukleons
(d.h. eines Protons oder Neutrons) im Atomkern, ausgehend
von leichten Kernen bis hin zu Kernen mit einer Massenzahl
von etwa 60 erhöht. Dort erreicht sie ihr Maximum von circa
8,5 MeV pro Nukleon und nimmt dann für noch höhere
Atommassen wieder ab (Abb. 3.1).
82
Lithium
Abb. 3.1: Kernbindungsenergie pro Nukleon in Abhängigkeit
von der Massenzahl des Atomkerns (Quelle: Lexikon der Kernenergie)
Daher ist es möglich, sowohl durch Fusion zweier leichter
Kerne als auch durch die Spaltung zweier schwerer Kerne
nukleare Energie zu gewinnen.
Kernfusion
Bei leichten Kernen mit gerader Neutronen- und Protonenzahl (z. B. 4He) ist die Bindungsenergie pro Nukleon verglichen mit der Bindungsenergie benachbarter Kerne besonders hoch (Abb. 3.1). Eine typische Fusionsreaktion, bei
der 4He entsteht, ist die so genannte DT-Reaktion. Dabei
verschmelzen ein Deuterium- und ein Tritiumkern, wobei
ein 4He-Kern und ein Neutron entstehen. Etwa 80 % der dabei freigesetzten Energie von 17,6 MeV wird auf das Neutron übertragen, das deshalb wieder durch Sekundärprozesse "eingefangen" und energetisch genutzt werden muss.
Der Energiegewinn der Reaktion beträgt also etwa 3,5 MeV
pro Nukleon und ist damit deutlich höher als der Wert von
83
0,9 MeV pro Nukleon, der beispielsweise für die Spaltung
von 235U typisch ist (siehe unten).
Problematisch für die technische Realisierung und Nutzung
der Kernfusion als Energiequelle ist, dass zur Fusion zweier
Kerne erst deren Coulomb-Abstoßung überwunden werden
muss. Aus klassischen Überlegungen geht hervor, dass im
Falle der DT-Reaktion dazu eine Energie von 0,4 MeV benötigt würde, was in einem thermischen Plasma einer Temperatur von etwa 3 x 109 Kelvin entspräche. Quantenmechanische Effekte führen zwar dazu, dass bereits deutlich
niedrigere Temperaturen ausreichen, um eine Fusion beider
Kerne zu erlauben. Allerdings sind die für einen kontrollierten, kontinuierlichen Betrieb eines Fusionsreaktors nötigen
Temperaturen immer noch so hoch, dass die damit verbundenen wissenschaftlichen und technologischen Schwierigkeiten die Entwicklung eines routinemäßig einsetzbaren Fusionsreaktors bis jetzt verhindert haben. Da im Gegensatz
dazu weltweit eine Vielzahl an Kernreaktoren in Betrieb ist,
soll der Schwerpunkt der weiteren Diskussion auf der Kernspaltung liegen.
Kernspaltung
Bei der asymmetrischen Spaltung des Uranisotops 235U (das
in der Natur nur mit einer Isotopenhäufigkeit von 0,7 % vorkommt) in zwei Spaltfragmente mit Massenzahlen im Bereich von etwa 90 und 140 werden im Mittel circa 0,85 MeV
pro Nukleon an Bindungsenergie frei, was einer Energie von
etwa 200 MeV entspricht. Diese Energie verteilt sich auf die
kinetische Energie der Spaltfragmente (83 %), sowie auf
prompte Gammastrahlung (4 %) und die bei den E-Zerfällen
der Spaltfragmente entstehenden Elektronen (3 %), Antineutrinos (5 %) und Gammaquanten (3 %). Pro Spaltung eines 235U-Kerns werden zudem im Mittel 2,5 Neutronen frei,
die eine kinetische Energie von etwa 5 MeV (ca. 2 %) mit
sich führen. Ein großer Teil der bei der Kernspaltung frei
werdenden Energie führt durch Abbremsung der emittierten
energetischen Partikel letztendlich zu einer Aufheizung des
verwendeten Kernbrennstoffs. Über ein Kühlmittel kann diese primäre Wärme beispielsweise über einen Wärmetauscher abgegeben und der in einem Sekundärkreislauf er84
zeugte Dampf Turbinen zur Elektrizitätserzeugung zugeführt
werden.
Nicht alle spaltbaren Isotope sind für die Energieerzeugung
gleichermaßen geeignet. Besonders gut eignen sich Isotope
wie 233U, 235U, 239Pu, oder 241Pu, die aus einer geraden Anzahl von Protonen und einer ungeraden Anzahl von Neutronen bestehen („gu-Kerne“). Diese Isotope („starke Spaltstoffe“) zeichnen sich dadurch aus, dass beim Einfang eines
Neutrons ein besonders stabiler Kern mit einer geraden Anzahl von Protonen und Neutronen („gg-Kern“) entsteht (z. B.
234
U, 236U, 240Pu, 242Pu). Die durch den Einfang des Neutrons
freiwerdende Energie ist dabei so groß, dass die Spaltbarriere schon durch den Einfang eines niederenergetischen,
thermischen Neutrons überwunden und der Kern gespalten
wird. Bei den so genannten schwachen Spaltstoffen (232Th,
238
U, 240Pu, 242Pu) dagegen muss das Neutron eine Energie
im MeV-Bereich mitbringen, da die beim Einfang des Neutrons und der Bildung des dabei entstehenden „gu-Kerns“
frei werdende Bindungsenergie alleine nicht ausreicht, um
die Spaltbarriere zu überwinden. Daher kann die Spaltung
von 235U bereits durch thermische Neutronen, die Spaltung
von 238U dagegen nur durch schnelle Neutronen mit kinetischen Energien im MeV-Bereich induziert werden.
Ein Vergleich mit dem Energiegehalt fossiler Brennstoffe
macht deutlich, wie immens die beispielsweise in 235U innewohnende Kernenergie ist. Der primäre Energieinhalt eines
Kilogramms Steinkohle beträgt 3x107 Joule. Mit den oben
genannten Zahlen kann man abschätzen, dass die bei der
Spaltung von einem Kilogramm 235U freigesetzte Kernenergie in etwa dem Energieinhalt von mehr als 2,5 Millionen Kilogramm Kohle entsprechen.
Reaktortypen
Die bei der Entwicklung der Kernenergie zur kommerziellen
Energieumwandlung entwickelten unterschiedlichen Reaktorkonzepte werden im Folgenden kurz skizziert. Für die
Spaltung eines 235U-Kerns reicht bereits ein die Reaktion
auslösendes Neutron aus, und es werden dabei im Mittel 2,5
neue Neutronen freigesetzt. Stehen diese Neutronen für
weitere Kernspaltungen zur Verfügung, kommt es zu einer
85
Kettenreaktion (Abb. 3.2), in deren Verlauf es in kürzester
Zeit (typischerweise in Ps) zu einer großen Energiefreisetzung kommen kann (Explosion).
Abb. 3.2: Prinzip einer Kettenreaktion (Quelle: Lexikon der
Kernenergie)
Eine wesentliche Aufgabe der Reaktortechnik besteht darin,
sicherzustellen, dass beim Betrieb eines Reaktors im Mittel
pro Kernspaltung unter Berücksichtigung aller Verluste an
Neutronen genau ein Neutron für die nächste Spaltung zur
Verfügung steht. Verluste an Neutronen entstehen zum Beispiel dadurch, dass der Bereich des Brennstoffs nicht unendlich groß ausgedehnt ist, dass ein Teil der schnellen
Spaltneutronen während des Prozesses der Moderation absorbiert wird, dass thermalisierte Neutronen beispielsweise
von Strukturmaterialien, vom Moderator oder von den Regelstäben und nicht von 235U absorbiert werden, und dass
nur ein Teil der in 235U absorbierten Neutronen tatsächlich
eine Kernspaltung induziert.
Ein Reaktor besteht im Wesentlichen aus einem Reaktorkern, in dem sich der Kernbrennstoff befindet. Zur Kühlung
des Kerns und Abführung der bei der Kernspaltung frei werdenden Wärmeenergie ist ein mit einem Kühlmittel gefüllter
Kühlkreislauf installiert. Je nach verwendetem Kühlmittel un86
terscheidet man zwischen Leichtwasser-, Schwerwasser-,
und gasgekühlten Reaktoren. Bei Reaktoren, die auf der
Spaltung durch thermische Neutronen basieren („thermische
Reaktoren“), ist zusätzlich ein Moderator vorhanden, der die
bei der Spaltung entstehenden schnellen Neutronen abbremst. In vielen Fällen dient das Kühlmittel gleichzeitig als
Moderator. Bei manchen Typen wird Graphit als Moderator
verwendet. Reaktoren, die auf der Spaltung durch schnelle
Neutronen basieren („schnelle Reaktoren“), benötigen dagegen keinen Moderator. Geregelt wird ein Reaktor über
Steuerstäbe, die je nach Bedarf in den Kern eingefahren
werden können und aus Material wie zum Beispiel Cadmium
bestehen, das thermische Neutronen besonders gut absorbiert.
Die bei der Kernspaltung entstehenden Spaltprodukte sind
größtenteils radioaktiv, und auch in den Materialien, die den
erzeugten Neutronen ausgesetzt sind, können durch den
Einfang von Neutronen radioaktive Isotope entstehen. Daher
wird bei Kernreaktoren eine Kombination aus unterschiedlichen Barrieren verwendet, um zu verhindern, dass die erzeugte Radioaktivität unkontrolliert in die Umgebung gelangen kann. Zu diesen Barrieren zählen die Hüllen der Brennelemente, der Reaktordruckbehälter, sowie der ReaktorSicherheitsbehälter aus Strahl, der schließlich von der Außenschale des Reaktorgebäudes aus Strahlbeton umgeben
ist.
Bei einem Druckwasserreaktor (Abb. 3.3) wird als Kühlmittel
normales („leichtes“) Wasser verwendet. Im Primärkreislauf
besteht ein hoher Druck von typischerweise 16 Mpa (Megapascal, entspricht 160 bar), der es erlaubt, das Kühlwasser
auf etwa 300 °C aufzuheizen, ohne dass es zum Sieden und
der damit verbundenen Dampfblasenbildung kommt. In einem Sekundärkreislauf wird Dampf erzeugt, der dann eine
Turbine antreibt. Beim Siedewasserreaktor (Abb. 3.4)
herrscht dagegen im Primärkreislauf ein niedrigerer Druck
von etwa 7 Mpa (70 bar), so dass das Kühlwasser teilweise
siedet. Der entstehende Dampf wird direkt (d.h. ohne dazwischen geschalteten Wärmetauscher) zur Turbine geleitet.
Da der im Wasser vorhandene Wasserstoff zudem einen guten Neutronen-Moderator darstellt, kann bei beiden Reaktortypen auf einen zusätzlichen Moderator verzichtet werden.
87
Abb. 3.3: Prinzip eines Druckwasserreaktors (Quelle: Lexikon
der Kernenergie).
Abb. 3.4: Prinzip eines Siedewasserreaktors (Quelle: Lexikon
der Kernenergie).
88
Bei Schwerwasserreaktoren, die hauptsächlich in Kanada
eingesetzt werden, wird als Kühlmittel und Moderator
schweres Wasser (D2O) eingesetzt. Zwar benötigen schnelle Neutronen mehr Stöße an Deuterium als an Wasserstoff,
bevor sie thermalisiert werden. Dieser Nachteil wird jedoch
aufgewogen durch die Tatsache, dass Neutronen, die bereits thermalisiert sind, in schwerem Wasser deutlich seltener absorbiert werden als in leichtem Wasser. Daher kann
ein Schwerwasserreaktor mit Natururan betrieben werden,
während für Leichtwasserreaktoren eine Anreicherung des
235
U auf etwa 3 % nötig ist.
Gasgekühlte Reaktoren, bei denen z. B. CO2 oder Helium
als Kühlmittel verwendet werden, erlauben eine höhere
Kühlmitteltemperatur und erreichen einen Wirkungsgrad von
etwa 40 %, der deutlich über dem der übrigen, thermischen
Reaktortypen von etwa 33 % liegt. Beim schnellen Reaktor
wird als Kühlmittel beispielsweise flüssiges Natrium verwendet und auf einen Neutronen-Moderator verzichtet.
Im Hinblick auf die kommerzielle Nutzung und den routinemäßigen Einsatz haben sich global im Wesentlichen die
beiden Arten von Leichtwasser-Reaktoren, Druck-, und Siedewasserreaktoren durchgesetzt. Zwar werden vereinzelt
auch andere Typen (gasgekühlte Reaktoren, Schwerwasserreaktoren) eingesetzt. Deren Anteil an der globalen Energieproduktion durch Kernkraft ist jedoch vergleichsweise gering. In Abb. 3.5 ist die Entwicklung der weltweit durch Kernkraftwerke produzierten elektrischen Energie im Zeitraum
von 1970 bis 1997, aufgeschlüsselt nach den verschiedenen
Reaktortypen, dargestellt.
89
Erzeugte elektrische Energie Gw a
Abb. 3.5: Entwicklung der global durch Kernspaltung produzierten elektrischen Energie von 1970 bis 1997. PWR: Druckwasserreaktor („Pressurized water reactor“), BWR: Siedewasserreaktor („boiling water reactor“), GCR: gasgekühlter
Reaktor („gas-cooled reactor“), HWR: Schwerwasserreaktor
(„heavy water reactor“), LWGR: graphitmoderierter Leichtwasserreaktor („light-water-cooled graphite-moderated reactor“)
(UNSCEAR 2000).
Strahlenexposition durch den Betrieb von Kernkraftwerken
- Beschäftigte
Mit der Zahl an Kernkraftwerken nahm die Anzahl der in
Kernkraftwerken beschäftigten und überwachten Personen
seit 1975 kontinuierlich zu. Dies führte bis 1989 zu einer Zunahme der kollektiven Dosis. Im Zeitraum 1990–1994 war
dagegen im angegebenen Zeitraum erstmals eine Abnahme
der kollektiven Dosis zu verzeichnen, die daher rührt, dass
die mittlere jährliche effektive Dosis für einen überwachten
Arbeiter in einem Kernkraftwerk seit 1975 kontinuierlich und
deutlich abnahm (Tabelle 3.11).
90
Zeitraum
Überwachte
Personen
1975–1979
1980–1984
1985–1989
1990–1994
150.000
290.000
430.000
530.000
Mittlere jährliche Effektivdosis
(mSv)
4.1
3.6
2.5
1.4
Tab. 3.1: Anzahl und mittlere jährliche Effektivdosis von Personen, die in Kernkraftwerken beschäftigt waren und deren Exposition überwacht wurde (Unscear 2000).
- Bevölkerung
Durch den Betrieb von Kernkraftwerken werden im Reaktorkernbereich radioaktive Spalt- und Aktivierungsprodukte erzeugt, die zu einem sehr geringen Teil trotz effektiver Rückhaltevorrichtungen in die Umwelt kontrolliert abgegeben
werden. Dazu zählen radioaktive Isotope von Edelgasen wie
133
Xe (T1/2 = 5,3 Tage) und 85Kr (T1/2 = 10,7 Jahre). Tritium
(T1/2 = 12,26 Jahre) kann insbesondere von Schwerwasserreaktoren freigesetzt werden, bei denen es durch Neutronenaktivierung von Deuterium entsteht. Auch 14C (T1/2 =
5.730 Jahre) kann ein wesentlicher Bestandteil gasförmiger
Freisetzungen sein. Tabelle 3.2 fasst die hauptsächlichen
gasförmigen und flüssigen Freisetzungen eines modernen
kommerziellen Druckwasserreaktors zusammen.
Edelgasisotope
Freisetzung
9,75 x
1011
14
C
(gasförmig)
5,14 x
1011
Tritium
(gasförmig)
3,85 x
1011
Tritium
(flüssig)
2,37 x
1013
(Bq/Jahr)
Tab. 3.2: Typische jährliche gasförmige bzw. flüssige Freisetzungen eines großen modernen Druckwasserreaktors in
Deutschland (Landold-Börnstein, Bd 3, 2005).
Die Konzentrationen der freigesetzten Radionuklide sind in
der Umwelt – außer manchmal nahe eines Reaktors – nicht
messbar. Daher muss sich die Abschätzung der dadurch
91
verursachten Dosen für die Bevölkerung auf Modellrechnungen stützen, die den atmosphärischen und aquatischen
Transport dieser Radionuklide beschreiben, ihren möglichen
Transport durch Umweltmedien und Nahrungsmittel und eine eventuelle Inkorporation durch den Menschen berücksichtigen und daraus für Referenz-Personen und -Szenarien
externe und interne Expositionen quantitav und konservativ
abschätzen. Unter der Modellannahme, dass in einem Umkreis von 50 km um einen Reaktorstandort eine Bevölkerungsdichte von 400 Personen/km2 typisch ist, ergibt sich für
Anwohner in diesem Umkreis beispielsweise durch den Betrieb eines Druckwasserreaktors zusätzlich eine jährliche,
über diese Bevölkerung gemittelte, effektive Dosis von etwa
5 PSv. Für einen Siedewasserreaktor liegt der entsprechende Jahres-Wert bei 10 PSv (UNSCEAR 2000), was vergleichsweise numerisch etwa dem Doppelten der mittleren
täglichen Strahlenexposition eines deutschen Bürgers aus
natürlichen Quellen entspricht. Konkrete Werte für deutsche
Kernkraftwerke werden in Kapitel 4.3 ausführlicher diskutiert.
Radionuklide mit langen Halbwertszeiten, die sich leicht in
der Umwelt ausbreiten, können zudem global zu einer Erhöhung der Strahlenexposition führen. Dazu zählen neben
den bereits erwähnten Tritium, 14C und 85Kr das langlebige
radioaktive Iodisotop 129I (T1/2 = 1,6 x 107 Jahre). Würden
beispielsweise die 14C-Freisetzungen in den Aktivitäts-Mengen des Jahres 2000 auch in Zukunft stattfinden, ergäbe
sich für die Bevölkerung im Jahre 2050 global eine zusätzliche, durch die 14C-Freisetzungen bedingte Dosis von etwa
0,1 PSv/a (UNSCEAR 2000).
3.2
Beispiele für Anwendungen in der Industrie
Ionisierende Strahlung findet bei einer Reihe von industriellen Verfahren Anwendung. Dabei handelt es sich beispielsweise um Verfahren der zerstörungsfreien Materialanalyse
oder um Bestrahlungen zur Sterilisation medizinischer und
pharmazeutischer Produkte. Auch Radioisotope werden als
Quellen ionisierender Strahlung verwendet – sei es als Tracer zum Studium kinetischer Prozesse, zum Monitoring von
Abbrandprozessen oder in der pharmazeutischen Industrie
92
für diagnostische oder therapeutische Zwecke in der Nuklearmedizin.
Radiographie
- Werkstoffprüfung
Die physikalischen Eigenschaften hochenergetischer elektromagnetischer Strahlung (Röntgen-, Gammastrahlung) erlauben deren Einsatz auch bei der zerstörungsfreien Untersuchung von Proben unterschiedlichster Herkunft. Bei der
Radiographie wird die elementspezifische Schwächung
elektromagnetischer Strahlung beim Durchgang durch Materie ausgenutzt und beispielsweise für Materialprüfungen
eingesetzt – etwaige Herstellungsfehler an Gussteilen oder
Autoreifen sind nach Durchleuchtung auf einem radiographischen Bild sichtbar.
Prinzipiell werden zwei Vorgehensweisen angewendet:
Entweder werden die zu untersuchenden Objekte zu einem
fest installierten Gerät gebracht, oder ein tragbares Gerät
wird eingesetzt, das die Untersuchung fest installierter
Objekte (wie zum Beispiel die Untersuchung von Pipelines
auf Schäden in den Schweißnähten) vor Ort erlaubt. Als
Strahlenquellen kommen meist entweder 192Ir (Halbwertszeit: 74 Tage) einer Aktivität zwischen 1,8 x 1012 und 4,4 x
1012 Bq, 60Co einer Aktivität von etwa 3 x 108 Bq oder 137Cs
einer Aktivität zwischen 3 x 108 und 8 x 1010 Bq zum Einsatz. Bei den verwendeten Röntgenröhren liegen die
Spannungen typischerweise zwischen 60 und 300 kV.
Weltweit waren zwischen 1990 und 1994 bei der industriellen Anwendung radiographischer Verfahren mehr als
100.000 Personen beschäftigt, die mit einer mittleren jährlichen effektiven Dosis von etwa 1,6 mSv exponiert waren,
53.000 davon waren einer entsprechenden Dosis von mehr
als 3 mSv ausgesetzt (UNSCEAR 2000).
- Röntgenfluoreszenz-Analyse
Bei der Röntgenfluoreszenz-Analyse werden mittels Röntgenstrahlung die Atome des zu untersuchenden Materials
elementspezifisch angeregt. Die bei der Abregung freige-
93
setzte charakteristische Röntgenstrahlung dient dem Nachweis der entsprechenden Elemente.
Industriell genutzte Bestrahlungsanlagen
- Anlagen zur Sterilisation und Konservierung
Seit Ende der 1950er Jahre wird ionisierende Strahlung industriell für Bestrahlungen eingesetzt. Laut (UNSCEAR
2000) sind weltweit etwa 160 Einrichtungen vorhanden, die
zur Bestrahlung Gammastrahlung, und 600 weitere, die Beta-Strahlung verwenden. In den meisten Fällen handelt es
sich dabei um Anlagen zur Sterilisation medizinischer oder
pharmazeutischer Produkte, zur Konservierung von Nahrungsmitteln (die Konservierung von Nahrungsmitteln ist bis
auf wenige Ausnahmen, z. B. Gewürze, in Deutschland nicht
zugelassen), zur Materialbearbeitung oder zur Desinfektion
nach Insektenbefall. Im Falle der GammabestrahlungsEinrichtungen werden meistens 60Co-Quellen (Halbwertszeit: 5,3 Jahre; Gammaenergie: 1,1 MeV und 1,3 MeV) einer
Aktivität im Bereich von 1015 Bq–1016 Bq verwendet, seltener werden auch 137Cs-Quellen (Halbwertszeit: 30,2 Jahre;
Gamma-Energie: 661 keV) eingesetzt. Da am Ort der Bestrahlung mit hohen Dosen gearbeitet wird – typische Dosisraten liegen bei einem Gray pro Sekunde – sind die Anlagen
mit dicken Abschirmeinrichtungen ausgerüstet, um die
Strahlenexpositionen für das Personal gering zu halten.
Im Zeitraum 1990–1994 erhielten die weltweit etwa 57.000
in diesem Bereich Beschäftigten nur eine mittlere jährliche
effektive Dosis von 0,1 mSv. Bei etwa 2.500 Personen kam
es aber zu höheren Expositionen, die zu einer mittleren jährlichen effektiven Dosis dieser Gruppe von 2,3 mSv führten
(UNSCEAR 2000).
- Anlagen zur Polymerisation von Kunststoffen
Da bei Bestrahlung chemische Bindungen aufgebrochen
werden, können dadurch die Eigenschaften verschiedenster
Kunststoffe verändert werden. Diese Eigenschaft wird beispielsweise bei der Polimerisation von Kunststoffen bei der
Herstellung von Schrumpfmaterialien angewendet.
94
Herstellung von Radioisotopen
Radioaktive Isotope werden hergestellt für einen weiten Anwendungsbereich in Industrie und Medizin. Beispiele für die
Anwendungen von Gammastrahlern wie 137Cs und 60Co
wurden bereits weiter oben angesprochen. Radioisotope
finden außerdem Anwendung bei der Untersuchung des kinetischen Verhaltens bestimmter Elemente in verschiedensten Umgebungen. Dazu zählt zum Beispiel die Untersuchung des menschlichen Metabolismus bestimmter Elemente mit radioaktiven Isotopen desselben Elements („TracerVerfahren“, siehe unten). Man macht sich dabei zunutze,
dass die chemischen Eigenschaften eines Elements nur von
der Anzahl der Elektronen in der Atomhülle abhängen, und
dementsprechend alle Isotope desselben Elements identische chemische Eigenschaften aufweisen. Wenn physikalische Unterschiede zwischen den Isotopen eines Elements
(z. B. Atomgewicht, Atomdurchmesser) vernachlässigt werden können, dann kann ein radioaktives Isotop, das wegen
der beim Zerfall ausgesandten Strahlung leicht nachgewiesen werden kann, verwendet werden, um das Verhalten der
stabilen Isotope desselben Elements zu untersuchen. Weitere wichtige Anwendungen von Radioisotopen finden sich in
der Nuklearmedizin sowie in der medizinischen Diagnostik
(PET, Szintigraphie). Diese werden an anderer Stelle diskutiert.
- Radioisotope in Kalibrierquellen
Ein weiterer Anwendungsbereich von Radioisotopen stellt
die Herstellung von Prüf- und Kalibrierquellen definierter Aktivität und Geometrie (Punkt-, Flächen-, Volumenquelle) dar,
die eingesetzt werden, um beispielsweise Messgeräte für
den Nachweis von ionisierender Strahlung auf ihre Funktionsfähigkeit zu überprüfen und ihr energieabhängiges Ansprechvermögen zu quantifizieren. Stellvertretend sei hier
das Radioisotop 152Eu erwähnt (Halbwertszeit: 13,33 Jahre),
das beim Zerfall eine Reihe Gammaquanten unterschiedlichster Energie mit unterschiedlichen, aber gleichfalls bekannten Intensitäten emittiert (von 122 keV bis 1,4 MeV).
Hiermit können die Nachweiswahrscheinlichkeiten von Photonen unterschiedlicher Energien von Halbleiter- oder Szintillationsdetektoren über einen weiten Energiebereich be95
stimmt werden. Die in diesem Bereich eingesetzten radioaktiven Quellen kommen mit einer deutlich geringeren Aktivität
aus als die weiter oben diskutierten Quellen, die in der Radiographie oder in Bestrahlungsanlagen eingesetzt werden.
In vielen Fällen ist eine Aktivität im unteren kBq-Bereich bereits ausreichend.
- Radioisotope für Rauchmelder
Auch Produkte im Alltag können in kleinen Konzentrationen
künstlich hergestellte Radioisotope enthalten. Ein Beispiel
dafür sind Rauchmelder, in denen häufig eine 241Am-Quelle
eingebaut ist. In einer Ionisationskammer werden die beim
Zerfall des 241Am (Halbwertszeit: 433 Jahre) emittierten Alpha-Teilchen nachgewiesen. Falls Rauchteilchen eindringen, verringert sich das von der Ionisationskammer nachgewiesene Signal. Bei dieser Anwendung reicht bereits eine
241
Am-Aktivität von einigen kBq aus.
- Radioisotope in Regel- und Messeinrichtungen
Die Abschwächung von Gammastrahlung beim Durchgang
durch Materie wird in der Industrie beispielsweise auch genutzt bei der Messung von Füllstandshöhen in Behältern
oder bei der Überprüfung von Restwandstärken von sich
abnutzenden Bauteilen.
Weltweit waren von 1990–1994 in der Herstellung von Radioisotopen etwa 24.000 Personen beschäftigt. Diese waren
einer mittleren jährlichen effektiven Dosis von etwa 2 mSv
ausgesetzt.
3.3
Beispiele für Anwendungen in der Wissenschaft
Ionisierende Strahlung besitzt ein enorm breites Anwendungsspektrum in der allgemeinen Wissenschaft, sodass an
dieser Stelle nur eine kleine Auswahl davon gegeben werden kann. Alles was der Mensch heute über das unendliche
Universum und die kleinsten Elementarteilchen, die die Welt
im Inneren zusammenhalten, weiß, beruht letztlich auf der
wissenschaftlichen Beobachtung, Analyse und Interpretation
96
von Strahlenmessungen. Die Temperatur der Erde wird
durch die radioaktive Zerfallswärme natürlicher Radionuklide
im Erdinneren auf das für das Leben wichtige Niveau erhöht.
Radioaktivität ist überall (ubiquitär) und seit der Entstehung
der Erde (primordial) in der Natur vorhanden. Die meisten
(ca. 1.800) der bekannten Isotope (über 2.700) des Periodensystems der Elemente zeigen diese Eigenschaft. Die
Wissenschaft zieht daraus vielfältigen Nutzen auf vielen Gebieten.
Radioisotope
Im vorhergehenden Kapitel wurde bereits die industrielle
Herstellung und der Einsatz von Radionukliden als zugesetzte, "exogene" Tracer in Forschung und Wissenschaft
erwähnt. Dabei werden Radioisotope desjenigen Elements,
dessen dynamisches Verhalten im Menschen, einer Pflanze,
etc. oder in einem unbelebten Umweltkompartent untersucht
werden soll, in Spurenmengen dem System kontrolliert zugegeben. Diese Spurenmengen sollen möglichst das studierte Objekt oder das Verhalten des Elements in ihm nicht
verändern und in den Proben, die dem System entnommen
werden, gerade noch quantitativ hinreichend genau nachweisbar sein. Es sei aber auch darauf hingewiesen, dass
auch Radionuklide, die aus technischen Anlagen routinemäßig (z. B. aus den Wiederaufarbeitungsanlagen in Sellafield und an der französischen Atlantikküste) oder bei Störund Unfällen (z. B. beim Reaktorunfall von Tschernobyl) in
die Atmosphäre oder die aquatische Umwelt abgegeben
werden, zum wissenschaftlichen Studium z. B. von Laufzeiten und Transportwegen von Wasserkörpern in Meeresströmungen im Atlantik, von kontaminierten Luftmassen in der
Troposphäre und Stratosphäre, oder von Stoffen in der Nahrungskette für wissenschaftliche Zwecke benutzt werden.
Bei der kontrollierten Verwendung von kleinen Mengen von
Radioisotopen wird z B. das Verhalten von interessierenden
Atomen oder chemischen, pharmazeutischen Molekülen im
Menschen für Zwecke der Pharmazie oder der internen Dosimetrie untersucht, das Verhalten von Düngemitteln in der
Umwelt oder der Fluss von Wasserkörpern im Untergrund,
in Flüssen oder im Meer.
97
Die dabei eingesetzten Radionuklide sollten u. a. die Eigenschaft haben, dass sie in den benötigten Konzentrationen
nicht toxisch auf die untersuchte Einheit wirken, ihre Halbwertszeiten der zeitlichen Länge der jeweiligen Untersuchungen optimal angepasst sind und ionisierende Strahlung
emittieren, die hinsichtlich Strahlenart und -Energie effizient
nachgewiesen werden kann. Die zugesetzten Radionuklide
(es können auch gleichzeitig mehrere verschiedene Isotope
in unterschiedlicher chemischer Art und mit unterschiedlichen Halbwertszeiten eingesetzt werden) stellen oft eine im
Moment der Zugabe gestartete "Stoppuhr" dar, mit deren
Hilfe auch Laufzeiten von Stoffen in den untersuchten Systemen studiert werden können (z. B. Meeresströmungen,
atmosphärische Verfrachtungen).
Es können aber auch Konzentrationen von "endogenen",
d.h. einem untersuchten Kompartment nicht künstlich von
außen zugesetzte, sondern in ihm natürlicherweise vorkommende Tracerisotope wissenschaftlich analysiert werden z. B. zum Zwecke der Alters- und/oder Herkuftsbestimmung eines Objektes. Diese nutzen den Vorteil, dass die
intranuklearen Kernbindungkräfte um viele Größenordnungen größer sind als die thermischen und chemischen Energien, die in der Umwelt überhaupt vorliegen können. In der
Geochronologie, d.h. der Altersbestimmung von Gesteinen,
betrachtet man Radionuklide mit sehr langen Halbwertszeiten (HWZ, in aufsteigender Reihenfolge), wie z. B.
- die 235U - 207P - Datierung
- die 40K - 40Ar - Datierung
- die 238U - 206Pb - Datierung
- die 232Th - 208Pb - Datierung
- die 87Rb - 87Sr - Datierung
- die 147Sm - 143Nd - Datierung
( 0,7 Mrd. Jahre HWZ),
( 1,3 Mrd. Jahre HWZ),
( 4,5 Mrd. Jahr HWZ),
( 14 Mrd. Jahre HWZ),
( 49 Mrd. Jahre HWZ),
(106 Mrd. Jahre HWZ).
Bei Verwendung der sog. Isochronendiagramme müssen die
anfänglichen Radionuklidkonzentrationen und Isotopenverhältnisse der Folgenuklide der Zerfallsketten nicht bekannt
sein. Sie resultieren aber – neben dem meist primär zu bestimmenden Alter der Probe – auch aus der Untersuchung
und erlauben Aussagen über eventuelle Einflüsse der Umwelt auf die Messungen.
98
Zu Lebens-Beginn des Sonnensystems gab es in den solaren Nebeln bereits die relativ kurzlebigen Radionuklide 26Al,
60
Fe, 53Mn und 129J, die vermutlich durch Explosionen von
Supernovae entstanden waren. Sie selbst sind zwar inzwischen völlig zerfallen, aber ihre Folgeprodukte können noch
in alten Meteoriten entdeckt und gemessen werden (z. B.
durch Massenspektrometer). Mit Hilfe von Isochrondiagrammen können dann relative Zeiten seit Ereignissen in der
Frühgeschichte unseres Universums bestimmt werden; bei
zusätzlicher U-Pb Datierung können hier manchmal sogar
absolute Alter abgeschätzt werden.
Viele Minerale zeigen auch die physikalische Eigenschaft
der Thermolumineszenz. Die Gehalte an natürlichen 40K-,
238
U- und 232Th-Isotopen und das natürliche externe Strahlungsfeld am Gesteinsort bewirken bei der Wechselwirkung
von ionisierender Strahlung mit den Steinen (oder zivilisatorischen Keramikobjekten) die Bildung von ElektronenLochpaaren. Diese Mineralien verhalten sich wie ein zeitlich
integrierendes Dosimeter, was u. a. in der Archäologie zur
Altersbestimmung ausgenutzt wird. Die Elektronen bleiben
recht langfristig in den energetisch höheren Haftstellen der
vorhandenen Verunreinigungen hängen und senden erst bei
der Aufheizung des Minerals und der dabei stattfindenden
Leerung der Haftstellen und Rücksetzung des Signals im
Labor (oder durch eine Erhitzung im Feld oder bei der Keramikfabrikation) optisch messbare Strahlung aus. Aus der
Menge dieser Strahlung an geeigneter Stelle im Spektrum
kann – nach dann erfolgter Kalibrierung – das Alter oder die
thermische Vorgeschichte eines Steins oder einer Keramik
bestimmt werden.
In der Archäologie werden auch Radionuklide verwendet, allerdings mit bedeutend kürzeren HWZ. Hier wird sehr oft die
Radiokohlenstoff (14C)- Datierung (HWZ = 5.730 Jahre) auf
organische Testobjekte angewandt, die allerdings dann nicht
älter als 60.000 Jahre sein sollten.
Radiokohlenstoff entsteht ständig (mit leichten, durch die
Sonnenaktivität gegebenen Schwankungen) global in der
Atmosphäre durch Einwirkung von sekundären, thermalisierten Neutronen der kosmischen Strahlung auf Luft-Stickstoff
nach dem Schema 14N (n,p) 14C. Dieser zuerst atomare
99
Kohlenstoff ist schnell in der chemischen Form von CO2 zu
finden, nimmt so am normalen Kohlenstoffkreislauf in der
Biosphäre und an der pflanzlichen Assimilation teil, solange
diese Pflanzen leben. Nach dem Absterben verringert sich
durch den radioaktiven Zerfall des 14C ständig sein Konzentrations-Verhältnis zu stabilem 12C (z. Zt. ist dieses bei
lebenden Pflanzen ca. 16 Zerfälle pro Minute pro Gramm
Kohlenstoff), woraus die Zeit seit dem Absterben der Pflanzen abgeleitet werden kann.
Partikel- und Photonenstrahlung
Es gibt weltweit eine große Anzahl großer wissenschaftlicher linearer oder kreisförmiger Teilchenbeschleuniger (z. B.
bei CERN, DESY, GSI, etc.) und viele Beschleuniger niedrigerer Energien an Universitäten und außeruniversitären
Forschungseinrichtungen, die letztlich ionisierende Strahlung zu wissenschaftlichen Zwecken erzeugen. Diese haben
zu großartigen wissenschaftlichen Entdeckungen geführt
(z. B. unzählige neue Isotope und Elementarteichen wurden
entdeckt), die durch eine große Zahl hierfür vergebener Nobelpreise ausgezeichnet wurden.
Seit der Entwicklung der Prinzipien eines Zyklotrons durch
den Schweizer Wideroe und dessen erste, Handteller-große
Realisierung (10 cm Durchmesser) durch E.O. Lawrence
1930 an der University of California in Berkeley haben derartige kreisförmigen Maschinen (Synchrotrons) heute deutlich
größere Dimensionen (LEP-CERN 8,5 km Durchmesser)
angenommen und benutzten supraleitende Magnete. Kreisförmige Beschleuniger erzeugen auch Photonenstrahlung,
Synchrotronstrahlung genannt, die heute weltweit (z. B.
deutsche Anlagen BESSY und DESY, europäische Anlage
in Grenoble, Rutherford-Appleton Laboratory, Harwell, UK,
Advanced Light Source, Argonne,USA, Stanford Linear Accelerator (3 km lang): SPEAR, CA) intensiv auch zur Strukturaufklärung biologischer Moleküle (z. B. Röntgenstreuung
an Proteinen) eingesetzt wird.
Der Schutz der Gesundheit der an Hochenergie-Beschleunigeranlagen Arbeitenden vor ionisierender Strahlung und
die geforderte Orts- und Personendosimetrie stellen in vielen Fällen eine ungewöhnlich schwierige Aufgabe des Strah100
lenschutzes dar. Dies liegt zum einen an der großen Vielfalt
von primären und sekundären Teilchen und Atomen, die zur
externen und internen Strahlenexposition in Beschleunigerumwelten beitragen können. Zum anderen können die Messungen der externen Photonen- und Teilchen-Strahlungen
an diesen Stellen wegen der teilweise extrem kurzen Pulszeiten, den oft sehr hohen Teilchen-Energien und der dort
noch fehlenden Strahlenwirkungsquerschnitte und Instrumentenkalibrierungen sehr schwierige Aufgaben des Strahlenschutzes darstellen.
Untersuchungen im Forschungsreaktor FRM2Die neue deutsche Hochfluss-Neutronenquelle "Heinz Maier-Leibnitz (FRM-II)", als Nachfolger des berühmten Garchinger Atom-Ei's, dient vielfältigen Zwecken der Forschung,
Wissenschaft, Medizin und Technik. Vor allem ist sie ausgelegt für Strahlrohrexperimente in den Materialwissenschaften und der Katalyseforschung, für Oberflächen- und Defektanalyse mit Positronen, für verschiedenste Forschungsfragen in den Lebenswissenschaften und der Medizin (z. B.
Tumortherapie), aber auch für Radiographie und Tomographie. Es können zusätzlich Proben intern bestrahlt werden,
unterschiedliche Isotope produziert und Silizium dotiert werden.
3.4 Beispiele für Anwendungen in der Medizin zur
Diagnostik und Therapie
Radionuklide in der modernen medizinischen
Diagnostik und Therapie
- Voraussetzungen zur Anwendung von Radionukliden in der Medizin
Radioaktive Elemente, auch Radionuklide genannt, sind zur
Untersuchung elementarer Lebensprozesse in den verschiedenen Organen und Geweben eines Patienten heute
unentbehrliche Werkzeuge der medizinischen Diagnostik.
Darüber hinaus können sie auch therapeutisch höchst wirksam sein.
101
Wie alle lebenden Gewebe ist auch der menschliche Körper
aus nur wenigen Atomarten aufgebaut: im wesentlichen sind
es Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Schwefel
und Phosphor; dazu kommen Kalzium, insbesondere für den
Knochenaufbau, und darüber hinaus noch eine Vielzahl sehr
kleiner Mengen von Elementen, die als Spurenelemente
Hilfsfunktionen zur Aufrechterhaltung der elementaren Lebensvorgänge wahrnehmen. Atome einzelner Elemente sind
im Körper nach bestimmten Gesetzen zu vielfältigen Molekülen verbunden. Ihre besondere Struktur und Funktion
bestimmen wiederum als Bausteine größere Strukturen.
Der Mensch nimmt mit seiner Nahrung die für ihn notwendigen Bausteine auf. Diese werden im Körper auf eine höchst
komplexe Weise mit Hilfe von spezifischen biologischen
Konstruktionsmolekülen, den so genannten Enzymen, für
den Aufbau von größeren, funktionstragenden Strukturen
eingesetzt und kompensieren dadurch gleichzeitig ablaufende strukturelle Abbauprozesse im Körper. Diese Vorgänge
nennt man in ihrer Gesamtheit den Stoffwechsel.
Auch die einzelnen Zellen sind wie in einem großen Netzwerk aufeinander abgestimmt und unterliegen Regulationen,
die durch als Signalsubstanzen bezeichnete Moleküle vermittelt werden. Diese werden von spezialisierten Zellen abgegeben und finden auf der Oberfläche anderer Zellen für
die Erkennung der Signalsubstanzen spezifische Rezeptoren, die wie ein Schlüsselloch nur bestimmte Schlüssel erkennen können. Jeder Zelltyp im Körper hat ganz spezielle
Aufgaben, die den Organen und Geweben ihre besondere
Funktion verleihen. In Organen mit hohem Zellverlust, wie
der Haut, der Magen-Darm-Schleimhaut, dem Knochenmark
und den Lymphknoten findet man stets eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Zellteilung, die den normalen Zellverlust ersetzt. Auch die Zellteilungen werden nicht nur
durch den Stoffwechsel der Zellen selbst, sondern auch
durch Signalsubstanzen zwischen verschiedenen Zellen gesteuert. Fällt diese gezielte Zellteilung aus, kann dies zu
bösartigen Tumoren führen.
Auch einzelne Organe kommunizieren als Ganzes über spezialisierte Zellen mit entsprechend spezialisierten Zellen
anderer Organe, da auch Steuerungsmechanismen zwischen den verschiedenen Organen des Körpers bestehen.
102
Nur so funktioniert der Körper als Einheit. Die Gesamtfunktion des Körpers ist somit schließlich abhängig vom Stoffwechsel der einzelnen Organe.
Bis Anfang des letzten Jahrhunderts waren Stoffwechselvorgänge nur wenig bekannt, da man sie nur indirekt mit
aufwändigen biochemischen Methoden an dem Organismus
entnommenem Gewebe untersuchen konnte. Nach Entdeckung der Radionuklide und nach deren Einsatz für wissenschaftliche Untersuchungen bekamen Wissenschaft und
Medizin ein ideales Werkzeug in die Hand, mit dem die
Stoffwechselprozesse im lebenden Organismus untersucht
werden konnten. Radioaktive Isotope eines Elementes sind
zwar chemisch identisch mit den entsprechenden nicht radioaktiven Elementen, sie senden jedoch Strahlen aus, die
man mit entsprechend empfindlichen Geräten außerhalb
des Körpers nachweisen kann. Da der Organismus nicht
zwischen radioaktiven und nicht radioaktiven Elementen unterscheiden kann, nimmt er auch die radioaktiven Substanzen in gleicher Weise wie die nicht radioaktiven Elemente in
seinen Stoffwechsel auf, wenn ihm die radioaktiven Isotope
angeboten werden. Dies kann mit der Nahrungsaufnahme
(per oral) oder, in der Regel, als intravenöse Injektion erfolgen. Radionuklide, die am Stoffwechsel teilnehmen, können
mit einer geeigneten Technik außerhalb des Körpers verfolgt werden.
Die Möglichkeit zur Nutzung von Radionukliden als Indikatoren des Stoffwechsels wurde früh von G. von Hevesy erkannt, der 1923 mit dem natürlichen Radionuklid des Blei Untersuchungen an Pflanzen durchführte. Dieser Anstoß zum
Einsatz von Radionukliden als Indikatoren zur Prüfung des
Stoffwechsels in lebenden Systemen führte letztlich zu deren
heutigen breiten Anwendung in der gesamten Biologie und
Medizin. Von Hevesy erhielt hierfür 1943 den Nobelpreis.
Schon wenige Jahre nach der ersten Veröffentlichung durch
von Hevesy konnten H. L. Blumgard und S. Weiss 1927 mit
Hilfe des natürlichen Radionuklids Wismut (Wismut-210,
auch Radium C genannt) und einfachen Strahlennachweisgeräten die Zirkulationszeit des Blutes im Menschen von der
Injektionsstelle am Arm zum Herzen und wieder zum anderen Arm messen; dabei wurden bei Patienten mit Herzschwäche veränderte Werte gefunden. Diesen und anderen
103
vereinzelten Pionierleistungen folgte im Jahr 1934 die Entdeckung der künstlichen Radionuklide Stickstoff-13 und
Phosphor-30 durch Madame I. Curie und ihren Mann, J. F.
Joliot. Dadurch wurde eine größere Anwendung der Radionuklide als Indikatoren für Stoffwechseluntersuchungen
überhaupt erst möglich. Sehr bald wurden auch weitere
künstlich hergestellte Radionuklide entdeckt. So erzeugte
noch im selben Jahr 1934 E. Fermi radioaktives Iod, das
biologisch deswegen interessant ist, weil die Schilddrüse als
einziges Organ eine relativ große Menge Iod benötigt, und
zwar für die Synthese der Schilddrüsenhormone. 1935 berichtete v. Hevesy über seine Experimente mit radioaktivem
Phosphor (Phosphor-32) an Ratten und konnte feststellen,
dass der im Körper vorkommende Phosphor in den einzelnen Organen einen unterschiedlichen Umsatz hat, der in
bösartigen Tumoren relativ hoch ist. Schon 1937 begann in
Boston eine interdisziplinäre Gruppe mit dem Arzt S. Hertz
und den Physikern A. Roberts und R. D. Evans radioaktives
Iod (Iod-128) als Indikator der Schilddrüsenfunktion bei Kaninchen auszuprobieren. Die Grundlage der Schilddrüsendiagnostik mit radioaktivem Iod wurde 1938 von diesen Forschern veröffentlicht.
Nach dem zweiten Weltkrieg konnte der von E. Fermi am
2.12.1942 in Betrieb genommene Kernreaktor in Chicago
als große Neutronenquelle für die Großproduktion von vielen verschiedenen Radionukliden eingesetzt werden, womit
der Weg für den allgemeinen klinischen Einsatz dieser Indikatortechnik freigemacht wurde. Das erste Angebot zum
Verkauf von Radionukliden wurde am 14.6.1946 in der Zeitschrift „Science" bekannt gegeben.
- Radionuklide in der Diagnostik
Voraussetzung für die Anwendung von Radionukliden in der
medizinischen Diagnostik ist, dass die von diesen Radionukliden ausgehende Strahlung den Organismus der Patienten
durchdringen und von außen gemessen werden kann. Hierfür
eignen sich nur Radionuklide mit einer höheren Reichweite der
Strahlung, der Gammastrahlung.
Die erweiterte Anwendung von Radionukliden in der medizinischen Diagnostik setzte die Entwicklung von Strahlennachweisgeräten voraus, welche auch in der Lage sein mussten, die
104
räumliche Verteilung der Radionuklide im Organismus bildlich darzustellen. Grundprinzip aller dieser Nachweisgeräte
ist ein besonders aktivierter Natrium-Iodid-Kristall, der in der
Lage ist, einfallende Gammastrahlen in sichtbares Licht umzuwandeln, das dann weiter verarbeitet werden kann. Die
ersten Geräte dieser Art, Szintigraphen genannt, wurden Anfang der 50er Jahre entwickelt. Bei diesen Geräten bewegte
sich ein kleiner Mess-Kristall zeilenförmig über das zu untersuchende Gebiet des Körpers hinweg und das jeweilige
Messergebnis wurde in Form von schwarzen, bzw. bunten
Strichmarkierungen auf Papier ausgedruckt (Szintigramm).
Dabei war die Intensität der Schwärzung, bzw. die Art der
Farbe proportional zur Intensität der gemessenen Strahlung.
Schon wenige Jahre später wurde diese Technik durch so
genannte Gammakameras (Abb. 3.6a) bereichert, die durch
einen großen Mess-Kristall gleichzeitig die Intensität und
die Lokalisation der Strahlung in einem Feld von bis zu etwa
50 cm x 50 cm erfassen können. Zusätzlich haben diese
Gammakameras den Vorteil, auch sehr schnell ablaufende
Änderungen der von den Radionukliden stammenden Strahlung registrieren zu können; so sind z. B. bei der Herzdiagnostik bis zu 100 Aufnahmen pro Sekunde möglich, so dass
die im Herzen sehr schnell ablaufenden Funktionsabläufe erfasst werden können. Diese Szintigramme werden heute in
der Regel an speziellen EDV-Bearbeitungsstationen sichtbar
gemacht und ausgewertet (Abb. 3.6b). Eine zusätzliche Dokumentation dieser digitalen Daten kann auf CD, Papier oder
Röntgenfilm erfolgen.
Abb. 3.6a Doppelkopf-Gamma-Kamera
105
Abb. 3.6b EDV-Bearbeitungsstation zur Bildbetrachtung und
Befundung
Im Laufe der letzten Jahrzehnte gelang es, eine Vielzahl
von Substanzen, die in den Stoffwechsel einzelner Organe eingeschleust werden können, mit gammastrahlenden
Nukliden zu markieren und damit die Funktion dieser Organe zu erfassen. Die radioaktiven Substanzen, die für die
Diagnostik am Menschen eingesetzt werden, werden Radiopharmaka oder Radiopharmazeutika genannt.
Auch heute noch ist man bei dieser Technik mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass nur die Radiopharmaka mit Radionukliden markiert werden können, welche sich wie natürliche
Bausteine im Stoffwechsel der Zellen und Organe verhalten.
Ein wesentlicher Grund für diese Schwierigkeit liegt in der
Tatsache, dass es von den meisten Elementen, welche den
Körper aufbauen, nur Radionuklide gibt, die entweder keine
Gammastrahler sind oder nur eine sehr kurze Zeit strahlen.
Deshalb musste für den Routineeinsatz nach Alternativen
gesucht werden: das heute in der Medizin meist gebräuchliche Radionuklid ist das Technetium-99m (Tc-99m), mit dem
sich sehr viele für eine Organuntersuchung relevante Substanzen markieren lassen. Für spezielle Untersuchungen
werden auch Indium-111, Iod-123 und Iod-131 verwendet.
Da die für die verschiedenen diagnostischen Untersuchungen dem Patienten verabreichten Radiopharmaka zu einer
nicht unerheblichen Strahlenexposition führen (Tab. 3.3),
verlangen nuklearmedizinische Untersuchungen im Rahmen
106
einer Nutzen-Risiko-Betrachtung eine besondere Sorgfalt
bei der Indikationsstellung, Auswahl des geeigneten Radionuklids (möglichst kurze biologische und physikalische
Halbwertszeit) und Durchführung der Untersuchung. Allgemein soll für eine bestimmte Untersuchung dasjenige Radionuklid als Indikator ausgesucht werden, das aufgrund der
Energie der Strahlung und der Zerfallszeit die niedrigste
Strahlenexposition bei größtmöglicher diagnostischer Aussage mit sich bringt.
Untersuchtes
Organ
Schilddrüse (Tc99m-Pertechnetat)
Aktivitätsmenge
(Referenzwert,
MBq)
75
Skelett
(Tc-99m -MDP)
500–700
Herz (Tc-99m-MIBI)
600–1000
Nieren
(Tc-99m-MAG3)
100
PositronenEmissionsTomographie
(PET ) (F18-FDG)
200–370
Effektive
Dosis
(mSv)
1,0
2,9–4
7,2–8,2
0,7
3,8–7,0
Tab. 3.3 Größenordnung der Strahlenexposition in der
nuklearmedizinischen Diagnostik
Die diagnostischen Referenzwerte dieser Tabelle sowie die
mit den Untersuchungen verbundenen Strahlenexpositionen
wurden der Publikation von D. Noßke, V. Minkov und G. Brix
“Festlegung und Anwendung diagnostischer Referenzwerte
für nuklearmedizinische Untersuchungen“ in: Nuklearmedizin (2004) 3:79-85 entnommen.
107
- Spezielle nuklearmedizinische Untersuchungen
Die Schilddrüse verwendet für die Synthese ihrer Hormone
Iod. Der Einbau von radioaktivem Iod in die Schilddrüse erlaubt so die Untersuchung von Organstruktur und -funktion.
Das kurzlebige Iod-123 (Halbwertszeit 12 Stunden) bringt im
Vergleich zur selben Menge von langlebigerem Iod-131
(Halbwertszeit 8 Tage) eine Reduktion der Strahlenexposition für die Schilddrüse um den Faktor 100. Die Nutzung von
Technetium-99m, das auch von der Schilddrüse aufgenommen wird, jedoch im Gegensatz zu Iod nicht in die Schilddrüsenhormone eingebaut wird, reduziert pro applizierter
Menge des Radionuklids die Strahlenexposition im Vergleich
zum Iod-123 noch einmal um den Faktor 30. Daher wird
heute zur Darstellung von funktionstüchtigem Schilddrüsengewebe Technetium-99m bevorzugt. Etwa 20 Minuten nach
intravenöser Injektion von Technetium-Pertechnetat wird die
Radionuklidverteilung in der Schilddrüse mit der GammaKamera bildlich dargestellt (Abb. 3.7).
Normalbefund
5
c
m
Abb. 3.7 Schilddrüsen-Szintigramm (ohne krankhaften Befund)
108
Neben Größe und Form der funktionsfähigen Schilddrüse
kann mit diesem Verfahren bei verminderter Speicherung
des Technetiums eine Unterfunktion (Hypothyreose) sowie
bei vermehrter Speicherung eine Überfunktion (Hyperthyreose) nachgewiesen werden. Von noch wesentlicherer Bedeutung ist jedoch die Beurteilung, ob Knoten in der Schilddrüse eine vermehrte Speicherung (heiße Knoten) oder eine
verminderte Speicherung (kalte Knoten) aufweisen.
Für Skelettuntersuchungen werden mit Technetium-99m
markierte Phosphonat-Verbindungen, die in das Blut eingeschleust werden, durchblutungsabhängig in die einzelnen
Knochenstrukturen eingebaut. Da das Skelettsystem einem
kontinuierlichen Knochenaufbau und Knochenabbau unterworfen ist – wobei bei Kindern und Jugendlichen der Knochenaufbau überwiegt, während bei Älteren der Knochenabbau überwiegt (Osteoporose) – lässt sich mit Hilfe der
Skelettszintigraphie das gesamte Skelett 3 Std. nach Injektion der radioaktiven Substanz detailreich darstellen (Abb.
3.8).
Alle Erkrankungen mit Knochenbeteiligung wie Knochenverletzungen, Entzündungen, Tumoren und Verschleißerscheinungen führen zu einem erhöhten Knochenumbau und lassen sich durch eine vermehrte Aufnahme des Radiopharmakons im betroffenen Skelettareal nachweisen. Da diese
Methode außerordentlich empfindlich ist, können z. B. entzündliche Veränderungen oder auch Verletzungsfolgen des
Knochens zu einem Zeitpunkt erkannt werden, zu dem das
Röntgenbild dieses Skelettabschnittes noch unauffällig ist.
Nach Injektion des Radiopharmakons wird dessen Weg in
den betroffenen Skelettabschnitt mit der Gammakamera
aufgezeichnet (Angiographie- und Blutpoolphase). 3 bis 4
Std. nach Injektion erfolgt die Abbildung des gesamten Skelettes mit Hilfe einer Ganzkörper-Gammakamera (Mineralisationsphase, Abb. 3.8).
109
Abb. 3.8 Ganzkörper-Szintigramm des Skelett eines Kindes (besonders deutlich sind die einzelnen Wachstumsfugen zu erkennen, kein krankhafter Befund)
Bei der Diagnose von Herzerkrankungen hat die Anwendung von Radionukliden in den letzten Jahren eine wesentliche Bedeutung erlangt. So können mit dieser Technik sowohl die Pumpleistung, die Muskelwandbewegung, die
Muskeldurchblutung und schließlich der Energiestoffwechsel
des Herzmuskels untersucht werden.
Für die Ermittlung der Pumpleistung werden mit Technetium-99m markierte rote Blutkörperchen verwendet, welche
nach Verteilung im zirkulierenden Blut im Gamma-KameraBild die Herzhöhlen und ihre Bewegung und damit die
Pumpleistung messbar machen.
Für die diagnostische Abklärung des Verdachts einer
Durchblutungsstörung des Herzmuskels, z. B. bei Verengung der Koronararterien, werden heute vorwiegend mit
Technetium-99m markierte Isonitrile verwendet.
Dieses Radionuklid wird durchblutungsabhängig in die Muskelzellen des Herzens aufgenommen; eine Verminderung
der Durchblutung führt somit zu einer verminderten Anreicherung des Radiopharmakons in dem zugehörigen Muskelbereich.
110
Die Untersuchung selbst wird in zwei Phasen durchgeführt
und zwar nach körperlicher oder medikamentöser Belastung
sowie in körperlicher Ruhe nach jeweiliger intravenöser Injektion des Radiopharmakons. Ist bei der Ruheuntersuchung der Herzmuskel unauffällig dargestellt und zeigt sich
bei der Untersuchung nach Belastung eine verminderte
Speicherung, so handelt es sich um eine belastungsabhängige Minderdurchblutung (Ischämie, Abb. 3.9), während eine
verminderte Radioaktivitätsspeicherung sowohl in Ruhe als
auch nach Belastung für eine Narbe (Infarkt) spricht.
Abb. 3.9 Herzmuskel-Szintigraphie mit Minderdurchblutung
unter Belastung (Ischämie) in der Seitenwand des Herzmuskels
(Pfeil)
Mit Radionukliden lassen sich die Funktionen der Urinproduktion in den Nieren und des Urinflusses in die Blase
seitengetrennt quantitativ verfolgen. Dabei werden unterschiedliche Erkrankungen der Nieren und einzelner
Nierenabschnitte funktionell getrennt erfassbar. Zudem kann
auch ein krankhaftes Zurückfließen des Urins aus der Blase
in die Nieren sichtbar gemacht werden (Reflux).
Als Radiopharmakon wird heute vorwiegend Technetium99m-Mercaptoacetyltriglycin (MAG3) verwendet, das sich
sehr schnell im Nierengewebe anreichert und anschließend
über das Nierenhohlraumsystem und die Harnleiter in die
Blase ausgeschieden wird.
111
- Nuklearmedizinische Tomographie-Untersuchungen
Single-Photon-Emissions-Computertomographie
(SPECT)
Bei diesem Verfahren dreht sich der Kopf einer Gammakamera bzw. drehen sich die Köpfe einer MehrkopfGammakamera um den Patienten, bleiben kurz stehen,
messen die Strahlung, die aus dem Patienten herauskommt
(Emission), drehen sich erneut, bleiben wieder stehen und
messen usw.. Auf diese Weise entsteht ein “Datenwürfel“,
der anschließend mit speziellen nuklearmedizinischen Auswertecomputern in einzelne Schichten des Körpers aufgelöst werden kann. Diese einzelnen Schichten – vergleichbar
den Schichtaufnahmen der röntgenologischen Computertomographie – haben den Vorteil, dass sie die dreidimensionale Lokalisation des die Strahlung aussendenden Organs
(z. B. des Herzens) überlagerungsfrei darstellen können. Ein
Beispiel findet sich in Abb. 3.9, die SPECT-Aufnahmen des
Herzmuskels darstellt.
Positronen-Emissions-Tomographie (PET)
In den letzten Jahren sind die technischen Voraussetzungen
auch zur Anwendung der sehr kurzlebigen Radionuklide
Kohlenstoff-11, Stickstoff-13, Sauerstoff-15 und Fluor-18 mit
Hilfe der Positronen-Emissions-Tomographie geschaffen
worden. Diese Radionuklide senden Positronen aus, die
sich praktisch sofort mit benachbarten Elektronen vereinigen. Dabei entsteht eine Vernichtungsstrahlung mit 2 Gammaquanten, welche im Winkel von 180 Grad zueinander
ausgesandt werden. Ein spezielles Messgerät für diese
„doppelte" Gammastrahlung der Positronen-EmissionsTomographie (PET-Scanner, Abb. 3.10) erlaubt die Szintigraphie in Form von Körperschnittbildern.
112
Abb. 3.10 Positronen-Emissions-Tomograph mit Bedienungsplatz.
Während in der “konventionellen" Nuklearmedizin in der Regel größere Moleküle radioaktiv markiert werden, die meist
nicht direkt in den menschlichen Stoffwechsel eingeschleust
werden können, werden für die Positronen-Emissions-Tomographie die Bausteine des Lebens, wie Kohlenstoff, Stickstoff
und Sauerstoff, in radioaktiver Form in einem Zyklotron hergestellt. Diese radioaktiven Verbindungen zeigen bei Verwendung eines PET-Scanners direkt den Stoffwechsel und
insbesondere krankhafte Stoffwechselveränderungen an.
Dies gilt auch für den mit dem Positronenstrahler Fluor-18
markierten Zucker, Difluorodeoxyglucose (FDG), der insbesondere im Bereich der onkologischen Diagnostik eingesetzt
wird. Da seit langer Zeit bekannt ist, dass die Zellen vieler
Tumorarten einen vermehrten Zuckerverbrauch aufweisen, ist
es verständlich, dass bei Verwendung von FDG mit Hilfe der
PET diese Tumoren und deren Metastasen durch ihren erhöhten Zuckerverbrauch sichtbar gemacht werden können.
Wesentlicher Nachteil der Positronenstrahler ist, dass sie in
der Regel nur eine sehr kurze physikalische Halbwertszeit
haben, die die Kombination von Zyklotron und PET-Scanner
erforderlich macht; lediglich das Fluor-18-FDG macht hier eine Ausnahme, da bei einer Halbwertszeit von 110 Minuten
auch noch ein Transport vom Zyklotron in andere Krankenhäuser und Praxen möglich ist. Die Abb. 3.11 zeigt eine
113
Ganzkörper-F18-FDG-PET-Untersuchung eines 11-jährigen
Mädchens mit bösartigem Tumor der Muskulatur. Die PET
zeigt multiple Steigerungen des Zuckerstoffwechsels, die Metastasen entsprechen (der intensive Zuckerstoffwechsel im
Gehirn des Kindes ist durch seine Aktivität bedingt und somit
normal).
Weitere Anwendungsgebiete der Positronen-Emissions-Tomographie sind entzündliche Erkrankungen, Erkrankungen
des Herzmuskels und des Gehirnes.
Abb. 3.11 Das F18-FDG-PET zeigt multiple Metastasen
Seit kurzer Zeit stehen insbesondere für die Diagnostik in der
Onkologie kombinierte Systeme aus Positronen-EmissionsTomographie (PET) und Computer-Tomographie (CT) zur
Verfügung (Abb. 3.12). Diese PET/CT-Systeme haben den
wesentlichen Vorteil, dass die funktionellen Aussagen der
PET, die primär nur schwer den anatomischen Strukturen des
Körpers zuzuordnen sind, mit den morphologischen Aussagen der CT zusammen aufgezeichnet werden. Durch die
Überlagerung der Funktionsaussage im PET und der morphologischen Aussage des CT lässt sich eine genaue Zuordnung, z. B. von Tumoren und Metastasen, erreichen. Allerdings ist die Strahlenexposition für den Patienten bei den
kombinierten PET/ CT-Systemen erheblich höher; sie liegt bei
10 bis 25 mSv.
114
Gleiches gilt für eine neue Generation von Geräten, die seit
kurzer Zeit erhältlich ist, die SPECT/CT-Systeme. Bei diesen
Geräten ist eine SPECT-fähige Doppelkopfkamera mit einem
Computertomographie (CT)-System fest verbunden. Dabei
dient die Röntgenstrahlung der Computertomographie sowohl
zur Schwächungskorrektur der SPECT-Aufnahmen, als auch
– wie beim PET/CT – zur gleichzeitigen morphologischen
Diagnostik.
Abb. 3.12 PET und CT-Kombinationsgerät (links CT, rechts PET)
- Radionuklide in der Therapie
Neben dem Einsatz für diagnostische Zwecke werden Radionuklide auch in der Therapie zur Zerstörung von wuchernden,
meist bösartigen, Tumorzellen oder von solchen Zellen, die
z. B. in Gelenken eine chronische Entzündung unterhalten,
eingesetzt.
Grundsätzlich können bestimmte Zellen und Gewebe im Körper auf drei Wegen vernichtet werden:
1. durch chirurgische Entfernung des die Zellen enthaltenden
Gewebes,
2. durch Behandlung mit solchen Medikamenten, die Zellen
abtöten, so genannte Zytostatika, und
115
3. durch ionisierende Strahlung, wobei das zu behandelnde
Gewebe entweder von außen oder durch die Einschleusung von Radionukliden in das betroffene Gebiet bestrahlt
wird.
Hierbei haben die Radionuklide generell den Vorteil, dass sie
ähnlich wie bei ihrem diagnostischen Einsatz in das kranke
Gewebe eingeschleust werden können, wo ihre Strahlung lokal bei nahezu vollständiger Schonung des gesunden Gewebes wirken kann. Entsprechend der Zielsetzung der Strahlentherapie, Zellen abzutöten, liegen die applizierten lokalen
Dosen sehr hoch, z. B. bei Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose) bei etwa 400 Gy.
Trotz dieser hohen Dosen wird das den Krankheitsherd umgebende gesunde Gewebe weitestgehend geschont. Es ist
ein aktuelles Forschungsziel, möglichst alle Krebsarten so
speziell behandeln zu können wie die z. B. der Schilddrüse.
Röntgendiagnostik
Die von Wilhelm Konrad Röntgen 1895 entdeckten Röntgenstrahlen eroberten in wenigen Jahren das Gebiet der medizinischen Diagnostik, da es mit ihnen zum ersten Mal möglich
wurde, Bilder vom Inneren des lebenden und unverletzten
Menschen herzustellen. 1901 erhielt Röntgen für diese wissenschaftliche Leistung als erster den Nobelpreis für Physik.
Zur Durchführung von Röntgenuntersuchungen ist es notwendig, einerseits Röntgenstrahlen zu erzeugen und mit diesen das zu untersuchende Objekt – in unserem Fall den Patienten – zu durchdringen und andererseits die in den einzelnen Teilen des Patientenkörpers unterschiedlich geschwächten unsichtbaren Röntgenstrahlen im Röntgenbild für unser
Auge sichtbar werden zu lassen. Erzeugt werden die Röntgenstrahlen in einer Röntgenröhre, zu deren Betrieb ein
Röntgengenerator erforderlich ist. In der Röntgenröhre sind
eine Glühkathode in Form einer kleinen Drahtspirale aus hitzebeständigem Wolframdraht und eine Anode eingeschmolzen. Wird die Kathode auf über 2000 Grad Celsius aufgeheizt, so treten aus ihrer Oberfläche kleinste negativ geladene
Masseteilchen – Elektronen – aus. Wird zwischen Anode und
Kathode eine Hochspannung angelegt – die vom Generator
116
erzeugt wird –, so werden die Elektronen mit großer Geschwindigkeit von der Anode angezogen und erzeugen beim
Aufprallen und Abbremsen die Röntgenstrahlen.
Die Wiedergabe des durch die Röntgenstrahlen erzeugten
Röntgenbildes – hier muss erneut betont werden, dass die in
der Röntgenröhre erzeugten Röntgenstrahlen im lebenden
Organismus unterschiedlich geschwächt werden, so werden
sie durch die Lunge kaum, durch das Skelettsystem dagegen
sehr intensiv abgeschwächt – erfolgt entweder auf Röntgenfilmen oder heute zunehmend in digitaler Form auf speziellen
radiologischen Monitoren (Workstations).
Der Begriff „digitale Radiographie“ fasst alle Bereiche der digitalen Röntgentechnik zusammen, bei denen die auftreffenden
Röntgenstrahlen mittels Speicherfolie oder Halbleiterdetektoren ausgelesen und digitalisiert werden. Mit digitalen Bildverarbeitungssystem können diese Bilder aufgenommen und
weiter bearbeitet werden.
Bei einer konventionellen Aufnahme ist der Röntgenfilm
gleichzeitig Aufnahme -, Speicher- und Darstellungsmedium.
Im Gegensatz hierzu wird es mit der digitalen Radiographie
möglich, jede einzelne Bearbeitungsstufe zu optimieren und
zwar die Aufnahme des durch die Röntgenstrahlen erzeugten
Bildes, seine Verarbeitung sowie seine Darstellung und Speicherung.
Generell wird die Röntgendiagnostik heute in vier Bereiche
unterteilt und zwar:
-
Röntgendurchleuchtung
konventionelle Röntgendiagnostik (Projektionsradiographie)
Interventionelle Radiologie
Computertomographie (CT)
Die Röntgendurchleuchtung hatte in früheren Jahren eine
weite Verbreitung, da mit ihr insbesondere die Lunge, aber
auch Strukturen und Bewegungen von Speiseröhre, Magen
und Darm beurteilt werden konnten. Da diese Untersuchungen jedoch bei angeschalteter Röntgenröhre und damit kontinuierlicher, zum Teil über viele Minuten andauernder Röntgenstrahlung durchgeführt wurden, waren sie trotz aller Strah117
lenschutzmaßnahmen mit einer hohen Strahlenexposition
sowohl des Patienten als auch des Untersuchers verbunden.
Aus diesen Strahlenschutzgründen, aber auch weil heute andere diagnostische Maßnahmen für diese Zwecke zur Verfügung stehen, hat die Röntgendurchleuchtung heute nur noch
eine geringe Bedeutung, vor allem in speziellen internistischen Fachgebieten.
Die konventionelle Röntgendiagnostik wird heute zunehmend als Projektions-Radiographie bezeichnet.
Hierunter versteht man alle Röntgenuntersuchungen, bei denen Röntgenaufnahmen als Röntgenfilme oder in digitaler
Form angefertigt werden, z. B. nach Verletzungen von Extremitäten.
Die interventionelle Radiologie ist ein spezielles Arbeitsfeld
der Radiologie, das die Möglichkeit bietet, mit Hilfe von venösen oder arteriellen Kathetern röntgenologisch-kontrolliert Zugang zu den Gefäßregionen und Organen des Patienten zu
erlangen und an diesen diagnostische (mit Kontrastmittel) und
insbesondere auch therapeutische Maßnahmen durchzuführen. So können beispielsweise verschlossene Gefäße mittels
Ballonkatheter wieder geöffnet oder durch Katheter spezielle
dauerhafte Materialen in den Körper eingebracht werden, wie
z. B. gefäßerweiternde Hülsen (Stents) oder knochenausfüllenden Zement bei den Knochen auflösenden Metastasen.
Ein wesentliches röntgendiagnostisches Verfahren u. a. in der
interventionellen Radiologie ist die Digitale Subtraktionsangiographie (DSA). Bei der DSA handelt es sich um ein
Verfahren zur besseren Darstellung der mit einem Röntgenkontrastmittel markierten Blutgefäße im Körper. Hierfür wird
zuerst ein digitales Röntgenbild des Untersuchungsgebietes
zu einem Zeitpunkt, zu dem die Gefäße noch nicht kontrastiert sind („Leeraufnahme“), aufgenommen und gespeichert.
Zu einem späteren Zeitpunkt, zu dem die Blutgefäße bereits
maximal mit Kontrastmittel gefüllt sind, erfolgt eine neue digitale Röntgenaufnahme, die von der vorher erstellten “Leeraufnahme“ subtrahiert wird. Das daraus resultierende neue
Bild zeigt als Differenz der beiden subtrahierten Bilder die
kontrastgefüllten Gefäße (Abb. 3.13).
118
Abb. 3.13 Digitale Subtraktionsangiographie (DSA) zur Darstellung der Beckengefäße
Zwar ist die Kontrastauflösung dieser digitalen Angiographie
etwas schlechter als die der konventionellen Angiographie,
jedoch führt sie zu einer erheblich geringeren Strahlenexposition des Patienten. Zudem kann nach der durchgeführten Untersuchung mit Hilfe von EDV-Bildverarbeitungsmethoden eine Optimierung der Bildqualität herbeigeführt werden.
Die Computer-Tomographie (CT) ist ein Verfahren zur Herstellung von Querschnittsbildern des Körpers mit Hilfe von
Röntgenstrahlen. Die Anfertigung dieser Schnittbilder erfolgt
durch ein eng begrenztes Röntgenstrahlenbündel, welches
die zu untersuchende Körperschnittebene aus verschiedenen
Richtungen abtastet. Zu diesem Zweck umkreisen der Strahler und der Detektor den Patienten in der Schnittebene. Die
so erreichten Körperquerschnitte haben eine variable Dicke
zwischen 1 und 10 mm. Die durch den Körper abgeschwächten Röntgenstrahlen werden durch Detektoren erfasst, in
elektrische Signale umgewandelt und in einem Computersystem zu einem Querschnittsbild aufgebaut. Dieses erscheint in
verschiedenen Grauabstufungen auf einem Monitor, wo es
ausgewertet und beurteilt werden kann (Abb. 3.14).
119
Abb. 3.14 CT-Querschnittsbild des Bauchraumes. Zu erkennen
sind die Wirbelsäule, beide Nieren, die Leber, die Bauchspeicheldrüse und die Magenblase (unauffälliger Befund).
Die Scanzeiten haben sich heute auf 0,5 bis 2 Sekunden reduziert. Bei moderneren Geräten können gleichzeitig mehrere
Schichten des Körpers gescannt werden; hierzu stehen zur
Zeit bis zu 64-Schichten-Scanner zur Verfügung, weitere
Entwicklungen sind jedoch abzusehen. Wesentlicher Vorteil
der Mehrschicht-Scanner ist die kürzere Untersuchungszeit
die es z. B. erlaubt, während der Atemstillstandsphase des
Patienten nahezu den ganzen Körper zu untersuchen. Durch
besondere Rechenverfahren ist nicht nur die Darstellung einer Schicht sondern auch die Darstellung dreidimensionaler
Bilder (3-D-Darstellung) möglich. Diese 3-D-Darstellung gewinnt für die plastische Chirurgie und allgemein für die Operationsplanung immer mehr an Bedeutung.
Klinische Einsatzbereiche der Computertomographie finden
sich in vielen Gebieten der Medizin, angefangen von der Diagnostik des Kopfes und Gehirnes über die Diagnostik der
Lunge, der Wirbelsäule, über das Herz, bei dem heute mit
dem CT sehr gut Verkalkungen der Herzkranzgefäße erfasst
werden können, bis hin zur Diagnostik von durch Unfälle
schwer verletzter Patienten, aus deren Erstversorgung die
Computertomographie nicht mehr wegzudenken ist.
120
Da alle bisher angeführten Methoden der Röntgendiagnostik
mit einer Strahlenexposition des Patienten verbunden sind
(Tab. 3.4), hat sich die Radiologie schon seit vielen Jahrzehnten intensiv mit bildgebenden diagnostischen Verfahren beschäftigt, die keine Strahlenexposition mit sich bringen und
zwar insbesondere mit den Ultraschallverfahren (Sonographie) und der Kernspintomographie (auch Magnet-ResonanzTomographie genannt), auf die hier jedoch nicht eingegangen
werden soll.
Untersuchungsart
Durchleuchtung
Röntgenaufnahmen
Magen-DarmPassage
Thorax
Thorax
LWS
Interventionelle Radiologie
Computertomographie
Effektive
Dosis (mSv)
6–10
1–2
0,05–0,1
0,5 –1,0
5–10
Thorax
Abdomen
5–10
5–10
Tab. 3.4 Größenordnung der Strahlenexposition in der Röntgendiagnostik
Perkutane Strahlentherapie
Als Begründer der therapeutischen Anwendung von Röntgenstrahlen gilt der Wiener Dermatologe Leopold Freund, der bereits 1896 ein Muttermal auf dem Rücken eines Mädchens
bestrahlte und zwar erfolgreich, wie eine Nachuntersuchung
der damals mittlerweile 64-jährigen ehemaligen Patientin im
Jahre 1956 zeigte. Die bald erkannten Nachteile der Röntgenstrahlen für therapeutische Zwecke wurden in den folgenden
Jahrzehnten durch technische Verbesserungen (Filterung,
Mehrfeldtechnik, Bewegungsbestrahlung usw.) gemindert.
121
Weitere Entwicklungen in der Strahlentherapie waren die TeleRadiumtherapie (mit natürlichem Radium 226), die Tele-Kobalttherapie (mit Kobalt 60) sowie die Tele-Cäsiumtherapie
(mit Cäsium 137). Diese Bestrahlungssysteme, die über viele
Jahrzehnte zusammen mit einfacheren Beschleunigern in der
Strahlentherapie verwendet wurden, sind seit den 70er Jahren
fast vollständig von den technisch stabileren Linearbeschleunigern abgelöst worden, die neben Photonen auch Elektronen
für die Strahlenbehandlung liefern.
Auch für die so genannte intrakavitäre Strahlentherapie mit
umschlossenen radioaktiven Stoffen, die z. B. für die Behandlung von bösartigen Erkrankungen der Gebärmutter eingesetzt
wird, sind im Laufe der Jahre wesentliche technische Verbesserungen möglich geworden. So werden heute hierfür nur
noch Afterloading-Geräte eingesetzt, die zu einer nur noch minimalen Strahlenexposition des Bedienpersonals führen.
Grundlage der modernen Strahlentherapie (heute vorwiegend
als Radioonkologie bezeichnet) ist die Elektronenstrahlung. Ihre Attraktivität, vor allem zur Behandlung oberflächlich gelegener Tumoren und Metastasen, verdanken die Elektronen ihrem, gegenüber der Photonen (elektromagnetischen Wellen),
unterschiedlichem Verhalten beim Durchgang durch die Materie, in der sie ihre Energie über die Ladungswechselwirkung
an die Atome der zu behandelnden Tumoren und Metastasen
abgeben. Weitere strahlentherapeutische Maßnahmen verwenden Neutronen, die in Forschungsreaktoren, z. B. dem
FRM II, oder in Beschleunigern (Zyklotron) erzeugt werden.
Seit kurzem werden auch Protonen in der Strahlentherapie
verwendet. Diese Teilchen sind trotz des enormen technischen Aufwandes und der hohen Kosten für einige strahlentherapeutische Anwendungen geeignet, allerdings fehlen für
verschiedene Einsatzbereiche der Protonen noch größere klinische Studien.
Auch die Integration der modernen bildgebenden Verfahren
CT, MRT und PET in die Bestrahlungsplanung und die Entwicklung einer 3-D-Bestrahlungsplanung haben zu weiteren
Verbesserungen in der modernen Strahlentherapie geführt, die
heute unter dem Stichpunkt “intensitätsmodulierte Strahlentherapie“ (IMRT) als Optimum in der Radioonkologie angesehen
werden.
122
Neben der Behandlung von bösartigen Erkrankungen wird die
Strahlentherapie mit niedrigen Dosen bereits seit über 100
Jahren auch zur Behandlung von entzündlichen Veränderungen eingesetzt. Hauptindikation hierfür sind verschiedene entzündliche Erkrankungen, insbesondere entzündliche Gelenkerkrankungen aber auch Verschleißerscheinungen verschiedener Formen. Die therapeutische Wirkung dieser niedrig dosierten Strahlentherapie bei entzündlichen Veränderungen erfolgt durch eine Reduzierung der entzündlich gesteigerten
Durchblutung sowie durch eine Verminderung der die Entzündung fördernden weißen Blutkörperchen, so dass bei Gesamtdosen von wenigen Gy eine rasche Verbesserung der
klinischen Symptome möglich ist.
Eine – allerdings umstrittene – Sonderform der Strahlentherapie stellt die Radon- oder Radiumtherapie dar, die in einzelnen
Heilbädern angeboten wird. Hierbei entsteht die paradoxe Situation, dass einerseits eine generelle und größtenteils auch
berechtigte Sorge über die Gefährdung durch ionisierende
Strahlen aus Radioaktivität besteht, andererseits vor allem Patienten mit chronischen entzündlichen Gelenkerkrankungen in
diese Radonbäder oder -heilstollen kommen, um dort mit Hilfe
der Radioaktivität ihre Leiden zu lindern. Bei diesen Kuren erhält der Patient mit 2-3 mSv in 3 bis 4 Wochen in etwa die
gleiche Strahlenmenge, wie sie jeder Deutsche jedes Jahr aus
natürlichen Quellen aufnimmt.
Die Wirksamkeit dieser Radonkuren ist in Doppelblindversuchen bewiesen worden; insbesondere bei Patienten mit entzündlichen Gelenk- und Wirbelsäulenveränderungen können
lang andauernde Linderungen der Schmerzen und der entzündlichen Veränderungen beobachtet werden.
Versucht man, diese paradoxe Situation zusammenzufassen,
so lässt sich sagen, dass zwar durch die erhöhte Radonkonzentration in den Heilbädern eine potenzielle Gefährdung der
Patienten besteht, dass aber letztlich die nachgewiesene heilende Wirkung bei den meist älteren Patienten, die in der Regel ohne die Behandlung unter außerordentlich unangenehmen Schmerzen leiden, im Vordergrund steht.
123
3.5
Behandlung radioaktiver Abfälle
Was sind radioaktive Abfälle?
Beim Umgang mit radioaktiven Stoffen fallen viele unterschiedliche Formen radioaktiver Abfälle an, d.h. radioaktive
Stoffe, die nicht weiter genutzt werden können, die aber
auch nicht einfach wie normaler Müll in eine Deponie verbracht werden können. Vielmehr müssen die radioaktiven
Abfälle derart behandelt und gelagert werden, dass die
durch sie hervorgerufenen Strahlenexpositionen für die beteiligten Arbeiter und die Bevölkerung so niedrig wie praktisch möglich gehalten werden, und dass die vorgegebenen
Grenzwerte für die Strahlenexposition eingehalten werden.
Bei der Sortierung, Verarbeitung, Verpackung und Entsorgung radioaktiver Abfälle spielen eine Reihe von physikalischen und chemischen Eigenschaften eine Rolle, so dass
es sinnvoll ist, sie durch Einteilung in verschiedene Klassen
zu charakterisieren. Man unterscheidet aufgrund des Aktivitätsgehaltes zwischen hoch-, mittel- und schwachradioaktiven Abfällen. Häufig werden hierfür die Bezeichnungen
HAW, MAW und LAW (von den englischen Bezeichnungen
high, middle und low active waste) verwendet. Die mittelund schwachradioaktiven Abfälle werden häufig noch in
kurz- und langlebige Abfälle eingeteilt (je nachdem, ob die
Halbwertszeiten der enthaltenen Radionuklide kürzer oder
länger als 30 Jahre sind). Für die Behandlung der Abfälle ist
wegen der großen biologischen Wirksamkeit von Alphastrahlung oft auch eine Unterteilung in solche, die wenig
oder keine, und solche die viele Alpha-Strahler enthalten,
sinnvoll. Für die Endlagerung von radioaktiven Abfällen
spielt vor allem eine wesentliche Rolle, ob ihre Wärmeentwicklung (aufgrund ihrer Radioaktivität) vernachlässigbar ist
oder nicht: im Wirtsgestein eines Endlagers sollen aus geologischen Gründen keine wesentlichen Temperaturerhöhungen (d.h. mehr als 3 Grad) auftreten.
Quellen radioaktiver Abfälle
Eine wesentliche Quelle für radioaktive Abfälle ist der nukleare Brennstoffkreislauf (einschließlich Uranabbau und -aufbereitung, Anreicherung, Behandlung bestrahlter Kern124
brennstoffe). In Kernkraftwerken fallen neben den bestrahlten Brennelementen eine Reihe weiterer Abfälle wie Verdampferkonzentrate, Filter, Reinigungsmittel und Schutzkleidung an. Das Abfallaufkommen eines typischen Kernkraftwerks liegt in der Größenordnung von einhundert m³
konditionierter Abfälle im Jahr. Nur ein kleiner Anteil davon
zählt zu den hochaktiven Abfällen mit starker Wärmeentwicklung. Hochaktive, wärmeentwickelnde Abfälle (Rückstände der Brennelemente, Spaltproduktkonzentrat, Hülsen
und Strukturteile, Schlämme), aber auch alle anderen Arten
radioaktiver Abfälle fallen in Wiederaufarbeitungsanlagen
an. Eine Vielfalt an verschiedenen radioaktiven Abfällen entsteht auch bei der Stilllegung und dem Rückbau kerntechnischer Anlagen.
Neben dem nuklearen Brennstoffkreislauf stammen radioaktive Abfälle aus der Anwendung von Radioisotopen in Medizin, Industrie und Forschung. Diese in der Regel mittel- und
schwachaktiven Abfälle werden in Landessammelstellen gesammelt und zwischengelagert, bevor sie einer geeigneten
Behandlung und Entsorgung zugeführt werden.
Radioaktive Abfälle fallen aber auch beim Umgang mit Materialien, welche natürlich radioaktive Stoffe enthalten, an.
So sind z. B. die Bohr- und Fördergestänge aus der Erdölförderung mit radioaktiven Stoffen wie Radium oder Uran
aus dem Untergrund kontaminiert und sind deswegen als
radioaktiver Abfall zu betrachten.
Behandlungsmethoden
Die Anforderungen an Sortierung, Verarbeitung, Verpackung
und Entsorgung der radioaktiven Abfälle richten sich nach
deren Eigenschaften. Hauptziel der Abfallbehandlung ist die
Reduzierung des zu entsorgenden Abfallvolumens und der
Einschluss in feste Strukturen.
Radionuklide mit sehr kurzen Halbwertszeiten können dem
natürlichen Zerfall überlassen werden. Dies wird z. B. bei
den kurzlebigen Iodisotopen, die in der medizinischen Diagnose und Therapie verwendet werden, angewandt. Die radioaktiv kontaminierten Abwässer eines Krankenhauses
werden in Abklingbehältern gesammelt und gelagert, bis
125
sich ihre Aktivität so weit verringert hat, dass sie in die Kanalisation entlassen werden können.
Feste radioaktive Abfälle werden, soweit möglich, in ihrem
Volumen reduziert (Zerkleinern, Pressen, Veraschen) und
dann in Fässern oder Containern eingeschlossen. Handhabung und Transport schwachaktiver Abfälle erfordern dabei
keinen wesentlichen Aufwand für die Abschirmung der
Strahlung.
Sind die radioaktiven Stoffe in nichtaktiven Flüssigkeiten gelöst oder suspendiert, so werden sie durch Eindampfen, Fällen, Filtern oder Ionenaustausch daraus abgetrennt. Die
verbleibenden radioaktiven Rückstände werden z. B. mit Bitumen oder Zement verfestigt und dann in Stahlfässern o. ä.
verpackt.
Hochaktive Abfälle mit erheblicher Wärmeentwicklung aus
Wiederaufarbeitungsanlagen (so genannte Spaltproduktlösungen) liegen in flüssiger Form vor. Sie werden durch Verdampfen aufkonzentriert und in Edelstahltanks gelagert.
Während einer Lagerzeit von fünf Jahren sinkt die Rate der
Wärmeproduktion auf etwa 6 %. Dies erleichtert die Überführung in eine endlagerungsfähige Form, wobei die Abfälle
mit glasbildenden Stoffen gemischt und daraus Glasblöcke
geschmolzen werden, welche dann zusätzlich mit Edelstahl
umkleidet werden.
Zwischen- und Endlager
Für eine Endlagerung der behandelten radioaktiven Abfälle
ist in Deutschland die Einlagerung in geeignete tiefe geologische Strukturen – z. B. in Steinsalzlagerstätten – vorgesehen. Lediglich 1967 wurden 80 Fässer mit radioaktiven Abfällen im Atlantik versenkt.
Das Salzbergwerk Asse II bei Wolfenbüttel wurde 1965 von
der Bundesregierung als Forschungsbergwerk zur Untersuchung von Verfahren und Techniken zur Endlagerung radioaktiver Abfälle erworben. Die Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF; heutiger Name: Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit) übernahm die Betriebsführung und
startete 1967 mit Forschungs- und Entwicklungsarbeiten.
Bis 1978 wurden hier ca. 125.000 Behälter mit schwach126
und rund 1.300 Fässer mit mittelaktiven Abfällen eingelagert. Seit 1979 findet keine Einlagerung radioaktiver Abfälle
mehr statt, doch liefen die Forschungsarbeiten weiter. Bis
2017 soll die Schließung der Schachtanlage nach Bundesberggesetz vollzogen sein.
Auch in der bei Salzgitter gelegenen Eisenerzgrube Konrad,
welche 1976 ihre Produktion wegen Unwirtschaftlichkeit einstellte, wurden seit 1975 Voruntersuchungen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung durchgeführt. 1982 stellte die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) einen ersten Antrag auf Einleitung eines Planfeststellungsverfahrens. 2002 erging hierfür
der Planfeststellungsbeschluss an das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS). Am 8. März 2006 hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg alle Klagen gegen diesen Planfeststellungsbeschluss abgewiesen, eine Revision gegen dieses
Urteil wurde nicht zugelassen. Allerdings steht den Klägern
noch der Weg einer Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht offen. Sollte das Urteil rechtskräftig
werden, kann nach der notwendigen technischen Einrichtung des Endlagers frühestens ab 2012/13 mit der Einlagerung radioaktiver Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung begonnen werden.
1970 begann in der Steinsalzgrube Bartensleben bei Morsleben (damals DDR) die Einrichtung eines Endlagers für mittel- und schwachaktiven Abfall. Seit Anfang der 80er Jahre
wurden in das „Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben“
(ERAM) insgesamt etwa 37.000 m3 niedrig- und mittelradioaktive Abfälle mit überwiegend kurzlebigen Radionukliden
und einer Gesamtaktivität von etwa 1014 Bq eingelagert. Die
Dauerbetriebsgenehmigung für dieses Endlager ging bei der
Wiedervereinigung Deutschlands als befristete Genehmigung auf das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) über.
1998 wurde die Annahme und Einlagerung radioaktiver Abfälle aufgrund einer Klage des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) ausgesetzt, und 1999 wurde beschlossen,
die Einlagerung nicht wieder aufzunehmen. Seitdem laufen
die Arbeiten zur Stilllegung des Endlagers. So wurden seit
2003 Teile des Zentralteils zur bergbaulichen Gefahrenabwehr mit Salzbeton verfüllt. Nach dem Vorliegen eines Plan127
feststellungsbeschlusses wird für die Stilllegungsarbeiten mit
einem Zeitraum von 17 Jahren gerechnet (/BFS-05/).
Die 2000/2001 getroffene „Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen“
(„Atomkonsens“) enthielt u. a. das Verbot, ab 2005 abgebrannte Brennelemente zur Wiederaufarbeitung an ausländische Wiederaufarbeitungsanlagen abzugeben. Damit ist
für bestrahlte Brennelemente die direkte Endlagerung der allein mögliche Entsorgungsweg. Da jedoch hierfür noch kein
Endlager existiert, ergab sich für den Weiterbetrieb der laufenden Kernkraftwerke die Notwendigkeit, die verbrauchten
Brennelemente für lange Zeit – bis zur Betriebsbereitschaft
eines Endlagers – zwischenzulagern. Deshalb wurden so
genannte Standortzwischenlager (Trockenlager) beantragt
und zum Teil bereits errichtet. Einige Kernkraftwerke haben
Interimslager errichtet, in denen die Brennelemente vorübergehend (etwa 5-6 Jahre) aufbewahrt werden sollen, da die
Fertigstellung der eigentlichen Zwischenlager nicht schnell
genug geschehen kann, ohne den Betrieb der Anlagen zu
unterbrechen.
Die Suche nach einem Endlager für hochaktive Abfälle wurde in Deutschland bereits in den siebziger Jahren begonnen. Im Jahre 1974 wurde von der Bundesregierung das
Konzept eines „Integrierten Nuklearen Entsorgungszentrums“ erstellt. Hier sollten an einem Ort die Wiederaufarbeitung bestrahlter Brennelemente, die Fabrikation von Brennelementen, die Behandlung und die Endlagerung aller Arten
radioaktiver Abfälle durchgeführt werden. Nach Prüfung einer Reihe von potentiellen Standorten hierfür wurde 1977
das Planfeststellungsverfahren zur Endlagerung schwach-,
mittel- und hochradioaktiver Abfälle im Salzstock Gorleben,
nahe an der Grenze zur DDR, eingeleitet. Nach dem Gorleben-Hearing 1979 (welches vom Unfall im amerikanischen
Kernkraftwerk Harrisburg überschattet wurde) gab man die
Wiederaufarbeitung am Standort Gorleben auf und es wurde
nur noch die Eignung des Salzstocks als Endlagerstätte weiter untersucht. Nach der deutschen Wiedervereinigung wurden für den Fall, dass sich Gorleben als ungeeignet für ein
Endlager erweisen sollte, eine Reihe weiterer Salzlagerstätten, aber auch andere Gesteinsformationen zur Vervollständigung des Kenntnisstandes über potentielle Endlager128
standorte überprüft. Dabei wurden vier als weiter untersuchungswürdig eingestuft. Derzeit ist die Erkundung des
Salzstocks Gorleben unterbrochen (Gorleben-Moratorium).
Aus den bisherigen Resultaten der bereits weit fortgeschrittenen Erkundung ergeben sich allerdings keine Hinweise,
die gegen eine Eignungshöffigkeit dieses Standorts sprechen würden.
3.6
Literatur
Büll, U., H. Schicha, H.J. Biersack, et al. (1999) Nuklearmedizin. Stuttgart, Thieme Verlag. 3. Auflage.
Kauffmann, G.W., E. Moser, R. Sauer (2006). Radiologie.
München, Jena, Elsevier-Verlag, Urban & Fischer. 3. Aufl.
Bundesamt für Strahlenschutz (2005). Endlagerung radioaktiver Abfälle als nationale Aufgabe. (/BFS-05/).
http://www.bfs.de/bfs/druck/broschueren/Endlagerung_natio
nal.pdf
Heinz Maier-Leibnitz (FRM II) (2005). Forschungsneutronenquelle. Landolt-Börnstein. 3.
http://www.new.frm2.tum.de.
Bryant, P. J. (1994). A brief history and review of accelerators. CERN Report 199.
http://documents.cern.ch/archive/cernrep/199.
Koelzer, W. (2001). Lexikon der Kernenergie. Karlsruhe,
Forschungszentrum Karlsruhe GmbH.
Landolt-Börnstein (2005). Energy Technologies: Nuklear
Energy. Landolt-Börnstein – Group VIII Advanced Materials
and Technologies 3, Subvolume B. Berlin, Heidelberg, New
York, Springer Verlag.
Paretzke, H. G. (2001). Konzentrationen und Wirkungen von
Radionukliden in Böden und Pflanzen. Handbuch der Umweltveränderungen und Ökotoxiologie. R. Guderian. Springer Verlag, Berlin: 149-172.
Siehl, A. (1996). Umweltradioaktivität. Berlin, Ernst & Sohn.
United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic
Radiation (UNSCEAR) (2000). Report to the General
Assembly.
Bamberg, M, M. Molls, H. Sack (2004). Radioonkologie.
München, Wien, New York, W. Zuckschwerdt Verlag.
129
4.
Strahlenexposition und Umweltradioaktivität
4.1
Das Verhalten radioaktiver Stoffe in der Umwelt
(Radioökologie)
Die Radioökologie beschäftigt sich damit, was mit radioaktiven Stoffen geschieht, wenn sie in unsere Umwelt freigesetzt werden. Dies umfasst
ƒ die Ausbreitung in der Atmosphäre und in Gewässern,
ƒ die Ablagerung auf Pflanzen, Böden oder anderen
Oberflächen in der Umgebung des Menschen,
ƒ weitere Transportvorgänge, z. B. in Böden oder in
Nahrungsketten (Pflanzen ĺ Futtermittel ĺ Tiere
ĺ Tierprodukte ĺ Nahrungsmittel ĺ Mensch),
ƒ das Verhalten der radioaktiven Stoffe im Körper des
Menschen und die von ihnen ausgehende Strahlung.
Das Ziel dieser Betrachtungen ist es, die resultierende
Strahlenexposition des Menschen abzuschätzen. Diese
kann dadurch zustande kommen, dass der Körper durch die
radioaktiven Stoffe außerhalb seines Körpers bestrahlt wird
(externe Exposition), oder aber die radioaktiven Stoffe gelangen in den menschlichen Körper und bestrahlen ihn von
innen heraus (interne Exposition).
All diese Überlegungen gelten sowohl für natürliche, in unserer Umwelt seit jeher vorhandene radioaktive Stoffe, als
auch für solche, die durch menschliche Aktivitäten (z. B. bei
Kernwaffentests, in kerntechnischen Anlagen, Verwendung
in Medizin, Wissenschaft und Technik) erzeugt worden sind.
Die meisten der beschriebenen Prozesse treffen außerdem
auch für nicht-radioaktive Stoffe zu.
Das Gebiet der Radioökologie entwickelte sich ganz wesentlich in den Zeiten der weltweiten Verteilung und Ablagerung
radioaktiver Stoffe, welche bei den mehr als tausend oberirdischen Kernwaffentests vor allem Anfang der sechziger
Jahre des letzten Jahrhunderts freigesetzt wurden. Die Beobachtung der radioaktiven Stoffe, die in fast allen Bereichen unserer Umwelt messbar waren, führte zu einem um130
fangreichen Wissen über das Verhalten von Stoffen in der
Umwelt, wie es mit nicht-radioaktiven Stoffen wegen des in
der Regel viel höheren Messaufwands nicht erreichbar ist.
Um diese Kenntnisse praktisch zur Abschätzung von Strahlenexpositionen anwenden zu können, wurden verschiedene
Rechenmodelle entwickelt, welche die einzelnen Ausbreitungsprozesse durch mehr oder weniger vereinfachende
Formeln beschreiben. Je nach dem Ziel der Berechnungen
ist dabei die Komplexität der Modelle unterschiedlich: geht
es darum, nachzuweisen, dass aus einer Freisetzung radioaktiver Stoffe eine bestimmte Strahlenexposition der Menschen nicht überschritten wird, so genügen relativ einfache
Modellannahmen, welche den ungünstigsten Fall betrachten. Ein Beispiel hierfür ist die Verwaltungsvorschrift zur Ermittlung der Strahlenexposition (Bundesanzeiger 1990; eine
Neufassung ist in Vorbereitung), welche im Genehmigungsverfahren für kerntechnische Anlagen Anwendung findet.
Wenn andererseits Berechnungen der Strahlenexpositionen
in einem akuten Fall von Umweltkontaminationen durchgeführt werden sollen mit dem Ziel, eventuell nötige Schutz- und
Gegenmaßnahmen zu optimieren, dann muss das Rechenmodell möglichst realistische Abschätzungen machen. Hierzu
muss es viele Ausbreitungs- und Transportprozesse detaillierter betrachten. Ein Beispiel hierfür ist das am GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit (früher Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung) entwickelte radioökologische Rechenmodell ECOSYS (Matthies et. al. 1982,
Müller u. Pröhl 1993), welches inzwischen u. a. im Entscheidungshilfesystem RODOS (Real-time, on-line decision support
system, Ehrhardt et al.1997) in vielen Ländern eingesetzt wird.
Ein zweiter Anstoß für die radioökologische Forschung und
die Entwicklung von Rechenmodellen war die großräumige
radioaktive Kontamination der Umwelt durch den Reaktorunfall von Tschernobyl (1986). Durch die Vielzahl der in der
Folge durchgeführten Messungen konnten die vorhandenen
Rechenmodelle überprüft und weiterentwickelt werden.
Ausbreitung in der Atmosphäre
Werden radioaktive Stoffe in Form von sehr kleinen Partikeln oder gasförmig in die Atmosphäre freigesetzt, so kön131
nen sie hier u. U. weit transportiert werden, wobei die Konzentration dieser Stoffe auf ihrem Weg durch die Atmosphäre i. Allg. stetig abnimmt. Der Transport wird dabei im Wesentlichen von den großräumigen Luftbewegungen (Advektion, „Wind“) bestimmt, die Verdünnung durch die Turbulenzen der Luft und durch Diffusion.
Einflussgrößen bei der Ausbreitung
Die Ausbreitung der radioaktiven Stoffe in der Atmosphäre
wird von vielen Dingen beeinflusst, von denen hier nur die
wichtigsten genannt werden:
- Wind
Es mag vielleicht zunächst trivial klingen, dass die Windrichtung bestimmt, wohin die freigesetzten Stoffe transportiert
werden. Das Problem bei der Prognose der atmosphärischen Ausbreitung ist jedoch, dass es meist die Windrichtung nicht gibt: sie kann sich von einem Ort zum anderen
ändern, hervorgerufen durch Einflüsse der Landschaftsform
(Hügel, Täler) oder auch durch Luftmassengrenzen. Auch
mit der Höhe ändert sich die Windrichtung: Durch den Einfluss der Reibung und der Erdrotation dreht sich die Windrichtung mit wachsender Entfernung vom Boden. In Extremfällen, etwa wenn Kaltluft und Warmluft aufeinander stoßen,
kann die Windrichtung am Boden sich bis zu 180° von der
Windrichtung in der Höhe unterscheiden.
Natürlich hat auch die Windgeschwindigkeit einen großen
Einfluss auf die Konzentration der freigesetzten Stoffe: je
höher die Windgeschwindigkeit, desto stärker die Verdünnung. Wie die Windrichtung, so kann sich auch die Windgeschwindigkeit räumlich ändern: zum einen kann die Landschaftsform Änderungen hervorrufen (z. B. Kanalisierungseffekt in einem Tal), zum anderen bewirkt die Reibung der
Luft am Boden, dass mit zunehmender Höhe die Windgeschwindigkeit zunimmt.
- Turbulenzzustand der Atmosphäre
In der Atmosphäre bilden sich ständig Luftwirbel ganz unterschiedlicher Größe, hervorgerufen z. B. durch die Reibung
am Boden, durch die Landschaftsform, und durch Erwärmung und Abkühlung der Erdoberfläche. Diese Turbulenzen
132
bewirken, dass die freigesetzten Partikel nicht einfach geradlinig mit dem Wind transportiert werden, sondern dass
sich die Wolke zur Seite, nach oben und unten ausbreitet.
Die Turbulenzen in der Atmosphäre hängen stark damit
zusammen, wie sich die Lufttemperatur mit der Höhe ändert. Im Normalfall nimmt die Temperatur alle 100 Meter
etwa um 1 Grad ab. Wird der Erdboden und damit die unteren Luftschichten durch starke Sonneneinstrahlung aufgeheizt (Temperaturabnahme mit der Höhe mehr als 1 Grad
pro 100 m), so steigt die erwärmte Luft auf und es bilden
sich verstärkte Turbulenzen. Kühlt sich dagegen der Boden
und damit die unteren Luftschichten ab (z. B. in einer klaren
Nacht), so bleibt die kühle Luft am Boden liegen und die
Turbulenz nimmt ab; dies wird als stabile Luftschichtung bezeichnet.
Je stabiler die Luftschichtung, desto geringer ist also die
Turbulenz, und damit desto geringer die Ausbreitung der
freigesetzten Stoffe in vertikaler Richtung. Umgekehrt: je
turbulenter die Atmosphäre ist, desto stärker die vertikale
Durchmischung, desto schneller erreicht die Wolke den Erdboden. Bei instabiler (turbulenter) Luftschichtung liegt also
das Konzentrationsmaximum am Boden nahe am Freisetzungspunkt, bei stabiler Schichtung weiter entfernt.
Jeder hat dies schon an der „Rauchfahne“ (meist Wasserdampf) an einem Schornstein beobachten können. Nach einer klaren Winternacht (stabile Schichtung) ist die Fahne oft
über eine weite Strecke hin sichtbar und sehr schmal. Am
Mittag bei Sonneneinstrahlung (instabile, turbulente Schichtung) verbreitert sich die Fahne dagegen sehr schnell und
löst sich bald auf (Abb. 4.1).
- Freisetzungshöhe
Je höher der Schornstein ist, aus dem die radioaktiven Stoffe freigesetzt werden, desto länger dauert es, bis die Fahne
den Erdboden erreicht. Deshalb nimmt der Abstand des Ortes am Boden mit maximaler Konzentration mit wachsender
Freisetzungshöhe zu. Wegen der dabei auch zunehmenden
Verbreiterung der Wolke ist die maximale Konzentration am
Boden umso niedriger, je höher die Freisetzung erfolgt.
133
Instabile Wetterlage
m
200
100
0
18
19
20 °C
neutrale Wetterlage
m
200
100
0
18
19
20 °C
stabile Wetterlage (Inversion)
m
200
100
0
18
19
20 °C
Abb. 4.1 Luftschichtungen und zugehörige Rauchfahnen
Werden die radioaktiven Stoffe am Kaminende mit einem
Luftstrom nach oben geblasen, oder werden sie zusammen
mit heißer Luft freigesetzt (was einen Auftrieb erzeugt), so
liegt die Achse der Abluftfahne höher als die Kaminhöhe.
Durch diese Vergrößerung der „effektiven Freisetzungshöhe“ werden ebenfalls eine Vergrößerung des Abstandes und
eine Verringerung der Konzentration des Punktes maximaler
Konzentration am Boden erreicht.
Beim Thema „Wind“ wurde schon darauf hingewiesen, dass
sich Windrichtung und Windgeschwindigkeit mit der Höhe
ändern können, manchmal sogar sehr stark. Deshalb kann
eine Vergrößerung der Freisetzungshöhe auch bewirken,
dass die freigesetzten Stoffe in eine andere Richtung transportiert werden. Dies macht eine Prognose der atmosphärischen Ausbreitung bei einer unfallbedingten Freisetzung
134
sehr schwierig, wenn man nicht weiß, wie viel Wärme (z. B.
bei einem Brand) dabei mit freigesetzt wird.
- Physikalisch-chemische Form
Die in die Atmosphäre freigesetzten Teilchen werden dort so
lange mit dem Wind transportiert, bis sie durch trockene
Deposition oder durch den Regen auf den Boden, auf
Pflanzen oder andere Oberflächen abgelagert werden. Wie
im Abschnitt “Depositon“ näher erläutert wird, spielt bei den
Depositionsprozessen die Größe der Teilchen, auch die
chemische Form eine Rolle. So werden z. B. sehr große
Teilchen schnell abgelagert und können deshalb nicht weit
in der Atmosphäre transportiert werden. Auf der anderen
Seite werden Edelgase nicht abgelagert und verbleiben
deshalb in der Atmosphäre, bis sie durch radioaktiven Zerfall
verschwinden (sofern es sich um ein radioaktives Edelgas
handelt).
Ausbreitungsmodelle
Entsprechend den komplexen Prozessen und Einflussfaktoren bei der atmosphärischen Ausbreitung gibt es eine Vielzahl von Modellen, mit denen sich die Ausbreitung berechnen lässt. Es sollen hier nur kurz einige wichtige ModellTypen vorgestellt werden.
- Gauss-Modelle
Der für praktische Anwendungen wichtigste Modelltyp ist
das Gauss-Modell. Es hat seinen Namen daher, dass es die
Konzentrationsverteilung in der Abluftwolke senkrecht zur
Windrichtung (horizontal und vertikal) in Form einer
Gauss’schen-Normalverteilung („Glockenkurve“) beschreibt
(siehe Abb. 4.2). Diese Verteilung ergibt sich aus den physikalischen Modellansätzen, wenn man eine Reihe von vereinfachenden Annahmen macht, z. B. dass
ƒ Windgeschwindigkeit und -richtung räumlich und
zeitlich konstant sind,
ƒ die atmosphärische Turbulenz sich räumlich und
zeitlich nicht ändert,
ƒ die Ausbreitung in ebenem Gelände stattfindet,
135
ƒ
die Rauhigkeit des Untergrunds räumlich konstant
ist,
usw.
ƒ
Das Gauss-Modell verwendet zur Beschreibung des vertikalen und horizontalen Auseinanderdriftens der Abluftwolke
(Breite der Gauss-Verteilungen) Parameter, welche experimentell bestimmt wurden.
Wenn auch die genannten vereinfachenden Annahmen in
der Realität nie ganz erfüllt sind, so gibt das Gauss-Modell
doch oft ohne viel Rechenaufwand eine brauchbare Abschätzung für die Konzentration in der Umgebung des Emittenten. Allerdings muss man sich davor hüten, dieses Modell in ungeeigneten Situationen anzuwenden, etwa in stark
hügeligem Gelände oder in zu großem Abstand (mehr als
etwa 10 km) vom Freisetzungspunkt.
Konzentrationsverteilung
horizontal
z
vertikal
y
x
=Windrichtung
Abb. 4.2 Konzentrationsverteilung in einer Abluftwolke nach
dem Gauss-Modell
Um die oben genannten vereinfachenden Annahmen abzumildern wurde eine Reihe von verfeinerten Gauss-Modellen
entwickelt, welche jeweils mit geeigneten Korrekturen näherungsweise den Einfluss von nicht im Gauss-Modell enthaltenen Effekten abschätzen. So lassen sich etwa zeitliche
Änderungen der Atmosphäreneigenschaften (Windrichtung
und -geschwindigkeit, Turbulenz) dadurch berücksichtigen,
136
dass man die Abluftfahne für jeweils kurze Zeitintervalle
(z. B. 10 Minuten) mit dem Gauss-Modell berechnet und diese dann im nächsten Zeitintervall als Freisetzungsquelle
einer erneuten Ausbreitungsrechnung betrachtet, wobei gegenüber dem ersten Zeitintervall geänderte Ausbreitungsbedingungen herrschen können.
Ein großer Vorteil der Gauss-Modelle ist, dass sie mit relativ
geringem Rechenaufwand zu Ergebnissen führen. In vielen
Fällen ist es jedoch nötig, sehr viel detailliertere Modelle zu
verwenden, um die Ausbreitungsverhältnisse in der Atmosphäre hinreichend genau zu beschreiben. Hierbei sind
dann sehr leistungsfähige Computer nötig. Für solche komplexen Rechenmodelle gibt es zwei grundsätzlich verschiedene Modellansätze, die im Folgenden kurz charakterisiert
werden.
- Eulersche Ausbreitungsmodelle
Die Atmosphäre in der Umgebung des Freisetzungsortes
wird in dreidimensionale Gitterzellen eingeteilt. Die Größe
der Gitterzellen ändert sich dabei meist mit der Höhe über
Grund und mit dem Abstand vom Freisetzungsort. In jeder
Gitterzelle können individuelle, zeitlich variable Bedingungen
(z. B. Temperatur, Windrichtung und -geschwindigkeit, Turbulenz) herrschen. Die Ausbreitungsepisode wird in kleine
Zeitabschnitte unterteilt. In jedem Zeitabschnitt wird berechnet, welche Menge des freigesetzten Stoffes von jeder Zelle
in ihre Nachbarzellen transportiert wird.
- Lagrangesche Ausbreitungsmodelle
Zur Bestimmung des Ausbreitungsverhaltens eines Schadstoffes werden im Computer die „Flugbahnen“ (Trajektorien)
von einzelnen Schadstoffpartikeln verfolgt. Die Partikelbewegung wird dabei in kurzen Zeitabschnitten berechnet unter Berücksichtigung des aktuellen Windfeldes (das sich
räumlich und zeitlich ändern kann) und einer Zufallskomponente, welche die turbulente Diffusion beschreibt. Nacheinander werden sehr viele Partikel verfolgt, von denen jedes einen anderen Weg nimmt. An den interessierenden
Stellen wird gezählt, wie viele Partikel ein bestimmtes Volumen durchqueren; dies ist ein Maß für die Konzentration des
freigesetzten Stoffes an diesem Ort.
137
Lagrangesche Ausbreitungsmodelle sind heute Stand der
Technik: sie finden z. B. in der Technischen Anleitung Luft
(TA-Luft) für konventionelle Schadstoffe Anwendung.
Deposition und Verbleib auf Oberflächen
Die in die Atmosphäre freigesetzten radioaktiven Stoffe
verbleiben natürlich nicht beliebig lange dort, sondern werden durch verschiedene Prozesse auf den Boden, auf
Pflanzen und andere Oberflächen (z. B. Häuser, Gewässer)
abgelagert. Bei dieser so genannten Deposition unterscheidet man je nach den vorherrschenden Mechanismen vor allem trockene und nasse Deposition.
- Trockene Deposition
Bei trockenen Wetterbedingungen tragen vor allem zwei
Prozesse zu einer Deposition der radioaktiven Stoffe (oft
auch Fallout genannt) bei:
ƒ bei relativ großen Partikeln (d.h. Teilchen von mehr
als etwa 1/100 Millimeter Durchmesser) bewirkt die
Schwerkraft ein Absinken auf den Boden,
ƒ sehr kleine Partikeln (vor allem bei Teilchen mit
Durchmessern von weniger als ein Tausendstel
Millimeter) sinken durch die Schwerkraft kaum ab,
sondern bewegen sich im Wesentlichen mit den
turbulenten Luftbewegungen. Kommen sie dabei in
Bodennähe, so können sie mit Hindernissen (z. B.
Pflanzen) zusammenstoßen und daran haften bleiben.
Radioaktive Stoffe, welche nicht partikelgebunden, sondern
gasförmig vorliegen, können ebenfalls z. B. auf Pflanzenoberflächen abgelagert werden, besonders, wenn es sich
um reaktionsfähige Gase handelt: wenn es sich um ein Gas
handelt, welches am Stoffwechsel der Pflanzen teilnimmt
(z. B. elementares Iod, Tritium, Kohlenstoff-14 in Form von
Kohlendioxid), können dabei relativ schnell durch die Blattoberflächen ins Innere der Pflanze gelangen und dort gebunden werden. Reaktionsträge Gase dagegen, vor allem
Edelgase, werden dagegen praktisch nicht abgelagert.
138
Bei der technischen Nutzung der Kernenergie, besonders aus Wiederaufarbeitungsanlagen, werden auch radioaktive Edelgase in die
Atmosphäre freigesetzt. Hier spielt besonders das langlebige Krypton-85 (Halbwertszeit 10,8 Jahre) eine Rolle. Da es nicht abgelagert wird, reichert es sich in der Atmosphäre an: in den vergangenen 20 Jahren stieg seine Konzentration in der Atmosphäre um etwa den Faktor 3 an. Für die Strahlenexposition von Mensch und
Umwelt spielt dieses Krypton-85 jedoch keine nennenswerte Rolle.
- Nasse Deposition
Wenn es während des atmosphärischen Transports von partikelgebundenen radioaktiven Stoffen regnet, so können diese mit dem Niederschlag zum Boden transportiert werden.
Bei dieser so genannten nassen Deposition können zwei
Mechanismen eine Rolle spielen:
ƒ
Die radioaktiven Partikel können in der Atmosphäre
als Kondensationskeime für Regentröpfchen dienen
und mit diesen zum Boden fallen, sobald die Tröpfchen groß genug geworden sind. Dieser Prozess
wird als „Rainout“ bezeichnet.
ƒ
Wenn sich die Regenwolke oberhalb der Abluftfahne mit den radioaktiven Partikeln befindet, können
die aus der Regenwolke fallenden Regentropfen die
Partikel „einfangen“ und mit zum Boden transportieren („Washout“).
Die nasse Deposition findet naturgemäß nur in bestimmten
Situationen, nämlich wenn Niederschlag fällt, statt. Wenn sie
aber erfolgt, so spielt sie eine weit wichtigere Rolle als die
trockene Deposition.
Dies konnte besonders deutlich in den 60-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts beobachtet werden: Die durch die oberirdischen
Kernwaffentests hoch in die Atmosphäre gebrachten radioaktiven
Partikel wurden dort weiträumig transportiert bis sie relativ gleichmäßig in hohen Atmosphäreschichten verteilt waren. Die Deposition auf den Erdboden ging über viele Jahre vor sich. Das Ausmaß
der auf den Boden deponierten Aktivität z. B. von Cäsium-137 oder
Strontium-90 hing dabei in hohem Maße von der regionalen mittleren Niederschlagsmenge ab, d.h. in trockenen Gebieten waren wesentlich geringere Aktivitäten messbar als in Regionen mit hohen
Niederschlägen.
139
Auch nach dem Durchzug der Wolke mit radioaktiven Partikeln aus
dem Tschernobyl-Unfall war vor allem in Süddeutschland eine ausgeprägte räumliche Variabilität der deponierten radioaktiven Stoffe
feststellbar, welche durch die starken regionalen Unterschiede der
Regenmengen (aufgrund lokaler Gewitterschauer) hervorgerufen
wurde.
Trockene Deposition (Fallout)
Nasse Deposition (Rainout)
Nasse Deposition (Washout)
Abb. 4.3 Depositionsprozesse
- Interzeption
Wie im letzten Abschnitt beschrieben, ist für die gesamte
Deposition aus der Atmosphäre zum Boden hin vor allem
die nasse Deposition wichtig. Fällt der Niederschlag dabei
140
auf eine Fläche, welche mit Pflanzen bewachsen ist, so
bleibt nur ein gewisser Anteil der insgesamt deponierten radioaktiven Stoffe auf den Blättern hängen, der Rest fällt mit
dem Regenwasser zum Boden. Das Ausmaß dieser Rückhaltung durch die Pflanzen (Interzeption genannt) spielt vor
allem dann eine Rolle, wenn es sich bei den Pflanzen um
Nahrungsmittel (z. B. Salat, Gemüse) oder Futtermittel für
Haustiere (z. B. Gras für Kühe) handelt, denn nur der von
der Pflanze zurückgehaltene Anteil deponierter radioaktiver Stoffe gelangt unmittelbar in die menschliche Nahrungskette.
Das Ausmaß der Interzeption hängt von verschiedenen
Faktoren ab, z. B.
ƒ Je weiter die Pflanzen entwickelt sind, d.h. je größer die Blattfläche ist, desto höher ist die Rückhaltung.
ƒ Je größer die Regenmenge ist, desto geringer ist
der Anteil, der auf der Blattoberfläche verbleibt.
ƒ Die physikalisch-chemischen Eigenschaften des radioaktiven Stoffs beeinflussen, wie stark die
Pflanzenoberfläche diesen Stoff binden kann.
Das Ausmaß der Interzeption kann über einen weiten Bereich variieren, von 100 % (alles verbleibt auf den Blättern;
dies kann z. B. bei sehr dichtem Blattwerk und nur leichtem
Nieselregen auftreten) bis nahe 0 % (alles geht auf den Boden; bei kleinen Pflänzchen, starkem Regen).
- Verbleib auf Oberflächen
Nach einer Ablagerung von radioaktiven Stoffen auf den
Erdboden, auf Pflanzen oder andere Oberflächen, verbleiben diese häufig nur für eine beschränkte Zeit an dieser
Stelle. Nur wenn eine chemische oder physikalische Bindung an die Oberfläche (z. B. Aufnahme ins Blattinnere von
Pflanzen, Adhäsion an kristalline Strukturen von Bodenpartikeln) erfolgt, verbleiben die abgelagerten Stoffe lange Zeit
am selben Ort. Ansonsten bewirkt vor allem das Regenwasser, dass die Stoffe im Laufe der Zeit abgewaschen und
fortgespült werden. Allgemein gilt: je glatter die Oberflächen
sind und je steiler deren Neigung ist, desto schneller werden
die darauf deponierten Stoffe wieder entfernt.
141
Man kann dies näherungsweise durch Halbwertszeiten beschreiben, d.h. durch Angabe des Zeitraums, in dem die Hälfte des deponierten Stoffes wegtransportiert wird. Diese Halbwertszeiten
können z. B. bei Fenstern (glatte, vertikale Fläche) in der Größenordnung von Tagen, bei rauen Dächern dagegen in der Größenordnung von Jahren liegen.
Insbesondere in städtischen Umgebungen spielt dieses so
genannte „Abwittern“ eine große Rolle; es führt im Laufe der
Zeit zu einer ganz anderen räumlichen Verteilung der radioaktiven Stoffe im Vergleich zur Situation unmittelbar nach
der Deposition. Durch ein Einspülen in die Kanalisation können sich so manche Stoffe im Klärschlamm anreichern.
Nach einer Deposition auf den Erdboden verbleiben die
Stoffe dagegen meist relativ lange am gleichen Ort. Durch
das Regenwasser können sie zwar etwas in den Boden eingewaschen werden, doch aufgrund von Bindungen an Bodenpartikel geht dies meist langsam vor sich.
So ist z. B. das radioaktive Casium-137, welches von den oberirdischen Kernwaffenversuchen zu Beginn der 1960er Jahre stammt,
in den meisten Böden auch heute noch fast vollständig in den
obersten Bodenschichten zu finden.
- Resuspension
Wenn radioaktive Stoffe auf dem Boden oder auf anderen
Oberflächen abgelagert worden sind, dann können sie durch
den Wind auch wieder aufgewirbelt werden und dann in der
Atmosphäre weiter transportiert werden. Diesen Effekt nennt
man Resuspension. Durch die Resuspension kann sich das
Verteilungsmuster der radioaktiven Stoffe, das sich durch
atmosphärische Ausbreitung und Depositionsprozesse im
Anschluss and eine Freisetzung ergeben hat, auch langfristig noch ändern. Allerdings ist das Ausmaß der Resuspension abhängig davon, wie feucht es in einer Region ist. In
Mitteleuropa z. B. spielt sie keine wesentliche Rolle, dagegen ist sie in Trockengebieten viel stärker ausgeprägt.
Durch die Resuspension kann es auch längerfristig zu einer
Deposition der radioaktiven Stoffe auf Pflanzenoberflächen
kommen. Neben dem Aufwirbeln mit dem Wind kann hierfür
auch das Hochspritzen von Wasser und Erdpartikeln (mit
anhaftenden radioaktiven Stoffen) bei starkem Regen wirksam sein („Rainsplash“).
142
Die Resuspension führt auch zu einer langfristigen Aufnahme der radioaktiven Stoffe in den Körper durch Einatmen
(Inhalation). Im Vergleich zur Aufnahme mit kontaminierten
Nahrungsmitteln ist sie aber nur für solche radioaktiven Stoffe bedeutsam, die eine sehr geringe Mobilität in den Nahrungsketten (z. B. Aufnahme aus dem Boden in die Pflanzen, Übergang vom Tierfutter in Milch oder Fleisch) haben.
Ein Beispiel hierfür ist das Plutonium.
Ausbreitung in Gewässern
Werden radioaktive Stoffe in ein Gewässer freigesetzt, so
findet auch dort, ähnlich wie in der Atmosphäre, eine Ausbreitung dieser Stoffe aufgrund des Fließens des Wassers,
aber auch aufgrund von Turbulenzen statt.
Bei einer Einleitung in einen Fluss sind drei Phasen zu beobachten. Ganz zu Beginn wird die Ausbreitung oft überwiegend durch die Turbulenzen, welche durch den eingeleiteten
Strahl verursacht werden, bestimmt. Bei geplanten Einleitungen in Gewässer wird oft durch entsprechende Einleitungsvorrichtungen ganz gezielt eine möglichst starke anfängliche Durchmischung erzeugt. In der zweiten Phase findet die Ausbreitung der eingeleiteten Stoffe durch turbulente
Diffusion im Fließgewässer statt. Besonders Flusskrümmungen, Buhnen etc. verstärken dabei die Ausbreitung quer
zur Fließrichtung. Nach genügend langer Wegstrecke (bei
einem großen Fluss nach mehreren Kilometern bis mehreren 10 Kilometern) wird die dritte Phase erreicht, in der die
eingeleiteten Stoffe gleichmäßig horizontal und vertikal über
das gesamte Flussprofil verteilt sind.
Bei einer Einleitung radioaktiver Stoffe in stehende Gewässer (Teich, See) sind die Ausbreitungsverhältnisse viel stärker von den individuellen Eigenschaften des Gewässers abhängig. Dabei haben die Strömungsverhältnisse, z. B. verursacht durch Zu- und Abflüsse, einen großen Einfluss. Außer durch Strömung wird Turbulenz durch Wind und durch
Temperaturunterschiede hervorgerufen. Eine besondere
Rolle spielt dabei die vertikale Temperaturschichtung des
Wassers. Im Laufe des Winters sinkt das an der Oberfläche
abgekühlte Wasser in die Tiefe. Im Sommer erfolgt eine Er-
143
wärmung des oberflächennahen Wassers, welches aufgrund
seiner geringeren Dichte über dem kalten Tiefenwasser
liegt. Hierbei erfolgt kaum ein Austausch zwischen den verschiedenen Höhenschichten. Im Laufe des Sommers weitet
sich die erwärmte Oberflächenschicht aus, und wenn im
Herbst Stürme stattfinden, dann erreicht die vertikale
Durchmischung des Sees ein Maximum.
Radionuklide in Nahrungsketten
Bei der Deposition von radioaktiven Stoffen aus der Atmosphäre auf den Boden oder auf Pflanzen, welche der Viehfütterung oder der menschlichen Ernährung dienen, gelangen diese Stoffe in die Nahrungsketten, an deren Ende der
Mensch steht. Der Mensch nimmt damit radioaktive Stoffe in
seinen Körper auf, was zu einer internen Strahlenexposition
des Körpers führt.
- Kontamination von Pflanzen
Die Kontamination von pflanzlichen Produkten durch radioaktive Stoffe kann auf verschiedenen Wegen erfolgen (siehe
Abb. 4.4).
Die direkte Deposition auf die als Futter- oder Nahrungsmittel genutzten Pflanzenteile spielt vor allem bei solchen
Pflanzen eine Rolle, die als Ganzes geerntet und gegessen
oder verfüttert werden (z. B. Blattgemüse, Gras, Silomais).
Je größer hierbei das Verhältnis von exponierter Blattoberfläche zur Gesamtmasse ist, desto höher ist die Aktivitätskonzentration im geernteten Produkt: während z. B. Kopfsalat, Spinat oder Gras mit am höchsten kontaminiert werden,
ist die Aktivitätskonzentration z. B. in Weiß- oder Blaukraut
deutlich niedriger, da bei letzteren nur die äußeren Blätter,
welche meist bei der Zubereitung entfernt werden, kontaminiert werden. Bei Pflanzen, von denen nur bestimmte Teile
genutzt werden (z. B. Tomaten, Bohnen) spielt die direkte
Deposition auf diese Teile seltener eine wichtige Rolle, da
diese Früchte nur während eines relativ kleinen Zeitraums
im Jahr eine entsprechend große Oberfläche haben. Zudem
sind manche Pflanzenteile z. B. durch Spelzen oder den
Erdboden (Kartoffeln) vor einer direkten Deposition geschützt.
144
Ein wichtiger Kontaminationspfad bei teilweise genutzten
Pflanzen ist die Deposition auf das Blattwerk (große Oberfläche) und der anschließende Transport (Translokation) in
die genutzten Teile. Dies spielt z. B. bei Getreide und Kartoffeln eine große Rolle. Das Ausmaß der Translokation hängt
davon ab, in welchem Entwicklungszustand die Pflanzenblätter kontaminiert werden; am effektivsten ist die Translokation, wenn die Deposition etwa zu Beginn der Entwicklung
der Speicherorgane (Kartoffelknollen, Getreidekörner) stattfindet. Die Translokation ist auch nicht für alle radioaktiven
Stoffe gleich groß. Manche Elemente (z. B. Cäsium, Iod)
sind hier als mobil, andere (z. B. Strontium) als immobil einzustufen. Um das Ausmaß der Translokation zu veranschaulichen: Wird Cäsium zu Beginn des Ährenschiebens
auf die Blätter von Getreide abgelagert, so werden rund
10 % der abgelagerten Aktivität in die Getreidekörner verlagert.
Während die direkte Ablagerung auf den Pflanzenblättern
(mit oder ohne Translokation) nur bei einer Deposition zu
bestimmten Jahreszeiten (nämlich dann, wenn die Pflanzen
auf den Feldern stehen) eine Rolle spielt, kann eine Deposition auf den Boden immer stattfinden. Durch Regenwasser,
Pflügen usw. wird die deponierte Aktivität im oberen Boden
verteilt und kann von den Pflanzen über die Wurzeln aufgenommen werden. Diese Art der Pflanzenkontamination ist
– im Gegensatz zur direkten Deposition auf den Blättern –
nicht nur im ersten Jahr nach der Deposition, sondern langfristig wirksam. Auch hier gibt es Elemente, die von den
Pflanzen gut aufgenommen werden (z. B. Strontium), und
andere, die nur in sehr geringem Maße über die Wurzeln
transportiert werden (z. B. Plutonium). Die in den Boden eingebrachten Radionuklide stehen auch nicht voll für die
Wurzelaufnahme zur Verfügung, sondern manche Elemente, z. B. Cäsium, werden relativ schnell an Bodenpartikel
gebunden.
Ein anderer Transportweg vom Boden hin zu den Pflanzen
ist das Aufwirbeln von Bodenpartikeln (mit den daran haftenden radioaktiven Stoffen) durch den Wind und die anschließende Deposition auf der Pflanze. Diese so genannte
Resuspension ist der dominierende langfristige Kontaminationspfad für die Pflanzen bei Elementen mit sehr geringer
145
Wurzelaufnahme (z. B. Plutonium). Auch das Hochspritzen
von Bodenpartikeln bei starken Regenfällen kann den Pflanzen radioaktive Stoffe aus dem Boden zuführen.
1
2
3
4
Abb. 4.4 Pfade für die Kontamination von Pflanzenprodukten:
1: Direkte Deposition auf die genutzten Pflanzenteile (z. B. Früchte),
2: Deposition auf die Blätter und anschließender Transport in die
Früchte (Translokation),
3: Deposition auf den Boden und anschließende Aufnahme in die
Pflanze über die Wurzeln,
4: Deposition auf den Boden und anschließendes Hochwirbeln und
Deposition auf die Blätter oder Früchte (Resuspension).
- Kontamination von Tierprodukten
Werden radioaktiv kontaminierte Futtermittel an Tiere verfüttert, so wird ein Teil der radioaktiven Stoffe durch das Blut in
verschiedene Organe transportiert und so in den Tierprodukten (Fleisch, Milch, Eier) zu finden sein.
Die Zufuhr radioaktiver Stoffe zum Tier wird dabei wesentlich durch die Art und Menge der Futtermittel bestimmt. Häufig wird der so genannte „Weide-Kuh-Milch-Pfad“ betrachtet,
der zumindest in der Anfangsphase nach einer Deposition
radioaktiver Stoffe zu einer relativ hohen Kontamination der
146
Milch führt. Will man dagegen realistische Werte der Kontamination von Tierprodukten abschätzen, so müssen die tatsächlichen Fütterungsgewohnheiten zugrunde gelegt werden. Diese können regional und saisonal stark schwanken,
so dass es zu einer großen Bandbreite der beobachteten
Kontamination von Tierprodukten kommen kann.
Aktivität im Tierprodukt
Wird einem Tier von einem bestimmten Zeitpunkt an täglich
die gleiche Menge eines radioaktiven Stoffs gefüttert, so ist
in der Milch oder im Fleisch nicht schlagartig eine bestimmte
Konzentration dieses Radionuklids zu finden, sondern es
stellt sich erst im Laufe der Zeit ein Gleichgewichtswert ein
(siehe Abb. 4.5). Dieser wird meist beschrieben durch den
so genannten Transferfaktor, welcher das Verhältnis der Aktivitätskonzentration im Tierprodukt (angegeben in Bq/kg) zu
der täglich dem Tier zugeführten Aktivitätsmenge (Bq/Tag)
angibt. Nach Beendigung der Aktivitätszufuhr zum Tier geht
die Aktivität im Tierprodukt auch nicht schlagartig zurück,
sondern sie klingt langsam ab, weil der im Körper vorhandene radioaktive Stoff langsam ausgeschieden wird.
Zeitraum der
Aktivitätszufuhr
Gleichgewichtswert
Zeit
Abb. 4.5 Schematische Darstellung des Radionuklid-Transfers
in Tierprodukte
Die Transferfaktoren können sehr unterschiedliche Werte
annehmen; sie hängen stark vom betrachteten radioaktiven
Stoff und der chemischen Verbindung, in der er vorliegt,
147
aber auch von der Tierart bzw. dem Tierprodukt ab. Es ist
aber auch zu bedenken, dass die Transferfaktoren keine
Naturkonstanten, wie man sie aus der Physik kennt, sind. In
biologischen Systemen gibt es immer natürliche Variationen,
und so kann z. B. der Transferfaktor für Milch von einer Kuhrasse zur anderen verschieden sein, aber auch innerhalb einer Rasse gibt es Variabilitäten von einer Kuh zur anderen.
Der Zeitraum, in dem sich bei konstanter Aktivitätszufuhr ein
Gleichgewichtswert im Tierprodukt einstellt, hängt ebenfalls
von vielen Faktoren ab. Während sich z. B. beim Übergang
von Cäsium in die Milch bereits nach wenigen Tagen ein
mehr oder weniger konstanter Wert einstellt, dauert es bei
Elementen, welche sich langfristig in bestimmten Organen
akkumulieren (z. B. Strontium im Knochen), viel länger.
- Einfluss der Verarbeitung und Lagerung auf die
Kontamination
Häufig werden pflanzliche oder tierische Produkte erst eine
Zeit lang gelagert und/oder verarbeitet, bevor sie als Futteroder Nahrungsmittel dienen. Dies kann den Transfer der radioaktiven Stoffe in den Nahrungsketten deutlich beeinflussen.
Durch die Lagerung ergibt sich bei kurzlebigen Radionukliden durch den radioaktiven Zerfall eine Reduktion der Kontamination. So bewirkt z. B. eine Lagerung von 2 Monaten
bei dem potentiell wichtigen Radionuklid Iod-131 (8 Tage
Halbwertszeit) eine Reduktion der Aktivität um den Faktor
180. Ein anderer Effekt der Lagerung besteht darin, dass
sich die Aktivitätszufuhr zum Menschen am Ende der Nahrungskette zeitlich nach hinten verschiebt. Nach dem
Tschernobyl-Unfall Ende April 1986 wurde so der maximale
Körper-Gehalt an Cäsium-137 bei einer großen ProbandenGruppe in München erst im April 1987 gemessen.
Bei der Verarbeitung von Pflanzen- oder Tierprodukten zu
Futter- und Nahrungsmitteln kann es in den verarbeiteten
Produkten zu einer Erhöhung oder Reduktion der Aktivitätskonzentration gegenüber dem Rohprodukt kommen. Im Jahre 1986 hatte Winterweizen im Raum München eine Cäsium-137-Konzentration von rund 100 Bq/kg. Nach dessen
Verarbeitung in einer Mühle war im Mehl eine Kontamination
148
von 50 Bq/kg zu messen, während das Nebenprodukt des
Mahlvorgangs, die Kleie, einen Cäsium-137-Gehalt von rund
300 Bq/kg aufwies (Abb. 4.6). Für die Radioökologie wichtige Verarbeitungsprozesse in den Nahrungsketten sind auch
die Herstellung von Butter, Käse und anderen Produkten
aus Milch.
Abb. 4.6 Änderung der Aktivitätskonzentration beim Mahlen
von Getreide
Auch die Verarbeitung von Nahrungsmitteln in der Küche
kann zu Veränderungen (in der Regel zur Reduktion) der
radioaktiven Kontamination führen. Äußerlich auf Pflanzen
haftende radioaktive Partikel können teilweise abgewaschen
werden. Beim Kochen gehen die wasserlöslichen radioaktiven Stoffe teilweise ins Kochwasser und werden so – falls
das Kochwasser weggeschüttet wird – aus der Nahrungskette entfernt. Es wurden nach dem Tschernobyl-Unfall eine
Reihe von „Rezepten“ weitergegeben, mit denen sich z. B.
aus Pilzen oder Fleisch der allergrößte Teil des RadioCäsiums entfernen ließ; es erscheint jedoch dabei teilweise
fraglich, was dabei an Nährstoffen und Geschmack der Lebensmittel übrig bleibt.
Interne Strahlenexposition
Von einer internen Strahlenexposition spricht man dann,
wenn ein radioaktiver Stoff in den menschlichen Körper gelangt. Während des Aufenthalts im Körper zerfallen dessen
Atome teilweise und senden dabei Strahlung aus, die den
Körper von innen heraus bestrahlt.
149
Die wichtigsten Pfade, auf denen bei einer radioaktiven Kontamination der Umwelt radioaktive Stoffe in den Körper gelangen können, sind die Aufnahme durch kontaminierte
Nahrungsmittel (Ingestion) und mit der Atemluft (Inhalation).
Darüber hinaus gibt es auch die Aufnahme über die Haut,
über eine Wunde oder durch Injektion; diese Pfade sind
aber im Allgemeinen weniger wichtig und werden hier nicht
weiter behandelt.
Für eine Abschätzung der internen Strahlenexposition sind
grundsätzlich zwei Schritte nötig: zum einen die Abschätzung, wie groß die Menge (Aktivität) des vom Menschen in
den Körper aufgenommenen radioaktiven Stoffes ist, zum
anderen die Berücksichtigung, wo und wie lange der Stoff im
Körper verbleibt und wie viel der ausgesandten Strahlung
die verschiedenen Organe und Gewebe des Körpers trifft.
- Ingestion
Die Menge (Aktivität) eines mit der Nahrung aufgenommenen radioaktiven Stoffes hängt zum einen davon ab, wie
hoch die Nahrungsmittel kontaminiert sind (dies wurde im
letzten Abschnitt diskutiert), zum anderen, wie viel der
Mensch von den Nahrungsmitteln isst. Will man also eine
quantitative Abschätzung der Aktivitätszufuhr machen, benötigt man realistische Daten über die Verzehrsmengen.
Meist werden hierfür mittlere Verzehrsmengen der Gesamtbevölkerung genommen. Die Verzehrsgewohnheiten von Individuen können jedoch stark von den mittleren abweichen;
deswegen sind auch Abschätzungen für besondere Gruppen (z. B. Vegetarier, überdurchschnittliche Milchtrinker,
Fleischesser etc.) von Interesse.
Das Ausmaß der aktuellen radioaktiven Kontamination der
Nahrungsmittel lässt sich durch Messung an repräsentativen
Nahrungsmittelproben ermitteln. Um eine Prognose in die
Zukunft zu erstellen, kann man es aber auch mit radioökologischen Rechenmodellen abschätzen, welche die im letzten
Abschnitt diskutierten Prozesse in den Nahrungsketten berücksichtigen. Ausgangspunkt hierzu ist die Menge der auf
Böden und Pflanzen deponierten Radioaktivität.
Wenn eine Region (Land, Wirtschaftsraum) jedoch sehr unterschiedlich hoch mit radioaktiven Stoffen kontaminiert ist, wie es
150
z. B. nach dem Tschernobyl-Unfall in Deutschland der Fall war,
dann ist es für die Abschätzung der Aktivitätszufuhr einer bestimmten Personengruppe wichtig zu wissen, welche Nahrungsmittel von
wo bezogen werden. Dies ist kein Problem für Selbstversorger, die
sämtliche Nahrungsmittel lokal produzieren. Allerdings hat diese
Gruppe heutzutage einen verschwindend geringen Anteil an der
Gesamtbevölkerung. Selbst auf dem Land werden heute viele Nahrungsmittel im Handel bezogen, wobei die Nahrungsmittel häufig
einen weiten Transport vom Ort der Produktion zum Ort des
Verbrauchs hinter sich haben.
Noch vor wenigen Jahrzehnten wäre die Abschätzung der Nahrungsmitteltransporte wesentlich einfacher gewesen, denn es gab
viele Gebiete, welche mehr oder weniger autark waren, d. h. weitgehend alle verzehrten Nahrungsmittel produziert haben. Heute
dagegen liegt die Nahrungserzeugung und -verteilung weitgehend
in den Händen großer Handelsketten, was ein starkes Anwachsen
und auch eine große Variabilität der Nahrungsmitteltransporte zur
Folge hat. Nahrungsmittel werden überwiegend dort gekauft, wo sie
gerade am billigsten sind; Transportkosten spielen dabei meist keine entscheidende Rolle. Traditionell wichtige Erzeuger-Verbraucher-Beziehungen sind dabei unwichtiger geworden.
Dies macht es äußerst schwer, in einer Abschätzung der Strahlenexposition durch kontaminierte Nahrungsmittel die wahren Transportwege zu berücksichtigen. Das Problem wird noch größer bei
einer Prognose der Ingestionsdosis nach einer größeren radioaktiven Kontamination (wie z. B. der Situation nach dem TschernobylUnfall): hierbei können sich die vorhandenen Handelswege schlagartig und unvorhersagbar ändern, auch aufgrund der Reaktion der
Bevölkerung.
- Inhalation
Solange radioaktive Stoffe als sehr feine Partikel oder an
Aerosolpartikel gebunden in der Luft schweben, können Sie
vom Menschen beim Einatmen inkorporiert werden. Je nach
Größe der Partikel gelangen die Teilchen mehr oder weniger
tief in den Atemtrakt und werden dort abgeschieden. Je
nach Eindringtiefe verbleiben sie einige Zeit in der Lunge,
und die beim radioaktiven Zerfall ausgesandte Strahlung
bestrahlt das umgebende Gewebe.
Die Menge der dabei inkorporierten radioaktiven Stoffe
hängt zum einen von der Konzentration dieser Stoffe in der
Luft, zum anderen von der Menge der eingeatmeten Luft ab.
151
Die Atemrate, d. h. das pro Zeiteinheit eingeatmete Luftvolumen, hängt vor allem vom Lebensalter des Menschen und
von der momentanen körperlichen Aktivität ab, schwankt
aber auch individuell von Person zu Person. Einen Eindruck
von der Schwankungsbreite vermittelt Abb. 4.7.
Atemrate
(Liter/Minute)
50
40
schwere
Arbeit
30
leichte
Aktivität
20
10
ruhend
0
Kleinkind
(1 Jahr)
Kind
(10 Jahre)
Erwachsene
Abb. 4.7 Schwankungsbreiten von Atemraten
Nach einer Freisetzung radioaktiver Stoffe in die Atmosphäre kann die Inhalation zu einer bedeutenden Quelle der
Strahlenexposition werden, wenn sich der Mensch in der
Ausbreitungsfahne aufhält. Besonders bei kurzlebigen Radionukliden, die beim Transfer in den Nahrungsketten zerfallen, gewinnt die Inhalation relativ an Bedeutung. Das Einatmen radioaktiver Edelgase jedoch führt nur zu sehr geringen
Dosen, da diese sich nicht in der Lunge ablagern, sondern
schnell wieder ausgeatmet werden.
Langfristig führt die Inhalation von resuspendierten radioaktiven Partikeln zu einer Strahlenexposition. Diese spielt aber
nur für solche Radionuklide eine nennenswerte Rolle, die
über die Nahrungsketten nur in sehr geringem Umfang zum
Menschen gelangen und die aufgrund ihrer ausgesandten
Strahlung bei Einatmen zu einer hohen Dosis führen (z. B.
Plutonium).
- Verhalten der radioaktiven Stoffe im Körper
Die Abschätzung der in den Körper durch Ingestion oder Inhalation aufgenommenen Aktivität besagt noch nichts über
152
die daraus resultierende Wirkung, wie z. B. das Risiko einer
Krebsentstehung. Um ein Maß für die Wirkung zu haben,
muss erst noch abgeschätzt werden, welche Dosis aus der
Inkorporation des radioaktiven Stoffes entsteht. Die Umrechnung von der aufgenommenen Aktivität in die Dosis ist
für jedes Radionuklid verschieden, denn sie hängt u. a. davon ab
x in welchem Ausmaß der radioaktive Stoff ins Blut aufgenommen (resorbiert) wird,
x wie er sich im Körper verteilt,
x wie schnell er wieder ausgeschieden wird,
x wie schnell er durch radioaktiven Zerfall reduziert wird,
x welche Art von Strahlung er aussendet,
x welche Energie diese Strahlung hat.
Um das Verhalten von Radionukliden im Körper und die
daraus resultierende Strahlenexposition abzuschätzen, gibt
es so genannte biokinetische Rechenmodelle, welche den
Transport des Stoffes zwischen den einzelnen Organen und
Geweben simulieren.
Ist in einem Organ oder Gewebe die Aktivität eines bestimmten
Radionuklids je Masseeinheit bekannt, lässt sich aus der absorbierten Energie die Energiedosisleistung (pro Zeiteinheit an das
betroffene Gewebe übertragene Energiemenge) errechnen. Berücksichtigt man dabei zusätzlich, dass in lebendem Gewebe die
einzelnen Strahlenarten unterschiedliche Qualitätsfaktoren der
biologischen Wirksamkeit besitzen, ergibt sich die Äquivalentdosisleistung (siehe Kapitel 1.3). Aus der Dosisleistung (beispielsweise in Mikrosievert pro Stunde) und der Zeit, über die sie
einwirkt (beispielsweise 1 Jahr), ist die Dosis in diesem Zeitraum
errechenbar (im gewählten Beispiel die Jahresdosis in Mikrosievert
oder Millisievert).
Die auf Aktivitätszufuhr bezogene Integraldosis, also diejenige
Dosis, die ein Organ oder Gewebe als Folge einer einmaligen
Zufuhr eines oder mehrerer Radionuklide im gesamten (unbegrenzten) Zeitraum nach der Aufnahme bis zum vollständigem Verschwinden dieser Nuklide aus dem Körper erhält,
wird als Folgedosis bezeichnet.
153
Begrenzt man den betrachteten Zeitraum nach der Aufnahme,
ergibt sich die beschränkte Folgedosis (englisch: dose commitment), zum Beispiel die 50-Jahre Folgedosis.
Daten über anatomische Werte oder das Stoffwechselgeschehen unterliegen naturgemäß starken individuellen
Schwankungen. Für die Berechnung der Strahlendosis hat
die ICRP daher in ihrer Veröffentlichung Nr. 23 /ICR-75/ für einen Durchschnittsmenschen (Reference Man) Standardwerte
in allen Einzelheiten festgelegt. Auf der Grundlage dieser Standardwerte ist auch die Referenzperson der deutschen Strahlenschutzverordnung definiert.
Im praktischen Strahlenschutz ist es zur Ermittlung der Folgedosis aus einer Inkorporation eines radioaktiven Stoffes
nicht nötig, aufwendige Rechnungen mit einem biokinetischen Modell durchzuführen. Vielmehr kann auf Dosisfaktoren zurückgegriffen werden, welche aus solchen Rechenmodellen gewonnen wurden. Diese Faktoren geben jeweils für ein
bestimmtes Nuklid die aus der Inkorporation von einem Becquerel resultierende Folgedosis an. Dosisfaktoren sind getrennt für Ingestion und Inhalation und für verschiedene Altersgruppen verfügbar.
Aufgenommene Radionuklide werden dann zu einer vergleichsweise hohen Strahlenexposition führen, wenn sie
• eine hohe spezifische Aktivität (Becquerel pro Gramm)
besitzen,
• im Körper stark angereichert werden,
• lange dort verweilen und schließlich noch
• eine biologisch besonders wirksame Strahlung aussenden.
Solche Radionuklide (beispielsweise die Alpha-Strahler Radium-226 oder Plutonium-238 und -239) bezeichnet man als
hoch radiotoxisch (strahlengiftig). Auf der anderen Seite gibt
es auch radioaktive Stoffe, die vom Körper kaum aufgenommen werden, eine biologisch wenig wirksame Strahlung
aussenden und im Falle der äußeren Strahlenexposition nur
die Haut bestrahlen. Ihre Radiotoxizität ist gering (Beispiel:
Krypton-85).
154
Bei Iod-131, das bevorzugt in die Schilddrüse aufgenommen wird,
führt zum Beispiel die Zufuhr von 1.000 Becquerel mit der Nahrung zu
Folgedosen für die Schilddrüse von 0,43 mSv beim Erwachsenen beziehungsweise 3,5 mSv beim Kleinkind (wegen einer hohen Aktivitätskonzentration in der sehr kleinen Schilddrüse).
Bei Cäsium-137, das sich im Körper annähernd gleichmäßig verteilt,
liegt die Folgedosis (Effektivdosis) durch Zufuhr von 1.000 Bq für den
Erwachsenen bei ca. 0,01 mSv. Für Kinder (mit Ausnahme der unter
1-Jährigen) ist die Dosis wegen der kürzeren Verweilzeit des Cäsiums
im Körper niedriger als für Erwachsene.
Externe Strahlenexposition
Radioaktive Stoffe können zu einer externen Strahlenexposition des Menschen führen, wenn sie sich außerhalb des
Körpers befinden und die von ihnen ausgehende Strahlung
auf den Körper trifft.
- Strahlung aus einer „radioaktiven Wolke“
Wenn radioaktive Stoffe in die Atmosphäre freigesetzt wurden und sich in der Atmosphäre ausbreiten, so zerfällt ein
Teil der radioaktiven Atome hierbei und sendet ionisierende
Strahlung aus. Hält sich ein Mensch in oder nahe bei der
vorbeiziehenden radioaktiven Wolke auf, so kann diese
Strahlung von außen seinen Körper treffen. Hierbei hat Alpha-Strahlung keine Bedeutung, da sie in Luft nur eine
Reichweite von wenigen Zentimetern hat. Auch BetaStrahlung ist hier von sehr untergeordneter Bedeutung, da
ihre Reichweite in Luft maximal einige Dezimeter bis einige
Meter beträgt. Es kommt dazu, dass Alpha- und Betastrahlung beim Auftreffen auf den Körper in der Haut absorbiert
werden, so dass die strahlenempfindlicheren Organe und
Gewebe keine Strahlung abbekommen.
Gammastrahlung dagegen hat eine Reichweite in Luft, die in
der Größenordnung von 100 m liegt (abhängig von der Photonenenergie des jeweiligen Radionuklids). Dies bedeutet,
der Mensch kann von Gammastrahlung der Radionuklide im
diesem Umkreis getroffen werden. Gammastrahlung kann
auch ins Innerste des Körpers eindringen, d.h. alle Organe
und Gewebe des Menschen werden bestrahlt. Aus diesen
Gründen spielt bei der äußeren Bestrahlung die Gammastrahlung die überragende Rolle.
155
Die Strahlenexposition des Menschen beim Vorbeiziehen
einer radioaktiven Wolke wird stark reduziert, wenn sich der
Mensch in einem Gebäude aufhält. Je nach Gebäudeausmaßen, Wandstärken und Baumaterial kann die Bestrahlung
im Gebäude einen Faktor 2 bis 20 niedriger sein als beim
Aufenthalt im Freien, beim Aufenthalt im Keller bei großen
Gebäuden kann der Reduktionsfaktor sogar bis in die Größenordnung von 1.000 gehen!
- Strahlung von abgelagerten Nukliden
Die Bestrahlung durch die in der Atmosphäre vorbeiziehenden Radionuklide stellt lediglich eine relativ kurzzeitige
Strahlenquelle dar. Dagegen können die am Boden und auf
anderen Oberflächen in der Umgebung des Menschen (z. B.
Bäume, Hausdächer) deponierten Radionuklide als eine
sehr lang anhaltende Strahlenquelle wirken. Deswegen
kann dieser Expositionspfad einen relativ großen Beitrag zur
gesamten Strahlenexposition liefern. So stammt der größte
Teil der Strahlenexposition, den ein Mensch in Deutschland
langfristig durch die Ablagerung radioaktiver Stoffe vom Reaktorunfall in Tschernobyl bekommt, von den am Boden abgelagerten Radionukliden, vor allem vom Cs-137.
Auch hier spielen Alpha- und Beta-Strahlung eine unwesentliche
Rolle, in erster Linie ist hier die Gammastrahlung maßgebend. Wegen der großen Reichweite der Gammastrahlung trägt hier die gesamte Umgebung bis zu mehreren 10 Metern Abstand zur Bestrahlung bei: wenn man sich auf einer ebenen Wiese aufhält, die
gleichmäßig mit Cs-137 kontaminiert worden ist, dann stammt rund
die Hälfte der auf einen wirkenden Strahlung aus Bereichen, die
mehr als 7 m entfernt sind, und rund ein Viertel stammt aus Bereichen, die mehr als 25 m entfernt sind (Zähringer und Pfister 1998)!
Radioaktive Edelgase werden nicht am Boden abgelagert,
spielen deswegen bei diesem Expositionspfad keine Rolle.
Auch bei der Strahlenexposition durch am Boden abgelagerte Radionuklide ergibt sich eine starke Reduktion der Bestrahlung, wenn man sich in Gebäuden aufhält. So verringert sich beispielsweise die Dosisleistung nach einer Deposition von Cs-137 in Gebäuden gegenüber einem Aufenthalt
im Freien um den Faktor 2 bis 100, im Keller sogar bis zum
Faktor 500 (Jacob 1991).
156
Eine spezielle Art der Strahlenexposition durch abgelagerte
radioaktive Stoffe entsteht, wenn die Ablagerung auf die
Haut oder die Kleidung des Menschen erfolgt. Hierbei vergrößert sich der relative Anteil von Alpha- und Betastrahlung
an der Strahlenexposition etwas, da eine Bestrahlung der
Haut durch diese Strahlenarten auftritt. Insgesamt ist dieser
Expositionspfad aber im Allgemeinen von geringer Bedeutung, da davon auszugehen ist, dass die Verweilzeit der radioaktiven Stoffe durch Waschen, Duschen und Kleidungswechsel relativ gering ist.
4.2
Strahlenexposition aus natürlichen Quellen
Seit es Leben gibt, ist dieses unter dem Einfluss der natürlichen Strahlung. Die so genannte „natürliche Untergrundstrahlung“, d.h. die ionisierende Strahlung, die durch in unserer Natur vorhandenen Quellen bedingt ist, hat mit Sicherheit eine wichtige Rolle in der Evolution gespielt, kann
zugleich aber erkennbare Strahlenschäden verursachen. So
ist zweifelsfrei das natürliche radioaktive Edelgas Radon für
viele ernste Lungenschädigungen bei Bergwerksarbeitern
bereits in den vergangenen Jahrhunderten ursächlich.
Wenn man auch jede Exposition des Menschen mit ionisierender Strahlung als potentiell gesundheitsschädigend betrachtet, wobei die Wahrscheinlichkeit eines Schadens mit
der Dosis ansteigt, so haben wir doch bisher damit überlebt
und uns trotz der natürlichen Untergrundstrahlung (vielleicht
sogar mit ihrer Hilfe) zu unserer gegenwärtigen Form entwickelt. Häufig denkt man bei der natürlichen Untergrundstrahlung nur an die leicht messbare Strahlung, die von außen
auf uns einwirkt, dabei darf man gerade die so genannte innere Strahlenexposition, die durch natürliche Radionuklide
in unserem Körper verursacht wird, keinesfalls vernachlässigen, zumal sie verglichen mit der äußeren Strahlenexposition eine deutlich höhere Dosis und damit ein größeres Risiko beschert.
Externe Strahlenexposition
Die äußere Strahlenexposition stammt aus ganz unterschiedlichen Quellen, die die Natur für uns bereithält. Neben
157
der ionisierenden Strahlung, die von den in der Erdkruste
vorhandenen radioaktiven Isotopen als so genannte terrestrische Strahlung ausgeht, „prasseln“ ständig hochenergetische ionisierende Teilchen aus dem Weltraum als kosmische Strahlung auf uns nieder.
- Kosmische Strahlung
Entstehung
Der Ursprung der Strahlung aus dem Weltall ist bislang noch
nicht endgültig geklärt, wenngleich mehrere plausible Theorien angeboten werden können. Prinzipiell können Supernova-Explosionen als ihr Ursprung angesehen werden, bei
denen durch den Gravitationskollaps große Energiemengen
freigesetzt werden, doch können kosmische Magnetfelder
geladene Teilchen ebenfalls auf beträchtliche Energien beschleunigen (aber auch abbremsen), wobei nach vielen derartigen Wechselwirkungen bei hochenergetischen Teilchen
der Energiegewinn gegenüber dem -verlust durch Abbremsung überwiegt. Nach heutiger Vorstellung ist davon auszugehen, dass die kosmische Strahlung in unserer eigenen
Galaxis, der Milchstraße, entsteht, lediglich der Ursprung
sehr hochenergetischer Teilchen (t 1017 eV) dürfte in fremden Galaxien (schwarze Löcher, Neutronensterne, Quasare)
zu finden sein.
Unsere Sonne leistet nur einen geringen Beitrag zur kosmischen Strahlung, die wir auf der Erdoberfläche erleben. In
unregelmäßigen Abständen werden bei Strahlungsausbrüchen auf der Sonne („solar flares“) geladene Teilchen mit
Energien bis zu einigen GeV in den Weltraum geschleudert
und führen einige Male im Jahr zu einer kurzfristig messbaren Dosisleistungserhöhung in den unteren Atmosphärenschichten. Wenngleich solche Eruptionen für uns auf der Erde vernachlässigbar sind, da die Erdatmosphäre sehr gut
gegen diese relativ niederenergetischen Teilchen schützt, so
können sie in den äußeren Atmosphärenschichten kurzfristig
die Flussdichte um mehr als das Hundertfache ansteigen
lassen und für die Kosmonauten im freien Weltraum ohne
jeglichen Schutz durch die Atmosphäre ernste Probleme bereiten.
158
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass
magnetische „Stürme“ auf der Sonnenoberfläche zusammen
mit dem Erdmagnetfeld die Erde gegen niederenergetische
Nukleonen aus dem Kosmos abschirmen und die galaktische Strahlung kurzfristig verringern können. Allerdings ist
dieser Effekt für uns zwar messbar aber ohne größere Bedeutung. Abb. 4.8 lässt auch erkennen, dass die Sonnenaktivität (etwa 11-jähriger Zyklus) die Dosis in Äquatorgegend
selbst in typischer Flughöhe nicht mehr beeinflusst.
1
1
Abb. 4.8 Zeitlicher Verlauf der Dosisleistung (effektive Dosis
pro Stunde) vergangener Jahrzehnte in 11,3 km Höhe für verschiedene geographische Breiten (mit freundlicher Genehmigung
der AG3, Inst. f. Strahlenschutz, GSF)
Primäre und sekundäre kosmische Strahlung: Die Erdatmosphäre schwächt die kosmische Strahlung nicht nur, sie
verändert sie auch, sodass die für die Strahlenexposition auf
der Erdoberfläche verantwortliche sekundäre kosmische
Strahlung keinesfalls identisch ist mit der primären kosmischen Strahlung, die vom Weltall auf die oberen Atmosphärenschichten trifft.
Die primäre kosmische Strahlung aus dem Weltraum besteht überwiegend aus energiereichen Protonen (bis zu 1014
MeV), weiters aus Heliumkernen (etwas mehr als 10 %) und
zu einem kleineren Anteil aus schwereren Kernen, Elektronen und Photonen (Abb. 4.9). Die hochenergetischen Protonen und Kernteilchen aus dem Kosmos werden nicht nur
159
über Ionisation und Anregung abgebremst, sondern erzeugen über die starke Wechselwirkung mit den Sauerstoff- und
Stickstoffkernen der Atmosphäre Sekundärteilchenkaskaden
einschließlich vieler kurzlebiger Elementarteilchen, mit einem Maximum in ungefähr 20 km Höhe (Pfotzer-Maximum).
In den oberen Atmosphärenschichten tragen vornehmlich
Protonen und Neutronen zur effektiven Dosis bei, in Meereshöhe hingegen vorwiegend Myonen.
Abb. 4.9 Beiträge der Komponenten der kosmischen Strahlung
zur effektiven Dosis in unterschiedlichen Höhen der Atmosphäre in Äquatorgegend bei Minimum der Sonnenaktivität (mit
freundlicher Genehmigung der AG3, Inst. f. Strahlenschutz, GSF)
Auf Meeresniveau liefert die kosmische Strahlung eine
effektive Dosis von etwa 0,3 mSv pro Jahr. In größeren
Höhen steigt der Beitrag zur effektiven Dosis durch die erwähnten Teilchenkaskaden merklich an, in typischen Flughöhen von 10 bis 12 Kilometern auf etwa das Hundertfache
(Abb. 4.10).
160
Abb. 4.10 Höhenabhängigkeit der Ortsdosisleistung durch
kosmische Strahlung
Abb. 4.11 Weltübersichtskarte der Dosisleistung (effektive Dosis pro Stunde) in 11,3 km Höhe (April 2005) (mit freundlicher
Genehmigung der AG3, Inst. f. Strahlenschutz, GSF)
Aus Abb. 4.11 ist deutlich zu erkennen, dass die Dosis neben der Flughöhe maßgeblich durch die geographische
Breite mitbestimmt wird, was den Einfluss des Erdmagnetfeldes auf die geladenen Teilchen der primären kosmischen
161
Strahlung widerspiegelt. Aufgrund der Form des Erdmagnetfeldes (siehe Abb. 4.12) werden die geladenen Teilchen der
kosmischen Strahlung, die in Polgegend annähernd parallel
zu den Magnetfeldlinien auf die Erde niederprasseln, viel
weniger abgelenkt als Teilchen, die in Äquatorgegend weitgehend senkrecht zu den Feldlinien fliegen. Dank der Erdatmosphäre ist dieser Einfluss auf die Dosis in Meereshöhe
nur gering, für typische Flughöhen liest man hingegen aus
Abb. 4.11 eine etwa 3 mal höhere Dosis für Flüge in Polargegend gegenüber der Äquatorregion ab, was einem etwa
100fachen bzw. 30fachen Dosisleistungsanstieg verglichen
mit dem Beitrag auf der Erdoberfläche entspricht.
Abb. 4.12 Schematische Darstellung des Magnetfelds der Erde
Dieser Unterschied macht sich in der folgenden Abb. im Vergleich der Dosiswerte mit der Flugdauer der jeweiligen
Flugrouten deutlich bemerkbar. Individuelle Flugdosen können mit einer von der GSF kostenlos zur Verfügung gestellten Online-Version von EPCARD (European Program Package for the Calculation of Aviation Route Doses) berechnet
werden unter: www.gsf.de/epcard.
Für die Strahlenexposition des Flugpersonals ist das
vorwiegend durch die sekundäre kosmische Strahlung bedingte Strahlungsfeld in etwa 10 bis 14 Kilometer Höhe ausschlaggebend. Während die daraus resultierende Dosis für
162
Abb. 4.13 Vergleich von effektiver Dosis und Dauer für Flüge
von München oder Frankfurt(*) zu ausgewählten Zielen auf
dem jeweils kürzesten Weg in 11,3 km Flughöhe; Steig- und
Sinkflug sind mit je 30 min berücksichtigt (mit freundlicher Genehmigung der AG3, Inst. f. Strahlenschutz, GSF)
einzelne Flüge verglichen mit der Jahresdosis der natürlichen Strahlenexposition von insgesamt etwa 2,1 Millisievert
im allgemeinen bedeutungslos ist (Abb. 4.13), ist sie für das
fliegende Personal mit vielen Flugstunden als berufliche
Strahlenexposition durchaus zu berücksichtigen. Als obere
Abschätzung der jährlichen Strahlenexposition des Flugpersonals gibt das Bundesamt für Strahlenschutz einen Wert
von etwa 8 mSv effektive Dosis an, wenn ausschließlich
Flüge auf der Nordatlantik-Route angenommen werden und
die maximal zulässige Arbeitszeit von 1.000 Flugstunden
jährlich voll ausgenutzt wird.
- Kosmogene Radionuklide
Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass durch die Wechselwirkung der kosmischen Strahlung mit der Atmosphäre auch
radioaktive Nuklide gebildet werden, deren Inkorporation
ebenfalls zu einer geringen Strahlenexposition führt. In der
folgenden Tabelle sind einige dieser Radionuklide mit ihren
Halbwertzeiten angeführt.
163
Radionuklid
Halbwertzeit
Tritium (H-3)
12,3 Jahre
Beryllium-7
(Be-7)
Beryllium-10
(Be-10)
Kohlenstoff14 (C-14)
Natrium-22
(Na-22)
53,3 Tage
1,6 ˜ 10
Jahre
6
5730 Jahre
2,6 Jahre
Radionuklid
Silizium-32
(Si-32)
Phosphor32 (P-32)
Argon-39
(Ar-39)
Krypton-81
(Kr-81)
Krypton-85
(Kr-85)
Halbwertzeit
101 Jahre
14,3 Tage
269 Jahre
2,1 ˜ 105
Jahre
10,7 Jahre
Tab. 4.1 Kosmogene Radionuklide
Für die Strahlenexposition des Menschen sind die kosmogenen Radionuklide mit einem Gesamtbeitrag von ca.
15 µSv effektive Dosis pro Jahr von untergeordneter Bedeutung. Der größte Beitrag geht auf Kohlentstoff-14 zurück (ca.
12 µSv/a), gefolgt von Beryllium-7, welches für eine effektive
Dosis von etwa 3 µSv pro Jahr verantwortlich ist.
- Terrestrische Strahlung
Die Erdkruste enthält eine Vielzahl natürlicher radioaktiver
Stoffe, von denen die meisten einer der drei Zerfallsreihen
entstammen, deren Anfangsglieder eine dem Alter des Sonnensystems vergleichbar lange Halbwertzeit W1/2 besitzen:
Uran/Radium-Reihe
(Muttersubstanz U-238; W1/2 = 4,5 Mrd. Jahre)
Uran/Actinium-Reihe
(Muttersubstanz U-235; W1/2 = 0,7 Mrd. Jahre)
Thorium-Reihe
(Muttersubstanz Th-232; W1/2 = 14 Mrd. Jahre)
Diese langlebigen Nuklide sind somit noch immer in unserer
Erdkruste vorhanden, andererseits entstehen durch ihre
Umwandlung (radioaktiver Zerfall) ständig weitere, oft viel
kurzlebigere Radionuklide, die in unserer Erdkruste ebenfalls als natürliche Radionuklide zu finden sind.
Außer den Radionukliden der natürlichen Zerfallsreihen sind
noch mehrere primordiale Radionuklide (Radionuklide, die
164
bei der Bildung der irdischen Materie entstanden und heute
noch vorhanden sind) mit zum Teil extrem langen Halbwertzeiten anzutreffen, von denen dem Kalium-40 im Hinblick
auf die Strahlenexposition des Menschen die größte Bedeutung zukommt.
Nuklid
K-40
V-50
Ge-76
Se-82
Rb-87
Zr-96
Mo-100
Cd-113
Halbwertzeit
Jahre
1,3 ˜
109
1,4 ˜
1017
1,5 ˜
1021
1,0 ˜
1020
4,8 ˜
1010
3,9 ˜
1019
1,2 ˜
1019
9,0 ˜
1015
Nuklid
Cd-116
In-115
Te-123
Te-128
Te-130
La-138
Nd-144
Nd-150
Halbwertzeit
Jahre
2,6 ˜
1019
4,4 ˜
1014
1,2 ˜
1013
7,2 ˜
1024
2,7 ˜
1021
1,1 ˜
1011
2,3 ˜
1015
1,7 ˜
1019
Nuklid
Sm-147
Sm-148
Gd-152
Lu-176
Hf-174
Ta-180
Re-187
Os-186
Pt-190
Halbwertzeit
Jahre
1,1 ˜
1011
7,0 ˜
1015
1,1 ˜
1014
2,6 ˜
1010
2,0 ˜
1015
1,2 ˜
1010
5,0 ˜
1010
2,0 ˜
1015
6,5 ˜
1011
Tab. 4.2 Primordiale Radionuklide (aus /KOE-06/)
Die unterschiedliche Aktivitätskonzentration im Boden bedingt regionale Schwankungen der Strahlenexposition. Die
folgende Abbildung (Abb. 4.14) gibt eine Übersicht über die
mittlere Gamma-Ortsdosisleistung für die Bundesrepublik
Deutschland einschließlich des Beitrags der kosmischen
Strahlung. Die üblichen Werte für Norddeutschland liegen
zwischen 0,5 und 0,9 mSv/Jahr, während die Spitzenwerte
in den Mittelgebirgen bis zu 2 mSv/Jahr betragen und im
weltweiten Vergleich mit Spitzenwerten von etwa 50 mSv/a
165
in Kerala (Indien), 180 mSv/a in Esperito Santo (Brasilien)
bzw. über 800 mSv/a in Ramsar (Iran) noch relativ günstig
liegen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Anteil durch
kosmische Strahlung (Jahresdosis in Meereshöhe ca.
0,3 mSv) sich alle 1.500 Höhenmeter etwa verdoppelt. In
unseren Breiten kann man von einer mittleren Strahlenexposition von etwa 0,4 mSv effektive Dosis pro Jahr infolge der terrestrischen Strahlung ausgehen.
Abb. 4.14 Übersicht über die mittlere Gamma-Ortsdosisleistung in Deutschland (aus /BMU-04/).
166
Interne Strahlenexposition
- Das radioaktive Edelgas Radon
Im Rahmen der natürlichen Zerfallsreihen entstehen als Zerfallsprodukte auch die radioaktiven Isotope Radon-222
(Halbwertzeit: 3,8 Tage), Radon-220 (Halbwertzeit 55,6 Sekunden) und Radon-219 (Halbwertzeit: 3,96 Sekunden), die
als Edelgas aus dem Erdboden in die Luft freigesetzt und
eingeatmet werden und zu einer nicht unbeträchtlichen Teilkörperexposition der Lungen führen können. Wegen der größeren Halbwertzeit trägt besonders das Radon-222 mit seinen kurzlebigen Folgeprodukten Polonium-218, Blei-214
und Polonium-214 zur Strahlenexposition des Menschen bei
und ist für den größten Beitrag zur natürlichen Strahlenexposition verantwortlich. Jedoch sind auch die Beiträge des
Radon-220 nicht ganz zu vernachlässigen. Der Zerfall des
Radons selbst verursacht den geringeren Teil der Strahlenexposition, den deutlich größeren Teil liefern seine kurzlebigen Folgeprodukte.
Als Anhaltspunkt zur Einschätzung geologisch bedingter Gefährdung durch zu hohe Radonexposition kann die Radonkonzentration in der Bodenluft gesehen werden, deren regionale Verteilung für Deutschland in folgender Übersichtskarte (Abb. 4.15) dargestellt ist.
Die Radonkonzentration in der Raumluft hängt maßgeblich
davon ab, wie viel Radon aus dem Boden austreten kann
und zeigt große regionale und zeitliche Schwankungen nicht
nur infolge Unterschieden der geologischen Verhältnisse,
sondern auch der Bausubstanz (Abdichtung des Kellers gegen das Erdreich) als auch der Lüftungsgewohnheiten. Hinzu kommen jahreszeitlich und klimatisch bedingte Schwankungen.
In Deutschland sind erhöhte Radonkonzentrationen in Gebäuden vornehmlich auf eine erhöhte Radonfreisetzung aus
dem Untergrund zurückzuführen, Baumaterialien sind hier
zu Lande selten die Ursache einer erhöhten Radonkonzentration. Damit kommt in geologisch belasteten Gebieten,
wo vor allem Kellerwohnungen, Souterrain-Wohnungen, in
geringerem Maße auch Wohnungen im Erdgeschoss betroffen sind, der Abdichtung des Kellers gegen das Erdreich be167
Abb. 4.15 Übersichtskarte der regionalen Verteilung der Radonkonzentration in der Bodenluft für Deutschland (Kemski &
Partner 2004)
sondere Bedeutung zu. In höher gelegenen Wohnungen
(Hochhäuser), in denen die Radonkonzentration durch den
Beitrag der Baumaterialien bestimmt wird, ist im Mittel mit
einer Radonaktivitätskonzentration von 30 Bq/m3 zu rechnen.
168
Eine besondere Situation ergibt sich in einigen Gebieten, wo
durch hohe Permeabilität des Untergrundes (Sand- oder
Schotterböden) hohe Radonmengen freigesetzt werden
bzw. in Bergbaugebieten über Klüfte und Risse im Deckgebirge Grubenwetter mit sehr hoher Radonkonzentration
auftreten und über Undichtigkeiten in die Gebäude gelangen können. So wurden in Gegenden mit Granit-haltigem
Untergrund lokal Raumluftkonzentrationen von bis zu
10.000 Bq/m3 gemessen, in einzelnen Häusern in UranBergbaugebieten kurzzeitig sogar mehr als 100.000 Bq/m3.
Von untergeordneter Bedeutung für die Radonkonzentration
in den meisten Haushalten hingegen ist das Radon, das
im Wasser gelöst bei dessen Verwendung im Haushalt
freigesetzt wird, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, da
durch die Nutzung individueller Brunnen in Granitgebieten
erhöhte Radon-Konzentrationen in Gebäuden auftreten
können, ebenso wie generell in Anlagen der Wassergewinnung, und -aufbereitung.
Will man die Radonkonzentration in der Wohnung bestimmen, so stehen mehrere Messverfahren zur Verfügung. Um
über die erheblichen tageszeitlichen Schwankungen zu mitteln, die, abgesehen von Luftdruckschwankungen, in Wohnräumen primär auf die übliche Lüftung zurückgehen, sind integrierende Methoden erforderlich, die mindestens über
mehrere Tage mitteln. Neben elektronischen Messgeräten
sind als wichtige integrative und kostengünstige Messverfahren das track-etch-Verfahren, Elektrete und Aktivkohlenexposimeter zu nennen. Während als einer der Hauptvorteile des track-etch-Verfahrens lange Integrationszeiten bis zu
einem Jahr und darüber hinaus anzuführen sind, ist als
Nachteil anzusehen, dass Messperioden von ein bis zwei
Wochen wegen zu geringer Empfindlichkeit bei üblichen
Raumluftkonzentrationen nicht erreichbar sind. Hier setzen
sowohl die Elektret-Ionisationskammer als auch die Aktivkohlenmethode mit ihrem Vorteil kurzer Integrationszeiten
ein.
Der bundesweite Jahresmittelwert der Radonkonzentration
in Wohnräumen liegt bei ungefähr 50 Bq/m3 Raumluft, die
Mehrzahl der Messwerte liegt unter diesem Wert. Die Radonkonzentration im Freien ist etwa um einen Faktor 3 bis 5
169
geringer, da das Radon dort nicht in geschlossenen Räumen „gefangen“ wird. Für den größten Teil Deutschlands
liegen die Werte im Freien im Bereich von 5 bis 30 Bq/m3,
unter ungünstigen atmosphärischen Bedingungen wie bei
Inversion in Tallagen wurden jedoch Spitzenwerte bis
350 Bq/m3 gemessen (vornehmlich in unmittelbarer Nähe
von Abwetterschächten oder großflächigen Halden). Unter
der Annahme, dass wir etwa 80 % unserer Zeit in Gebäuden
verbringen, resultiert daraus eine mittlere jährliche effektive Dosis von etwas über 1 Millisievert.
- Natürliche radioaktive Stoffe in der Nahrung
Wie erwähnt, enthält unsere Erdkruste eine Vielzahl natürlicher radioaktiver Stoffe, die für die terrestrische Strahlung
verantwortlich sind, von denen aber auch unser Nahrungskreislauf nicht verschont bleibt. Infolge dieser mit Nahrung
und Trinkwasser aufgenommenen Radionuklide ist in
Deutschland eine jährliche effektive Dosis im Bereich
von 0,3 mSv zu erwarten, etwa 0,17 mSv davon ist dem
primordialen Radionuklid Kalium-40 zuzuschreiben.
Gesamte natürliche Strahlenexposition
Die natürliche Umgebungsstrahlung bewirkt im Mittel für eine Person der Bevölkerung in Deutschland eine effektive
Dosis von 2,1 mSv pro Jahr, vergleichbar mit dem weltweiten Mittelwert von 2,4 mSv/a. Weltweite Spitzenwerte liegen
bei etwa 50 mSv/a in Kerala (Indien), 180 mSv/a in Esperito
Santo (Brasilien) bzw. über 800 mSv/a in Ramsar (Iran).
Den mit Abstand größten Beitrag in Deutschland mit mehr
als 1 mSv effektive Dosis pro Jahr liefert die Inhalation des
radioaktiven Edelgases Radon, gleichzeitig besitzt dieser
Beitrag die größte Variationsbreite. Die übrigen Beiträge,
bedingt durch kosmische Strahlung, terrestrische Strahlung
und durch mit der Nahrung aufgenommene natürliche Radionuklide liegen jeweils etwa bei 0,3 bis 0,4 mSv pro Jahr
effektive Dosis.
170
4.3 Strahlenexposition aus zivilisatorischen
Quellen
Strahlenexposition in der Nähe kerntechnischer
Anlagen
Mehr als 98 % der gesamten Strahlenexposition durch den
bestimmungsgemäßen Betrieb einer kerntechnischen Anlage werden von relativ wenigen Radionukliden verursacht.
Für die Abschätzung der maximal möglichen Strahlenexposition in der Umgebung genügt daher im Regelfalle die Betrachtung der Nuklide in der nachfolgenden Zusammenstellung. Von den physikalischen Daten nach Seelmann-Eggebert 1981 sind dabei nur die wichtigsten Zerfallsarten und
-energien angegeben (bei Betastrahlung jeweils die maximale Energie des Kontinuums), angeregte zwischenstabile
Zustände sind nur aufgeführt, wenn sie radiologisch relevant
sind. Kritische Organe sind in der Reihenfolge ihrer radiologischen Bedeutung angegeben.
•
Tritium (H 3)
Beta-Strahlung 0,02 MeV;
Tochternuklid: Helium-3 (stabil);
physikalische Halbwertszeit:12,3 Jahre,
kritische Organe: Ganzkörper, Körperflüssigkeiten.
•
Kohlenstoff-14 (C 14)
Beta-Strahlung 0,2 MeV;
Tochternuklid: Stickstoff-14 (stabil);
physikalische Halbwertszeit: 5730 Jahre,
kritisches Organ: Ganzkörper
•
Phosphor-32 (P 32)
Beta-Strahlung 1,7 MeV;
Tochternuklid: Schwefel-32 (stabil);
physikalische Halbwertszeit:14,3 Tage,
kritische Organe: Knochen, Ganzkörper, Hirn, Leber.
•
Schwefel-35 (S 35)
Beta-Strahlung 0,2 MeV;
Tochternuklid: Chlor-35 (stabil);
physikalische Halbwertszeit: 87,5 Tage
kritische Organe: Haut, Hoden, Knochen, Ganzkörper.
171
•
Kobalt-60 (Co 60)
Beta-Strahlung 0,3 und 1,5 MeV,
Gamma-Strahlung 1,2 und 1,3 MeV;
Tochternuklid: Nickel-60 (stabil);
physikalische Halbwertszeit: 5,27 Jahre,
kritische Organe: Leber, Milz, Pankreas, Ganzkörper.
•
Krypton-85 (Kr 85)
Beta-Strahlung 0,7 MeV,
kaum Gamma-Strahlung;
Tochernuklid: Rubidium-85 (stabil);
physikalische Halbwertszeit: 10,76 Jahre;
keine Teilnahme am Stoffwechsel;
kritische Organe: Haut (Submersion), Lunge, Blut, Fettgewebe,
Ganzkörper (Inhalation).
•
Strontium-89 (Sr 89)
Beta-Strahlung 1,5 MeV,
kaum Gamma-Strahlung;
Tochternuklid: Yttrium-89 (stabil).
•
Strontium-90 (Sr 90)
Beta-Strahlung 0,5 MeV;
Tochternuklid: Yttrium-90 (radioaktiv);
physikalische Halbwertszeit: 50,5 Tage (Sr 89), 28,5 Jahre (Sr 90)
kritische Organe: Knochen, Ganzkörper.
•
Yttrium-90 (Y 90)
Beta-Strahlung 2,3 MeV,
Gamma-Strahlung 0,2 und 0,48 MeV,
Tochternuklid des Strontium-90,
physikalische Halbwertszeit: 61,1 Stunden
im Körper im Gleichgewicht mit Sr 90.
•
Ruthenium-103(Ru 103)
Beta-Strahlung 0,2 und 0,7 MeV,
Gamma-Strahlung 0,5 und 0,61 MeV;
Tochternuklid: Rhodium-103 (stabil).
•
Ruthenium-106 (Ru 106)
Beta-Strahlung 0,04 MeV;
Tochternuklid: Rhodium-106 (radioaktiv, phys. Halbwertszeit
2,2 Stunden)
physikalisch Halbwertszeit: 39,35 Tage (Ru 103), 368 Tage
(Ru 106)
kritische Organe: Knochen, Ganzkörper, Nieren.
Beta-Strahlung 0,2 MeV,
Gamma-Strahlung 0,04 MeV, Konversionselektronen;
Tochternuklid: Xenon-129 (stabil).
172
•
Iod-131 (1131)
Beta-Strahlung 0,6 und 0,8 MeV,
Gamma-Strahlung 0,28, 0,36 und 0,64 MeV;
Tochternuklid: Xenon-131 (stabil);
physikalische Halbwertszeit: 15,7 Millionen Jahre (1129), 8 Tage
(I 131)
kritisches Organ: Schilddrüse.
•
Xenon-133(Xe133)
Beta-Strahlung 0,3 MeV,
Gamma-Strahlung 0,08 MeV;
Tochternuklid: Cäsium-133 (stabil);
physikalisch Halbwertszeit: 5,25 Tage
keine Teilnahme am Stoffwechsel;
kritische Organe: Haut (Submersion), Lunge, Ganzkörper (Inhalation).
•
Cäsium-134(Cs134)
Beta-Strahlung 0,7 MeV,
Gamma-Strahlung 0,6 und 0,79 MeV;
Tochternuklid: Barium-134 (stabil).
•
Cäsium-137(Cs137)
Beta-Strahlung 0,5 und 1,2 MeV,
Gamma-Strahlung 0,66 MeV aus dem angeregten Zustand des
Tochternuklids (Barium-137m), das mit einer Halbwertszeit von
2,55 Minuten in den Grundzustand übergeht;
Tochternuklid: Barium-137 (stabil);
physikalische Halbwertszeit: 2,06 Jahre (Cs 134), 30,17 Jahre
(Cs 137)
kritische Organe: Ganzkörper, Muskel, Leber.
•
Cer-144(Ce144)
Beta-Strahlung 0,3 MeV,
Gamma-Strahlung 0,08 und 0,13 MeV;
Tochternuklide: Zerfall über Praseodym-144 (Beta-Strahler, Halbwertszeit 17,3 Minuten) zum Neodym-144, einem natürlich vorkommenden praktisch stabilen Alpha-Strahler (Halbwertszeit
2,1 Billiarden Jahre);
physikalische Halbwertszeit: 284,8 Tage
kritische Organe: Knochen, Nieren, Ganzkörper, Leber.
•
Die Actinidenelemente
wichtig sind besonders Plutonium, Neptunium, Americium und
Curium
meist Alpha-Strahler.
Kritische Organe: bei Inhalation Lunge, Lymphknoten und
Knochen, bei Ingestion Knochen, Leber und Lymphknoten.
173
Aus den Daten über die Ableitung radioaktiver Stoffe mit
Fortluft oder Abwasser aus kerntechnischen Anlagen lässt
sich die Strahlenexposition der Bevölkerung in der Umgebung der Anlagen abschätzen. Dazu wird die Exposition für
eine fiktive Referenzperson an den ungünstigsten Einwirkstellen gemäß Anlage VII, Teil A bis C der Strahlenschutzverordnung ermittelt, um sicherzustellen, dass der so ermittelte Referenzwert die reale Strahlenexposition von Einzelpersonen der Bevölkerung selbst im ungünstigsten Fall nicht
unterschätzt. Für das Jahr 2004 wurden unter diesen Annahmen folgende Strahlenexpositionen in der Umgebung
von Atomkraftwerken durch die Ableitung radioaktiver Stoffe
mit der Fortluft oder mit dem Abwasser ermittelt*) (/BMU04/):
*) Werte < 0,1 µSv werden im Balkendiagramm als 0,1 µSv wiedergegeben.
Abb. 4.16 Strahlenexposition für das Jahr 2004 in der Umgebung von Kernkraftwerken durch Ableitung radioaktiver Stoffe
mit der Fortluft für eine Referenzperson unter ungünstigsten
Bedingungen (aus /BMU-04/)
174
*)
Werte < 0,1 µSv werden im Balkendiagramm als 0,1 µSv wiedergegeben.
Abb. 4.17 Strahlenexposition für das Jahr 2004 in der Umgebung von Kernkraftwerken durch Ableitung radioaktiver Stoffe
mit dem Abwasser für eine Referenzperson unter ungünstigsten Bedingungen (aus /BMU-04/)
Die Abb. 4.16 und 4.17 zeigen als größten Wert für die effektive Jahresdosis 3 µSv für Erwachsene bzw. 5 µSv für
Kleinkinder beim Kernkraftwerk Philippsburg, jeweils bedingt
durch Ableitung radioaktiver Stoffe mit der Fortluft. Die entsprechenden Werte aus den Ableitungen radioaktiver Stoffe
mit dem Abwasser sind meist geringer. Der größte daraus
resultierende Wert der effektiven Dosis beträgt 1,3 µSv für
Kleinkinder am Standort Emsland.
Ähnliche Werte erhält man auch für einschlägige Forschungszentren, wobei für 2004 der höchste Referenzwert
der effektiven Dosis infolge Ableitung radioaktiver Stoffe mit
der Fortluft mit 5 µSv für Erwachsene bzw. 8 µSv für Kleinkinder für das Forschungszentrum Jülich angegeben wird.
Für die Ableitung radioaktiver Stoffe über das Abwasser
weist das Forschungszentrum Rossendorf mit 22 µSv effektive Dosis für Erwachsene den höchsten errechneten Wert
der betrachteten Forschungszentren auf.
175
Für die Kernbrennstoff verarbeitenden Betriebe in Deutschland wird für 2004 als ungünstigster Referenzwert der effektiven Dosis infolge Ableitung radioaktiver Stoffe mit der Fortluft 3 µSv für Kleinkinder bzw. 1 µSv für Erwachsene beim
Betrieb NUKEM in Hanau angegeben. Die durch Ableitungen von Alphastrahlern mit dem Abwasser bedingten Werte
lagen in diesen Fällen jeweils bei weniger als 0,1 µSv effektive Dosis.
Für das Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben führt die
Ableitung radioaktiver Stoffe mit der Abluft im Jahr 2004 unter den erwähnten ungünstigen Annahmen zu einer effektiven Dosis von 0,2 µSv für eine erwachsene Referenzperson, für Kleinkinder (Altersgruppe 1 bis 2 Jahre) bzw. für mit
Muttermilch ernährte Säuglinge liegen die Werte bei 0,4
bzw. 1,2 µSv pro Jahr. Die entsprechenden Werte infolge
Ableitung mit dem Abwasser liegen in allen diesen Fällen
unter 0,1 µSv pro Jahr.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Strahlenexposition durch reguläre Ableitungen radioaktiver Stoffe
aus kerntechnischen Anlagen weniger als 10 µSv effektive
Dosis pro Jahr für die Bewohner in der Nähe der Anlagen
beträgt und damit deutlich kleiner ist als es der Schwankungsbreite der natürlichen Strahlenexposition in Deutschland entspricht.
Strahlenexposition durch den Reaktorunfall von
Tschernobyl
Die Strahlenexposition durch die beim Reaktorunfall in
Tschernobyl in Deutschland deponierten Radionuklide rührt
heute fast ausschließlich von Cäsium-137 mit 30 Jahren
Halbwertzeit her, die Radionuklide mit kürzerer Halbwertzeit
sind schon weitgehend zerfallen. Das Bundesamt für Strahlenschutz kalkuliert mit einer externen Strahlenexposition
von etwa 10 µSv effektive Dosis für das Jahr 2004 durch
das im Boden deponierte Cs-137. Die Abschirmwirkung der
Wände bei Aufenthalt in Gebäuden ist in dieser Abschätzung bereits berücksichtigt.
Zur Abschätzung der Dosis infolge des mit der Nahrung aufgenommenen Cs-137 (Ingestion) wurden in Deutschland
176
verzehrsfertige Menüs aus Kantinen, Heimen, Gaststätten
und Krankenhäusern hinsichtlich ihres Aktivitätsgehalts vermessen. Mit knapp 1,5 µSv effektive Dosis pro Jahr ist dieser Beitrag vergleichsweise gering. In Gebieten mit höherer
Radionukliddeposition nach dem Unfall, wie man sie südlich
der Donau findet, können diese Werte bis zu einer Größenordnung höher sein. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über den zeitlichen Verlauf der mittleren effektiven Dosis in Deutschland durch den Reaktorunfall in Tschernobyl.
Jahr
1986
1987
1988
1989
1990
19911993
1994
19951999
20002003
Strahlenexposition extern
(mSv/a)
ca. 0,07a)
ca. 0,03
ca. 0,025
ca. 0,02
ca. 0,02
< 0,02
Strahlenexposition intern
(mSv/a)
ca. 0,04b)
ca. 0,04c)
ca. 0,015d)
ca. 0,01
< 0,01
< 0,01
gesamte
Strahlenexposition
ca. 0,11
ca. 0,07
ca. 0,04
ca. 0,03
ca. 0,025
ca. 0,02e)
< 0,02
< 0,015
< 0,01
< 0,001
< 0,02
< 0,02
< 0,01
0,001
< 0,015
Tab. 4.3 Mittlere effektive Dosis durch den Reaktorunfall in
Tschernobyl für Erwachsene in Deutschland in verschiedenen
Zeiträumen (aus /BMU-03/)
a) Im Münchner Raum um etwa den Faktor 4, im Berchtesgadener Raum um etwa den Faktor 10 höher; dies
gilt in etwa auch für die folgenden Jahre
b) In Bayern um etwa den Faktor 4, in Südbayern um etwa
den Faktor 6 höher
c) In Bayern um etwa den Faktor 3, in Südbayern um etwa
den Faktor 6 höher
d) Die regionalen Unterschiede sind nicht mehr so stark
ausgeprägt wie in den Vorjahren
e) Die mittlere effektive Dosis wird ab 1991 fast ausschließlich durch die Bodenstrahlung des deponierten
Cs-137 verursacht
177
Für einzelne Personen kann die individuelle Dosis insbesondere im südbayerischen Raum nach wie vor die in der
Tabelle angegebenen Werte beträchtlich überschreiten. So
wurden auch 2003 in einzelnen Nahrungsmitteln wie Blütenhonig, Waldbeeren oder Pilzen Cäsium-137-Aktivitäten von
einigen hundert Becquerel pro Kilogramm Frischmasse
nachgewiesen, der Mittelwert von im Rahmen eines BMUForschungsvorhabens analysierten 45 Wildschweinproben
aus dem Bayerischen Wald lag sogar bei 3.900 Bq/kg Muskelfleisch, wobei Werte über 600 Bq/kg nicht mehr verkehrsfähig sind. Der Verzehr eines Nahrungsmittels mit einer Aktivität von 1.000 Becquerel Cs-137 würde zu einer effektiven
Dosis von etwa 13 Mikrosievert insgesamt führen (d.h. auf
die gesamte Lebenszeit hochgerechnet).
Der Strontium-90-Gehalt der Nahrungsmittel blieb in letzter
Zeit ziemlich konstant und verursachte eine effektive Dosis
von ca. 2 µSv pro Jahr, wobei dieses Radionuklid zu mehr
als 90 Prozent aus oberirdischen Kernwaffenversuchen der
Fünfziger und Sechziger Jahre stammt und nur zu einem
kleinen Teil aus dem Reaktorunfall von Tschernobyl.
Strahlenexposition durch den Transport von radioaktiven Stoffen (Castor)
Der Transport von radioaktiven Stoffen unterliegt strengen
Bestimmungen hinsichtlich der zulässigen Strahlenexposition sowohl für die Bevölkerung als auch für das Begleitpersonal. Abgebrannte Brennelemente aus einem Kernreaktor,
die in eine Zwischen- oder Endlagerstätte bzw. in eine Wiederaufbereitungsanlage transportiert werden, stellen die am
stärksten emittierenden radioaktiven Frachten dar. Ihr
Transport erfolgt in speziell konstruierten unfallsicheren
Transportbehältern (z. B. CASTOR – Cask for Storage and
Transport of Radioactive Material), die extremen mechanischen und thermischen Belastungen standhalten und strengen Sicherheitsanforderungen genügen müssen. Weiters
darf in zwei Metern Abstand von der Fahrzeugoberfläche die
Dosisleistung 0,1 mSv effektive Dosis pro Stunde nicht überschreiten, wobei die tatsächlich gemessenen Werte in
der Regel eine Größenordnung unter diesem Grenzwert lagen. In umfangreichen Messkampagnen wurde die Personendosis von mehr als 1.000 Personen der Polizei- und Si178
cherheitskräfte während ihres Einsatzes bei CASTORTransporten ermittelt, keiner der Messwerte fand sich oberhalb der Nachweisgrenze des Personendosimeters von
0,1 mSv. Lediglich bei Dosimetern, die einige Stunden direkt
an der Oberfläche des Containers fixiert waren, wurden
Werte über der Nachweisgrenze registriert.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass nach bisher vorliegenden Ergebnissen und Sicherheitsanalysen
beim Transport von radioaktiven Brennelementen keine nennenswerten Strahlenexpositionen für die polizeilichen Sicherheitskräfte oder die Bevölkerung aufgetreten sind und
die Dosen für alle Beteiligten deutlich unter den vorgeschriebenen Grenzwerten lagen.
Strahlenexposition durch Quellen in Industrie, Wissenschaft und Medizin
In der Industrie kommen vor allem umschlossene radioaktive Quellen als auch Röntgenanlagen oder Beschleuniger
zum Einsatz. Laut UNSCEAR /UNS-00/ ist die Strahlenexposition für die Beschäftigten generell gering. Im Folgenden
sollen einige Anwendungsgebiete genannt werden.
- Bestrahlungsanlagen
Besonders hohe Dosen sind zur Sterilisation von medizinischen und pharmazeutischen Produkten erforderlich. Meist
werden in Gamma-Bestrahlungsanlagen 60Co- oder 137CsQuellen verwendet, wobei die Bestückung der Anlagen wegen der extremen Dosen in unmittelbarer Umgebung der
Quellen unter ganz speziellen Abschirm- und redundant
ausgelegten Sicherheitseinrichtungen zu erfolgen hat. Der
Betrieb selbst benötigt nur wenig Bedienpersonal, die Strahlenexposition ist niedrig.
- Zerstörungsfreie Materialprüfung
Die zerstörungsfreie Materialprüfung verwendet sowohl umschlossene radioaktive Quellen als auch Röntgenanlagen.
Spezielle Sicherheitsvorschriften und Schutzmaßnahmen
gewährleisten bei korrekter Handhabung, dass die Strahlenexposition des Personals sowohl bei fest installierten Anlagen als auch beim variablen Einsatz auf Bau- oder Monta179
gestellen im üblichen niedrigen Dosisbereich für beruflich
strahlenexponierte Personen liegt.
- Leuchtziffern (Lumineszenz)
Radioaktive Stoffe in Lumineszenzmaterialien für Leuchtziffern stellen eine der ältesten Anwendungsgebiete ionisierender Strahlung dar. Im Gegensatz zu früher, als man Radium unter absolut unzureichenden Sicherheitsvorkehrungen gehandhabt hat, trägt dieser Industriezweig heute kaum
noch zur Strahlenexposition des Personals bei. Meist verwendet man Tritium-haltige Leuchtfarben oder Tritium als
Gas eingeschlossen in mit phosphoreszierendem Material
ausgekleidetem Glas, die jedoch im Konsum-Bereich in
Deutschland nicht zugelassen sind.
- Radioisotope – Produktion und Versand
Radioisotope finden in vielen Industriezweigen Anwendung,
zum Beispiel für Füllstands- oder Schichtdickenmessungen
oder zur Präzisionsuntersuchung des Verschleißes von Maschinenteilen nach radioaktiver Markierung ihrer Oberfläche.
Die Strahlenexposition der in Produktion und Versand Beschäftigten stammt größtenteils von außen, in Einzelfällen
ist die Inkorporation von Radionukliden von Bedeutung.
- Bohrlochmessungen („Well Logging“)
Für geophysikalische Bohrlochmessungen kommen sowohl
Gammastrahler als auch Neutronenquellen zum Einsatz.
Wenngleich für dieses Einsatzgebiet keine detaillierten Angaben der Einzeldosen vorliegen, kann der Beitrag zur von
der Industrie verursachten Strahlenexposition auf weniger
als 10 % geschätzt werden. /UNS-00/
- Beschleuniger
Der Hauptbeitrag zur Strahlenexposition von Beschleunigern
im Forschungsbereich entstammt den Aktivierungsprodukten in der unmittelbaren Umgebung der Targets. Die größten
Dosen treten bei der Wartung, Reparatur oder bei Umbauten der Anlagen auf.
- Medizinische Strahlenexposition
Betrachtet man die im medizinischen Bereich applizierte
Dosis, so muss man zweifelsfrei die Strahlentherapie an erster Stelle nennen. Die Anwendung der Strahlentherapie be180
schränkt sich auf einen kleinen, schwer erkrankten Teil der
Bevölkerung*) mit dem Ziel, durch hohe Dosen im Tumorbereich die bösartig veränderten Zellen zu zerstören. Da bei
derart hohen Dosen eindeutig die deterministische Wirkung
im Vordergrund steht, verliert das Konzept der effektiven
Dosis, das ausschließlich auf stochastische Schäden abzielt, seine Gültigkeit. Eine Mittelung der therapeutisch verabreichten Dosen über die Gesamtbevölkerung ist daher
nicht geeignet, die therapeutische Strahlenexposition zu
charakterisieren.
Dies gilt nicht für die Anwendung ionisierender Strahlung im
Rahmen der Diagnostik. Für Röntgenuntersuchungen oder
in der nuklearmedizinischen Diagnostik kann man aus der
effektiven Dosis einen vernünftigen Anhaltspunkt zum Vergleich der strahlenbedingten Risiken ableiten. Der entscheidende Vorteil der effektiven Dosis besteht zweifelsfrei darin,
Teilkörperexpositionen mit unterschiedlichen Expositionsbedingungen, wie sie in der Röntgen- oder nuklearmedizinischen Diagnostik vorliegen, mit einer Dosisangabe charakterisieren und hinsichtlich des Risikos vergleichen zu können, wenngleich das Konzept der effektiven Dosis nicht vorbehaltlos anzuwenden ist. So kann das Konzept nicht den
mitunter für den Behandlungserfolg entscheidenden Nutzen
der jeweiligen Untersuchung berücksichtigen. Ebenso findet
die unterschiedliche Altersverteilung von medizinisch strahlenexponierten Patienten und der Gesamtbevölkerung im
Konzept der effektiven Dosis keine Entsprechung, genauso
wie die Tatsache, dass viele (oft dosisintensive) Untersuchungen vornehmlich schwer kranke Personen betreffen, für
die das strahlenbedingte Krebsmortalitätsrisiko angesichts
ihres krankheitsbedingten Sterberisikos und der langen Latenzzeiten bis zum Auftreten der meisten Malignome deutlich geringer ist als bei der gleichen Altersgruppe der Normalbevölkerung. Diese Aspekte dürfen insbesondere beim
Vergleich der auf die Gesamtbevölkerung umgelegten Do-
*)
In Deutschland werden etwa 220.000 Personen jährlich mit ionisierender Strahlung behandelt, ca. 20.000 davon durch Brachytherapie
(Bezugsjahr 2001)
181
sen der medizinischen Strahlenexposition und der natürlichen Umgebungsstrahlung nicht unbeachtet bleiben.
Der folgenden Tabelle 4.4 sind typische Dosiswerte für häufige Röntgenuntersuchungen zu entnehmen. Die Werte beziehen sich auf einen Standardpatienten von 70 kg ± 5 kg,
dickere Patienten haben bei Untersuchungen im Körperstammbereich mit höheren Dosen zu rechnen, entsprechend
einer Halbwertschichtdicke von etwa 3 cm bezogen auf
Weichteilgewebe und typische Röntgenstrahlenqualitäten im
Diagnostikbereich.
Untersuchungsart
Effektive
Dosis [mSv]
Untersuchungen mit Röntgenaufnahmen
Zahnaufnahme
d 0,01
Extremitäten (Gliedmaßen)
0,01–0,1
Schädelaufnahme
0,03–0,1
Halswirbelsäule in 2 Ebenen
0,1–0,2
Brustkorb (Thorax), 1 Aufnahme
0,02–0,08
Mammographie beidseits in je 2 Ebenen
0,2–0,6
Brustwirbelsäule in 2 Ebenen
0,5–0,8
Lendenwirbelsäule in 2 Ebenen
0,8–1,8
Beckenübersicht
0,5–1,0
Bauchraum (Abdomenübersicht)
0,6–1,1
Röntgenuntersuchungen mit Aufnahmen und Durchleuchtung
Magen
6–12
Darm (Dünndarm bzw. Kolonkontrast10–18
einlauf)
Galle
1–8
Harntrakt
2–5
Bein-Becken-Phlebographie
0,5–2
Arteriographie und Interventionen
10–30
CT-Untersuchungen
Kopf
2–4
Wirbelsäule / Skelett
2 –11
Brustkorb (Thorax)
6–10
Bauchraum (Abdomen)
10 –25
Tab. 4.4 Bereiche mittlerer Dosiswerte einiger Röntgenuntersuchungen (bezogen auf Standardpatienten von 70 ± 5 kg Körpergewicht) (aus /BMU-03/)
182
Im Jahr 2001 wurden in Deutschland etwa 147 Millionen
Röntgenuntersuchungen durchgeführt, womit die Anzahl der
Untersuchungen seit 1996 annähernd konstant bei etwa 1,8
Untersuchungen pro Einwohner geblieben ist. Ebenso lässt
die relative Häufigkeit der verschiedenen Untersuchungsverfahren nur wenig Veränderung erkennen, wobei in den vergangenen Jahren eine stete Zunahme der CT-Untersuchungen um etwa 7 % pro Jahr sowie ein geringer Rückgang der
konventionellen Untersuchungen im Bauchraum am auffälligsten waren. Auf die Bevölkerung hochgerechnet liegt die
effektive Dosis durch röntgendiagnostische Maßnahmen bei
1,8 mSv pro Jahr und Einwohner (Bezugsjahr 2001).
Die folgenden Abbildungen zeigen die Häufigkeit der einzelnen Röntgenuntersuchungen sowie den Anteil an der kollektiven effektiven Dosis in Deutschland für das Jahr 2001.
Arteriographie,
Mammo- Intervention
2%
graphie
5%
CT
6%
Verdauungsu. Harntrakt
4%
Zähne
34 %
Sonstige
3%
Thorax
15 %
Skelett
35 %
Abb. 4.18 Relative Häufigkeit von Röntgenuntersuchungen in
Deutschland 2001
183
VerdauungsZähne u. Harntrakt
0,2
Thorax
11 %
%
Mammogra9
%
Skelett
Sonstige
phie 2 %
11
%
2%
Arteriographie, Intervention
18 %
Computer-Tomographie
47 %
Abb. 4.19 Relativer Anteil an der kollektiven effektiven Dosis
von Röntgenuntersuchungen in Deutschland 2001
Für die meisten nuklearmedizinischen Untersuchungen werden vom Bundesamt für Strahlenschutz mittlere effektive
Dosen zwischen 5 mSv und 10 mSv angegeben (/BMU-02/),
abgesehen von Nierenuntersuchungen (0,7 mSv) und
Schilddrüsenszintigraphien (0,9 mSv). Im Bericht /UNS-00/
finden sich etwas niedrigere Werte. In den Jahren 1996 bis
2000 wurden etwa 47 nuklearmedizinische Untersuchungen
pro 1.000 Einwohner jährlich durchgeführt mit einer hochgerechneten effektiven Dosis von 0,14 mSv pro Jahr und Einwohner. Die nominelle Strahlenexposition der Bevölkerung
in Deutschland durch Röntgendiagnostik und nuklearmedizinische Untersuchungen lässt sich damit auf etwa 1,9 mSv
effektive Dosis jährlich pro Einwohner schätzen.
Berufliche Strahlenexposition
Gemäß § 40 der Strahlenschutzverordnung bzw. § 35 der
Röntgenverordnung unterliegen alle Personen, die mit radioaktiven Stoffen umgehen, Röntgenstrahlen anwenden
oder an anderen Anlagen zur Erzeugung ionisierender
Strahlung tätig sind und sich dabei im Kontrollbereich aufhalten, der physikalischen Strahlenschutzüberwachung. In
der Regel erfolgt die Strahlenschutzüberwachung durch
Personendosimeter, die von amtlichen Personendosismessstellen ausgegeben und ausgewertet werden. Besteht die
Möglichkeit der Inkorporation radioaktiver Stoffe, kann die
184
effektive Dosis durch spezielle Messverfahren wie Ganzkörperzähler oder Ausscheidungsmessungen ermittelt werden.
Im Jahr 2004 lag der Jahresmittelwert der mehr als 313.000
in Deutschland überwachten Personen bei 0,13 mSv, für
mehr als 262.000 der Überwachten war keine Dosis nachweisbar. Das folgende Diagramm (Abb. 4.20) gibt einen
Überblick über die Verteilung der Jahrespersonendosen der
beruflich strahlenexponierten Personen einschließlich des
fliegenden Personals für das Jahr 2004 (/BMU-04/)
Abb. 4.20 Verteilung der Jahrespersonendosen beruflich strahlenexponierter Personen im Jahr 2004
4.4
Problematik epidemiologischer Studien
zur Strahlenexposition der Bevölkerung (FallKontroll-Studien)
Epidemiologie beschäftigt sich mit der wissenschaftlichen
Untersuchung von Faktoren, die die Gesundheit (z. B. toxische Stoffe, ionisierende Strahlung) und die Krankheit (z. B.
Suche nach optimalen Heilverfahren) von Individuen und
von menschlichen Populationen beeinflussen können. Sie
dient als Grundlage für Interventionen im Interesse der öffentlichen Gesundheit und der Vorsorgemedizin, aber auch
185
der Verbesserung von medizinischen diagnostischen und
therapeutischen Verfahren. Epidemiologen versuchen deshalb u. a. möglichst unverfälschte Beziehungen zwischen
einer vorherigen Exposition durch eine toxische Substanz,
ein Spektrum von Nahrungsmittel, von Stressfaktoren, Viren,
ionisierende Strahlung, einem Medikament, einer Therapiemaßnahme, etc. und gesundheitlichen Konsequenzen zu erkennen.
Die dabei durchgeführten Studienarten können als beschreibend, analytisch oder experimentell klassifiziert werden. Epidemiologen arbeiten immer in einem Dreieck aus a)
betrachteter Person, b) Agens und c) Umwelt um diese
Person. Nicht immer lassen sich diese drei Punkte eindeutig voneinander trennen. So wird z. B. ein Zigaretten(Agens)raucher nicht nur die Verdickung seiner (Person)
Schleimschicht in der Lunge bewirken, sondern auch durch
die emittierten Aerosolteilchen in seiner Umwelt die Exposition durch partikelgebundene Radonfolgeprodukte verändern.
Es gibt verschiedene Arten von epidemiologischen Studien,
für die es wissenschaftliche Standards gibt. Bei so genannten Fall-Kontrollstudien werden zu jeder erkrankten Person
ein bis zwei Kontrollpersonen nach dem Zufallsprinzip gesucht, die aber im Alter, Geschlecht und anderen wichtigen
Faktoren sehr ähnlich sind. Für die mathematische Korrelationsrechnung muss die Exposition der Individuen bekannt
sein. Bei Kohortenstudien vergleicht man Bevölkerungsgruppen, von denen eine Gruppe als belastet oder exponiert
bezeichnet wird. Betrachtet man einen zurückliegenden Zeitraum, spricht man von retrospektiven Studien, bei denen die
methodische Schwierigkeit in der Erfassung der Exposition
liegt. Bei prospektiven Studien kann die Exposition für die
kommende Zeit genau bestimmt werden, aber das Personenkollektiv kann sich ändern. Der "Gold-Standard" eines
Studiendesigns ist die doppelt blinde, prospektive, randomisierte Kontrollstudie. Dieser wird gefolgt von der Kohortenstudie. Um aber mit einer dieser beiden Methoden bei sehr
seltenen Ereignissen zu statistisch signifikanten Fallzahlen
zu kommen, werden sehr große Populationen benötigt (in
der außergewöhnlich großen und lang andauernden Kohortenstudie der Atombombenüberlebenden von Hiroshima und
186
Nagasaki sind in einer Population von etwa 80 000 Überlebenden in den über 50 Beobachtungsjahren bislang gerade
etwas über 500 zusätzliche Krebsfälle aufgetreten für beide
Städte, beide Geschlechter, alle Jahre seit der Exposition,
alle Tumorarten und alle Geburtsjahrgänge). Wenn die Entwicklung des Gesundheitseffektes eine lange Zeit benötigt,
müssen diese großen Populationen über eine lange Zeit
wissenschaftlich beobachtet werden. Dies kann auch zu vielen "Verlusten" (z. B. durch unbekanntem Verzug) führen.
Epidemiologische Studien, die über viele Beobachtungsjahre mit großen Kollektiven durchgeführt werden, führen zu
hohen Gesamtkosten.
Schneller und viel billiger sind da Fall-Kontroll-Studien. Hierbei handelt es sich um rückblickende (retrospektive) Untersuchungen einerseits einer Stichprobe erkrankter Personen
(Fälle) und andererseits einer Stichprobe gesunder Personen (Kontrollen), die ansonsten in möglichst allen anderen
relevanten Werten/Eigenschaften mit den Werten/Eigenschaften der jeweils zugeordneten Fallperson übereinstimmen sollten. Für beide Personengruppen wird nun untersucht, ob in der Vergangenheit Unterschiede in der Art und
dem Ausmaß der Exposition durch ein hypothetisches
Agens vorlagen. Dies sollten möglichst die einzigen Unterschiede sein. Finden sich signifikante Unterschiede, kann
eine Korrelation/Assoziation zwischen dem Risiko-Agens
und der Erkrankung vorliegen. Man darf allerdings deswegen keinesfalls auf eine Ursache-Wirkungs-Beziehung für
dieses Agens und diese Erkrankung schließen. Allenfalls
sollten dann robustere und umfassendere Studien der beiden weiter oben genannten Arten zu diesem Thema durchgeführt werden, um den Verdacht zu erhärten oder entkräften.
Fall-Kontroll-Studien haben zu einer Reihe wichtiger epidemiologischer Entdeckungen und Fortschritte geführt. Das
klassische Beispiel für eine erfolgreiche Fall-Kontroll-Studie
ist die Aufdeckung der Korrelation zwischen Zigarettenrauchen und Lungenkrebs durch Sir Richard Doll (Doll u. Hill,
1954). Mittels einer Fall-Kontroll-Studie konnte Doll eine statistisch signifikante Assoziation zwischen beiden feststellen.
Aber erst die Ergebnisse einer daraufhin durchgeführten
prospektiven doppelten Blindstudie ergab die notwendige
187
Sicherheit über diese Ursache-Wirkungsbeziehung, die für
ernste Schlussfolgerungen aus diesem Verdacht unbedingt
nötig war.
Die Verdienste von Fall-Kontroll-Studien durch Hinweise auf
Assoziationen, zu denen genauere Studien durchgeführt
werden sollten, haben aber leider auch zu unberechtigt großem Vertrauen in ihre Aussagekraft und in der Folge auch
zu einem Verlust ihrer Glaubwürdigkeiten geführt hat (z. B.
bei Studien zu Hormonersatztherapie und Herzkreislauferkrankungen (Lawlor et al. 2004, Pettiti 2004, Stampfer et al.
2004), Sicherheitsgewinn durch Fahrradhelme). Schuld haben wohl hauptsächlich Missverständnisse über die Natur
und Grenzen (z. B. wegen des Einflusses der durchführenden Person bei Spezifikationen, investigation, selection and
recall biases) eines derartigen Studiendesigns.
In dieser Stelle soll kurz die Problematik in epidemiologischen Studien betrachtet werden, die in der Quantifizierung
der Strahlenexposition (und nicht die der Strahlenwirkung)
bestehen und dies insbesondere für Fall-Kontroll- Studien.
Strahlenepidemiologische Studien wurden durchgeführt für
eine Vielzahl exponierter Gruppen (UNSCEAR 2000) u. a.
- der Atombombenüberlebenden von Hiroshima und Nagasaki,
- der beruflich strahlenexponierten Radiologen,
- der beruflich strahlenexponierten Arbeiter in vielen kerntechnischen Anlagen ,
- von durch den Reaktorunfall von Tschernobyl höher exponierten Arbeitern und Personen in der allgemeinen
Bevölkerung,
- von Bevölkerungsgruppen, die höher dem natürlichen Edelgas Radon und seinen Folgeprodukten exponiert sind,
- von Bevölkerungsgruppen, die im Bereich des russischen
Flusses Techa gelebt haben, in den nach dem Zweiten
Weltkrieg für längere Zeit größere Mengen an Radioaktivität aus der Wiederaufarbeitungsanlage MAJAK abgeleitet
wurden,
- von weiteren Bevölkerungsgruppen, die in Bereichen gelebt haben in denen die Explosion eines großen Lager188
tanks bei Kyschtym am 29.09.1957 und die Verteilung von
Radionukliden durch einen Wirbelwind aus dem vertrockneten See Karachay (benutzt als offene Deponie für radioaktives Material) im Sommer 1967 zur Kontaminierung von
Tausenden von Quadratkilometern und geringfügiger Exposition von Hunderttausenden von Menschen geführt hat,
- von Bevölkerungsgruppen, die um tatsächliche oder geplante Standorte von kerntechnischen Anlagen leben,
- von Personen, die aus diagnostischen Gründen mit Röntgenstrahlung oder Radioisotopen medizinisch untersucht
wurden,
- von Personen, die aus therapeutischen Gründen mit externer ionisierender Strahlung oder mit Radionukliden exponiert wurden,
- etc., etc.
Zumeist waren die Häufigkeiten von Krebs- und Leukämieerkrankungen die studierten Wirkungen, aber auch andere
medizinische Endpunkte (fruchtschädigende – teratogene –
Wirkungen, nicht-Krebserkrankungen, Lebenserwartung)
wurden vereinzelt epidemiologisch untersucht.
In praktisch allen Fällen mussten retrospektiv die früheren
externen und internen Strahlenexpositionen für viele Personen möglichst genau abgeschätzt werden. Zu diesem Themenkreis und über die in der Praxis erreichbare Genauigkeit
hat die ICRU für die verschiedensten wissenschaftlichen
Möglichkeiten (Orts-, Personen-, biologische Dosimetrie, radioökologische Rechenmodelle, etc.) einen ausführlichen
Bericht veröffentlicht (ICRU 2002). Dabei ist sie zu dem Ergebnis gekommen, dass derartige retrospektive Abschätzungen der individuellen Strahlenexpositionen insbesondere
in dem Fall niedriger, zusätzlicher externer Strahlenexpositionen mit sehr großen Unsicherheiten verbunden sein können. Für den Fall interner Strahlenexpositionen ergibt sich
eine noch größere Unsicherheit durch die Tatsache, dass
zum einen die von der ICRP für Referenzpersonen publizierten Dosis-Konversions-koeffizienten für Inhalation und Ingestion für viele Radionuklide von Tierdaten ausgehend für
den Menschen geschätzt werden müssen und zum zweiten
hier eine noch größere individuelle natürliche Variabilität im
189
Metabolismus als in der Geometrie bei der externen Bestrahlung besteht. Außerdem bestehen über die Höhe der
Aufnahmerate verschiedener Nahrungsmittel und deren
Herkunftsorte in längst vergangenen Zeiten, sowie über die
örtlichen Aufenthaltsgewohnheiten sehr große Quantifizierungsunsicherheiten.
Für das für die Bevölkerung wichtige, überall vorkommende
(ubiquitäre) Agens Radon (7) und seine Folgeprodukte ergeben sich zusätzliche messtechnische Schwierigkeiten.
Üblicherweise können nur ortsdosimetrische Daten für Konzentrationen an natürlichem Edelgas Radon erhoben werden und dies meist nicht einmal für die Zeit der täglich ca.
10 Stunden Aufenthalt außerhalb des eigenen Hauses. Für
die epidemiologischen Studien wären aber individuelle Personendosen durch die an den Aerosolteilchen der Atemluft
anhaftenden und nicht anhaftenden (unattached fraction)
Folgeprodukte seines radioaktiven Zerfalls nötig. Letztere
zeichnen nach mechanistischen Organ-Dosisabschätzungen
für ca. 90 % der Lungenexposition verantwortlich, das Gas
nur für ca. 10 %. Das Verhältnis von Gas- zu Folgeproduktkonzentration hängt u. a. vom Lüftungsverhalten in einem
Raum, seiner Möblierung und der variablen Aerosol-Teilchen-Konzentration in der Luft, die durch Raucher (ca. 95 %
der Lungenkrebserkrankungen treten bei Rauchern auf),
Kerzen, Klimaanlagen, etc. stark beeinflusst wird.
Für entsprechende Fall-Kontroll-Studien wären diese individuellen Expositionsdaten retrospektiv zumindest für die letzten dreißig Jahre, jeweils zu den damaligen Lebensbedingungen zu bestimmen. Darüber hinaus ist dabei eine Genauigkeit notwendig, die Unterschiede in zeitlich differentiellen und integralen Expositionen zu anderen Personen erkennen lassen würden. Die zeitliche Differenzierung ist auch
deshalb notwendig, da gegenwärtig keine ausreichend abgesicherten theoretischen Strahlenkrebs-Entstehungsmodelle existieren, die die relative Gewichtung von historischen
Expositionswerten hinsichtlich des zeitabhängigen Risikos
einer Erkrankung eines exponierten Organs erlauben würden.
Eine genaue Expositionsquantifizierung wäre nötig, da im
Niedrigdosisbereich epidemiologische Studien zudem schon
190
durch kleine Unterschiede in den Parametern (wie z. B. genetischer Untergrund, Lebensweise, andere Agentien, etc.),
die nicht gemessen werden, von höher und geringer exponierten Personen verfälscht werden können. Diese Personen führen jeweils ein normales Leben und leben nicht unter
eng und stark kontrollierten experimentellen Bedingungen
(z. B. "SPF" - specific pathogene free environment") in einem Labor. Deshalb haben Studien insbesondere im Niedrigdosisbereich ein großes Potential für falsch-negative oder
falsch-positive Assoziationen und für eine substantielle
Überschätzung der wahren Größe von Risiken (Land, 1980).
Zusammenfassend ist festzustellen, dass es aus prinzipiellen Gründen, die zu einem großen Teil in der oben angesprochenen Problematik der methodisch unvermeidbaren
(inhärenten) Unsicherheiten bei der Expositionsabschätzung
liegen, nicht erwartet werden kann, dass die möglichen
gesundheitlichen Wirkungen niedriger Strahlendosen
(< 10 mSv) mit Hilfe von in diesem Dosis-Bereich durchgeführten epidemiologischen Studien quantifiziert werden können. Hier ist Fortschritt nur vom besseren mechanistischen
Verständnis der molekularen, zellulären und systemaren
Vorgänge in betroffenen Organen bei Störungen des Funktionsgleichgewichts (der Homöostase) durch niedrige Strahlendosen zu erhoffen.
191
4.5
Literatur:
DOE-Low Dose Programme. http://lowdose.tricity.wsu.edu.
EU-Low Dose Programme. http://www.riscrad.org.
Bundesanzeiger (1990). Allgemeine Verwaltungsvorschrift
zu § 45 StrlSchV: Ermittlung der Strahlenexposition durch
die Ableitung radioaktiver Stoffe aus kerntechnischen Anlagen und Einrichtungen. BAnz (/BUA-90/) 64a: 1.
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2002). Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung.
Jahresbericht 2002 (/BMU-02/).
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2003). Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung.
Jahresbericht 2003 (/BMU-03/).
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2004). Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung.
Jahresbericht 2004 (Parlamentsbericht) (/BMU-04/).
Doll, R. and A. B. Hill (1954). The mortality of doctors in
relation to their smoking habits. Brit Med Journal 228:
1451-1455.
Ehrhardt, J., J. Brown, et al. (1997). RODOS: Decisionmaking support for off-site emergency management after
nuclear accidents. Kerntechnik 62: 122-128.
International Commission on Radiological Protection (ICRP)
(1987). Lung Cancer Risk from Indoor Exposure to Radon
Daughters. ICRP Publication 50. Annals of the ICRP 17(1).
Oxford, Pergamon Press.
International Commission on Radiation Units and Measurements (ICRU) (2002). Retrospective Assessment of Exposure to Ionizing Radiation. ICRU Report 68. Bethesda, MD,
USA.
Jacob, P. (1991). Externe Strahlenexposition nach der Ablagerung künstlicher Radionuklide. Atomwirtschaft XXXVI:
328-331.
Koelzer, W. (2006). Die Strahlenexposition des Menschen.
Informationskreis Kernenergie. (/KOE-06/).
http://www.kernenergie.de/documentpool/ik_strahlenexp_01
_2006zw.pdf. Berlin.
192
Land, C. E. (1980). Estimating cancer risks from low doses
of ionizing radiation. Science 209: 1197-1203.
Lawlor, D. A., G. D. Smith, et al. (2004). The hormone replacement: coronary heart disease conundrum: is this the
death of observatorial epidemiology? Int J Epidermiology 33:
464-467.
Matthies, M., K. Eisfeld, et al. (1982). Simulation des Transfers von Radionukliden in landeswirtschaftlichen Nahrungsketten. GSF-Bericht. Neuherberg, GSF-Forschungszentrum
für Umwelt und Gesundheit: 882.
Müller, H., G. Pröhl (1993). ECOSYS-87: A Dynamic Model
for Assessing Radiological Consequences of Nuclear Accidents. Health Physics 64(3): 232-252.
Pettiti, D. (2004). Hormone replacement therapy and coronary heart disease. Int J Epidemiology 33: 461-463.
Stampfer, M., G. Colditz (2004). Estrogen replacement
therapy and coronary heart disease: a quantitative assessment of the epidemiological evidence. Int J Epidemiology 33:
445-453.
United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic
Radiation (UNSCEAR) (2000). Sources and Effects of Ionizing Radiation, Epidemiological evaluation of radiation- induced cancer. UNSCEAR 2000 Report 2, Annex I. New
York, USA, United Nations: 297-450.
Seelmann-Eggebert, W., et. al. (1981). Nuklidkarte, 5. Auflage. Karlsruhe, Kernforschungszentrum.
United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic
Radiation (UNSCEAR) (2000). Sources and Effects of Ionizing Radiation, Report to the General Assembly (/UNS-00/).
New York.
Zähringer, M., G. Pfister (1998). Representativeness and
comparability of dose rate measurements: Description of
site-specific uncertainties and data bias. Kerntechnik
63: 178-184.
193
5.
5.1
Strahlenschutz und gesetzliche Vorschriften
Planung und Durchführung des praktischen
Strahlenschutzes
Der Zweck des Strahlenschutzes ist es, die Exposition von
Mensch und Umwelt mit ionisierender Strahlung so gering
wie möglich zu halten. Insbesondere hat der Betreiber einer
Anlage, in der mit radioaktiven Substanzen umgegangen
wird, dafür Sorge zu tragen, dass die Radionuklide nicht in
die Umwelt gelangen.
Schutz vor äußerer Exposition
Die wichtigsten Verhaltensregeln zur Verringerung der äußeren Strahlenexposition sind die drei „A“ des Strahlenschutzes:
- Abstand
- Abschirmung
- Aufenthaltszeit im Strahlungsfeld.
Den Abstand von der Strahlenquelle zu vergrößern, ist immer die erste Schutzmaßnahme und meistens einfach zu
realisieren. Für einen isotrop strahlenden punktförmigen
Strahler im Vakuum verringert sich die Dosis bei Verdoppelung des Abstandes zur Strahlenquelle auf ein Viertel, oder
allgemein: die Dosis ist umgekehrt proportional zum Quadrat
des Abstandes. Dies wird als Abstandsquadratgesetz bezeichnet.
Das Abstandsquadratgesetz ist rein geometrischer natur. Es
lässt sich am einfachsten anhand der Abb. 5.1 erklären. Bei
einem divergierenden Strahl deckt die rechteckige Fläche im
Abstand 1r einen bestimmten Teil des Strahlungsfeldes ab.
Beim doppelten Abstand 2r werden nach dem Strahlensatz
vier solcher Flächenstücke benötigt um dasselbe Strahlenbündel abzudecken. Wegen der Erhaltung der Strahlungsenergie entfällt auf jedes dieser Flächenstücke nur noch ein
Viertel der Dosis. Beim dreifachen Abstand 3r sind es dann
schon 9 Flächenstücke, die Dosis verringert sich auf ein
Neuntel.
194
Abb. 5.1 Das Abstandsquadratgesetz
In der Praxis kann das Abstandsquadratgesetz für viele
Strahlenquellen in Luft mit ausreichender Genauigkeit angewendet werden. Eine Strahlenquelle kann als punkförmig
angesehen werden, wenn ihre räumliche Ausdehnung sehr
viel kleiner ist als der zu betrachtende Abstand. Für Strahlenquellen, die nicht als Punkförmig angesehen werden
können (z. B. Linienquellen), oder für stark kollimierte Strahlung ist dieses Gesetz nicht gültig. Ebenso muss für Alphastrahlung auch die beträchtliche Abschirmwirkung der Luft
(Reichweite in Luft nur wenige Zentimeter) in Betracht gezogen werden.
Eine wichtige Konsequenz des Abstandquadratgesetzes ist
die Verwendung von Pinzetten beim Arbeiten mit radioaktiven Stoffen. Eine gewöhnliche Pinzette vergrößert den Abstand der Quelle zur Hand von 1 mm auf 10 cm (Faktor 100)
und verringert die Hautdosis auf ein Zehntausendstel.
Die zweite wichtige Schutzmaßnahme ist die Abschirmung
der ionisierenden Strahlung. Je nach Strahlenart und Strahlenqualität muss eine geeignete Abschirmung gewählt werden.
195
Alpha- und Betastrahlung sind relativ leicht abzuschirmen
(Alphastrahlung: Blatt Papier, Betastrahlung: einige cm Plexiglas, vgl. Kapitel 1.2). Prinzipiell kann zur Abschirmung jedes Material verwendet werden, solange es nur genügend
dick ist. Bei der Abbremsung von geladenen Teilchen (Į, ß)
in Materie entsteht allerdings Bremsstrahlung. Gerade bei
Betastrahlung darf die Bremsstrahlung nicht vernachlässigt
werden. Die Intensität der Bremsstrahlung nimmt annähernd
proportional mit der Kernladungszahl Z des Abschirmmaterials zu. Idealerweise sollte die Abschirmung von Betastrahlung daher aus zwei Komponenten bestehen: die erste
Schicht aus einem niedrig Z Material (z. B. Plexiglas) zur
vollständigen Abschirmung der Betateilchen, die zweite
Schicht aus einem hoch Z Material (z. B. Blei oder Wolfram)
zur Abschirmung der entstandenen Bremsstrahlung.
Zur Abschirmung von Gamma- und Röntgenstrahlung ist ein
Material von hoher Dichter und hoher Ordnungszahl am
besten geeignet. Gängige Materialien sind Blei, Wolfram
oder Schwerbeton. Neuere Untersuchungen zeigen, dass
unter gewissen Voraussetzungen auch körniger Gips geeignet ist. Das Spektrum der benötigten Abschirmdicken reicht
je nach Energie und Intensität der Strahlung von einigen
Zehntel Millimetern Blei in Röntgenschürzen in der Medizin
über Zentimetern bei typischen Radionukliden in der Nuklearmedizin (I-131, F-18) bis zu Meter dicken Betonwänden in
Kernreaktoren oder Teilchenbeschleunigern. Bei letztern
beiden handelt es sich allerdings auch um eine Kombination
aus Neutronen- und Gammastrahlung bzw. Protonen- und
Gammastrahlung.
Die dritte Verhaltensregel ist die Minimierung der Aufenthaltszeit im Strahlungsfeld. Die Dosisreduktion durch diese
Vorsichtsmaßnahme ist leicht einzusehen. Die Halbierung
der Expositionszeit halbiert ebenfalls die absorbierte Dosis.
Eine einfache Maßnahme hierzu ist die gute Vorbereitung
jeglicher Arbeiten in Strahlungsfeldern. Die Arbeitszeit selber, z. B. Reparaturmaßnahmen oder radiochemische Analysen oder Synthesen, kann nur in den seltensten Fällen
verkürzt werden. Allerdings sollten Verzögerungen durch
das Beschaffen benötigter Werkzeuge und Hilfsmittel vermieden werden.
196
Ionisierende Strahlung ist mit den menschlichen Sinnen
nicht wahrnehmbar. So weiß zwar der Verursacher eines
erhöhten Strahlungspegels (Einschalten eines Beschleunigers / einer Röntgenröhre, Herausnehmen eines radioaktiven Präparats aus der Abschirmung) von der möglichen Gefährdung, nicht aber seine Mitarbeiter, geschweige denn der
zufällige Passant. Zu diesem Zweck sieht der Gesetzgeber
die Einrichtung von gekennzeichneten Strahlenschutzbereichen vor. Je nach möglicher Jahresdosis bzw. Dosisleistung
sind dies der Überwachungsbereich, der Kontrollbereich und
der Sperrbereich. Außerhalb des Betriebsgeländes können
keine Strahlenschutzbereiche ausgewiesen werden. Daher
hat der Betreiber einer Einrichtung, in der ionisierende
Strahlung erzeugt wird oder in der mit radioaktiven Substanzen umgegangen wird, dafür zu sorgen, dass außerhalb des
Betriebsgeländes eine über dem Grenzwert erhöhte Dosisleistung ausgeschlossen ist.
Die Zuweisung der Strahlenschutzbereiche und der Nachweis, dass keine Gefährdung der übrigen Bevölkerung besteht, erfolgt anhand eines Strahlenschutzplans. Bei dessen
Aufstellung müssen die Äquivalentdosen aller Strahlenquellen unter Berücksichtigung des Abstands und der Abschirmung addiert werden. Bei innerbetrieblichen Strahlenschutzbereichen kann auch die eingeschränkte Aufenthaltszeit der Mitarbeiter in diesen Bereichen in Betracht gezogen
werden. Außerhalb des Betriebsgeländes muss allerdings
von einem Daueraufenthalt ausgegangen werden. Strahlenschutzbereiche, die aufgrund temporärer Strahlenquellen
(Röntgengeräte, Beschleuniger) eingerichtet wurden, können ebenfalls temporär sein, also nur bei laufendem Betrieb
der Strahlenquellen.
Vorraussetzung zur Aufstellung eines Strahlenschutzplans
ist die Kenntnis der Äquivalentdosisleistung jeder Strahlenquelle. Diese kann durch Messung oder Rechnung erlangt
werden. Die von radioaktiven Stoffen verursachte Dosisleistung wird durch Multiplikation der Aktivität mit der entsprechenden Dosisleistungskonstante īH dividiert durch das
Quadrat des Abstandes ermittelt. Die Dosisleistungskonstante berücksichtigt Strahlenart und -qualität und damit die
biologische Wirksamkeit der Strahlung individuell für jedes
Radionuklid. Sie hat die Dimension µSv·m2/GBq/h. Einige
197
Dosisleistungskonstanten gängiger Radionuklide sind in Tabelle 5.1 zusammengestellt.
Radionuklid
F-18
Na-22
Mn-56
Co-60
Tc-99m
I-123
I-125
I-128
I-131
Ba-133
Cs-137
Ir-192
Ra-226
U-235
Am-241
īH
in µSv·m2/GBq/h
155
322
243
351
16
39
39
14,31
59
80
88
125
251
19,17
6,6
Tab. 5.1 Dosisleistungskonstanten gängiger Radionuklide
Die Abschirmwirkungen verschiedener Materialen, die ebenfalls in die Aufstellung eines Strahlenschutzplans eingehen,
kann für die Strahlung einiger Radionuklide der DIN 6844
Teil 3 und für die Strahlung aus Röntgenanlagen der DIN
6812 entnommen werden. Für nicht aufgeführte Strahlungsarten und Abschirmmaterialien bzw. Abschirmungen unbekannter Materialzusammensetzung sind Messungen notwendig, um die Schwächungsfaktoren zu bestimmen.
Personenkontamination und Dekontaminationsmöglichkeiten
Beim Umgang mit offenen radioaktiven Substanzen besteht
neben der rein äußerlichen Strahlenexposition die Gefahr
der Kontamination der Kleidung oder, noch gefährlicher, der
Haut. Eine Kontamination ist das Aufbringen eines radioaktiven Stoffes auf eine Person oder einen Gegenstand, d.h. die
Person, der Gegenstand ist kontaminiert. Oft sind die Stoff198
mengen so klein, dass eine Kontamination unter Umständen
erst viel später bemerkt wird, aber dennoch eine erhebliche
Strahlenexposition verursacht. Dies bewirkt der minimale
Abstand durch den direkten Körperkontakt. Zudem kann das
Strahlungsfeld nicht wie bei einer stationären Strahlungsquelle ohne weiteres verlassen werden.
Besonders Radionuklide, die Alpha- oder Betastrahlung
emittieren, können nicht unerhebliche Strahlenschäden verursachen. Die Eindringtiefe der Strahlung ins Gewebe ist
zwar relativ begrenzt, das heißt aber, dass ihre gesamte
Energie lokal deponiert wird. Entsprechend groß ist ihre
schädigende Wirkung. Gerade Alphastrahlung, deren Anteil
an der Personendosis sonst allein wegen der Abschirmwirkung der Luft vernachlässigt werden kann, ist besonders gefährlich.
Die anzuwendenden Schutzmaßnahmen sind trivial, werden
in der Praxis aber leider häufig vernachlässigt. Das Tragen
von entsprechender Schutzkleidung ist beim Umgang mit offenen radioaktiven Stoffen obligatorisch. Diese lässt sich im
Falle einer Kontamination leicht wechseln. Kontaminationen
der Haut lassen sich so vermeiden. Beim Umgang mit Alpha- oder Betastrahlern sollte auf besonders dichte Kleidung
und Handschuhe geachtet werden.
Da eine Kontamination nicht ohne weiteres bemerkt werden
kann, ist eine regelmäßige Messung mit einem Kontaminationsmonitor notwendig. Das sind Strahlungsmessgeräte, mit
denen je nach Auslegung kleine Flächenstücke (tragbare
Handgeräte), Hände und Füße gleichzeitig (stationäre HandFuß-Kleider-Monitore) oder sogar der ganze Körper (Ganzkörperzähler) auf Kontaminationen untersucht werden können. Eine regelmäßige Kontrolle von Kleidung und Arbeitsplatz ist nicht nur aus Gründen des Selbstschutzes geboten,
sondern auch zum Schutz der übrigen Mitarbeiter durch die
Vermeidung unbemerkter Verschleppungen von radioaktiven Substanzen.
Hat eine Kontamination stattgefunden und ist diese erkannt
worden, so müssen unverzüglich Dekontaminationsmaßnahmen getroffen werden. Der radioaktive Stoff muss entfernt und so gelagert werden, dass eine weitere Personengefährdung ausgeschlossen werden kann. Betrifft die Kon199
tamination ausschließlich die Kleidung, so kann die Dekontamination durch einen einfachen Kleiderwechsel vorgenommen werden. Die kontaminierten Kleidungsstücke sind
dann solange zu lagern, bis die Aktivität durch den radioaktiven Zerfall auf ein ungefährliches Maß abgeklungen ist,
wobei die Lagerzeit von der Aktivitätsmenge, der Qualität
der emittierten Strahlung und den Halbwertszeiten der zur
Kontamination beitragenden Radionuklide abhängt.
Bei einer Kontamination der Haut ist vor allen Dingen
Schnelligkeit gefragt, nicht nur wegen der akuten Strahlenexposition, sondern auch weil je nach chemischer Verbindung der Radionuklide die Gefahr einer Diffusion der radioaktiven Stoffe in die Haut besteht. Eine Dekontamination ist
dann sehr viel aufwendiger wenn nicht gar unmöglich. Die
Dekontamination des Körpers erfolgt durch sorgfältiges Waschen der betroffenen Körperteile. Hierzu gibt es spezielle
Waschlotionen, die die Dekontamination auf mechanische
(Peeling) oder chemische Art unterstützen. Beim Waschen
ist darauf zu achten, dass eine Aufnahme der Radionuklide
in den Körper vermieden wird. So sollte z. B. die Dekontamination der Haare nur über den Hinterkopf erfolgen (wie
beim Friseur), so dass kein Wasser in Augen, Ohren oder
gar Nase und Mund gerät. Deswegen sollte bei der Dekontamination des Kopfes eine weitere Person behilflich sein.
In der Regel ist eine Dekontamination so oft zu wiederholen,
bis die Kontamination vollständig beseitigt ist oder keine
Verbesserungen mehr erreicht werden.
Inkorporation und Dekorporationsmöglichkeiten
Die größte Gefahr geht von der Aufnahme radioaktiver Stoffe in den Körper aus. Die Inkorporation kann über den Magen (Ingestion), die Lunge (Inhalation) oder über offene
Wunden geschehen. Die Radionuklide gelangen so in den
Stoffwechselkreislauf und können sich unter Umständen in
einigen für die jeweilige chemische Verbindung typischen
Organen anreichern. Hierdurch kann es zu erheblichen Aktivitätskonzentrationen und hohen Organdosen in diesen Organen kommen. Wie bei der Kontamination sind auch bei
der Inkorporation die Alpha- und Betastrahler die Nuklide mit
dem größten Gefährdungspotential. Sie deponieren die
200
Energie ihrer Strahlung direkt in den betroffenen Organen.
Bei manchen Radionukliden (z. B. Uran, Plutonium) geht die
Radiotoxizität mit einer Chemotoxizität einher, die meist das
weitaus größere Risiko darstellt.
Ein zusätzliches Problem stellt die unter Umständen lange
Verweildauer der Radionuklide im Körper dar. Sie verbleiben
solange im Organismus bis sie abgeklungen sind oder auf
natürlichem Wege ausgeschieden werden. Durch die zusätzliche Möglichkeit der Ausscheidung nimmt die Aktivität
im Körper schneller ab als alleine durch den radioaktiven
Zerfall. Man spricht in diesem Fall auch von einer effektiven
Halbwertszeit.
Da die Abnahme der Aktivität im Körper von zwei voneinander unabhängigen Prozessen bestimmt wird, ist der Kehrwert der effektiven Halbwertszeit gleich der Summe der
Kehrwerte der physikalischen und der biologischen Halbwertszeit (1/T1/2,eff = 1/T1/2,phys + 1/T1/2,biol). Beispiel: I-131 in
der Schilddrüse, T1/2,phys § 8 Tage, T1/2,biol § 80 Tage, T1/2,eff §
7,27 Tage.
Im praktischen Strahlenschutz kann zur Ermittlung der Folgedosis, also derjenigen Dosis, die ein Organ oder Gewebe
als Folge einer einmaligen Zufuhr eines oder mehrerer Radionuklide im gesamten Zeitraum nach der Aufnahme bis
zum vollständigen Verschwinden dieser Nuklide aus dem
Körper erhält, auf Dosiskoeffizienten zurückgegriffen werden. Diese Koeffizienten geben jeweils für ein bestimmtes
Nuklid die aus der Inkorporation von einem Becquerel resultierende Folgedosis an. Dabei werden folgende Daten berücksichtigt:
Physikalisch/chemische Daten des zugeführten Nuklids:
Nuklidart
Halbwertszeit (physikalisch)
Aus der Aktivitätszufuhr abgeleitete Aktivitätskonzentration im Organ oder Gewebe
Strahlenart(en)
Strahlenenergie(n)
Zerfallsenergie
Absorbierter Anteil der Zerfallsenergie
Chemische Form
Stofflicher Zustand (Gas, Aerosol usw.)
201
Biologische Daten für die Aufnahme durch den Menschen:
Alter (Kleinkind, Kind, Erwachsener)
Geschlecht
Körpergewicht
Aufnahmeweg (Inhalation, Ingestion)
Resorbierter Anteil der zugeführten Aktivitätsmenge
Verteilungsmuster des aufgenommenen Nuklids im Körper (bestimmt durch physikalische Halbwertszeit sowie Anreicherung,
Stoffwechsel und Ausscheidung)
Kritische Organe für das aufgenommene Nuklid
Gewicht und Größe der kritischen Organe
Die heute gültigen Dosiskoeffizienten sind im Bundesanzeiger veröffentlicht (Bekanntmachung der Dosiskoeffizienten
zur Berechnung der Strahlenexposition vom 23.07.2001,
BAnz. Nr. 160a und 160b) /BUA-01/.
In der Medizin ist die Inkorporation und Anreicherung von Radionukliden zu therapeutischen Zwecken erwünscht, wie z. B. bei der
Radioiod-Therapie bei Schilddrüsenerkrankungen. Der Betastrahler
I-131 reichert sich vorwiegend in der Schilddrüse an und kann dort
seine strahlentherapeutische Wirkung entfalten. Das übrige Iod,
das nicht in der Schilddrüse gespeichert wird, wird über die Nieren
ausgeschieden. Der Ausscheidungsprozess kann durch Flüssigkeitsgabe beschleunigt werden, um die Strahlenexposition der Nieren und der Blase gering zu halten.
Ein Beispiel für die unerwünschte Inkorporation ist die Inhalation
von Polonium-210 mit dem Zigarettenrauch. Das in der Natur seltene Polonium-210, ein Alphastrahler, reichert sich auf den Tabakblättern an und wird mit dem Feinstaub des Zigarettenrauchs inhaliert. Aufgrund der geringen Selbstreinigungsfähigkeit der Lunge
von Feinstaub verbleibt es dort praktisch ein Leben lang und ist
mitverantwortlich für das erhöhte Lungenkrebsrisiko.
Generell gilt zur Vermeidung von Inkorporationen wie auch
zur Vermeidung von Kontaminationen das Tragen von
Schutzkleidung am Arbeitsplatz, speziell von Handschuhen.
Leicht flüchtige Substanzen sollten nur in einem Abzug verarbeitet werden, die Abluft ist mit entsprechenden Filtern zu
reinigen. Insbesondere gilt an allen Arbeitsplätzen, an denen
mit offenen radioaktiven Substanzen umgegangen wird, ein
absolutes Verbot von Rauchen, Essen, Trinken, Schminken
etc. Hierdurch wird die Möglichkeit einer Inkorporation durch
eventuell kontaminierte Hände eingeschränkt. Alle Tätigkei202
ten, bei denen die Hände ins Gesicht bzw. an den Mund geführt werden, sollten erst dann durchgeführt werden, nachdem die Hände auf eventuelle Kontamination geprüft worden sind.
Ähnlich wie bei der Kontaminationsüberwachung bedient
man sich zur Überwachung möglicher Inkorporationen
hochempfindlicher Messgeräte wie z. B. Ganzkörper- bzw.
Teilkörperzähler. Daneben besteht auch die Möglichkeit der
Messung der Aktivitätskonzentrationen in den Ausscheidungen oder im Blut. Ein gängiges Verfahren zur Abschätzung
eines generellen Inkorporationsrisikos durch Inhalation ist
die Bestimmung der Aktivitätskonzentration in der Raumluft.
Die erste Dekorporationsmaßnahme ist die Beschleunigung
des natürlichen Stoffwechsels, um die Ausscheidung der
Radionuklide zu forcieren. Denkbar ist z. B. die verstärkte
Gabe von Flüssigkeit zur Ausschwemmung oder Abführmittel, sofern sich die Radionuklide noch im Verdauungstrakt
befinden.
Generell ist nach einer Inkorporation rasches Handeln erforderlich. Hat erst mal die Anreicherung der inkorporierten
Substanzen in den Organen stattgefunden, sind die Radionuklide meist nur schwer und in langwierigen Prozessen
wieder aus dem Körper entfernbar. In diesen Fällen muss
zwischen den Gesundheitsgefährdungen der medikamentösen Ausscheidungskuren einerseits und des Verbleibs der
radioaktiven Nuklide im Körper andererseits sorgfältig abgewogen werden. Sind die inkorporierten Elemente nicht toxisch, so können auch große Mengen stabiler Nuklide desselben Elements eingenommen werden. Dies führt zu einer
Verdünnung und Verdrängung der instabilen, radioaktiven
Nuklide im Körper. Genau dieses Verfahren lag der Empfehlung zu Grunde, nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl
Algen zu essen. Die iodreiche Nahrung sollte den Iodbedarf
der Schilddrüse mit stabilem Iod-127 stillen, so dass das radioaktive Iod-131 nicht aufgenommen und gespeichert wird.
Zum Zweck der medizinischen Versorgung und Risikoabschätzung bei Inkorporationen größerer Mengen radioaktiver
Stoffe sowie bei schweren Kontaminationen sind regionale
Strahlenschutzzentren eingerichtet worden. In ihnen ist das
203
physikalische und medizinische Know-how für sofortige
Hilfsmaßnahmen vorhanden. In Bayern sind dies:
Regionales Strahlenschutzzentrum München
Städtisches Krankenhaus Schwabing
Institut für medizinische Physik
Regionales Strahlenschutzzentrum Neuherberg
GSF Forschungszentrum
Institut für Strahlenschutz
Regionales Strahlenschutzzentrum Würzburg
Universität Würzburg
Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin
5.2
Gesetzliche Schutzvorschriften
Der Umgang mit radioaktiven Substanzen sowie die Errichtung und der Betrieb von Anlagen, die ionisierende Strahlung erzeugen, sind im Atomgesetz (AtG) /ATG-85/ geregelt.
Vornehmlich ist damit die friedliche Nutzung der Kernenergie gemeint. Das Atomgesetz enthält aber auch alle Rechtsvorschriften, um Leben, Gesundheit und Sachgüter vor der
schädlichen Wirkung ionisierender Strahlen zu schützen. Im
Atomgesetz ist die Möglichkeit vorgesehen Rechtsverordnungen zur Konkretisierung der Schutzmaßnahmen zu erlassen. Dies ist mit dem Erlass der Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) und der Röntgenverordnung (RöV) geschehen. Vorsorgemaßnahmen und ein wirksames und koordiniertes Vorgehen aller beteiligten Dienststellen in Bund
und Ländern bei großräumig wirkenden Verfrachtungen von
Radioaktivität auf das Gebiet der Bundesrepublik sind im
Strahlenschutzvorsorgegesetz (StrVG) geregelt.
Strahlenschutzverordnung (StrlSchV)
Die Strahlenschutzverordnung /STR-01/ enthält Grundsätze
und Anforderungen für Vorsorge- und Schutzmaßnahmen
zum Schutz von Mensch und Umwelt vor der schädigenden
Wirkung ionisierender Strahlung natürlichen oder zivilisatorischen Ursprungs. Mit der Neufassung der Strahlenschutzverordnung vom 20.7.2001 (zuletzt geändert am 1.9.2005)
sind die europäischen Richtlinien 96/29/EURATOM und
204
97/43/EURATOM in deutsches Recht umgesetzt worden. In
ihr sind weiterführende Regelungen zum Umgang mit radioaktiven Stoffen sowie zu der Errichtung und dem Betrieb von
Anlagen zur Erzeugung ionisierender Strahlung enthalten.
Für die Genehmigung und die Überwachung des Umgangs
mit radioaktiven Stoffen und des Betriebs von Beschleunigeranlagen nach der Strahlenschutzverordnung ist in Bayern das Landesamt für Umwelt zuständig.
- Festlegung der Grenzwerte unter gesundheitlichen,
gesellschaftspolitischen und ökonomischen Aspekten
Die internationale Strahlenschutzkommission (ICRP) bewertet die Ergebnisse und Erkenntnisse über die biologische
Wirksamkeit ionisierender Strahlung und veröffentlicht in regelmäßigen Abständen aktualisierte Strahlenschutzempfehlungen. Die derzeit gültigen Empfehlungen zu Dosisgrenzwerten sind 1991 in der ICRP Publikation Nr. 60 erschienen
/ICR-91/. Der Entwurf einer Neufassung ist als Diskussionsgrundlage erhältlich. Die ICRP ist ein international anerkanntes, unabhängiges Expertengremium von derzeit 13 Wissenschaftlern. Ihre Empfehlungen bilden in vielen Ländern
die Grundlage für die gesetzlichen Schutzvorschriften. So
sind die empfohlenen Grenzwerte unter anderem auch in
der europäischen Richtlinie 96/29/EURATOM übernommen
worden und seit Bekanntgabe der Strahlenschutzverordnung vom 20.7.2001 und der Röntgenverordnung (RöV)
vom 18.06.2002 in der Bundesrepublik Deutschland bindend. Die festgelegten Grenzwerte sollen die möglichen Risiken auf ein akzeptables Maß begrenzen. Diese Begründung bedeutet, dass das Risiko auch bei Einhaltung des
Grenzwertes nicht gleich Null ist und bei Überschreitung
nicht sofort bedrohliche Ausmaße erreicht.
Dem praktischen Strahlenschutz liegt das ALARA-Prinzip
(As Low As Reasonably Achievable) der internationalen
Strahlenschutzkommission zugrunde. Im Einzelnen beinhaltet das ALARA-Prinzip:
Rechtfertigung
Der Nutzen aus einem Umgang mit ionisierender Strahlung
muss die möglichen Gefährdungen überwiegen.
205
Dosisbegrenzung
Die Grenzwerte der Personendosis für Einzelpersonen der
Bevölkerung (1 mSv/a, StrlSchV, RöV) und für beruflich
strahlenexponierte Personen (20 mSv/a, StrlSchV, RöV)
müssen eingehalten werden.
Dosisreduzierung
Die Dosis soll auch unterhalb der Grenzwerte nach wirtschaftlichen und sozialen Gesichtspunkten bestmöglich reduziert werden.
Kritiker halten der ICRP oft vor, zu industriefreundlich zu
sein. Sie würde mit ihren Grenzwerten und dem Zusatz der
Wirtschaftlichkeit bei der Dosisreduzierung den aktuellen
Belastungsstand festschreiben. Ebenso seien neue wissenschaftliche Erkenntnisse, dass das Risiko niederer Strahlendosen unterschätzt wird, nicht berücksichtigt worden. Umgekehrt versuchen einige Vertreter der Industrie, die ICRP
zur Wiedereinführung des Schwellenmodels für stochastische Strahlenschäden zu bewegen. Beträchtliche Investitionsersparnisse im baulichen Strahlenschutz aufgrund höherer Grenzwerte wären die Folge.
Es sollte dabei aber nicht vergessen werden, dass es gute
Argumente für die Wahl der Grenzwerte gibt. So liegt der
Grenzwert für die effektive Dosis von 1 mSv/a, die Einzelpersonen der Bevölkerung zugemutet werden darf, innerhalb der Schwankungsbreite der natürlichen Strahlenbelastung. Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen
konnten in diesem Dosisbereich bisher nicht nachgewiesen
werden. Bei einer effektiven Jahresdosis von 20 mSv, das
ist der Grenzwert für beruflich strahlenexponierte Personen,
ist das Risiko strahlenbedingter Erkrankungen ebenso hoch
wie das Unfallrisiko in anderen hoch technisierten Berufszweigen, in denen das Unfallrisiko gesellschaftlich akzeptiert
ist.
Bei der Anwendung des Konzepts der effektiven Dosis, das
die relative Strahlenempfindlichkeit der einzelnen Organe
und Gewebe berücksichtigt, wird die Festsetzung gesonderter Dosisgrenzwerte für einzelne Organe oder Gewebe im
Prinzip unnötig, zur sicheren Vermeidung akuter (nichtstochastischer) Schäden ist sie jedoch in bestimmten Fällen
sinnvoll (vgl. Tabelle 5.2).
206
Organ
Augenlinse
Haut, Hände, Unterarme, Füße,
Knöchel
Keimdrüsen, Gebärmutter, Knochenmark
Schilddrüse, Knochenoberfläche
Dickdarm, Lunge, Magen, Blase,
Brust, Leber, Speiseröhre, andere Organe
Über 18
150
mSv/a
500
mSv/a
50 mSv/a
Unter 18
15
mSv/a
50
mSv/a
300
mSv/a
150
mSv/a
Tab. 5.2 Grenzwerte der jährlichen Organdosen beruflich strahlenexponierter Personen
Besonderer Schutz gilt dem ungeborenen Leben. So ist die
Dosis an der Gebärmutter gebärfähiger Frauen auf 2 mSv
im Monat beschränkt. Ab Bekantwerden einer Schwangerschaft darf die Dosis für das ungeborene Kind bis zum Ende
der Schwangerschaft höchstens 1 mSv betragen.
Ausnahmen von den Grenzwerten gibt es in der Anwendung
radioaktiver Stoffe und ionisierender Strahlen am Patienten
zu medizinischen Zwecken. Hier sind die Grenzwerte durch
die Vorschrift ersetzt, dass die durch die ärztlichen Untersuchungen bzw. Therapien bedingte Strahlenexposition so
weit einzuschränken ist, wie dies mit den Erfordernissen der
medizinischen Wissenschaft vereinbar ist. Entsprechende
Regelungen finden sich auch in der Röntgenverordnung.
Das ALARA-Prinzip ist in der deutschen Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) verankert (§§ 4, 5, 6), allerdings mit
einer entscheidenden Änderung. Die Dosisminimierung soll
hier nicht nach wirtschaftlichen Aspekten erfolgen sondern
nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft und Technik.
Der Schutz der Einzelperson steht hierbei eindeutig im Vordergrund.
Die deutsche Strahlenschutzkommission (SSK) ist das nationale Pendant zur ICRP. Sie veröffentlicht ebenfalls
Empfehlungen und Stellungnahmen zu Strahlenschutzthemen und berät das Bundesministerium für Umwelt, Natur207
schutz und Reaktorsicherheit. Ihr Einfluss auf die Grenzwerte ist allerdings gering, da die Bundesrepublik Deutschland
an die EURATOM-Richtlinien gebunden ist. Einzig eine Verschärfung, d.h. eine Absenkung, der nationalen Grenzwerte
gegenüber denjenigen in den europäischen Richtlinien ist
möglich. Der Schwerpunkt der SSK liegt bei Empfehlungen
zur praktischen Durchführung des Strahlenschutzes und zur
Handhabung der Grenzwerte.
- Höchstwerte der Oberflächen- und massenbezogenen
Kontamination
Dem Betreiber einer Anlage, in der mit radioaktiven Substanzen umgegangen wird oder in der ionisierende Strahlung erzeugt wird, obliegt die Einhaltung der Grenzwerte.
Der Schutz vor äußerer Strahlenexposition durch die beim
Betrieb entstehende ionisierende Strahlung kann durch die
bekannten Maßnahmen Abstand, Abschirmung und Aufenthaltszeit (vgl. Kapitel 5.1) realisiert werden.
Ebenso wichtig ist die Vermeidung einer unkontrollierten
Verbreitung radioaktiver Substanzen. Die Verbreitung kann
mit der Abluft, dem Abwasser, Abfällen oder kontaminierten
Gegenständen geschehen. Einmal freigesetzt, gelangen die
radioaktiven Nuklide über die Nahrungskette in den menschlichen Körper und führen so zu einer inneren Strahlenexposition. Daher ist das Herausbringen eines Gegenstandes
aus Kontrollbereichen, in denen mit offenen radioaktiven
Substanzen umgegangen wird, streng reglementiert. Erlaubt
ist das Entfernen nur für Kleidung, Werkzeuge, Messgeräte
und sonstige Apparate, die auf Kontaminationen überprüft
worden sind, d.h. deren Oberflächenaktivität bzw. massenspezifische Aktivität unterhalb bestimmter Grenzwerte liegt
(StrlSchV § 44).
Die Festlegung von Grenzwerten, die vor den Gefahren einer inneren Strahlenexposition schützen sollen, kann nur
nuklidspezifisch getroffen werden. Denn neben der freigesetzten Aktivität sind auch Strahlenart und Strahlenqualität
für die biologische Wirksamkeit entscheidend. Genauso gilt
es, die physikalische und die biologische Halbwertszeit der
Nuklide zu berücksichtigen, wie auch die unterschiedliche
Strahlenempfindlichkeit der verschiedenen Organe, in denen
208
eine Aktivitätsanreicherung wahrscheinlich ist. Zuletzt sind
die unterschiedlichen Expositionspfade, Ingestion oder Inhalation, in Betracht zu ziehen. Die effektive Dosis von Einzelpersonen der Bevölkerung bei Inkorporation von Radionukliden können der Bekanntmachung der Dosiskoeffizienten zur
Berechnung der Strahlenexposition vom 23.07.2001, BAnz.
Nr. 160a und 160b /BUA-01/, entnommen werden. Den Berechnungen liegt ein alters- und geschlechtsabhängiges
Stoffwechselmodell zugrunde.
In der Strahlenschutzverordnung wurden die Grenzwerte unter der Vorgabe festgelegt, dass für Einzelpersonen der Bevölkerung eine zusätzliche effektive Dosis von nicht mehr
als 10 PSv/a (1/100 des Jahresgrenzwertes) durch die Freisetzung kontaminierter Gegenstände auftreten kann. Dem
Ausbreitungsverhalten der freigesetzten radioaktiven Substanzen wird unter anderem dadurch Rechnung getragen,
dass die Grenzwerte nicht für absolute Aktivitätsmengen
sondern für Aktivitätskonzentrationen angegeben werden
(vgl. Tabelle 5.3). Wenn der Gegenstand mit mehr als einem
radioaktiven Nuklid kontaminiert ist, wird die Summenformel
angewendet. Die Summenformel verhindert die Erhöhung
des Gefährdungspotentials durch Nuklidgemische. Ein Gegenstand gilt demnach als nicht kontaminiert, wenn die
Summe der Quotienten aus Aktivitätskonzentration und dem
jeweiligen Grenzwert kleiner als 1 ist, d.h. wenn z. B. bei einem Gemisch aus zwei Nukliden die Aktivitätskonzentration
des einen Nuklids bereits 60 % des spezifischen Grenzwertes beträgt, dann darf die Aktivitätskonzentration des anderen höchstens 40 % seines Grenzwertes betragen.
In Strahlenschutzbereichen muss die Oberflächenkontamination der Arbeitsflächen regelmäßig kontrolliert werden. Die
Grenzwerte hierbei beziehen sich allerdings nur auf die nicht
haftenden Kontaminationen zur Vermeidung von unbemerkten Personenkontaminationen und Inkorporationen. Da in
den Strahlenschutzbereichen ausschließlich eingewiesenes
Personal tätig ist, das um die möglichen Gefährdungen weiß
und sich entsprechend verhält, liegen die Grenzwerte im
Überwachungsbereich um den Faktor 10, im Kontrollbereich
um den Faktor 100 höher als beim Herausbringen von Gegenständen aus dem Kontrollbereich.
209
Radionuklid
H-3
C-14
F-18
Co-60
Tc-99m
I-131
Cs-137
U-235
U-238
Oberflächenkontamination in Bq/cm2
1 E+2
1 E+2
1
1
1 E+1
1 E+1
1
1
1
Spezifische Aktivität
in Bq/g
1 E+3
8 E+1
1 E+1
0,1
1 E+2
2
5 E-1
5 E-1
6 E-1
Tab. 5.3 Grenzwerte einiger Radionuklide für Oberflächen- und
massenbezogene Kontaminationen (StrlSchV Anlage III Tabelle 1)
- Freigabeverfahren
Bis zur Neufassung der Strahlenschutzverordnung vom
20.7.2001 konnten nur nicht kontaminierte oder dekontaminierte Gegenstände aus Kontrollbereichen entfernt werden.
Der Gegenstand selbst aber musste inaktiv sein. Zudem beschränkten sich die entfernbaren Gegenstände auf Kleidung, Werkzeuge, Messgeräte und sonstige Apparate. Aber
auch ursprünglich radioaktive Substanzen zerfallen mit ihren
spezifischen Halbwertszeiten und sind schließlich inaktiv.
Eine Abgabe dieser nunmehr inaktiven Stoffe in den normalen Umgang war bisher nicht vorgesehen, die teure Einlagerung in Sonderlager war die Regel.
Mit dem neuen Freigabeverfahren unterliegen ehemals radioaktive Stoffe nach der Freigabe nicht mehr der Strahlenschutzverordnung. Sie können wie inaktive Stoffe behandelt
werden. Freigegeben werden können bewegliche, feste und
flüssige Gegenstände, aber auch Einrichtungen, Räume und
sogar ganze Gebäude. Jede Freigabe muss zuvor bei der
zuständigen Aufsichtsbehörde (in Bayern das Landesamt für
Umwelt) beantragt und von dieser genehmigt werden. Das
genaue Verfahren ist in § 29 der Strahlenschutzverordnung
beschrieben.
Vorraussetzung für die Freigabe ist, wie beim Herausbringen von nicht kontaminierten Gegenständen aus dem Kontrollbereich, die Beschränkung der zusätzlichen effektiven
210
Dosis von Einzelpersonen der Bevölkerung durch die freigegebenen Aktivitäten auf höchstens 10 PSv/a. Die Grenzwerte der erlaubten Aktivitätskonzentrationen für die Freigabe
sind ebenfalls nuklidspezifisch. Je nach Weiterverwendung
der freigegebenen Gegenstände gelten verschieden strenge
Werte. Unterschieden wird dabei zwischen einer uneingeschränkten Freigabe und einer Freigabe zur Beseitigung.
Die strengeren Grenzwerte gelten für die uneingeschränkte
Freigabe, für die keine Angaben über den Verbleib der
freigegebenen Gegenstände oder Räume gemacht werden
müssen. Sollen die freigegebenen Gegenstände beseitigt
bzw. die Gebäude abgerissen werden, kann davon ausgegangen werden, dass diese auf einer Mülldeponie landen.
Hier ist mit keinem großen Publikumsverkehr zu rechnen
und die Gefährdungswahrscheinlichkeit für Einzelpersonen
der Bevölkerung weitaus geringer als bei einer Wiederverwertung. Dementsprechend höher sind die Grenzwerte angesetzt.
Unabhängig davon ob eine uneingeschränkte Freigabe oder
eine Freigabe zur Beseitigung / zum Abriss erlangt werden
soll, entscheidend für das Freigabeverfahren ist, dass die
Stoffe nicht absichtlich verdünnt werden dürfen, um die
Grenzwerte für die massenbezogenen Aktivitätskonzentrationen zu unterschreiten. Das Abklingen der Aktivität durch
entsprechende Lagerzeiten aufgrund des radioaktiven Zerfalls ist das alleinig gültige Verfahren zum Unterschreiten
der Grenzwerte. Bei Nuklidgemischen ist die Summenformel, wie im vorangegangenen Abschnitt beschrieben, anzuwenden.
Röntgenverordnung (RöV)
Auf gleicher Ebene mit der Strahlenschutzverordnung steht
die Röntgenverordnung /RÖV-01/. Wie mit der aktuellen
Strahlenschutzverordnung werden mit der Neufassung der
RöV vom 30.4.2003 die europäischen Richtlinien 96/29/
EURATOM und 97/43/EURATOM umgesetzt. Im Gegensatz
zur StrlSchV ist der Zweck der RöV nicht explizit erwähnt. Er
ergibt sich aus §1 des Atomgesetzes und dem vollständigen
Titel der Röntgenverordnung: Verordnung über den Schutz
vor Schäden durch Röntgenstrahlen.
211
Der Anwendungsbereich der Röntgenverordnung ist auf den
Betrieb von Röntgeneinrichtungen und Störstrahlern mit
Elektronenenergien von 5 keV bis 1 MeV beschränkt. Röntgeneinrichtungen sind Einrichtungen, die zum Zweck der
Erzeugung von Röntgenstrahlen betrieben werden. Zur
Röntgeneinrichtung gehören der Röntgenstrahler, der Generator, Anwendungsgeräte und Zubehör. Die bekanntesten
Anwendungen von Röntgeneinrichtungen sind die Aufnahme- und Durchleuchtungseinrichtungen sowie die Computertomographie in der Medizin. Ein weiteres großes Anwendungsgebiet ist die zerstörungsfreie Materialprüfung. Störstrahler sind Einrichtungen, die Röntgenstrahlen erzeugen,
ohne zu diesem Zweck betrieben zu werden. Typische Störstrahler im genannten Energiebereich sind Spezialröhren
zur Mikrowellenerzeugung, Elektronenröhren zum Senden,
Schalten, Gleichrichten, Geräte zur Materialuntersuchung
durch Elektronenstrahlen, z. B. Elektronenmikroskope, Geräte zur Materialbearbeitung durch Elektronenstrahlen, z. B.
Elektronenstrahlschweißanlagen oder Elektronenbeschleunigeranlagen zur Kunststoffvernetzung, Abwasserentfärbung, Sterilisation. Vielen ist aber nicht bewusst, dass sie
beinahe täglich mit Störstrahlern nach der Röntgenverordnung zu tun haben, mit dem Fernseher oder dem Computerbildschirm. Gemeint sind nicht die neuen TFT- oder
Plasmabildschirme, sondern die üblichen Röhrenbildschirme, in denen Elektronen zur Bilderzeugung beschleunigt
werden. Das ist eine der wenigen Ausnahmen, bei denen
nicht der Betreiber sondern der Hersteller für den Strahlenschutz verantwortlich ist. Explizit ist hier nur der Betrieb und
nicht wie in der StrlSchV auch die Errichtung gemeint, da bei
Röntgenanlagen ausschließlich beim Betrieb ionisierende
Strahlung entsteht. Die RöV hat einen uneingeschränkten
Geltungsbereich. Es wird nicht unterschieden zwischen den
industriellen, technischen, wissenschaftlichen oder medizinischen Zwecken. Die RöV gilt folglich, soweit ihr Geltungsbereich in den einzelnen Bestimmungen der Verordnung nicht
ausdrücklich beschränkt ist, für den gewerblichen Unternehmer, freiberuflich Tätige, also für Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Wissenschaftler, für Unternehmen ohne Erwerbscharakter, z. B. gemeinnützige Krankenhäuser, für Privatpersonen und auch für die öffentliche Verwaltung (Bund, Länder,
212
Gemeinden, Gemeindeverbände, Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts). Für die Genehmigung und die Überwachung des Betriebs von Röntgeneinrichtungen nach der Röntgenverordnung sind in Bayern die
Gewerbeaufsichtsämter bei den Regierungen zuständig.
Die Strahlenschutzgrundsätze und die Grenzwerte für beruflich strahlenexponierte Personen sowie für Einzelpersonen
der Bevölkerung sind in der Röntgenverordnung und in der
Strahlenschutzverordnung gleich. Die Äquivalentdosis
macht gerade unterschiedliche Strahlenarten vergleichbar,
so dass für die Grenzwerte die Herkunft der Strahlung (Radioaktivität oder Röntgenröhre) keine Rolle spielt. Die einzelnen Regelungen sind ähnlich und lediglich an die Besonderheiten angepasst.
Grundsätzlich bedarf der Betrieb jeder Röntgeneinrichtung
der Genehmigung. Unter bestimmten Voraussetzungen genügt eine Anzeige. Im Genehmigungsverfahren wird geprüft,
ob Strahlenschutzbeauftragte in der entsprechenden Anzahl
schriftlich bestellt sind und die Fachkunde im Strahlenschutz
auf dem jeweiligen Verwendungsgebiet besitzen, ob Hilfskräfte Kenntnisse im Strahlenlschutz haben und ob alle
Maßnahmen zur Gewährleistung ausreichenden Strahlenschutzes einschließlich der Qualitätssicherung getroffen
sind.
Alle Röntgeneinrichtungen, auch Hochschutz- und Vollschutzgeräte müssen einer wiederkehrenden Prüfung durch
einen Sachverständigen unterzogen werden. Der Zeitabstand zwischen den wiederkehrenden Prüfungen beträgt
maximal 5 Jahre.
Personen, denen der Zutritt zum Kontrollbereich erlaubt ist,
oder Personen, die Röntgenstrahlen anwenden, sind über
die Arbeitsmethoden, Gefahren und Schutzmaßnahmen zu
unterweisen.
Außergewöhnliche Ereignisabläufe oder Betriebszustände
beim Betrieb einer Röntgeneinrichtung oder eines Störstrahlers nach § 5 Abs. 1 sind der zuständigen Behörde unverzüglich zu melden, wenn zu besorgen ist, dass eine Person
eine Strahlenexposition erhalten haben kann, die die
Grenzwerte der Körperdosis nach § 31a Abs. 1 oder 2 über213
steigt, oder sie von erheblicher sicherheitstechnischer Bedeutung sind.
Neue Regelungen in der StrlSchV und in der RöV
Neben dem bereits besprochenen Freigabeverfahren sind in
die Neufassung der Strahlenschutzverordnung vom 20.7.
2001 weitere bisher nicht enthaltene Regelungen aufgenommen worden. Einige betreffen die medizinische Anwendung radioaktiver Stoffe und ionisierender Strahlung am
Menschen. Mit den Paragraphen zur rechtfertigenden Indikation, den Dosisreferenzwerten und der ärztlichen Stelle
sollen unnötige Patientendosen vermieden werden. Außerdem werden nun erstmals natürliche Strahlenquellen bei der
Arbeit berücksichtigt.
- Rechtfertigende Indikation
Bevor ein Patient zu diagnostischen oder therapeutischen
Zwecken ionisierender Strahlung ausgesetzt wird, muss die
rechtfertigende Indikation gestellt werden. Die Frage nach
der rechtfertigenden Indikation steht bewusst vor Beginn der
Untersuchung bzw. Behandlung. Damit wird geklärt, ob der
Nutzen für den Patienten größer ist als der mögliche Schaden durch die Strahlenexposition.
Verantwortlich ist dabei immer der untersuchende bzw. behandelnde fachkundige Arzt. Die Anwendung radioaktiver
Stoffe und ionisierender Strahlung alleine auf die Anforderung des überweisenden Arztes ist nicht zulässig. Die rechtfertigende Indikation muss vom verantwortlichen fachkundigen Arzt gestellt werden. Insbesondere sind dabei eventuell
vorhandene Voruntersuchungen zur Vermeidung von Doppeluntersuchungen zu berücksichtigen. Ebenso müssen alternative Untersuchungs- und Behandlungsmethoden erwogen werden, die eine Strahlenexposition des Patienten verringern oder sogar ganz vermeiden.
Besonders muss der fachkundige Arzt bei der Stellung der
rechtfertigenden Indikation auf die Möglichkeit einer
Schwangerschaft weiblicher Patienten achten. Zum Schutz
des ungeborenen Kindes ist die Untersuchung bzw. Behandlung mit radioaktiven Stoffen und ionisierender Strah214
lung meist nur in besonders dringlichen Situationen angebracht. Gerade wenn offene radioaktive Stoffe angewendet
werden sollen, gilt dies auch für stillende Patientinnen. Eine
Stillpause ist unbedingt zu empfehlen.
- Teleradiologie
Erstmals werden Regelungen zur Teleradiologie getroffen.
Teleradiologie umfasst die Untersuchung des Patienten mit
Röntgenstrahlung und die Feststellung des Befundes mit
Hilfe der angefertigten Röntgenaufnahmen an unterschiedlichen Orten, die über moderne Telekommunikation „online“
miteinander verbunden sind. Die Regelung soll einerseits
dem Patienten einen unnötigen Transport in ein anderes
Krankenhaus ersparen, aber andererseits zum Schutz des
Patienten gewährleisten, dass er von ausreichend fachkundigem Personal versorgt wird und die zur Datenübertragung
genutzten Einrichtungen nicht zu Verfälschungen der übertragenen Bilder führen. Um zu verhindern, dass Teleradiologie im Krankenhaus zum „Normalfall“ und damit das entsprechende Fachpersonal nicht mehr vorgehalten wird, wird
Teleradiologie grundsätzlich auf den Nacht-, Wochenendund Feiertagsdienst beschränkt. Die zuständige Landesbehörde kann eine weitergehende Ausnahmegenehmigung erteilen, wenn hierfür ein Bedürfnis im Hinblick auf die Patientenversorgung besteht.
- Diagnostische Referenzwerte
Nachdem die rechtfertigende Indikation gestellt und die Anwendung von radioaktiven Stoffen oder ionisierender Strahlung am Patienten entschieden ist, gilt es, die Strahlenexposition auf ein Minimum zu beschränken. Dies geschieht nach
dem Grundsatz: So viel wie nötig, so wenig wie möglich.
Aus Sicht des Strahlenschutzes soll die effektive Dosis des
Patienten möglichst gering sein. In der Diagnostik verlangt
der Mediziner detailreiche, rauscharme Bilder, in der Therapie hundertprozentigen Heilerfolg. Hier gilt es den entsprechenden Kompromiss zu finden. Ein Szintigramm beispielsweise, das wegen des Bildrauschens oder der schlechten
Auflösung nicht aussagekräftig ist, verursacht nur unnötige
Strahlenbelastung für den Patienten. Die entsprechende Un215
tersuchung müsste wiederholt werden. Umgekehrt bedeutet
jedes Becquerel Aktivität zu viel eine unnötig hohe Strahlenbelastung.
Der Kompromiss schlägt sich in den diagnostischen
Referenzwerten nieder. Für die gängigsten Untersuchungen
werden Dosiswerte bzw. Standardaktivitäten angegeben, die
ohne Begründung nicht überschritten werden dürfen. Mit
den Referenzwerten wird eine einheitliche Basis geschaffen,
fehlerhafte Untersuchungen aufgrund falscher Aktivitätsgaben werden vermieden.
Die diagnostischen Referenzwerte sind Werte aus der Praxis und unter Mitarbeit führender Radiologen und Nuklearmediziner entstanden. Sie spiegeln jahrelange Erfahrungen
gepaart mit den technischen Möglichkeiten wider.
- Ärztliche Stelle
Die rechtfertigende Indikation und die diagnostischen Referenzwerte sind Bestimmungen zur Minimierung der Strahlenexposition des einzelnen Patienten. Der vollständige Untersuchungs- und Behandlungsprozess mit radioaktiven
Stoffen und ionisierender Strahlung wird von der ärztlichen
Stelle überprüft. Mit dieser Form der Qualitätssicherung sollen generelle, methodische Fehler vermieden werden.
Die ärztliche Stelle entsendet ein Prüfungskomitee, bestehend aus Medizinern und Physikern, das regelmäßig alle
Kliniken und Praxen entweder vor Ort oder anhand eingesendeter Unterlagen bewertet. Kontrolliert wird dabei nicht
nur die Qualität der verwendeten Apparate und Einrichtungen, sondern auch die Durchführung deren regelmäßiger
Funktionsprüfungen. Neu hinzugekommen ist die Bewertung
der ärztlichen Arbeit. Anhand einiger Stichproben vollzieht
die ärztliche Stelle den vollständigen Untersuchungsverlauf
nach. Dies geht von der ersten Anamnese, über die Durchführung der Untersuchungen bis zur Stellung der Diagnose.
Besonderes Augenmerk wird auf die korrekte Stellung der
rechtfertigenden Indikation und die Einhaltung der diagnostischen Referenzwerte gerichtet.
Die vorrangige Aufgabe der ärztlichen Stelle ist die Beratung
der überprüften Institute. Sie soll vor allem Verbesserungs216
vorschläge zur Optimierung der Arbeitsabläufe geben. Entsprechend der Schwere der gefundenen Mängel können die
Intervalle zur nächsten Überprüfung verkürzt werden. Die
Ergebnisse der Untersuchung werden gegebenenfalls an die
zuständige Behörde weitergereicht, die weitere Schritte einleitet. Besonders wenn die Verbesserungsvorschläge der
ärztlichen Stelle wiederholt ignoriert werden, hat die betreffende Einrichtung mit Folgen zu rechnen.
- Berücksichtigung natürlicher Strahlenquellen bei der
Arbeit
Bis zur Neufassung der Strahlenschutzverordnung vom
20.7.2001 wurden bei der Bestimmung der beruflichen
Strahlenexposition ausschließlich diejenigen Strahlenquellen
berücksichtigt, mit denen zielgerichtet umgegangen wurde.
Gemeint sind Handlungen, bei denen bewusst ionisierte
Strahlung erzeugt wird oder radioaktive Stoffe verwendet
werden, deren physikalische Eigenschaften genutzt werden
sollen. In der Neufassung der Strahlenschutzverordnung
werden diese Handlungen mit dem Begriff Tätigkeiten bezeichnet.
Neu ist die Berücksichtigung natürlicher Strahlenquellen, die
nicht direkt mit der eigentlichen Arbeit in Verbindung stehen.
Gemeint sind Handlungen, die nicht zum Zweck der Nutzung der ionisierten Strahlung sondern die aus anderen
Gründen nur an diesen Orten mit erhöhter Strahlenexposition ausgeführt werden können. Diese Handlungen werden in
der Strahlenschutzverordnung Arbeiten genannt. Arbeiten
im Sinne der Strahlenschutzverordnung sind beispielsweise
Bergwerksarbeiten, ausgenommen die Gewinnung von
Uranerzen, da hier die zielgerichtete Nutzung des Urans beabsichtigt ist.
Ebenso gehört das fliegende Personal in Flugzeugen (Flugbegleiter, Piloten), das der extraterrestrischen (Höhen-)
Strahlung verstärkt ausgesetzt ist, zu den beruflich strahlenexponierten Personen. Die Arbeitgeber sind angehalten zu
prüfen, ob eine Bestimmung der Körperdosis notwendig ist,
d.h. ob die effektive Jahresdosis des fliegenden Personals
über 1 mSv liegt. Die Strahlenexposition ist umso größer, je
höher die Flughöhe ist, da die abschirmende Wirkung der
217
Atmosphäre mit zunehmender Höhe abnimmt. Über den Polen, an denen die Magnetfeldlinien senkrecht auf der Erdoberfläche stehen, fällt zusätzlich die Schutzwirkung des
Erdmagnetfeldes weg, das vor Strahlung geladener Teilchen
wie den Elektronen schützt. Daher ist die Strahlenexposition
auf den Polrouten, die wegen des kurzen Weges die bevorzugte Verbindung zwischen Europa und Nordamerika sind,
besonders groß. Diese bedeutet allerdings nach heutigem
Wissensstand keine Gefährdung für den einzelnen Touristen, der auf dieser Strecke nur wenige Male im Jahr fliegt
(ca. 0,05 mSv pro Transatlantikflug). Erst die vielen Flugstunden der Berufsflieger erhöhen deren Strahlenbelastung
deutlich.
Eine Berufsgruppe, die bislang selten mit einer erhöhten
Strahlenexposition in Verbindung gebracht wurde, sind die
Mitarbeiter der Wasserwirtschaft. Dabei gehören sie zu den
am stärksten exponierten Berufsgruppen. Praktisch jede
Quelle in Bayern spült mit dem Wasser nicht unerhebliche
Mengen Radon, ein Zerfallsprodukt des Uran-238, aus dem
Gestein an die Oberfläche. In geschlossenen Räumen, wie
z. B. den Trinkwasserspeichern, kann die Konzentration des
Edelgases Radon, ein Alphastrahler, in der Raumluft erhöhte Werte annehmen. Eine Überwachung der Mitarbeiter wird
in vielen Fällen angebracht sein. Auf dem Weg von der
Quelle zum Wasserhahn hat sich das Radon durch die
Wasserbewegung verflüchtigt, so dass für den Endverbraucher kein Gefährdungspotential besteht.
Strahlenschutzvorsorgegesetz (StrVG)
Messungen der Aktivitätskonzentrationen in der Umwelt
werden bereits seit den 50iger Jahren durchgeführt. Bundesweit waren aber weder die Messdatenerfassung noch
die Interpretation derselben einheitlich geregelt. Außerdem
führten widersprüchliche Empfehlungen zu Verwirrungen der
Bürger nach dem Unglück in Tschernobyl 1986. Mit dem
Strahlenschutzvorsorgegesetz (StrVG) /STR-86/ sollte diese
Misere beseitigt werden. Das StrVG regelt Aufgaben und
Kompetenzen von Bund und Ländern im Ereignisfall, d.h. im
Falle von großräumigen Verfrachtungen von Radioaktivität
auf das Gebiet der Bundesrepublik.
218
Zu den Aufgaben des Bundes zählen insbesondere:
- Großräumige Ermittlung der Umweltradioaktivität
- Entwicklung und Festlegung von Mess- und Berechnungsverfahren
- Aufbereitung, Sammlung und Bewertung der Umweltradioaktivitätsdaten
Die Aufgaben der Länder bestehen in erster Linie in:
- Ermittlung der Radioaktivität in bestimmten Umweltbereichen
- Übermittlung der Daten an die Bundeszentrale
- Umsetzung von Vorsorgemaßnahmen
Auf der Grundlage des Strahlenschutzvorsorgegesetzes
können Bundesbehörden Empfehlungen von Verhaltensweisen zum Schutz der Bevölkerung aussprechen sowie Verbote und Beschränkungen bei Lebensmitteln, Futtermitteln,
Arzneimitteln und sonstigen Stoffen aussprechen, um den
Radioaktivitätseintrag in die Ernährungsketten zu begrenzen.
- Immissions- und Emissionsüberwachung
Die Zuständigkeiten für die Messungen der Umweltradioaktivität sind zwischen Bund und Ländern aufgeteilt. Der Bund
ist verantwortlich für die großräumige Überwachung der
Ortsdosisleistung und der Aktivitätskonzentration in der Luft
und in den Niederschlägen. Hierzu wurde ein flächendeckendes Netz von über 2000 automatischen Messstellen errichtet, die Daten rund um die Uhr ermitteln und an die Leitstellen weiterleiten. Weiterhin gibt der Bund auch die Messund Analyseverfahren für die von den Ländern durchzuführenden Radioaktivitätsermittlungen vor.
Die Länder sind verpflichtet, die Aktivitätskonzentrationen im
Boden und im Wasser, in der Nahrung und in Medikamenten
zu bestimmen. Dies geschieht durch Auswertung von Stichproben, die nach einheitlichen Vorgaben gesammelt werden. Die von den Ländern erhobenen Daten werden ebenfalls an eine Bundeszentralstelle weitergeleitet. Im Rahmen
dieses Umweltüberwachungsprogramms werden zur Zeit in
Bayern jährlich rd. 7000 Messdaten erhoben. Ein landeseigenes Überwachungsprogramm liefert zusätzlich mehrere
100 weitere Messungen in verschiedensten Medien, u. a.
219
auch bei Wild und wild wachsenden Pilzen. Als Serviceleistung für den Bürger können die in Bayern ermittelten Messwerte auf den Internetseiten des Landesamtes für Umwelt
unter http://www.bayern.de/lfu/strahlen/ abgerufen werden.
Zur Sammlung, Bearbeitung und Darstellung der aus den
verschiedenen
Radioaktivitätsüberwachungsprogrammen
gewonnenen Daten hat der Bund Anfang 1994 das Integrierte Mess- und Informationssystem zur Überwachung der
Umweltradioaktivität (IMIS) eingerichtet. In dieses System
werden auch die in Bayern gesammelten Daten zur Umweltradioaktivität vom zuständigen Landesamt für Umwelt eingespeist und auf diese Weise allgemein verfügbar gemacht.
Auch die Daten der automatischen Messnetze des Bundes
sowie die Daten aus rd. 40 Messlaboren in den Ländern
fließen hier ein.
Die Auswertung der so gewonnenen Daten im IMIS-System
ermöglicht einen schnellen Überblick über die großflächige
radiologische Belastungssituation. Darauf wiederum würden
sich die Empfehlungen der zuständigen Bundsbehörden
zum vorsorgenden Schutz der Bevölkerung gründen.
Außerdem betreibt das Bayerische Landesamt für Umwelt
ein eigenes flächendeckendes Messsystem, das bayerische
Immissionsmessnetz für Radioaktivität (IfR). Die Messstationen überwachen ebenfalls automatisch und kontinuierlich
die Ortsdosisleistung und die Aktivitätskonzentrationen in
der Luft. Das IfR ist ein unabhängiges Messnetz zur Früherkennung erhöhter Luftaktivitätskonzentration. Es ist wie das
IMIS nach den Erfahrungen mit dem Tschernobyl-Unglück
entstanden. Bis dahin existierte lediglich das 1978 errichtete
bayerische Kernreaktor-Fernüberwachungssystem (KFÜ).
Mit seinen ringförmig um die Kernreaktoren angeordneten
Messsonden war es das weltweit erste System zur automatischen Immissionsüberwachung. Damit sollen Unregelmäßigkeiten im Betrieb und Emissionen radioaktiver Stoffe aus
den Anlagen frühzeitig entdeckt werden können. Weitere
Einzelheiten zur Überwachung der Umweltradioaktivität in
Bayern sind in Kapitel 6.3 zu finden.
Die Immissionsüberwachung wird durch die Emissionskontrolle wirkungsvoll ergänzt, z. B. durch das KFÜ, das auch
der Überwachung der Aktivitätsemissionen dient. Daher soll
220
in diesem Kapitel ebenfalls die Emissionsüberwachung besprochen werden, die in der Strahlenschutzverordnung
(StrlSchV § 48) geregelt ist. Der Betreiber einer Anlage, in
der mit radioaktiven Stoffen umgegangen wird, muss für die
kontinuierliche Überwachung der Abluft und des Abwassers
sorgen. Die abgegebenen Aktivitätskonzentrationen, aufgeschlüsselt nach den einzelnen Nukliden, sind mindestens
einmal jährlich an das Landesamt für Umwelt zu melden.
Darüber hinaus ist das Landesamt für Umwelt selber oder
ein von ihm beauftragter Sachverständiger jederzeit berechtigt, die Grundstücke bzw. Anlagen zu betreten, Proben zu
ziehen und Messungen der Radioaktivitätskonzentrationen
vorzunehmen.
- Höchstwerte der Aktivitätskonzentration in Luft und
Wasser
Bei der Festlegung der Höchstwerte für die Aktivitätskonzentrationen in Abwasser und Abluft aus Strahlenschutzbereichen werden analog zu der Festlegung der Grenzwerte
für die Freigabe die möglichen Expositionspfade berücksichtigt. Unterschieden wird hier zwischen der direkten Einwirkung, wie z. B. der Aufenthalt im Abluft- bzw. Abwasserstrom, und der indirekten Einwirkung über die Aufnahme mit
der pflanzlichen und tierischen Nahrung. Zur Festlegung der
indirekten Einwirkungen sind detaillierte radioökologische
Berechnungen notwendig, die das Verhalten radioaktiver
Stoffe in der Biosphäre beschreiben. Es handelt sich dabei
um sehr komplexe Vorgänge (siehe auch Kapitel 4.1), wie
- Ausbreitungs- und Verdünnungsvorgänge in Luft, Wasser
und Boden,
- Ablagerungen auf Boden und Pflanzen,
- Verteilungs- und Anreicherungsvorgänge in Pflanze und Tier,
- Verhalten der mit Nahrung und Atemluft aufgenommenen
radioaktiven Stoffe im Körper des Menschen.
Die Verfolgung des Weges radioaktiver Stoffe vom Abgabeort bis in ein menschliches Organ erlaubt die Abschätzung
der möglichen Strahlenexposition des Menschen und damit
auch die Festlegung maximal zulässiger Ableitungswerte
(Emissionswerte) für bestimmte radioaktive Stoffe aus kern221
technischen Anlagen. In die Berechnung gehen auch einige
unsichere Faktoren ein, wie z. B. Annahmen über die Wetterlage und damit der Ausbreitung der Aktivität oder die Lebensgewohnheiten der Bevölkerung. Generell darf die effektive Dosis für eine Einzelperson der Bevölkerung, die sich
an der ungünstigsten Stelle aufhält, 0,3 mSv im Jahr nicht
überschreiten.
Für die Betreiber einer Anlage oder Einrichtung, die keine
Kernbrennstoffe verarbeitet oder lagert, das sind z. B. die
Forschungslaboratorien der Physik oder der Radiochemie
und die Nuklearmedizin, ergeben sich Erleichterungen. Hier
ist die aufwändige Berechnung der möglichen Strahlenexposition nicht nötig. Stattdessen sind in der Strahlenschutzverordnung nuklidspezifische Grenzwerte für die Aktivitätskonzentrationen in Abluft und Abwasser vorgegeben, die im
Jahresmittel eingehalten werden müssen (vgl. Tabelle 5.4).
Die Grenzwerte sind so gewählt, dass eine Gefährdung der
Bevölkerung ausgeschlossen ist. Sind mehrere Nuklide im
Abwasser bzw. in der Abluft enthalten, dann gilt auch hier
wiederum die Summenformel, um ein Ansteigen des Gefährdungspotentials zu verhindern.
Radionuklid
A = Aerosol (Luft)
B = elementar (Luft)
O = organisch
H-3
A
H-3
O
C-14
A
F-18
A
Co-60
A
TcA
99m
I-131
E
CsA
137
U-235
A
U-238
A
in der Luft
in Bq/m3
1 E+2
1 E+2
6
5 E+2
1
2 E+3
im Wasser
in Bq/m3
1 E+7
1 E+6
6 E+5
2 E+6
2 E+4
4 E+6
5 E-1
9 E-1
5 E+3
3 E+4
4 E-3
5 E-3
3 E+3
3 E+3
Tab. 5.4 Grenzwerte einiger Radionuklide für Aktivitätskonzentrationen aus Strahlenschutzbereichen (StrlSchV Anlage VII
Tabelle 4 /STR-01/)
222
5.3
Genehmigungspflicht des Umgangs mit radioaktiven Stoffen
In den Paragraphen 3, 4, 6, 7 und 9 des Atomgesetzes heißt
es sinngemäß: Wer mit radioaktiven Stoffen umgeht, bedarf
einer Genehmigung. Entsprechende Paragraphen finden
sich in der Strahlenschutzverordnung für den Umgang mit
radioaktiven Stoffen und den Betrieb von Anlagen, die ionisierende Strahlung erzeugen. Ausgenommen ist der Umgang mit radioaktiven Stoffen unterhalb der Freigrenze, wobei bei Nuklidgemischen wiederum die Summenformel zu
berücksichtigen ist. Ist einmal eine Genehmigung für ein bestimmtes Radionuklid notwendig und erteilt, so muss auch
für alle weiteren Nuklide, mit denen umgegangen werden
soll, eine Genehmigung eingeholt werden, auch wenn die
entsprechenden Mengen unterhalb der Freigrenze liegen.
Genehmigungsvoraussetzungen
(Rechtfertigung, Sicherheitsanforderungen)
Die erste Voraussetzung zur Genehmigung des Umgangs
mit radioaktiven Stoffen ist bereits in den Strahlenschutzgrundsätzen festgelegt. Hierin heißt es, dass der Nutzen aus
einem Umgang größer sein muss als die möglichen Gefahren. Nur ein gerechtfertigter Umgang, der überwiegenden öffentlichen Interessen nicht entgegensteht, ist genehmigungsfähig.
Weiterhin muss die Zuverlässigkeit des Antragstellers, des
Strahlenschutzverantwortlichen, gegeben sein. Der Strahlenschutzverantwortliche bestellt zu seiner Unterstützung eine ausreichende Anzahl Strahlenschutzbeauftragte. Die
Strahlenschutzbeauftragten sorgen in ihrem jeweiligen, vorher festgelegten Aufgabenbereich für die Einhaltung der
Schutzvorschriften und der in der Genehmigung festgeschriebenen Auflagen. Verantwortlich für den Schutz von
Mensch und Umwelt bleibt der Strahlenschutzverantwortliche. Die Strahlenschutzbeauftragten müssen ihre Fachkunde im Strahlenschutz nachweisen, die durch eine geeignete
Ausbildung, durch praktische Erfahrung und durch die erfolgreiche Teilnahme an anerkannten Kursen erworben wird.
Alle übrigen Mitarbeiter müssen wenigstens Kenntnisse im
Umgang mit radioaktiven Stoffen und ionisierender Strahlung besitzen.
223
Bei der Anwendung radioaktiver Stoffe am Menschen in der
Medizin muss der Antragsteller oder wenigstens ein Strahlenschutzbeauftragter als Arzt approbiert sein. Die erforderliche Fachkunde zur Bestellung als Strahlenschutzbeauftragter erhält der Arzt in der Regel mit der Facharztprüfung
in einer der drei Strahlenfächern, Radiologie, Strahlentherapie und Nuklearmedizin, wobei nur in den letzten beiden Fällen der Umgang mit radioaktiven Stoffen gestattet ist.
Neben der Rechtfertigung und den personellen Voraussetzungen müssen geeignete Räume, Ausrüstungen und
Geräte vorhanden sein, um die geltenden Schutzvorschriften einhalten zu können. Neben der Gewährleistung eines
regulären Betriebs schließt dies auch den Schutz vor äußeren Einwirkungen ein, durch die radioaktive Stoffe freigesetzt werden können. Denkbar sind Feuer und Naturereignisse, wie Erdbeben und Überschwemmungen, aber auch
zerstörerische Absichten Dritter.
Zuletzt ist für eine Ausreichende Deckungsvorsorge zu sorgen, d.h. der Antragsteller muss nachweisen, dass er die
gesetzlichen Schadensersatzverpflichtungen erfüllen kann.
Die Höhe der Deckungsvorsorge wird alle 2 Jahre von der
zuständigen Behörde erneut festgelegt.
Nachweis der Einhaltung der Schutzbestimmungen
(Radioökologische Berechnungen u. a.)
Der aufwändigste Teil im Genehmigungsverfahren ist der
Nachweis der Einhaltung der gesetzlichen Schutzbestimmungen, insbesondere die Einhaltung der Grenzwerte für
die effektive Dosis. Für den Fall einer äußeren Strahlenexposition durch ortsfeste Strahlenquellen geschieht dies mit
Hilfe eines Strahlenschutzplans. Im Strahlenschutzplan wird
die Äquivalentdosis aus den Aktivitätsmengen mit Hilfe der
Dosisleistungskonstanten (vgl. Tabelle 5.1) unter Berücksichtigung des Abstandquadratgesetzes (vgl. Abb. 5.1) und
der vorhandenen Abschirmung (vgl. Abb. 1.5) berechnet.
Hieraus ergibt sich auch die Notwendigkeit der Einrichtung
von Strahlenschutzbereichen und die Pflicht der Überwachung der Personendosis der Mitarbeiter.
Ferner müssen die Aktivitätskonzentrationen aller Ableitungen aus der Anlage kontrolliert werden. Je nach Verbreitung
224
der Radionuklide in der Umwelt kann sich hieraus sowohl
eine äußere wie auch eine innere Strahlenexposition für
Einzelpersonen der Bevölkerung ergeben. Zu deren Abschätzung sind detaillierte radioökologische Berechnungen
vorzulegen, die alle denkbaren Expositionspfade berücksichtigen.
Das in seinen Abläufen außerordentlich komplexe radioökologische Geschehen lässt sich nicht in allen Details vollständig mathematisch erfassen. Eine Abschätzung der höchstmöglichen Dosis ist jedoch durch eine modellhafte Beschreibung durchaus möglich. Dazu werden alle notwendigen Annahmen so getroffen, dass sie stets den ungünstigsten Fall mit einbeziehen.
Das Ergebnis eines solchen Vorgehens ist ein Rechenwert,
der insgesamt höher liegt, als es der Realität entspricht, also
„konservativ“ ist. Die Anwendung der Berechnungsprinzipien
auf die Messwerte der Radioaktivität aus den Ablagerungen
nach dem Tschernobyl-Unfall hat nun gezeigt, dass in allen
Fällen die Strahlendosis überschätzt wurde. Die Rechenwerte lagen also in der Tat auf der sicheren Seite.
Bei radioökologischen Berechungen im Rahmen des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens muss nicht jeder Einzelwert, sondern das Gesamtergebnis konservativ sein. So
überschätzt beispielsweise der überdurchschnittlich hoch
angenommene Nahrungsverbrauch der Referenzperson die
stark unterschiedlichen Ernährungsgewohnheiten von Einzelpersonen, wie extremen Fleischessern, Vegetariern und
anderen. Die für die Referenzperson errechneten Höchstdosen werden deshalb von real existierenden Personen mit Sicherheit nicht erreicht.
Für Überwachungsmessungen muss eine ausreichende Anzahl von Messinstrumenten zur Erfassung der Aktivitätskonzentrationen im Abfall, im Abwasser und in der Abluft vorhanden sein. Das Landesamt für Umwelt schreibt die Messprotokolle vor und kann im Einzelfall die korrekte Durchführung der Messungen kontrollieren. Genauso müssen Messgeräte zur Feststellung von Personenkontaminationen verfügbar sein und gegebenenfalls geeignete Dekontaminationseinrichtungen.
Der Nachweis, dass alle Mitarbeiter mit den betriebsinternen
Regelungen zum Einhalten der Schutzmaßnahmen vertraut
225
gemacht worden sind, wird durch eine Strahlenschutzanweisung erbracht. Die Strahlenschutzanweisung wird von den
zuständigen Strahlenschutzbeauftragten erstellt und ist von
allen Mitarbeitern zur Kenntnis zu nehmen. Sie enthält alle
Verhaltensweisen zum Umgang mit radioaktiven Stoffen im
normalen Betrieb, sowie Verhaltensanweisungen bei möglichen Unfällen. Zudem müssen alle Mitarbeiter jährlich im
Umgang mit radioaktiven Stoffen unterwiesen werden. Neben der Auffrischung allgemeiner Strahlenschutzgrundsätze
soll hierbei auch auf betriebsspezifische Besonderheiten
und Neuerungen hingewiesen werden.
Ist der Umgang genehmigt und die Anlage in Betrieb, überprüft das Landesamt für Umwelt die Einhaltung aller
Schutzmaßnahmen und Auflagen. Außerdem besteht eine
Mitteilungspflicht über jeglichen Zu- und Abgang von Aktivitäten mit ihrem jeweiligen Verbleib. Die Überprüfung wird in
regelmäßigen Abständen in Form einer Begehung der Einrichtung vollzogen. Neben der augenscheinlichen Begutachtung der örtlichen Gegebenheiten sind den Prüfern die Dokumentation der regelmäßigen Qualitätskontrollen der verwendeten Messgeräte, die Aufzeichnungen über die jährliche Unterweisung der Mitarbeiter und die Bestätigung ihrer
Fachkunde bzw. Kenntnisse vorzulegen.
5.4
Literatur
Atomgesetz (1985). (/ATG85/).http://bundesrecht.juris.de/atg/index.html.
Dosiskoeffizienten bei äußerer und innerer Strahlenexposition. Bundesanzeiger (/BUA-01/). (2001). 160 a und b.
Röntgenverordnung (2001). (/RÖV-01/).
http://bundesrecht.juris.de/strlschv_2001/index.html.
Strahlenschutzvorsorgegesetz (1986). (/STR-86/).
http://bundesrecht.juris.de/strvg/index.html.
Strahlenschutzverordnung (2001). (/STR-01/).
http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/strlschv_2001/
gesamt.pdf.
226
6.
6.1
Vorsorgemaßnahmen bei Strahlenunfällen
Reaktorunfälle (Beispiel Tschernobyl)
Reaktorunfälle vor Tschernobyl
Im Oktober 1957 kam es in Windscale, UK, in einem gasgekühlten Reaktor mit Graphitkern ohne Sicherheitscontainment zu einem schweren Unfall. Die Überhitzung des
Graphitkerns führte zu einem Brand, der nur unter größten
Schwierigkeiten am nächsten Tag gelöscht werden konnte.
Es folgte eine Freisetzung von Radioaktivität, wobei Partikel
von vorhandenen Filtern zurückgehalten werden konnten.
Insgesamt wurden ca. 750 TBq flüchtiges I-131 in die Atmosphäre freigesetzt. In einem Umfeld von 300 Quadratkilometern wurde kontaminierte Milch für die Dauer von einem Monat mit einem Verzehrsverbot belegt. Die kollektive Schilddrüsendosis für die englische Bevölkerung wurde mit
2,5*104 Personen-Sievert geschätzt. Hieraus wurden zusätzlich 6,5 Schilddrüsenkrebsfälle pro Jahr abgeschätzt, die
bei einer erwarteten natürlichen Inzidenz von über 600 pro
Jahr statistisch nicht nachweisbar sind.
Im März 1979 ereignete sich ein schwerer Unfall im Kernkraftwerk Three Mile Island in Harrisburg, Pennsylvania,
USA. Hierbei handelt es sich um einen wassergekühlten
Reaktor mit Sicherheitscontainment. Aufgrund einer Verkettung von Fehlern in der Bedienung des Reaktors kam es zu
einem Versagen der Haupt- und Notkühlung. Die Folge war
eine Kernschädigung mit einer Freisetzung von rund 50 %
des Reaktorinventars an Radiocäsium und 40 % an Radioiod. Diese enormen Radioaktivitätsmengen wurden aber
weitgehend vom Reaktorgebäude zurückgehalten, so dass
kein Radiocäsium und nur ein sehr geringer Teil (0,00002 %)
des Radioiods in die Umgebung entwichen. Die Gesamtmenge an freigesetztem Iod wurde mit 550 GBq geschätzt.
Systematische Untersuchungen der exponierten Bevölkerung ergaben keine eindeutigen Hinweise dafür, dass die
Freisetzung zu einer Erhöhung der Krebsmortalität geführt
hat.
227
Der Tschernobylunfall
Am 26. April 1986 ereignete sich im Reaktorblock 4 der
ukrainischen Kernkraftwerksanlage Tschernobyl 100 km
nördlich von Kiew unweit der Grenze zu Weißrussland der
folgenschwerste Unfall in der Geschichte der zivilen Nutzung der Kernenergie. Die Bedienmannschaft hatte einen
unangekündigten Test des Kühlsystems nach Abschalten
der Elektrizitätsversorgung für die Turbinen vorgenommen.
Der Graphit moderierte Reaktor, der über kein heutigen
Maßstäben genügendes Reaktordruckgefäß und kein Sicherheitscontainment verfügte, geriet innerhalb kürzester
Zeit außer Kontrolle.
Abb. 6.1 Der havarierte Reaktorblock 4 des KKW Tschernobyl
am 26.04.1986 (Russian Research Centre „Kurchatov Institute“
1996)
Aufgrund der speziellen Bauweise des Reaktors führte die
sich verstärkende Kettenreaktion zur Explosion des Reaktorkerns, wobei die Sprengkraft mit 30-40 t TNT gleichgesetzt wurde. Freigesetzt wurden große Teile des radioaktiven Reaktorinventars von etwa 40–50 % des Radiocäsiums
und des Radioiods. Da der Graphitbrand innerhalb eines
228
Zeitraums von 10 Tagen nicht gelöscht werden konnte, wurden täglich etwa 10 16 Bq I-131 und 10 15 Bq Cs-137 freigesetzt.
Abb. 6.2 Freisetzung von I-131, Te-132 und Cs-137 während
des Brands des Reaktorblocks 4 des KKW Tschernobyl in den
10 Tagen nach dem 26.04.1986 (UNSCEAR 2000)
Infolge der heftigen Explosion und des Feuers reichte die
radioaktive Wolke bis zu 10 km hoch und führte zu einer
Verfrachtung des radioaktiven Materials über Teile der
Ukraine, Russlands und Weißrusslands. Die Wolke wurde
aufgrund der anfangs vorherrschenden Winde zunächst
nach Nordwesten abgetrieben, was dazu führte, dass vor allem weißrussische Gebiete (wie z. B. um die Großstadt Gomel herum) besonders vom Fallout betroffen wurden. Aber
auch das Gebiet unmittelbar um den Reaktor und die Nachbarstadt Pripyat wurden erheblich kontaminiert. Die Bevölkerung von Pripyat wurde innerhalb von 2 Tagen evakuiert und
die Einwohner der Dörfer innerhalb einer 30-km-Zone in der
Folgezeit. Insgesamt wurden etwa 30.000 Quadratkilometer
mit mehr als 185 kBq/m2 kontaminiert, was die Evakuierung
von rund 115.000 Einwohnern zur Folge hatte. In den Jahren nach dem Unfall wurden zusätzlich 210.000 Einwohner
in weniger kontaminierte Gebiete umgesiedelt.
229
Abb. 6.3 Kontamination der näheren und weiteren Umgebung
des Tschernobylreaktors mit Cs-137 (UNSCEAR 2000)
Nachdem die Windrichtung in den folgenden Tagen mehrfach wechselte, wurden auch weiter entfernte Gebiete Europas zum Teil erheblich kontaminiert. In Skandinavien beispielsweise wurden Expositionen von Cäsium-137 bis zu
120 kBq/m2 gemessen. Aufgrund einer ausschließlich stabilen, mehrere Tage andauernden Ostwindlage zog die radioaktive Wolke auch über Deutschland hinweg, wobei sie insbesondere im süddeutschen Raum durch stärkere Regenfälle niedergeschlagen wurde. Südlich der Donau und im Bayerischen Wald wurde zwischen 10 und 50 kBq/m2 Cäsium137 am Boden gemessen.
230
Abb. 6.4 Radioaktivitätsverfrachtungen während 7 Tagen nach der
Reaktorkatastrophe in Tschernobyl am 26.04.1986 (GRS 1996)
Gesundheitliche Folgen des Tschernobylunfalls
Die gesundheitlichen Folgen der Tschernobylkatastrophe
wurden kürzlich von dem Tschernobylforum, einer Initiative
der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), bewertet. Zu diesem
Tschernobylforum zählten zahlreiche internationale Experten
sowie Vertreter der Wissenschaft aus den von der Tschernobylkatastrophe betroffenen Ländern Ukraine, Weißrussland
und Russland. Das Tschernobylforum machte sich zur Aufgabe, die im Bericht des United Nations Scientific Committee
on the Effects of Atomic Radiation (UNSCEAR) aus dem Jahre 2000 publizierten Daten zu den Folgen des Tschernobylunfalls zur aktualisieren und durch neuere Publikationen in „peer
reviewed journals“ sowie durch Berichte staatlicher Einrichtungen der betroffenen Länder zu ergänzen.
231
Mangels Verfügbarkeit geeigneter Messinstrumente und der
Durchführung systematischer Untersuchungen in der Bevölkerung unmittelbar nach der Katastrophe ist die Datenlage
zu den Strahlendosen der Bevölkerung relativ schlecht. Hinzu kommt, dass die Exposition auf den kontaminierten Gebieten teilweise relativ niedrig ist. Hiervon ist allerdings die
hohe, besser dokumentierte Strahlenbelastung der Schilddrüse, die vor allem auf den Verzehr kontaminierter Milch
zurückzuführen ist, abzugrenzen. Auch zu den hoch exponierten Ersthelfern auf der Kernkraftwerksanlage liegen belastbarere Dosisabschätzungen vor.
Was die gesundheitlichen Risiken infolge des Tschernobylunfalls betrifft, so ist zu berücksichtigen, dass die Lebenserwartung der davon betroffenen Bevölkerung nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auch in nicht kontaminierten
Regionen dramatisch abgenommen hat. Über einen Zeitraum von 15 Jahren reduzierte sich die durchschnittliche
Lebenserwartung für einen Mann von 70 auf 61 Jahre in
Russland und von 67 auf 61 Jahre in der Ukraine (zum Vergleich: die durchschnittliche Lebenserwartung für Männer in
Westeuropa liegt derzeit bei 75 Jahren). Man geht davon
aus, dass die reduzierte Lebenserwartung durch die Verschlechterung der sozioökonomischen Bedingungen und
des Gesundheitssystems bedingt ist.
Die von der Expertengruppe analysierten Studien weisen
leider häufig Mängel durch kleine Fallzahlen oder unzulängliche Kontrollgruppen auf. Der Einfluss des Rauchens und
des Alkoholkonsums kann zu starken Veränderungen der
Mortalität und Morbidität führen (insbesondere verschiedener Krebs- und kardiovaskulärer Erkrankungen). Ohne Zweifel kann die psychische Belastung durch bestehende oder
vermutete Strahlenexposition zu einer Zunahme des Tabakoder Alkoholkonsums führen, was den Anstieg der Häufigkeit von Krebs und kardiovaskulärer Erkrankungen zur Folge
haben kann, ohne dass Strahlung hierbei direkt die Ursache
ist.
Bei den gesundheitlichen Effekten müssen stochastische
von deterministischen Strahleneffekten unterschieden werden (vgl. Kapitel 2.2).
232
- Exponierte Personen
Die von der Tschernobylkatastrophe betroffene Bevölkerung
kann in drei Kategorien eingeteilt werden:
x So genannte Liquidatoren, die unmittelbar nach dem
Reaktorunfall oder später während der Aufräumphase
strahlenexponiert wurden. Besonders hoch exponiert waren die 150 zum Zeitpunkt des Unfalls auf der Anlage beschäftigten Mitarbeiter. In den Jahren 1986 und 1987
setzte man 240.000 Liquidatoren zur Beseitigung der
Folgen der Reaktorkatastrophe ein. Bis 1990 wurde eine
große Zahl weiterer ziviler und militärischer Kräfte hinzugezogen, so dass insgesamt 600.000 Personen an den
Aufräumarbeiten beteiligt waren. Das gesamte Einsatzpersonal erhielt spezielle Zertifikate als Liquidatoren und
damit auch soziale Vergünstigungen. Es muss allerdings
davon ausgegangen werden, dass nur ein kleiner Teil
dieses Personenkreises hoch exponiert war, während der
weitaus größte Teil der Liquidatoren, der in einiger Entfernung von der Anlage und auch zu späten Zeitpunkten
eingesetzt wurde, allenfalls niedrige Strahlendosen erhielt.
x Einwohner, die aus kontaminierten Gebieten evakuiert wurden. Hierbei handelt es sich um 116.000 Personen, die im Jahre 1986 aus der Umgebung des Tschernobylreaktors evakuiert wurden und zusätzliche 220.000
Personen, die nach 1986 aus verschiedenen, relativ hoch
kontaminierten Gebieten Weißrusslands, Russlands und
der Ukraine umgesiedelt wurden.
x Einwohner kontaminierter Gebiete, die nicht evakuiert
wurden. Es wird geschätzt, dass rund 5 Mio. Einwohner
auf geringer kontaminierten Gebieten leben, für die eine
Evakuierung als nicht erforderlich ertrachtet wurde.
Die Art der Exposition war dabei meist unterschiedlich, so
wurden die Ersthelfer und die höher exponierten Liquidatoren hauptsächlich einer äußeren Strahlenexposition ausgesetzt (durch Gamma- und Betastrahlung während der Tätigkeit auf der Anlage). Die allgemeine Bevölkerung wurde einerseits Direktstrahlung aus der radioaktiven Wolke und
233
später von auf dem Boden deponierten Radionukliden ausgesetzt. Hinzukommt die mögliche Inhalation von Radioaktivität aus der Luft und die Ingestion von kontaminierter Nahrung und Wasser.
- Strahlendosen
Nachdem sich 1991–1992 erstmals zeigte, dass die steigende Häufigkeit von Schilddrüsenkrebs bei Kindern in Zusammenhang mit der Strahlenexposition zu bringen ist, wurden die Schilddrüsendosen intensiv untersucht. Sie variieren
über einen weiten Bereich in Abhängigkeit vom Lebensalter
der exponierten Personen, der Höhe der Bodenkontamination, dem Milchverzehr und der Höhe der Aktivitätskonzentration in der Milch. Die individuellen Schilddrüsendosen erreichten bis zu 50 Gy, mit durchschnittlichen Dosen zwischen 0,03 und 0,3 Gy. Die Einschätzung dieser Schilddrüsendosen basieren auf rund 350.000 Messungen, die innerhalb weniger Wochen nach dem Unfall bei Einwohnern
Weißrusslands, der Ukraine und Russlands durchgeführt
wurden. Was die Strahleneffekte an der Schilddrüse betrifft,
so ist zu berücksichtigen, dass die kontaminierten Gegenden Weißrusslands, Russlands und der Ukraine zum Teil als
Gebiete mit mildem oder moderatem Iodmangel zu betrachten sind. Mit der verringerten Zufuhr stabilen Iods nehmen
die Schilddrüsenmasse und die Aufnahme von Iod-131 zu.
Iodtabletten zur Blockierung der Aufnahme von Radioiod
wurden nur vereinzelt (wie z. B. in der Stadt Pripyat) innerhalb von 6 bis 30 Stunden nach der Freisetzung von Radioiod verteilt. Man nimmt an, dass dies bei den Einwohnern
Pripyats zu einer Reduktion der Schilddrüsendosis um etwa
den Faktor 6 geführt hat. Im übrigen hat sich die Iodblockade in Polen, wo ebenfalls erhebliche Expositionen mit I-131
zu vermelden waren, außerordentlich bewährt.
Die Anlagenmitarbeiter und Ersthelfer erhielten Strahlendosen zwischen einigen Gy bis zu 16 Gy. Von den derart hoch
exponierten verstarben 28 innerhalb der ersten 4 Monate
nach der Strahlenexposition. Die Dosen, die bei den Liquidatoren registriert wurden, erreichten bis zu 500 mGy, mit
einer durchschnittlichen Dosis von etwa 100 mGy.
234
Die Strahlenexposition der Bevölkerung im Zeitraum 1986
bis 2005 wird mit wenigen mSv bis zu einigen 100 mSv
geschätzt, wobei die Durchschnittsdosen zwischen 10 und
20 mSv liegen (zum Vergleich: Die durchschnittliche Dosis
durch natürliche Umgebungsstrahlung in Deutschland pro
Person liegt bei etwa 2,4 mSv/Jahr. Während des gesamten
Lebens kommt es somit zu einer akkumulierten Dosis von
wenigstens 100 mSv).
- Schilddrüsenerkrankungen
Die Schilddrüse benötigt Iod als Baustein für die Schilddrüsenhormonsynthese und konzentriert auf die Art und
Weise auch Radioiod sehr stark. Es ist seit langem bekannt,
dass ionisierende Strahlung Schilddrüsenkrebs erzeugen
kann, wobei Kinder besonders strahlenempfindlich sind.
Zwischen 1992 und 2000 wurden in Weißrussland, Russland und der Ukraine ca. 4.000 Fälle von Schilddrüsenkrebs
bei Kindern und Jugendlichen (jünger als 18 Jahre zum
Zeitpunkt der Reaktorkatastrophe) diagnostiziert, wobei etwa
die Hälfte dieser Fälle auf die Strahlenexposition zurückzuführen ist. Nach den vorliegenden Daten zu den Verläufen
der Krebserkrankungen bei 1.152 Schilddrüsenkrebsfällen
bei Kindern aus Weißrussland liegen die Überlebensraten
für den Zeitraum 1992 bis 2002 bisher bei rund 99 %. Da die
Schilddrüsenkrebsfälle bei einem nicht unerheblichen Teil
dieses weißrussischen Kollektivs (ca. 20 %) in fortgeschrittenen Tumorstadien (N+, M+) diagnostiziert wurden, ist eine
sichere Beurteilung der Prognose erst nach Jahrzehnten
möglich.
In jüngster Zeit wird auch über eine Zunahme der Schilddrüsenkrebs-Häufigkeit bei Erwachsenen berichtet. Bei auch in
anderen Regionen der Welt steigenden Inzidenzen und einer nicht eindeutigen Korrelation der zunehmenden Inzidenzen bei Erwachsenen aus den unmittelbar betroffenen Gebieten der ehemaligen Sowjetunion mit der Strahlendosis
durch Tschernobyl ist ein kausaler Zusammenhang bisher
unklar.
235
Fälle pro 100 000
Jugendliche
Kinder (0 - 14)
Jugendliche (15 - 18)
Erwachsene (19 - 34)
Erwachsene
Kinder
Abb. 6.5 Jährliche Inzidenz der Schilddrüsenkarzinome bei
Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Weißrussland (Cardis et al. 2006)
Andere Schilddrüsenerkrankungen – wie gutartige Schilddrüsenerkrankungen, Hypothyreose oder Autoimmunthyreoiditis – wurden vereinzelt berichtet. Die Zusammenhänge
zwischen der Strahlenexposition nach Tschernobyl und derartigen Beobachtungen sind jedoch noch unklar.
- Leukämie
Nach den Beobachtungen, die an den Überlebenden der
Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki gemacht
wurden, zählt die Leukämie zu den gesicherten Folgen einer
Strahlenexposition. Insbesondere Kinder gelten hierbei als
besonders strahlenempfindlich. Die vorliegenden Daten lassen den Schluss nicht zu, dass die Strahlenexposition durch
Tschernobyl zu einer signifikanten Erhöhung der Rate kindlicher Leukämien geführt hat. Gleichermaßen liegt kein eindeutiger Hinweis dafür vor, dass die Leukämie bei erwachsenen Einwohnern der exponierten Gebiete zugenommen
hat. Für die Liquidatoren zeichnet sich ab, dass das Risiko
der Leukämie nach Exposition mit mehr als 150 mGy um
den Faktor 2 zunimmt. Diese Beobachtung bedarf jedoch
noch einer Bestätigung durch weitere Untersuchungen.
236
- Andere solide Tumoren als Schilddrüsenkrebs
Nach dem aktuellen Bericht des Tschernobylforums liegen
für die Bevölkerung bisher keine gesicherten Erkenntnisse
über die Zunahme der Inzidenzen anderer solider Tumoren
als Schilddrüsenkrebs durch die Tschernobylkatastrophe
vor. Eine Ausnahme stellt allerdings möglicherweise der
Brustkrebs bei prämenopausalen Frauen dar. Auch die Gesamtzahl solider Tumoren bei Liquidatoren steigt möglicherweise an. Für die Nicht-Schilddrüsenkrebse müssen Latenzzeiten von 10 bis 15 und mehr Jahren angenommen
werden, so dass die Beobachtungszeiträume hier zum Teil
noch zu kurz sind.
- Andere gesundheitliche Effekte
Die Angaben zu durch Tschernobyl bedingten Todesfällen,
die in den letzten 20 Jahren gemacht wurden, bewegen sich
zwischen zweistelligen und sechsstelligen Zahlen. Als gesichert kann gelten, dass bis heute rund 48 Personen verstorben sind (darunter 31 an Folgen des akuten Strahlensyndroms und 9 an Schilddrüsenkrebs). Angaben zu mehr als
100.000 nach Tschernobyl verstorbenen Einwohnern der
Ukraine beziffern die Gesamtmortalität und nicht die auf die
Strahlenexposition zurückzuführende Sterblichkeitsrate. Die
Gesamtzahl aller in der Zukunft zu erwartenden Todesfälle
durch Krebs, die auf den Tschernobylunfall zurückzuführen
sind, wird nach derzeitigen Schätzungen mit 4.000 bis maximal 9.000 beziffert.
Was die psychologischen Effekte der Tschernobylkatastrophe betrifft, so handelt es sich hierbei um das bei weitem
größte Problem. Das Ausmaß der Tschernobylkatastrophe
und die große Zahl der betroffenen Personen auch in weiter entfernten Gebieten mit den dadurch verbunden Folgen der Evakuierung und Umsiedelung sowie dem Verlust
der ökonomischen Stabilität der Länder der ehemaligen
Sowjetunion führten bei den Betroffenen zu verständlichen Ängsten, massiver Verunsicherung und damit verbundenen psychischen und psychosomatischen Beschwerden.
Unter den Stresssymptomen herrschen Depression und
Angstsymptome vor; die Selbstmordrate ist stark angestiegen. Die Tatsache, dass diese Störungen auch von man237
chen Ärzten als direkte Folgen der Strahlenexposition erklärt
werden, verschlechtert die Befindlichkeit der betroffenen
Personen.
Besondere Besorgnis haben Berichte zur Störung der kindlichen Hirnentwicklung in utero durch die Tschernobylkatastrophe ausgelöst. Eine Pilotstudie der WHO und zwei
weitere Untersuchungen ergeben hierfür jedoch keinen Hinweis.
Bezüglich hereditärer Effekte und Sterilität bzw. Infertilität
zeigen die Erfahrungen aus Hiroshima und Nagasaki, dass
derartige Störungen nur oberhalb von Schwellendosen auftreten, mit denen allenfalls die Ersthelfer auf der Anlage exponiert waren. Für die Bevölkerung könnten somit derartige
Effekte ausgeschlossen werden. Dies steht nicht in Widerspruch zu der Beobachtung, dass die Geburtenraten in den
betroffenen Gebieten abgenommen haben, wobei hierfür
andere Effekte, wie z. B. die Unsicherheit über die sozioökonomische Entwicklung, ursächlich verantwortlich sein
dürften.
Kardiovaskuläre Erkrankungen haben in den letzten Jahren in der Ukraine, Weißrussland und Russland stark zugenommen. Aus Russland wird auch über eine groß angelegte
Studie an Liquidatoren berichtet, die eine Zunahme des relativen Risikos für Tod an kardiovaskulären Erkrankungen
zeigt. Eine Korrelation mit der Strahlendosis fehlt jedoch. Es
bedarf weiterer Studien an Ersthelfern unter Verwendung
geeigneter Kontrollgruppen und adäquater Dosimetrie, um
diesen Effekten nachzugehen.
Ein weiteres in der Öffentlichkeit viel diskutiertes Thema ist
eine auf die Strahlenexposition zurückgeführte Immunschwäche, auch als „Tschernobyl-AIDS“ bezeichnet. Bisher
lassen sich für Dosen bis zu einigen 10 mGy keine eindeutigen, auf die Strahlenexposition zurückzuführenden Effekte
nachweisen.
- Strahlenexposition in Deutschland durch Tschernobyl
Die Strahlenexposition von Menschen in Deutschland wurde
durch folgende Expositionspfade verursacht:
238
x Bestrahlung von außen durch radioaktive Stoffe in der
umgebenden Luft und durch ihre Ablagerung am Boden
x Bestrahlung von innen durch Inhalation von kontaminierter Luft sowie Ingestion von kontaminierten Lebensmitteln
Die Bestrahlung aus der umgebenden Luft lieferte im Vergleich zu den anderen Expositionspfaden nur geringe Beiträge, dies gilt auch für die Inhalation von kontaminierter Luft
(inklusive der Aufnahme von radioaktivem Iod). Die Aufnahme kontaminierter Nahrungsmittel (Ingestion) trug in höherem Maße zu der Gesamtdosis bei, die durch die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl verursacht worden ist. Auch
heute noch sind in damals hochkontaminierten Gebieten
Wildfleisch und bestimmte Waldpilze mit langlebigem Cäsium kontaminiert.
Abb. 6.6 Strahlenexposition im ersten Jahr nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl und als kumulative 50 JahreFolgedosis für verschiedene deutsche Gebiete in Relation zur
Variationsbreite der natürlichen jährlichen Strahlenexposition
(SSK 1996)
239
Die gesamte Strahlenexposition der Menschen in Deutschland ist in Abb. 6.6 dargestellt. Im ersten Jahr nach der Reaktorkatastrophe war die zusätzliche Strahlendosis im Mittel
kleiner als die normale Variation der jährlichen natürlichen
Strahlenexposition, die durch Unterschiede im Aufenthaltsort
innerhalb Deutschlands bedingt ist. Die Strahlenschutzkommission schätzte bereits 1996 zutreffend ab, dass die
gesamte Lebenszeitdosis der Menschen in den relativ hoch
kontaminierten Voralpengebieten durch den Reaktorunfall
etwa gleich sein wird wie die Strahlendosis aus natürlichen
Quellen innerhalb eines Jahres (2,4 mSv). Der mittlere Wert
der Exposition für die deutsche Bevölkerung durch den
Tschernobylunfall liegt unterhalb von einem mSv. Gesundheitliche Effekte für die Bevölkerung in Deutschland sind
zwar vielfältig diskutiert worden. So finden sich Berichte
über die Erhöhung von Missbildungen, Sterberaten bei
Frühgeborenen und genetische Effekte (Mongolismus). Eine
sorgfältige Überprüfung dieser Daten hat aber ergeben,
dass gesundheitliche Effekte bei der Bevölkerung in
Deutschland durch die Strahlendosen infolge der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl nicht verursacht sein können.
Dies gilt auch für Krebserkrankungen bzw. Krebstodesfälle.
Aufgrund der strahlenbiologischen und klinischen Erfahrungen mit ionisierenden Strahlen waren derartige Effekte bei
den aufgetretenen Strahlendosen auch nicht zu erwarten.
Iodblockade als Maßnahme zur Strahlenschutzvorsorge
Im Falle der Freisetzung von radioaktivem Iod durch einen
Reaktorunfall kann die Aufnahme des radioaktiven Iods
durch stabiles Iod in Tablettenform effektiv blockiert werden.
Derartige Iodtabletten sind prinzipiell leicht verfügbar, preiswert und in geeigneter Verpackung lange haltbar. Um eine
ausreichende Wirkung zu erzielen, muss die Tabletteneinnahme wenige Stunden vor oder nach der Exposition mit radioaktivem Iod erfolgen.
240
Vermeidbare
Schilddrüsendosis (%)
Iodversorgung ausreiIodman-
Zeit der Kaliumiodid-Gabe relativ
zur Radioiod-Inkorporation (h)
Abb. 6.7 Effektivität – ausgedrückt als vermeidbare Dosis in Prozent – der Verordnung von Kaliumiodid in Relation zur Inkorporation von Radioiod (in Stunden). Unterschiedliche Betrachtung für
ausreichende (durchgezogene Linie) bzw. unzureichende (gestrichelte Linie) Zufuhr von Iod mit der Nahrung (Reiners 2006
Die Iodtabletten dienen in erster Linie der Blockierung der
Aufnahme von Radioiod durch Inhalation aus einer radioaktiven Wolke. Iodtabletten sollten im Prinzip nur einmal verabreicht werden, da ggf. zusätzliche Schutzmaßnahmen greifen müssen (wie Evakuierung oder Verzehrsverbot für kontaminierte Milch und Nahrungsmittel).
Nach den vorliegenden epidemiologischen Erkenntnissen
sind Ungeborene, Kleinkinder, Kinder sowie Schwangere
und stillende Frauen besonders schutzbedürftig. Kinder bis
zu 4 Jahren sind besonders empfindlich gegen die möglichen schädigenden Effekte ionisierender Strahlung. Außerdem nehmen kindliche Schilddrüsen – bezogen auf das geringere Volumen – stärker Iod auf als die Schilddrüsen älterer Personen. Neben dem Zeitpunkt der Verabreichung ist
die Menge des stabilen Iods entscheidend für die Reduktion
der Speicherung radioaktiven Iods. Eine möglichst vollständige Blockade wird durch die in der nachfolgenden Tabelle
altersabhängig angegebenen Dosierungen erreicht.
241
Personengruppe
Tagesgabe
in mg Iodid
Tagesgabe
in mg Kaliumiodid
< 1 Monat
1–36 Monate
3–12 Jahre
13–45 Jahre
> 45 Jahre
12,5
25
50
100
0
16,25
32,5
65
130
0
Tabletten
à 65 mg
Kaliumiodid
1/4
1/2
1
2
0
Tab. 6.1 Empfohlene Dosis Iodid bzw. Kaliumiodid nach Alter
(SSK 2004)
Iodtabletten sind nur nach Aufforderung durch die zuständige Behörde einzunehmen. Schwangere und Stillende erhalten die gleiche Ioddosis wie die Gruppe der 13- bis 45-Jährigen. Im Regelfall ist eine einmalige Einnahme der Iodtabletten ausreichend, im Ausnahmefall kann die zuständige
Behörde eine weitere Tabletteneinnahme empfehlen. Die
Tabletteneinnahme ist jedoch bei Neugeborenen stets auf
einen Tag, bei Schwangeren und Stillenden auf zwei Tage
zu beschränken. Aufgrund des sehr geringen Risikos der
Krebsinduktion durch radioaktives Iod bei älteren Menschen
und einer zunehmenden Häufigkeit funktioneller Autonomien
mit Krankheitswert bei fortschreitendem Lebensalter soll die
Iodblockade bei über 45-Jährigen nicht durchgeführt werden.
Kontraindikationen gegen die Iodblockade sind Iodallergien
(nicht zu verwechseln mit einer Unverträglichkeitsreaktion
gegenüber iodhaltigen Medikamenten oder Röntgenkontrastmitteln), Dermatitis herpetiformis Duhring, Iododerma
tuberosum, hypokomplementämische Vaskulitis und Myotonia congenita. Für diese Patienten kommt alternativ eine
Schilddrüsenblockade durch Natriumperchlorat (1 g täglich
über 7 Tage) infrage.
In der Bundesrepublik wurden erstmals 1975 Empfehlungen
zur Iodblockade für den Fall eines Kernkraftwerkunfalls ausgesprochen und Iodtabletten in einer Dosierung von 130 mg
Kaliumiodid von den Ländern für den Katastrophenschutz im
Umkreis von 25 km um die Atomkraftwerke beschafft. Auf
der Grundlage aktueller Empfehlungen der Strahlenschutz242
kommission wurden diese Tabletten im Frühjahr 2004 ausgetauscht. In der unmittelbaren Umgebung der Atomkraftwerke (bis 25 km) sorgen die Länder für die Versorgung der
Bevölkerung. Neu ist, dass für den Entfernungsbereich bis
100 km Iodtabletten in 7 Zentrallagern aufbewahrt werden
und allen Ländern bei Bedarf für die Iodblockade zur Verfügung stehen. Geändert wurde auch die Dosierung: Die neuen Iodtabletten enthalten 65 mg Kaliumiodid, was die Dosierung bei Kindern erleichtert. Die Beschaffung von insgesamt
137 Mio. Iodtabletten wurde von den Atomkraftwerksbetreibern finanziert und erfolgte in enger Kooperation mit dem
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU).
6.2
Missbrauch von radioaktiven Stoffen
Der Missbrauch von nuklearen oder anderen radioaktiven
Stoffen wird nach Auflösung der Sowjetunion und angesichts
der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus ausgehend von Staaten, Gruppen oder Einzeltätern und durch
die Weiterverbreitung von Nuklearwaffen nicht länger nur als
hypothetische sondern als reale Gefahr betrachtet. Das
Spektrum des Missbrauchs reicht von der Nuklearkriminalität
bis hin zum Nuklearterrorismus. Die zugrunde liegenden Motive sind entweder finanzieller oder terroristischer Art.
Nuklearkriminalität
Fälle von Nuklearkriminalität (illegaler Handel, vorsätzlicher
Erwerb, Verkauf oder Schmuggel sowie versehentliches
Verbringen von nuklearem oder anderem radioaktiven Material, wie unbeabsichtigte Entsorgung oder der Nachweis von
kontaminierten Produkten) sind in der umfassenden IAEA
Datenbank „Illicit Trafficking Database“ (ITDB) dokumentiert.
243
Abb. 6.8 Bestätigte Vorfälle in der IAEA Datenbank „Illicit Trafficking Database“, 1993-2004 (IAEA 2005)
Von 1993 bis Ende Dezember 2004 wurden 662 Vorfälle
bestätigt, davon 196 mit nuklearem Material, 400 mit anderem radioaktiven Material sowie 24 Vorfälle sowohl mit nuklearem als auch anderem radioaktiven Material. Im Jahr
1996 wurde mit 26 Vorfällen die geringste Zahl dokumentiert, 2004 die höchste Anzahl mit 93 Vorkommnissen. In
50 % der Fälle handelte es sich um kriminelle Aktivitäten
wie Diebstahl, illegalen Besitz, versuchten Verkauf oder
Schmuggel.
Abb. 6.9 Verteilung der Vorkommnisse von illegalem Handel
mit nuklearem Material, 1993-2003 (IAEA 2004)
244
In der Mehrzahl der Vorfälle zwischen 1993–2004 lag nukleares Material in Form von natürlichem Uran, abgereichertem
Uran oder niedrig angereichertem Uran vor. Bei 17 Vorfällen
bis 2003 und bei einem Vorfall 2004 lag Handel mit hoch
angereichertem Uran und Plutonium vor. Hoch angereichertes Uran (high enriched uranium: HEU) und Plutonium (Pu)
sind geeignet für den unmittelbaren Gebrauch in einer improvisierten Nuklearbombe. Nuklearmaterial in der Form von
niedrig angereichertem Uran (low enriched uranium), abgereichertem Uran (depleted uranium), natürlichem Uran (natural uranium) und Thorium erfordert dagegen eine intensive, technisch komplexe Verarbeitung, um in einer improvisierten Nuklearbombe Verwendung zu finden.
Wie Tabelle 6.1 zeigt, kam es nach Auflösung der Sowjetunion in den frühen 90er Jahren zu einem Anstieg der Vorfälle mit nuklearem Material. Seit 1994 ist diese Tendenz
stark rückläufig. In nur ganz wenigen Fällen ging es um waffentaugliches Nuklearmaterial, wobei es sich meist um kleine Proben von größeren Mengen Nuklearmaterials handelte, selten um waffentaugliches Nuklearmaterial in der Größenordnung von Kilogrammmengen. In Deutschland ist illegaler Handel mit nuklearem Material seit 1992 bekannt. Auch
in Bayern wurden mehrere Fälle festgestellt. Die Herkunftsländer des nuklearen Materials waren überwiegend Staaten
des ehemaligen Ostblocks.
245
Datum
Ort
Material
Vorfallbeschreibung
24.05.
1993
Vilnius
Litauen
HEU/ 150 g
Auffinden von 140 kg mit
HEU kontaminiertem Beryllium im Tresorraum einer
Bank in Teilen einer Frachtsendung von 4.4 t legal importiertem Beryllium
März
1994
St. Petersburg
Russland
HEU/ 2.972
kg
Verhaftung einer Person
wegen Besitz von in einer
nukleartechnischen Anlage
gestohlenem HEU
10.05.
1994
TengenWiechs
Deutschland
Pu/ 6.2 g
Auffinden von Pu bei einer
polizeilichen Hausdurchsuchung
13.06.
1994
Landshut
Deutschland
Verhaftung mehrerer PerHEU/ 0.795 g sonen wegen Besitz von
HEU
25.07.
1994
München
Deutschland
Pu/ 0.24 g
Konfiszierung einer geringen Menge eines PuO2UO2 Gemischs im Zusammenhang mit einer größeren Beschlagnahme auf
dem Flughafen München
am 10.08.1994
10.08.
1994
München
Deutschland
Pu/ 363.4 g
Beschlagnahme eines
PuO2-UO2 Gemischs auf
dem Flughafen München
14.12.
1994
Prag
Tschechien
HEU/ 2.73 kg
Beschlagnahme von HEU
durch die Polizei in Prag
Juni
1995
Moskau
Russland
HEU/ 1.7 kg
Verhaftung einer Person
wegen Besitz von in einer
nukleartechnischen Anlage
gestohlem HEU
06.06.
1995
Prag
Tschechien
Beschlagnahme einer ProHEU/ 0.415 g be HEU durch die Polizei
in Prag
08.06.
1995
Ceske BudeHEU/ 16.9 g
jovice
Tschechien
246
Beschlagnahme einer Probe HEU durch die Polizei
in Ceske Budejovice
29.05.
1999
Rousse
Bulgarien
HEU/ 10 g
Verhaftung einer Person
durch Zollbehörden beim
versuchten Schmuggel von
HEU am Zollkontrollpunkt
Rousse
02.10.
1999
Kara-Balta
Kirgisien
Pu/ 1.49 g
Verhaftung zweier Personen wegen versuchten
Verkaufs von Pu
19.04.
2000
Batumi
Georgien
HEU/ 770 g
Verhaftung von vier Personen wegen Besitz von
HEU
16.09.
2000
Tbilisi
Georgien
Pu/ 0.4 g
Beschlagnahme von nuklearem Material einschließlich Pu durch die Polizei
auf dem Flughafen Tbilisi
Pu/ 0.001 g
Diebstahl unterschiedlichen
radioaktiven Materials einschließlich einer winzigen
Menge Pu aus der ehemaligen Versuchsanlage zur
Wiederaufarbeitung
Dezem- Karlsruhe
ber 2000 Deutschland
28.01.
2001
Asvestochori
Pu/ ~3 g
Griechenland
Auffinden von 245 kleinen
Pu-haltigen Metallplatten in
einem Geheimlager im
Wald Kouri beim Dorf Asvestochori
16.07.
2001
Paris
Frankreich
HEU/ 0.5 g
Verhaftung von drei Personen in Paris beim versuchten Verkauf von HEU
26.06.
2003
Sadahlo
Georgien
HEU/ ~170 g
Verhaftung einer Person
wegen Besitz von HEU
beim versuchten Schmuggel des Materials
Tab. 6.2 Bestätigte Vorfälle mit high enriched uraniuim (HEU)
oder Plutonium (Pu) (nach IAEA 2005)
Bei anderem radioaktiven Material handelte es sich zumeist um umschlossene radioaktive Quellen mit unterschiedlicher Aktivität und unterschiedlichem Verwendungszweck. Die Mehrzahl der Quellen war Cs-137, gefolgt von
247
Sr-90, Am-241, Co-60 und Ir-192. Bei einem Großteil der
Vorkommnisse lag kein krimineller Hintergrund vor.
Abb. 6.10 Verteilung der angegebenen Aktivität von anderem
radioaktiven Material bei bestätigten Vorfällen, 1993-2003 (vorläufige Zahlen für 2003) (IAEA 2004)
Nuklearterrorismus
Unter Nuklearterrorismus versteht man den Gebrauch von
nuklearem oder anderem radioaktiven Material sowie Handlungen gegen nukleare Anlagen aus terroristischen Motiven.
Verschiedene Szenarien des Nuklearterrorismus mit unterschiedlicher Eintrittswahrscheinlichkeit und unterschiedlichen
Auswirkungen und Folgen lassen sich differenzieren. Die
Eintrittswahrscheinlichkeit ist beim Nuklearterrorismus von
der technischen Machbarkeit abhängig; durch diese wird das
Risiko in erster Linie bestimmt, nicht durch die Auswirkungen
und Folgen.
Drei Arten des Nuklearterrors lassen sich unterscheiden, erstens der Einsatz von radioaktivem Material als „schmutziger
Bombe“ bzw. der Strahlenterrorismus (z. B. die Kontamination von Trinkwasser und Nahrungsmitteln oder das Ablegen
von radioaktiven Quellen in dicht bewohnten Gebieten),
zweitens die Sabotage von oder der Angriff auf kerntechnische Anlagen oder Wiederaufarbeitungsanlagen und drittens
der Diebstahl von Nuklearwaffen oder von nuklearem Material zum Bau einer improvisierten nuklearen Bombe.
248
MachbarEffekte / Schäden
keit /
BetroffeUmwelt /
WahrPsy- Risiko
Mensch
nes
Wirtscheinche
Gebiet
schaft
lichkeit
StrahlenschwieVorterrorismus /
rig,
klein bis
sehr
wiegend
groß
mittel
„Schmutzige
aber
mittel
groß
lokal
Bombe“
machbar
Sabotage /
Anschlag
besehr
gesehr
sehr
sehr groß
auf kerngroß
waltig klein
schwierig (>100km2) schränkt
technische
Anlage
sehr
Improvisiertraum
extrem
groß
groß bis
verextrem
te Nuklearatisch
2
klein
(>50km )
kataheerend
klein
bombe
strophal
Tab. 6.3 Vergleichende Risikoabschätzung für verschiedene
Formen des Nuklearterrorismus (nach Anet 2001)
- „Schmutzige Bombe“
Bei einer „schmutzigen Bombe“ handelt es sich um konventionellen Sprengstoff, z. B. Dynamit, dem radioaktive Stoffe
in Form von Puder oder kleinsten Kugeln beigefügt oder
beigemischt sind. Durch die Explosion kommt es zu einer
Verteilung (Dispersion) von radioaktivem Material. Dadurch
unterscheidet sich das Szenario eines „Radiological Dispersion Device“ („RDD“) bzw. einer „schmutzigen Bomben“ von
einer Nuklearbombe, die auf einer Kernspaltung beruht.
Unterschiedliche Radionuklide mit stark variierenden Aktivitäten finden in der zivilen Industrie, in Forschung und Medizin breite Anwendung. Zu den gebräuchlichsten radioaktiven
Quellen gehören Kobalt-60 für die Bestrahlung von Lebensmitteln, Cäsium-137 für medizinische und wissenschaftliche
Geräte, Americium-241 in Rauchmeldern und technischen
Messgeräten, Tritium für Leuchtfarben, Iridium-192 in Geräten zur Überprüfung von Schweißnähten und Nickel-63 für
chemische Analysen. Weitere wichtige Nuklide im Zusammenhang mit der "schmutzigen Bombe" sind Strontium-90
und Plutonium-239.
249
- Sabotage bzw. terroristischer Anschlag
Als Ziele von Sabotage oder eines terroristischen Anschlags
könnten vor allem Kernkraftwerke dienen. Radioaktive Freisetzungen aus nuklearen Anlagen sind nicht mit einer
Nuklearbombe vergleichbar, da Nuklearanlagen nicht explodieren können. Auch Lager für militärisches und ziviles
nukleares Material und für radioaktive Abfälle, Wiederaufarbeitungsanlagen für nukleare Brennstoffe, Urananreicherungsanlagen, Forschungsreaktoren und Nukleartransporte
kämen als Ziele in Frage.
Angriffe auf Kernkraftwerke sind zwar möglich, in Anbetracht
der umfassenden Sicherheitsmaßnahmen von kerntechnischen Anlagen zeichnet sich dieses Szenario jedoch durch
eine geringe Machbarkeit aus und stellt damit ein sehr unwahrscheinliches Ereignis dar.
Im Gegensatz zur geringen Wahrscheinlichkeit steht das
große Gefährdungspotential, das einem nuklearen Fallout
gleichkäme. Aber selbst wenn Anschläge nicht oder nur zu
einer geringen Freisetzung von Radioaktivität führen würden, wären die psychologischen Auswirkungen in der Bevölkerung sehr groß und der Schaden würde sich auf die gesamte Nuklearindustrie erstrecken.
- Improvisierte Nuklearbombe
Der Bau von improvisierten Nuklearbomben durch Terroristen setzt die Beschaffung einer genügenden Menge von geeignetem nuklearem Material, hoch angereichertem Uran
bzw. Plutonium, voraus. Trotz der bekannt gewordenen Fälle von Schmuggel ist eine unentdeckte Abzweigung großer
Mengen nuklearen Materials durch nicht-staatliche Organisationen äußerst unwahrscheinlich oder gar unmöglich. Zudem ist die Entwicklung selbst einer einfachen Nuklearbombe technisch äußerst anspruchsvoll und setzt eine aufwendige und teuere Ausrüstung voraus, die überdies unter internationaler Kontrolle steht. Das Szenario einer improvisierten Nuklearbombe ist daher äußerst unwahrscheinlich. Die
Verwendung von gestohlenen Nuklearwaffen scheint dagegen eher möglich. Schwer berechenbare Risiken stellen der
Verlust der Kontrolle Russlands und der Folgestaaten der
250
früheren Sowjetunion über nukleares Material, über sensitive Technologien und über das Know-how auf dem Gebiet
der Nuklearwaffen dar sowie die Rekrutierung arbeitsloser
Nuklearspezialisten durch Länder und terroristische Organisationen.
Die Folgen einer Nuklearbombe wären unvorstellbar groß,
wobei die Auswirkungen von Druckwelle und Hitze die Folgen von Radioaktivität übersteigen würden. Die Anzahl der
Betroffenen wäre groß und weite Gebiete wären kontaminiert.
Gegenmaßnahmen
Die in der Bundesrepublik getroffenen Maßnahmen begründen einen im europäischen Vergleich hohen Standard. Initiativen der Europäischen Union zur Angleichung der in den
Mitgliedsstaaten noch unterschiedlichen Standards sind eingeleitet.
Der Prävention des illegalen Handels und des missbräuchlichen Einsatzes nuklearer und anderer radiologischer Quellen kommt der höchste Stellenwert zu. Maßnahmen gegen
den illegalen Handel beinhalten einmal effektive Schutzmaßnahmen und zum anderen Kontroll- und Sicherungsmaßnahmen. Der sog. physische Schutz umfasst den
Schutz des nuklearen Materials vor Diebstahl, Sabotage
oder anderen illegalen Aktivitäten innerhalb der Landesgrenzen. Schutzmaßnahmen des Betreibers schließen umfassende technische und administrative Vorkehrungen gegen Abzweigung von nuklearem Material ein, z. B. Zaunüberwachung oder Wachdienste, die gesicherte Lagerung
des nicht in Nutzung bzw. Verarbeitung befindlichen nuklearen Materials und die laufende Beobachtung mit automatischen Kameras. Aufgabe der IAEA und ihrer Mitgliedsstaaten ist es, illegalen Handel durch entsprechende Kontrollmaßnahmen zu verhindern. Kontroll- und Sicherungsmaßnahmen beinhalten die laufende Buchführung über den Eingang und Ausgang radioaktiver Stoffe und Abfälle, also die
regelmäßige Bestimmung des Inventars und mindestens eine jährliche Inventur. Hoheitliche Kontrollen umfassen die
regelmäßige visuelle Kontrolle vor Ort und Durchsicht der
251
Dokumentation durch Inspektoren der IAEA sowie der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM).
Die Kontrolle des Schmuggels etwa durch Radioaktivitätsmessung beim grenzüberschreitenden Verkehr kommt zum
Einsatz, wenn Präventionsmaßnahmen nicht greifen.
6.3
Überwachung der Umweltradioaktivität
in Bayern
Die Überwachung der Umweltradioaktivität ist auch aufgrund
des § 1 des Strahlenschutzvorsorgegesetzes (StrVG) eine
Verpflichtung für Bundes- und Landesbehörden (siehe Nr.
5.4.2). Die Überwachung der Umweltradioaktivität ist eine
wichtige Komponente des präventiven Notfallschutzes bei
einem nuklearen Ereignisfall und dient als Basis für die Bewertung eines Ereignisses und für das Ergreifen von entsprechenden Maßnahmen.
Bei der Radioaktivitätsüberwachung werden zwei Bereiche
unterschieden, erstens die großräumige Überwachung der
allgemeinen Umweltradioaktivität im gesamten Staatsgebiet
bzw. in einem Bundesland und zweitens die Umgebungsüberwachung im Nahbereich einer kerntechnischen Anlage.
Integriertes Mess- und Informationssystems (IMIS) zur
Überwachung der allgemeinen Umweltradioaktivität
In Deutschland begann die Überwachung der Umwelt in den
frühen fünfziger Jahren mit der Messung des radioaktiven
Fallouts der oberirdischen Atomwaffentests. Der Reaktorunfall in Tschernobyl war der Anlass, das bisherige seit dem
EURATOM-Vertrag bestehende Überwachungssystem flächenmäßig auszuweiten, messtechnisch erheblich auszubauen und mit Hilfe der Informationstechnik zum Integrierten
Mess- und Informationssystem (IMIS) zusammenzufassen.
IMIS gewährleistet mit seinen Daten aus den Messstationen
des Bundes und ca. 400 Messstationen in Bayern, dass eine
erhöhte Umweltradioaktivität flächendeckend, schnell und
sicher erkannt wird. Diese Überwachung erfolgt routinemäßig (Routinebetrieb) und bei Störfällen oder Unfällen (Störfallbetrieb). Damit spielt IMIS eine wichtige Rolle bei der
252
Notfallvorsorge. Überschreitet die Radioaktivität einen bestimmten Schwellenwert wird automatisch ein Alarm ausgelöst. Dies ist eine wesentliche Grundlage für Entscheidungen des BMU zur Einleitung umgehender koordinierter Vorsorgemaßnahmen.
4. Ebene: „Entscheidung- und
Informationsebene“
Bundesministerium für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit
Bund
3. Ebene: „Datenzusammenführung“
Bundesmessnetze von
Bundesamt für Strahlenschutz
Deutscher Wetterdienst
Bundesamt für Gewässerkunde
Bundesamt für Seeschifffahrt
und Hydrographie
Bundesumweltamt
2. Ebene: „Sammlung, Auswertung und Dokumentation von
Radioaktivitätsdaten in Bayern“
Zentralstelle des Bundes für die
Überwachung der Umweltradioaktivität (ZdB)
Bundesamt für Strahlenschutz
Neuherberg
Zentralstelle für die Überwachung der
Umweltradioaktivität in Bayern
Bundesleitstellen für
die Überwachung der
Umweltradioaktivität
Freistaat Bayern
Landesmessstelle
1. Ebene: „Datenermittlung“
Bayerisches Landesamt für Umwelt,
Augsburg
Abb. 6.11 Übersicht über beteiligte Institutionen bei der Überwachung der Umweltradioaktivität (IMIS) in Bayern
Die Bundeseinrichtungen überwachen Luft, Niederschlag,
Boden, Wasser, Schwebstoffe und Sediment, die Landeseinrichtungen überwachen Lebensmittel, Futtermittel, Düngemittel, Arzneimittel, Gebrauchsgegenstände usw. IMIS
greift auf die bundesweit existierenden Messnetze der folgenden Behörden zu:
x Bundesamt für Strahlenschutz (BfS): etwa 2.150 Messstellen zur Überwachung der bodennahen Gamma-Ortsdosisleistung, die flächendeckend in einem Raster von
jeweils 15 x 15 km über Deutschland verteilt sind und
12 Messstellen zur Überwachung der Radioaktivität in der
Luft.
x Deutscher Wetterdienst (DWD): 39 Messstellen zur Überwachung der Radioaktivität in Luft und Niederschlag.
253
x Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG): 40 Messstellen
zur Überwachung der Bundeswasserstraßen (Flüsse und
Kanäle).
x Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie (BSH): 12
Messstellen zur Überwachung der Küstengewässer.
x Die Dienststelle Freiburg des BfS sammelt die Daten der
Messnetze des BfS und des DWD, wertet sie aus und
übergibt sie an die Zentralstelle des Bundes (ZdB) im BfS
zur Weiterleitung an das BMU.
Abb. 6.12 Mittlere externe Strahlenexposition in Deutschland in
Bodennähe im Freien, 2004 (BMU 2005)
Immissionsmessnetz für Radioaktivität (IfR) zur Überwachung der Umweltradioaktivität
Neben dem bundesweiten IMIS haben einzelne Länder
zusätzlich eigene Umweltüberwachungssysteme eingerichtet. In Bayern werden Daten zur Umweltradioaktivität mit
dem Immissionsmessnetz für Radioaktivität (IfR) erfasst und
an die jeweiligen Landesbehörden automatisch weitergegeben. IfR entstand als Konsequenz des Reaktorunfalls von
254
Tschernobyl 1986 ergänzend zum Kernreaktor-Fernüberwachungssystem (KFÜ).
Bei einer Radioaktivitätsbelastung der Umwelt sind für den
Menschen 3 Belastungspfade von Bedeutung, erstens die
externe Belastung durch Gamma-Strahlen, zweitens die Aufnahme luftgetragener Radionuklide mit der Atmung und drittens die Aufnahme von Radionukliden mit der Nahrung.
Das IfR des Bayerischen Landesamtes für Umweltschutz (LfU)
misst in 31 automatischen Messstationen kontinuierlich und
flächendeckend die Gamma-Ortsdosisleistung und die Aktivitätskonzentrationen in der Luft sowie mit 24 weiteren Messgeräten den Niederschlag. Als wichtigste Messgrößen werden
radioaktive Edelgase mittels Proportional-Zählrohr-Detektoren,
radioaktive Aerosole mittels Plastik-Szintillations-Detektoren
und die Iod-131-Aktivitätskonzentration in der Luft mit NatriumIodid-Detektoren erfasst. Zusätzlich können auf der Zugspitze
und in der Außenstelle des LfU in Kulmbach Aerosol gebundene radioaktive Nuklide getrennt erfasst werden. Die Messergebnisse werden an die Messnetzzentrale im LfU in Augsburg zur Auswertung gesandt. Als Folge einer Überschreitung
von Grenzwerten wird im LfU ein Alarm ausgelöst, um ggf.
rechtzeitig Schutzmaßnahmen vorbereiten zu können.
Abb. 6.13 IfR-Messstation mit Messgerät: Blick vom Schneeferner Haus auf das Zugspitzplatt (LfU 2005)
255
Umgebungsüberwachung bayerischer Kernkraftwerke
Die Umgebungsüberwachung kerntechnischer Anlagen stellt
eine zusätzliche Überprüfung der Emissionsüberwachung
dar und gibt unmittelbar Aufschluss über die Auswirkungen
der Emissionen. Im Rahmen der Umgebungsüberwachung
werden von den Betreibern der kerntechnischen Anlagen
und von unabhängigen Messstellen regelmäßig Proben genommen und deren Radioaktivität bestimmt. Zu den unabhängigen Messstellen in Bayern gehören das Bayerische
Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit
(LGL), die Framatome ANP GmbH, Standort Erlangen
(FANPE), die Universität Regensburg, Zentrales Radionuklidlaboratorium, UmweltRadioAktivität-Laboratorium (URA)
und das Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit,
Oberschleißheim (GSF). Die zehn erfassten Umweltbereiche sind Luft, Niederschlag, Boden/-Oberfläche, Pflanzen/Bewuchs, Futtermittel, Ernährungskette Land, Milch und
Milchprodukte, oberirdische Gewässer, Ernährungskette
Wasser und Grund-/Trinkwasser.
Abb. 6.14 Übersicht über Expositionspfade in der Umgebung
eines Kernkraftwerkes (BfS 2005)
256
Kernreaktor-Fernüberwachungssystem (KFÜ)
Ein Störfall des Kernkraftwerks Gundremmingen im Jahre
1977 war Anlass für das von Bayern ausgehende KernreaktorFernüberwachungssystem (KFÜ). Dieses System erfasst automatisch die sicherheitstechnischen Parameter, die Emissionen, meteorologischen Werte und Immissionsgrößen in der
Umgebung von Kernkraftwerken und leitet die Resultate an die
atomrechtlichen Aufsichtsbehörden im Allgemeinen an die
Länderministerien weiter. Die Betreiber des KernreaktorFernüberwachungssystems (KFÜ), dessen Messstellen entlang des Zauns von Kernkraftwerken kreisförmig verteilt sind,
sind die Kernkraftwerksbetreiber und die Länder.
6.4 Radioaktivitätsmessungen beim
grenzüberschreitenden Verkehr
„Tschernobyl-Verordnung“
Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl wurden bei
der Einfuhr von bestimmten Lebensmitteln aus Osteuropa
erhöhte Werte für Radioaktivität nachgewiesen. 1987 hat
deshalb die Europäische Kommission in der Verordnung
(EWG) Nr. 3955/87, der „Tschernobyl-Verordnung“, zuletzt
geändert durch Verordnung (EG) Nr. 616/2000 vom 20.03.
2000, für die Einfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse mit
Ursprung in Drittländern Höchstwerte an Radioaktivität festgelegt. So darf die maximale kumulierte Radioaktivität von
Cäsium 134 und 137 für Milch und Milcherzeugnisse sowie
für Lebensmittel für die Ernährung speziell von Kleinkindern
370 Bq/kg und für alle anderen betroffenen Erzeugnisse
600 Bq/kg nicht überschreiten.
Insbesondere bei bestimmten Pilzarten aus Drittländern sind
wiederholt Fälle der Nichteinhaltung der zulässigen Höchstwerte an Radioaktivität festgestellt worden. Obgleich die
festgelegten Höchstwerte nur für die Einfuhr von Nahrungsmitteln in die Europäische Union gelten, werden sie in der
Praxis aber auch innerhalb der EU als solche angewendet.
Die Einfuhr aller von der Verordnung erfassten Erzeugnisse
aus osteuropäischen Ländern ist nur mit dem vorgeschriebenen Ausfuhrzeugnis zulässig, d.h. dass die Höchstwerte
257
an radioaktiven Stoffen nicht überschritten werden. Die Geltungsdauer dieser Überwachungsmaßnahmen wurde bis
zum 31. März 2010 verlängert.
Die Zulässigkeit der Einfuhr der von der TschernobylVerordnung erfassten Waren wird im Rahmen der Überwachung des grenzüberschreitenden Warenverkehrs geprüft
und im Zweifelsfall wird von der Zollverwaltung eine Probeentnahme und Untersuchung durch die zuständigen Lebensmittelüberwachungsbehörden veranlasst. Für Fragen
im Zusammenhang mit der Einfuhr von Lebensmitteln, die
von der Tschernobyl-Verordnung erfasst werden, und den
damit verbundenen besonderen Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen stehen neben dem Bundesministerium
für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft und
den zuständigen Lebensmittelüberwachungsbehörden auch
örtlich zuständige Zollstellen sowie das Zoll-Infocenter in
Frankfurt/Main zur Verfügung.
Grenzmonitoring
Die Ein- und Ausfuhr von nuklearem oder sonstigem radioaktiven Material nach Deutschland ist grundsätzlich nur mit
einer Genehmigung des Bundesamtes für Wirtschaft und
Ausfuhrkontrolle (BAFA) zulässig (§ 3 Atomgesetz und § 11
Strahlenschutzverordnung). Die Zollverwaltung überprüft im
Rahmen der Überwachung des grenzüberschreitenden Warenverkehrs die Zulässigkeit der Ein- und Ausfuhr von nuklearem oder sonstigem radioaktiven Material. Ziel ist die
Prävention bzw. Kontrolle des Schmuggels über Landesgrenzen.
Zum Aufspüren von illegal befördertem nuklearem oder anderem radioaktiven Material bzw. der unabsichtlichen
Verbringung dieser Stoffe werden von den Zollstellen Messgeräte zur Radioaktivitätsüberwachung von Fracht, Fahrzeugen und Personen eingesetzt. Das Monitoring von Neutronenstrahlung ist essentiell für die Entdeckung von nuklearem Material, anderes radioaktives Material wird durch
Messung der Gamma-Strahlung erfasst. Zur Erstidentifizierung sind Strahlenmonitore geeignet, die radioaktives Material schnell und qualitativ erfassen. Zur Lokalisation, Verifizierung und Nuklididentifizierung werden Radioisotopen258
detektoren eingesetzt. Nach ihrem Verwendungszweck lassen sich drei Messgerätetypen unterscheiden, erstens Taschenmonitore, zweitens tragbare oder mobile Messgeräte,
die auch in Fahrzeugen, Helikoptern oder auf Schiffen zur
Verfügung stehen und stationäre Monitore, die üblicherweise
an Landesgrenzen und Flughäfen fest eingebaut sind. Ergibt
sich bei der Überprüfung der Verdacht, dass radioaktive
Stoffe illegal befördert oder mitgeführt werden, so benachrichtigt die Zollstelle unverzüglich die zuständige Landesbehörde und regelt das weitere Verfahren.
Abb. 6.15 Radioaktivitätsmessung eines Fahrzeugs bei der
Grenzkontrolle mit einem tragbaren Handmonitor (IAEA 2005)
Zur Bekämpfung der Nuklearkriminalität hat die IAEA mit
Schaffung eines neuen Programms reagiert und die Durchführung einer Pilotstudie zur praktischen Erprobung von
Grenzmonitorsystemen angeregt. Die Pilotstudie ITRAP (Illicit Trafficking Radiation Detection Assessment Program)
wurde von September 1997 bis September 2000 von den
Austrian Research Centres Seibersdorf (ARCS) durchgeführt, um die technischen Voraussetzungen zur Detektion
von nuklearem und anderem radioaktiven Material an
Grenzübergängen zu erarbeiten und die Machbarkeit eines
solchen Überwachungssystems abzuschätzen. Die Vorauswahl der Geräte und umfassende Laboruntersuchung im
Forschungszentrum Seibersdorf bildeten die Basis für den
Testbetrieb der Überwachungsgeräte am Flughafen Schwechat in Wien und am österreichisch-ungarischen Grenzübergang Nickelsdorf.
259
Vier zentrale Ergebnisse sind:
x einheitliche, international verwendbare Spezifikationen für
die Überwachungssysteme
x der Nachweis, dass Monitoringsysteme an den Grenzen
installiert werden können, ohne den Ablauf gravierend zu
stören, ein entsprechendes Training der Beamten vorausgesetzt
x die Erarbeitung eines einheitlichen Verfahrensablaufs,
der die reibungslose Zusammenarbeit der betroffenen
Einsatzorgane sicherstellt
x die Möglichkeit der Instandhaltung und Wartung der Geräte ohne größeren Aufwand.
Die Resultate der Studie können somit zur Erarbeitung von
realistischen Durchführungsbestimmungen für Grenzmonitorsysteme dienen unter Berücksichtigung von technischen
und ökonomischen Gesichtspunkten.
6.5
Katastrophenschutz-Maßnahmen
Im Hinblick auf kerntechnische Unfälle wird in Deutschland
zwischen anlageinternem und anlageexternem Notfallschutz
unterschieden. Der anlageinterne Notfallschutz, Vorsorgeund Schutzmaßnahmen obliegen dem Betreiber auf der
Grundlage der Strahlenschutzverordnung. Beim Konzept des
anlageexternen Notfallschutzes ist zu berücksichtigen, dass
in Deutschland die gesetzlich vorgeschriebene Unterscheidung zwischen Katastrophenschutz und Strahlenschutzvorsorge gilt. In anderen Staaten dagegen werden die den deutschen Vorsorgemaßnahmen vergleichbaren Maßnahmen als
Notfallschutzmaßnahmen in der späten Phase eines kerntechnischen Unfalls angesehen.
Der Notfallschutzplanung liegen Eingreifrichtwerte zugrunde,
bei deren Überschreitung die Einleitung von Maßnahmen zu
prüfen ist und Eingreifwerte bei deren Überschreitung die
Maßnahmen durchzuführen sind.
Katastrophenschutz
- Zuständigkeit und rechtliche Grundlagen
Die Planung und die Durchführung des Katastrophenschutzes fallen in die Zuständigkeit der Bundesländer. Nach dem
260
Bayerischen Katastrophenschutzgesetz vom 24. Juli 1996 ist
das Staatsministerium des Innern das zuständige Ministerium für den allgemeinen Katastrophenschutz. Die zwischen
Bund und Ländern abgestimmten „Rahmenempfehlungen für
den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer
Anlagen (RE 99)“ zielen auf die Angleichung der Verfahrensweisen im gesamten Bundesgebiet und beinhalten die
organisatorischen Vorgaben. Vorschläge für die Einleitung
medizinischer Maßnahmen sind in den „Radiologischen
Grundlagen für Entscheidungen über Maßnahmen zum
Schutz der Bevölkerung bei Unfall bedingten Freisetzungen
von Radionukliden“ beschrieben.
Für den Fall, dass bei einem kerntechnischen Unfall die gestaffelten Sicherheitsmaßnahmen nicht greifen und die Eingreifwerte überschritten werden könnten, wurden Katastrophenschutzplanungen für die Umgebung von Kernkraftwerken erarbeitet. Die Katastrophenschutzmaßnahmen zielen primär auf den Schutz der Bevölkerung vor einer Unfall
bedingten Exposition und auf die Vermeidung deterministischer Strahlenschäden.
- Maßnahmen
Die Aufgaben der Katastrophenschutzbehörden sind vorbeugender und abwehrender Katastrophenschutz, der Maßnahmen für die Umgebung der kerntechnischen Anlage bis zu
einem Radius von 25 km vorsieht.
Die vorbeugenden Maßnahmen der behördlichen Katastrophenschutzplanungen beinhalten besondere festgelegte
Planungszone, Alarmpläne und Alarmierungsprozeduren. Eine grundlegende Maßnahme bildet die Einteilung der Umgebung der kerntechnischen Anlage in 3 Planungszonen, die
Zentralzone mit bis zu 2 km Umkreis um die Anlage, die Mittelzone mit etwa 10 km und die Außenzone mit ca. 25 km um
die Anlage. Bei der Anordnung von Katastrophenschutzmaßnahmen kann hiermit auf eindeutige und einfache Weise
festgelegt werden, in welchen Zonen und Sektoren welche
Maßnahmen erforderlich sind.
Zwei Alarmstufen werden unterschieden: Voralarm wird ausgelöst, wenn bei einem Ereignis noch keine oder geringe
261
Auswirkungen auf die Umgebung auftreten. Katastrophenalarm wird ausgelöst, wenn bei einem kerntechnischen Unfall
eine Gefahr bringende Freisetzung radioaktiver Stoffe in die
Umgebung festgestellt wird oder droht. Die Bevölkerung wird
dann durch Sirenensignale und Lautsprecherfahrzeuge gewarnt bzw. informiert. Weitere vorbeugende Maßnahmen sind
Lageermittlung, d. h. Prognose der radiologischen Lage,
Messungen in der Umgebung gemäß der „Richtlinie zur
Emissions- und Immissionsüberwachung kerntechnischer
Anlagen (REI)“ von Gamma-Ortsdosisleistung, Aktivitätskonzentrationen verschiedener Radionuklide und der Luft und
flächenbezogener Aktivität auf dem Boden. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sind Grundlage für die zu treffenden
Schutz- und Abwehrmaßnahmen.
Abwehrende Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung
sind in erster Linie der „Aufenthalt in Gebäuden“, die „Ausgabe von Iodtabletten“ und die „Evakuierung“. Weitere Maßnahmen des Katastrophenschutzes sind u. a. Umsiedlung,
Unterrichtung und Warnung der Bevölkerung, Verkehrseinschränkungen (Zugangsbeschränkungen und Sperrung von
Gebieten), Warnung vor dem Verzehr frisch geernteter Lebensmittel, Dekontamination in Notfallstationen und ärztliche
Betreuung und Versorgung. Ziele, Konzepte, Strategien und
Methoden des medizinischen Notfallschutzes werden im
Notfallplan festgelegt und umfassen alle administrativen
Maßnahmen zur Vorbereitung auf Strahlennotfälle.
Vier Bereiche der medizinischen Notfallvorbereitung lassen
sich unterscheiden:
x Der Aufbau und die Vorhaltung notwendiger Organisationsstrukturen beinhalten die Festlegung der Zuständigkeiten bei der Rettung, die Bestimmung der ärztlichen
Leitung der Notfallstation, die Regelung des Einsatzablaufs sowie Anordnungen zur Informationsvermittlung und
Dokumentation.
x Die raumplanerische Notfallvorbereitung definiert neben
den Gefahren- und Kontrollbereichen am Unfallort, Planungszonen von Notfallstationen, d. h. Ausweisung eines
separaten Eingangs, von kontaminierten, Puffer- und
nicht kontaminierten Zonen und die Festlegung von
Messstellen an den Übergangszonen.
262
x Die technische Notfallvorbereitung umfasst die Planung
und Einrichtung der Notfallstation, Lagerhaltung und Bereitstellung von Ausrüstung zur Kontaminationskontrolle
der Notfallstation, Ausrüstung zum Selbstschutz des Personals, von Hilfs- und Arbeitsmitteln zur Dekontamination,
Mess- und Analysegeräten, medizinischen Hilfsmitteln
und Medikamenten zur Dekorporation.
x Zu den personellen Kapazitäten gehören Rufbereitschaften von ärztlichen und nicht ärztlichen Fachkräften, medizinischem und technischem Assistenzpersonal sowie ihre
fachliche Schulung, Fortbildung und Übung.
Abb. 6.16 Organisationsschema der ärztlichen Versorgung in
Notfallstationen (SSK 1995)
Die Durchführung effektiver und rechtzeitiger medizinischer
Notfallmaßnahmen zur Rettung und Behandlung von Betroffenen beinhaltet die Übernahme von Patienten an der
Grenze zum Gefahrenbereich, den Transport der Patienten,
Triage und medizinische Erstversorgung in Notfallstationen,
Identifizierung von bzw. Weiterleitung an geeignete stationäre Behandlungszentren, Durchführung von Dekorporationsund Dekontaminationsmaßnahmen, Ausführung von Kontrollmessungen, Probenentnahme und Dokumentation.
263
Strahlenschutzvorsorgezentren
Regionale Strahlenschutzzentren
Zur Versorgung bei betrieblichen Strahlenunfällen wurde
von der Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik das Institut für Strahlenschutz (IfS) gegründet,
das ein System der Regionalen Strahlenschutzzentren
(RSZ) aufgebaut hat. Durch vertragliche Vereinbarungen
entstanden so an verschiedenen Instituten, Kliniken und
Forschungseinrichtungen die RSZ als Leitstellen für alle
Fragen, die einer strahlenmedizinischen Beratung und Versorgung bedürfen. Das RSZ Netzwerk umfasst zurzeit 11
Einrichtungen. Die RSZ verfügen im Allgemeinen über alle
erforderlichen Einrichtungen für eine eventuell notwendige
Direktversorgung und für die ambulante oder stationäre
Überwachung von beruflich Strahlenverunfallten. Bei schweren Strahlenunfällen kann die Spezialstation der Berufgenossenschaftlichen Unfallklinik in Ludwigshafen-Oggersheim
und bei schweren Hautverbrennungen die Fachklinik Hornheide bei Münster nach Vermittlung durch ein RSZ in Anspruch genommen werden.
Greifswald
Hamburg
Berlin
Hannover
Dresden
Jülich
Homburg
Würzburg
Ludwigshafen
Karlsruhe
Neuherberg
München
Abb. 6.17 Netz der Regionalen Strahlenschutzzentren (RSZ) in
Deutschland
264
Ein Arzt und ein Physiker des Regionalen Strahlenschutzzentrums sind 24 Stunden erreichbar, stehen telefonisch für
konkrete Beratungen zur Verfügung und bieten Informationen und Entscheidungshilfen an. Ärzte geben Anweisungen
zu Dekontaminationsmaßnahmen, Dekorporationstherapien,
zur Überwachung von Verunfallten, zum Vorgehen bei kombinierten Verletzungen (Kontamination und offene Wunden,
Frakturen und Verbrennungen) und zu Selbstschutzmaßnahmen von Einsatzkräften und Sicherheits- und Rettungspersonal.
REMPAN-Netzwerk der WHO – Kollaborationszentren für
medizinische Vorsorge und Hilfe bei Strahlenunfällen
Das REMPAN (Radiation Emergency Medical Preparedness
and Assistance Network) System der WHO ist der Zusammenschluss von zurzeit 17 fachkundigen medizinischen Einrichtungen und etwa 15 assoziierten Instituten zu einem
weltweiten Wissens- und Kompetenznetzwerk. Die primären
Ziele sind die medizinische Vorsorge und Förderung von
vorkehrenden Schutzmaßnahmen im Hinblick auf Strahlenunfälle, die internationale Hilfeleistung und Beratung bei
Strahlenunfällen und die Förderung der Nachbereitung eines
Unfalls in Form von wissenschaftlichen Studien.
*
*********** *
**
**
*
* **
** *
**
*
*
*
*
*
Abb. 6.18 Internationales Netzwerk der WHO REMPAN Zentren
265
Seit Juni 2005 ist die Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin
des Universitätsklinikums Würzburg das offizielle deutsche
WHO REMPAN-Kollaborationszentrum für medizinische Vorsorge und Hilfe bei Strahlenunfällen, das im Auftrag des
Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) etabliert wurde. Die drei Aufgabenschwerpunkte des WHO REMPAN-Zentrums Würzburg liegen in der
Verbesserung der medizinischen Versorgung von Strahlenunfallpatienten in Deutschland, der Repräsentanz Deutschlands im internationalen WHO REMPAN-Netzwerk zur gegenseitigen Hilfe bei Strahlenunfällen und in der medizinischen Auswertung von Strahlenunfällen auf der Basis des
Datenbanksystems SEARCH (System for Evaluation and
Archiving of Radiation Accidents based on Case Histories).
6.6.
Literatur
Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) mbH
(1996). Der Unfall und die Sicherheit der RBMK-Anlagen.
Köln.
Russian Research Centre "Kurchatov Institute" (1996).
Tschernobyl nach dem Unfall. Moskau, Bilddokumentation.
Strahlenschutzkommission des Bundesministeriums für
Umwelt, Naturschutz- und Reaktorsicherheit (SSK) (1996).
10 Jahre nach Tschernobyl, Informationen der Strahlenschutzkommission zu den radiologischen Auswirkungen und
Konsequenzen insbesondere in Deutschland. Berichte der
Strahlenschutzkommission 4.
Strahlenschutzkommission des Bundesministeriums für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (SSK) (1997).
Durchführung der Iodblockade der Schilddrüse bei kerntechnischen Unfällen. Veröffentlichungen der Strahlenschutzkommission 41.
Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) mbH
(2000). Tschernobyl: Gesundheitliche Folgen. BMUSachstandsbericht 1. Köln.
266
Reiners, Chr. Iodblockade der Schilddrüse bei kerntechnischen Unfällen. Nuklearmedizin 3 (2006) 97-100.
Cardis E. et al. Consequences of the Chernobyl accident:
20 years on. J. Radiol. Prot. 26 (2006) 127-140.
National Research Council of National Academies (2003).
Distribution and Administration of Potassium Iodide in the
Event of a Nuclear Incident. Washington, DC, National
Academies Press.
Strahlenschutzkommission des Bundesministeriums für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (SSK) (2004).
Verwendung von Iodtabletten zur Iodblockade der Schilddrüse bei einem kerntechnischen Unfall (Iodmerkblätter).
BAnz 220.
United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic
Radiation (UNSCEAR) (2000). Sources and Effects of Ionizing Radiation. Report to the General Assembly. New York,
United Nations.
World Health Organization (WHO) (1999). Guidelines for
Iodine Prophylaxis following Nuclear Accidents. Update
1999. Geneva, WHO.
World Health Organization (WHO) (2005). Health Effects of
the Chernobyl Accident and Special Healthcare Programmes. Geneva, UN Chernobyl Forum Expert Group
"Health" (EHG).
http://www.ssk.de/veroeff.htm.
http://www.unscear.org/.
http://www.who.int/ionizing_radiation/en/.
Anet, B. (2001). Terrorismus: Stehen wir vor der letzten Stufe, dem Nuklearterrorismus? 7. Chemical and Biological
Medical Treatment Symposium, Kroatien. http://www.laborspiez.ch/d/aktuelles/fact_sheet/nuklearterrorismus/dubrovnik.
Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und
Verbraucherschutz (2005). Verhinderung des Spaltstoffmissbrauchs. München. http://www.stmugv.bayern.de.
Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und
Verbraucherschutz (2005). Risiko des Spaltstoffmissbrauchs
im Brennstoff-Kreislauf. München.
http://www.stmugv.bayern.de.
267
Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) (2005). Strahlenschutz
bei der Verwendung von radioaktivem Material ("Schmutzige
Bombe") in Verbindung mit konventionellem Sprengstoff.
Salzgitter.
http://www.bfs.de/ion/papiere/schmutzige_bombe.html.
Bundesministerium des Innern (2001). Zweiter Gefahrenbericht der Schutzkommission beim Bundesminister des Inneren. Bonn.
Center for International Security and Cooperation (CISAC)
(2002). Understanding the risk and realities of nuclear
terrosrism. Standorf.
http://cisac.stanford.edu/publications/understanding_the_
risks_and_realities_of_nuclear_terrorism/
European Commission (2004). Nuclear Medicine Brochure.
Brussels.
http://europa.eu.int/comm/energy/nuclear/safeguards/index_
en.html.
International Atomic Energy Agency (IAEA) (2002). Detection of radioactive materials at borders. IAEA-Tecdoc-1312.
Vienna.
International Atomic Energy Agency (IAEA) (20021). Prevention of the inadvertent movement and illicit trafficking of
radioactive materials. IAEA-Tecdoc-1311. Vienna.
International Atomic Energy Agency (IAEA) (2005). IAEA
Illicit Trafficking Database (ITDB). Fact Sheets for 19932004. Vienna. http://www.iaea.org.
International Atomic Energy Agency (IAEA) (2005). Combating Illicit Trafficking. Vienna.
http://www.iaea.org/Publications/Booklets/Ssp/
trafficking.html.
Nilsson, A. (2001). Security of materials. IAEA Bulletin 43/4.
Orlov, V. A. (2004). Illicit nuclear trafficking and the new
agenda. IAEA Bulletin 46(I): 53-56.
World Health Organization (WHO) (2003). Health protection
guidance in the event of a nuclear weapon explosion.
http://www.who.int/ionizing_radiation/en/WHORAD_
InfoSheet_Nuclear_weapons21Feb.pdf
268
World Health Organization (WHO) (2003). Radiological dispersion device (Dirty bomb). Geneva.
http://www.who.int/ionizing_radiation/en/WHORAD_
InfoSheet_Dirty_bombs21Feb.pdf.
Bayer, A. (1993). Überwachung der radioaktiven Kontamination und der Strahlenexposition im Ereignisfall. Veröffentlichungen der Strahlenschutzkommission 25.
Bayer, A., L. Hornung-Lauxmann, et al. (1999). Stand der
Überwachung der Umweltradioaktivität in Deutschland.
Strahlenschutz: Wissenschaftliche Grundlagen, rechtliche
Regelungen, praktische Anwendungen. D. Borchardt, A.
Kaul, W. Kraus and H. Rühle. Berlin, Hoffmann Verlag.
Bayerisches Landesamt für Umwelt (2005). Das bayerische
Immissionsmessnetz für Radioaktivität (IfR). München.
http://www.bayern.de/lfu/strahlen/ifr/ifr_1.html.
Bayerisches Landesamt für Umwelt. Strahlenschutz.
http://www.bayern.de/lfu/strahlen/index.html.
Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) (2005). Notfallvorsorge
durch das BfS. München.
http://www.bfs.de/bfs/druck/strahlenthemen/notfallvorsorge.h
tml.
Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und
Verbraucherschutz (2005). Umgebungsüberwachung. München.
http://www.stmugv.bayern.de/de/strahl/aufsicht/umgeb.html.
Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und
Verbraucherschutz (2005). Überwachung der Umweltradioaktivität. München.
http://www.stmugv.bayern.de/de/strahl/sschutz/ueberw.html.
Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) (2005). Strahlenthemen: Integriertes Mess- und Informationssystem zur Überwachung der Radioaktivität - (IMIS). Salzgitter.
Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) (2005). Radioaktivitätsmessnetz. Salzgitter.
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2005). Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung
im Jahr 2004. Berlin.
269
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2004). Internationaler Vergleich der Modelle und
Parameter zur Entscheidungsbegründung in Notfallsituationen. Berlin.
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2005). Überwachung der Umweltradioaktivität. Berlin. http://www.bmu.de/strahlenschutz.
Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (2005). Radioaktivität in Lebensmitteln. München.
http://igl.bayern.de/de/left/fachinformationen/lebensmittel/rad
ioaktivität_allgemein.html.
Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und
Verbraucherschutz (2005). Radioaktivität in und radioaktive
Kontamination von Lebensmitteln. München.
http://www.vis-ernaehrung.bayern.de/de/left/fachinformatio
nen/verbraucherschutz/unerwuenschte_stoffe/radioaktivität.
html.
Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und
Verbraucherschutz (2005). Aktuelle Empfehlungen und Hinweise. München.
http://www.stmugv.bayern.de/de/strahl/notfall/empfehl.html.
Bayerisches Landesamt für Umweltschutz (2005). Radioaktives Cäsium im Wildbret. München.
http://www.bayern.de/lfu/strahlen/wild/wild/Caesium.html.
Beck, P. (2000). ITRAP, Illicit Trafficking Radiation Detection
Assessment Program, Final Report. Seibersdorf, Austrian
Research Center.
Bundesamt für Strahlenschutz (2005). Nuklearmedizinische
Gefahrenabwehr. Salzgitter. http://www.bfs.de.
Bundesministerium der Finanzen (2005). Pilze und andere
radioaktiv belastete Lebensmittel. Bonn.
http://www.zoll.de/b0_zoll_und_steuern/d0_verbote_und_
beschraenkungen/c0_schutz_menschI_gesundh/f0_
lebensmittel/I0_radioaktiv/index.html.
Bundesministerium der Finanzen (2005). Kernbrennstoffe
und sonstige radioaktive Stoffe. Bonn.
http://www.zoll.de/b0_zoll_und_steuern/d0_verbote_und_
beschraenkungen/a0_oeffentliche_ordnung/c0_radioaktive_
stoffe/.
270
Bundesministerium der Finanzen (2005). Überwachungen
im Bereich der Verbote und Beschränkungen. Bonn.
http://www.zoll.de/d0_zoll_im_einsatz/d0_mkg/d0_bereich_
vub/index.html.
Bundesministerium der Finanzen (2005). Verbote und Beschränkungen. Bonn.
http://www.zoll.de/b0_zoll_und_steuern/d0_verbote_und_
beschraenkungen/index.html.
Bundesministerium der Finanzen (2005). Warenkreis der
Tschernobyl-Verordnung. Bonn.
http://www.zoll.de/b0_zoll_und_steuern/d0_verbote_und_
beschraenkungen/c0_schutz_menschI_gesundh/f0_lebensmittel/
I0_radioaktiv/a0_warenkreis/.
Duftschmid, K. (1999). Preventing the next case. IAEA Bulletin 41(3).
European Commission (2005). Einfuhrregelung landwirtschaftlicher Erzeugnisse nach Tschernobyl. Brussels.
http://europa.eu.int/scadplus/leg/de/lvb/I21110.html.
International Atomic Energy Agency (IAEA) (2005). Combating Illicit Trafficking. Vienna.
http://www.iaea.org/Publications/Booklets/Ssp/trafficking.html.
International Atomic Energy Agency (IAEA) (2002). Prevention of the inadvertent movement and illicit trafficking of
radioactive materials. IAEA-Tecdoc-1311. Vienna.
International Atomic Energy Agency (IAEA) (2002). Detection of radioactive materials at borders. IAEA-Tecdoc-1312.
Vienna.
International Atomic Energy Agency (IAEA) (2005). Combating Illicit Trafficking. Vienna.
http://www.iaea.org/Publications/Booklets/Ssp/trafficking.html.
Umweltinstitut München e. V. (2004). 18 Jahre nach
Tschernobyl. EU-Grenzwerte und radioaktive Belastung von
Lebensmitteln. München.
http://www.umweltinstitut.org/frames/all/m386.html.
271
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (1999). Übersicht über Maßnahmen zur Verringerung der Strahlenexposition nach Ereignissen mit nicht unerheblichen radiologischen Auswirkungen (Maßnahmenkatalog).
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2004). Internationaler Vergleich der Modelle und
Parameter zur Entscheidungsbegründung in Notfallsituationen. Berlin.
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2005). Schriftenreihe: Reaktorsicherheit und
Strahlenschutz. Berlin.
http://www.bmu.de/strahlenschutz/schriftenreihe_
reaktorsicherheit_strahlenschutz/doc/20112.php
http://www.bmu.de/strahlenschutz/aktuell/aktuell/1782.php.
Eder, E. (1999). Kernreaktor-Fernüberwachung. Strahlenschutz: wissenschaftliche Grundlagen, rechtliche Regelungen, praktische Anwendungen. D. Borchardt, A. Kaul, W.
Kraus and H. Rühle. Berlin, Hoffmann Verlag.
Institut für Strahlenschutz (2005). Regionale Strahlenschutzzentren. Köln.
Korn, H. and K. D. Borchardt (1999). Der anlageninterne
Notfallschutz bei kerntechnischen Unfällen und die Information der betroffenen Bevölkerung. Strahlenschutz: Wissenschaftliche Grundlagen, rechtliche Regelungen, praktische
Anwendungen. D. Borchardt, A. Kaul, H. Rühle. Berlin,
Hoffmann Verlag.
Pfenninger, E., S. Himmelseher, et al. (2004). Untersuchung
zur Einbindung des öffentlichen Gesundheitsdienstes in die
katastrophenmedizinische Versorgung der Bundesrepublik
Deutschland. Bonn, Bundesamt für Bevölkerungsschutz und
Katastrophenhilfe.
Ständige Konferenz für Katastrophenvorsorge und Katastrophenschutz (2000). Katastrophenschutz in Gesetzen der
Länder. Köln.
272
Starke, H. (1993). Beitrag und Leistungsfähigkeit der Bundesmessnetze in IMIS. Veröffentlichungen der Strahlenschutzkommission 25.
Strahlenschutzkommission des Bundesministeriums für
Umwelt (1995). Medizinische Maßnahmen bei Kernkraftwerksunfällen. Veröffentlichungen der Strahlenschutzkommission 4.
Strahlenschutzkommission des Bundesministeriums für
Umwelt, Naturschutz- und Reaktorsicherheit (1996). Der
Strahlenunfall, Ein Leitfaden für Erstmaßnahmen. Veröffentlichungen der Strahlenschutzkommission 32.
Strahlenschutzkommission des Bundesministeriums für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2000). Rahmenempfehlungen für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen. Berichte der Strahlenschutzkomission 24.
Strahlenschutzkommission des Bundesministeriums für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2000). Radiologische Grundlagen für Entscheidungen über Maßnahmen
zum Schutz der Bevölkerung bei Unfall bedingten Freisetzungen von Radionukliden. Berichte der Strahlenschutzkomission 24.
Weiss, W. (1993). Beitrag und Leistungsfähigkeit der Bundesmessnetze in IMIS. Veröffentlichungen der Strahlenschutzkommission 25.
World Health Organization (WHO). Würzburg, REMPAN
Collaboration Center. http://www.rempan.de.
World Health Organization (WHO).
http://www.who.int/ionizing_radiation/en/.
273
7.
Erläuterung von Fachbegriffen
A
Absorption
Aufnahme
Aerosole
Gase mit festen oder flüssigen Schwebeteilchen.
Afterloading
Nachladetechnik für die intrakavitäre und interstitielle Strahlentherapie, z. B. mit 137-Cäsium-Quellen, bei der zunächst
der leere Applikator in das Zielvolumen, z. B. die weibliche
Gebärmutter, gebracht und erst nach Lagekontrolle und
ferngesteuert mit dem radioaktiven Präparat beschickt wird.
Akkumuliert
-Ź kumulativ
Aktivierung
Entstehung eines -Ź Radionuklids aus einem stabilen -Ź
Nuklid durch Beschuss von -Ź Protonen, -Ź Neutronen
oder anderen Teilchen.
Aktivität
Maß für die -Ź Radioaktivität. Einheit: -Ź Becquerel.
Aktivitätskonzentration
Verhältnis der -Ź Aktivität eines -Ź Radionuklids zum Volumen des Materials, in dem das Radionuklid verteilt ist.
Aktivkohledosimeter (-exposimeter)
Mit Aktivkohle gefüllte, luftdicht verschließbare Dose (ca. 10
cm Durchmesser), mit der die Radonkonzentration in der
Luft bestimmt werden kann.
Akutes Strahlensyndrom
Folge einer Ganzkörperexposition ab 1 -Ź Gray. Schweregrad, Verlauf und -Ź Prognose sind von Art und -Ź Dosis
der -Ź ionisierenden Strahlung abhängig.
Alpha-Strahler
-Ź Radionuklid, das unter Aussendung eines -Ź AlphaTeilchens zerfällt (-Ź radioaktiver Zerfall).
274
Alpha-Strahlung
-Ź Strahlung aus -Ź Alpha-Teilchen.
Alpha-Teilchen
Heliumkern, bestehend aus zwei -Ź Protonen und zwei -Ź
Neutronen.
Alpha-Zerfall
Kernumwandlung unter Aussendung eines -Ź Alpha-Teilchens.
Americium-241
Künstliches radioaktives Element, das -Ź Alpha-Strahlung
aussendet.
Anderes radioaktives Material
Nicht durch -Ź Kernspaltung entstandene -Ź radioaktive
Stoffe.
Angiographie
Radiologisches Verfahren zur Darstellung der Blutgefäße
(Arterien und Venen) durch Injektion eines Röntgenkontrastmittels und anschließende Anfertigung schneller programmierter Aufnahmeserien.
Äquivalentdosis
Dosisgröße im Strahlenschutz unter Berücksichtigung der
biologischen Wirksamkeit der -Ź Strahlung. Einheit: -Ź
Einheit: -Ź Sievert.
Atom
Elektrisch neutraler Baustein der Materie, bestehend aus einem positiv geladenen -Ź Atomkern und einer negativ geladenen Elektronenhülle.
Atomkern
Zusammengesetzt aus den Kernbausteinen (-Ź Nukleonen). Er trägt beinahe die gesamte Masse des Atoms.
Atomreaktor
Umgangssprachlich für -Ź Kernreaktor.
Atomwaffentest, oberirdischer
Oberirdische Zündung eines nuklearen Sprengsatzes zu
Testzwecken.
275
Austrian Research Centres Seibersdorf (ARCS)
Größte Tochtergesellschaft des ARC-Konzerns, die u. a. in
Forschungs- und Entwicklungsprojekten für nationale und internationale Auftraggeber interdisziplinär zusammenarbeitet.
B
Becquerel (Bq)
Einheit der -Ź Aktivität. Zerfälle pro Sekunde.
Beryllium
Leichtmetall, das meist als Legierungszusatz verwendet
wird. Durch -Ź Alpha-Teilchen werden aus Beryllium -Ź
Neutronen freigesetzt.
Beta-Strahler
-Ź Radionuklid, das unter Aussendung eines -Ź Beta-Teilchens zerfällt (-Ź radioaktiver Zerfall).
Beta-Strahlung
-Ź Strahlung aus -Ź Beta-Teilchen.
Beta-Teilchen
-Ź Elektron
Beta-Zerfall
Kernumwandlung unter Aussendung eines -Ź Beta-Teilchens.
Biologische Halbwertszeit
-Ź Halbwertszeit, biologische
Brachytherapie
Minimalinvasive strahlentherapeutische Methode, bei der
radioaktive Strahlungsquellen entweder im Tumorgewebe
oder kontaktierend am Tumorgewebe positioniert werden.
Bremsstrahlung
Elektromagnetische Strahlung. Sie entsteht durch Beschleunigung oder Abbremsung geladener Teilchen in Materie.
Brennelement
Aus einer Vielzahl von -Ź Brennstäben montierte Anordnung in der -Ź Kernbrennstoff in den -Ź Kernreaktor eingesetzt wird.
276
Brennstab
Bestimmte Form, in der -Ź Kernbrennstoff, umgeben von
einem Hüllmaterial, in einem -Ź Kernreaktor eingesetzt
wird.
C
Cäsium-137
Das bedeutendste künstliche Cäsium- -Ź Isotop ist ein -Ź
Beta- und -Ź Gamma-Strahler.
Chemotoxizität
Giftigkeit einer Substanz auf Grund ihrer chemischen Eigenschaften.
Chromosomen
Strukturen einer lebenden Zelle, auf denen die Erbanlagen
(Gene) lokalisiert sind. Die Gesamtheit der Chromosomen
bezeichnet man als Genom. Außer bei den niederen Lebewesen (z. B. Bakterien) befinden sich die Chromosomen in
einem Zellkern. Die Zellkerne der meisten Lebewesen enthalten mehrere Chromosomen, die sich in der Größe voneinander unterscheiden. Je nach der Zahl, in der jedes
Chromosom vorhanden ist, spricht man von einem haploiden (jedes Chromosom einmal), von einem diploiden (jedes
Chromosom doppelt) oder einem polyploiden (jedes Chromosom vielfach) Chromosomensatz.
Curie (Ci)
Alte Einheit für die -Ź Aktivität. 1 Ci = 37 GBq.
D
Dekontamination
Beseitigung oder Verminderung von oberflächlichen Verunreinigungen mit -Ź radioaktiven Stoffen (-Ź Kontamination).
Dekorporation
Entfernung -Ź radioaktiver Stoffe, die vom menschlichen
Organismus aufgenommen wurden.
Deponiert
abgelagert
277
Deposition
Ablagerung von in der Atmosphäre vorhandenen Schwebstoffen oder Gasen auf dem Boden, Pflanzen oder anderen
Oberflächen.
Detektor
Hier Gerät zum Nachweis und zur Messung -Ź ionisierender Strahlung.
Deterministische Strahleneffekte
Treten in der Regel ab einer bestimmten -Ź Schwellendosis
auf; die Schwere des Schadens nimmt mit der Dosis zu (vgl.
-Ź stochastische Strahleneffekte).
Diagnose
Zuordnung der Symptome und Untersuchungsergebnisse in
ein Krankheitsbild.
Diagnostischer Referenzwert
Auf Vorschlag der Strahlenschutzkommission wurden in
Deutschland im Jahre 2003 vom Bundesamt für Strahlenschutz diagnostische Referenzwerte für Radiopharmaka
festgelegt und im Bundesanzeiger veröffentlicht. Darin sind
Referenzwerte der Radiopharmaka für häufige nuklearmedizinische Untersuchungsverfahren sowie dosisintensive nuklearmedizinische Untersuchungsverfahren enthalten. Eine
Überschreitung dieser Referenzwerte bedarf einer Begründung durch einen fachkundigen Nuklearmediziner und muss
entsprechend dokumentiert werden.
Dicht ionisierend
Strahlung, die bei Wechselwirkung mit Materie ihre Energie
auf einem sehr kurzen Weg an diese überträgt und daher
dicht beieinander liegende lonisationsereignisse auslöst.
DNS
Desoxyribonukleinsäure, im englischen Schrifttum mit DNA
bezeichnet. Riesenmolekül, das aus zwei Strängen besteht
und die Erbinformation in Form eines chemischen Codes
enthält. Bestandteil der -Ź Chromosomen.
278
Dosimeter
Dosimeter dienen zur Messung der externen Strahlendosis
(-Ź Personendosis). Man unterscheidet zwischen direkt anzeigenden Dosimetern (z. B. Stabdosimeter) und indirekt
messenden Dosimetern (z. B. Filmplakette, Glasdosimeter),
bei denen messtechnisch erfassbare Veränderungen der
Dosis proportional sind.
Dosimetrie
Bestimmung der -Ź Dosis.
Dosis
-Ź lonendosis -Ź Energiedosis -Ź Äquivalentdosis -Ź effektive Äquivalentdosis
Maß für die Wirkung -Ź absorbierter -Ź ionisierender Strahlung.
- Gesamtdosis
Summe der in Teilen zu verschiedenen Zeitpunkten -Ź applizierten oder erhaltenen -Ź Dosis.
- Lebenszeitdosis
Summe der im Lauf des Lebens in Teilen -Ź applizierten
oder erhaltenen -Ź Dosis.
Dosisabschätzung
Abschätzung der -Ź Strahlenexposition unter Einbeziehung
aller relevanten -Ź Expositionspfade.
Dosisfaktor
Faktor zur Umrechnung von -Ź Aktivität in Dosis. Dosisfaktoren für aufgenommene Aktivität berücksichtigen neben
den physikalischen Größen (Energie pro Zerfallsereignis,
Strahlenart, -Halbwertszeit) und der chemischen Form des
aufgenommenen Radionuklids auch noch biologische Parameter (Alter, Aufnahmedauer, Anreicherung, Organgröße,
Dosisverteilung u. s. w.) und schließlich die Art der Aufnahme (-Ź Inhalation, -Ź Ingestion). Dosisfaktoren für Inhalation erlauben z. B. aus der Aktivitätskonzentration in der Luft
eine Berechnung der Organ-Dosen; Dosisfaktoren für äußere Bestrahlung erlauben aus der Aktivitätskonzentration in
Luft oder Aktivität pro Fläche am Boden eine Berechnung
der externen Körper-Dosen.
Dosisleistung
-Ź Dosis pro Zeiteinheit.
279
Dosisrichtwert
-Ź Eingreifrichtwert
Down-Syndrom
Angeborene Erkrankung, die auf das dreifache Vorhandensein des -Ź Chromosoms 21 zurückzuführen ist.
DSA
Digitale Subtraktionsangiographie
Röntgenologische Kontrastdarstellung des Herzens und von
Blutgefäßen unter Anwendung der digitalen Subtraktionsmethode. Dabei werden die digitalen Aufnahmen der Gefäße
mit Kontrastmittel von denen ohne Kontrastmittel abgezogen: Es entsteht eine reine Darstellung der Gefäße.
E
Edelgas
Gruppenbezeichnung für die Elemente Helium, Neon, Argon, Krypton, Xenon und das radioaktive Radon.
Effektive Äquivalentdosis, effektive Dosis
Größe im Strahlenschutz, unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Strahlenempfindlichkeiten der Organe. Einheit:
Sievert.
Effektive Halbwertszeit
-Ź Halbwertszeit eines radioaktiven Stoffes im Körper. Dabei gehen sowohl der -Ź radioaktive Zerfall wie auch die
Ausscheidung des Stoffes ein.
Eingreifrichtwert
Dosiswert, bei dessen Erreichen die Einleitung von Schutzmaßnahmen zu prüfen ist.
Elektron
Elementarteilchen mit einer Ladung von einer negativen -Ź
Elementarladung.
Elektronenvolt (eV)
Gebräuchliche Energieeinheit für -Ź Strahlung.
Element
Hier chemisches Element, -Ź Atom mit einer bestimmten
-Ź Kernladungszahl bzw. -Ź Ordnungszahl.
280
Elementarladung
Kleinste nachgewiesene elektrische Ladung. Ein -Ź Elektron trägt eine negative E., ein -Ź Proton eine positive E.
Embryo
Frühes Entwicklungsstadium des keimenden Lebens (beim
Menschen bis zum 3. Monat).
Emission
Abgabe von (Schad-)Stoffen an die Atmosphäre oder in
Gewässer.
Emittent
Verursacher von -Ź Emissionen.
Endlager
Anlage zur langfristig wartungsfreien, zeitlich unbefristeten
sicheren Lagerung von radioaktiven Abfällen ohne beabsichtigte Rückholung.
Energiedosis
Absorbierte Strahlungsenergie je Masseneinheit.
Enzym
„Biokatalysator", Eiweißstoff, der jeweils nur ganz bestimmte
Stoffwechselreaktionen beschleunigt.
Epidemiologie
Erforschung von Krankheiten anhand der Beobachtung großer Bevölkerungs- -Ź kollektive.
EURATOM
Die 1957 gegründete Europäische Atomgemeinschaft
EURATOM hat die friedliche Nutzung der Kernenergie sowie
die Entwicklung einer entsprechenden Kernindustrie zum
Ziel.
EURATOM-Vertrag
Die Grundlage für die Arbeit von -Ź EURATOM trat 1958 in
Kraft.
Evakuierung
Vorübergehende Räumung eines Gebietes.
Exposition, exponiert
-Ź Strahlenexposition
281
Expositionspfad
Weg radioaktiver Stoffe von der Ableitung aus einer Anlage
oder Einrichtung über einen Ausbreitungs- oder Transportvorgang bis zu einer -Ź Strahlenexposition des Menschen
(z. B. Luft - Futterpflanze - Kuh - Milch).
Extraterrestrisch
außerirdischen Ursprungs
F
Fälle
Gruppe von Erkrankten, die mit einer Gruppe vergleichbarer
Personen ohne diese Krankheit, sog. -Ź Kontrollgruppe, in
Untersuchungen verglichen wird.
Fallout
Radioaktiver Niederschlag aus kleinsten Teilchen in der Atmosphäre.
Fallzahl
-Ź Fälle
Fetus
Spätes Entwicklungsstadium des Keimes der Säugetiere
(beim Menschen ab dem 3. Monat).
Folgedosis
Strahlendosis, die als Folge einer einmaligen Aktivitätsaufnahme im gesamten (unbegrenzten) Zeitraum nach der Aufnahme resultiert. Die in der Radioökologie häufig verwendete 50-Jahre-Folgeäquivalentdosis ist die Äquivalentdosis, die
als Folge einer einmaligen Aktivitätszufuhr in einem Zeitraum von 50 Jahren (das Bezugsjahr mitgerechnet) resultiert (beschränkte Folgedosis).
Forschungsreaktor
Kernreaktor, der für wissenschaftliche Forschung verwendet
wird.
Freisetzung radioaktiver Stoffe
Entweichen radioaktiver Stoffe aus den vorgesehenen Umschließungen in die Anlage oder in die Umgebung.
282
G
Gamma-Ortsdosisleistung
-Ź Strahlenexposition, die von außen auf den Menschen
einwirkt. Sie wird angegeben als -Ź Äquivalentdosis, gemessen an einem bestimmten Ort pro Stunde.
Gamma-Strahler
-Ź Radionuklid, das unter Aussendung eines -Ź GammaQuants zerfällt (-Ź radioaktiver Zerfall).
Gamma-Strahlung
-Ź Strahlung aus -Ź Gamma-Quanten.
Gamma-Quant
-Ź Photon aus einem Kernzerfall.
Gamma-Zerfall
Kernumwandlung unter Aussendung eines -Ź GammaQuants.
Gen, Genom
-Ź Chromosomen
Genmutation
Änderungen des Erbgutes.
Gray (Gy)
Einheit der -Ź Energiedosis.
Grenzmonitoring
Messung der -Ź Radioaktivität des grenzüberschreitenden
Verkehrs.
H
Halbwertszeit, biologische
Zeit, nach der von der ursprünglichen Menge eines in den
Körper aufgenommenen Stoffes die Hälfte vom Organismus
ausgeschieden oder abgebaut ist.
Halbwertszeit, effektive
Zeit, nach der durch radioaktiven Zerfall und biologische
Vorgänge (z. B. Ausscheidung) die Aktivitätskonzentration in
einem Organismus auf den halben Wert abgeklungen ist.
283
Halbwertszeit, physikalische
Zeit, nach der von der ursprünglichen Menge der-Ź Radionuklide die Hälfte zerfallen ist.
Havariert
verunglückt
Hereditärer Effekt
Erblicher Effekt, Weitergabe von (Krankheits-)Anlagen an
die nächste Generation.
Hypothyreose
Unterfunktion der Schilddrüse.
I
ICRP
International Commission on Radiological Protection (Internationale Strahlenschutzkommission).
ICRU
International Commission on Radiation Units and Measurements (Internationale Kommission für radiologische Einheiten und Messungen).
Immissionsgrößen
Maß für schädliche Umwelteinwirkungen, die durch -Ź Emission entstanden sind.
Infertilität
Unfähigkeit, eine Schwangerschaft bis zu einem entwickelten Kind auszutragen.
Ingestion
Aufnahme von Stoffen durch den Magen-Darmtrakt.
Inhalation
Aufnahme von Stoffen über die Atemwege.
Inkorporation
Aufnahme von Stoffen in den Körper.
Internationale Atomenergie Organisation (IAEO)
Englisch: International Atomic Energy Agency (IAEA), ist eine eigenständige Organisation innerhalb der UN zur Förderung der friedlichen Anwendung und Nutzung der Atomenergie.
284
Integriertes Mess- und Informationssystem (IMIS)
Dient zur Überwachung der Umweltradioaktivität.
Interzeption
Anteil der deponierten Luftschwebstoffe (=> Deposition), der
auf den Pflanzen verbleibt.
In utero
im Mutterleib
Inzidenz
Anzahl von Personen, die innerhalb eines Jahres neu an einer bestimmten Krankheit erkranken.
J
Iod
Baustein für die -Ź Synthese von Schilddrüsenhormonen.
- Stabiles Iod
Nicht radioaktives -Ź Isotop des Iods
- Instabiles Iod
radioaktives -Ź Isotop des Iods (-Ź Radioiod).
Iodblockade
Vorbeugende Maßnahme zur Verhinderung der Einlagerung
von -Ź radioaktivem Iod nach -Ź Reaktorunfällen durch
z. B. Kaliumiodid.
Iodid
Chemisches Salz der Iodwasserstoffsäure, z. B. Kaliumiodid.
Iododerma tuberosum
Hautveränderung, die bei langer Iodeinnahme bei Überempfindlichkeit gegenüber -Ź Iod entsteht.
Ion
Durch überschüssige oder fehlende -Ź Elektronen geladenes -Ź Atom.
Ionisationskammer
Gerät zur Messung -Ź ionisierender Strahlung durch Messung des elektrischen Stromes, der entsteht, wenn Strahlung das Gas in der Kammer ionisiert.
285
lonendosis
Die erzeugte Ladung je Masseneinheit, gemessen in Coulomb pro Kilogramm (C/kg).
Ionisierende Strahlung
-Ź Strahlung, die in der Lage ist -Ź Ionen zu erzeugen.
Iridium-192
Eines der 20 radioaktiven Iridium -Ź Isotope.
Isotope
Unterscheiden sich in ihrem Kernaufbau durch die Anzahl
ihrer -Ź Neutronen.
ITRAP
Abkürzung für Illicit Trafficking Radiation Detection Assessment Program, deutsch: Programm zur Aufdeckung des illegalen Schmuggels und Handels mit radioaktiven Stoffen.
K
Kardiovaskuläre Erkrankung
Herzerkrankung
Karzinogen
krebserregend
Kausal
ursächlich
Kernbrennstoff
Spaltbare Materialien in Form von -Ź Uran als Metall, Legierung oder chemischer Verbindung (einschließlich -Ź natürlichen Urans), -Ź Plutonium als Metall, Legierung oder
chemischer Verbindung.
Kernkraftwerk (KKW)
Ein mit -Ź Kernreaktoren betriebenes Dampfkraftwerk; umgangssprachlich Atomkraftwerk.
Kernladungszahl
Anzahl der -Ź Protonen, positiven -Ź Elementarladungen,
in einem Atom.
Kernreaktor
Anlage zur Nutzung von Kernenergie.
286
Kernspaltung
Spaltung schwerer Atomkerne durch Beschuss mit -Ź Neutronen in jeweils zwei mittelgroße Kerne, die radioaktiven
Spaltprodukte, wobei große Energiemengen freigesetzt
werden.
Kernspurdetektor
Bestimmte Materialien, bei denen nach elektrochemischer
Ätzung die Einschlagstellen der Alpha-Teilchen vergrößert
dargestellt und elektronisch oder visuell mit dem Mikroskop
gezählt werden können.
Kerntechnische Anlagen
Kerntechnische Anlagen sind -Ź Kernkraftwerk (KKW), -Ź
Wiederaufarbeitungsanlagen, militärische Anlagen zur Erzeugung von -Ź Kernwaffen, Zwischenlager, -Ź Endlager
und -Ź Anreicherungsanlagen und -Ź Forschungsreaktoren.
Kernumwandlung
Alle nicht stabilen Atomkerne („Radionuklide") wandeln sich
– teilweise in mehreren Stufen – unter Abgabe energiereicher Strahlung in stabile Kerne um. Das jeweilige Produkt
einer Kernumwandlung wird als Tochternuklid bezeichnet.
Die Erscheinung, dass ein Stoff ohne vorherige Anregung
und von außen nicht beeinflussbar Strahlung aussendet,
wird als Radioaktivität bezeichnet. Da der ursprüngliche
Stoff dabei allmählich „verschwindet", prägte man dafür den
Begriff – radioaktiver Zerfall. Manche schweren Kerne zeigen mit einer gewissen Häufigkeit Spontanspaltungen; der
Kern zerbricht dabei ohne äußere Einwirkung in zwei etwa
gleich große Bruchstücke und es tritt Neutronenstrahlung
auf.
Kettenreaktion
Die durch -Ź Absorption eines -Ź Neutrons ausgelöste -Ź
Kernspaltung setzt ihrerseits wieder einige Neutronen frei,
die weitere Spaltungen auslösen können.
Kollektiv
Gruppe von Personen mit ähnlichen Eigenschaften.
287
Kontamination, kontaminierte
Verunreinigung von Flächen, Gegenständen oder Personen
mit -Ź radioaktiven Stoffen.
Kontaminationsmonitor
Messgerät zum Aufspüren von -Ź Kontaminationen.
Kontrollbereich
-Ź Strahlenschutzbereich in dem mit einer erhöhten -Ź
Strahlenexposition zu rechnen ist.
Kontrollgruppe
Gruppe von Nicht-Erkrankten, die bezogen auf Risikofaktoren mit den sog. -Ź Fällen vergleichbar ist.
Korrelation
-Ź Statistische Bezeichnung für einen Zusammenhang.
Krebsinduktion
Hervorrufen einer Krebserkrankung.
L
Landesamt für Umwelt (LfU)
Aufsichtsbehörde für Strahlenschutzbelange in Bayern.
LET
Linear energy transfer, Energieübertragungsvermögen einer
Strahlung pro Wegeinheit.
Linearbeschleuniger
Teilchenbeschleuniger, in dem die Teilchen geradlinig,
hochfrequenzgesteuert, energiezuführende elektrische Felder durchlaufen. Spezielle Konstruktionen für die Strahlentherapie liefern Elektronenstrahlen und ultraharte Röntgenstrahlen.
Liquidator
Person, die an der Beseitigung (Liquidation) der Folgen des
Reaktorunfalls von Tschernobyl beteiligt war.
Locker ionisierend
Strahlung, die bei Wechselwirkung mit Materie ihre Energie
auf einem verhältnismäßig langen Weg an diese überträgt
und daher relativ weit voneinander entfernte lonisationsereignisse auslöst.
Lymphatisches System
Lymphbahnen und Lymphdrüsen.
288
M
Massenzahl
Anzahl der Kernbausteine, -Ź Nukleonen, in einem Atom.
Metastabiler Zustand
Scheinbar stabiler Zustand eines -Ź Radionuklids mit beschränkter Lebensdauer.
Moderiert, Moderator
Ein Moderator bremst die schnellen bei einer Kernspaltung
freigesetzten Neutronen ab. Der Moderator umgibt in der
Regel den Brennstoff; er besteht z. B. aus Wasser oder Graphit.
Molekül
Chemische Verbindung aus mehreren -Ź Atomen.
Monitor
Gerät zur Aufzeichnung und Messung von nuklearem oder
anderem radioaktivem Material.
N
NaI-Detektor
Standard- -Ź detektor für -Ź Gamma-Strahlung in der
Nuklearmedizin.
Natriumperchlorat
Hemmt die Aufnahme von -Ź radioaktivem Iod in die
Schilddrüse dadurch, dass es wie -Ź Iod von der Schilddrüse aufgenommen wird.
Natürliche Umgebungsstrahlung
-Ź Exposition
Neutron
Elektrisch neutrales Elementarteilchen. Kernbaustein (-Ź
Nukleon).
Neutronenstrahlung
Strahlung in Form elektrisch neutraler Elementarteilchen
(-Ź Neutronen), die insbesondere bei der Kernspaltung freigesetzt werden.
289
Nuklearbombe
Beruht auf der Kernspaltung von -Ź Uran-235 oder -Ź Plutonium-239.
Nukleares Material
Durch -Ź Kernspaltung entstandene -Ź radioaktive Stoffe,
abzugrenzen von -Ź anderem radioaktiven Material.
Nuklearmedizin
Anwendung radioaktiver Stoffe in der Medizin zu diagnostischen und therapeutischen Zwecken.
Nuklearwaffen
Bezeichnung für Geschosse, Raketen, -Ź Bomben, Minen
mit Sprengladungen aus -Ź Kernbrennstoff.
Nukleonen
Kernbausteine: -Ź Protonen und -Ź Neutronen.
Nuklid
Atomkern
Nuklididentifizierung
Nachweis und Messung von -Ź Nukliden.
O
Ordnungszahl
Anzahl der -Ź Protonen, positiven Ladungen, in einem -Ź
Atom.
Organdosis
Mittelwert der -Ź Äquivalentdosis über ein Organ.
Ortsdosis
-Ź Äquivalentdosis gemessen an einem bestimmten Ort.
P
Partikel
Teilchen
Peer reviewed journals
Wissenschaftliche Zeitschriften, in denen nur Veröffentlichungen erscheinen, die zuvor von mindestens einem Gutachter kritisch bewertet wurden.
290
Personendosis
Die an einer repräsentativen Stelle der Körperoberfläche
gemessene -Ź Äquivalentdosis.
PET
Positronen-Emisssions-Tomographie.
Nuklearmedizinisches, diagnostisches Verfahren, bei dem
Positronen aussendende radioaktive Substanzen, insbesondere der radioaktiv markierte Zucker (18F-FDG), vorwiegend
zur Darstellung von vitalem Tumorgewebe verwendet werden.
Photon
Quant elektromagnetischer -Ź Strahlung. Ein Photon ist die
kleinste Strahlungsmenge. Sie kann jede beliebige Energie
tragen, aber nur als ganzes erzeugt oder vernichtet werden.
Pilotstudie
oder Machbarkeitsstudie untersucht, ob und unter welchen
Bedingungen eine geplante aufwändige Untersuchung erfolgreich sein kann.
Plutonium-239
Der Alpha-Strahler entsteht bei normalem Betrieb eines -Ź
Reaktors und kann in -Ź Nuklearwaffen verwendet werden.
Positron
Antiteilchen des -Ź Elektrons mit einer positiven -Ź Elementarladung.
Prämenopausal
Zeit vor den Wechseljahren.
Primordiale Radionuklide
Radionuklide, die bei der Bildung der irdischen Materie entstanden und heute noch vorhanden sind.
Prognose
Vorhersage einer zukünftigen Entwicklung, z. B. eines
Krankheitsverlaufs.
Proton
Elementarteilchen mit einer positiven Elementarladung.
Kernbaustein (-Ź Nukleon).
PuO2-UO2
Chemische Formel für Plutoniumdioxid und -Ź Urandioxid.
291
R
Radikal
Kurzlebiges, extrem reaktionsfähiges Bruchstück eines -Ź
Moleküls.
Radioaktive Quelle
bzw. Strahlungsquelle ist ein Gerät oder Material, das -Ź
ionisierende Strahlung aussenden kann.
- Umschlossene radioaktive Quellen sind ständig von einer
allseitig dichten, festen, inaktiven Hülle umschlossen oder
in festen inaktiven Stoffen ständig so eingebettet, dass bei
üblicher betriebsmäßiger Beanspruchung ein Austritt radioaktiver Stoffe mit Sicherheit verhindert wird.
- Offene radioaktive Quellen sind alle radioaktiven Quellen
mit Ausnahme der umschlossenen.
Radioaktiver Zerfall
Kernumwandlung unter Aussendung von -Ź Strahlung. Das
entstehende -Ź Tochternuklid kann wiederum instabil, d.h.
radioaktiv, sein.
Radioaktivität
-Ź Radioaktiver Zerfall
Radiocäsium
Radioaktives Cäsium -Ź Isotop
Radioisotop
Radioaktives Ź Isotop
Radioisotopendetektor
-Ź Detektor zur Lokalisation, -Ź Verifikation und -Ź Nuklididentifizierung.
Radiological Dispersion Device (RDD)
Englischer Fachbegriff für sog. -Ź „Schmutzige Bombe“.
Radionuklid
Instabiler Kern, der sich durch Aussendung von -Ź Strahlung in einen stabileren Kern umwandelt.
Radioökologie
Lehre vom Verhalten radioaktiver Stoffe in der Umwelt.
Radiotoxizität
Giftigkeit einer Substanz auf Grund -Ź radioaktiver Strahlung.
292
Reaktor
Kurzbezeichnung für -Ź Kernreaktor.
Reaktorunfall
-Ź Strahlenunfall
Regionale Strahlenschutzzentren (RSZ)
Von der Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik und der Berufsgenossenschaft der Chemischen
Industrie eingerichtete Leitstellen zur optimalen Versorgung
von -Ź beruflich strahlenexponierten Personen bei einem Ź Strahlenunfall.
Relatives Risiko
Gibt den Faktor an, um den sich die Erkrankungshäufigkeit
in einer -Ź exponierten Gruppe von der in einer -Ź Kontrollgruppe unterscheidet.
REMPAN (Radiation Emergency Medical Preparedness and
Assistance Network)
Netzwerk von zur Zeit ca. 30 Kollaborationszentren der -Ź
WHO.
Resuspension
Wiedereintritt von am Boden oder auf Pflanzen deponierten
Luftschwebstoffen in die Atmosphäre, z. B. infolge Aufwirbelns durch den Wind.
Röntgenkontrastmittel
Substanz zur Verbesserung der röntgenologischen Darstellung von u. a. Körperräumen und Gefäßen.
Röntgenstrahlung
Elektromagnetische -Ź ionisierende Strahlung, entstanden
durch Beschleunigen oder Abbremsen geladener Teilchen (Ź Bremsstrahlung) oder Elektronenübergänge in der Atomhülle (charakteristische Röntgenstrahlung).
RöV
Verordnung über den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlen (Röntgenverordnung).
293
S
Schilddrüsendosis
-Ź Organdosis für die Schilddrüse.
Schmutzige Bombe
Umgangssprachlicher Begriff für konventionellen Sprengstoff, dem -Ź radioaktive Stoffe beigefügt oder beigemengt
sind (englisch: -Ź Radiological Dispersion Device (RDD)).
SEARCH (System for Evaluation and Archiving of Radiation
Accidents based on Case Histories).
Datenbank zur Archivierung und Auswertung von -Ź Strahlenunfällen basierend auf Patientenkrankenakten.
Sicherheitscontainment
Schutzhülle zum Einschluss der -Ź Radioaktivität eines -Ź
Reaktors, die besonders hohe Anforderungen hinsichtlich
Dichtheit und Stabilität erfüllt.
Sievert
Einheit der -Ź effektiven Dosis und der -Ź Äquivalentdosis.
Solider Tumor
-Ź Tumor eines Organs.
Somatisch
körperlich
Somatisches Strahlenrisiko
Risiko für eine körperliche Schädigung der von der Bestrahlung betroffenen Person; zur Unterscheidung vom genetischen Risiko, das für die Schädigung der Folgegenerationen
besteht.
Spaltprodukte
-Ź Nuklide, die bei der Spaltung schwerer -Ź Atomkerne
entstehen.
Spezifische Aktivität
Verhältnis der -Ź Aktivität eines -Ź Radionuklids zur Masse
des Materials, in dem das Radionuklid verteilt ist.
Spontanspaltung
Spaltung schwerer Atomkerne in mehrere größere Bruchstücke ohne äußere Einwirkungen.
294
Sterilität
Zustand der Unfruchtbarkeit.
Stochastische Strahleneffekte
Hierbei führt eine Erhöhung der -Ź Dosis zu einer höheren
Eintrittswahrscheinlichkeit der Strahlenschäden. Eine -Ź
Schwellendosis gibt es hier nicht (vgl. -Ź deterministische
Strahleneffekte).
Strahlenbiologisch, Strahlenbiologie
Wissenschaft, die die Wechselwirkungen zwischen -Ź
ionisierender Strahlung mit biologischer Materie untersucht.
Strahlendosis
Dosis an -Ź ionisierender Strahlung.
Strahlenexposition
Einwirkung -Ź ionisierender Strahlung auf den Menschen.
Strahlenschutzbereich
Gekennzeichneter Bereich, in dem mit erhöhter -Ź Strahlenexposition zu rechnen ist.
Strahlenunfall
Ereignisablauf, der für eine oder mehrere Personen eine -Ź
effektive Dosis von mehr als 50 Millisievert zur Folge haben
kann.
Strahlung
Energieform, die sich als elektromagnetische Welle oder als
Teilchenstrahlung ausbreitet.
- direkte Strahlung: -Ź Alpha- oder -Ź Beta-Strahlung
- indirekte Strahlung: -Ź Photonen (-Ź Gamma- und Röntgenstrahlung) oder -Ź Neutronenstrahlung
Strahlungsquelle
-Ź Radioaktive Quelle
Strahlenschutzverordnung (StrlSchV)
Verordnung über den Schutz vor Schäden durch die Anwendung radioaktiver Substanzen.
Strontium-90
Der -Ź Beta-Strahler entsteht bei der -Ź Kernspaltung von
-Ź Uran.
295
Strahlenschutzvorsorgegesetz (StrVG)
Verordnung zur Vorsorge vor Schäden durch ionisierende
Strahlung.
Szintigramm
Abbildung der Radioaktivitätskonzentration im Körper.
T
Teilchenstrahlung
Aus geladenen (z. B. -Ź Elektronen, -Ź Protonen) oder ungeladenen Teilchen (z. B. Neutronen, Neutrinos) bestehende Strahlung (im Gegensatz zur elektromagnetischen Wellenstrahlung).
Teleradiologie
Durchführung einer Röntgenuntersuchung, bei der der verantwortliche Arzt per (Bild-)Telefon mit den durchführenden
Personen in Verbindung steht.
Thorium
-Ź Isotop 232 ist ein -Ź Alpha-Strahler.
TNT
Abkürzung für den wichtigen Explosivstoff Trinitrotoluol,
dessen Sprengwirkung als Maß der Wirkung von -Ź Nuklearwaffen dient.
Tochternuklid
Aus einer Kernumwandlung (-Ź radioaktiver Zerfall) entstehendes Nuklid.
Track-etch-Detektor (Kernspurdetektor)
Bestimmte Materialien, bei denen nach elektrochemischer
Ätzung die Einschlagstellen der Alpha-Teilchen vergrößert
dargestellt und elektronisch oder visuell mit dem Mikroskop
gezählt werden können.
Transferfaktor
Beschreibt quantitativ den Übergang eines Radionuklids von
einem Compartment in ein anderes (z. B. Boden - Pflanze,
Futterpflanze - Milch usw.).
Triage
Einteilen von Verletzten (unter Katastrophenbedingungen)
nach zunehmender Verletzungsschwere.
296
Tritium
Radioaktives -Ź Isotop des Wasserstoffs, das -Ź Betastrahlung sehr niedriger Energie aussendet.
Tschernobylforum
Sammelt seit 2003 im Auftrag der -Ź Weltgesundheitsorganisation (WHO) wissenschaftliche Daten über die Auswirkungen der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl auf die Gesundheit, Psyche, Wirtschaft und Umwelt
Tschernobyl-Verordnung
Die Verordnung (EWG) Nr. 737/90 der Europäischen Kommission legt für die Einfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse
mit Ursprung in Drittländern Höchstwerte an -Ź Radioaktivität fest, deren Einhaltung von den Mitgliedsstaaten überprüft
wird.
U
United Nations Scientific Committee on the Effects of
Atomic Radiation (UNSCEAR)
Deutsch: Komitee der Vereinten Nationen über die Wirkung
von atomarer Strahlung, ein wissenschaftliches Komitee,
das regelmäßig Berichte für die UN-Vollversammlung über
die -Ź Strahlenexposition und die Wirkungen -Ź ionisierender Strahlung erstellt.
Uptake
Aufnahme eines -Ź Radionuklids und dessen Anreicherung
in einem bestimmten Organ.
Uran
Uran kommt in der Natur (-Ź Natururan) hauptsächlich in
zwei -Ź Isotopen vor: U-238 und U-235; es enthält weniger
als 1 Prozent spaltbares Uran (U-235).
- Beim angereicherten Uran wird der Anteil an U-235 gegenüber dem U-238 durch Anreicherung erhöht. Schwach
angereichertes Uran, englisch: low-enriched uranium
(LEU), enthält etwa 2-4 % U-235; es wird gewöhnlich in
-Ź Kernreaktoren eingesetzt. Hoch angereichertes, englisch: high-enriched uranium (HEU), enthält mehr als 20 %
U-235; es kann auch zur Herstellung von -Ź Nuklearwaffen verwendet werden.
297
- Abgereichertes Uran, englisch: depleted uranium (DU), ist
ein Rückstand, der bei der Erzeugung von -Ź Brennstäben oder -Ź Nuklearbomben entsteht. Es besteht zu fast
100 Prozent aus U-238. DU ist chemisch hochgiftig und
schwach radioaktiv.
Urananreicherungsanlage
Einrichtung, in der der Prozentsatz des spaltbaren -Ź lsotops -Ź Uran-235 über den Gehalt von 0,72 % des -Ź Natururans hinaus gesteigert wird.
Urandioxid (UO2)
Häufigstes Uranoxid und chemisch sehr stabil. Der -Ź Kernbrennstoff für die meisten -Ź Reaktoren ist heute Urandioxid, früher wurde dagegen oft metallisches -Ź Uran (U)
verwendet.
V
Verifikation
Vorgehen, das durch Überprüfung die Richtigkeit bestätigt.
W
Weichteilgewebe
Repräsentiert im Mittel die Eigenschaften aller Körpergewebe mit Ausnahme der Knochen und Knorpel. Definition für
die -Ź Dosimetrie: Homogenes Material mit einem Massegehalt von 10,1 % Wasserstoff, 11,1 % Kohlenstoff, 2,6 %
Stickstoff und 76,2 % Sauerstoff.
Wellenstrahlung
Aus elektromagnetischen Wellen bestehende Strahlung
(z. B. Licht, Radiowellen, Röntgen- und -Ź Gammastrahlen).
Weltgesundheitsorganisation
Englisch: World Health Organization (WHO).
Wiederaufarbeitungsanlage
Anlage, in der die Stoffe -Ź Uran und -Ź Plutonium (in
Form chemischer Verbindungen) aus verbrauchten -Ź
Brennelementen zurück gewonnen und die hoch radioaktiven Abfälle abgetrennt werden.
298
Z
Zerfallsreihe
Für ein -Ź Radionuklid charakteristisches Zerfallsschema
über wiederum instabile -Ź Tochternuklide bis zu seinem
letztlich stabilen Tochternuklid.
Zwischenlager
Zeitlich befristete Lagerung bestrahlter -Ź Brennelemente
oder radioaktiver Abfälle vor ihrer -Ź Endlagerung.
Zyklotron
Beschleuniger für positiv geladene Teilchen (Protonen,
Deuteronen, Alphateilchen). Die Teilchen laufen unter
Einfluss eines magnetischen Feldes auf halbkreisförmigen
Bahnen von zunehmendem Durchmesser und treten jeweils
nach halbem Umlauf aus der einen in die andere
Umlaufkammer über, wodurch sie beschleunigt werden und
hohe kinetische Energien gewinnen. Zyklotrone werden in
der Medizin zur Erzeugung kurzlebiger Radioisotope und zur
Neutronentherapie eingesetzt.
299
8.
Sachverzeichnis
A
Abschirmung der Strahlung 12
Abwehr- und Reparaturmechanismen vielzelliger Systeme 44
Adaptive Reaktionen 43
Äquivalentdosis (H) 20
Ärztliche Stelle 216
Aktivitätskonzentration in Luft und Wasser, Höchstwerte 221
Akute Bestrahlung 37
Akute Strahlenkrankheit 51
Akute Strahlenkrankheiten nach einmaliger Ganzkörperexposition 54
Akute Strahlenschäden 53
Alphastrahlung 6
Anpassungsreaktionen von Organismen 62
Apoptose 36
Atome 1
Ausbreitungsmodelle radioaktiver Stoffe in der Atmosphäre 135
Ausbreitung radioaktiver Stoffe in Gewässern 143
B
Bestrahlung des roten Knochenmarks 45
Betastrahlung 6
Biologische Dosimetrie 39
Biologische Grundlagen 25
Bystander Effekte 41
C
Chronische Bestrahlung 37
Chronische Strahlenkrankheit 51
Comptoneffekt 11
Computer-Tomographie (CT) 114, 119
D
Dekontaminationsmöglichkeiten 198
Dekorporationsmöglichkeiten 200
Deterministische Spätschäden 61, 62
Deterministische Strahlenwirkungen 50
Diagnostische Referenzwerte 215
Digitale Radiographie 117
Digitale Subtraktionsangiographie (DSA) 118
DNS-Doppelstrangbrüche (DSB) 32
300
DNS-Schäden 32
Dosisleistung 18
Druckwasserreaktor 87
E
Effektive Dosis (E) 15
Effekte durch chronische Strahlenexposition mit niedriger
Dosisrate 61
Effektüberschneidungen 48
Energiedosis (D) 13
Energieerzeugung 82
Epidemiologische Studien (Fall-Kontroll-Studien) 185
Epidemiologische Studien an exponierten Populationen 69
Externe Strahlenexposition 155
F
Faktorabhängigkeit der Strahlenwirkungen 52
G
Gammakamera 105
Gammastrahlung 6
Genetisch signifikante Dosis 16
Genetische Mutationen 34
Genetische Strahlenwirkungen 52
Genom-Instabilität 36
Gesetzliche Strahlenschutzvorschriften 204
Gray (Gy) 13
Grenzmonitoring 258
H
Herz-Diagnostik, nuklearmedizinisch 110
Hiroshima und Nagasaki, Überlebende 66
Hormesis und kleine Dosen 76
I
Immissions- und Emissionsüberwachung 219
Immissionsmesssystem für Radioaktivität (IfR) 254
Improvisierte Nuklearbombe 250
Industrie 92
Ingestion 150
Inhalation 151
Inkorporation 200
Integriertes Mess- und Informationssystem (IMIS) 252
Internationale Strahlenschutzkommission (ICRP) 67
Interne Strahlenexposition 149, 167
Interventionelle Radiologie 118
301
Interzeption 140
Iodblockade zur Strahlenschutzvorsorge 240
Ionendosis (J) 13
Isotope 2
K
Kalibrierquellen 95
Katastrophenschutz 260
Katastrophenschutz, abwehrende Maßnahmen 262
Katastrophenschutz, vorbeugende Maßnahmen 261
Katastrophenschutz-Maßnahmen 260
Kernfusion 83
Kernspaltung 84
Kollektivdosis 16
Kontamination von Pflanzen 144
Kontamination von Tierprodukten 146
Konventionelle Röntgendiagnostik 118
Kosmische Strahlung 158
Kosmogene Radionuklide 163
Kritische Organe 17
L
Letal-Dosen 36
Leukämie 45
Leukämie nach Tschernobylunfall 236
Lineares Energie-Übertragungsvermögen (LET) 20
M
Mechanismen der Zellschädigung 28
Medizinische Strahlenexposition 180
Messgrößen im Strahlenschutz 20
Missbildungen 60
Missbrauch von radioaktiven Stoffen 243
N
Nasse Deposition 139
Neutronen-Therapie 122
Nieren-Diagnostik, nuklearmedizinisch 111
Nuklearkriminalität 243
Nuklearterrorismus 248
Nuklide 2
P
Paarbildung 11
Partikel- und Photonenstrahlung 100
Perkutane Strahlentherapie (Radioonkologie) 121
302
Personenkontamination 198
PET/CT-Systeme 114
Photoeffekt 11
Physiologische Abwehr- und Anpassungsreaktionen biologischer Systeme 73
Polymerisation von Kunststoffen 94
Positronen-Emissions-Tomographie (PET) 112
Projektions-Radiographie 118
Protonen-Therapie 122
R
Radioaktive Abfälle 124
Radioaktive Abfälle, Behandlungsmethoden 125
Radioaktive Abfälle, Quellen 124
Radioaktive Stoffe, Verhalten in der Umwelt
(Radioökologie) 130
Radioaktive Stoffe, Ausbreitung in der Atmosphäre 132
Radioaktivität 2
Radioaktivitätsmessungen beim grenzüberschreitenden Ver-kehr 257
Radiographie 93
Radioisotope, Herstellung 95
Radioisotope in der Wissenschaft 97
Radionuklide in der Medizin, Voraussetzungen 101
Radionuklide in der medizinischen Diagnostik 104
Radionuklide in der Therapie 115
Radionuklide in Nahrungsketten 144
Radioökologie 17
Radiopharmaka 106
Radiopharmazeutika 106
Radon 167
Radon-/Radium-Therapie 123
Rauchmelder 96
Reaktortypen 85
Reaktorunfälle 227
Reaktorunfall von Tschernobyl 228
Reaktorunfall von Tschernobyl, gesundheitliche Folgen 231
Reaktorunfälle vor Tschernobyl 227
Rechtfertigende Indikation 214
Regel- und Messeinrichtungen 96
Regionale Strahlenschutzzentren 264
Reichweite der Strahlung 9
Relative Biologische Wirksamkeit (RBW) 31
REMPAN-Netzwerk der WHO 265
303
Reparatur von Strahlenschäden 33
Resuspension 142
Risikoanalyse 63
Risikoanalyse, Modifikationen 71
Risikoanalyse, sekundäre Faktoren 65
Röntgendiagnostik 116
Röntgendurchleuchtung 117
Röntgenfluoreszenz-Analyse 93
Röntgenverordnung (RöV) 211
S
Schilddrüsen-Diagnostik, nuklearmedizinisch 108
Schilddrüsenerkrankungen nach Tschernobylunfall 235
Schmutzige Bombe 249
Siedewasserreaktor 87
Sievert (Sv) 14
Single-Photon-Emissions-Computer-Tomographie (SPECT) 112
Skelett-Diagnostik, nuklearmedizinisch 109
Somatische Spätschäden nach Strahlenexposition mit hoher
Dosis/-rate 62
SPECT/CT-Systeme 115
Sterilisation und Konservierung 94
Stochastische Spätschäden 49,-63
Stochastische Strahlenwirkungen 47
Strahlenarten 5
Strahlendosen nach Tschernobylunfall 234
Strahlendosisbegriffe 13
Strahleneinfangereignisse 38
Strahlenempfindliche Teile der Zelle 31
Strahlenexposition aus natürlichen Quellen 157
Strahlenexposition aus zivilisatorischen Quellen 171
Strahlenexposition, beruflich 184
Strahlenexposition des Flugpersonals 163
Strahlenexposition durch den Betrieb von Kernkraftwerken, Beschäftigte 90
Strahlenexposition durch den Betrieb von Kernkraftwerken, Bevölkerung 90
Strahlenexposition durch den Reaktorunfall von Tschernobyl 176
Strahlenexposition durch den Transport von radioaktiven Stoffen (Castor) 178
Strahlenexposition durch nuklearmedizinische Untersuchungen 106, 107
304
Strahlenexposition durch Quellen in Industrie, Wissenschaft
und Medizin 179
Strahlenexposition in der Nähe kerntechnischer Anlagen 171
Strahlenexposition in der Röntgendiagnostik 121
Strahlenexposition in Deutschland durch Tschernobyl 238
Strahleninduzierte Störungen des biologischen Gleichgewichtes 43
Strahlenschäden der Haut, verstärkende 58
Strahlenschäden der Keimdrüsen 58
Strahlenschäden des ungeborenen Lebens 59
Strahlenschäden, späte 61
Strahlenschutz und gesetzliche Vorschriften 194
Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) 204
Strahlenschutz vor äußerer Exposition 194
Strahlenschutzvorsorgegesetz (StrVG) 218
Strahlenschutzvorsorgezentren 264
Strahlungs-Wichtungsfaktor 13
Szintigramm 105
T
Teleradiologie 215
Terrestrische Strahlung 164
Tomographie-Verfahren, nuklearmedizinisch 112
Trockene Deposition 138
Tschernobyl-Verordnung 257
U
Überwachung der Umweltradioaktivität in Bayern 252
Umgang mit radioaktiven Stoffen, Genehmigungspflicht 223
Umgebungsüberwachung bayerischer Kernkraftwerke 256
Unterschiedliche Strahlenempfindlichkeiten im Körper 35
W
Wechselwirkung der Strahlung mit der Materie 9
Werkstoffprüfung 93
Wirkungsweise ionisierender Strahlen 25
Wirkungsweise ionisierender Strahlen auf vielzellige Organismen 40
Z
Zellen als kleinste Funktionseinheiten 25
Zellerneuerungssysteme 53
Zwischen- und Endlager 126
305
www.gesundheit.bayern.de
Herausgeber:
Bayerisches Staatsministerium für
Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz (StMUGV)
Rosenkavalierplatz 2, 81925 München
Internet:
E-Mail:
Stand:
Druck:
www.stmugv.bayern.de
[email protected]
Oktober 2006
Medienhaus Mintzel-Münch GmbH, Hof
© StMUGV, alle Rechte vorbehalten
Gedruckt auf 100 % Recyclingpapier
Diese Druckschrift wird kostenlos im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Bayerischen
Staatsregierung herausgegeben. Sie darf weder von den Parteien noch von Wahlwerbern oder Wahlhelfern im Zeitraum von fünf Monaten vor einer Wahl zum Zweck
der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für Landtags-, Bundestags-, Kommunalund Europawahlen. Missbräuchlich ist während dieser Zeit insbesondere die Verteilung
auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen,
Aufdrucken und Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt
ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte zum Zweck der Wahlwerbung. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl darf die Druckschrift nicht in einer Weise verwendet werden, die als Parteinahme der Staatsregierung zugunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Den Parteien ist es gestattet,
die Druckschrift zur Unterrichtung ihrer eigenen Mitglieder zu verwenden. Bei publizistischer Verwertung - auch von Teilen - Angabe der Quelle und Übersendung eines
Belegexemplars erbeten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte sind vorbehalten. Die Broschüre wird kostenlos abgegeben, jede entgeltliche Weitergabe ist
untersagt. Diese Broschüre wurde mit großer Sorgfalt zusammengestellt. Eine Gewähr
für die Richtigkeit und Vollständigkeit kann dennoch nicht übernommen werden.
Bayern Direkt ist Ihr direkter Draht zur Bayerischen Staatsregierung.
Unter Telefon 0 18 01/20 10 10 (4,6 Cent pro Minute aus dem Festnetz
der Deutschen Telekom) oder per E-Mail unter direkt @ bayern.de
erhalten Sie Informationsmaterial und Broschüren, Auskunft zu aktuellen Themen und Internetquellen sowie Hinweise zu Behörden, zuständigen Stellen und Ansprechpartnern bei der Bayerischen Staatsregierung.

Documents pareils