Radioaktivität, Röntgenstrahlen und Gesundheit Strahlenschutz
Transcription
Radioaktivität, Röntgenstrahlen und Gesundheit Strahlenschutz
Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz Radioaktivität, Röntgenstrahlen und Gesundheit Strahlenschutz Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz Radioaktivität, Röntgenstrahlen und Gesundheit Oktober 2006 Strahlenschutz Gesamtkoordinierung und Gesamtleitung: Prof. Dr. K. Hahn Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin Ziemssenstr. 1, 80336 München E-Mail: [email protected] Autoren: Prof. Dr. L. Feinendegen Wannental 45, 99131 Lindau am Bodensee E-Mail: [email protected] Prof. Dr. K. Hahn Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin Ziemssenstr. 1, 80336 München E-Mail: [email protected] Dr. Dr. Hubert Löcker GSF – Institut für Strahlenschutz Ingolstädter Landstr. 1, 85764 Neuherberg E-Mail: [email protected] Dr. Heinz Müller GSF – Institut für Strahlenschutz Ingolstädter Landstr. 1, 85764 Neuherberg E-Mail: [email protected] Prof. Dr. H. G. Paretzke GSF – Institut für Strahlenschutz Ingolstädter Landstr. 1, 85764 Neuherberg E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Ch. Reiners Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin Josef-Schneider-Str. 2, 97980 Würzburg E-Mail: [email protected] PD Dr. Werner Rühm GSF – Institut für Strahlenschutz Ingolstädter Landstr. 1, 85764 Neuherberg E-Mail: [email protected] Dr. Rita Schneider Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin Josef-Schneider-Str. 2, 97980 Würzburg E-Mail: [email protected] Dr. Ch. Zach Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin Ziemssenstr. 1, 80336 München E-Mail: [email protected] II Vorwort Radioaktive Stoffe, wie etwa das Uran, kommen seit der Entstehung der Erde in großem Umfang in der Natur vor oder werden künstlich hergestellt (wie z.B. Technetium-99m) und in Medizin und Technik verwendet. Als Abfallprodukte entstehen sie auch bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Seit der Entdeckung der Radioaktivität im Jahre 1896 durch A.H. Becquerel wird auch die Wirkung der von radioaktiven Stoffen ausgehenden Strahlung auf den Menschen untersucht. Gleiches gilt für die von Conrad Wilhelm Röntgen im Jahr 1895 entdeckte und nach ihm benannte Strahlung, die als ionisierende Strahlung vergleichbare Eigenschaften wie die von radioaktiven Stoffen ausgehende Strahlung besitzt. Besonders bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie und bei der Medizin hat die Frage nach der Auswirkung der Radioaktivität und der Röntgenstrahlung auf die Gesundheit der Menschen stets eine wichtige Rolle gespielt. Zuweilen wird in diesem Zusammenhang - oft aus mangelnder Kenntnis strahlenbiologischer Fakten oder aufgrund fehlerhafter Auswertung statistischer Daten - versucht, eine Beziehung zwischen einer an einem bestimmten Ort beobachteten erhöhten Zahl von Krebsfällen oder anderen Erkrankungen und den dort gemessenen oder vermuteten niedrigen Strahlendosen herzustellen. In der Öffentlichkeit erregen solche Behauptungen in der Regel beträchtliches Aufsehen. Die durchaus verständliche Folge derartiger beunruhigender Aussagen ist in der Regel eine häufig überzogene Angst vor jeglicher Strahlung. Diese Angst kann sich unter anderem auch aufgrund der Tatsache entwickeln, dass sich Radioaktivität der direkten Sinneswahrnehmung des Menschen entzieht und ihre Wirkungen für den Einzelnen nicht aus der Erfahrung heraus zu beurteilen sind. Der Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl am 26. April 1986 hat diese Angst verstärkt. Bei dem Unfall wurden sehr große Mengen an radioaktiven Stoffen freigesetzt; in der Umgebung musste ein Gebiet von etwa 1000 km2 evakuiert werden. Ein Teil der radioaktiven Spaltprodukte wurde von den Luftströmungen viele hundert Kilometer weit transportiert und auch in geringen Mengen in Mitteleuropa abgelagert. III Bei den geäußerten Ängsten vor der Radioaktivität und vor Röntgenstrahlen bleibt jedoch häufig unerwähnt, dass nach vielen Jahrzehnten weltweiter intensiver Forschung heute ein Wissensstand über die Wirkung der ionisierenden Strahlung erreicht ist, der die Kenntnisse über die Wirkung anderer Schadstoffe bei weitem übertrifft. Dieser hohe Kenntnisstand wird auch dadurch belegt, dass sich das prinzipielle Bild, das in Medizin und Biologie über die Strahlenwirkung besteht, in den letzten Jahrzehnten nicht mehr grundsätzlich geändert hat. Es wurden in dieser Zeit lediglich die Kenntnisse vertieft, noch unbekannte Detailmechanismen aufgeklärt und die anfänglich wegen noch unzureichender Daten unsicheren Risikoschätzungen präzisiert. Die vorliegende Broschüre, deren einzelne Kapitel von ausgewiesenen wissenschaftlichen Experten bearbeitet wurden, berücksichtigt den Kenntnisstand bis Mitte 2006. K. Hahn, München IV Inhalt Vorwort...................................................................... III 1. 1 Physikalische Grundlagen ...................... Ch. Zach 1.1 Bau der Atome ................................................. Nuklide und Isotope 1 1.2 Radioaktivität ................................................... Definitionen und Kenngrößen x Strahlenarten x Reichweite und Wechselwirkung mit Materie x Abschirmung 2 1.3 Dosisbegriffe.................................................... 13 1.4 Messgrößen im Strahlenschutz ..................... 20 1.5 Literatur ............................................................ 24 2. Biologische Grundlagen .......................... 25 L. Feindegen 2.1 2.2 Wirkungsweise ionisierender Strahlung auf einzelne Zellen ................................................. Zellen als kleinste Funktionseinheiten lebender Körper x Mechanismen der Zellschädigung x Strahlenempfindliche Teile der Zelle x Reparatur von Strahlenschäden in der Zelle x Unterschiedliche Strahlenempfindlichkeiten im Körper x Genom-Instabilität; Apoptose x Akute und chronische Bestrahlung x Biologische Dosimetrie Wirkungsweise ionisierender Strahlung auf vielzellige Organismen.................................... Bystander Effekte x Strahleninduzierte Störungen des biologischen Gleichgewichtes, adaptive Reaktionen x Abwehr- und Reparaturmechanismen vielzelliger Systeme x Stochastische Strahlenwirkungen x Deterministische Strahlenwirkungen x Genetische Strahlenwirkungen x Faktorenabhängigkeit der Strahlenwirkungen 25 40 V 2.3 Akute Strahlenschäden................................... Zellerneuerungssysteme x Akute Strahlenkrankheiten nach einmaliger Ganzköperexposition x Strahlenschäden der Haut, verstärkende Schäden x Strahlenschäden der Keimdüsen x Strahlenschäden des ungeborenen Lebens 53 2.4 Späte Strahlenschäden................................... Deterministische Spätschäden - Effekte durch chronische Strahlenexposition mit niedriger Dosisrate - Somatische Spätschäden nach Strahlenexposition mit hoher Dosis oder Dosisrate x Stochastische Spätschäden - Allgemeine Einleitung, Risikoanalyse - Sekundäre Faktoren bei der Risikoanalyse - Die Überlebenden in Hiroshima und Nagasaki - Für einzelne Organe geschätzte Risikoanteile am Gesamtrisiko - Andere epidemiologische Studien an exponierten Populationen 61 2.5 Anstehende Modifikationen der Risikoanalyse ............................................................. Die möglichen Dosis-Risiko Beziehungen für Strahlenkrebs x Physiologische Abwehr- und Anpassungsreaktionen biologischer Systeme 71 2.6 Hormesis und kleine Dosen ........................... 76 2.7 Literatur ............................................................ 80 3. Anwendung ionisierender Strahlung in Technik, Wissenschaft und Medizin .... 82 H. Müller, H. G. Paretzke, W. Rühm, K. Hahn 3.1 Energieerzeugung (Kernspaltung, Fusion)... Kernfusion x Kernspaltung x Reaktortypen x Strahlenexposition durch den Betrieb von Kernkraftwerken - Beschäftigte - Bevölkerung 82 3.2 Beispiele für Anwendungen in der Industrie Radiographie - Werkstoffprüfung – Röntgenfloureszenz-Analyse x Industriell genutzte Be- 92 VI strahlungsanlagen - Anlagen zur Sterilisation und Konservierung - Anlagen zur Polymerisation von Kunststoffen x Herstellung von Radioisotopen - Radioisotope in Kalibrierquellen - Radioisotope für Rauchmelder - Radioisotope in Regel- und Messeinrichtungen 3.3 3.4 Beispiele für Anwendungen in der Wissenschaft ................................................... Radioisotope x Partikel- und Photonenstrahlung x Untersuchungen im Forschungsreaktor Beispiele für Anwendungen in der Medizin zur Diagnostik und Therapie .......................... Radionuklide in der modernen medizinischen Diagnostik und Therapie - Voraussetzungen zur Anwendung von Radionukliden in der Medizin - Radionuklide in der Diagnostik - Spezielle nuklearmedizinische Untersuchungen Nuklearmedizinische Tomographie-Untersuchungsverfahren - Radionuklide in der Therapie x Röntgendiagnostik x Perkutane Strahlentherapie 96 101 3.5 Behandlung radioaktiver Abfälle ................... 124 3.6 Literatur ............................................................ 129 4. Strahlenexposition und Umweltradioaktivität .................................. 130 H. Löcker, H. Müller, H. G. Paretzke 4.1 Das Verhalten radioaktiver Stoffe in der Umwelt (Radioökologie).................................. Ausbreitung in der Atmosphäre x Einflussgrößen bei der Ausbreitung – Wind - Turbulenzzustand der Atmosphäre - Freisetzungshöhe Physikalisch-chemische Form x Ausbreitungsmodelle - Gauss-Modelle - Eulersche Ausbreitungsmodelle - Lagrangesche Ausbreitungsmodelle x Deposition und Verbleib auf Oberflächen - Trockene Deposition - Nasse Deposi- 130 VII tion – Interzeption - Verbleib auf Oberflächen Resuspension x Ausbreitung in Gewässern x Radionuklide in Nahrungsketten - Kontamination von Pflanzen - Kontamination von Tierprodukten - Einfluss der Verarbeitung und Lagerung auf die Kontamination x Interne Strahlenexposition - Ingestion - Inhalation - Verhalten der radioaktiven Stoffe im Körper x Externe Strahlenexposition - Strahlung aus einer „radioaktiven Wolke“ - Strahlung von abgelagerten Nukliden 4.2 Strahlenexposition aus natürlichen Quellen Externe Strahlenexposition - Kosmische Strahlung - Kosmogene Radionuklide - Terrestrische Strahlung x Interne Strahlenexposition Das radioaktive Edelgas Radon - Natürliche radioaktive Stoffe in der Nahrung x Gesamte natürliche Strahlenexposition 4.3 Strahlenexposition aus zivilisatorischen Quellen ............................................................. Strahlenexposition in der Nähe von kerntechnischen Anlagen x Strahlenexposition durch den Reaktorunfall von Tschernobyl x Strahlenexposition durch den Transport von radioaktiven Stoffen (Castor) x Strahlenexposition durch Quellen in Industrie, Wissenschaft und Medizin – Bestrahlungsanlagen - Zerstörungsfreie Materialprüfung - Leuchtziffern (Lumineszenz) - Radioisotope – Produktion und Versand - Bohrlochmessungen („Well Logging“) Beschleuniger x Medizinische Strahlenexposition x Berufliche Strahlenexposition 4.4 4.5 VIII 157 171 Problematik epidemiologischer Studien zur Strahlenexposition der Bevölkerung (Fallkontroll-Studien) ...................................... 185 Literatur ............................................................ 192 5. Strahlenschutz und gesetzliche Vorschriften .................................................. 194 Ch. Zach 5.1 Planung und Durchführung des praktischen Strahlenschutzes............................................. Schutz vor äußerer Exposition x Personenkontamination und Dekontaminationsmöglichkeiten x Inkorporation und Dekorporationsmöglichkeiten 5.2 Gesetzliche Schutzvorschriften ..................... Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) - Festlegung der Grenzwerte unter gesundheitlichen, gesellschaftspolitischen und ökonomischen Aspekten - Höchstwerte der Oberflächen- und massebezogenen Kontamination - Freigabeverfahren x Röntgenverordnung (RöV) x Neue Regelung in der StrlschV und in der RöV Rechtfertigende Indikation - Diagnostische Referenzwerte - Ärztliche Stelle - Berücksichtigung natürlicher Strahlenquellen bei der Arbeit x Strahlenschutzvorsorgegesetz - Immissionsund Emissionsüberwachung - Höchstwerte der Aktivitätskonzentration in Luft und Wasser 5.3 Genehmigungspflicht des Umgangs mit radioaktiven Stoffen ........................................ Genehmigungsvoraussetzungen (Rechtfertigung, Sicherheitsanforderungen) x Nachweis der Einhaltung der Schutzbestimmungen (Radioökologische Berechnungen u.a.) 194 204 223 5.4 Literatur ............................................................ 226 6. Vorsorgemaßnahmen bei Strahlenunfällen .......................................... 227 R. Schneider, Ch. Reiners 6.1 Reaktorunfälle (Beispiel Tschernobyl) .......... Reaktorunfälle vor Tschernobyl x Der Tschernobylunfall x Gesundheitliche Folgen des Tscher- 227 IX nobylunfalls - Exponierte Personen - Strahlendosen - Schilddrüsenerkrankungen - Leukämie - Andere solide Tumoren als Schilddrüsenkrebs - Andere gesundheitliche Effekte - Strahlenexposition in Deutschland durch Tschernobyl x Iodblockade als Maßnahme zur Strahlenschutzvorsorge 6.2 Missbrauch von radioaktiven Stoffen............ Nuklearkriminalität x Nuklearterrorismus „Schmutzige Bombe“ - Sabotage bzw. terroristischer Anschlag - Improvisierte Nuklearbombe x Gegenmaßnahmen 6.3 Überwachung der Umweltradioaktivität in Bayern ......................................................... Integriertes Mess- und Informationssystems (IMIS) zur Überwachung der allgemeinen Umweltradioaktivität x Immissionsmessnetz für Radioaktivität (IfR) zur Überwachung der Umweltradioaktivität x Umgebungsüberwachung bayerischer Kernkraftwerke x KernreaktorFernüberwachungssystem (KFÜ) 6.4 Radioaktivitätsmessungen beim grenzüberschreitenden Verkehr ................... „Tschernobyl-Verordnung“ x Grenzmonitoring 243 252 257 6.5 Katastrophenschutz-Maßnahmen.................. Katastrophenschutz - Zuständigkeit und rechtliche Grundlagen - Maßnahmen x Strahlenschutzvorsorgezentren 260 6.6 Literatur ............................................................ 266 7. Erläuterung von Fachbegriffen .............. 274 8. Sachverzeichnis .......................................... 300 X 1. 1.1 Physikalische Grundlagen Bau der Atome Die belebte und unbelebte Materie setzt sich aus kleinsten Bausteinen, den Atomen, zusammen. Diese bestehen aus dem Atomkern und der Atomhülle. Nahezu die gesamte Masse des Atoms ist im Kern konzentriert; die Atomhülle umgibt den Kern wie eine Wolke. Der Atomkern ist aus zwei verschiedenen Bausteinen aufgebaut, Nukleonen genannt. Es sind dies: x Das Proton (p), es trägt eine positive Elementarladung und hat definitionsgemäß die Massenzahl 1. x Das Neutron (n), das elektrisch neutral und gleich schwer wie das Proton ist. Es besitzt also ebenfalls die Massenzahl 1. Die Anzahl der Protonen im Atomkern, die Kernladungszahl, kennzeichnet das chemische Element. Beispiele: Wasserstoff Helium Kohlenstoff Uran 1 2 6 92 Proton Protonen Protonen Protonen Die Summe der Nukleonen (p+n, Protonen und Neutronen) im Kern nennt man die Massenzahl des betreffenden Atoms. Die Hülle eines Atoms wird aus Elektronen gebildet. Sie tragen je eine negative Elementarladung und besitzen nur etwa 1/2000 der Protonenmasse. Die Zahl der Elektronen in der Hülle entspricht der Zahl der Protonen im Kern, das Atom ist also nach außen hin elektrisch neutral. Die Elektronen befinden sich in verschiedenen Schalen – mit den Buchstaben K bis Q bezeichnet – in unterschiedlichen Abständen vom Kern und sind unter anderem für die Fähigkeit der meisten Atome verantwortlich, miteinander chemische Bindungen einzugehen, also Moleküle zu bilden. Der Durchmesser des Atomkerns verhält sich zum Durchmesser der Atomhülle etwa wie 1:100000, das entspricht dem Durchmesser eines Streichholzkopfes im Verhältnis zu einem 200 m hohen Fernsehturm. 1 Nuklide und Isotope Allgemein nennt man Atome, die durch die Summe der Nukleonen im Kern, die Massenzahl, bestimmt sind, Nuklide. Man fügt zu ihrer Bezeichnung dem Elementnamen oder dem Elementsymbol die Massenzahl zu: Wasserstoff-2 (H-2), Kohlenstoff-14 (C-14) oder Iod-131 (I-131) sind also Nuklide. Von jedem chemischen Element gibt es eine Reihe verschiedener Nuklide, die sich nur durch die Zahl der Neutronen im Kern unterscheiden. Sie nennt man Isotope. Isotope eines Elements besitzen gleiche chemische Eigenschaften. Beispiele: Die Nuklide Wasserstoff-1 (H-1) mit 1p, Wasserstoff-2 (H-2) „Deuterium" mit 1p+1n und Wasserstoff-3 (H-3) „Tritium" mit 1p+2n sind Wasserstoffisotope (Abb. 1.1); die Nuklide Kohlenstoff-12 (C-12) mit 6p+6n und Kohlenstoff-14 (C-14) mit 6p+8n sind Kohlenstoffisotope; die Nuklide Uran-235 (U-235) mit 92p+143n beziehungsweise Uran-238 (U-238) mit 92p+146n sind Uranisotope. Abb. 1.1 Die Kerne der Wasserstoffisotope: Wasserstoff, Deuterium und Tritium 1.2 Radioaktivität Die Zahl der Neutronen im Atomkern ist für jedes Element nur in bestimmten Grenzen variabel (maximal um etwa 40), wobei mit steigender Kernladungszahl das Verhältnis zwischen Neutronen und Protonen insgesamt zunimmt. Zum Aufbau eines stabilen Atomkerns sind innerhalb dieser Grenzen allerdings nur wenige Werte „erlaubt". 2 Für einen stabilen Wasserstoffkern darf das Verhältnis nicht über 1:1 liegen (1 Proton und maximal 1 Neutron); ein stabiler Atomkern des Eisens darf zu seinen 26 Protonen nur 28, 30, 31 oder 32 Neutronen besitzen (Verhältnis im Mittel knapp 1:1,2); beim Blei (82p) sind es 122, 126, 127 oder 130 Neutronen (Verhältnis etwa 1:1,5). Definitionen und Kenngrößen Die meisten in der Natur vorkommenden Elemente und ihre Isotope sind stabil, es gibt aber auch einige natürliche Isotope, die instabil sind, beispielsweise Tritium, Kohlenstoff-14, Kalium-40, Rubidium-87, Platin-190, Blei-204 und die Isotope der „schweren" Elemente, zum Beispiel des Poloniums, Radiums, Radons, Thoriums oder Urans (siehe auch Abschnitt 4.2). Sie alle sind durch die bei der Kernumwandlung freigesetzte Strahlungsenergie die Quelle der Erdwärme. Der französische Physiker Antoine-Henri Becquerel beobachtete an einem natürlich vorkommenden instabilen Element im Jahre 1896 erstmals die bei Kernumwandlungen auftretende Strahlung: Er entdeckte, dass von Uransalzen eine Strahlung ausging, die lichtdicht verpackte Photoplatten zu schwärzen in der Lage war. Seine Schüler Marie und Pierre Curie fanden 1898 die gleiche „Becquerel-Strahlung" bei den von ihnen entdeckten Elementen Thorium, Radium und Polonium. Sie nannten diese Erscheinung, dass ein Stoff ohne vorherige Anregung und von außen nicht beeinflussbar Strahlung aussendet, Radioaktivität (= Strahlungsaktivität). Da der ursprüngliche Stoff dabei allmählich „verschwindet" und die ablaufenden physikalischen Vorgänge noch unbekannt waren, prägte man damals den Begriff radioaktiver Zerfall. Diese Bezeichnung, die dem eigentlichen Vorgang (Kernumwandlung!) nicht gerecht wird, ist bis heute in der wissenschaftlichen Literatur gebräuchlich geblieben. Die Anzahl der in der Zeiteinheit zerfallenden Kerne bezeichnet man als Aktivität. Die Einheit der Aktivität ist seit 1978 das Becquerel (Bq), das ist die Zahl der Zerfallser3 eignisse pro Sekunde. 1 Bq entspricht einem Zerfall in einer Sekunde. Die bis 1977 gebräuchliche Einheit war das Curie (Ci), die Aktivität von einem Gramm Radium-226. In 1 g Ra-226 ereignen sich pro Sekunde 37 Milliarden Zerfälle. 1 Ci entspricht also 37 Milliarden Bq. Da das Becquerel eine sehr kleine Einheit ist, verwendet man häufig die dezimalen Vielfachen Kilobecquerel (1 kBq = 1·103 Bq = 1.000 Bq), Megabecquerel (1 MBq = 1·106 Bq = 1.000.000 Bq) und Gigabecquerel (1 GBq = 1·109 Bq = 1.000.000.000 Bq). Die Aktivität pro Masseeinheit (zum Beispiel Bq/g) nennt man spezifische Aktivität. Ra-226 hat also eine spezifische Aktivität von 37 Milliarden Bq/g (= 3,7·1010 Bq/g). Der radioaktive Zerfall ist ein statistisches Ereignis und erfolgt nach den Gesetzen einer Exponentialfunktion: In gleichen Zeitabschnitten zerfällt immer der gleiche Prozentsatz der noch vorhandenen radioaktiven Kerne. Trägt man die Zahl der noch vorhandenen Atome gegen die Zeit auf, erhält man die Kurve der Abb. 1.2. Es ist daher keine genaue Aussage darüber möglich, wann das letzte Atom zerfallen sein wird, es lässt sich aus der Kurve aber exakt ablesen, nach welcher Zeit sich die Hälfte der ursprünglich vorhandenen radioaktiven Kerne umgewandelt hat. Diese Zeit wird Halbwertszeit genannt. Nach einer Halbwertszeit sind noch die Hälfte, nach zwei Halbwertszeiten ein Viertel und nach drei Halbwertszeiten ein Achtel der ursprünglichen Kerne vorhanden. Die Halbwertszeiten der einzelnen Radionuklide sind sehr unterschiedlich. Manche natürlichen Radionuklide besitzen eine so lange Halbwertszeit, dass sie wegen der schwierigen Nachweisbarkeit ihrer äußerst geringen Strahlung bis vor kurzem noch als stabil galten. Der derzeitige „Spitzenreiter" unter den natürlichen Radionukliden, das Tellur-128, besitzt eine Halbwertszeit von 1,5 Trilliarden Jahren (eine 15 mit 20 Nullen). Sein doppelter ȕ--Zerfall zum Xenon-128 wurde erst Ende der 70er Jahre entdeckt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass noch langlebigere, zurzeit als stabil angesehene Radionuklide gefunden werden. Das natürliche Polonium-214 hat dagegen nur eine Halbwertszeit von 0,00016 Sekunden. Ähnliche Spannen gibt es auch bei den künstlichen Radionukliden, beispielsweise 15,7 Millionen 4 Jahre für das Iod-129 und 0,0000001 Sekunden (= 1·10-7 s = 0,1 µs) für Thorium-218. Abb. 1.2. Die Halbwertszeit beim radioaktiven Zerfall Strahlenarten Die Zahl der stabilen Isotope jedes Elements ist also relativ klein, von manchen Elementen existiert sogar kein einziges. Alle Atomkerne mit zu viel oder zu wenig Neutronen oder mit aus anderen kernphysikalischen Gründen „unerlaubten" Neutronenzahlen (zum Beispiel Eisenatomkerne mit 29 Neutronen) sowie die Kerne mit den Kernladungszahlen 43 (Technetium) und 61 (Promethium) und die „schweren Kerne" mit Kernladungszahlen ab 84 (Polonium) sind instabil. Die durch Spaltung schwerer Kerne (mit ihren im Verhältnis zu den Protonen hohen Neutronenzahlen) entstehenden leichteren Spaltprodukte besitzen in der Regel einen Neutronenüberschuss und sind deswegen instabil. Alle nicht stabilen Atomkerne wandeln sich unter Abgabe energiereicher Strahlung – teilweise in mehreren Stufen – in stabile Kerne um. 5 Beispiele: Beim Wasserstoff ist mehr als ein Neutron nicht „erlaubt". Im Tritium-Kern wandelt sich daher ein Neutron unter Aussendung eines negativ geladenen Betateilchens (ȕ-) in ein Proton um (wie in Abb. 1.3 Mitte für ein schwereres Nuklid dargestellt). Die Betateilchen sind Elektronen wie die Hüllelektronen auch. Da sie aber aus dem Kern stammen, erhielten sie zur Unterscheidung von den Hüllelektronen diese besondere Bezeichnung. Bei der Beta-Umwandlung nimmt die Zahl der Neutronen im Kern um 1 ab, die Zahl der Protonen um 1 zu. Die Kernladungszahl steigt damit um 1, die Massenzahl bleibt unverändert. Es entsteht im vorliegenden Falle das Helium-3, ein stabiles Nuklid. Der schwere Kern des Uran-238 sendet – gewissermaßen zur „Erleichterung" – einen kompletten kleinen Atomkern aus (Abb. 1.3 oben), bestehend aus 2 Protonen und 2 Neutronen, ein Alphateilchen (Į = Heliumkern). Die Kernladungszahl nimmt dadurch um 2, die Massenzahl um 4 (2p+2n) ab. Es entsteht das Nuklid Thorium234, das als „schweres Element" seinerseits ebenfalls instabil ist und sich weiter umwandelt. Die Umwandlungen durch Alpha- oder Betastrahlung geschehen so oft, bis am Ende einer solchen Zerfallsreihe ein stabiler Kern entsteht, in diesem Falle dann das Bleiisotop Blei-206. Abb. 1.3 Strahlenarten beim radioaktiven Zerfall 6 Das jeweilige Produkt einer Kernumwandlung – gleichgültig ob stabil oder nicht – wird als Tochternuklid bezeichnet. Die Aussendung der Teilchenstrahlen (Alpha- oder Betastrahlung) hinterlässt in vielen Fällen einen energetisch angeregten Kern. Diese Anregungsenergie wird dann durch Abgabe einer energiereichen elektromagnetischen Wellenstrahlung, der Gammastrahlung (Ȗ), abgebaut (Abb. 1.3 unten). Durch die Aussendung von Gammastrahlung ändern sich weder die Kernladungs- noch die Massenzahl. In den meisten Fällen ist die Lebensdauer des angeregten Zustandes unmessbar klein, das heißt, die Gammastrahlung erfolgt praktisch gleichzeitig mit der Beta- oder Alphastrahlung. Es gibt aber auch Fälle (metastabile Zustände), in denen der angeregte Kern eine messbare Lebensdauer besitzt. Derartige Nuklide werden mit einem an die Massenzahl angehängten m gekennzeichnet, zum Beispiel Barium-137m. Wie jede elektromagnetische Wellenstrahlung transportiert auch die Gammastrahlung die Energie in genau festgelegten „Päckchen" (Quanten), die um so energiereicher sind, je kürzer die Wellenlänge ist. Damit besitzt auch Wellenstrahlung gewisse Teilcheneigenschaften. Die Quanten der kurzwelligen elektromagnetischen Wellenstrahlung (zum Beispiel von sichtbarem Licht, UV-, Röntgen oder Gammastrahlen) werden auch als Photonen bezeichnet. In manchen Fällen wird die Anregungsenergie des Kerns nicht als Gammaquant abgestrahlt, sondern durch elektromagnetische Wechselwirkung auf ein Hüllelektron übertragen, das dann emittiert wird. Solche Elektronen, die zwar die Folge einer Kernumwandlung sind, selbst aber nicht aus dem Kern stammen, bezeichnet man als Konversionselektronen. Alpha-, Beta- oder Gammastrahlung verlassen den Kern mit einer für das jeweilige Nuklid spezifischen Strahlungsenergie. Als Maßeinheit wird das Elektronenvolt (eV) verwendet. Ein Elektronenvolt ist diejenige (Bewegungs-) Energie, die ein Teilchen mit einer Elementarladung nach Durchlaufen einer Potentialdifferenz von 1 Volt erhalten hat. Die beim radioaktiven Zerfall auftretenden Energien liegen in der Regel im Bereich von Kiloelektronenvolt (1 keV = 1·103 eV) 7 oder Megaelektronenvolt (1 MeV = 1·106 eV). Das Elektronenvolt ist eine winzige Energieeinheit: 1 MeV entspricht 1,6021·10-10 Joule. Radioaktive Nuklide (Radionuklide, Radioisotope) kann man, wie bereits angedeutet, auch künstlich erzeugen. Gelingt es beispielsweise, ein zusätzliches Neutron in einen Kern einzubauen, so bildet sich ein neues Isotop des betreffenden Elements. Der dadurch in der Regel hervorgerufene Neutronenüberschuss im Kern führt dann zur Umwandlung eines Neutrons in ein Proton und zur Aussendung eines Betateilchens. Durch Neutronenbestrahlung können also stabile Isotope eines Elements in Radioisotope umgewandelt werden. Dieser als Aktivierung bezeichnete Prozess spielt bei den Strukturmaterialien von Kernreaktoren (Reaktordruckbehälter, Brennstabhüllen usw.) eine wichtige Rolle. Die leichte Aktivierbarkeit mancher Elemente durch Bestrahlung mit Neutronen nutzt man auch zur analytischen Bestimmung winzigster Mengen dieser Elemente aus (Aktivierungsanalyse). Bei der Spaltung schwerer Kerne (Uran-235, Plutonium-239) entstehen, wie schon erwähnt, ebenfalls Radionuklide, die in der Natur in der Regel nicht vorkommen. Daneben ist die Erzeugung künstlicher Radionuklide auch durch Beschuss von Atomkernen mit geladenen Teilchen, beispielsweise Protonen oder kleinen Atomkernen, mit Hilfe aufwendiger Teilchenbeschleuniger (beispielsweise Zyklotronen) möglich. Damit können auch Radioisotope mit Protonenüberschuss hergestellt werden. Analog zu den Nukliden mit Neutronenüberschuss wandelt sich hier ein Proton in ein Neutron um, bei manchen Nukliden unter Abstrahlung eines positiv geladenen Teilchens mit der Masse eines Elektrons, eines Positrons (ȕ+), bei anderen Nukliden fängt sich der Kern aus einer kernnahen Elektronenschale (K- oder LSchale) ein Elektron ein, wodurch ein Proton dann zum Neutron „neutralisiert" wird (K-, L-Einfang, İ). In vielen Fällen können bei einem Nuklid beide Prozesse (mit unterschiedlicher Häufigkeit) stattfinden. Es gibt sogar Nuklide, bei denen ȕ-- und ȕ+-Zerfall und K-Einfang nebeneinander erfolgen (Kalium-40). Reine Positronenstrahler kommen in der Natur nicht vor. Bei der Wechselwirkung mit Materie 8 verhalten sich Positronen als „Antiteilchen" der Elektronen: Beim Zusammentreffen mit einem Elektron werden – entsprechend der Theorie von Materie und Antimaterie – die Massen beider Teilchen und ihre Bewegungsenergien vollständig in (elektromagnetische) Strahlungsenergie umgewandelt. Aus den Massen der beiden Teilchen entsteht eine charakteristische „Vernichtungsstrahlung", zwei Ȗ-Quanten mit je 0,511 MeV (Megaelektronenvolt). Manche schwere Kerne (ab dem Uran) zeigen mit einer gewissen Häufigkeit Spontanspaltungen; der Kern zerbricht dabei ohne äußere Einwirkung in zwei etwa gleich große Bruchstücke und es tritt Neutronenstrahlung auf. Einige Nuklide (beispielsweise Curium-250) zerfallen ausschließlich durch Spontanspaltung. Reichweite und Wechselwirkung mit Materie Dass es sich bei der „Becquerel-Strahlung" nicht um eine einheitliche Strahlung, sondern um drei verschiedene Strahlenarten handelt, wurde 1899 von Rutherford nachgewiesen, von ihm stammt auch die Namensgebung nach den ersten drei Buchstaben des griechischen Alphabets. Alle drei Strahlenarten haben jedoch eine Eigenschaft gemeinsam: Wegen der relativ hohen Energie ihrer Teilchen oder Quanten können sie bei der Wechselwirkung mit Materie Hüllelektronen herausschlagen und dadurch auf direktem oder indirektem Weg geladene Teilchen, Ionen, erzeugen. Wegen dieser Wirkung fasst man die Strahlung radioaktiver Stoffe und andere Strahlungen mit den gleichen Eigenschaften, beispielsweise Röntgenstrahlung, unter dem Sammelbegriff ionisierende Strahlung zusammen. Die umgangssprachliche Bezeichnung „radioaktive Strahlung" meint nur die ionisierende Strahlung, die von radioaktiven Stoffen ausgeht. Sie führt leicht zu Missverständnissen: Nicht die Strahlung ist radioaktiv, sondern das Nuklid, von dem sie ausgeht. Die Strahlung geladener Teilchen, wie z. B. Alpha- und Betastrahlung, erzeugt Ionen und freie Elektronen in der Materie durch direkte Stöße (Stoßionisation). Sie wird auch als direkt ionisierende Strahlung bezeichnet. Bei jedem Stoß9 prozess, den man sich wie Stöße von Billardkugeln vorstellen kann, verliert das Teilchen etwas Energie bis es schließlich in der Materie vollständig abgebremst wird. Die Reichweite des Teilchens in der Materie nimmt mit der Energie (Geschwindigkeit) des Teilchens zu und ist umso größer, je geringer die Dichte der Materie ist. Neben der Stoßionisation können geladene Teilchen durch die Wechselwirkung mit der positiven Ladung der Atomkerne abgebremst und in ihrer Bahn abgelenkt werden. Die freiwerdende Energie wird als Photonenstrahlung (Bremsstrahlung) abgegeben. Dieser Effekt wird in der Röntgenröhre zur Erzeugung der Röntgenstrahlung ausgenutzt, indem beschleunigte Elektronen auf eine Metallanode, meist Wolfram, geschossen werden. Die Gammastrahlung ist eine indirekt ionisierende Strahlung. Sie gibt ihre Energie in zwei Stufen an die Materie ab. In der ersten Stufe werden einige wenige energiereiche geladene Teilchen erzeugt, die dann die Materie weiter ionisieren. Die wichtigsten Wechselwirkungen von Photonen mit Materie sind der Photoeffekt, der Comptoneffekt und die Paarbildung. Eine wichtige Eigenschaft der indirekt ionisierenden Strahlung ist, dass sie in ausreichend dicker Materie zwar beliebig geschwächt, aber nie vollständig abgeschirmt werden kann. Beim Photoeffekt gibt ein Photon seine gesamte Energie an ein Hüllelektron ab, das Photon verschwindet und die Strahlung wird damit abgeschwächt. Das Hüllelektron erhält kinetische Energie (Geschwindigkeit), wird aus dem Atom herausgeschlagen und ionisiert auf seinem Weg durch die Materie weiter Atome (Abb. 1.4). Der Photoeffekt ist der dominierende Effekt bei Photonenenergien unterhalb von etwa 100 keV. 10 Abb. 1.4 Wechselwirkung von Gammastrahlung mit Materie Beim Comptoneffekt gibt das Photon nur einen Teil seiner Energie auf ein Hüllelektron ab, das ebenfalls aus dem Atom herausgeschlagen wird. Das Photon wird inelastisch gestreut, d.h. es fliegt in einer anderen Richtung mit geringerer Energie (Frequenz), größerer Wellenlänge, davon. Hiernach sind weitere Comptonstreuprozesse möglich, bis das Photon durch einen Photoeffekt schließlich verschwindet oder die Materie verlässt. Als Paarbildungseffekt wird die Bildung eines ElektronPositron-Paars im Feld der Atomkerne bezeichnet. Das Photon verschwindet. Zur Bildung des Elektron-Positron-Paares werden 1022 keV benötigt. Daher tritt die Paarbildung erst bei Photonenenergien oberhalb dieser Schwelle auf. Die restliche Energie des ursprünglichen Photons wird in kinetische Energie des Elektrons und des Positrons umgewandelt. Die Paarbildung ist die dominierende Wechselwirkung bei hohen Photonenenergien ab 20 MeV. 11 Abschirmung Alpha-, Beta- und Gammastrahlen unterscheiden sich erheblich in ihrer Fähigkeit, Materie zu durchdringen (Abb. 1.5): x Alphastrahlen haben in Luft eine Reichweite von nur wenigen Zentimetern, in lebendes Gewebe können sie sogar nur einige hundertstel Millimeter eindringen. Bereits ein Blatt Papier schirmt Alphastrahlung völlig ab. x Betastrahlen können einige Meter Luft durchdringen, in lebendem Gewebe haben sie je nach Energie Reichweiten von einigen Millimetern bis einigen Zentimetern. Ein dickes Buch, eine dicke Plexiglasscheibe oder eine dünne Aluminiumplatte schirmen Betastrahlung vollständig ab. x Gammastrahlen besitzen in Luft sehr große Reichweiten und durchdringen – wie Röntgenstrahlung – auch lebendes Gewebe leicht. Zur Abschirmung verwendet man dicke Schichten aus Materialien mit hoher Dichte (Blei, Schwerbeton). Gammastrahlung ist durch entsprechende Schichtdicken beliebig stark (bis unter die Nachweisgrenze) abzuschwächen, aber nie vollständig abschirmbar. Abb. 1.5 Die Abschirmung Die verschiedenen Strahlenarten werden durch Materie unterschiedlich abgeschirmt. 12 Analog der Halbwertszeit lassen sich Halbwertsschichtdicken angeben. Die Habwertsschichtdicken sind stark von der Art und Energie der Strahlung und der Dichte des Abschirmmaterials abhängig. Durch eine Abschirmung von einer Halbwertsschichtdicke wird die Strahlung auf die Hälfte, bei zwei Halbwertsschichtdicken auf ein Viertel geschwächt. Die Strahlungsintensität nimmt mit zunehmender Dicke der Abschirmung exponentiell ab. Setzt sich die Strahlung aus mehreren Anteilen zusammen, z. B. Beta- und Gammastrahlung oder Gammastrahlung verschiedener Energien, so ist die Abschirmwirkung für jede Komponente mit ihrer individuellen Halbwertsschichtdicke separat zu bestimmen. 1.3 Dosisbegriffe Bei der Wechselwirkung von Strahlung mit Materie wird die Strahlungsenergie ganz oder teilweise von der Materie aufgenommen (absorbiert). Dabei werden in der Materie Ladungsträger beiderlei Vorzeichens (positive und negative Ionen) erzeugt. Die erzeugte Ladung je Masseeinheit, gemessen in Coulomb pro Kilogramm (C/kg), heißt lonendosis J. Früher wurde für die lonendosis eine besondere Einheit verwendet, das Röntgen (R). 1 R entspricht 0,000258 C/kg (in Luft). Die pro Masseeinheit absorbierte Energiemenge wird als Energiedosis D bezeichnet. Die Einheit der Energiedosis ist seit 1978 das Gray (Gy). 1 Gy entspricht einer absorbierten Energie von 1 Joule pro Kilogramm (1 J/kg). Bis 1977 war die Einheit der Energiedosis das Rad (rd), abgekürzt aus „radiation absorbed dose". 100 rd sind 1 Gy. Der unterschiedlichen biologischen Wirkung verschiedener Strahlenarten und -energien wird in den Empfehlungen der internationalen Strahlenschutzkommission (ICRP) /ICR-91/ und auch in der deutschen Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) /STR-01/ mit dem Strahlungs-Wichtungsfaktor wR Rechnung getragen (Tabelle 1.1). Die mit wR multiplizierte, über ein Organ gemittelte Energiedosis DT,R (T steht für tissue, R für radiation) wird als Organdosis HT bezeichnet. HT,R = wR · DT,R 13 Strahlungsart und -energie Photonen (Gamma- u. Röntgenstrahlung) Elektronen und Myonen Neutronen (je nach Energie) Protonen (> 2 MeV) Alphateilchen, Spaltfragmente, schwere Kerne Strahlungs-Wichtungsfaktor wR 1 1 5–20 5 20 Tab. 1.1 Strahlungs-Wichtungsfaktoren wR (StrlSchV Anlage VI Teil C /STR-01/) Besteht die Strahlung aus Arten und Energien mit unterschiedlichen Strahlungs-Wichtungsfaktoren, so werden zur Bestimmung der Organdosis die Beiträge, die durch die einzelnen Strahlungsarten und -energien verursacht werden, addiert. HT = Ȉ wR · DT,R Der Strahlungs-Wichtungsfaktor ist dimensionslos. Die Dimension der Organdosis (J/kg) entspricht daher der Dimension der Energiedosis, man verwendet jedoch für die Organdosis eine besondere Bezeichnung, das Sievert (Sv). Der tausendste Teil eines Sievert ist das Millisievert (mSv), der millionste Teil das Mikrosievert. Falls der StrahlungsWichtungsfaktor gleich 1 ist, wie für Beta-, Gamma- oder Röntgenstrahlung, entspricht ein Sievert einem Gray, für (inkorporierte) Alphastrahler entsprechen (nach Tabelle 1.1) im Regelfall 20 Sievert einem Gray. Von einer Organdosis spricht man, wenn die Strahlenexposition eines einzelnen Organs oder Gewebes gesondert betrachtet wird, beispielsweise die Exposition der Schilddrüse im Falle einer Inkorporation von Radioiod. Die Wirkung einer Dosis auf ein Organ hängt von dessen Größe und Empfindlichkeit ab, daher sind die Grenzwerte für verschiedene Organe oder Gewebe unterschiedlich hoch (Kapitel 5.2). Bei der Beschreibung und Bewertung von Strahlenwirkungen wird noch eine Reihe weiterer Dosisbegriffe verwendet. Von einer Ganzkörperdosis spricht man, wenn der gesamte Körper der Strahlenexposition ausgesetzt ist, von einer Teilkör- 14 perdosis, wenn nur Teile des Körpers betroffen sind. Der Überbegriff hierzu ist die Körperdosis. Die ICRP-Empfehlungen und das deutsche Strahlenschutzrecht verwenden bei der Festlegung von Grenzwerten neben der Organdosis die effektive Dosis E. Bei einer gleichmäßigen Dosisverteilung über den gesamten Körper sind die Werte der Ganzkörperdosis und der effektiven Dosis gleich. Wenn nur Teile des Körpers oder einzelne Organe exponiert sind (Teilkörperexposition), wie z. B. bei Teilkörperdurchleuchtungen in der Medizin, sind insgesamt die schädlichen Wirkungen einer Strahlenexposition geringer als bei einer gleichmäßigen Exposition des gesamten Körpers (Ganzkörperexposition). Die effektive Dosis entspricht dann derjenigen Ganzkörperdosis, die dasselbe Strahlenrisiko bedingt, wie die einzelnen unterschiedlichen Organdosen. Sie ist die Summe der durch die Gewebe-Wichtungsfaktoren wT (nach Tabelle 1.2) entsprechend dem Strahlenrisiko gewichteten Organ- und Gewebedosen. E = Ȉ wT · HT Gewebe oder Organe Keimdrüsen Knochenmark (rot) Dickdarm Lunge Magen Blase Brust Leber Speiseröhre Schilddrüse Haut Knochenoberfläche Andere Organe und Gewebe GewebeGewichtungsfaktoren wT 0,20 0,12 0,12 0,12 0,12 0,05 0,05 0,05 0,05 0,05 0,01 0,01 0,05 Tab. 1.2 Gewebe-Wichtungsfaktoren wT (StrlSchV Anlage VI Teil C /STR-01/) 15 Die Gewebe-Wichtungsfaktoren sind über die Bevölkerung (alle Altersstufen, alle Länder) und beide Geschlechter gemittelte Werte. Die effektive Dosis spiegelt nicht die Altersabhängigkeit des Strahlenrisikos wider – auch nicht genetische, geschlechtsspezifische und andere personenbezogene Faktoren, die das individuelle Strahlenrisiko beeinflussen. Die effektive Dosis ist deshalb zur Abschätzung des Strahlenrisikos einzelner Personen kaum geeignet. Da die biologische Wirkung einer Strahlendosis unter anderem von der Dosisverteilung im Gewebe, von der zum Teil genetisch bedingten Strahlenempfindlichkeit und von der bei den einzelnen Lebewesen sehr unterschiedlichen Wirksamkeit der Reparatursysteme abhängt (siehe auch Kapitel 2.2), gilt die so definierte effektive Dosis nur für den Menschen oder für menschliche Organe und Gewebe. Für einzelne Zellen, Tiere oder Pflanzen kann die Dosis immer nur als Energiedosis in Gray angegeben werden. Für das besonders in der Neutronendosimetrie benutzte Kerma verwendet man als Einheit in der Regel ebenfalls das Gray. Kerma (kinetic energy released in matter) ist definiert als die Summe der kinetischen Energien aller in einem bestimmten Volumen erzeugten geladenen Teilchen pro Masse der Materie in diesem Volumen. Ein häufig gebrauchter Dosisbegriff ist die Kollektivdosis. Sie ergibt sich aus der Summe aller Einzeldosen eines Kollektivs und wird in Personen · Sievert (früher Personen · rem) angegeben. Sie ist mit Einschränkungen (es ergibt strahlenbiologisch keinen Sinn, winzigste Einzeldosen zu summieren) als Maß für das radiologische Gesamtrisiko eines Kollektivs verwendbar. Eine besonders definierte Dosis ist die genetisch signifikante Dosis. Sie stellt den Mittelwert der nach Alter, Geschlecht und Kindererwartung gewichteten Keimdrüsendosen eines Kollektivs dar und ist damit ein Maß für das genetische Risiko dieses Kollektivs. Seit der Einführung des Konzeptes der effektiven Dosis – die auch die vererbbaren Schäden berücksichtigt (Tabelle 1.2) – wird die genetisch signifikante Dosis im Strahlenschutz nicht mehr benutzt. 16 Bis zum Erscheinen der ICRP-Veröffentlichung Nr. 26 im Jahr 1977 /ICR-77/ und der Einführung des Konzepts der effektiven Dosis wurde im Strahlenschutz das Konzept des kritischen Organs zur Festlegung von Grenzwerten angewendet. Wenn mehr als ein Organ oder Gewebe strahlenexponiert war, galten diejenigen Organe oder Gewebe als kritische Organe, denen aufgrund ihrer Strahlenempfindlichkeit und der erhaltenen Dosis für den sich möglicherweise ergebenden gesundheitlichen Schaden die größte Bedeutung zukommt. Bei einer Ganzkörperexposition wurde der Ganzkörper als kritisches Organ betrachtet und die Ganzkörperdosis angegeben. In der Radioökologie (vgl. Kapitel 4.1) wird der Begriff des kritischen Organs auch weiterhin verwendet. Er dient zur Charakterisierung desjenigen Organs, dem die größte Bedeutung für einen möglichen Gesundheitsschaden zukommt, der sich durch Aufnahme eines Radionuklids in den Körper aufgrund der Anreicherung des Nuklids in diesem Organ, der daraus resultierenden Organdosis sowie der Strahlenempfindlichkeit dieses Organs ergibt. Die Höhe des Schadens im Körper durch ionisierende Strahlung ist bei einer gegebenen Energiedosis nicht nur von der Strahlenart und der Strahlenenergie abhängig, eine wichtige Rolle spielen auch die räumliche und zeitliche Dosisverteilung. Die räumliche Dosisverteilung wird durch das Konzept der effektiven Dosis berücksichtig. Der Zeitraum, über den eine Dosis verteilt ist, beeinflusst deren Wirksamkeit ebenfalls stark. Die gleiche Dosis hat eine stärkere Wirkung, wenn sie in kurzer Zeit aufgenommen wird als bei Verteilung über einen längeren Zeitraum (Zeitfaktor Abb. 1.6). Die Erscheinung ist dadurch erklärbar, dass bei zeitlicher Streckung der Dosis auch die Schäden erst nacheinander entstehen, der je Zeiteinheit auftretende Schaden daher kleiner ist und deshalb auch wirkungsvoller repariert werden kann. Der Zeitfaktor ist damit sichtbarer Ausdruck der Reparaturfähigkeit lebender Zellen (siehe auch Kapitel 2.2). 17 Abb. 1.6 Der Zeitfaktor Gleiche Dosis ist bei Verteilung über einen längeren Zeitraum weniger wirksam. Die je Zeiteinheit aufgenommene Dosis (den Quotienten aus einem Dosisbetrag und dem Zeitraum, über den er gleichmäßig einwirkt) bezeichnet man als Dosisleistung. Sie wird in der Regel in Gray, Milligray, Sievert oder Millisievert pro Minute oder Stunde angegeben. Bei sehr langen Zeiträumen (Wochen, Monaten, Jahren) spricht man nicht mehr von Dosisleistung, sondern von Wochen-, Monats- beziehungsweise Jahresdosis. 18 Ionendosis Energiedosis Äquivalentdosis Effektive Dosis Dosisleistung Genetisch signifikante Dosis Kollektivdosis Durch ionisierende Strahlung pro Masseeinheit erzeugte Ladung Einheit: Coulomb pro Kilogramm (C/kg) Pro Masseeinheit absorbierte Strahlungsenergie Einheit: Gray (Gy) Gy = J/kg Auf gleiche biologische Wirkung normierte Dosis. Die Energiedosis wird multipliziert mit einem Bewertungsfaktor q, der die relative biologische Wirksamkeit der verschiedenen Strahlenarten berücksichtigt. Einheit: Sievert (Sv) Summe aller entsprechend den Organempfindlichkeiten gewichteten Teilkörperdosen Sie repräsentiert das genetische und somatische Gesamtrisiko für Strahlenspätschäden. Einheit: Sv Verteilung einer Dosis über einen gegebenen Zeitraum, Dosis pro Zeiteinheit Gebräuchliche Einheiten: Gy/h, Sv/h Mittelwert der entsprechend Alter, Geschlecht und Kindererwartung gewichteten individuellen Keimdrüsendosen eines Kollektivs Einheit: Sv Summe aller Individualdosen eines Kollektivs Einheit: PERSONEN · Sv Tab. 1.3 Wichtige Dosisbegriffe 19 1.4 Messgrößen im Strahlenschutz Organdosis und effektive Dosis können ausschließlich rechnerisch bestimmt werden. Zum Einen können in lebenden Personen keine Messgeräte platziert werden, zum Anderen wird zur Berechnung die über ein Organ gemittelte Energiedosis verwendet. Für die Abschätzung des Risikos einer äußeren Strahlenexposition werden im praktischen Strahlenschutz die Äquivalentdosis H, bzw. die Äquivalentdosisleistung verwendet. Diese Dosisgrößen sind einer direkten Messung zugänglich. Die Stärke der biologischen Wirkung ionisierender Strahlung ist nicht nur von der Energiedosis, sondern auch vom linearen Energieübertragungsvermögen (LET) L (übertragene Energie pro Wegeinheit) und damit der lonisationsdichte (Zahl der lonisationsereignisse pro Wegeinheit in der Materie) sowie der Dosisverteilung im Körper abhängig. Unterschiedliche Strahlenarten und Strahlenenergien haben daher eine quantitativ unterschiedliche biologische Wirksamkeit. Auch die Äquivalentdosis berücksichtigt wie die Organdosis die biologische Wirksamkeit der Strahlungsarten. Sie berechnet sich aus der Energiedosis durch Multiplikation mit dem Qualitätsfaktor Q. Dieser Qualitätsfaktor hat für jede Strahlenart und Strahlenenergie einen charakteristischen Wert. Strahlung mit hohem L bezeichnet man auch als dicht ionisierend. Sie gibt in Materie ihre Energie auf einem sehr kurzen Weg an diese ab (Alphateilchen, Protonen, Neutronen) und hat einen hohen Qualitätsfaktor. Gibt die Strahlung ihre Energie auf einem sehr langen Weg an die „durchstrahlte" Materie ab, nennt man sie locker ionisierend (Betateilchen, Positronen, Gamma- und Röntgenstrahlung). Sie besitzt einen niedrigen Qualitätsfaktor. Der Qualitätsfaktor wird für verschiedene Strahlungsqualitäten so festgelegt, dass gleiche Äquivalentdosen verschiedener Strahlungsqualitäten unter Strahlenschutzgesichtspunkten gleich bewertet werden können. Für Beta- und Gammastrahlung hat der Qualitätsfaktor den Wert 1 und ist damit zahlenmäßig gleich dem Strahlungs-Wichtungsfaktor wR. Er besitzt wie dieser die Dimension 1. Die Einheit der Äquivalentdosis ist ebenfalls das Sievert. 20 Früher wurde für die Äquivalentdosis die Einheit rem (abgekürzt aus roentgen equivalent man) verwendet. Für die Umrechnung gilt: 1 Sv = 100 rem. Die Einheit rem war in der Öffentlichkeit durch die Kernenergiediskussion so geläufig geworden, dass sie – ebenso wie die Einheit Röntgen – im Zusammenhang mit dem Reaktorunfall von Tschernobyl auch noch verwendet wurde, obwohl sie offiziell ab 1.1.1986 nicht mehr zulässig war. Die Äquivalentdosis kann zum Einen einer Person zugeordnet sein, zum Anderen einem Ort. Die Personendosis HP wird z. B. durch das amtliche Dosimeter, in der Regel die Filmplakette, bestimmt. Sie misst die Monatsdosis des Trägers unabhängig von dessen Aufenthaltsort. Die Ortsdosis H* dagegen ist eine ortsfeste Größe. Um eine möglichst gute Übereinstimmung der Äquivalentdosis mit der Körperdosis zu erzielen wird die Äquivalentdosis in 10 mm Gewebetiefe bestimmt (Tiefen-Personendosis HP(10) und Umgebungs-Äquivalentdosis H*(10)). Messtechnisch bedient man sich hierzu eines Körperphantoms, das in seiner Dichte und stofflicher Zusammensetzung menschlichem Weichteilgewebe entspricht. Dadurch werden auch diejenigen Dosisanteile erfasst, die von im Gewebe gestreuter Strahlung hervorgerufen werden. Die Umgebungs-Äquivalentdosis H*(10) ist definiert als das Produkt der Energiedosis in 10 mm Tiefe einer weichteiläquivalenten ICRU-Kugel und dem Qualitätsfaktor Q. Die ICRU-Kugel (International Comission on Radiation Units) hat einen Durchmesser von 30 cm und die Dichte 1 g/cm3. Sie besteht aus 76,2 % Sauerstoff, 11,1 % Kohlenstoff, 10,1 % Wasserstoff und 2,6 % Stickstoff (Gewichtsanteile) /ICR-80/. Die ICRP weist ausdrücklich darauf hin, dass die empfohlenen Werte Q nur für die Anwendung im Strahlenschutz vorgesehen sind, dass sie auf der Grundlage relevanter Werte für die relative biologische Wirksamkeit ausgewählt wurden und auch noch die Tatsache berücksichtigen, dass von der Wirkung hoher Energiedosen extrapoliert wurde (siehe hierzu Kapitel 2.4). Die Kommission stellt fest, dass die Werte von Q nicht unbedingt repräsentativ für die relative biologische Wirksamkeit bei hoher Energiedosis sein müssen. Äquivalentdosis und effektive Dosis sollten daher beispielsweise nicht für die Ermittlung zu erwartender Frühschäden bei Strahlenunfällen verwendet werden (siehe auch Kapitel 2.3 und 21 2.4). Aus derartigen Gründen wird auch bei der medizinischen Anwendung von Beta-, Gamma- oder Röntgenstrahlung die Dosis häufig als Energiedosis (in Gray) und nicht als Äquivalentdosis angegeben. Da Alpha- bzw. Betastrahlung in lebendem Gewebe je nach Energie eine Reichweite von nur einigen Hundertstel Millimetern bzw. einigen wenigen Millimetern hat, wird ihr Anteil an der effektiven Dosis durch die Messgrößen HP(10) und H*(10) nicht erfasst. Daher wird eine weitere Dosisgröße, die Oberflächen-Personendosis HP(0,07), verwendet, die als die Äquivalentdosis in 0,07 mm Tiefe im Körper an der Tragestelle des Personendosimeters definiert ist. Die Oberflächendosis ist wegen der geringen Eindringtiefe von Alpha- und Betastrahlung stark von der Einfallsrichtung der Strahlung abhängig. In der Ortsdosimetrie wird daher die Strahlungsrichtung berücksichtig und das Analogon zur Oberflächen-Personendosis als Richtungs-Äquivalentdosis H’(0,07, ȍ) angegeben (Äquivalentdosis in 0,07 mm Tiefe der ICRU-Kugel). Hierbei ist ȍ der Einfallswinkel der Strahlung. Moderne Messgeräte zur Dosisleistungsbestimmung sind in der Lage, die Äquivalentdosisgrößen H*(10) und H’(0,07) anzuzeigen. Ab dem 1.8.2011 sind bei Messungen der Personendosis ausschließlich die Größen HP(10) und HP(0,07) und in der Ortsdosimetrie die Messgrößen H*(10) und H’(0,07, ȍ) zu verwenden. Bis dahin darf daneben noch die alte Äquivalentdosisgröße H benutzt werden, die nicht zwischen Tiefendosis und Oberflächendosis unterscheidet und auch keine Dosisanteile von im Gewebe gestreuter Strahlung berücksichtigt. Die messbare Äquivalentdosis ist ausschließlich dafür geeignet das Risiko einer äußeren Strahlenexposition abzuschätzen. Bei einer Inkorporation radioaktiver Stoffe, die zu einer inneren Strahlenexposition führen, ist ein anderer Weg einzuschlagen. Abhängig von der Art der Aufnahme des radioaktiven Stoffes, Ingestion, Inhalation oder Kontamination von Wunden, sind Dosiskoeffizienten in der „Bekanntmachung der Dosiskoeffizienten zur Berechnung der Strahlenexposition“ vom 23.07.2001 im Bundesanzeiger Nr. 160 a und b /BUA-01/ 22 veröffentlicht worden. Mit deren Hilfe kann die effektive Dosis ausgehend von der inkorporierten Aktivitätsmenge berechnet werden. Den Dosiskoeffizienten liegen biokinetische Modelle zugrunde. Diese beschreiben die Aktivitätsverteilung im menschlichen Körper von der Inkorporation der Radionuklide über deren Verteilung im Körper und deren Anreicherung in spezifischen Organen bis zu ihrer Ausscheidung. Sowohl alters-, als auch geschlechtsbedingte Unterschiede sind berücksichtigt. Mit den so gewonnenen zeitlichen Aktivitätskonzentrationen im Körper können die Organdosen abgeschätzt werden. Die verwendeten Modelle sind in etlichen Veröffentlichungen der ICRP detailliert beschrieben /ICR-03, ICR-75/. Die Messgrößen für die innere Strahlenexposition sind damit die zugeführten Aktivitäten. Diese können pauschal bestimmt werden, wie etwa durch Messung der Aktivitätskonzentration in der Raumluft am Arbeitsplatz für eine chronische Aktivitätszufuhr, oder individuell über die Ganzkörperaktivität, die Aktivitätskonzentration in den Ausscheidungen oder im Blut. Bei den letzten beiden Möglichkeiten erhält man die inkorporierte Aktivität ebenfalls aus dem kinetischen Modell. Reichert sich der inkorporierte radioaktive Stoff beinahe vollständig in einigen wenigen Organen im Körper an, so kann die gespeicherte Aktivitätsmenge auch direkt bestimmt werden; z. B. wird Iod über längere Zeit nur in der Schilddrüse gespeichert. Bei Inkorporation von I-131 lässt sich die Schilddrüsenaktivität mit einem NaI - Detektor relativ einfach bestimmen, da die Hauptkomponente der Gammastrahlung mit 364 keV den Körper beinahe ungeschwächt verlässt. (Die Schilddrüse liegt etwa 1 cm unter der Haut). 23 1.5 Literatur Bundesanzeiger (2001). Bekanntmachung der Dosiskoeffizienten zur Berechnung der Strahlenexposition vom 23.07.2001 – Dosiskoeffizienten bei äußerer und innerer Strahlenexposition. BAnz (/BUA-01/) 160(a und b). International Commission on Radiological Protection (ICRP) (1975). Reference Man: Anatomical, Physiological and Metabolic Characteristics. ICRP Publication 23 (/ICR-75/). Oxford, Pergamon Press. International Commission on Radiological Protection (ICRP) (1977). Recommendations of the International Commission on Radiological Protection. ICRP Publication 26. Annals of the ICRP (/ICR-77/) 1(3). Oxford, Pergamon Press. International Commission on Radiation Units and Measurements (ICRU) (1980). Radiation quantities and units. ICRU Report 33 (/ICR-80/). Bethesda, MD, USA. International Commission on Radiological Protection (ICRP) (1991). 1990 Recommendations of the International Commission on Radiological Protection. ICRP Publication 60. Annals of the ICRP (/ICR-91/) 21(1-3). Oxford, Pergamon Press. International Commission on Radiological Protection (ICRP) (2003). Basic Anatomical and Physiological Data for Use in Radiological Protection: Reference Values. ICRP Publication 89. Annals of the ICRP (/ICR-03/) 32(3-4). Oxford, Pergamon Press. Strahlenschutzverordnung (2001). (/STR-01/). http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/strlschv_2001/ gesamt.pdf. 24 2. Biologische Grundlagen Die in diesem Kapitel besprochenen Sachverhalte entsprechen dem sich in den letzten Jahren abzeichnenden Paradigmenwechsel in der Strahlenbiologie, vor allem bei kleinen Dosen. Bisher wurden Strahlenwirkungen wesentlich als Ergebnis von Reaktionen der direkt von Strahleneinfangereignissen getroffenen Zellen betrachtet und weniger als Reaktionen eines komplexen mulizellulären biologischen Systems, was heute in den Vordergrund tritt. Alle wesentlichen neuen Forschungsergebnisse werden in diesem Kapitel angesprochen. Der Versuch der allgemein verständlichen Darstellung der komplexen Materie wird ergänzt durch eine ausführliche Bibliographie zur vertieften wissenschaftlichen Dokumentation. 2.1. Wirkungsweise ionisierender Strahlung auf einzelne Zellen Zellen als kleinste Funktionseinheiten lebender Körper Der menschliche Körper mit seinen Organen, höchst differenzierten Strukturen und Funktionen in vielfältigen Variationen, welche die Besonderheit jedes einzelnen Individuums ausmachen, wird von in Netzwerken kommunizierenden Zellen gesteuert. Ein 70 kg schwerer Mensch hat mehrere zehntausend Milliarden (1013) Zellen mit vielen verschiedenen Aufgaben in den verschiedenen Organen und Geweben. Zellen sind die kleinsten Funktionseinheiten des Körpers. Ihre Masse liegt im Mittel bei etwa 1 Nanogramm (ng), d.h. etwa einem Milliardstel Gramm. Jede solche Zelle umfasst etwa 100 Milliarden Moleküle, die wiederum jeweils aus wenigen bis zu vielen Tausend Atomen bestehen, und zwar zu über 99 % aus Kohlenstoff (C), Wasserstoff (H), Sauerstoff (O), Stickstoff (N), Schwefel (S) und Phosphor (P). Die etwa eine Milliarde Zellen pro Gramm Organe und Gewebe des menschlichen Körpers schwanken in ihrer Form und Größe, haben vielfach ein angenähert sphärisches Volumen mit einem mittleren Durchmesser von 12,4 Mikrometer (µm). 25 Abb. 2.1 zeigt schematisch übersichtlich den hierarchischen Aufbau von Organismen, die Stellung von Zellen in ihnen und den primären Ort der Wechselwirkung ionisierender Strahlen auf der atomaren Ebene. Hierarchie der Strukturen Biologischer Systeme Die Ebenen der Organisation Ionisierende Strahlen interagieren mit Atomen Ionisierende Strahlen Organismus Gewebe-Organe Zellen Moleküle Atome Signale benutzen Moleküle, die in Zellen produziert werden ~ 109 Zellen / g Gewebe-Organe ~ 1011 Moleküle / Zelle ~ 2 – 104 Atome / Molekül Leben braucht ~ 30 Elemente > 99% sind C; H; O; N, S; P Feinendegen LE, Neumann RD, 2005 Abb. 2.1 Als kleinste Funktionseinheiten des Körpers haben Zellen organ- und gewebespezifische Aufgaben. Sie sind jedoch prinzipiell alle sehr ähnlich strukturiert, haben fast stets nur einen Zellkern, dem Hauptsitz des genetischen Materials, der Desoxyribonukleinsäure, DNS. Sowohl im Zellkern wie im Zytoplasma der Zelle, d.h. außerhalb des Kernes, befindet sich eine Vielzahl von mikroskopischen Strukturen wohl gegeneinander meist durch Membrane abgegrenzt. Die Bausteine dieser Strukturen, in ihnen und um sie herum sind Moleküle, kleine wie sehr große, vielfach Eiweißkörpern, Fetten und Kohlehydraten zugeordnet, Substanzen mit meist ganz speziellen Eigenschaften und Wirkungen. Etwa 80 % der Zellmasse ist Wasser. So ist jede Zelle in sich eine Art höchst komplex organisiertes und funktionierendes “Feuchtbiotop“. Zelluläre Membranen bestehen aus Doppelschichten von vernetzten Fettsäuren, den Lipiden. Zellen umschließende Membranen bilden Barrieren zum Schutz nach außen und innen, mit Mechanismen zum Transport von Stoffen, z. B. Nährstoffen und einzelnen Elementen wie 26 Natrium, Kalium, Calcium, und sie tragen Antennen, so genannte Rezeptoren, für von außen kommende Signalmoleküle. Im Zellinneren umschließen Membrane besondere Regionen für spezielle Funktionen. Hierfür sind sehr individuelle „Werkzeug-Moleküle“, so genannte Enzyme, erforderlich. Diese sind Eiweißmoleküle in vielen Variationen, die den Stoffaufbau, -umbau und -abbau reguliert durchführen. Die dazu erforderlichen Signale besorgen wiederum Kaskaden von großen und kleinen Molekülen oft mit Hilfe von Membranen. Zellen reagieren als Ganzes. Abb. 2.2 zeigt schematisch eine Zelle mit ihren funktionsspezifischen Strukturen in mikroskopisch kleinen Räumen angeordnet. Säugetierzelle Rezeptoren für Bindung von Signalmolekülen Strukturen mit biologischen KonstruktionsWerkzeugen (Enzyme) für Energielieferung, Synthese, Um- und Abbau EnergieGenerator (Mitochondrium) Transportund Jonenkanäle Sitz des genetischen Materials (DNS) Membranen Zellkern (N) (Cx 8 µm ) Abb. 2.2 Die Zellen des Körpers arbeiten als Bauelemente der Körpergewebe und Organe in einem außerordentlich komplexen Netz molekularer Signale, welche von Zellen synthetisiert werden und einerseits innerhalb der Zellen aktiv sind, zum anderen zwischen Zellen in einem gegebenen Organ wirken, sowie zwischen Zellen in verschiedenen Organen den ganzen Körper beeinflussen können. So werden die Funktionen des Gesamtkörpers aufeinander harmonisch abgestimmt. Ionisierende Strahlen können in ihrer Wechselwirkung mit Atomen und Molekülen durch Veränderung der Zellfunktionen somit den ganzen Körper beeinflussen (siehe Abb. 2.1). 27 Mechanismen der Zellschädigung Ionisierende Strahlen, ob sie nun von externen Quellen oder von im Körper inkorporierten radioaktiven Elementen kommen, interagieren im exponierten Organismus mit Atomen, regen sie an und verursachen Ionisationen, wodurch atomare Hüllenelektronen freigesetzt werden, wie im Kapitel 1 dargelegt ist. Die negativ geladenen freien Elektronen haben je nach Strahlenqualität und Energie auf gewundenen Bahnen im biologischen Material unterschiedliche Reichweiten in mikroskopischen Dimensionen. Für jede Strahlenart gibt es einen Mittelwert der Energie und damit auch eine mittlere Reichweite der erzeugten Elektronen. Im Falle von Röntgenund Gamma-Strahlen entsteht pro atomarem Strahleneinfangereignis primär ein aus der atomaren Hülle freigesetztes Elektron. Dieses hat bei 100 KeV Röntgenstrahlen eine mittlere Energie von etwa 6 KeV und reicht im Gewebe im Mittel etwa 1 µm weit. Entlang ihren gewundenen Flugbahnen kollidieren diese primären Elektronen unregelmäßig wiederum mit Atomen und kreieren damit ihrerseits erneut zahlreiche atomare Anregungen und Ionisationen, deren Zahl für ein etwa 6 KeV Elektron bei etwa 200 liegt. Abb. 2.1.3 zeigt das Beispiel eines mit etwa 0.5 mGy Röntgen-bestrahlten Gewebes mit Elektronenbahnen (e-), und dazu ein zusätzlichen D-Teilchen (D) aus dem Zerfall zum Beispiel eines radioaktiven Polonium oder Radium Atoms. Ob Elektronen oder DTeilchen, die entlang ihrer Flugbahn im Gewebe erzeugten Ionisationen stellen Energieabsorptionsereignisse dar, die als mikroskopisch mehr oder weniger kompakte „Energiepakete“ imponieren. 28 Partikelbahnen in exponiertem Gewebe Į PartikelBahnen e- ; Į+ Gewebe eZellen Matrix Normale HintergrundStrahlung bringt etwa 1-2 Treffer / Zelle / Jahr Feinendegen LE, 2005 Abb. 2.3 Je größer die Flussdichte von Strahlen, je dichter kommen primäre Strahleneinfangereignisse zustande und damit die Dichte der daraus resultierenden Energiepakete im Gewebe. Mit anderen Worten, je höher die Dosis ionisierender Strahlen je zahlreicher sind die Energiepakete pro Volumen des exponierten Gewebes. Im Falle der 100 KeV Röntgenstrahlen mit den durch sie erzeugten Energiepaketen von etwa 200 Ionisationen bringt die Absorption der gesamten Energie eines solchen Paketes in einer Mikromasse von 1 ng, d.h. in etwa einer Zelle, die Dosis von 1 mGy. Dies bedeutet auch, dass bei einer Ganzkörperdosis von 1 mGy dieser Röntgenstrahlen etwa jede Zelle im Körper im Mittel einmal von einem solchen Energiepaket getroffen wird. Wäre die Dosis Röntgenstrahlen über ein Jahr verteilt, wie dies bei chronischer Ganzkörperexposition vorkommen kann, würde jede Zelle des Körpers einmal im Jahr getroffen. Tatsächlich ist die natürliche Hintergrundstrahlung etwa in Höhe des Meeresspiegels in der hier für Röntgenstrahlen geschilderten Größenordnung, so dass man in Annäherung sagen kann, dass diese Hintergrundstrahlung für jede Zelle im Körper mindestens einmal im Jahr ein Energiepaket von etwa 6 KeV bringt. Bei einem 70 kg schweren Menschen entspricht dies pro Sekunde etwa 2-3 Millionen solcher ZellTreffer im ganzen Körper verteilt. 29 Die im exponierten Organismus entstehenden Teilchenbahnen mit ihren Energiepaketen können zufällig jede Art von Gewebe- und Zellstruktur erfassen, wie aus Abb. 2.3 und auch Abb. 2.1 schematisch erkennbar ist. Die in den Energiepaketen, d.h. entlang der Flugbahn geladener Teilchen, von diesen angeregten, bzw. ionisierten Atome bringen sekundär direkt molekulare Strukturveränderungen je nach Art des Atoms, seinem Platz in einem Molekül, und dem Ausmaß der Störung. Je nach Bedeutung des getroffenen Moleküls werden wiederum sekundäre Molekülreaktionen ausgelöst und dabei auch Substanzen produziert, die für Zellen toxisch sein können. Da Gewebe und Zellen zu etwa 80 % aus Wasser bestehen, finden entsprechende Anteile der Ionisationen an Wassermolekülen statt. Die getroffenen Wassermoleküle wandeln sich sehr rasch zum größten Teil in so genannte reaktive Sauerstoff-Verbindungen, die auch Sauerstoff-Radikale oder reaktiven Sauerstoff tragende Spezies von Molekülen (in englisch: reactive oxygen species, ROS), genannt werden. Hier ist in Anwesenheit von Sauerstoff in der Zelle die Radikalausbeute höher als in mit Sauerstoff schlecht versorgten Zellen. Die durch Strahlen induzierten ROS sind überwiegend identisch oder sehr ähnlich solchen ROS, die normalerweise in Sauerstoff nutzenden Zellen endogen durch eine Reihe biochemischer Reaktionen in verschiedenen Zellräumen und in großer Zahl insbesondere in den Mitochondrien ständig gebildet werden, von wo ein relativ kleiner Teil auch in die Gesamtzelle gelangt. Während endogene ROS durchweg in bestimmten zellulären Räumen entstehen, sind die durch Strahlen induzierten ROS entlang der Teilchenbahnen mit diesen rein zufällig verteilt ohne Rücksicht auf spezielle zelluläre Räume. Generell haben ROS ungeachtet ihrer Entstehung eine sehr kurze Lebensdauer, können aber über unmittelbar sekundäre molekulare Reaktionsprodukte nicht nur über Stunden sondern auch über größere Entfernungen in den Zellen wirksam sein. So sind ROS einerseits generell, ob sie durch Strahlen induziert sind oder endogen entstehen, potentiell toxisch durch ihre Bildung sekundärer molekularer Strukturveränderungen mit womöglich Kaskaden von sekundären biochemischen Reaktionen, wo immer sich dazu die Gelegenheit bietet. So sind erwartungsgemäß mit Sauerstoff wohl versorgte Zellen generell strahlensensibler als solche, deren Sauerstoffkonzentration gering ist, wie bei vielen Tumorzellen. Andererseits haben vor allem in normalen Zellen plötzliche geringe Änderungen von lokalen ROS-Konzentrationen auch Signalwir30 kung und können biochemische Stressreaktionen mit biopositiven Wirkungen hervorrufen. So interagieren ionisierende Strahlen mit zellulären Molekülen und Strukturen einmal direkt über atomare Ionisationen und indirekt über die Wirkung der von ihnen erzeugten ROS. Je höher der LET Wert, je geringer wird die Bedeutung der indirekten Effekte von Seiten der ROS. Insgesamt haben geladene Teilchen mit einem hohen LET Wert, wie D-Teilchen aus einem zerfallenden Atom, eine größere biologische Wirksamkeit als solche mit niedrigen LET Werten, wie Elektronen im Röntgen- oder Gammastrahlenfeld, und zwar je nach der Empfindlichkeit der Zellteile, die getroffen werden. Die als „Relative Biologische Wirksamkeit“ (RBW) bekannte Größe ist der Quotient von zwei Dosen unterschiedlicher Strahlenarten, die den gleichen Effekt herbei führen, wobei die als Vergleichstandard dienende Dosis (Dstd), meist von Röntgen- oder Gammastrahlen, im Zähler des Quotienten steht und die Dosis der zu prüfenden Strahlen im Nenner. So ist für einen definierten biologischen Effekt die RBW = Dstd. / Dx. RBW Werte schwanken und zwar je nach Höhe der Dosis, mit dem gemessenen Effekt, und mit der Art der Zellen und Gewebe, wobei zum Beispiel der RBW Wert für D-Teilchen gegen Röntgenstrahlen durchaus über 10 und nicht selten eher bei 20 liegen kann. Strahlenempfindliche Teile der Zelle Die zum einen direkten und zum anderen über ROS indirekten Wirkungen ionisierender Strahlen auf zelluläre Moleküle und Strukturen haben auf lebenswichtige Funktionen je nach ihrer Bedeutung für die betroffenen Zellen unterschiedliche Konsequenzen. Alle solche Substrate und biochemischen Verbindungen, die in vielen Kopien in der Zelle vorliegen und agieren, sind für Zellfunktionen offensichtlich weniger störanfällig, als solche Verbindungen, die solitär sind bzw. in nur wenigen Duplikaten aktiv sind. Zu den letzteren gehört vor allem das genetische Material, die DNS, welche zu über 90 % im Zellkern lokalisiert ist. Darüber hinaus erscheint es nicht überraschend, dass auch die zellulären Membranen als zelluläre Schutzwälle mit Transportfunktionen und als Träger von wichtigen Enzymen (siehe Abb. 2.1) relativ sensitiv und damit im Vergleich zu anderen zellulären Strukturkomponenten erhöht strahlenempfindlich sind. Zu den sensi31 tiven Strukturen werden auch verschiedene, für die Zellstruktur und interne Signalgebung spezielle Einweißstrukturen gerechnet, wie die kleinen Fibern, Fibrillen. Da alle Komponenten einer Zelle in komplexen Signalnetzen miteinander verbunden sind, bedeutet ein auch kleiner lokaler Strahlenschaden in der Zelle immer auch eine gesamtzellulär wirksame Funktionsbeeinträchtigung, auch wenn sie nur sehr kurz sein sollte. Die durch ionisierende Strahlen bedingten primären DNSSchäden sind in Abb. 2.4 für den Fall einer Röntgenbestrahlung schematisch zusammengefasst. Die beiden Stränge der DNS werden durch komplementäre Basenpaare zusammengehalten, wobei jeweils ein Thymin mit einem Adenin und ein Cytosin mit einem Guanin gekoppelt ist. Schäden treten an diesen Basen wie auch in den Strängen bildenden Desoxyribose- und Phosphatmolekülen auf. Die primären Schäden sind prinzipiell häufig aber nicht immer qualitativ ähnlich denjenigen DNS-Schäden, die von den ROS des normalen Zellstoffwechsels, d.h. von endogenen ROS, kommen. Besonders bedrohlich erscheinen die durch Strahlen induzierten DNS-Doppelstrangbrüche (DSB). Wie Abb. 2.4 zeigt, ist das Verhältnis der Zahl von Gesamtschäden der DNS zur Zahl von DSB in Folge von Röntgenbestrahlung etwa 50: 1. Strahleneffekte in der DNS RöntgenStrahlen Indirekte Effekte von Radikalen (~ 80 %) O H H OH• e+ Basenverlust Basenänderung (~10 / 0.01 Gy) Direkte Effekte (~ 20 %) Einzelstrangbrüche ESB (~ 10 / 0.01 Gy) Doppelstrangbrüche DSB (~ 0.4 / 0.01 Gy) 5HSDUDWXUYRQ'166FK¦GHQ EHJLQQWVRIRUWXQGNDQQYRQ 0LQXWHQELV]X6WXQGHQXQG 7DJHQGDXHUQ Abb. 2.4 32 Quervernetzungen (~ 1-2 / 0.01 Gy) Bei endogener Verursachung hauptsächlich durch ROS liegt dieser Quotient nach Berechnungen und Messungen bei etwa 107: 1. Dies bedeutet, dass ionisierende Strahlen pro DNSSchaden etwa hundert tausend Mal effizienter DSB erzeugen als dies Radikale von Seiten des Zellstoffwechsels tun. Jedoch entstehen bei der enormen Zahl von endogen entstehenden DNS-Schäden, die auf eine Million pro Zelle pro Tag geschätzt werden, auch DSB-Schäden mit zum Teil ähnlichen biochemischen Strukturen wie nach Bestrahlung. Dennoch erscheinen die biochemischen Strukturen der durch Strahlen induzierten DSB je nach Strahlenart zu einem hohen Anteil deutlich komplexer zu sein als die von endogenen ROS verursachten DSB. Man schätzt, dass pro Zelle pro Tag im Mittel tausend Mal mehr DSB von endogenen ROS als von normaler Hintergrundstrahlung stammen. Die Komplexität von Zellstrukturen und Funktionen lässt verständlich erscheinen, dass Zellen in ihren Phasen zwischen zwei Zellteilungen unterschiedlich strahlenempfindlich sind. Insbesondere ist die Phase zwischen der Reproduktion des DNS, die so genannte DNS-Synthese Phase, und die anschließende Phase bis zur darauf folgenden Zellteilung, Mitose, und die Mitose selbst besonders strahlensensitiv. Auch während der DNSSynthese Phase durchlaufen Zellen unterschiedliche Perioden der Strahlenempfindlichkeit, die zum Teil mit der Zellkapazität zur DNS-Reparatur und deren Ablauf korreliert ist. Generell relativ strahlenresistent ist die Zykluszeit zwischen der Mitose und der darauf folgenden Phase der DNS-Synthese. Diese Umstände sind vor allem auch für die klinische Tumortherapie wichtig. Reparatur von Strahlenschäden in der Zelle Um die schon oben erwähnte, enorme Zahl der unterschiedlichen, endogen entstehenden DNS-Schäden unter Kontrolle zu halten, verfügen Zellen über feinst abgestimmte Reparaturmechanismen. Diese haben sich im Laufe der Evolution wesentlich in Anpassung an die endogenen Schäden entwickelt und sprechen nahezu immer auch auf durch ionisierende Strahlen verursachte Schäden an. Die DNS-Reparatur wird genetisch gesteuert und involviert weit über hundert bisher bekannte Gene. Für jede der bekannten DNS-Schäden stehen in der Zelle Enzyme bereit, welche sehr spezialisierte Aufgaben haben, wie zum 33 Beispiel für die Entfernung geschädigter DNS-Bausteine, d. h. von geschädigten Basen, für Neusynthese von DNS-Stücken an bestehenden komplementären DNS-Einzelketten, für das Aneinanderfügen von DNS-Bruchenden, je nach der Komplexität des DNS-Schadens. Während die Reparatur von Basenschäden und Einzelstrangbrüchen schnell abläuft mit Halbwertszeiten von 5 Minuten bis zu 1 Stunde und einem Mittelwert von etwa 25 Minuten nach der Schädigung, dauert die Reparatur von Doppelstrangbrüchen länger mit Halbwertszeiten von etwa 30 Minuten bis zu mehreren Stunden. Je komplexer die DSB sind, um so länger dauert die Reparatur, wenn sie überhaupt von der Zelle durchgeführt werden kann. Bei vorliegenden genetischen Defekten an Reparaturenzymen kann die Zelle DNS nur teilweise reparieren. Abb. 2.5 zeigt DNS-Reparaturen in bestrahlten Lymphozyten unterschiedlicher Personen, wobei „AT-Patient“ eine Person mit der Erkrankung Ataxia Telangiectasia identifiziert, bei der DNS-Reparaturenzyme teilweise fehlen. Die Wahrscheinlichkeit von Fehlern bei der DNS-Synthese, d. h. Verdopplung, vor jeder Zellteilung ist bei Normalpersonen außerordentlich gering; aber nicht vernachlässigbar. Dieser Fehler beträgt etwa10-10 pro Basenpaar in der DNS. Bei der DNSReparatur ist die Fehlerwahrscheinlichkeit höher und falsch reparierte DNS-Schäden geben Anlass zu genetischen Mutationen. Man rechnet bei Normalpersonen mit etwa einer Mutation pro Zelle pro Tag allein als Resultat der von endogenen ROS schließlich dauerhaft bleibenden DNS-Veränderungen in überlebenden Zellen. Diese Mutationen sind wesentlich verantwortlich für zelluläres Altern und damit auch für das Altern des Organismus. Die spontane Krebshäufigkeit in der Bevölkerung wird hauptsächlich auf Fehler der DNS-Reparatur nach endogener Schädigung und das Versagen anderer Abwehrmechanismen zurück geführt, wie unten ausführlicher besprochen wird. 34 75 50 hypersensible L AT-Patient sensible L 25 Re siduale DNS Schäden (%) 100 DNS Reparatur in Lymphozyten (L) in Kultur 0 resistente L 0 30 Müller WU et al., 2001 60 90 120 150 180 Reparaturzeit (Minuten) Abb. 2.5 Unterschiedliche Strahlenempfindlichkeiten im Körper Je nach Zellart und -stoffwechsel kann die DNS-Reparaturkapazität unterschiedlich sein. Sie unterliegt, wie bereits erwähnt, wie andere zelluläre Prozesse genetischer Steuerung. Generell zeigen die Lymphozyten und die unreifen Zellen, wie die Stammzellen zahlreicher Gewebe mit hohem Zellumsatz, eine höhere Strahlenempfindlichkeit als reifende Zellen, und diese wiederum sind strahlenempfindlicher als ausgereifte Zellen, wie sie z. B. im zirkulierenden Blut, der Haut oder Schleimhaut des MagenDarmkanals anzutreffen sind. Abb. 2.6 gibt eine Auflistung von Zellen und Geweben, die nach ihrer Strahlenempfindlichkeit geordnet sind. Strahlenempfindlichkeit von Zellen und Geweben Lymphozyten, Stammzellen Hoch Spermatogonien Blutbildendes Knochenmark Intestinale Epithelzellen Haut Nervenzellen Muskelzellen Knochen Bindegewebe Niedrig Abb. 2.6 35 Man kann die Strahlenempfindlichkeit von Zellen auf verschiedene Weise messen. Die konventionell am meisten angewandte Art ist die Bestimmung derjenigen Dosis, welche die überlebende Fraktion der bestrahlten Zellen auf 50 % oder 37 % reduziert. Diese „Letal-Dosen“ (LD50 oder LD37). werden konventionell meist über die Erstellung von Dosis-Effekt-Kurven gefunden. Diese geben den Anteil der überlebenden Zellen als Funktion der jeweils eingestrahlten Dosen von 0 bis zu mehreren Gy an. Bei solchen Kurven wird der Anteil der überlebenden Zellen logarithmisch auf der Ordinate (Y-Achse) ausgedrückt. So kann man direkt die Wahrscheinlichkeit der Zelltötung pro DosisEinheit auf der Abszisse (X-Achse) ablesen. Relativ strahlenresistente Zellen haben pro Dosis-Einheit bei kleinen Dosen nur eine geringere Wahrscheinlichkeit abzusterben, als pro DosisEinheit bei hohen Dosen. Die Kurve hat bei kleinen Dosen zunächst einen mehr oder weniger flachen Verlauf. Die Wahrscheinlichkeit des Zelltodes pro Dosis-Einheit erhöht sich mit steigender Dosis bis zu einem Dosiswert, über den hinaus die Wahrscheinlichkeit des Zelltodes pro Dosis-Einheit konstant bleibt, das heißt, die Kurve beginnt nun eine gerade Linie zu werden. Die sehr strahlenempfindlichen Zellen zeigen diese Linearität schon bei kleinen Dosen. Der im linearen Verlauf der Kurve gemessene Wert der LD37 wird auch als D0 bezeichnet. Sie gibt die Dosis an, welche im Mittel mit der Wahrscheinlichkeit 1 eine Zelle tötet. Diese wichtige Dosis D0 wird erst messbar, wenn die bei kleinen Dosen aktiven Schutz- und Reparaturkapazitäten der Zellen erschöpft sind. Bei tödlicher Bestrahlung ist zumeist eine verbleibend schwere DNS-Schädigung die Ursache. Bei relativ geringeren verbleibenden DNS-Schäden überleben die Zellen und tragen damit eine vom Ausmaß der Schädigung abhängende Wahrscheinlichkeit, bleibende Mutationen weiterzugeben und je nach Art der Zelle und ihrer Veränderungen nach Jahren unter Umständen eine Krebserkrankung zu verursachen. Mehr dazu wird weiter unten besprochen. Genom-Instabilität; Apoptose Über unmittelbar von der Bestrahlung herrührende Mutationen können Zellen bei einem bestimmten Grad der DNS-Schädigung solche Nachkommen bringen, die über viele Zellgenera36 tionen hinweg häufiger als normale Zellen von äußeren und inneren Zellgiften betroffen Gen-Änderungen mit Mutationsanhäufungen zeigen. Solch befallene Zellen tragen dann das, was man eine Genom-Instabilität nennt, welche auch zur Krebsauslösung durch die befallenen Zellen beitragen kann. Es ist wahrscheinlich, dass für die Induktion einer Genom-Instabilität eine zelluläre Dosis von etwa 0.1 Gy, hier bei niedrigem LET, erforderlich ist. Eine weitere zelluläre Reaktion auf bereits relativ kleine Dosen von weniger als 0.1 Gy ist der signalinduzierte Zelltod, die so genannte Apoptose. Die Wahrscheinlichkeit der durch Strahlen induzierten Apoptose kann bei entsprechend vorgeschädigten bzw. empfindlichen Zellen dosisabhängig ansteigen. Apoptose erleiden auch physiologisch solche Zellen, die in Folge von genetisch programmierten lokalen Gewebeentwicklungen überflüssig werden. Die durch Strahlen, insbesondere bei kleinen Dosen auch von Seiten normaler Hintergrundstrahlung, induzierte Apoptose von bereits DNS-Schäden tragenden Zellen wird als biopositiver Effekt der Schadensbeseitigung angesehen. So wird auf Grund ihrer zentralen Rolle den strahlenbedingten DNS-Schäden mit ihren Konsequenzen eine besondere Aufmerksamkeit in der bio-medizinischen Grundlagenforschung zuteil. Je besser die DNS-Reparatur in einer Zelle, je höher ist ihre Strahlenresistenz und je geringer sind die verbleibenden Schäden, mit denen der Gesamtorganismus soweit wie möglich zur Erhaltung seiner Lebensfähigkeit fertig zu werden hat. Akute und chronische Bestrahlung Die bisher besprochenen Effekte ionisierender Strahlen und biologischen Reaktionen betrafen die Folgen von akuter Strahlenexposition, d.h. von Bestrahlung über eine sehr kurze Zeit im Sekunden- bis Minutenbereich. Zusätzliche Umstände müssen berücksichtigt werden, wenn eine Strahlenexposition über einen längeren Zeitraum anhält, entweder in einem dauernd bestehenden Strahlenfeld, z. B. bei der natürlichen Hintergrundstrahlung, oder über bestimmte Zeiten an einem Arbeitsplatz mit kontinuierlicher Strahlenbelastung, oder bei kurzzeitig wiederholten Expositionen in Abständen von Minuten bis Stunden, wie z. B. 37 in einer Strahlenklinik bei nicht sorgfältiger Abschirmung des involvierten Personals. Die oben besprochenen Gegebenheiten bei durch Strahlen induzierter zellulärer Schädigung erläutern, dass Strahleneinwirkung stets über die Strahleneinfangereignisse abläuft, die mikroskopisch kleine Energiepakete entlang von geladenen Teilchen deponieren, wie von Elektronen oder Alpha-Teilchen in Abb. 3 zu sehen ist. Wird eine bestimmte Dosis über einen längeren Zeitraum absorbiert, treten somit die individuellen Energiepakete über die gesamte Expositionszeit verstreut auf, wodurch sich die einzelnen Treffer dosisabhängig unterschiedlich häufig in einem bestimmten mikroskopischen Gewebeteil, wie in einzelnen Zellen, ereignen. Der zeitliche Abstand zwischen zwei aufeinander folgenden Treffern von Energiepaketen in einem definierten Gewebeteil, wie im Bereiche einzelner Zellen, bestimmt die Zeit, welche eine Zelle zur vollen Reparatur oder Wiederherstellung ihres Funktionsgleichgewichtes zur Verfügung hat. Ist der zeitliche Abstand zwischen zwei aufeinander folgenden Treffern kürzer als eine Zelle zur optimalen Reparatur und Wiederherstellung ihrer Funktion braucht, kann die Initialstörung oder Schädigung durch den zweiten Treffer erheblich verstärkt werden. Ist andererseits der zeitliche Abstand zwischen zwei aufeinander folgenden Treffern größer als die optimale Reparaturund Wiederherstellungszeit, kann die Reparaturkapazität der Zellen voll genutzt werden. Hiernach verbleibende Schäden akkumulieren im Laufe der Zeit in langlebigen Zellen und deren Nachkommen. Wie oben bereits angedeutet, bringt eine Exposition mit 100 KeV Röntgenstrahlen bei einer Dosis von 1 mGy etwa ein Energiepaket von im Mittel 6 KeV pro ng exponierten Gewebes, d.h. etwa pro Zelle. Wird die Dosis über ein Jahr hinweg kontinuierlich dem Ganzkörper verabreicht, wird im Mittel jede Zelle im Körper in diesem Jahr einmal mit 1 mGy bestrahlt: So erhält hier an jedem Tag eine von annähernd 365 Zellen eine Dosis von zirka 1 mGy. Dieses Szenario entspricht in etwa dem der Exposition bei einer niedrigen natürlichen Hintergrundstrahlung. Im Hinblick auf die Signalvernetzung der Zellen und Gewebe lokal wie im ganzen Organismus sind bei der chronischen Strahlenbelastung die pro Zeit auftretenden Häufigkeiten von Strahleneinfangereignissen mit ihren Energiepaketen in Zellen, bzw. Gruppen von Zellen im Gewebe, sowohl hinsichtlich der DNS38 Schäden, als auch deren Reparatur, und der Induktion von adaptiven Reaktionen zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang ist speziell der Bystander Effekt wichtig, wie unten in Abschnitt 2.2 weiter besprochen wird. Biologische Dosimetrie Schwere und bleibende DNS-Schäden können zu Strukturänderungen von Chromosomen führen. Diese sind bei Zellteilungen leicht beobachtbar. Die relative Häufigkeit von Chromosomenschäden zum Beispiel in speziellen, zirkulierenden weißen Blutzellen, den Lymphozyten, können mit verschiedenen Methoden erkannt werden. Neben den rein strukturell schon direkt im Mikroskop sichtbaren groben Veränderungen, d.h. Aberrationen, werden auch einzelne Abschnitte von Chromosomen und deren Verschiebungen innerhalb oder zwischen Chromosomen durch moderne Methoden der Färbung deutlich. Abb. 2.7 zeigt einen zellulären Satz von Chromosomen, die zum Teil durch Bestrahlung verändert worden sind. Chromosomen-Aberrationen (CA) nach Bestrahlung menschlicher Lymphozyten Ringförmige CA Dizentrische CA; Fragment-CA Hall E, 2000 Abb. 2.7 Die Häufigkeit von DNS-Schäden wie auch von Chromosomenveränderungen in bestrahlten Zellen ist je nach Strahlenart mit dem Ausmaß einer Strahlenexposition, d.h. der absorbierten Strahlendosis, korreliert, wie dies schematisch die Abb. 2.8 zeigt. Daher können sowohl bleibende DNS-Schäden wie auch die verschiedenen Chromosomenveränderungen zur biologi39 schen Dosimetrie herangezogen werden. Ganzkörperbestrahlungen bis herunter zu Dosen um 0,1 Gy sind auf diese Weise im exponierten Körper zum Beispiel nach einem Unfall relativ genau bestimmbar. DNS-Schaden Lymphozyten mit Chromosomenaberrationen, wie sie in Abb. 2.7 zu sehen sind, haben nur eine beschränkte Lebensdauer und verschwinden je nach Typ innerhalb von Wochen bis Monaten aus dem peripheren Blut. Deswegen sollte die Zeit nach der Strahlenexposition bei der Auswertung der Daten Berücksichtigung finden. Biologische Dosimetrie dieser Art sollte so früh wie möglich nach einem Strahlenunfall angewandt werden. Bei Teilkörperbestrahlungen verlangt die biologische Dosimetrie über die Auswertung von Chromosomenaberrationen in Lymphozyten zusätzliche Rücksicht auf die Tatsache, dass die beobachteten Lymphozyten während der Exposition im ganzen Körper zirkulierten. Die Häufigkeit von DNS-Schäden wie auch Chromosomen-Aberrationen in bestrahlten Zellen steigt progressiv mit der Strahlendosis Abb. 2.8 Absorbierte Dosis 2. 2. Wirkungsweise ionisierender Strahlung auf vielzellige Organismen Wie schon einzelne Zellen außerordentlich komplexe Systeme sind, in welchen alle Elemente mit ihren direkten und indirekten Wechselwirkungen von zahlreichen lokalen strukturellen und biochemischen Faktoren beeinflusst werden und die Zelle als ganzes reagieren lassen, muss auch auf der Ebene der Gewebe und Organe das Gesamtsystem mit seinen Vernetzungen von Zellen in lebenswichtigen Struktu40 ren und Funktionen berücksichtigt werden. Auch in diesem Zusammenhang sind Strahlenwirkungen dosis- und zeitabhängig zu betrachten, wie bereits oben erwähnt wurde. Sowohl die so genannten Bystander Effekte, die meist lokal im Gewebe berücksichtigt werden, als auch entferntere Einwirkungen auf das Funktionsgleichgewicht des Gesamtsystems können bedeutsam sein. Funktionsgleichgewicht, auch als Homöostase bezeichnet, besteht innerhalb von Zellen, zwischen den Zellen und den verschiedenen Geweben und Organen des Körpers und wird über die zwischen diesen allen wirkenden Signalvernetzungen aufrecht erhalten. Die vielfältigen hier involvierten biochemischen Mechanismen sind wie alle Zellfunktionen letztlich unter genetischer Kontrolle und hängen auch vom individuellen Alter, von der Lebensweise und von Umwelteinflüssen ab. Bystander Effekte Im Laufe des letzten Jahrzehntes haben zahlreiche Experimente deutlich gemacht, dass bestrahlte Zellen im Verband mit anderen Zellen entweder in Kultur oder auch im intakten Organismus kurz nach Bestrahlung, innerhalb von Stunden, Substanzen ausscheiden können, die nicht-bestrahlte Zellen in der Nachbarschaft der bestrahlten Zellen beeinflussen können. Bei diesen Vorgängen spielen direkte Zellkontakte sowie auch außerhalb der Zellen diffundierende Substanzen eine Rolle, deren chemisch-biochemische Natur gegenwärtig intensiv erforscht wird. Diese in nicht-bestrahlten Zellen erscheinenden aber von bestrahlten Zellen ausgelösten Wirkungen werden Bystander Effekte genannt. Abb. 2.9 zeigt schematisch die von einer bestrahlten Zelle ausgelösten Wirkungsrichtungen. Bei der Auswertung von Verteilung und Häufigkeit von DNSSchäden und Zelltod in Kulturen, in denen einzelne Zellen gezielt mit unterschiedlichen Dosen bestrahlt wurden, zeigte sich, dass Bystander Effekte bei kleinen Dosen von etwa 1 mGy kaum erkennbar sind, danach ansteigen bis zu einem Plateau der Wirkung bei etwa 0.1-0.2 Gy. Bei D-Strahlen wurde das Wirkungsplateau bei etwa 2 Teilchen in der den Effekt auslösenden Zelle erreicht. Solche Bystander Effekte sind nicht nur in der Lage, in nicht bestrahlten Zellen 41 DNS-Schäden inklusive DSB zu verursachen, sondern auch, wie weiter unten besprochen, biopositive Wirkungen. In diesem Zusammenhang ist ein besonderer Bystander Effekt zu sehen, der in nicht bestrahlten Nachbarzellen bestimmte Signale induziert, welche dann durch Rückwirkung in einem zweiten Schritt die bestrahlte Zelle zum Selbstmord, d.h. zur Apoptose, bringt. Dadurch wird die primär geschädigte Zelle als Schadensträger aus dem Gewebe eliminiert. Es ergibt sich somit, dass in einem Organismus, in dem auf Grund einer sehr kleinen Dosis nur einzelne Zellen ein Strahleneinfangereignis mit einem Energiepaket erleiden, die Zahl der auf dieses Ereignis reagierenden Zellen größer als die Zahl der getroffenen Zellen ist. Daher wird auch diskutiert, ob einerseits die Wahrscheinlichkeiten einer Krebserkrankung und das Ausmaß anderer zellulärer Reaktionen im so bestrahlten Organismus bei kleinen Dosen größer sind als auf der Basis einer linearen Dosis-Risiko Beziehung erwartet würde. Da diese Verhältnisse für den Strahlenschutz von großer Bedeutung sind, wird auf diesem Gebiet gegenwärtig intensiv geforscht. Wie weiter unten ausgeführt ist, erscheint es unwahrscheinlich, dass der Bystander Effekt bei sehr kleinen Dosen über Vervielfachung von DNSSchäden im Gewebe nennenswert zu einer Erhöhung der Krebswahrscheinlichkeit beiträgt. Signale zwischen Zellen in Matrix und Gewebe Getroffene Zelle Zellverbindung Gewebe Zellen Matrix = Bystander Effekte Feinendegen LE, 2005 Abb. 2.9 42 Strahleninduzierte Störungen des biologischen Gleichgewichtes, adaptive Reaktionen Die von ionisierenden Strahlen erzeugten primären Interaktionen mit Atomen entlang der Teilchenflugbahnen mit ihren direkten und indirekten Wirkungen auf Moleküle können je nach Art und Ausmaß sekundär auf Strukturen und die mit ihnen gegebenen Funktionen auf den verschiedenen Organisationsebenen des Körpers einwirken. Diese dosisabhängigen Beeinflussungen und deren zeitliche Abfolge werden wesentlich durch den hierarchischen Aufbau des Körpers bestimmt. Innerhalb der einzelnen biologischen Organisationsebenen sowie zwischen diesen Strukturen werden alle lebenswichtigen Funktionen, die das strukturelle Zusammenwirken des Organismus garantieren, in einem äußerst komplexen Signalnetz miteinander koordiniert und aufeinander abgestimmt, um die Homöostase aufrecht zu erhalten. Das für Homöostase nötige Signalnetz arbeitet, wie bereits oben resümiert, innerhalb von Zellen, zwischen Zellen und Matrix, d. h. extrazellulären Gewebestrukturen eines Organes, und zwischen Zellen verschiedener Organe und Gewebe. Alle Signale erfassen schließlich Zellen, welche die besonderen Funktionen eines Organs und Gewebes bestimmen. Die Abb. 2.10 veranschaulicht schematisch die wesentlichen drei Signalschleifen in einem Körper. Signalnetze in biologischen Systemen Sie antworten auf Störungen der Homöostase, je nach Spezies, Zelltyp und Stoffwechsel Gewebe Zellen Organe Neuro-Hormonale Signale Interzelluläre + Matrix Signale Intrazelluläre Signale Zelluläre Moleküle antworten Stress Adaptiver Schutz Ausmass der Störung Schaden Feinendegen LE, 2005 Abb. 2.10 43 Jede Einwirkung auf die verschiedenen, übergreifenden Signalschleifen, ob durch äußere oder innere Reizfaktoren, führt zu Reaktionen innerhalb der Signalnetze mit dem Ziel der Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der Homöostase der aufeinander abgestimmten Funktionen des Gesamtkörpers sowie seiner Teile. Bei geringfügigen lokalen oder weitreichenden Störungen des Systems wie bei Stress wird Homöostase in den betroffenen Systemkomponenten durch Rückkopplungsmechanismen relativ schnell wieder optimiert. Darüber hinaus induziert eine gegebene Stresssituation mit Verzögerung meist vorübergehend eine Anpassung dergestalt, dass das System auf erneute Störung weniger anfällig ist. Beispiele für solche mit zeitlicher Verzögerung erkennbaren adaptiven Reaktionen sind Zunahme von Muskelmasse nach körperlichem Training, oder Bräunung der Haut nach mäßiger UV Strahleneinwirkung, oder Immunschutz vor Infektionen nach Impfung. Kommt es zu einer Zerstörung der durch Signale gesteuerten Koordination durch Ausschaltung der funktionstragenden Strukturen, bricht das System lokal zusammen und kann, wenn es nicht repariert wird je nach Schweregrad schließlich zum Untergang des Gesamtorganismus führen. Beispiele sind wiederum Kreislaufzusammenbruch beim übermäßigem Training, oder Verbrennungen der Haut bei übermäßiger UV-Bestrahlung, oder tödliche Infektionen bei Immunschwäche. Abwehr- und Reparaturmechanismen vielzelliger Systeme Ionisierende Strahlen sind allgemein in der Lage einerseits Schäden zu setzen wie auch Stressreaktionen auszulösen. Das Verhältnis der beiden Rektionsmuster zueinander verschiebt sich zu Schäden mit steigender Dosis. Je nach Höhe der Dosis und damit je nach dem Grad der Einwirkung auf Strukturen kann der bestrahlte Körperteil sofort erkranken und nach Überwindung der akuten Krankheit viele Jahren später über zelluläre Gen-Veränderungen überlebender Zellen einen bösartigen Tumor entwickeln. Die Wahrscheinlichkeit einer akuten Strahlenkrankheit sowie auch einer Krebserkrankung hängt wiederum von der Fähigkeit des gesam44 ten Organismus ab, Störungen im System zu korrigieren, bzw. Krebszellen als Ursachen von Störungen zu beseitigen. Bei einer Einschränkung dieser Korrekturen im System wird z. B. einer Krebsentwicklung ebenso Vorschub geleistet, wie anderen Erkrankungen, die von solchen Korrekturen in Schach gehalten werden, zum Beispiel verschiedene Infektionskrankheiten. Dass ein gesunder Organismus über immense Abwehrkräfte verfügt, ist nicht nur eine tägliche Erfahrung, zum Beispiel bei der Immunabwehr von Infektionen, sondern zeigt sich auch in den Quantitäten der Schäden, die nach Bestrahlung in den verschiedenen Organisationsebenen des Körpers erkennbar werden. Solche Daten sind in der Abb. 2.11 für den Fall einer Strahlenexposition mit 1 mGy im roten Knochenmark zusammengefasst. Bei Bestrahlung des roten Knochenmarks als besonders strahlenempfindliches Gewebe mit 1 mGy Röntgenstrahlung wird pro Zelle, wie oben erklärt, im Mittel ein Strahleneinfangereignis mit dem entsprechenden Energiepaket erzeugt. Dieses verursacht direkte und indirekte Wechselwirkungen mit zellulären Substraten. So entstehen durch Ionisierung von Wassermolekülen etwa 150 Sauerstoff-Radikale; insgesamt werden etwa 2 Veränderungen der DNS beobachtet, und davon sind etwa 1 DNS-DSB in jeder fünfundzwanzigsten Zelle, und die Wahrscheinlichkeit einer Chromosomenaberration, wie sie Abb. 6 zeigt, ist pro Zelle etwa 1 zu 10.000. Während diesen Daten präzise Messungen zu Grunde liegen, ist die Wahrscheinlichkeit einer so getroffenen, potentiell Leukämie bildenden Stammzelle, eine tödliche verlaufende Leukämie auszulösen, eine Schätzung. Sie beruht auf der linearen Extrapolation der bei hoher Dosis beobachteten Leukämierate pro Dosiseinheit, wie sie unten im Abschnitt 2.4.2.4 besprochen ist. So ergibt sich für die tödliche Leukämie ein geschätztes Risiko von etwa 1 zu einhundert Billionen (10-14) pro blutbildender Stammzelle pro 1 mGy. Mit anderen Worten, die Wahrscheinlichkeit einer tödlichen Leukämie pro DNS-DSB in der Stammzelle ist hier ungefähr 10-12, d. h. bei 1 zu einer Billion. Die immense Zahl von DNS-DSB, die hier für eine tödliche Leukämie nötig sind, verdeutlicht die Fähigkeit des gesunden Organismus 45 Risko für eine Stammzelle pro 1 mGy 100 kV Rö.-Strahlen Der Körper als komplex adaptives System in verschiedenen Ebenen im menschlichen roten Knochenmark durch Extrapolation von hoher Dosis Organismus ~ 10-14 Maligne Transformation mit tödlichem Krebs Gewebe ? Zellen Moleküle ~ 10-4 Chromosomen Aberr. ~ 4 x 10-2 DNS - DSB ~ RöntgenStrahlen Atome 2 ~ 150 ¦ DNS Änderungen Sauerstoff-Radikale Feinendegen LE et al, 1995 Abb. 2.11 zur Schadensabwehr und lässt die oft von Nichtfachleuten gehörte Aussage, dass jeder durch Strahlen induzierte Doppelstrangbruch eine potentiell krebsauslösende DNS Störung ist, als zumindest übertrieben und sogar als ungerechtfertigt erscheinen. Die dem Körper physiologisch gegebenen Reparatur- und Abwehrmechanismen sind, wie bereits aus den Abb. 2.10 und 2.11 zu erkennen, überaus vielfältig und auf jeder Organisationsebene wirksam. Sie umfassen biochemische Entgiftungsreaktionen, vor allem von ROS, zelluläre Reparaturmechanismen, vor allem von DNS-Schäden, Änderungen des Zellzyklus zwischen Zellteilungen, und Beseitigung von geschädigten Zellen einmal durch signalausgelösten Zelltod, Apoptose, zum anderen durch Immunreaktionen, und auch durch Differenzierung zu Zellen mit begrenzter Lebensdauer. Die beseitigten Zellen werden durch Nachschub funktionstüchtiger Zellen ersetzt. Daraus ergibt sich, dass jede Organisationsebene Barrieren setzt, die Schäden sozusagen aszendierend überwinden müssen, um zu einer Gesundheitsstörung zu führen. Die kaskadenförmig aszendierend aktiven Abwehr- und Korrekturmechanismen auf den verschiedenen Organisationsebenen des Körpers reagieren prinzipiell in ähnlicher Weise insofern, als das jeweils 46 reagierende System eine Störung, bzw. Schädigung zunächst auf seiner Ebene blockiert und erst dann auf höhere Ebene weiter gibt, wenn die Störung bzw. Schädigung von dieser Ebene nicht ausreichend kompensiert oder beseitigt werden kann. So kann Schaden von der molekularen auf die zelluläre, Gewebe- bzw. Organebene, und schließlich auf Gesamtkörper-Ebene verstärkt zur gesundheitlichen Bedrohung werden. Aus dieser Darlegung ergibt sich, dass die Wahrscheinlichkeit einer bedrohlichen Gesundheitsstörung keinesfalls proportional mit dem Ausmaß eines Schadens auf der molekularen Ebene, inklusive der DNS, ansteigt, sondern dass auf jeder Ebene zunächst ein bestimmter Minimalschaden vorhanden sein muss, bevor er die Barriere der Abwehrmechanismen durchringt. Die Wahrscheinlichkeit der Überwindung einer solchen Barriere ist sicherlich auch abhängig von Art, Qualität und Quantität, die ein gegebener Anfangsschaden besitzt. Auch bei der Entstehung einer Krebserkrankung aus einer bösartig transformierten Zelle mit lokaler Vermehrung, d.h. mit klonalem Wachstum, sind die genannten Abwehrmechanismen auf zellulärer und Gewebe bzw. Organebene wesentlich über das Immunsystem wirksam. Es ist offensichtlich, dass die hier kurz angedeuteten Reaktionsmuster bei Störungen biologischer Systeme auf ihren verschiedenen Organisationsebenen für das Verständnis der akuten und späten Strahlenwirkungen und ihrer Risiken bedeutsam sind. Stochastische Strahlenwirkungen Die Unterscheidung zwischen so genannten stochastischen und deterministischen Wirkungen von ionisierenden Strahlen bedarf einer grundsätzlichen Erläuterung. Stochastisch werden allgemein solche Schäden genannt, welche durch zufällige Interaktionen von durch ionisierende Strahlen erzeugten Energiepaketen mit biologisch bedeutsamen Strukturen, wie dem genetischen Material, proportional zur Zahl der Interaktionen ausgelöst werden. Folgendes Beispiel mag dies erläutern. Mit einem Beil lassen sich Kerben in einen Holzstamm von bestimmter Härte schlagen. Die Tiefe der Kerbe hängt von der Kraft ab, mit der das Beil auf das Holz trifft. Jedoch ist eine minimale Kraft nötig, um überhaupt ei- 47 ne Kerbe zu erzeugen. Andererseits kann eine bestimmte Kerbentiefe durch eine bestimmte Kraft des Beiles erzeugt werden. Nimmt man allerdings nun zahlreiche solcher Holzstämme und bearbeitet sie alle parallel oder hintereinander getrennt mit einem definiert kräftigen Beilschlag, so zeigt sich, dass die Kerbentiefe nicht immer ganz genau gleich ist sondern dass sie um einen Mittelwert schwankt. Die Zahl der Kerben in diesem Beispiel steigt mit der Zahl der Beilschläge jeweils auf einen getrennten Holzstamm. Man sagt auch, dass hier die Zahl der Kerben linear mit der Zahl der definierten Beilschläge im Kollektiv der bearbeiteten Holzstämme ansteigt. Diese Situation findet ihre Analogie in der Schädigung der DNS in einem Strahlenfeld. Die DNS bietet ein Kollektiv von räumlich getrennten Abschnitten, welche im obigen Beispiel den Holzstämmen entsprechen. Die von ionisierenden Strahlen im Gewebe erzeugten Energiepakete haben einen mittleren Wert pro Strahlenart und stellen somit Kraftinkremente dar, die im obigen Beispiel den definierten Beilschlägen entsprechen. Mit der Dosis steigt die Zahl der erzeugten Energiepakete pro Einheit Gewebemasse an, wie obern besprochen, und dementsprechend steigt die Zahl der von diesen bewirkten DNS-Veränderungen, welche im obigen Beispiel der Zahl der Kerben mit einer bestimmten Tiefe entsprechen. Welche DNS-Abschnitte von Energiepaketen direkt und indirekt getroffen werden, ist weitgehend zufällig. Wenn allerdings die Dosis soweit ansteigt, dass zahlreiche Energiepakete sich überschneiden und so gemeinsam auf einen DNS-Abschnitt stoßen, werden zunehmend schließlich alle DNS-Abschnitte nicht nur einmal getroffen. Der daraus resultierende lokale Zusammenbruch macht das Ausmaß des Gesamtschadens größer als die Summe der Einzelschäden. Es ist somit offensichtlich, dass unterhalb einer bestimmten Dosis für eine bestimmte Strahlenart die Zahl der DNSSchäden linear mit der Dosis ansteigt, und bei steigender Dosis, je nach Strahlenart Effektüberschneidungen auftreten, was sich durch einen Übergang in eine exponentiell steigende Effektkurve ausdrückt. Diese Art von Dosis-Wirkungskurve folgt dann zunächst der Funktion E = DD x ED2, wobei E der Effekt und D Dosis ist, und D und E sind die für niedrige wie höhere Dosen gemessenen Proportionalitäts48 konstanten. Bei weiter ansteigender Dosis beginnt der Effekt zunehmend abzunehmen, weil die involvierten Zellen absterben und den Effekt nicht mehr zeigen können, wie dies in Abb. 2.12 zu sehen ist. Es ist unbestritten, dass die Wahrscheinlichkeit, dass eine Zelle mit einer Latenzzeit von vielen Jahren eine Krebserkrankung auslöst, von der Schädigung ihrer DNS abhängt. Diese Erkenntnis und die auch experimentell bestätigte Proportionalität zwischen DNS-Schäden und der Dosis unterhalb eines bestimmten Wertes stellen die Grundlage der Annahme, dass die Häufigkeit von Krebserkrankungen linear mit der Dosis bis zu einem bestimmten Wert ansteigt. Da die DNS-Schäden, die für eine Krebserkrankung wesentlich sind, durch Strahlen verursachte, zufällig treffende Energiepakete entstehen, bezeichnet man die durch ionisierende Strahlen bedingten Krebserkrankungen auch als stochastische Spätschäden. Wie schon im vorigen Abschnitt und unten des weiterten dargelegt ist, wird bei der Annahme der linearen Beziehung zwischen absorbierter Dosis und Krebshäufigkeit in einer exponierten Population allerdings oft übersehen, dass gerade im kleinen Dosisbereich auch solche Zell- und Gewebereaktionen auftreten, die als Antworten im Kontext des gesamten biologischen Systems auf Störungen der Homöostase zu verstehen sind. Wie bereits besprochen, wird durch den Versuch des biologischen Systems zur Wiederherstellung der Homöostase, die Weitergabe von Schäden aufsteigend zu höheren Organisationsebenen erschwert oder ganz unterbunden. Darüber hinaus tendieren diese Reaktionen vor allem bei kleinen Dosen zur Auslösung von den bereits erwähnten adaptiven Veränderungen in dem Sinne, dass das betroffene biologische System für eine bestimmte Zeit vor erneuter Attacke ähnlich wirkender toxischer Substanzen, wie z. B der im Stoffwechsel ständig gebildeten ROS, geschützt wird. Die stochastische Dosis-Effekt-Kurve in Abb. 2.12 beginnt hier konventionell mit einem linearen Ansatz (DD) und das Fragezeichen soll die in den letzten Jahren bekannt gewordene Unsicherheit im kleinen Dosisbereich betonen, worauf später noch einmal verwiesen wird. Der spätere Kurvenverlauf folgt der Gleichung DD + ED2. 49 Dosis-Effekt Kurven bei niedrig-LET Strahlung Stochastische Effekte (Späte E.) Deterministische Effekte (Meist akute E.) Schwelle E (S) E (W) ĮD + ȕD2 ? ĮD D D Niedrige Dosi s Region: < 200 mGy Abb. 2.12 Deterministische Strahlenwirkungen Unter deterministischen Strahlenwirkungen versteht man solche Effekte, deren Schweregrad mit der Dosis, d. h. der einwirkenden Kraft, ansteigt. Um beim obigen Beispiel der Beilschläge auf Holzstämme zu bleiben, wird die Tiefe einer Kerbe im Holzstamm von der Kraft des Beilschlages bestimmt. Bei sehr geringem Beilschlag kommt es je nach Härte des Holzes nicht zur Kerbe. Und jenseits einer bestimmten starken Wucht des Beilschlages wird der Holzstamm stets voll zertrennt und zwar dann unabhängig von der Wucht des Beilschlages. Wenn dieses Beispiel auf Strahlenexposition übertragen wird, entspricht eine Dosis bestimmter Strahlenart mit ihren Energiepaketen einer Summe von Beilschlägen für dieselbe Kerbe. Wenn die Summe der primären biologischen Schäden einen gewissen Wert überschreitet, wird eine bestimmte Zahl von Zellen entweder innerhalb kurzer Zeit in ihren Funktionen wesentlich verändert oder stirbt, so dass z. B. die Gewebefunktion nicht mehr voll aufrecht erhalten werden kann. Um einen solchen Systemschaden zu machen, muss die absorbierte Dosis einen Mindestwert übersteigen. Mit einer Maximaldosis wird auch das Maximum eines definierten Schadens erreicht, z. B. alle Zel- 50 len inaktiviert oder getötet, und bei einer weiteren Dosiserhöhung bleibt es beim Plateau des maximalen Schadens. Deterministische Schäden können sich als akute Strahlenkrankheit oder mit einer Latenzzeit von Jahren in verschiedenen Geweben, wie Haut, Lunge, Bindegewebe als chronische Erkrankungen manifestieren. Den verschiedenen Formen der akuten wie auch chronischen Strahlenkrankheiten ist gemeinsam, dass sie durch Ausfall von funktionstragenden Zellen entstehen. Nur dann kommt es zur klinischen Erkrankung, wenn die Zahl der ausfallenden Zellen mit organspezifischen Funktionen einen für ein Organ bestimmten Wert überschreitet. Wie später weiter ausgeführt, wird der natürliche Verlust von Zellen mit organtragenden Funktionen durch Zellnachschub über Zellvermehrung und -reifung kompensiert. Hierbei ist die Integrität der Stammzellen als Vorläuferzellen für die Aufrechterhaltung der Zellerneuerung wesentlich. Knochenmark-Stammzellen sind generell besonders strahlenempfindlich, wie auch Abb. 2.6 zeigt. Die Schwere einer Strahlenkrankheit geht einher mit der Höhe des Verlustes an Stammzellen. Da die Zeit vom Stammzellenstadium über die Zellvermehrung und Zellreifung zur Ausbildung von Funktionszellen mehrere Tage in Anspruch nimmt, treten die Folgen von strahleninduziertem kritischen Verlust zum Beispiel von blutbildenden Stammzellen mit Verzögerung von etwa 6 Tagen auf; es kommt zu einem zunehmenden Mangel an reifen weißen Blutzellen und Blutplättchen, neben einem schon früher erkennbaren abrupten Abfall der im Blut zirkulierenden Lymphozyten, die ähnlich den Stammzellen relativ strahlenempfindlich sind. Infektbereitschaft und Blutungen des betroffenen Organismus sind nach Tagen auftretende herausragende klinische Symptome. So zeigen Dosis-Effekt Beziehungen für akute und chronische Strahlenkrankheiten als deterministische Strahleneffekte in Abb. 2.12 einen Dosis Schwellenwert für das Auftreten des jeweiligen Effektes. Mit steigender Dosis nimmt das Ausmaß der Erkrankung zu, bis das Krankheitsbild maximal ausgeprägt ist, d. h. die deterministische Kurve in Abb. 2.12 zeigt einen so genannten sigmoiden Verlauf, der zum Plateau des maximalen Effektes führt. 51 Genetische Strahlenwirkungen Die bisher angeführten Strahleneffekte werden generell als „somatische“ Strahlenwirkungen bezeichnet, da sie biologische Systeme als Ganz- oder Teilkörper betreffen. Hiervon getrennt sollen diejenigen Effekte gesehen werden, die man allgemein als „genetische“ Strahlenwirkungen kennt. Diese entstehen durch Bestrahlung von Keimgewebe, wie Hoden, in denen Samenzellen gebildet werden, und Eierstöcke, in denen Eizellen seit Geburt angelegt sind. Genetische Strahlenschäden können über mehrere Generationen vererbet werden und beruhen auf strahleninduzierten DNS-Schäden in den Keimzellen. Genetische Schäden mit den von ihnen hergeleiteten Mutationen äußern sich generell als körperliche Veränderungen in der Nachkommenschaft von Individuen, deren Keimgewebe einer gewissen Dosis ausgesetzt worden sind. Die Variabilität von strahleninduzierten Mutationen kann um den Faktor 35 schwanken, so dass man generell eher von einer durchschnittlichen Mutationsrate spricht. Von Tierexperimenten wird abgeleitet, dass die Dosis, nach der sich die spontane Mutationsrate verdoppelt, – sie wird als Verdopplungsdosis bezeichnet, – etwa bei 1 Gy liegen dürfte. Bei Menschen sind genetische Strahleneffekte in diesem Bereich bisher kaum erkennbar geworden und daher für Risikoanalysen nicht auswertbar. Von den genetischen Schäden sind solche Schäden zu unterscheiden, die als Konsequenz von Bestrahlungen von Individuen in embryonaler oder fötaler Entwicklung auftreten, wie später besprochen wird. Faktorenabhängigkeit der Strahlenwirkungen Die unterschiedlichen Strahlenwirkungen sind je nach ihrer Art von einer Reihe von Faktoren abhängig, die im wesentlichen oben besprochen und Abb. 2.13 zusammengefasst sind. 52 Strahlenart Zell-Type Milieu Dosis Strahlenwirkung Strahlenempfindl. Abb. 2.13 2.3 Dosis im Raum Dosis in der Zeit Akute Strahlenschäden Zellerneuerungssysteme Akute Strahlenschäden treten klinisch je nach Dosis und ihrer räumlichen und zeitlichen Verteilung in sehr unterschiedlicher Weise auf. Der Grund hierfür liegt in der breit gefächerten Strahlenempfindlichkeit einer Reihe von Zellerneuerungssystemen mit ihren jeweiligen Stammzellen. Insbesondere sind hier wichtig das blutbildende System im roten Knochenmark, das Schleimhautsystem des gesamten Verdauungstraktes, und die äußere Haut. Eine weitere wesentliche Rolle spielen die Lymphknoten, in denen die meisten Lymphozyten für das zirkulierende Blut und die Gewebe des Körpers gebildet werden. Den genannten Zellerneuerungssystemen ist gemeinsam, dass ein relativ hoher täglicher Verlust von Funktionszellen durch Zellvermehrung und -reifung von Vorläuferzellen wett gemacht werden muss, um das Gleichgewicht zwischen Zellverlust und Zellerneuerung aufrecht zu halten. Im Durchschnitt werden im erwachsenen menschlichen Körper täglich etwa 550 g Zellen verloren, die ersetzt werden müssen. Davon sind etwa 490 g Zellen, die im Blut zirkulieren. Die für den Zellnachschub erforderlichen jeweiligen Vorläuferzellen werden nach Bedarf aus dem Reservoir von Stammzellen geliefert, wobei die Teilung der Stammzellen je eine Vorläuferzelle und eine neue 53 Stammzelle bringt. Die verschiedenen Zellerneuerungssysteme gehorchen speziellen Signalsubstanzen, welche die Homöostase im System sehr genau regulieren. Die Abb. 2.14 zeigt das Schema von Zellerneuerungssystemen. Schema System der Zellerneuerung Stammzelle ȅ Zellvermehrung ȅ ȅ ȅ ȅ ȅ ȅ ȅ ȅ ȅ ȅ Strahlensensibel -reifung Funktionszellen ȅ ȅ ȅ ȅ ȅ ȅ ȅ ȅ ȅ ȅ ȅ ȅ ȅ ȅ ȅ ȅ ȅ ȅ ȅ ȅ ȅ Strahlenresistent Abb. 2.14 Für die Entwicklung von Strahlenkrankheiten ist die immer relativ hohe Strahlenempfindlichkeit der für ein Gewebe jeweils zuständigen Stammzellen ausschlaggebend. Die Blut bildenden Stammzellen sind ähnlich strahlenempfindlich wie die Lymphozyten, die Stammzellen der Haut und die der Schleimhäute des Verdauungstraktes sind strahlenresistenter. Bei anderen Geweben, wie zum Beispiel bei Bindegewebe, Gehirn, Lunge, Niere und Leber, ist der Zellumsatz außerordentlich oder wesentlich geringer, wodurch deren Strahlenempfindlichkeit vorwiegend durch die Funktionszellen bestimmt wird. Es ist somit erklärlich, dass unterschiedliche Ganzkörperdosen unterschiedliche klinische Symptome auslösen. Akute Strahlenkrankheiten nach einmaliger Ganzkörperexposition Die Symptome der verschiedenen Formen der akuten Strahlenkrankheit sind in Abb. 2.15 schematisch zusammengefasst, und zwar als Folge einer akuten, d.h. kurz dauernden, Strahlenexposition des Ganzkörpers mit unterschiedlichen 54 Dosen in Sv. Die Ordinate (Y-Achse) zeigt die Dosen, bei der die Krankheiten auftreten, und die Zeit ihrer maximalen Entwicklung zeigt die Abszisse (X-Achse) in Stunden und Wochen. Die akuten Strahlenkrankheiten erscheinen in drei wesentlichen klinischen Syndromen. Für die hier nicht näher aufgeführten späten stochastischen wie deterministischen Schäden erstreckt sich die Zeitachse auf Jahre. Die eingezeichnete Kurve verdeutlicht in ihren Abschnitten die drei akuten klinischen Syndrome: das Knochenmark-, oder Hämatologische Syndrom; das Magen-Darm-Trakt-, oder gastrointestinale Syndrom; und das Syndrom des zentralen Nervensystems, welches nach sehr hohen Dosen rasch als Folge des akuten Schadens der funktionstragenden Nervenzellen des Hirns auftritt. Die klinischen Symptome der drei akuten Strahlenkrankheiten sind jeweils unter der SyndromBezeichnung in der Abb. Kurz skizziert. Der zeitliche Unter- Strahlenkrankheiten, abhängig von Dosis und Zeit Zeit nach Ganzkörperbestrahlung Cottier H et al., 1994, nach Cronkite Abb. 2.15 schied zwischen dem Auftreten des hämatologischen Syndroms und des gastrointestinalen Syndroms wird weitgehend durch die Zeiten bestimmt, welche die Produktion von Funktionszellen nach Stammzellenteilung braucht. 55 Unabhängig von diesen Syndromen können Strahleneffekte auch bei kleineren Dosen sozusagen klinisch subjektiv unauffällig bereits früh nach der Exposition durch die Zahl der im peripheren Blut zirkulierenden Lymphozyten erkannt werden. Wie bereits besprochen, besitzen Lymphozyten eine ähnlich hohe Strahlenempfindlichkeit wie blutbildende Stammzellen. So zeigen sich nach Ganzkörperexpositionen im Bereich von 0.2 bis 0.3 Sv bereits Blutbildveränderungen, und zwar sinkt zunächst die Zahl der Lymphozyten. Dementsprechend kann die Prognose eines Frühschadens mit dem Absinken der Lymphozytenzahl unter den Normalwert annähernd bestimmt werden. Die folgende Übersicht summiert ausführlicher die bei verschiedenen Dosen auftretenden klinischen Befunde und Symptome nach akuter Ganzkörperbestrahlung analog zur Abb. 2.15: SCHWELLENDOSIS 0.25 Sv ERSTE KLINISCH FASSBARE STRAHLENEFFEKTE (0.2-0.3 Sv) Abfall der Blut zirkulierenden Lymphozyten innerhalb von 1–2 Tagen. SUBLETALE DOSIS 1 Sv VORÜBERGEHENDE STRAHLENKRANKHEIT (0.75-1.5 Sv + ) Unwohlsein (Strahlenkater) am ersten Tag möglich. Absinken der Lymphozytenzahl im Verlauf von zwei Tagen auf Werte deutlich unter 1500/mm3. Nach einer Latenzzeit von zwei bis drei Wochen treten Haarausfall, wunder Rachen, Appetitmangel, Diarrhöe, Unwohlsein, Mattigkeit, stecknadelkopfgroße purpurfarbene Hautflecken (Petechien) auf. Bei Männern vorübergehendes Absinken der Spermienproduktion. Meist baldige Erholung. MITTELLETALE SCHWERE STRAHLENKRANKHEIT DOSIS (3-6 Sv + ) 4 Sv Übelkeit und Erbrechen am ersten Tag. Absinken der Lymphozytenzahl bei Dosen um ca. 3 Sv auf Werte unter 1000/mm3, und 56 bei Dosen über 5 Sv fast vollkommenes Verschwinden aus der Blutbahn. Bei Granulozyten zunächst steiler Anstieg, dann steiler Abfall und nach erneutem abortiven kurzen Anstieg ab zweiter Woche wieder Abfall der Werte auf weniger als 2000/mm3. Hauptursache für große Infektionsneigung. - Nach 10 bis 14 Tagen zeigen sich Haarausfall, Appetitmangel, allgemeines Unwohlsein, Diarrhöe, schwere Entzündungen im Mund- und Rachenraum, innere Blutungen (Hämorraghien), Fieber, Petechien, Purpura (größere purpurfarbene Hautflecken). Bei Männern je nach Dosis vorübergehende bis lebenslange Sterilität, bei Frauen Zyklusstörungen. Bei fehlenden Therapiemaßnahmen ist bei Dosen über 5 Sv mit etwa 50 % Todesfällen zu rechnen. Bei spontaner Regeneration Wiederanstieg der Granulozyten etwa Ende der 4. Woche. LETALE DOSIS 7 Sv TÖDLICHE STRAHLENKRANKHEIT (6-10 Sv + ) Übelkeit und Erbrechen nach 1-2 Stunden. Nach drei bis vier Tagen: Diarrhöe, Erbrechen, Entzündungen in Mund und Rachen sowie im Magen-Darmtrakt mit Blutungen (Hämorraghie), Fieber, schneller Kräfteverfall. Bei fehlender Therapie Mortalität fast 100 %.- Bei Dosen über 15 Gy innerhalb einer Woche zunehmend schnell Koma und Tod. Bei Dosen von über 20 Sv treten zunehmend die Symptome des Zusammenbruches des zentralen Nervensystems auf. Je nach Schweregrad kommt es z. B. bei Dosen von etwa 100 Sv innerhalb von Stunden bis zu wenigen Tagen zu Verwirrungszuständen, Krämpfe, Bewusstlosigkeit immer mit tödlichem Ausgang. Die Überwindung einer akuten Strahlenkrankheit ist von der Erholung der betroffenen Zellerneuerungssysteme abhängig 57 und wird von der Zahl der überlebenden und funktionstüchtigen Stammzellen bestimmt. Zum Versagen des Systems kommt es erst beim Zusammenbruch der Zellerneuerung hauptsächlich durch Insuffizienz im Reservoir der Stammzellen. Daher gehört zur Therapie der schweren akuten Strahlenkrankheit auch der Versuch der Transplantation von Stammzellen des blutbildenden Systems. Wenn erfolgreich, gleichen die transplantierten Stammzellen Zellverluste wieder aus und sind in der Lage, die Infektionsabwehr zu stärken, Blutungsneigung zu verringern, und die Erholung von Schäden im Magendarmtrakt zu fördern. Strahlenschäden der Haut, verstärkende Schäden Die oben aufgeführten klinischen Befunde und subjektiven Beschwerden können sich erheblich ändern, wenn noch andere gesundheitliche Sekundärschäden zusätzlich verstärkend, d.h. synergistisch, auftreten, wie Weichteilverletzungen, Verbrennungen und Infektionen. Zudem entstehen je nach der Expositionsweise zum Beispiel anlässlich eines Unfalls und auch je nach Strahlenart sowohl akute wie chronische Hautverletzungen mit erheblicher Infektionsgefahr. Ausmaß und Entstehungszeit geben Auskunft über die erhaltene Dosis im Gewebereich der Verletzung. So tritt nach etwa 2 Gy akuter Röntgenbestrahlung innerhalb von 2 bis 24 Stunden eine vorübergehende Hautrötung auf, die auch frühes Erythem genannt wird. Eine stärkere, massive Rötung erscheint bei 6 Gy nach einer Zeit von etwa 10 Tagen. Temporären Haarausfall sieht man bei 3 Gy im Verlauf von etwa 3 Wochen. In derselben Zeit verursachen 7 Gy permanenten Haarausfall. Schlecht heilende Geschwüre erleidet die Haut etwa 2 Monate nach akuter Bestrahlung mit etwa 20 Gy; diese können bis zu mehreren Jahren anhalten und zu Hautkrebs entarten. Strahlenschäden der Keimdüsen In diesem Zusammenhang sind auch die strahleninduzierten akuten Schäden in Keimdrüsen zu erwähnen. Untersuchungen an Menschen ergaben eine vorübergehende männliche Sterilität bereits nach einer akuten Dosis von 0.15 Gy; nach 2 Gy eine 58 mehrere Jahre dauernde Sterilität, und permanente Sterilität nach 6-8 Gy. Weibliche Eizellen sind extrem strahlenempfindlich hinsichtlich Zelltod. Etwa 60–70 % von ihnen gehen bereits nach einer akuten Dosis von 0.12 Gy zugrunde. Einmal induzierte Sterilität bleibt lebenslang bestehen, da Eizellen sich nach ihrer Entstehung vor der Geburt nicht mehr teilen. Nicht abgestorbene Eizellen zeigen eine relativ hohe Reparaturfähigkeit. Strahlenschäden des ungeborenen Lebens Die aufgezeigten Verhältnisse verdeutlichen, dass Gewebe mit hoher Zellteilungsaktivität generell strahlenempfindlicher sind als Gewebe, in denen die Zellerneuerung sehr langsam ist. So ist erwartungsgemäß das ungeborene Leben im Mutterleib durch ionisierende Strahlen besonders gefährdet. Dabei bilden die ersten Entwicklungsmonate, in denen im gesamten Embryo rasch aufeinander folgende Zellteilungen ablaufen, das empfindlichste Stadium. Hier können schon relativ niedrige akute Dosen, wie bei Stammzellen, Zelltod verursachen, und in überlebenden Zellen solche DNS-Schäden induzieren, die Mutationen bringen und zu Missbildungen, d.h. teratogenen Schäden, führen. Vor allem werden während der Zeit embryonaler Anlage von Organen durch DNS-Schäden anhaltende Störungen von Zellfunktionen eingeleitet, die je nach Dosis während der Schwangerschaft schwerwiegende Organstörungen mit Missbildungen, vor allem am zentralen Nervensystem nach sich ziehen können. Die folgende Übersicht gibt die akuten Minimaldosen an, bei denen Effekte im Embryo und Föten beobachtet worden sind: TIEREXPERIMENTE: Verlust von Oozyten (Primaten) 50 % Letaldosis bei 0.5 Gy Schäden des zentralen Nervensystems (Maus) Schwellendosis bei 0.1 Gy Hirnschaden und Verhaltensstörungen (Ratte) Schwellendosis bei 0.06 Gy BEOBACHTUNGEN AN MENSCHEN: Kleiner Kopfumfang mit geistiger Retardierung Schwellendosis bei 0.06 Gy 59 Man kann zusammenfassend feststellen, dass messbare Schäden am ungeborenen Leben bei akuten Dosen unter 0.1 Gy auftreten können, wenn diese Dosen in der besonders strahlenempfindlichen Phase der kindlichen Entwicklung einwirken. Die Abb. 16 fasst einige Ergebnisse zusammen, die bis auf Beobachtungen geistiger Retardierung bei Menschen von Tierexperimenten stammen, bei denen relativ hohe Dosen gebraucht wurden. Beim Menschen ist die für die Hirnentwicklung sensibelste Phase zwischen der 8. und 15. Schwangerschaftswoche. 0 Tierstudien 1 2 4 Präimplantation Organanlagen Pränatal er Tod Mißbildungen Neotal er Tod Wachstum p 6 8 10 15 Hall E., 2000 2 4 40 25 40 Permanente Wachstumshemmung Geistige Retardierung Risiko hoch 1 25 Fötale Periode AtomBomben Überlebende Japan 0 20 6 8 10 Geistige Retardierung Risiko 4 x kleiner 15 20 Schwangerschaft in Wochen Abb. 2.16 Die Wahrscheinlichkeit fötalen Todes nach akuter Bestrahlung nimmt von der Implantationsphase bis zur etwa 5. Woche rasch ab. Danach treten Missbildungen häufiger auf. Im letzten Drittel der Schwangerschaft nimmt die Resistenz auch gegen Missbildungen stark zu. In dieser Phase dürften akute Dosen oberhalb von etwa 0.1 Gy das Risiko kindlicher Krebserkrankungen erhöhen. Was die verringerte Schädelgröße, häufig in Kombination mit geistiger Behinderung, betrifft, wird zwar, wie oben angegeben, eine Schwellendosis von etwa 0.06 Gy angegeben, aber die Wahrscheinlichkeit einer solchen Fehlbildung lag in Hiroshima und Nagasaki bei etwa 2–3 % der Exponierten mit fraglicher statistischer Signifikanz. Erst nach etwa 0.25 Gy begann dieses Risiko mit der Dosis praktisch linear anzusteigen. In Hiroshima und Nagasa60 ki waren etwa 50 % derjenigen Kinder geschädigt, die im Mutterleib einer mittleren Dosis von 1 bis 1,5 Gy ausgesetzt waren. Sorgfältige Dosiserhebungen sind bei etwaigen Unfällen schwangerer Frauen unerlässlich, um gegebenenfalls therapeutische Entscheidungen treffen zu können. 2.4. Späte Strahlenschäden Bei späten Strahlenschäden nach akuter wie chronischer oder fraktionierter Exposition kann es sich um deterministische wie stochastische Schäden handeln. Auch hier müssen Erbanlagen, Alter des Individuums, und Lebensweise sowie Umwelteinflüsse berücksichtigt werden. Deterministische Spätschäden - Effekte durch chronische Strahlenexposition mit niedriger Dosisrate Die oben für bestimmte Dosisbereiche genannten Symptome akuter Strahlenkrankheit gelten für Ganzkörperexpositionen innerhalb von Sekunden bis wenigen Minuten, d. h. bei hoher Dosisleistung. Nimmt die Dosisleistung ab, so vermindert sich die Strahlenwirkung auf den Gesamtorganismus. Im allgemeinen reduziert sich die Wirkung einer bestimmten Strahlendosis mit wachsendem Zeitraum, in welchem der Körper dieser Dosis ausgesetzt ist. So wurde bereits erklärt, dass mit fallender Dosisrate der Zeitraum zwischen zwei aufeinander folgenden Strahleneinfangereignissen mit ihren Energiepaketen in einem definierten Gewebevolumen sich soweit vergrößern kann, dass Reparaturmechanismen auf einzelne Treffer optimal ablaufen können. Eine ähnliche Situation entsteht bei mehrmaliger Exposition mit kleinen Einzeldosen in entsprechend längeren zeitlichen Abständen, oder bei Teilkörperbestrahlung, bei der im Gesamtorganismus Reserven für Reparaturfähigkeit vor allem über im Blut zirkulierende Stammzellen erhalten bleiben. Eine bei kurzzeitiger Ganzkörperexposition tödlich wirkende Dosis lässt sich experimentell so weit strecken, dass sie auf Grund der Reparatureffizienz des Körpers klinisch zunächst wirkungslos bleibt. Schließlich führt Dosisakkumulation jedoch über Akkumulation von DNS-Schäden vor allem in den Stammzellen für die Blutbildung zum relativ abrupten Zusammenbruch nicht 61 selten mit Todesfolge. Auch ist zu berücksichtigen, dass während der Expositionszeit sich die Wirkung der dem Körper zur Verfügung stehenden Abwehr- und Reparaturmechanismen zur Erhaltung der Population funktionstüchtiger Zellen optimiert, solange Stammzellen differenzierende Zellen nachliefern können. Der klinische Verlauf und Ausgang solch spät auftretender Erkrankungen zeigt die Erschöpfung des Stammzellenreservoirs mit Insuffizienz der Bildung zirkulierender Blutzellen und geht gewöhnlich einher mit Infektionen und Blutungen. Andererseits liegen verschiedene Beobachtungen vor, dass kleine Dosisraten mit Ȗ-Strahlen im Bereich von 1 mGy pro Stunde bei Mäusen die Immunabwehr stimulieren und dadurch auch therapeutisch wirksam sein können. Auch genetische Mutationsraten wurden bei kleinen Dosisraten in ähnlicher Größenordnung untersucht, und es ergab sich eine von der Dosisrate abhängige Minimierung der Mutationen unterhalb des Kontrollwertes. Diese Berichte deuten auf die Fähigkeit von Anpassungsreaktionen von Organismen auf kleine Dosen und zwar abhängig von der Dosisrate. - Somatische Spätschäden nach Strahlenexposition mit hoher Dosis oder Dosisrate Auch die relativ strahlenresistenten Gewebe und Organe des Körpers können nach akuter Einwirkung hoher Dosen und nach chronischer Exposition mit hohen Dosisraten im Verlaufe von Jahren klinisch deutliche Funktionsstörungen mit entsprechenden anatomischen Organveränderungen entwickeln. Bei diesen Krankheitsbildern sind die Symptome wiederum Folge von akkumulierten Zellschäden, und häufig von solchen Schäden, die sich in den entsprechenden Vorläuferzellen der betroffenen Gewebe und Organe angehäuft haben. So ist verständlich, dass eine Mindest- oder Schwellendosis zur Ausbildung solcher Schäden erforderlich ist. Die niedrigste Schwellendosis für deterministische Spätschäden betrug, wie sie bisher von den Erhebungen bei den Überlebenden der Atombomben in Japan erkennbar waren, etwa 0.5 Gy. Bei deterministischen Spätschäden können Herz- Kreislaufstrukturen, insbesondere Blutgefässe, Lungengewebe, Augenlinse, und, wie oben bereits genannt, auch Haut und Schleimhäute betroffen sein. Die für die Ausbildung einiger solcher Schäden erforderlichen Dosen sind relativ hoch und kommen 62 praktisch nur bei Teilkörperbestrahlung als auslösende Ursache in Frage. So sind zur Entwicklung einer chronischen Hautentzündung (Dermatitis) mit trockener, atrophischer, haarloser Haut mit kleinen Blutgefäßerweiterungen und Pigmentierungen Dosen von 10 Gy und mehr nötig. Für die Ausbildung einer Augenlinsentrübung ist eine akute Exposition von 2 Gy erforderlich und bei Langzeitexposition braucht es dazu etwa 15 Gy. Auch die Lungen sind relativ zu einigen anderen Organen für deterministische Spätschäden strahlenempfindlich, so dass eine Strahlen-Pneumonie schon 2-6 Monate nach etwa 17-18 Gy auftreten kann und bei noch höheren Dosen eine irreversible Gewebeverhärtung durch so genannte Fibrose mit Verzögerungen von Jahren nach sich zieht. Diese Veränderungen werden als besondere Gefahren bei Strahlentherapieplanung im Brustbereich berücksichtigt. Das Ausmaß der Reaktionen hängt ab vom bestrahlten Gewebevolumen, der Dosis und der Art der fraktionierten Bestrahlung, wobei die letztere Expositionsart für die Lunge akut schädlicher sein kann als einmalige Dosis. Tabakrauchen mit Inhalation hat eine besonders starke Förderwirkung bei der Ausbildung von strahlenbedingten Lungenerkrankungen. Zu den deterministischen Schäden können auch chronische Infektionen auf Grund eines kompromittierten Immunsystems gezählt werden, wobei je nach chronischer Belastung eine Dosisakkumulation von mehreren Gy schon ausreicht. Stochastische Spätschäden - Allgemeine Einleitung, Risikoanalyse Stochastische Spätschäden sind bösartige Erkrankungen, die mit einer zeitlichen Verzögerung, oder Latenzzeit, von Jahren auftreten. Auch heute noch, über 60 Jahre nach der Katastrophe, werden in der Gruppe der Überlebenden der Atombomben in Japan mehr Krebsfälle registriert, als in der gewählten Kontrollpopulation auftreten. Keine andere menschliche Gruppe ist unter so sorgfältiger und langfristiger medizinischer Kontrolle wie die der Japanischen Atombombenopfer. Diese Daten und andere Kollektive, die langfristig nach akuter Bestrahlung klinisch beobachtet worden sind, zeigen eindeutig, dass Dosen über etwa 0.2 Gy eine erkennbare Anhebung der Krebshäufigkeit bei den Exponierten bedingen. Eine besondere Schwierigkeit der Risikoabschätzung bei stochastischen Spätschäden, vor allem nach Exposition mit kleinen 63 Dosen, ist die Tatsache, dass die durch ionisierende Strahlen ausgelösten Krebs- und Leukämieerkrankungen, ebenso wie Erbschäden keine leicht erkennbaren spezifischen Merkmale als Strahleneffekte aufweisen. Solche Erkrankungen werden durch viele andere toxische Substanzen ebenfalls verursacht. Sie treten in großem Umfang „spontan“ auf, ohne dass die auslösende Ursache klar erkannt wird. Die Krebstodesrate in Industrieländern liegt bei etwa 25 %, wobei regionale Schwankungen unabhängig von einer Strahlenexposition registriert werden. Eine geringfügige Erhöhung dieser Todesrate um Bruchteile eines Prozents eventuell durch niedrige Dosen, wie im Bereich der natürlichen Strahlenexposition, ist daher, wenn überhaupt, nur an sehr großen Personengruppen, d.h. Kollektiven, nachweisbar, wobei die für eine sichere Aussage notwendige Größe des Kollektivs von der Höhe der Strahlenexposition abhängt: Je kleiner die Dosis, um so größer muss das Kollektiv sein, um einen Zusammenhang mit der Strahlung nachzuweisen. So kann leicht berechnet werden, dass zum etwaigen Hinweis auf eine strahlenbedingte Erhöhung der Krebsrate von einer zusätzlichen jährlichen Exposition mit 1 mGy die langfristige Beobachtung von 5 bis 10 Millionen so exponierter Menschen notwendig ist. In der Realität werden Kollektive, die auch nur annähernd diese Bedingungen erfüllen, wohl niemals zu finden sein. Aufgrund der hohen natürlichen oder spontanen Krebsraten auf der Welt, besonders in Industrieländern, mit erheblichen regionalen und auch zeitlich statistisch bedingten Schwankungen, die zum Teil durch individuelle Lebens- und Ernährungsweisen bestimmt werden. können gegenwärtig keine eindeutigen Aussagen der Epidemiologie gemacht werden, inwieweit kleine Dosen Krebs verursachen. Bessere Zugänge zur Frage der Krebshäufigkeit bei kleinen Dosen erlauben Tierexperimente, die Mechanismen etwaiger Zusammenhänge zwischen ionisierenden Strahlen, Krebsentwicklung und individuellen Umwelt- und Lebensbedingungen generell erklären lassen, aber durchaus nicht einfach auf menschliche Kollektive übertragen werden können. Bei der Entwicklung epidemiologischer Methoden, zwischen Dosishöhe und Krebsrate einen Zusammenhang herzustellen, sind einwandfrei gemessene Daten bei höheren Dosen zur Auswertung gekommen. Hier stellt das Kollektiv der Überlebenden der Atombomben in Hiroshima und Nagasaki den heute wichtigsten Ansatz. Aber auch andere Kollektive überexponierter 64 Personen sind meist bei chronischer Exposition vorhanden. So stellen beispielsweise die Bergarbeiter im sächsischen Erzbergbau ein solches Kollektiv. Dieser Personenkreis wurde schon im 16. Jahrhundert dadurch auffällig, dass ungewöhnlich viele Arbeiter an der so genannten „Schneeberger Krankheit" litten und starben. Diese 1879 als Lungenkrebs erkannte Krankheit hatte ihre Ursache in der Inhalation hoher Konzentrationen von Radon und seinen Folgeprodukten mit der Atemluft wegen unzureichender Bewetterung der Stollen, wobei Lungendosen von 10 bis 100 Sv auftraten. Für die Abschätzung des Risikos bei kleinen Dosen benutzen Epidemiologen meist die Methode der Extrapolation von beobachteten Effekten bei hohen Dosen. Somit wird die bei hoher Dosis und hoher Dosisleistung gefundene mehr oder weniger lineare Dosisabhängigkeit des Risikos auf den niedrigen Dosisbereich umgerechnet. Die Rechtfertigung für das Modell der linearen Dosis-Risiko Beziehung basiert wesentlich auf der experimentell bestätigten linearen Beziehung zwischen Dosis und der Anzahl der DNS-Schäden und der daraus folgenden Mutationsfrequenzen in exponierten Zellen und Organismen. Lineare Extrapolationen für Krebserkrankungen unterstellen jedoch, dass ionisierende Strahlen im unteren Dosisbereich die gleiche Wirkung auf das Gesamtsystem pro Dosiseinheit haben wie bei hohen Dosen. In der Tat liegen heute Hinweise darauf vor, dass der Gesamtorganismus bei hohen Dosen anders reagiert als bei kleinen Dosen. - Sekundäre Faktoren bei der Risikoanalyse Bei der generellen Entscheidung der meisten Epidemiologen für das Modell der linearen Dosis-Risiko Beziehung bei kleinen Dosen, werden auch andere Faktoren in Betracht gezogen. Sie beziehen sich auf die Tatsache, dass Krebserkrankungen generell mit dem Alter häufiger auftreten. So sind zum Beispiel für das zeitliche Auftreten der einem Strahlenrisiko zugewiesenen Krebserkrankung nach einer Exposition zwei Modelle entwickelt worden. Das erste Modell bestimmt das relative Risiko und geht davon aus, dass nach der Exposition das Krebsrisiko um einen bestimmten Prozentsatz des Spontanrisikos erhöht ist, und dass der Faktor der Erhöhung im Laufe des Lebens konstant bleibt. Nach heutiger Kenntnis entsprechen diesem 65 Modell am besten die verfügbaren Daten über das Risiko bei hohen Dosen für solide Krebstumoren. Es gibt neuerdings aber auch Hinweise, dass nach einigen Jahrzehnten dieses Risiko wieder abnimmt. Das zweite Modell betont das absolute Risiko. Es geht nach der Exposition mit einer bestimmten Dosis von einer Gesamtzahl zusätzlicher Krebsfälle innerhalb eines bestimmten Zeitraums aus. Nach diesem Zeitraum entspricht die Krebsrate im exponierten Kollektiv wieder der Spontanrate. Mit diesem Modell decken sich die vorliegenden Daten über Knochenkrebs, wie Osteosarkome, und auch Leukämien nach hohen Dosen. Bei der Abschätzung der Gesamtzahl aller zusätzlichen Krebstodesfälle durch eine Strahlenexposition spielen im Modell des relativen Risikos die mittlere Lebenserwartung des Kollektivs und das Alter zur Zeit der Strahlenexposition eine besondere Bedeutung. Der notwendige Beobachtungszeitraum umfasst die gesamte Lebenszeit. Beim Modell des absoluten Risikos wird dagegen die abgeschätzte Zahl über einen bestimmten Zeitraum lediglich durch unterschiedliche Empfindlichkeiten der einzelnen Altersgruppen beeinflusst. Der notwendige Beobachtungszeitraum umfasst nur die Zeitspanne, in der das Risiko erhöht ist. - Die Überlebenden in Hiroshima und Nagasaki Aktuelle Daten aus Japan zeigt die Abb. 2.17. Hier sind die Zahlen der in den einzelnen Dosiskategorien beobachteten Personen und der in diesen Gruppen aufgetretenen Krebserkrankungen eingetragen und mit Erwartungswerten von Kontrollkollektiven verglichen, wobei die annähernde Standardabweichung mit angegeben ist. Für die mit diesen Zahlen durchgeführte epidemiologische Auswertung wurde die lineare Dosis-Risiko Beziehung gewählt, und zwar über den gesamten Dosisbereich von unter 0.005 Gy bis zu über 2 Gy. Die Begründung für die Annahme der Linearität ist, wie bereits erwähnt, die vielfach bestätigte Beobachtung, dass DNS-Schäden mit der Dosis proportional, d. h. linear ansteigen. Mit dieser Prämisse und unter Berücksichtung der beobachteten Häufigkeit verschiedener Krebsarten bei den einzelnen Dosiskategorien wurde dann errechnet, dass Do66 Registrierte und erwartete Tote mit solidem Carcinom 1950 – 1997 bei Atombomben Überlebenden in Japan Dosi s Gy Nr. Pers. beobachtet Solide Ca + beobachtet Solid Ca + erwartet < 0.005 37458 3833 ± 62 3844 ± 62 0.005 - 0.1 31650 3277 ± 57 3221 ± 57 0.1 - 0.2 5732 688 ± 26 622 ± 25 0.2 - 0.5 6332 763 ± 28 678 ± 26 0.5 - 1.0 3299 438 ± 21 335 ± 18 1.0 - 2.0 1613 274 ± 17 157 ± 13 488 82 ± 9 86 572 100 % 9335 ± 97 10.8 % 2.0 + Gesamt Prozent 38 ± 6 8895 ± 30 10.3 % nach Preston DL et al., 2003 Abb. 2.17 sen bereits im Bereich von 0.05 Gy krebsauslösend sein könnten. Die Zahlen in Abb. 2.17 belegen den relativ kleinen Anteil von etwa 0.5 % von tödlichen Krebserkrankungen, die im Gesamtkollektiv der exponierten Personen über die Jahre als strahleninduziert gelten könnten. Die hohe Zahl spontaner Krebserkrankungen macht es in kleinen Dosisbereichen besonders schwierig, wenn nicht gar unmöglich, den einer Strahlenexposition rechnerisch zugeordneten Anteil der Krebserkrankungen tatsächlich der Einwirkung von Strahlen zuzuschreiben. Die Anwendung des Modells der linearen Dosis-Risiko Beziehung, wie sie sich aus der Analyse von DNS-Schäden ergibt, gilt vielen Strahlenschützern bis heute noch als der sicherste Weg für einen optimalen Strahlenschutz. Das Bemühen, den best möglichen Strahlenschutz zu gewährleisten, führte die Internationale Strahlenschutzkommission (ICRP) schon in der 70er Jahren dazu, mit Hilfe des Modells der linearen Dosis-Risiko Beziehung die Krebshäufigkeit in der exponierten Population pro Dosis-Einheit anzugeben und zudem auch für einzelne Krebsarten solche Wahrscheinlichkeiten zu benennen und diese Werte jeweils den neuen im wesentlichen aus Japan stammenden Erhebungen anzupassen. Andere internationale Organisationen 67 unternahmen ähnliche Bemühungen und veröffentlichten Daten zum Risiko im Laufe des Lebens an strahleninduziertem Krebs zu erkranken. Die folgende Aufstellung vergleicht die Schätzungen des Lebenszeitrisikos pro Dosis-Einheit für eine Reihe strahleninduzierter Krebserkrankungen, wie sie 1991 von der Internationalen Strahlenschutzkommission (ICRP), und 2000 von der Wissenschaftlichen Kommission für Effekte Atomarer Strahlung der Vereinten Nationen (UNSCEAR) vorgetragen worden sind. Alle diese Angaben wurden unter Anwendung des Modells der linearen DosisRisiko Beziehung im kleinen Dosisbereich erstellt und zwar unter Berücksichtigung des relativen und absoluten Risikos. Geschätztes Lebenszeitrisiko pro 0.01 Gy pro 106 exponierte Personen (Spontan-Risiko liegt bei etwa 250,000 pro 106 Personen) KREBSICRP 1991 UNSCEAR 2000* ERKRANKUNG Leukämie 50 50 Alle Krebserkrankungen außer Leukämie 450 520 Verdauungstrakt Speiseröhre 30 25 Magen 110 18 Kolon 85 75 Leber 15 20 Lungen 85 160 Weibliche Brust 20 43 Knochen 5 Haut 2 Eierstöcke 10 Blase 30 22 Niere Schilddrüse 8 Andere solide Krebserkrankungen 50 160 Für UNSCEAR * = Mittelwert verschiedener Ansätze (relatives vs. absolutes Risiko) 68 - Für einzelne Organe geschätzte Risikoanteile am Gesamtrisiko Aus den obigen Daten hat die ICRP 1991 für den praktischen Strahlenschutz eine Reihe von Wichtungsfaktoren empfohlen. Diese geben denjenigen geschätzten Anteil von zu erwartenden strahleninduzierten Gesamtkrankheitsfällen an, der in einer Population nach Ganzkörperexposition mit einer bestimmtem Dosis in Sv auf das jeweilig aufgeführte Organe entfällt. Wichtungsfaktoren sind somit Ausdruck von definierten Risiken und basieren auf der Annahme einer linearen Dosis-Risiko Beziehung in kleinen Dosisbereich. Die erfassten Erkrankungen schließen sowohl genetische Schäden als auch stochastische Spätschäden in Sinne von Krebserkrankungen ein: Keimdrüsen (Risiko durch vererbbare, d.h. genetische, Schäden) 0,20 (20 %); Rotes Knochenmark (Leukämierisiko), Lunge, Enddarm und Magen je 0,12 (je 12 %); Brust, Schilddrüse, Blase, Leber und Speiseröhre je 0,05 (je 5 %); Knochenoberfläche und Haut je 0,01 (je 1 %); Alle übrigen Gewebe insgesamt Summe (Gesamtkörper) 0,05 (5 %); =1 (100 %). Es ist offensichtlich, dass die hier genannten Wichtungsfaktoren Näherungswerte sind und Spätschäden zusammenfassen wollen, welche zum Zwecke des Strahlenschutzes auch zur Ermittlung der so genannten „effektiven Äquivalentdosis" dienen sollen. Diese Dosis in Sv repräsentiert das genetische und somatische Gesamtrisiko für strahleninduzierte Spätschäden; das heißt, sie ist die Summe aller entsprechend den Organempfindlichkeiten gewichteten Teilkörperäquivalentdosen. - Andere epidemiologische Studien an exponierten Populationen Neben den Studien in Japan sind verschiedene große epidemiologische Studien vor allem in den letzten Jahren veröffentlicht worden: an Arbeitern in der Kernkraftindustrie und im Uranbergbau verschiedener Länder, und in Werften von 69 Kernkraft getriebenen Schiffen, sowie an solchen Bevölkerungsgruppen, die erhöhter Strahlenexposition in der Nähe von Kernwaffen produzierenden Anlagen ausgesetzt waren, oder die in der medizinischen Strahlenkunde vor allem in der Frühphase der Röntgenologie gearbeitet haben. Bei nahezu all diesen Studien wurden die Daten prinzipiell nach dem Modell der linearen Dosis-Risiko Beziehung im kleinen Dosisbereich ausgewertet. Die entsprechenden Schlussfolgerungen sind widersprüchlich. Es scheint, dass bei chronischer Exposition mit kleinen Dosen erst bei relativ hohen akkumulierten Dosen das Krebsrisiko erkennbar ansteigt. Ein besonders hoher Schwellenwert von etwa 5 Gy zeigte sich bei Malerinnen von Uhrenzifferblättern mit Leuchtfarben, die Radium-226 und Radium-228 enthielten. Die Malerinnen befeuchteten die feinen Pinsel mit der Zunge, und das so im Körper aufgenommene Radium mit seinen D-Teilchen führte zu chronischer Bestrahlung und nach Jahren zur Entwicklung von Knochensarkomen. Ein noch höherer Schwellenwert von etwa 10 Gy war für Knochensarkom bei chronisch exponierten Hunden mit Strontium-90, einem reinen E-Strahler, zu sehen. Auch bei epidemiologischen Analysen von Kernindustrie-Arbeitern, die chronisch hauptsächlich Ȗ-Strahlung ausgesetzt waren, ergaben ohne Anpassung der in den Dosis-Kategorien beobachteten Krebshäufigkeiten an das Modell der linearen Dosis-Risiko Beziehung, dass im kleinen Dosisbereich die erhobenen Zahlen an Krebskrankheiten nicht nur keine statistisch signifikante Anhebung erkennen lassen, sondern eher einen Dosis-Schwellenwert für die Induktion von Krebserkrankungen ergaben oder sogar eine Verringerung der Krebserkrankungen zeigten. Zablotska LB et al. publizierten 2004 die Mortalität bei 45.468 Arbeitern der kanadischen Kernkraftindustrie nach chronischer Exposition mit niedrigen Strahlendosen: „Für alle soliden Krebsarten zusammen zeigt die kategorische Analyse eine signifikante Verringerung des Risikos in der Kategorie 1–49 mSv im Vergleich zur niedrigsten Kategorie (< 1 mSv) mit einem relativen Risiko von 0.699 (95 % VI: 0.548, 0.892).“ und „Über 100 mSv schien das Risiko zu steigen.“ 70 Auf Grund früher bekannter Daten und nun neuerer zahlreicher experimenteller und epidemiologischer Untersuchungsergebnisse über den Mangel an beobachtbarer Linearität der Beziehung zwischen Krebs und kleinen Dosen hat sich vor allem in den letzten Jahren der Zweifel an der Richtigkeit der wissenschaftlichen Grundlage der Anwendung der linearen Dosis-Risiko Beziehung verstärkt. Diese Tendenz wird unterstützt durch strahlenbiologische Grundlagenforschung über die Wirkung kleiner Dosen auf komplexe biologische Systeme. Zunehmend werden systemimmanente und Schutz bringende Reaktionen neben DNS- und anderen Schäden berichtet. Auch die ICRP hat stets betont, dass die Annahme einer linearen Dosis-Risiko Beziehung bis zur kleinsten Dosis zwar für den Strahlenschutz die höchste Sicherheit bringt, aber für die Anwendung in epidemiologischen Studien wissenschaftlich nicht begründet ist. Vor allem erscheint es nicht angebracht, unter Einsatz der linearen Dosis-Risiko Beziehung im kleinen Dosisbereich Vorraussagen zu machen, wie viele Krebserkrankungen nach einer Exposition im kleinen Dosisbereich auftreten, wie dies vor allem nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl ausgiebig gemacht worden ist. 2.5. Anstehende Modifikationen der Risikoanalyse Die möglichen Dosis-Risiko Beziehungen für Strahlenkrebs Angesichts dieser neueren Entwicklungen ist es angebracht, alternative Modelle der Dosis-Risiko Beziehung zu betrachten. Sicher hat das Modell der linearen Dosis-Risiko Beziehung eine gewisse Stütze in der Grundlagenforschung und auch viele Vorteile in der praktischen Anwendung für eine Risikoanalyse, wie oben dargelegt. Aber sie verführt auch zu nur scheinbar gültigen Aussagen, deren Gewicht in der breiten Öffentlichkeit eindeutig zu einer großen Strahlenangst geführt hat, welche auch medizinisch gerechtfertigte Strahlenexpositionen im Bereich ärztlicher Anwendung erschwert und jede beruflich bedingte Strahlenexposition wo auch immer ausschließen will, wenn sie sogar unter den Dosen liegen, die natürlicherweise auf der Erde unvermeidbar sind. 71 So ergibt sich die Situation, dass Patienten aufgrund ihrer Angst vor Strahlen strahlendiagnostische Untersuchungen ablehnen, damit das frühzeitige Erkennen einer Erkrankung verhindern und sich somit selbst einen größeren Schaden durch eine zu späte oder unterlassene Therapie zufügen. Für eine rationale Risiko-Nutzen-Analyse einer Strahlenexposition haben sowohl das eigentliche Strahlenrisiko als auch medizinisch-psychologischen Risiken wie auch die mit diesen verbundenen Kosten für die Allgemeinheit hohen Rang. Die für die Strahlenschutz offensichtlich zentrale Bedeutung der linearen Dosis-Risiko Beziehung für Krebserkrankungen durch kleine Dosen wird gegenwärtig von Befürwortern und Gegnern kontrovers diskutiert. Die Befürworter sehen in der Linearität der Beziehung zwischen DNS-Schäden und Dosis die stärkste Stütze ihrer Argumente, wobei sie auch auf die große Tradition der mit dem Nobelpreis gewürdigten strahlenbiologischen Mutationsforschung verweist. Die Gegner der linearen Dosis-Risiko Beziehung für strahleninduzierten Krebs bei kleinen Dosen berufen sich sowohl auf neuere Analysen epidemiologischer Daten wie vor allem auf die neueren Forschungsergebnisse der Strahlenbiologie vor allem der beiden letzten Jahrzehnte mit Entdeckungen von strahleninduzierten komplexen Systemreaktionen bei kleinen Dosen, wie adaptive Protektion, Bystander Effekten, und der Instabilität des Genoms. Es ist daher nicht verwunderlich, dass große Anstrengungen gemacht werden, um zu einer vernünftigen und dem Schutz des Menschen wie der Natur dienenden Modell einer wissenschaftlich begründeten und gesellschaftlich akzeptablen Dosis-Risiko Beziehung bei kleinen Dosen zu kommen. Die Abb. 2.18 zeigt die grundsätzlich bestehenden Alternativen der Dosis-Risiko Beziehungen: die supra-lineare, die lineare, die linear-quadratische, die Schwellen- und HormesisFunktion. In dieser Darstellung ist die Dosis als Logarithmus eingetragen, um die im kleinen Dosisbereich großen Variationsmöglichkeiten leichter zu veranschaulichen. Bei der Abwägung der unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten dieser fünf prinzipiell möglichen und auf Modellen basierenden Funktionen müssen zelluläre Besonderheiten je nach 72 Alternative Dose-Risk Functions Options of Low-Dose Induced Cancer Risk Mögliche Dosis-Risiko Beziehungen relatives Risiko für Krebs für durch Strahlung bedingten Radiation-Induced Cancer Krebs Supralinearität ? Linearität ? ĮD • ȕD2 ? 1 Log. Dosis Dose D Log. D Schwelle ? Hormesis ? Abb. 2.18 Organismus, Zellart, Zellstoffwechsel und Zellzyklusphase berücksichtigt werden. Aber ungeachtet der indivi-duell speziellen Strahlenempfindlichkeit verschiedener Organismen und Zellsysteme ist doch allen biologischen Systemen gemeinsam, dass sie in hierarchisch organisierten Strukturen mit ihren besonderen Signalnetzen Mechanismen besitzen, die dem Erhalt des gesamten Organismus dienen, wie dies bereits erläutert wurde. Physiologische Abwehr- und Anpassungsreaktionen biologischer Systeme Die biologischen Antwortreaktionen auf Störungen der Homöostase in biologischen Systemen hängen vom Ausmaß der Störung ab, d. h. von ihrer Qualität und Quantität, und von der Art der betroffenen Zellen und Gewebe. Um es erneut zum Ausdruck zu bringen, bei minimalen Störungen kommt es generell relativ schnell zur Wiederherstellung der physiologischen Ausgangslage, während bei größeren bzw. ernsteren Störungen zunehmend kompliziertere Regelkreise mitspielen, die wiederum andere Signalnetze mit ihren Folgereaktionen auf höheren Organisationsebenen beeinflussen können. Kommt es zu partieller Zerstörung funktionstragender Strukturen, reagieren biologische Systeme mit dem Bemühen der 73 Reparatur. Beispiele solcher Reaktionen wurden bereits im Kapitel “Abwehr- und Reparaturmechanismen“ genannt. Über die direkten Reaktionen immanenter Abwehrmechanismen hinaus können kleine Dosen wie auch andere Stress auslösende Störungen in betroffenen biologischen Systemen verspätet einsetzende und meist nur zeitweise wirksame Reaktionen verursachen, welche die vorhandenen Abwehrmechanismen vorübergehend stärken und somit das System vorübergehend anpassen, d. h. adaptieren, um erneut auftretende Störungen effektiver zu bewältigen als dies bei der vorangegangenen Störung der Fall war. Adaptive Reaktionen können alle Organisationsebenen umfassen, Gen-Expressionen ändern, und erscheinen als 1.) verbesserte Abwehr gegen toxische Agenzien, wie reaktive Sauerstoffradikale, d.h. ROS, 2.) verbesserte und beschleunigte DNS-Reparatur mit Änderungen des Zellzyklus zwischen den Zellteilungen, und 3.) Stimulierung der Schadensbeseitigung zum Beispiel durch Signal-induzierten Zelltod, d. h. Apoptose, oder durch Stimulierung der Immunabwehr, sowie Zelldifferenzierung. Bei Dosen über etwa 0.1–0.2 Gy wurde das Versagen dieser adaptiven Reaktionen ausgenommen die Apoptose zunehmend deutlich. Eine Zusammenfassung veröffentlichter Daten zur Dosisabhängigkeit beobachteter adaptiver Reaktionen zeigt schematisch die Abb. 2.19. Induktion von Schutz durch niedrigere Dosen Schutz vor Gewebeschaden Schema der Dosisabhängigkeit des adaptiven Schutzes Adaptiver Schutz involviert Gen Expression und bringt: • Schutz vor DNS-Schaden • Reparatur von DNS-Schaden • Immunreaktion • Zelltod (Apoptose) max. Ȉ Schutz | 0.6 - 1 0.1 Feinendegen LE, 2005 Abb. 2.19 74 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 Dosis (Gy) A Induktion von Schutz durch niedrige Dosen Schema der Dauer des adaptiven Schutzes (tp) Normalisierte Reaktion DNS Schutz (ROS Abbau); Apoptose DNS Reparatur; Zellproliferation Immunreaktion Sofort-Reparatur 0 0 Stunden Tage Wochen Monate Log Zeit nach einmaliger Bestrahlung Feinendegen LE 2005 Abb. 2.20 Die Dauer der Wirkung dieser Reaktionen ist schematisch in Abb. 2.20 aufgetragen. Die in verschiedenen biologischen Systemen insbesondere in Mäusen und Ratten erhobenen experimentellen Daten lassen erkennen, dass die unterschiedlichen Schutzmechanismen nach ihrer Induktion von Stunden bis mehrere Wochen anhalten. Besonders lange währt der induzierte Immunschutz, der sich über mehrere Monte erstrecken kann. Diese relativ neuen Untersuchungsergebnisse bei unterschiedlichen biologischen Systemen schließen auch Dosis spezifische Änderungen der Expression von zahlreichen Genen ein. Reaktion biologischer Systeme auf ionisierende Strahlung Organismus Zellen *HVXQGKHLWVVFKDGHQVWHLJW QLFKWSURSRUWLRQDO PLW0ROHN¾O=HOOVFKDGHQ XQGEHLNOHLQHQ'RVHQ QLFKWOLQHDUPLW'RVLV %HLNOHLQHQ'RVHQ VWHLJHQ'166FK¦GHQ OLQHDUPLW'RVLV DNS Feinendegen LE, Neumann RD, 2005 Abb. 2.21 75 Die Abb. 2.21 skizziert schematisch die Bedeutung der physiologischen sofortigen Abwehr- und verspäteten Anpassungsprozesse biologischer Systeme für das Ausmaß von Gesundheitsschäden als Folge von Primärschäden auf der atomar-molekularen Organisationsebene, d. h. auch der DNS. Der für DNS-Schäden beobachtete lineare Anstieg mit zunehmender Dosis setzt sich im Gesamtsystem des Organismus nicht fort. Erst wenn die physiologischen Prozesse zur sofortigen Kontrolle der Homöostase und für die adaptiven Reaktionen auf den verschiedenen Organisationsebenen erlahmen oder zerstört werden, zum Beispiel durch hohe Dosen, kann ein Schaden auf der untersten Organisationsebene sich sozusagen wenig gehindert mit hoher Wahrscheinlichkeit im gesamten System ausbreiten, z. B. vom DNS-Schaden zur Krebszelle, und mit Latenzzeiten von Jahren zum tödlichen Tumor führen. Daher erscheint die Wahrscheinlichkeit strahlenbedingter Krebserkrankungen solange nicht proportional zum Ausmaß strahleninduzierter DNS-Schäden zunehmen, wie die sofortigen Abwehr- und verspäteten Anpassungsprozesse intakt funktionieren. Erst hohe Dosen, wie experimentell und epidemiologisch nachgewiesen, bedrohen den Gesamtorganismus proportional zum Ausmaß des DNS-Primärschadens. Die Information in Abb. 2.21 dient als Begründung für die Rechtfertigung der Annahme, dass in Abb. 2.18 diejenigen Dosis-Risiko Funktionen unwahrscheinlich sind, die im kleinen Dosisbereich eine lineare oder supra-lineare Dosis-Risiko Beziehung annehmen. So bleiben die Schwellendosis oder/und die Hormesis Funktionen eher wahrscheinlich. 2.6. Hormesis und kleine Dosen Wie im diesem Abschnitt näher erläutert wird, verdient die Hormesis Funktion nach Bestrahlung mit niedriger Dosis eine besondere Erwähnung und Erklärung, auch wenn sie gegenwärtig von zahlreichen im Strahlenschutz arbeitenden Personen und vielen Strahlenbiologen als völlig konträr zum bestehenden System des Strahlenschutzes zurück gewiesen wird. Die Frage lautet, wie kann eine niedrig dosierte Strahlenexposition zu einer Verringerung der spontanen Krebshäufigkeit in einer Population führen, oder wie kann die Wahr76 scheinlichkeit einer Krebserkrankung oder einer anderen Erkrankung in einer mit kleiner Dosis bestrahlten Person unter die entsprechend natürlich gegebene Wahrscheinlichkeit sinken? Wie können vorliegende diesbezügliche epidemiologische und tierexperimentelle Daten erklärt werden? In den letzten Jahren sind viele wissenschaftliche Untersuchungen gemacht worden, deren Ergebnisse die gestellte Frage einer Beantwortung zumindest nahe bringen. Die wesentliche Erklärung geht von der Tatsache aus, dass die von ionisierenden Strahlen erzeugten biologischen Effekte im kleinen Dosisbereich sehr ähnlich solchen Effekten sind, die im normalen Zellstoffwechsel auftreten. Hier spielen die reaktiven Sauerstoff-Radikale, ROS, eine besondere Rolle. Diese sind je nach dem Ort ihrer Entstehung und ihrer Konzentration in der Zelle sowohl Signalsubstanzen wie auch Gifte. So wird heute allgemein zugestimmt, dass im Stoffwechsel der Zelle produzierte ROS ständig DNSSchäden verursachen. Das Ausmaß dieser Schäden ist so groß, dass mit modernen Methoden erkannt wird, dass pro Zelle im Körper im Mittel pro Tag etwa zwischen 0.1 und etwa 5 DNS-Doppelstrangbrüche, DNS-DSB, entstehen, wobei wahrscheinlich ist, dass mit fortschreitendem Alter des Individuums die Zahl der DNS-DSB zunimmt und eher im oberen Bereich liegt. Diese DNS-Schäden werden wesentlich verantwortlich für das Auftreten spontaner Krebserkrankungen gemacht. Die Wahrscheinlichkeit tödlicher Krebserkrankungen in Industrieländern liegt pro Person bei etwa 0.25, d. h. etwa 1 von 4 Personen mit langer Lebenserwartung in Industrieländern stirbt an einem bösartigen Tumor. Die Wahrscheinlichkeit durch Strahlen induzierter Krebserkrankungen ist dagegen verhältnismäßig sehr klein, wie Abb. 2.17 zeigt. Es wurde berechnet und experimentell untermauert, dass die endogen im Laufe des normalen Stoffwechsels auftretenden DNS-DSB etwa 1000 mal häufiger im Mittel pro Zelle pro Tag sind als die durch normale Hintergrundstrahlung im Körper unausweichlich erzeugten DNS-DSB. Wenn die in Abschnitt „Die Überlebenden von Hiroshin and Nagasaki“ genannten Zahlen auch für kleine Dosen angenommen werden, wäre wohl wegen der relativ häufig qualitativ komplexeren Art der durch Strahlen verursacht DNS-DSB das Ver77 hältnis der spontanen Krebshäufigkeit ( ~ 250 000) in einer Population von einer Million Personen zu der durch lebenslanger Hintergrundstrahlung (50 x 0.002 Gy ~ 0.1 Gy) verursachten Krebshäufigkeit in dieser Population (5000) nicht 1000 sondern nur etwa 50. Dies dürfte bedeuten, dass DNSDSB von ionisierenden Strahlen etwa 20 (1000 / 50) mal effektiver für die Erzeugung von zum Tode führenden Krebs sind als die DNS-DSB durch endogene Stoffwechselgifte, wie ROS. Die oben detaillierter erwähnten adaptiven Reaktionen nach kleinen Dosen bringen nicht nur Schutz gegen ionisierende Strahlen, sondern auch gegen andere toxische Substanzen, die DNS-Schäden verursachen. Hier spielen die ROS eine besondere Rolle. So darf man zu Recht annehmen, dass adaptiver Schutz auch gegen ROS wirksam ist. Diese Annahme ist konsistent mit einer Reihe von tierexperimentellen Untersuchungen. Unter dieser Annahme stellt sich die Frage, ob der von kleinen Dosen bewirkte Schutz gegen spontane Krebsentstehung so groß sein kann, dass der von kleinen Dosen selbst verursachte Schaden ausgeglichen wird, oder der Schutz sogar größer ist als der durch Strahlen induzierte Schaden. Verschiedene, auf experimentellen Beobachtungen beruhende Berechnungen zeigen, dass die gestellte Frag positive beantwortet werden kann. Das folgende Beispiel soll dies erläutern, auch wenn das Resultat eine grobe Vereinfachung der Abschätzung ist: 1. Die Krebshäufigkeit mit tödlichem Ausgang beträgt in den Industrieländern etwa 250 000 pro einer Million Menschen. 2. Das von 0.01 Gy induzierte Lebenszeitrisiko für Krebserkrankungen liegt nach den Angaben im Abschnitt 2.4.2.3. bei etwa 550-600 pro einer Million erwachsene Personen. Dabei ist nochmals zu betonen, dass diese Zahl auf der Annahme einer linearen Dosis-Risiko Beziehung basiert, welche wie oben erläutert eher eine Überschätzung des tatsächlichen Risikos bringen dürfte. 3. Wird das Lebenszeitrisiko für zum Tode führende Krebserkrankungen auf einen Zeitraum von 50 Jahren, d.h. 600 Monaten, angesetzt, entstehen im Mittel etwa 420 tödliche Krebserkrankungen pro Monat (250 000/ 600 ~ 420). 78 4. Wenn der von 0.01 Gy induzierte adaptive Schutz umfassend etwa 1.5 Monate anhalten würde, wie dies Abb. 20 zeigt, wäre der durch Strahlen induzierte Schutz vor spontanem Krebsrisiko etwa gleich hoch wie das durch Strahlen induzierte Risiko. 5. Damit würde klinisch keine Erhöhung der Krebshäufigkeit nach 0.01 Gy zu erkennen sein. Bei der Annahme einer kleineren oder höheren Dosis würden sich die obigen Zahlen natürlich ändern; aber der Effekt eines Schutzes gegen spontane Krebserkrankung würde bleiben, und zwar so lange, wie die Dosis in demjenigen Bereich bleibt, in dem adaptive Schutzmechanismen optimal beobachtet werden, wie dies in Abb. 2.19 zu erkennen ist. Generell erscheint das Nettorisiko von durch Strahlen induzierten Krebserkrankungen gleich zu sein der Differenz zwischen den beiden dosisabhängigen Wahrscheinlichkeiten: 1. der durch Strahlen induzierten Krebserkrankungen hier maximal basierend auf der linearen Dosis-Risiko Beziehung über primäre DNS-Schäden, und 2. der durch Strahlen systembiologisch verminderten spontanen Krebserkrankungen. Dies illustriert das Schema in Abb. 2.22 für den Fall einer Dualer Effekt kleiner Dosen (niedrig-LET) – Krebsri si ko + Schema von Dosi s-Ri siko Beziehungen bei Krebserkrankungen Induktion von primären DNS -Schäden ? Netto Krebsri siko „Spontaner“ Krebs Wirkung von physiologi schem und adaptivem Schutz 0.2 0.4 Feinendegen LE, Neumann RD, 2005 0.6 0.8 Dosi s (Gy) Abb. 2.22 79 einmaligen Exposition. Die in dieser Abb. eingezeichneten Kurven veranschaulichen schematisch eine Reihe von Befunden, die weiter zu präzisieren sind aber grundsätzlich eine experimentelle Grundlage haben. 2.7 Literatur Alberts, B., D. Bray, et al. (1994). Molecular Biology of the Cell. New York, Garland Publication. Cottier, H., L. E. Feinendegen, et al. (1994). Arzt und Strahlenunfälle. Bern, Göttingen, Toronto, Seattle, Verlag Hans Huber. Feinendegen, L. E., H. Muehlensiepen, et al. (1983). Acute effect of very low dose in mouse bone marrow cells: a physiological response to background radiation? Biological Effects of Low Level Radiation. International Atomic Energy Agency. Vienna, Austria: 459-471. Feinendegen, L. E. (1991). Radiation risk of tissue late effect, a net consequence of probabilities of various cellular responses. Eur J Nucl Med 18: 740-751. Feinendegen, L. E., M. K. Loken, et al. (1995). Cellular mechanisms of protection and repair induced by radiation exposure and their consequences for cell system responses. Stem Cells 13 (suppl 1): 7-20. Feinendegen, L. E. and R. D. Neumann (2000). Cellular Response to Low Doses of Ionizing Radiation. Washington, DC, Bethesda, MD, USA, Workshop of the US Department of Energy (DOE) National Institutes of Health (NIH): SC-047. Feinendegen, L. E., V. P. Bond, et al. (2000). The dual response to low-dose irradiation: Induction vs. prevention of DNS damage. Biological Effects of Low Dose Radiation. M. C. Yamada, Mothersill C., Michael, B.D., Potten C, Excerpta Medica. Amsterdam, London, New York, USA, Elsevier: 3-17. Feinendegen, L. E. (2005). Low doses of ionizing radiation: Relationship between biological benefit and damage induction. A synopsis. World J Nucl Med 4: 21-34. Feinendegen, L. E. and R. D. Neumann (2005). Physics must join with biology in better assessing risk from low-dose irradiation. Radiat Prot Dosim. 117: 346-356. 80 Friedberg, E. C., G. C. Walker, et al. (1995). DNS Repair and Mutagenesis. Washington, DC, USA, ASM Press. Hall, E.J. (2000). Radiobiology for the Radiologist 5th ed. Philadelphia, Baltimore, New York, USA, Lippincott Williams&Wilkins. International Commission on Radiation Units and Measurements (ICRU) (1998). Fundamental Quantities and Units for Ionizing Radiation. ICRU Report 60. Bethesda, MD, USA. Kondo, S. (1993). Health Effects of Low Level Radiation. Kinki Univ Press. Osaka, Japan, Medical Physics Publishing, Madison, WI, USA. Lodish, H., A. Berk, et al. (2000). Molecular Cell Biology, 4th ed. New York, NY, USA, W.H. Freeman & Co. Luckey, T. D. (1991). Radiation Hormesis. Boca Raton, USA, CRC Press. Muller, W. U., T. Bauch, et al. (2001). Radiation sensitivity of lymphocytes from healthy individuals and cancer patients as measured by the comet assay. Radiat Environ Biophys 40: 8389. Pollycove, M. and L. E. Feinendegen (2003). Radiation-induced versus endogenous DNS damage: Possible effect of inducible protective responses in mitigating endogenous damage. Human Exper Toxicol 22: 290-306. Streffer, C., H. Bolt, et al. (2004). Low Dose Exposures in the Environment, Dose-Effect Relations and Risk Evaluation. Berlin, Heidelberg, New York, Springer Verlag Sugahara, T., L. A. Sagan, et al. (1992). Low-Dose Irradiation and Biological Defense Mechanisms. Amsterdam, Niederlande, Excerpta Medica. Tubiana, M. and A. Aurengo (2005). Dose-effect relationship and estimation of the carcinogenic effects of low doses of ionizing radiation. Paris, French Academy of Sciences. United Nations Scientific Committee on the Effects of Ionizing Radiation. (UNSCEAR) (1994). Sources and Effects of Ionizing Radiation, Adaptive Responses to Radiation in Cells and Organisms. UNSCEAR 1994 Report. Annex B. New York, USA, United Nations. United Nations Scientific Committee on the Effects of Ionizing Radiation (UNSCEAR) (2000). Report to the General Assembly, with 10 scientific Annexes. New York, USA, United Nations. 81 3. 3.1 Anwendung ionisierender Strahlung in Technik, Wissenschaft und Medizin Energieerzeugung (Kernspaltung, Fusion) Im Jahre 1938 machten Otto Hahn und Fritz Strassmann die Entdeckung, dass beim Beschuss von Uran mit thermischen Neutronen ein radioaktives Bariumisotop entsteht. Nachdem Lise Meitner und Otto Frisch die Beobachtungen der beiden kurze Zeit später als Spaltung der Urankerne interpretiert hatten, dauerte es nur 4 Jahre, bis Enrico Fermi die erste auf der Spaltung von 235Uran basierende Kettenreaktion in Gang gesetzt hatte. Durch den gerade stattfindenden Zweiten Weltkrieg wurde auch an die militärische Nutzung dieser Entdeckung gedacht und entsprechende Forschungs- und Entwicklungsarbeiten fanden ihren grimmen Höhepunkt im Bau von Atombomben („Manhattan Projekt“). Die tragischen Folgen der Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki machten klar, welch zerstörerisches Potential in der Kernspaltung innewohnen kann. Nach Beendigung des Krieges wurde intensiv an Wegen zur friedlichen Nutzung der in Atomkernen enthaltenen Energie gearbeitet. Im Jahre 1997 existierten weltweit 437 Kernkraftwerke, die zusammen eine Kapazität von 352 GW elektrischer Leistung aufwiesen. Die mittels Kernkraft produzierte elektrische Energie entsprach einem Anteil von etwa 17 % an der global produzierten elektrischen Energie und machte etwa 6 % des globalen Energieverbrauchs aus (UNSCEAR 2000). Für das Verständnis der Kernenergie ist die Tatsache wichtig, dass sich die Bindungsenergie eines jeden Nukleons (d.h. eines Protons oder Neutrons) im Atomkern, ausgehend von leichten Kernen bis hin zu Kernen mit einer Massenzahl von etwa 60 erhöht. Dort erreicht sie ihr Maximum von circa 8,5 MeV pro Nukleon und nimmt dann für noch höhere Atommassen wieder ab (Abb. 3.1). 82 Lithium Abb. 3.1: Kernbindungsenergie pro Nukleon in Abhängigkeit von der Massenzahl des Atomkerns (Quelle: Lexikon der Kernenergie) Daher ist es möglich, sowohl durch Fusion zweier leichter Kerne als auch durch die Spaltung zweier schwerer Kerne nukleare Energie zu gewinnen. Kernfusion Bei leichten Kernen mit gerader Neutronen- und Protonenzahl (z. B. 4He) ist die Bindungsenergie pro Nukleon verglichen mit der Bindungsenergie benachbarter Kerne besonders hoch (Abb. 3.1). Eine typische Fusionsreaktion, bei der 4He entsteht, ist die so genannte DT-Reaktion. Dabei verschmelzen ein Deuterium- und ein Tritiumkern, wobei ein 4He-Kern und ein Neutron entstehen. Etwa 80 % der dabei freigesetzten Energie von 17,6 MeV wird auf das Neutron übertragen, das deshalb wieder durch Sekundärprozesse "eingefangen" und energetisch genutzt werden muss. Der Energiegewinn der Reaktion beträgt also etwa 3,5 MeV pro Nukleon und ist damit deutlich höher als der Wert von 83 0,9 MeV pro Nukleon, der beispielsweise für die Spaltung von 235U typisch ist (siehe unten). Problematisch für die technische Realisierung und Nutzung der Kernfusion als Energiequelle ist, dass zur Fusion zweier Kerne erst deren Coulomb-Abstoßung überwunden werden muss. Aus klassischen Überlegungen geht hervor, dass im Falle der DT-Reaktion dazu eine Energie von 0,4 MeV benötigt würde, was in einem thermischen Plasma einer Temperatur von etwa 3 x 109 Kelvin entspräche. Quantenmechanische Effekte führen zwar dazu, dass bereits deutlich niedrigere Temperaturen ausreichen, um eine Fusion beider Kerne zu erlauben. Allerdings sind die für einen kontrollierten, kontinuierlichen Betrieb eines Fusionsreaktors nötigen Temperaturen immer noch so hoch, dass die damit verbundenen wissenschaftlichen und technologischen Schwierigkeiten die Entwicklung eines routinemäßig einsetzbaren Fusionsreaktors bis jetzt verhindert haben. Da im Gegensatz dazu weltweit eine Vielzahl an Kernreaktoren in Betrieb ist, soll der Schwerpunkt der weiteren Diskussion auf der Kernspaltung liegen. Kernspaltung Bei der asymmetrischen Spaltung des Uranisotops 235U (das in der Natur nur mit einer Isotopenhäufigkeit von 0,7 % vorkommt) in zwei Spaltfragmente mit Massenzahlen im Bereich von etwa 90 und 140 werden im Mittel circa 0,85 MeV pro Nukleon an Bindungsenergie frei, was einer Energie von etwa 200 MeV entspricht. Diese Energie verteilt sich auf die kinetische Energie der Spaltfragmente (83 %), sowie auf prompte Gammastrahlung (4 %) und die bei den E-Zerfällen der Spaltfragmente entstehenden Elektronen (3 %), Antineutrinos (5 %) und Gammaquanten (3 %). Pro Spaltung eines 235U-Kerns werden zudem im Mittel 2,5 Neutronen frei, die eine kinetische Energie von etwa 5 MeV (ca. 2 %) mit sich führen. Ein großer Teil der bei der Kernspaltung frei werdenden Energie führt durch Abbremsung der emittierten energetischen Partikel letztendlich zu einer Aufheizung des verwendeten Kernbrennstoffs. Über ein Kühlmittel kann diese primäre Wärme beispielsweise über einen Wärmetauscher abgegeben und der in einem Sekundärkreislauf er84 zeugte Dampf Turbinen zur Elektrizitätserzeugung zugeführt werden. Nicht alle spaltbaren Isotope sind für die Energieerzeugung gleichermaßen geeignet. Besonders gut eignen sich Isotope wie 233U, 235U, 239Pu, oder 241Pu, die aus einer geraden Anzahl von Protonen und einer ungeraden Anzahl von Neutronen bestehen („gu-Kerne“). Diese Isotope („starke Spaltstoffe“) zeichnen sich dadurch aus, dass beim Einfang eines Neutrons ein besonders stabiler Kern mit einer geraden Anzahl von Protonen und Neutronen („gg-Kern“) entsteht (z. B. 234 U, 236U, 240Pu, 242Pu). Die durch den Einfang des Neutrons freiwerdende Energie ist dabei so groß, dass die Spaltbarriere schon durch den Einfang eines niederenergetischen, thermischen Neutrons überwunden und der Kern gespalten wird. Bei den so genannten schwachen Spaltstoffen (232Th, 238 U, 240Pu, 242Pu) dagegen muss das Neutron eine Energie im MeV-Bereich mitbringen, da die beim Einfang des Neutrons und der Bildung des dabei entstehenden „gu-Kerns“ frei werdende Bindungsenergie alleine nicht ausreicht, um die Spaltbarriere zu überwinden. Daher kann die Spaltung von 235U bereits durch thermische Neutronen, die Spaltung von 238U dagegen nur durch schnelle Neutronen mit kinetischen Energien im MeV-Bereich induziert werden. Ein Vergleich mit dem Energiegehalt fossiler Brennstoffe macht deutlich, wie immens die beispielsweise in 235U innewohnende Kernenergie ist. Der primäre Energieinhalt eines Kilogramms Steinkohle beträgt 3x107 Joule. Mit den oben genannten Zahlen kann man abschätzen, dass die bei der Spaltung von einem Kilogramm 235U freigesetzte Kernenergie in etwa dem Energieinhalt von mehr als 2,5 Millionen Kilogramm Kohle entsprechen. Reaktortypen Die bei der Entwicklung der Kernenergie zur kommerziellen Energieumwandlung entwickelten unterschiedlichen Reaktorkonzepte werden im Folgenden kurz skizziert. Für die Spaltung eines 235U-Kerns reicht bereits ein die Reaktion auslösendes Neutron aus, und es werden dabei im Mittel 2,5 neue Neutronen freigesetzt. Stehen diese Neutronen für weitere Kernspaltungen zur Verfügung, kommt es zu einer 85 Kettenreaktion (Abb. 3.2), in deren Verlauf es in kürzester Zeit (typischerweise in Ps) zu einer großen Energiefreisetzung kommen kann (Explosion). Abb. 3.2: Prinzip einer Kettenreaktion (Quelle: Lexikon der Kernenergie) Eine wesentliche Aufgabe der Reaktortechnik besteht darin, sicherzustellen, dass beim Betrieb eines Reaktors im Mittel pro Kernspaltung unter Berücksichtigung aller Verluste an Neutronen genau ein Neutron für die nächste Spaltung zur Verfügung steht. Verluste an Neutronen entstehen zum Beispiel dadurch, dass der Bereich des Brennstoffs nicht unendlich groß ausgedehnt ist, dass ein Teil der schnellen Spaltneutronen während des Prozesses der Moderation absorbiert wird, dass thermalisierte Neutronen beispielsweise von Strukturmaterialien, vom Moderator oder von den Regelstäben und nicht von 235U absorbiert werden, und dass nur ein Teil der in 235U absorbierten Neutronen tatsächlich eine Kernspaltung induziert. Ein Reaktor besteht im Wesentlichen aus einem Reaktorkern, in dem sich der Kernbrennstoff befindet. Zur Kühlung des Kerns und Abführung der bei der Kernspaltung frei werdenden Wärmeenergie ist ein mit einem Kühlmittel gefüllter Kühlkreislauf installiert. Je nach verwendetem Kühlmittel un86 terscheidet man zwischen Leichtwasser-, Schwerwasser-, und gasgekühlten Reaktoren. Bei Reaktoren, die auf der Spaltung durch thermische Neutronen basieren („thermische Reaktoren“), ist zusätzlich ein Moderator vorhanden, der die bei der Spaltung entstehenden schnellen Neutronen abbremst. In vielen Fällen dient das Kühlmittel gleichzeitig als Moderator. Bei manchen Typen wird Graphit als Moderator verwendet. Reaktoren, die auf der Spaltung durch schnelle Neutronen basieren („schnelle Reaktoren“), benötigen dagegen keinen Moderator. Geregelt wird ein Reaktor über Steuerstäbe, die je nach Bedarf in den Kern eingefahren werden können und aus Material wie zum Beispiel Cadmium bestehen, das thermische Neutronen besonders gut absorbiert. Die bei der Kernspaltung entstehenden Spaltprodukte sind größtenteils radioaktiv, und auch in den Materialien, die den erzeugten Neutronen ausgesetzt sind, können durch den Einfang von Neutronen radioaktive Isotope entstehen. Daher wird bei Kernreaktoren eine Kombination aus unterschiedlichen Barrieren verwendet, um zu verhindern, dass die erzeugte Radioaktivität unkontrolliert in die Umgebung gelangen kann. Zu diesen Barrieren zählen die Hüllen der Brennelemente, der Reaktordruckbehälter, sowie der ReaktorSicherheitsbehälter aus Strahl, der schließlich von der Außenschale des Reaktorgebäudes aus Strahlbeton umgeben ist. Bei einem Druckwasserreaktor (Abb. 3.3) wird als Kühlmittel normales („leichtes“) Wasser verwendet. Im Primärkreislauf besteht ein hoher Druck von typischerweise 16 Mpa (Megapascal, entspricht 160 bar), der es erlaubt, das Kühlwasser auf etwa 300 °C aufzuheizen, ohne dass es zum Sieden und der damit verbundenen Dampfblasenbildung kommt. In einem Sekundärkreislauf wird Dampf erzeugt, der dann eine Turbine antreibt. Beim Siedewasserreaktor (Abb. 3.4) herrscht dagegen im Primärkreislauf ein niedrigerer Druck von etwa 7 Mpa (70 bar), so dass das Kühlwasser teilweise siedet. Der entstehende Dampf wird direkt (d.h. ohne dazwischen geschalteten Wärmetauscher) zur Turbine geleitet. Da der im Wasser vorhandene Wasserstoff zudem einen guten Neutronen-Moderator darstellt, kann bei beiden Reaktortypen auf einen zusätzlichen Moderator verzichtet werden. 87 Abb. 3.3: Prinzip eines Druckwasserreaktors (Quelle: Lexikon der Kernenergie). Abb. 3.4: Prinzip eines Siedewasserreaktors (Quelle: Lexikon der Kernenergie). 88 Bei Schwerwasserreaktoren, die hauptsächlich in Kanada eingesetzt werden, wird als Kühlmittel und Moderator schweres Wasser (D2O) eingesetzt. Zwar benötigen schnelle Neutronen mehr Stöße an Deuterium als an Wasserstoff, bevor sie thermalisiert werden. Dieser Nachteil wird jedoch aufgewogen durch die Tatsache, dass Neutronen, die bereits thermalisiert sind, in schwerem Wasser deutlich seltener absorbiert werden als in leichtem Wasser. Daher kann ein Schwerwasserreaktor mit Natururan betrieben werden, während für Leichtwasserreaktoren eine Anreicherung des 235 U auf etwa 3 % nötig ist. Gasgekühlte Reaktoren, bei denen z. B. CO2 oder Helium als Kühlmittel verwendet werden, erlauben eine höhere Kühlmitteltemperatur und erreichen einen Wirkungsgrad von etwa 40 %, der deutlich über dem der übrigen, thermischen Reaktortypen von etwa 33 % liegt. Beim schnellen Reaktor wird als Kühlmittel beispielsweise flüssiges Natrium verwendet und auf einen Neutronen-Moderator verzichtet. Im Hinblick auf die kommerzielle Nutzung und den routinemäßigen Einsatz haben sich global im Wesentlichen die beiden Arten von Leichtwasser-Reaktoren, Druck-, und Siedewasserreaktoren durchgesetzt. Zwar werden vereinzelt auch andere Typen (gasgekühlte Reaktoren, Schwerwasserreaktoren) eingesetzt. Deren Anteil an der globalen Energieproduktion durch Kernkraft ist jedoch vergleichsweise gering. In Abb. 3.5 ist die Entwicklung der weltweit durch Kernkraftwerke produzierten elektrischen Energie im Zeitraum von 1970 bis 1997, aufgeschlüsselt nach den verschiedenen Reaktortypen, dargestellt. 89 Erzeugte elektrische Energie Gw a Abb. 3.5: Entwicklung der global durch Kernspaltung produzierten elektrischen Energie von 1970 bis 1997. PWR: Druckwasserreaktor („Pressurized water reactor“), BWR: Siedewasserreaktor („boiling water reactor“), GCR: gasgekühlter Reaktor („gas-cooled reactor“), HWR: Schwerwasserreaktor („heavy water reactor“), LWGR: graphitmoderierter Leichtwasserreaktor („light-water-cooled graphite-moderated reactor“) (UNSCEAR 2000). Strahlenexposition durch den Betrieb von Kernkraftwerken - Beschäftigte Mit der Zahl an Kernkraftwerken nahm die Anzahl der in Kernkraftwerken beschäftigten und überwachten Personen seit 1975 kontinuierlich zu. Dies führte bis 1989 zu einer Zunahme der kollektiven Dosis. Im Zeitraum 1990–1994 war dagegen im angegebenen Zeitraum erstmals eine Abnahme der kollektiven Dosis zu verzeichnen, die daher rührt, dass die mittlere jährliche effektive Dosis für einen überwachten Arbeiter in einem Kernkraftwerk seit 1975 kontinuierlich und deutlich abnahm (Tabelle 3.11). 90 Zeitraum Überwachte Personen 1975–1979 1980–1984 1985–1989 1990–1994 150.000 290.000 430.000 530.000 Mittlere jährliche Effektivdosis (mSv) 4.1 3.6 2.5 1.4 Tab. 3.1: Anzahl und mittlere jährliche Effektivdosis von Personen, die in Kernkraftwerken beschäftigt waren und deren Exposition überwacht wurde (Unscear 2000). - Bevölkerung Durch den Betrieb von Kernkraftwerken werden im Reaktorkernbereich radioaktive Spalt- und Aktivierungsprodukte erzeugt, die zu einem sehr geringen Teil trotz effektiver Rückhaltevorrichtungen in die Umwelt kontrolliert abgegeben werden. Dazu zählen radioaktive Isotope von Edelgasen wie 133 Xe (T1/2 = 5,3 Tage) und 85Kr (T1/2 = 10,7 Jahre). Tritium (T1/2 = 12,26 Jahre) kann insbesondere von Schwerwasserreaktoren freigesetzt werden, bei denen es durch Neutronenaktivierung von Deuterium entsteht. Auch 14C (T1/2 = 5.730 Jahre) kann ein wesentlicher Bestandteil gasförmiger Freisetzungen sein. Tabelle 3.2 fasst die hauptsächlichen gasförmigen und flüssigen Freisetzungen eines modernen kommerziellen Druckwasserreaktors zusammen. Edelgasisotope Freisetzung 9,75 x 1011 14 C (gasförmig) 5,14 x 1011 Tritium (gasförmig) 3,85 x 1011 Tritium (flüssig) 2,37 x 1013 (Bq/Jahr) Tab. 3.2: Typische jährliche gasförmige bzw. flüssige Freisetzungen eines großen modernen Druckwasserreaktors in Deutschland (Landold-Börnstein, Bd 3, 2005). Die Konzentrationen der freigesetzten Radionuklide sind in der Umwelt – außer manchmal nahe eines Reaktors – nicht messbar. Daher muss sich die Abschätzung der dadurch 91 verursachten Dosen für die Bevölkerung auf Modellrechnungen stützen, die den atmosphärischen und aquatischen Transport dieser Radionuklide beschreiben, ihren möglichen Transport durch Umweltmedien und Nahrungsmittel und eine eventuelle Inkorporation durch den Menschen berücksichtigen und daraus für Referenz-Personen und -Szenarien externe und interne Expositionen quantitav und konservativ abschätzen. Unter der Modellannahme, dass in einem Umkreis von 50 km um einen Reaktorstandort eine Bevölkerungsdichte von 400 Personen/km2 typisch ist, ergibt sich für Anwohner in diesem Umkreis beispielsweise durch den Betrieb eines Druckwasserreaktors zusätzlich eine jährliche, über diese Bevölkerung gemittelte, effektive Dosis von etwa 5 PSv. Für einen Siedewasserreaktor liegt der entsprechende Jahres-Wert bei 10 PSv (UNSCEAR 2000), was vergleichsweise numerisch etwa dem Doppelten der mittleren täglichen Strahlenexposition eines deutschen Bürgers aus natürlichen Quellen entspricht. Konkrete Werte für deutsche Kernkraftwerke werden in Kapitel 4.3 ausführlicher diskutiert. Radionuklide mit langen Halbwertszeiten, die sich leicht in der Umwelt ausbreiten, können zudem global zu einer Erhöhung der Strahlenexposition führen. Dazu zählen neben den bereits erwähnten Tritium, 14C und 85Kr das langlebige radioaktive Iodisotop 129I (T1/2 = 1,6 x 107 Jahre). Würden beispielsweise die 14C-Freisetzungen in den Aktivitäts-Mengen des Jahres 2000 auch in Zukunft stattfinden, ergäbe sich für die Bevölkerung im Jahre 2050 global eine zusätzliche, durch die 14C-Freisetzungen bedingte Dosis von etwa 0,1 PSv/a (UNSCEAR 2000). 3.2 Beispiele für Anwendungen in der Industrie Ionisierende Strahlung findet bei einer Reihe von industriellen Verfahren Anwendung. Dabei handelt es sich beispielsweise um Verfahren der zerstörungsfreien Materialanalyse oder um Bestrahlungen zur Sterilisation medizinischer und pharmazeutischer Produkte. Auch Radioisotope werden als Quellen ionisierender Strahlung verwendet – sei es als Tracer zum Studium kinetischer Prozesse, zum Monitoring von Abbrandprozessen oder in der pharmazeutischen Industrie 92 für diagnostische oder therapeutische Zwecke in der Nuklearmedizin. Radiographie - Werkstoffprüfung Die physikalischen Eigenschaften hochenergetischer elektromagnetischer Strahlung (Röntgen-, Gammastrahlung) erlauben deren Einsatz auch bei der zerstörungsfreien Untersuchung von Proben unterschiedlichster Herkunft. Bei der Radiographie wird die elementspezifische Schwächung elektromagnetischer Strahlung beim Durchgang durch Materie ausgenutzt und beispielsweise für Materialprüfungen eingesetzt – etwaige Herstellungsfehler an Gussteilen oder Autoreifen sind nach Durchleuchtung auf einem radiographischen Bild sichtbar. Prinzipiell werden zwei Vorgehensweisen angewendet: Entweder werden die zu untersuchenden Objekte zu einem fest installierten Gerät gebracht, oder ein tragbares Gerät wird eingesetzt, das die Untersuchung fest installierter Objekte (wie zum Beispiel die Untersuchung von Pipelines auf Schäden in den Schweißnähten) vor Ort erlaubt. Als Strahlenquellen kommen meist entweder 192Ir (Halbwertszeit: 74 Tage) einer Aktivität zwischen 1,8 x 1012 und 4,4 x 1012 Bq, 60Co einer Aktivität von etwa 3 x 108 Bq oder 137Cs einer Aktivität zwischen 3 x 108 und 8 x 1010 Bq zum Einsatz. Bei den verwendeten Röntgenröhren liegen die Spannungen typischerweise zwischen 60 und 300 kV. Weltweit waren zwischen 1990 und 1994 bei der industriellen Anwendung radiographischer Verfahren mehr als 100.000 Personen beschäftigt, die mit einer mittleren jährlichen effektiven Dosis von etwa 1,6 mSv exponiert waren, 53.000 davon waren einer entsprechenden Dosis von mehr als 3 mSv ausgesetzt (UNSCEAR 2000). - Röntgenfluoreszenz-Analyse Bei der Röntgenfluoreszenz-Analyse werden mittels Röntgenstrahlung die Atome des zu untersuchenden Materials elementspezifisch angeregt. Die bei der Abregung freige- 93 setzte charakteristische Röntgenstrahlung dient dem Nachweis der entsprechenden Elemente. Industriell genutzte Bestrahlungsanlagen - Anlagen zur Sterilisation und Konservierung Seit Ende der 1950er Jahre wird ionisierende Strahlung industriell für Bestrahlungen eingesetzt. Laut (UNSCEAR 2000) sind weltweit etwa 160 Einrichtungen vorhanden, die zur Bestrahlung Gammastrahlung, und 600 weitere, die Beta-Strahlung verwenden. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um Anlagen zur Sterilisation medizinischer oder pharmazeutischer Produkte, zur Konservierung von Nahrungsmitteln (die Konservierung von Nahrungsmitteln ist bis auf wenige Ausnahmen, z. B. Gewürze, in Deutschland nicht zugelassen), zur Materialbearbeitung oder zur Desinfektion nach Insektenbefall. Im Falle der GammabestrahlungsEinrichtungen werden meistens 60Co-Quellen (Halbwertszeit: 5,3 Jahre; Gammaenergie: 1,1 MeV und 1,3 MeV) einer Aktivität im Bereich von 1015 Bq–1016 Bq verwendet, seltener werden auch 137Cs-Quellen (Halbwertszeit: 30,2 Jahre; Gamma-Energie: 661 keV) eingesetzt. Da am Ort der Bestrahlung mit hohen Dosen gearbeitet wird – typische Dosisraten liegen bei einem Gray pro Sekunde – sind die Anlagen mit dicken Abschirmeinrichtungen ausgerüstet, um die Strahlenexpositionen für das Personal gering zu halten. Im Zeitraum 1990–1994 erhielten die weltweit etwa 57.000 in diesem Bereich Beschäftigten nur eine mittlere jährliche effektive Dosis von 0,1 mSv. Bei etwa 2.500 Personen kam es aber zu höheren Expositionen, die zu einer mittleren jährlichen effektiven Dosis dieser Gruppe von 2,3 mSv führten (UNSCEAR 2000). - Anlagen zur Polymerisation von Kunststoffen Da bei Bestrahlung chemische Bindungen aufgebrochen werden, können dadurch die Eigenschaften verschiedenster Kunststoffe verändert werden. Diese Eigenschaft wird beispielsweise bei der Polimerisation von Kunststoffen bei der Herstellung von Schrumpfmaterialien angewendet. 94 Herstellung von Radioisotopen Radioaktive Isotope werden hergestellt für einen weiten Anwendungsbereich in Industrie und Medizin. Beispiele für die Anwendungen von Gammastrahlern wie 137Cs und 60Co wurden bereits weiter oben angesprochen. Radioisotope finden außerdem Anwendung bei der Untersuchung des kinetischen Verhaltens bestimmter Elemente in verschiedensten Umgebungen. Dazu zählt zum Beispiel die Untersuchung des menschlichen Metabolismus bestimmter Elemente mit radioaktiven Isotopen desselben Elements („TracerVerfahren“, siehe unten). Man macht sich dabei zunutze, dass die chemischen Eigenschaften eines Elements nur von der Anzahl der Elektronen in der Atomhülle abhängen, und dementsprechend alle Isotope desselben Elements identische chemische Eigenschaften aufweisen. Wenn physikalische Unterschiede zwischen den Isotopen eines Elements (z. B. Atomgewicht, Atomdurchmesser) vernachlässigt werden können, dann kann ein radioaktives Isotop, das wegen der beim Zerfall ausgesandten Strahlung leicht nachgewiesen werden kann, verwendet werden, um das Verhalten der stabilen Isotope desselben Elements zu untersuchen. Weitere wichtige Anwendungen von Radioisotopen finden sich in der Nuklearmedizin sowie in der medizinischen Diagnostik (PET, Szintigraphie). Diese werden an anderer Stelle diskutiert. - Radioisotope in Kalibrierquellen Ein weiterer Anwendungsbereich von Radioisotopen stellt die Herstellung von Prüf- und Kalibrierquellen definierter Aktivität und Geometrie (Punkt-, Flächen-, Volumenquelle) dar, die eingesetzt werden, um beispielsweise Messgeräte für den Nachweis von ionisierender Strahlung auf ihre Funktionsfähigkeit zu überprüfen und ihr energieabhängiges Ansprechvermögen zu quantifizieren. Stellvertretend sei hier das Radioisotop 152Eu erwähnt (Halbwertszeit: 13,33 Jahre), das beim Zerfall eine Reihe Gammaquanten unterschiedlichster Energie mit unterschiedlichen, aber gleichfalls bekannten Intensitäten emittiert (von 122 keV bis 1,4 MeV). Hiermit können die Nachweiswahrscheinlichkeiten von Photonen unterschiedlicher Energien von Halbleiter- oder Szintillationsdetektoren über einen weiten Energiebereich be95 stimmt werden. Die in diesem Bereich eingesetzten radioaktiven Quellen kommen mit einer deutlich geringeren Aktivität aus als die weiter oben diskutierten Quellen, die in der Radiographie oder in Bestrahlungsanlagen eingesetzt werden. In vielen Fällen ist eine Aktivität im unteren kBq-Bereich bereits ausreichend. - Radioisotope für Rauchmelder Auch Produkte im Alltag können in kleinen Konzentrationen künstlich hergestellte Radioisotope enthalten. Ein Beispiel dafür sind Rauchmelder, in denen häufig eine 241Am-Quelle eingebaut ist. In einer Ionisationskammer werden die beim Zerfall des 241Am (Halbwertszeit: 433 Jahre) emittierten Alpha-Teilchen nachgewiesen. Falls Rauchteilchen eindringen, verringert sich das von der Ionisationskammer nachgewiesene Signal. Bei dieser Anwendung reicht bereits eine 241 Am-Aktivität von einigen kBq aus. - Radioisotope in Regel- und Messeinrichtungen Die Abschwächung von Gammastrahlung beim Durchgang durch Materie wird in der Industrie beispielsweise auch genutzt bei der Messung von Füllstandshöhen in Behältern oder bei der Überprüfung von Restwandstärken von sich abnutzenden Bauteilen. Weltweit waren von 1990–1994 in der Herstellung von Radioisotopen etwa 24.000 Personen beschäftigt. Diese waren einer mittleren jährlichen effektiven Dosis von etwa 2 mSv ausgesetzt. 3.3 Beispiele für Anwendungen in der Wissenschaft Ionisierende Strahlung besitzt ein enorm breites Anwendungsspektrum in der allgemeinen Wissenschaft, sodass an dieser Stelle nur eine kleine Auswahl davon gegeben werden kann. Alles was der Mensch heute über das unendliche Universum und die kleinsten Elementarteilchen, die die Welt im Inneren zusammenhalten, weiß, beruht letztlich auf der wissenschaftlichen Beobachtung, Analyse und Interpretation 96 von Strahlenmessungen. Die Temperatur der Erde wird durch die radioaktive Zerfallswärme natürlicher Radionuklide im Erdinneren auf das für das Leben wichtige Niveau erhöht. Radioaktivität ist überall (ubiquitär) und seit der Entstehung der Erde (primordial) in der Natur vorhanden. Die meisten (ca. 1.800) der bekannten Isotope (über 2.700) des Periodensystems der Elemente zeigen diese Eigenschaft. Die Wissenschaft zieht daraus vielfältigen Nutzen auf vielen Gebieten. Radioisotope Im vorhergehenden Kapitel wurde bereits die industrielle Herstellung und der Einsatz von Radionukliden als zugesetzte, "exogene" Tracer in Forschung und Wissenschaft erwähnt. Dabei werden Radioisotope desjenigen Elements, dessen dynamisches Verhalten im Menschen, einer Pflanze, etc. oder in einem unbelebten Umweltkompartent untersucht werden soll, in Spurenmengen dem System kontrolliert zugegeben. Diese Spurenmengen sollen möglichst das studierte Objekt oder das Verhalten des Elements in ihm nicht verändern und in den Proben, die dem System entnommen werden, gerade noch quantitativ hinreichend genau nachweisbar sein. Es sei aber auch darauf hingewiesen, dass auch Radionuklide, die aus technischen Anlagen routinemäßig (z. B. aus den Wiederaufarbeitungsanlagen in Sellafield und an der französischen Atlantikküste) oder bei Störund Unfällen (z. B. beim Reaktorunfall von Tschernobyl) in die Atmosphäre oder die aquatische Umwelt abgegeben werden, zum wissenschaftlichen Studium z. B. von Laufzeiten und Transportwegen von Wasserkörpern in Meeresströmungen im Atlantik, von kontaminierten Luftmassen in der Troposphäre und Stratosphäre, oder von Stoffen in der Nahrungskette für wissenschaftliche Zwecke benutzt werden. Bei der kontrollierten Verwendung von kleinen Mengen von Radioisotopen wird z B. das Verhalten von interessierenden Atomen oder chemischen, pharmazeutischen Molekülen im Menschen für Zwecke der Pharmazie oder der internen Dosimetrie untersucht, das Verhalten von Düngemitteln in der Umwelt oder der Fluss von Wasserkörpern im Untergrund, in Flüssen oder im Meer. 97 Die dabei eingesetzten Radionuklide sollten u. a. die Eigenschaft haben, dass sie in den benötigten Konzentrationen nicht toxisch auf die untersuchte Einheit wirken, ihre Halbwertszeiten der zeitlichen Länge der jeweiligen Untersuchungen optimal angepasst sind und ionisierende Strahlung emittieren, die hinsichtlich Strahlenart und -Energie effizient nachgewiesen werden kann. Die zugesetzten Radionuklide (es können auch gleichzeitig mehrere verschiedene Isotope in unterschiedlicher chemischer Art und mit unterschiedlichen Halbwertszeiten eingesetzt werden) stellen oft eine im Moment der Zugabe gestartete "Stoppuhr" dar, mit deren Hilfe auch Laufzeiten von Stoffen in den untersuchten Systemen studiert werden können (z. B. Meeresströmungen, atmosphärische Verfrachtungen). Es können aber auch Konzentrationen von "endogenen", d.h. einem untersuchten Kompartment nicht künstlich von außen zugesetzte, sondern in ihm natürlicherweise vorkommende Tracerisotope wissenschaftlich analysiert werden z. B. zum Zwecke der Alters- und/oder Herkuftsbestimmung eines Objektes. Diese nutzen den Vorteil, dass die intranuklearen Kernbindungkräfte um viele Größenordnungen größer sind als die thermischen und chemischen Energien, die in der Umwelt überhaupt vorliegen können. In der Geochronologie, d.h. der Altersbestimmung von Gesteinen, betrachtet man Radionuklide mit sehr langen Halbwertszeiten (HWZ, in aufsteigender Reihenfolge), wie z. B. - die 235U - 207P - Datierung - die 40K - 40Ar - Datierung - die 238U - 206Pb - Datierung - die 232Th - 208Pb - Datierung - die 87Rb - 87Sr - Datierung - die 147Sm - 143Nd - Datierung ( 0,7 Mrd. Jahre HWZ), ( 1,3 Mrd. Jahre HWZ), ( 4,5 Mrd. Jahr HWZ), ( 14 Mrd. Jahre HWZ), ( 49 Mrd. Jahre HWZ), (106 Mrd. Jahre HWZ). Bei Verwendung der sog. Isochronendiagramme müssen die anfänglichen Radionuklidkonzentrationen und Isotopenverhältnisse der Folgenuklide der Zerfallsketten nicht bekannt sein. Sie resultieren aber – neben dem meist primär zu bestimmenden Alter der Probe – auch aus der Untersuchung und erlauben Aussagen über eventuelle Einflüsse der Umwelt auf die Messungen. 98 Zu Lebens-Beginn des Sonnensystems gab es in den solaren Nebeln bereits die relativ kurzlebigen Radionuklide 26Al, 60 Fe, 53Mn und 129J, die vermutlich durch Explosionen von Supernovae entstanden waren. Sie selbst sind zwar inzwischen völlig zerfallen, aber ihre Folgeprodukte können noch in alten Meteoriten entdeckt und gemessen werden (z. B. durch Massenspektrometer). Mit Hilfe von Isochrondiagrammen können dann relative Zeiten seit Ereignissen in der Frühgeschichte unseres Universums bestimmt werden; bei zusätzlicher U-Pb Datierung können hier manchmal sogar absolute Alter abgeschätzt werden. Viele Minerale zeigen auch die physikalische Eigenschaft der Thermolumineszenz. Die Gehalte an natürlichen 40K-, 238 U- und 232Th-Isotopen und das natürliche externe Strahlungsfeld am Gesteinsort bewirken bei der Wechselwirkung von ionisierender Strahlung mit den Steinen (oder zivilisatorischen Keramikobjekten) die Bildung von ElektronenLochpaaren. Diese Mineralien verhalten sich wie ein zeitlich integrierendes Dosimeter, was u. a. in der Archäologie zur Altersbestimmung ausgenutzt wird. Die Elektronen bleiben recht langfristig in den energetisch höheren Haftstellen der vorhandenen Verunreinigungen hängen und senden erst bei der Aufheizung des Minerals und der dabei stattfindenden Leerung der Haftstellen und Rücksetzung des Signals im Labor (oder durch eine Erhitzung im Feld oder bei der Keramikfabrikation) optisch messbare Strahlung aus. Aus der Menge dieser Strahlung an geeigneter Stelle im Spektrum kann – nach dann erfolgter Kalibrierung – das Alter oder die thermische Vorgeschichte eines Steins oder einer Keramik bestimmt werden. In der Archäologie werden auch Radionuklide verwendet, allerdings mit bedeutend kürzeren HWZ. Hier wird sehr oft die Radiokohlenstoff (14C)- Datierung (HWZ = 5.730 Jahre) auf organische Testobjekte angewandt, die allerdings dann nicht älter als 60.000 Jahre sein sollten. Radiokohlenstoff entsteht ständig (mit leichten, durch die Sonnenaktivität gegebenen Schwankungen) global in der Atmosphäre durch Einwirkung von sekundären, thermalisierten Neutronen der kosmischen Strahlung auf Luft-Stickstoff nach dem Schema 14N (n,p) 14C. Dieser zuerst atomare 99 Kohlenstoff ist schnell in der chemischen Form von CO2 zu finden, nimmt so am normalen Kohlenstoffkreislauf in der Biosphäre und an der pflanzlichen Assimilation teil, solange diese Pflanzen leben. Nach dem Absterben verringert sich durch den radioaktiven Zerfall des 14C ständig sein Konzentrations-Verhältnis zu stabilem 12C (z. Zt. ist dieses bei lebenden Pflanzen ca. 16 Zerfälle pro Minute pro Gramm Kohlenstoff), woraus die Zeit seit dem Absterben der Pflanzen abgeleitet werden kann. Partikel- und Photonenstrahlung Es gibt weltweit eine große Anzahl großer wissenschaftlicher linearer oder kreisförmiger Teilchenbeschleuniger (z. B. bei CERN, DESY, GSI, etc.) und viele Beschleuniger niedrigerer Energien an Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die letztlich ionisierende Strahlung zu wissenschaftlichen Zwecken erzeugen. Diese haben zu großartigen wissenschaftlichen Entdeckungen geführt (z. B. unzählige neue Isotope und Elementarteichen wurden entdeckt), die durch eine große Zahl hierfür vergebener Nobelpreise ausgezeichnet wurden. Seit der Entwicklung der Prinzipien eines Zyklotrons durch den Schweizer Wideroe und dessen erste, Handteller-große Realisierung (10 cm Durchmesser) durch E.O. Lawrence 1930 an der University of California in Berkeley haben derartige kreisförmigen Maschinen (Synchrotrons) heute deutlich größere Dimensionen (LEP-CERN 8,5 km Durchmesser) angenommen und benutzten supraleitende Magnete. Kreisförmige Beschleuniger erzeugen auch Photonenstrahlung, Synchrotronstrahlung genannt, die heute weltweit (z. B. deutsche Anlagen BESSY und DESY, europäische Anlage in Grenoble, Rutherford-Appleton Laboratory, Harwell, UK, Advanced Light Source, Argonne,USA, Stanford Linear Accelerator (3 km lang): SPEAR, CA) intensiv auch zur Strukturaufklärung biologischer Moleküle (z. B. Röntgenstreuung an Proteinen) eingesetzt wird. Der Schutz der Gesundheit der an Hochenergie-Beschleunigeranlagen Arbeitenden vor ionisierender Strahlung und die geforderte Orts- und Personendosimetrie stellen in vielen Fällen eine ungewöhnlich schwierige Aufgabe des Strah100 lenschutzes dar. Dies liegt zum einen an der großen Vielfalt von primären und sekundären Teilchen und Atomen, die zur externen und internen Strahlenexposition in Beschleunigerumwelten beitragen können. Zum anderen können die Messungen der externen Photonen- und Teilchen-Strahlungen an diesen Stellen wegen der teilweise extrem kurzen Pulszeiten, den oft sehr hohen Teilchen-Energien und der dort noch fehlenden Strahlenwirkungsquerschnitte und Instrumentenkalibrierungen sehr schwierige Aufgaben des Strahlenschutzes darstellen. Untersuchungen im Forschungsreaktor FRM2Die neue deutsche Hochfluss-Neutronenquelle "Heinz Maier-Leibnitz (FRM-II)", als Nachfolger des berühmten Garchinger Atom-Ei's, dient vielfältigen Zwecken der Forschung, Wissenschaft, Medizin und Technik. Vor allem ist sie ausgelegt für Strahlrohrexperimente in den Materialwissenschaften und der Katalyseforschung, für Oberflächen- und Defektanalyse mit Positronen, für verschiedenste Forschungsfragen in den Lebenswissenschaften und der Medizin (z. B. Tumortherapie), aber auch für Radiographie und Tomographie. Es können zusätzlich Proben intern bestrahlt werden, unterschiedliche Isotope produziert und Silizium dotiert werden. 3.4 Beispiele für Anwendungen in der Medizin zur Diagnostik und Therapie Radionuklide in der modernen medizinischen Diagnostik und Therapie - Voraussetzungen zur Anwendung von Radionukliden in der Medizin Radioaktive Elemente, auch Radionuklide genannt, sind zur Untersuchung elementarer Lebensprozesse in den verschiedenen Organen und Geweben eines Patienten heute unentbehrliche Werkzeuge der medizinischen Diagnostik. Darüber hinaus können sie auch therapeutisch höchst wirksam sein. 101 Wie alle lebenden Gewebe ist auch der menschliche Körper aus nur wenigen Atomarten aufgebaut: im wesentlichen sind es Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Schwefel und Phosphor; dazu kommen Kalzium, insbesondere für den Knochenaufbau, und darüber hinaus noch eine Vielzahl sehr kleiner Mengen von Elementen, die als Spurenelemente Hilfsfunktionen zur Aufrechterhaltung der elementaren Lebensvorgänge wahrnehmen. Atome einzelner Elemente sind im Körper nach bestimmten Gesetzen zu vielfältigen Molekülen verbunden. Ihre besondere Struktur und Funktion bestimmen wiederum als Bausteine größere Strukturen. Der Mensch nimmt mit seiner Nahrung die für ihn notwendigen Bausteine auf. Diese werden im Körper auf eine höchst komplexe Weise mit Hilfe von spezifischen biologischen Konstruktionsmolekülen, den so genannten Enzymen, für den Aufbau von größeren, funktionstragenden Strukturen eingesetzt und kompensieren dadurch gleichzeitig ablaufende strukturelle Abbauprozesse im Körper. Diese Vorgänge nennt man in ihrer Gesamtheit den Stoffwechsel. Auch die einzelnen Zellen sind wie in einem großen Netzwerk aufeinander abgestimmt und unterliegen Regulationen, die durch als Signalsubstanzen bezeichnete Moleküle vermittelt werden. Diese werden von spezialisierten Zellen abgegeben und finden auf der Oberfläche anderer Zellen für die Erkennung der Signalsubstanzen spezifische Rezeptoren, die wie ein Schlüsselloch nur bestimmte Schlüssel erkennen können. Jeder Zelltyp im Körper hat ganz spezielle Aufgaben, die den Organen und Geweben ihre besondere Funktion verleihen. In Organen mit hohem Zellverlust, wie der Haut, der Magen-Darm-Schleimhaut, dem Knochenmark und den Lymphknoten findet man stets eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Zellteilung, die den normalen Zellverlust ersetzt. Auch die Zellteilungen werden nicht nur durch den Stoffwechsel der Zellen selbst, sondern auch durch Signalsubstanzen zwischen verschiedenen Zellen gesteuert. Fällt diese gezielte Zellteilung aus, kann dies zu bösartigen Tumoren führen. Auch einzelne Organe kommunizieren als Ganzes über spezialisierte Zellen mit entsprechend spezialisierten Zellen anderer Organe, da auch Steuerungsmechanismen zwischen den verschiedenen Organen des Körpers bestehen. 102 Nur so funktioniert der Körper als Einheit. Die Gesamtfunktion des Körpers ist somit schließlich abhängig vom Stoffwechsel der einzelnen Organe. Bis Anfang des letzten Jahrhunderts waren Stoffwechselvorgänge nur wenig bekannt, da man sie nur indirekt mit aufwändigen biochemischen Methoden an dem Organismus entnommenem Gewebe untersuchen konnte. Nach Entdeckung der Radionuklide und nach deren Einsatz für wissenschaftliche Untersuchungen bekamen Wissenschaft und Medizin ein ideales Werkzeug in die Hand, mit dem die Stoffwechselprozesse im lebenden Organismus untersucht werden konnten. Radioaktive Isotope eines Elementes sind zwar chemisch identisch mit den entsprechenden nicht radioaktiven Elementen, sie senden jedoch Strahlen aus, die man mit entsprechend empfindlichen Geräten außerhalb des Körpers nachweisen kann. Da der Organismus nicht zwischen radioaktiven und nicht radioaktiven Elementen unterscheiden kann, nimmt er auch die radioaktiven Substanzen in gleicher Weise wie die nicht radioaktiven Elemente in seinen Stoffwechsel auf, wenn ihm die radioaktiven Isotope angeboten werden. Dies kann mit der Nahrungsaufnahme (per oral) oder, in der Regel, als intravenöse Injektion erfolgen. Radionuklide, die am Stoffwechsel teilnehmen, können mit einer geeigneten Technik außerhalb des Körpers verfolgt werden. Die Möglichkeit zur Nutzung von Radionukliden als Indikatoren des Stoffwechsels wurde früh von G. von Hevesy erkannt, der 1923 mit dem natürlichen Radionuklid des Blei Untersuchungen an Pflanzen durchführte. Dieser Anstoß zum Einsatz von Radionukliden als Indikatoren zur Prüfung des Stoffwechsels in lebenden Systemen führte letztlich zu deren heutigen breiten Anwendung in der gesamten Biologie und Medizin. Von Hevesy erhielt hierfür 1943 den Nobelpreis. Schon wenige Jahre nach der ersten Veröffentlichung durch von Hevesy konnten H. L. Blumgard und S. Weiss 1927 mit Hilfe des natürlichen Radionuklids Wismut (Wismut-210, auch Radium C genannt) und einfachen Strahlennachweisgeräten die Zirkulationszeit des Blutes im Menschen von der Injektionsstelle am Arm zum Herzen und wieder zum anderen Arm messen; dabei wurden bei Patienten mit Herzschwäche veränderte Werte gefunden. Diesen und anderen 103 vereinzelten Pionierleistungen folgte im Jahr 1934 die Entdeckung der künstlichen Radionuklide Stickstoff-13 und Phosphor-30 durch Madame I. Curie und ihren Mann, J. F. Joliot. Dadurch wurde eine größere Anwendung der Radionuklide als Indikatoren für Stoffwechseluntersuchungen überhaupt erst möglich. Sehr bald wurden auch weitere künstlich hergestellte Radionuklide entdeckt. So erzeugte noch im selben Jahr 1934 E. Fermi radioaktives Iod, das biologisch deswegen interessant ist, weil die Schilddrüse als einziges Organ eine relativ große Menge Iod benötigt, und zwar für die Synthese der Schilddrüsenhormone. 1935 berichtete v. Hevesy über seine Experimente mit radioaktivem Phosphor (Phosphor-32) an Ratten und konnte feststellen, dass der im Körper vorkommende Phosphor in den einzelnen Organen einen unterschiedlichen Umsatz hat, der in bösartigen Tumoren relativ hoch ist. Schon 1937 begann in Boston eine interdisziplinäre Gruppe mit dem Arzt S. Hertz und den Physikern A. Roberts und R. D. Evans radioaktives Iod (Iod-128) als Indikator der Schilddrüsenfunktion bei Kaninchen auszuprobieren. Die Grundlage der Schilddrüsendiagnostik mit radioaktivem Iod wurde 1938 von diesen Forschern veröffentlicht. Nach dem zweiten Weltkrieg konnte der von E. Fermi am 2.12.1942 in Betrieb genommene Kernreaktor in Chicago als große Neutronenquelle für die Großproduktion von vielen verschiedenen Radionukliden eingesetzt werden, womit der Weg für den allgemeinen klinischen Einsatz dieser Indikatortechnik freigemacht wurde. Das erste Angebot zum Verkauf von Radionukliden wurde am 14.6.1946 in der Zeitschrift „Science" bekannt gegeben. - Radionuklide in der Diagnostik Voraussetzung für die Anwendung von Radionukliden in der medizinischen Diagnostik ist, dass die von diesen Radionukliden ausgehende Strahlung den Organismus der Patienten durchdringen und von außen gemessen werden kann. Hierfür eignen sich nur Radionuklide mit einer höheren Reichweite der Strahlung, der Gammastrahlung. Die erweiterte Anwendung von Radionukliden in der medizinischen Diagnostik setzte die Entwicklung von Strahlennachweisgeräten voraus, welche auch in der Lage sein mussten, die 104 räumliche Verteilung der Radionuklide im Organismus bildlich darzustellen. Grundprinzip aller dieser Nachweisgeräte ist ein besonders aktivierter Natrium-Iodid-Kristall, der in der Lage ist, einfallende Gammastrahlen in sichtbares Licht umzuwandeln, das dann weiter verarbeitet werden kann. Die ersten Geräte dieser Art, Szintigraphen genannt, wurden Anfang der 50er Jahre entwickelt. Bei diesen Geräten bewegte sich ein kleiner Mess-Kristall zeilenförmig über das zu untersuchende Gebiet des Körpers hinweg und das jeweilige Messergebnis wurde in Form von schwarzen, bzw. bunten Strichmarkierungen auf Papier ausgedruckt (Szintigramm). Dabei war die Intensität der Schwärzung, bzw. die Art der Farbe proportional zur Intensität der gemessenen Strahlung. Schon wenige Jahre später wurde diese Technik durch so genannte Gammakameras (Abb. 3.6a) bereichert, die durch einen großen Mess-Kristall gleichzeitig die Intensität und die Lokalisation der Strahlung in einem Feld von bis zu etwa 50 cm x 50 cm erfassen können. Zusätzlich haben diese Gammakameras den Vorteil, auch sehr schnell ablaufende Änderungen der von den Radionukliden stammenden Strahlung registrieren zu können; so sind z. B. bei der Herzdiagnostik bis zu 100 Aufnahmen pro Sekunde möglich, so dass die im Herzen sehr schnell ablaufenden Funktionsabläufe erfasst werden können. Diese Szintigramme werden heute in der Regel an speziellen EDV-Bearbeitungsstationen sichtbar gemacht und ausgewertet (Abb. 3.6b). Eine zusätzliche Dokumentation dieser digitalen Daten kann auf CD, Papier oder Röntgenfilm erfolgen. Abb. 3.6a Doppelkopf-Gamma-Kamera 105 Abb. 3.6b EDV-Bearbeitungsstation zur Bildbetrachtung und Befundung Im Laufe der letzten Jahrzehnte gelang es, eine Vielzahl von Substanzen, die in den Stoffwechsel einzelner Organe eingeschleust werden können, mit gammastrahlenden Nukliden zu markieren und damit die Funktion dieser Organe zu erfassen. Die radioaktiven Substanzen, die für die Diagnostik am Menschen eingesetzt werden, werden Radiopharmaka oder Radiopharmazeutika genannt. Auch heute noch ist man bei dieser Technik mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass nur die Radiopharmaka mit Radionukliden markiert werden können, welche sich wie natürliche Bausteine im Stoffwechsel der Zellen und Organe verhalten. Ein wesentlicher Grund für diese Schwierigkeit liegt in der Tatsache, dass es von den meisten Elementen, welche den Körper aufbauen, nur Radionuklide gibt, die entweder keine Gammastrahler sind oder nur eine sehr kurze Zeit strahlen. Deshalb musste für den Routineeinsatz nach Alternativen gesucht werden: das heute in der Medizin meist gebräuchliche Radionuklid ist das Technetium-99m (Tc-99m), mit dem sich sehr viele für eine Organuntersuchung relevante Substanzen markieren lassen. Für spezielle Untersuchungen werden auch Indium-111, Iod-123 und Iod-131 verwendet. Da die für die verschiedenen diagnostischen Untersuchungen dem Patienten verabreichten Radiopharmaka zu einer nicht unerheblichen Strahlenexposition führen (Tab. 3.3), verlangen nuklearmedizinische Untersuchungen im Rahmen 106 einer Nutzen-Risiko-Betrachtung eine besondere Sorgfalt bei der Indikationsstellung, Auswahl des geeigneten Radionuklids (möglichst kurze biologische und physikalische Halbwertszeit) und Durchführung der Untersuchung. Allgemein soll für eine bestimmte Untersuchung dasjenige Radionuklid als Indikator ausgesucht werden, das aufgrund der Energie der Strahlung und der Zerfallszeit die niedrigste Strahlenexposition bei größtmöglicher diagnostischer Aussage mit sich bringt. Untersuchtes Organ Schilddrüse (Tc99m-Pertechnetat) Aktivitätsmenge (Referenzwert, MBq) 75 Skelett (Tc-99m -MDP) 500–700 Herz (Tc-99m-MIBI) 600–1000 Nieren (Tc-99m-MAG3) 100 PositronenEmissionsTomographie (PET ) (F18-FDG) 200–370 Effektive Dosis (mSv) 1,0 2,9–4 7,2–8,2 0,7 3,8–7,0 Tab. 3.3 Größenordnung der Strahlenexposition in der nuklearmedizinischen Diagnostik Die diagnostischen Referenzwerte dieser Tabelle sowie die mit den Untersuchungen verbundenen Strahlenexpositionen wurden der Publikation von D. Noßke, V. Minkov und G. Brix “Festlegung und Anwendung diagnostischer Referenzwerte für nuklearmedizinische Untersuchungen“ in: Nuklearmedizin (2004) 3:79-85 entnommen. 107 - Spezielle nuklearmedizinische Untersuchungen Die Schilddrüse verwendet für die Synthese ihrer Hormone Iod. Der Einbau von radioaktivem Iod in die Schilddrüse erlaubt so die Untersuchung von Organstruktur und -funktion. Das kurzlebige Iod-123 (Halbwertszeit 12 Stunden) bringt im Vergleich zur selben Menge von langlebigerem Iod-131 (Halbwertszeit 8 Tage) eine Reduktion der Strahlenexposition für die Schilddrüse um den Faktor 100. Die Nutzung von Technetium-99m, das auch von der Schilddrüse aufgenommen wird, jedoch im Gegensatz zu Iod nicht in die Schilddrüsenhormone eingebaut wird, reduziert pro applizierter Menge des Radionuklids die Strahlenexposition im Vergleich zum Iod-123 noch einmal um den Faktor 30. Daher wird heute zur Darstellung von funktionstüchtigem Schilddrüsengewebe Technetium-99m bevorzugt. Etwa 20 Minuten nach intravenöser Injektion von Technetium-Pertechnetat wird die Radionuklidverteilung in der Schilddrüse mit der GammaKamera bildlich dargestellt (Abb. 3.7). Normalbefund 5 c m Abb. 3.7 Schilddrüsen-Szintigramm (ohne krankhaften Befund) 108 Neben Größe und Form der funktionsfähigen Schilddrüse kann mit diesem Verfahren bei verminderter Speicherung des Technetiums eine Unterfunktion (Hypothyreose) sowie bei vermehrter Speicherung eine Überfunktion (Hyperthyreose) nachgewiesen werden. Von noch wesentlicherer Bedeutung ist jedoch die Beurteilung, ob Knoten in der Schilddrüse eine vermehrte Speicherung (heiße Knoten) oder eine verminderte Speicherung (kalte Knoten) aufweisen. Für Skelettuntersuchungen werden mit Technetium-99m markierte Phosphonat-Verbindungen, die in das Blut eingeschleust werden, durchblutungsabhängig in die einzelnen Knochenstrukturen eingebaut. Da das Skelettsystem einem kontinuierlichen Knochenaufbau und Knochenabbau unterworfen ist – wobei bei Kindern und Jugendlichen der Knochenaufbau überwiegt, während bei Älteren der Knochenabbau überwiegt (Osteoporose) – lässt sich mit Hilfe der Skelettszintigraphie das gesamte Skelett 3 Std. nach Injektion der radioaktiven Substanz detailreich darstellen (Abb. 3.8). Alle Erkrankungen mit Knochenbeteiligung wie Knochenverletzungen, Entzündungen, Tumoren und Verschleißerscheinungen führen zu einem erhöhten Knochenumbau und lassen sich durch eine vermehrte Aufnahme des Radiopharmakons im betroffenen Skelettareal nachweisen. Da diese Methode außerordentlich empfindlich ist, können z. B. entzündliche Veränderungen oder auch Verletzungsfolgen des Knochens zu einem Zeitpunkt erkannt werden, zu dem das Röntgenbild dieses Skelettabschnittes noch unauffällig ist. Nach Injektion des Radiopharmakons wird dessen Weg in den betroffenen Skelettabschnitt mit der Gammakamera aufgezeichnet (Angiographie- und Blutpoolphase). 3 bis 4 Std. nach Injektion erfolgt die Abbildung des gesamten Skelettes mit Hilfe einer Ganzkörper-Gammakamera (Mineralisationsphase, Abb. 3.8). 109 Abb. 3.8 Ganzkörper-Szintigramm des Skelett eines Kindes (besonders deutlich sind die einzelnen Wachstumsfugen zu erkennen, kein krankhafter Befund) Bei der Diagnose von Herzerkrankungen hat die Anwendung von Radionukliden in den letzten Jahren eine wesentliche Bedeutung erlangt. So können mit dieser Technik sowohl die Pumpleistung, die Muskelwandbewegung, die Muskeldurchblutung und schließlich der Energiestoffwechsel des Herzmuskels untersucht werden. Für die Ermittlung der Pumpleistung werden mit Technetium-99m markierte rote Blutkörperchen verwendet, welche nach Verteilung im zirkulierenden Blut im Gamma-KameraBild die Herzhöhlen und ihre Bewegung und damit die Pumpleistung messbar machen. Für die diagnostische Abklärung des Verdachts einer Durchblutungsstörung des Herzmuskels, z. B. bei Verengung der Koronararterien, werden heute vorwiegend mit Technetium-99m markierte Isonitrile verwendet. Dieses Radionuklid wird durchblutungsabhängig in die Muskelzellen des Herzens aufgenommen; eine Verminderung der Durchblutung führt somit zu einer verminderten Anreicherung des Radiopharmakons in dem zugehörigen Muskelbereich. 110 Die Untersuchung selbst wird in zwei Phasen durchgeführt und zwar nach körperlicher oder medikamentöser Belastung sowie in körperlicher Ruhe nach jeweiliger intravenöser Injektion des Radiopharmakons. Ist bei der Ruheuntersuchung der Herzmuskel unauffällig dargestellt und zeigt sich bei der Untersuchung nach Belastung eine verminderte Speicherung, so handelt es sich um eine belastungsabhängige Minderdurchblutung (Ischämie, Abb. 3.9), während eine verminderte Radioaktivitätsspeicherung sowohl in Ruhe als auch nach Belastung für eine Narbe (Infarkt) spricht. Abb. 3.9 Herzmuskel-Szintigraphie mit Minderdurchblutung unter Belastung (Ischämie) in der Seitenwand des Herzmuskels (Pfeil) Mit Radionukliden lassen sich die Funktionen der Urinproduktion in den Nieren und des Urinflusses in die Blase seitengetrennt quantitativ verfolgen. Dabei werden unterschiedliche Erkrankungen der Nieren und einzelner Nierenabschnitte funktionell getrennt erfassbar. Zudem kann auch ein krankhaftes Zurückfließen des Urins aus der Blase in die Nieren sichtbar gemacht werden (Reflux). Als Radiopharmakon wird heute vorwiegend Technetium99m-Mercaptoacetyltriglycin (MAG3) verwendet, das sich sehr schnell im Nierengewebe anreichert und anschließend über das Nierenhohlraumsystem und die Harnleiter in die Blase ausgeschieden wird. 111 - Nuklearmedizinische Tomographie-Untersuchungen Single-Photon-Emissions-Computertomographie (SPECT) Bei diesem Verfahren dreht sich der Kopf einer Gammakamera bzw. drehen sich die Köpfe einer MehrkopfGammakamera um den Patienten, bleiben kurz stehen, messen die Strahlung, die aus dem Patienten herauskommt (Emission), drehen sich erneut, bleiben wieder stehen und messen usw.. Auf diese Weise entsteht ein “Datenwürfel“, der anschließend mit speziellen nuklearmedizinischen Auswertecomputern in einzelne Schichten des Körpers aufgelöst werden kann. Diese einzelnen Schichten – vergleichbar den Schichtaufnahmen der röntgenologischen Computertomographie – haben den Vorteil, dass sie die dreidimensionale Lokalisation des die Strahlung aussendenden Organs (z. B. des Herzens) überlagerungsfrei darstellen können. Ein Beispiel findet sich in Abb. 3.9, die SPECT-Aufnahmen des Herzmuskels darstellt. Positronen-Emissions-Tomographie (PET) In den letzten Jahren sind die technischen Voraussetzungen auch zur Anwendung der sehr kurzlebigen Radionuklide Kohlenstoff-11, Stickstoff-13, Sauerstoff-15 und Fluor-18 mit Hilfe der Positronen-Emissions-Tomographie geschaffen worden. Diese Radionuklide senden Positronen aus, die sich praktisch sofort mit benachbarten Elektronen vereinigen. Dabei entsteht eine Vernichtungsstrahlung mit 2 Gammaquanten, welche im Winkel von 180 Grad zueinander ausgesandt werden. Ein spezielles Messgerät für diese „doppelte" Gammastrahlung der Positronen-EmissionsTomographie (PET-Scanner, Abb. 3.10) erlaubt die Szintigraphie in Form von Körperschnittbildern. 112 Abb. 3.10 Positronen-Emissions-Tomograph mit Bedienungsplatz. Während in der “konventionellen" Nuklearmedizin in der Regel größere Moleküle radioaktiv markiert werden, die meist nicht direkt in den menschlichen Stoffwechsel eingeschleust werden können, werden für die Positronen-Emissions-Tomographie die Bausteine des Lebens, wie Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff, in radioaktiver Form in einem Zyklotron hergestellt. Diese radioaktiven Verbindungen zeigen bei Verwendung eines PET-Scanners direkt den Stoffwechsel und insbesondere krankhafte Stoffwechselveränderungen an. Dies gilt auch für den mit dem Positronenstrahler Fluor-18 markierten Zucker, Difluorodeoxyglucose (FDG), der insbesondere im Bereich der onkologischen Diagnostik eingesetzt wird. Da seit langer Zeit bekannt ist, dass die Zellen vieler Tumorarten einen vermehrten Zuckerverbrauch aufweisen, ist es verständlich, dass bei Verwendung von FDG mit Hilfe der PET diese Tumoren und deren Metastasen durch ihren erhöhten Zuckerverbrauch sichtbar gemacht werden können. Wesentlicher Nachteil der Positronenstrahler ist, dass sie in der Regel nur eine sehr kurze physikalische Halbwertszeit haben, die die Kombination von Zyklotron und PET-Scanner erforderlich macht; lediglich das Fluor-18-FDG macht hier eine Ausnahme, da bei einer Halbwertszeit von 110 Minuten auch noch ein Transport vom Zyklotron in andere Krankenhäuser und Praxen möglich ist. Die Abb. 3.11 zeigt eine 113 Ganzkörper-F18-FDG-PET-Untersuchung eines 11-jährigen Mädchens mit bösartigem Tumor der Muskulatur. Die PET zeigt multiple Steigerungen des Zuckerstoffwechsels, die Metastasen entsprechen (der intensive Zuckerstoffwechsel im Gehirn des Kindes ist durch seine Aktivität bedingt und somit normal). Weitere Anwendungsgebiete der Positronen-Emissions-Tomographie sind entzündliche Erkrankungen, Erkrankungen des Herzmuskels und des Gehirnes. Abb. 3.11 Das F18-FDG-PET zeigt multiple Metastasen Seit kurzer Zeit stehen insbesondere für die Diagnostik in der Onkologie kombinierte Systeme aus Positronen-EmissionsTomographie (PET) und Computer-Tomographie (CT) zur Verfügung (Abb. 3.12). Diese PET/CT-Systeme haben den wesentlichen Vorteil, dass die funktionellen Aussagen der PET, die primär nur schwer den anatomischen Strukturen des Körpers zuzuordnen sind, mit den morphologischen Aussagen der CT zusammen aufgezeichnet werden. Durch die Überlagerung der Funktionsaussage im PET und der morphologischen Aussage des CT lässt sich eine genaue Zuordnung, z. B. von Tumoren und Metastasen, erreichen. Allerdings ist die Strahlenexposition für den Patienten bei den kombinierten PET/ CT-Systemen erheblich höher; sie liegt bei 10 bis 25 mSv. 114 Gleiches gilt für eine neue Generation von Geräten, die seit kurzer Zeit erhältlich ist, die SPECT/CT-Systeme. Bei diesen Geräten ist eine SPECT-fähige Doppelkopfkamera mit einem Computertomographie (CT)-System fest verbunden. Dabei dient die Röntgenstrahlung der Computertomographie sowohl zur Schwächungskorrektur der SPECT-Aufnahmen, als auch – wie beim PET/CT – zur gleichzeitigen morphologischen Diagnostik. Abb. 3.12 PET und CT-Kombinationsgerät (links CT, rechts PET) - Radionuklide in der Therapie Neben dem Einsatz für diagnostische Zwecke werden Radionuklide auch in der Therapie zur Zerstörung von wuchernden, meist bösartigen, Tumorzellen oder von solchen Zellen, die z. B. in Gelenken eine chronische Entzündung unterhalten, eingesetzt. Grundsätzlich können bestimmte Zellen und Gewebe im Körper auf drei Wegen vernichtet werden: 1. durch chirurgische Entfernung des die Zellen enthaltenden Gewebes, 2. durch Behandlung mit solchen Medikamenten, die Zellen abtöten, so genannte Zytostatika, und 115 3. durch ionisierende Strahlung, wobei das zu behandelnde Gewebe entweder von außen oder durch die Einschleusung von Radionukliden in das betroffene Gebiet bestrahlt wird. Hierbei haben die Radionuklide generell den Vorteil, dass sie ähnlich wie bei ihrem diagnostischen Einsatz in das kranke Gewebe eingeschleust werden können, wo ihre Strahlung lokal bei nahezu vollständiger Schonung des gesunden Gewebes wirken kann. Entsprechend der Zielsetzung der Strahlentherapie, Zellen abzutöten, liegen die applizierten lokalen Dosen sehr hoch, z. B. bei Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose) bei etwa 400 Gy. Trotz dieser hohen Dosen wird das den Krankheitsherd umgebende gesunde Gewebe weitestgehend geschont. Es ist ein aktuelles Forschungsziel, möglichst alle Krebsarten so speziell behandeln zu können wie die z. B. der Schilddrüse. Röntgendiagnostik Die von Wilhelm Konrad Röntgen 1895 entdeckten Röntgenstrahlen eroberten in wenigen Jahren das Gebiet der medizinischen Diagnostik, da es mit ihnen zum ersten Mal möglich wurde, Bilder vom Inneren des lebenden und unverletzten Menschen herzustellen. 1901 erhielt Röntgen für diese wissenschaftliche Leistung als erster den Nobelpreis für Physik. Zur Durchführung von Röntgenuntersuchungen ist es notwendig, einerseits Röntgenstrahlen zu erzeugen und mit diesen das zu untersuchende Objekt – in unserem Fall den Patienten – zu durchdringen und andererseits die in den einzelnen Teilen des Patientenkörpers unterschiedlich geschwächten unsichtbaren Röntgenstrahlen im Röntgenbild für unser Auge sichtbar werden zu lassen. Erzeugt werden die Röntgenstrahlen in einer Röntgenröhre, zu deren Betrieb ein Röntgengenerator erforderlich ist. In der Röntgenröhre sind eine Glühkathode in Form einer kleinen Drahtspirale aus hitzebeständigem Wolframdraht und eine Anode eingeschmolzen. Wird die Kathode auf über 2000 Grad Celsius aufgeheizt, so treten aus ihrer Oberfläche kleinste negativ geladene Masseteilchen – Elektronen – aus. Wird zwischen Anode und Kathode eine Hochspannung angelegt – die vom Generator 116 erzeugt wird –, so werden die Elektronen mit großer Geschwindigkeit von der Anode angezogen und erzeugen beim Aufprallen und Abbremsen die Röntgenstrahlen. Die Wiedergabe des durch die Röntgenstrahlen erzeugten Röntgenbildes – hier muss erneut betont werden, dass die in der Röntgenröhre erzeugten Röntgenstrahlen im lebenden Organismus unterschiedlich geschwächt werden, so werden sie durch die Lunge kaum, durch das Skelettsystem dagegen sehr intensiv abgeschwächt – erfolgt entweder auf Röntgenfilmen oder heute zunehmend in digitaler Form auf speziellen radiologischen Monitoren (Workstations). Der Begriff „digitale Radiographie“ fasst alle Bereiche der digitalen Röntgentechnik zusammen, bei denen die auftreffenden Röntgenstrahlen mittels Speicherfolie oder Halbleiterdetektoren ausgelesen und digitalisiert werden. Mit digitalen Bildverarbeitungssystem können diese Bilder aufgenommen und weiter bearbeitet werden. Bei einer konventionellen Aufnahme ist der Röntgenfilm gleichzeitig Aufnahme -, Speicher- und Darstellungsmedium. Im Gegensatz hierzu wird es mit der digitalen Radiographie möglich, jede einzelne Bearbeitungsstufe zu optimieren und zwar die Aufnahme des durch die Röntgenstrahlen erzeugten Bildes, seine Verarbeitung sowie seine Darstellung und Speicherung. Generell wird die Röntgendiagnostik heute in vier Bereiche unterteilt und zwar: - Röntgendurchleuchtung konventionelle Röntgendiagnostik (Projektionsradiographie) Interventionelle Radiologie Computertomographie (CT) Die Röntgendurchleuchtung hatte in früheren Jahren eine weite Verbreitung, da mit ihr insbesondere die Lunge, aber auch Strukturen und Bewegungen von Speiseröhre, Magen und Darm beurteilt werden konnten. Da diese Untersuchungen jedoch bei angeschalteter Röntgenröhre und damit kontinuierlicher, zum Teil über viele Minuten andauernder Röntgenstrahlung durchgeführt wurden, waren sie trotz aller Strah117 lenschutzmaßnahmen mit einer hohen Strahlenexposition sowohl des Patienten als auch des Untersuchers verbunden. Aus diesen Strahlenschutzgründen, aber auch weil heute andere diagnostische Maßnahmen für diese Zwecke zur Verfügung stehen, hat die Röntgendurchleuchtung heute nur noch eine geringe Bedeutung, vor allem in speziellen internistischen Fachgebieten. Die konventionelle Röntgendiagnostik wird heute zunehmend als Projektions-Radiographie bezeichnet. Hierunter versteht man alle Röntgenuntersuchungen, bei denen Röntgenaufnahmen als Röntgenfilme oder in digitaler Form angefertigt werden, z. B. nach Verletzungen von Extremitäten. Die interventionelle Radiologie ist ein spezielles Arbeitsfeld der Radiologie, das die Möglichkeit bietet, mit Hilfe von venösen oder arteriellen Kathetern röntgenologisch-kontrolliert Zugang zu den Gefäßregionen und Organen des Patienten zu erlangen und an diesen diagnostische (mit Kontrastmittel) und insbesondere auch therapeutische Maßnahmen durchzuführen. So können beispielsweise verschlossene Gefäße mittels Ballonkatheter wieder geöffnet oder durch Katheter spezielle dauerhafte Materialen in den Körper eingebracht werden, wie z. B. gefäßerweiternde Hülsen (Stents) oder knochenausfüllenden Zement bei den Knochen auflösenden Metastasen. Ein wesentliches röntgendiagnostisches Verfahren u. a. in der interventionellen Radiologie ist die Digitale Subtraktionsangiographie (DSA). Bei der DSA handelt es sich um ein Verfahren zur besseren Darstellung der mit einem Röntgenkontrastmittel markierten Blutgefäße im Körper. Hierfür wird zuerst ein digitales Röntgenbild des Untersuchungsgebietes zu einem Zeitpunkt, zu dem die Gefäße noch nicht kontrastiert sind („Leeraufnahme“), aufgenommen und gespeichert. Zu einem späteren Zeitpunkt, zu dem die Blutgefäße bereits maximal mit Kontrastmittel gefüllt sind, erfolgt eine neue digitale Röntgenaufnahme, die von der vorher erstellten “Leeraufnahme“ subtrahiert wird. Das daraus resultierende neue Bild zeigt als Differenz der beiden subtrahierten Bilder die kontrastgefüllten Gefäße (Abb. 3.13). 118 Abb. 3.13 Digitale Subtraktionsangiographie (DSA) zur Darstellung der Beckengefäße Zwar ist die Kontrastauflösung dieser digitalen Angiographie etwas schlechter als die der konventionellen Angiographie, jedoch führt sie zu einer erheblich geringeren Strahlenexposition des Patienten. Zudem kann nach der durchgeführten Untersuchung mit Hilfe von EDV-Bildverarbeitungsmethoden eine Optimierung der Bildqualität herbeigeführt werden. Die Computer-Tomographie (CT) ist ein Verfahren zur Herstellung von Querschnittsbildern des Körpers mit Hilfe von Röntgenstrahlen. Die Anfertigung dieser Schnittbilder erfolgt durch ein eng begrenztes Röntgenstrahlenbündel, welches die zu untersuchende Körperschnittebene aus verschiedenen Richtungen abtastet. Zu diesem Zweck umkreisen der Strahler und der Detektor den Patienten in der Schnittebene. Die so erreichten Körperquerschnitte haben eine variable Dicke zwischen 1 und 10 mm. Die durch den Körper abgeschwächten Röntgenstrahlen werden durch Detektoren erfasst, in elektrische Signale umgewandelt und in einem Computersystem zu einem Querschnittsbild aufgebaut. Dieses erscheint in verschiedenen Grauabstufungen auf einem Monitor, wo es ausgewertet und beurteilt werden kann (Abb. 3.14). 119 Abb. 3.14 CT-Querschnittsbild des Bauchraumes. Zu erkennen sind die Wirbelsäule, beide Nieren, die Leber, die Bauchspeicheldrüse und die Magenblase (unauffälliger Befund). Die Scanzeiten haben sich heute auf 0,5 bis 2 Sekunden reduziert. Bei moderneren Geräten können gleichzeitig mehrere Schichten des Körpers gescannt werden; hierzu stehen zur Zeit bis zu 64-Schichten-Scanner zur Verfügung, weitere Entwicklungen sind jedoch abzusehen. Wesentlicher Vorteil der Mehrschicht-Scanner ist die kürzere Untersuchungszeit die es z. B. erlaubt, während der Atemstillstandsphase des Patienten nahezu den ganzen Körper zu untersuchen. Durch besondere Rechenverfahren ist nicht nur die Darstellung einer Schicht sondern auch die Darstellung dreidimensionaler Bilder (3-D-Darstellung) möglich. Diese 3-D-Darstellung gewinnt für die plastische Chirurgie und allgemein für die Operationsplanung immer mehr an Bedeutung. Klinische Einsatzbereiche der Computertomographie finden sich in vielen Gebieten der Medizin, angefangen von der Diagnostik des Kopfes und Gehirnes über die Diagnostik der Lunge, der Wirbelsäule, über das Herz, bei dem heute mit dem CT sehr gut Verkalkungen der Herzkranzgefäße erfasst werden können, bis hin zur Diagnostik von durch Unfälle schwer verletzter Patienten, aus deren Erstversorgung die Computertomographie nicht mehr wegzudenken ist. 120 Da alle bisher angeführten Methoden der Röntgendiagnostik mit einer Strahlenexposition des Patienten verbunden sind (Tab. 3.4), hat sich die Radiologie schon seit vielen Jahrzehnten intensiv mit bildgebenden diagnostischen Verfahren beschäftigt, die keine Strahlenexposition mit sich bringen und zwar insbesondere mit den Ultraschallverfahren (Sonographie) und der Kernspintomographie (auch Magnet-ResonanzTomographie genannt), auf die hier jedoch nicht eingegangen werden soll. Untersuchungsart Durchleuchtung Röntgenaufnahmen Magen-DarmPassage Thorax Thorax LWS Interventionelle Radiologie Computertomographie Effektive Dosis (mSv) 6–10 1–2 0,05–0,1 0,5 –1,0 5–10 Thorax Abdomen 5–10 5–10 Tab. 3.4 Größenordnung der Strahlenexposition in der Röntgendiagnostik Perkutane Strahlentherapie Als Begründer der therapeutischen Anwendung von Röntgenstrahlen gilt der Wiener Dermatologe Leopold Freund, der bereits 1896 ein Muttermal auf dem Rücken eines Mädchens bestrahlte und zwar erfolgreich, wie eine Nachuntersuchung der damals mittlerweile 64-jährigen ehemaligen Patientin im Jahre 1956 zeigte. Die bald erkannten Nachteile der Röntgenstrahlen für therapeutische Zwecke wurden in den folgenden Jahrzehnten durch technische Verbesserungen (Filterung, Mehrfeldtechnik, Bewegungsbestrahlung usw.) gemindert. 121 Weitere Entwicklungen in der Strahlentherapie waren die TeleRadiumtherapie (mit natürlichem Radium 226), die Tele-Kobalttherapie (mit Kobalt 60) sowie die Tele-Cäsiumtherapie (mit Cäsium 137). Diese Bestrahlungssysteme, die über viele Jahrzehnte zusammen mit einfacheren Beschleunigern in der Strahlentherapie verwendet wurden, sind seit den 70er Jahren fast vollständig von den technisch stabileren Linearbeschleunigern abgelöst worden, die neben Photonen auch Elektronen für die Strahlenbehandlung liefern. Auch für die so genannte intrakavitäre Strahlentherapie mit umschlossenen radioaktiven Stoffen, die z. B. für die Behandlung von bösartigen Erkrankungen der Gebärmutter eingesetzt wird, sind im Laufe der Jahre wesentliche technische Verbesserungen möglich geworden. So werden heute hierfür nur noch Afterloading-Geräte eingesetzt, die zu einer nur noch minimalen Strahlenexposition des Bedienpersonals führen. Grundlage der modernen Strahlentherapie (heute vorwiegend als Radioonkologie bezeichnet) ist die Elektronenstrahlung. Ihre Attraktivität, vor allem zur Behandlung oberflächlich gelegener Tumoren und Metastasen, verdanken die Elektronen ihrem, gegenüber der Photonen (elektromagnetischen Wellen), unterschiedlichem Verhalten beim Durchgang durch die Materie, in der sie ihre Energie über die Ladungswechselwirkung an die Atome der zu behandelnden Tumoren und Metastasen abgeben. Weitere strahlentherapeutische Maßnahmen verwenden Neutronen, die in Forschungsreaktoren, z. B. dem FRM II, oder in Beschleunigern (Zyklotron) erzeugt werden. Seit kurzem werden auch Protonen in der Strahlentherapie verwendet. Diese Teilchen sind trotz des enormen technischen Aufwandes und der hohen Kosten für einige strahlentherapeutische Anwendungen geeignet, allerdings fehlen für verschiedene Einsatzbereiche der Protonen noch größere klinische Studien. Auch die Integration der modernen bildgebenden Verfahren CT, MRT und PET in die Bestrahlungsplanung und die Entwicklung einer 3-D-Bestrahlungsplanung haben zu weiteren Verbesserungen in der modernen Strahlentherapie geführt, die heute unter dem Stichpunkt “intensitätsmodulierte Strahlentherapie“ (IMRT) als Optimum in der Radioonkologie angesehen werden. 122 Neben der Behandlung von bösartigen Erkrankungen wird die Strahlentherapie mit niedrigen Dosen bereits seit über 100 Jahren auch zur Behandlung von entzündlichen Veränderungen eingesetzt. Hauptindikation hierfür sind verschiedene entzündliche Erkrankungen, insbesondere entzündliche Gelenkerkrankungen aber auch Verschleißerscheinungen verschiedener Formen. Die therapeutische Wirkung dieser niedrig dosierten Strahlentherapie bei entzündlichen Veränderungen erfolgt durch eine Reduzierung der entzündlich gesteigerten Durchblutung sowie durch eine Verminderung der die Entzündung fördernden weißen Blutkörperchen, so dass bei Gesamtdosen von wenigen Gy eine rasche Verbesserung der klinischen Symptome möglich ist. Eine – allerdings umstrittene – Sonderform der Strahlentherapie stellt die Radon- oder Radiumtherapie dar, die in einzelnen Heilbädern angeboten wird. Hierbei entsteht die paradoxe Situation, dass einerseits eine generelle und größtenteils auch berechtigte Sorge über die Gefährdung durch ionisierende Strahlen aus Radioaktivität besteht, andererseits vor allem Patienten mit chronischen entzündlichen Gelenkerkrankungen in diese Radonbäder oder -heilstollen kommen, um dort mit Hilfe der Radioaktivität ihre Leiden zu lindern. Bei diesen Kuren erhält der Patient mit 2-3 mSv in 3 bis 4 Wochen in etwa die gleiche Strahlenmenge, wie sie jeder Deutsche jedes Jahr aus natürlichen Quellen aufnimmt. Die Wirksamkeit dieser Radonkuren ist in Doppelblindversuchen bewiesen worden; insbesondere bei Patienten mit entzündlichen Gelenk- und Wirbelsäulenveränderungen können lang andauernde Linderungen der Schmerzen und der entzündlichen Veränderungen beobachtet werden. Versucht man, diese paradoxe Situation zusammenzufassen, so lässt sich sagen, dass zwar durch die erhöhte Radonkonzentration in den Heilbädern eine potenzielle Gefährdung der Patienten besteht, dass aber letztlich die nachgewiesene heilende Wirkung bei den meist älteren Patienten, die in der Regel ohne die Behandlung unter außerordentlich unangenehmen Schmerzen leiden, im Vordergrund steht. 123 3.5 Behandlung radioaktiver Abfälle Was sind radioaktive Abfälle? Beim Umgang mit radioaktiven Stoffen fallen viele unterschiedliche Formen radioaktiver Abfälle an, d.h. radioaktive Stoffe, die nicht weiter genutzt werden können, die aber auch nicht einfach wie normaler Müll in eine Deponie verbracht werden können. Vielmehr müssen die radioaktiven Abfälle derart behandelt und gelagert werden, dass die durch sie hervorgerufenen Strahlenexpositionen für die beteiligten Arbeiter und die Bevölkerung so niedrig wie praktisch möglich gehalten werden, und dass die vorgegebenen Grenzwerte für die Strahlenexposition eingehalten werden. Bei der Sortierung, Verarbeitung, Verpackung und Entsorgung radioaktiver Abfälle spielen eine Reihe von physikalischen und chemischen Eigenschaften eine Rolle, so dass es sinnvoll ist, sie durch Einteilung in verschiedene Klassen zu charakterisieren. Man unterscheidet aufgrund des Aktivitätsgehaltes zwischen hoch-, mittel- und schwachradioaktiven Abfällen. Häufig werden hierfür die Bezeichnungen HAW, MAW und LAW (von den englischen Bezeichnungen high, middle und low active waste) verwendet. Die mittelund schwachradioaktiven Abfälle werden häufig noch in kurz- und langlebige Abfälle eingeteilt (je nachdem, ob die Halbwertszeiten der enthaltenen Radionuklide kürzer oder länger als 30 Jahre sind). Für die Behandlung der Abfälle ist wegen der großen biologischen Wirksamkeit von Alphastrahlung oft auch eine Unterteilung in solche, die wenig oder keine, und solche die viele Alpha-Strahler enthalten, sinnvoll. Für die Endlagerung von radioaktiven Abfällen spielt vor allem eine wesentliche Rolle, ob ihre Wärmeentwicklung (aufgrund ihrer Radioaktivität) vernachlässigbar ist oder nicht: im Wirtsgestein eines Endlagers sollen aus geologischen Gründen keine wesentlichen Temperaturerhöhungen (d.h. mehr als 3 Grad) auftreten. Quellen radioaktiver Abfälle Eine wesentliche Quelle für radioaktive Abfälle ist der nukleare Brennstoffkreislauf (einschließlich Uranabbau und -aufbereitung, Anreicherung, Behandlung bestrahlter Kern124 brennstoffe). In Kernkraftwerken fallen neben den bestrahlten Brennelementen eine Reihe weiterer Abfälle wie Verdampferkonzentrate, Filter, Reinigungsmittel und Schutzkleidung an. Das Abfallaufkommen eines typischen Kernkraftwerks liegt in der Größenordnung von einhundert m³ konditionierter Abfälle im Jahr. Nur ein kleiner Anteil davon zählt zu den hochaktiven Abfällen mit starker Wärmeentwicklung. Hochaktive, wärmeentwickelnde Abfälle (Rückstände der Brennelemente, Spaltproduktkonzentrat, Hülsen und Strukturteile, Schlämme), aber auch alle anderen Arten radioaktiver Abfälle fallen in Wiederaufarbeitungsanlagen an. Eine Vielfalt an verschiedenen radioaktiven Abfällen entsteht auch bei der Stilllegung und dem Rückbau kerntechnischer Anlagen. Neben dem nuklearen Brennstoffkreislauf stammen radioaktive Abfälle aus der Anwendung von Radioisotopen in Medizin, Industrie und Forschung. Diese in der Regel mittel- und schwachaktiven Abfälle werden in Landessammelstellen gesammelt und zwischengelagert, bevor sie einer geeigneten Behandlung und Entsorgung zugeführt werden. Radioaktive Abfälle fallen aber auch beim Umgang mit Materialien, welche natürlich radioaktive Stoffe enthalten, an. So sind z. B. die Bohr- und Fördergestänge aus der Erdölförderung mit radioaktiven Stoffen wie Radium oder Uran aus dem Untergrund kontaminiert und sind deswegen als radioaktiver Abfall zu betrachten. Behandlungsmethoden Die Anforderungen an Sortierung, Verarbeitung, Verpackung und Entsorgung der radioaktiven Abfälle richten sich nach deren Eigenschaften. Hauptziel der Abfallbehandlung ist die Reduzierung des zu entsorgenden Abfallvolumens und der Einschluss in feste Strukturen. Radionuklide mit sehr kurzen Halbwertszeiten können dem natürlichen Zerfall überlassen werden. Dies wird z. B. bei den kurzlebigen Iodisotopen, die in der medizinischen Diagnose und Therapie verwendet werden, angewandt. Die radioaktiv kontaminierten Abwässer eines Krankenhauses werden in Abklingbehältern gesammelt und gelagert, bis 125 sich ihre Aktivität so weit verringert hat, dass sie in die Kanalisation entlassen werden können. Feste radioaktive Abfälle werden, soweit möglich, in ihrem Volumen reduziert (Zerkleinern, Pressen, Veraschen) und dann in Fässern oder Containern eingeschlossen. Handhabung und Transport schwachaktiver Abfälle erfordern dabei keinen wesentlichen Aufwand für die Abschirmung der Strahlung. Sind die radioaktiven Stoffe in nichtaktiven Flüssigkeiten gelöst oder suspendiert, so werden sie durch Eindampfen, Fällen, Filtern oder Ionenaustausch daraus abgetrennt. Die verbleibenden radioaktiven Rückstände werden z. B. mit Bitumen oder Zement verfestigt und dann in Stahlfässern o. ä. verpackt. Hochaktive Abfälle mit erheblicher Wärmeentwicklung aus Wiederaufarbeitungsanlagen (so genannte Spaltproduktlösungen) liegen in flüssiger Form vor. Sie werden durch Verdampfen aufkonzentriert und in Edelstahltanks gelagert. Während einer Lagerzeit von fünf Jahren sinkt die Rate der Wärmeproduktion auf etwa 6 %. Dies erleichtert die Überführung in eine endlagerungsfähige Form, wobei die Abfälle mit glasbildenden Stoffen gemischt und daraus Glasblöcke geschmolzen werden, welche dann zusätzlich mit Edelstahl umkleidet werden. Zwischen- und Endlager Für eine Endlagerung der behandelten radioaktiven Abfälle ist in Deutschland die Einlagerung in geeignete tiefe geologische Strukturen – z. B. in Steinsalzlagerstätten – vorgesehen. Lediglich 1967 wurden 80 Fässer mit radioaktiven Abfällen im Atlantik versenkt. Das Salzbergwerk Asse II bei Wolfenbüttel wurde 1965 von der Bundesregierung als Forschungsbergwerk zur Untersuchung von Verfahren und Techniken zur Endlagerung radioaktiver Abfälle erworben. Die Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF; heutiger Name: Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit) übernahm die Betriebsführung und startete 1967 mit Forschungs- und Entwicklungsarbeiten. Bis 1978 wurden hier ca. 125.000 Behälter mit schwach126 und rund 1.300 Fässer mit mittelaktiven Abfällen eingelagert. Seit 1979 findet keine Einlagerung radioaktiver Abfälle mehr statt, doch liefen die Forschungsarbeiten weiter. Bis 2017 soll die Schließung der Schachtanlage nach Bundesberggesetz vollzogen sein. Auch in der bei Salzgitter gelegenen Eisenerzgrube Konrad, welche 1976 ihre Produktion wegen Unwirtschaftlichkeit einstellte, wurden seit 1975 Voruntersuchungen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung durchgeführt. 1982 stellte die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) einen ersten Antrag auf Einleitung eines Planfeststellungsverfahrens. 2002 erging hierfür der Planfeststellungsbeschluss an das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS). Am 8. März 2006 hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg alle Klagen gegen diesen Planfeststellungsbeschluss abgewiesen, eine Revision gegen dieses Urteil wurde nicht zugelassen. Allerdings steht den Klägern noch der Weg einer Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht offen. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, kann nach der notwendigen technischen Einrichtung des Endlagers frühestens ab 2012/13 mit der Einlagerung radioaktiver Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung begonnen werden. 1970 begann in der Steinsalzgrube Bartensleben bei Morsleben (damals DDR) die Einrichtung eines Endlagers für mittel- und schwachaktiven Abfall. Seit Anfang der 80er Jahre wurden in das „Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben“ (ERAM) insgesamt etwa 37.000 m3 niedrig- und mittelradioaktive Abfälle mit überwiegend kurzlebigen Radionukliden und einer Gesamtaktivität von etwa 1014 Bq eingelagert. Die Dauerbetriebsgenehmigung für dieses Endlager ging bei der Wiedervereinigung Deutschlands als befristete Genehmigung auf das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) über. 1998 wurde die Annahme und Einlagerung radioaktiver Abfälle aufgrund einer Klage des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) ausgesetzt, und 1999 wurde beschlossen, die Einlagerung nicht wieder aufzunehmen. Seitdem laufen die Arbeiten zur Stilllegung des Endlagers. So wurden seit 2003 Teile des Zentralteils zur bergbaulichen Gefahrenabwehr mit Salzbeton verfüllt. Nach dem Vorliegen eines Plan127 feststellungsbeschlusses wird für die Stilllegungsarbeiten mit einem Zeitraum von 17 Jahren gerechnet (/BFS-05/). Die 2000/2001 getroffene „Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen“ („Atomkonsens“) enthielt u. a. das Verbot, ab 2005 abgebrannte Brennelemente zur Wiederaufarbeitung an ausländische Wiederaufarbeitungsanlagen abzugeben. Damit ist für bestrahlte Brennelemente die direkte Endlagerung der allein mögliche Entsorgungsweg. Da jedoch hierfür noch kein Endlager existiert, ergab sich für den Weiterbetrieb der laufenden Kernkraftwerke die Notwendigkeit, die verbrauchten Brennelemente für lange Zeit – bis zur Betriebsbereitschaft eines Endlagers – zwischenzulagern. Deshalb wurden so genannte Standortzwischenlager (Trockenlager) beantragt und zum Teil bereits errichtet. Einige Kernkraftwerke haben Interimslager errichtet, in denen die Brennelemente vorübergehend (etwa 5-6 Jahre) aufbewahrt werden sollen, da die Fertigstellung der eigentlichen Zwischenlager nicht schnell genug geschehen kann, ohne den Betrieb der Anlagen zu unterbrechen. Die Suche nach einem Endlager für hochaktive Abfälle wurde in Deutschland bereits in den siebziger Jahren begonnen. Im Jahre 1974 wurde von der Bundesregierung das Konzept eines „Integrierten Nuklearen Entsorgungszentrums“ erstellt. Hier sollten an einem Ort die Wiederaufarbeitung bestrahlter Brennelemente, die Fabrikation von Brennelementen, die Behandlung und die Endlagerung aller Arten radioaktiver Abfälle durchgeführt werden. Nach Prüfung einer Reihe von potentiellen Standorten hierfür wurde 1977 das Planfeststellungsverfahren zur Endlagerung schwach-, mittel- und hochradioaktiver Abfälle im Salzstock Gorleben, nahe an der Grenze zur DDR, eingeleitet. Nach dem Gorleben-Hearing 1979 (welches vom Unfall im amerikanischen Kernkraftwerk Harrisburg überschattet wurde) gab man die Wiederaufarbeitung am Standort Gorleben auf und es wurde nur noch die Eignung des Salzstocks als Endlagerstätte weiter untersucht. Nach der deutschen Wiedervereinigung wurden für den Fall, dass sich Gorleben als ungeeignet für ein Endlager erweisen sollte, eine Reihe weiterer Salzlagerstätten, aber auch andere Gesteinsformationen zur Vervollständigung des Kenntnisstandes über potentielle Endlager128 standorte überprüft. Dabei wurden vier als weiter untersuchungswürdig eingestuft. Derzeit ist die Erkundung des Salzstocks Gorleben unterbrochen (Gorleben-Moratorium). Aus den bisherigen Resultaten der bereits weit fortgeschrittenen Erkundung ergeben sich allerdings keine Hinweise, die gegen eine Eignungshöffigkeit dieses Standorts sprechen würden. 3.6 Literatur Büll, U., H. Schicha, H.J. Biersack, et al. (1999) Nuklearmedizin. Stuttgart, Thieme Verlag. 3. Auflage. Kauffmann, G.W., E. Moser, R. Sauer (2006). Radiologie. München, Jena, Elsevier-Verlag, Urban & Fischer. 3. Aufl. Bundesamt für Strahlenschutz (2005). Endlagerung radioaktiver Abfälle als nationale Aufgabe. (/BFS-05/). http://www.bfs.de/bfs/druck/broschueren/Endlagerung_natio nal.pdf Heinz Maier-Leibnitz (FRM II) (2005). Forschungsneutronenquelle. Landolt-Börnstein. 3. http://www.new.frm2.tum.de. Bryant, P. J. (1994). A brief history and review of accelerators. CERN Report 199. http://documents.cern.ch/archive/cernrep/199. Koelzer, W. (2001). Lexikon der Kernenergie. Karlsruhe, Forschungszentrum Karlsruhe GmbH. Landolt-Börnstein (2005). Energy Technologies: Nuklear Energy. Landolt-Börnstein – Group VIII Advanced Materials and Technologies 3, Subvolume B. Berlin, Heidelberg, New York, Springer Verlag. Paretzke, H. G. (2001). Konzentrationen und Wirkungen von Radionukliden in Böden und Pflanzen. Handbuch der Umweltveränderungen und Ökotoxiologie. R. Guderian. Springer Verlag, Berlin: 149-172. Siehl, A. (1996). Umweltradioaktivität. Berlin, Ernst & Sohn. United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation (UNSCEAR) (2000). Report to the General Assembly. Bamberg, M, M. Molls, H. Sack (2004). Radioonkologie. München, Wien, New York, W. Zuckschwerdt Verlag. 129 4. Strahlenexposition und Umweltradioaktivität 4.1 Das Verhalten radioaktiver Stoffe in der Umwelt (Radioökologie) Die Radioökologie beschäftigt sich damit, was mit radioaktiven Stoffen geschieht, wenn sie in unsere Umwelt freigesetzt werden. Dies umfasst die Ausbreitung in der Atmosphäre und in Gewässern, die Ablagerung auf Pflanzen, Böden oder anderen Oberflächen in der Umgebung des Menschen, weitere Transportvorgänge, z. B. in Böden oder in Nahrungsketten (Pflanzen ĺ Futtermittel ĺ Tiere ĺ Tierprodukte ĺ Nahrungsmittel ĺ Mensch), das Verhalten der radioaktiven Stoffe im Körper des Menschen und die von ihnen ausgehende Strahlung. Das Ziel dieser Betrachtungen ist es, die resultierende Strahlenexposition des Menschen abzuschätzen. Diese kann dadurch zustande kommen, dass der Körper durch die radioaktiven Stoffe außerhalb seines Körpers bestrahlt wird (externe Exposition), oder aber die radioaktiven Stoffe gelangen in den menschlichen Körper und bestrahlen ihn von innen heraus (interne Exposition). All diese Überlegungen gelten sowohl für natürliche, in unserer Umwelt seit jeher vorhandene radioaktive Stoffe, als auch für solche, die durch menschliche Aktivitäten (z. B. bei Kernwaffentests, in kerntechnischen Anlagen, Verwendung in Medizin, Wissenschaft und Technik) erzeugt worden sind. Die meisten der beschriebenen Prozesse treffen außerdem auch für nicht-radioaktive Stoffe zu. Das Gebiet der Radioökologie entwickelte sich ganz wesentlich in den Zeiten der weltweiten Verteilung und Ablagerung radioaktiver Stoffe, welche bei den mehr als tausend oberirdischen Kernwaffentests vor allem Anfang der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts freigesetzt wurden. Die Beobachtung der radioaktiven Stoffe, die in fast allen Bereichen unserer Umwelt messbar waren, führte zu einem um130 fangreichen Wissen über das Verhalten von Stoffen in der Umwelt, wie es mit nicht-radioaktiven Stoffen wegen des in der Regel viel höheren Messaufwands nicht erreichbar ist. Um diese Kenntnisse praktisch zur Abschätzung von Strahlenexpositionen anwenden zu können, wurden verschiedene Rechenmodelle entwickelt, welche die einzelnen Ausbreitungsprozesse durch mehr oder weniger vereinfachende Formeln beschreiben. Je nach dem Ziel der Berechnungen ist dabei die Komplexität der Modelle unterschiedlich: geht es darum, nachzuweisen, dass aus einer Freisetzung radioaktiver Stoffe eine bestimmte Strahlenexposition der Menschen nicht überschritten wird, so genügen relativ einfache Modellannahmen, welche den ungünstigsten Fall betrachten. Ein Beispiel hierfür ist die Verwaltungsvorschrift zur Ermittlung der Strahlenexposition (Bundesanzeiger 1990; eine Neufassung ist in Vorbereitung), welche im Genehmigungsverfahren für kerntechnische Anlagen Anwendung findet. Wenn andererseits Berechnungen der Strahlenexpositionen in einem akuten Fall von Umweltkontaminationen durchgeführt werden sollen mit dem Ziel, eventuell nötige Schutz- und Gegenmaßnahmen zu optimieren, dann muss das Rechenmodell möglichst realistische Abschätzungen machen. Hierzu muss es viele Ausbreitungs- und Transportprozesse detaillierter betrachten. Ein Beispiel hierfür ist das am GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit (früher Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung) entwickelte radioökologische Rechenmodell ECOSYS (Matthies et. al. 1982, Müller u. Pröhl 1993), welches inzwischen u. a. im Entscheidungshilfesystem RODOS (Real-time, on-line decision support system, Ehrhardt et al.1997) in vielen Ländern eingesetzt wird. Ein zweiter Anstoß für die radioökologische Forschung und die Entwicklung von Rechenmodellen war die großräumige radioaktive Kontamination der Umwelt durch den Reaktorunfall von Tschernobyl (1986). Durch die Vielzahl der in der Folge durchgeführten Messungen konnten die vorhandenen Rechenmodelle überprüft und weiterentwickelt werden. Ausbreitung in der Atmosphäre Werden radioaktive Stoffe in Form von sehr kleinen Partikeln oder gasförmig in die Atmosphäre freigesetzt, so kön131 nen sie hier u. U. weit transportiert werden, wobei die Konzentration dieser Stoffe auf ihrem Weg durch die Atmosphäre i. Allg. stetig abnimmt. Der Transport wird dabei im Wesentlichen von den großräumigen Luftbewegungen (Advektion, „Wind“) bestimmt, die Verdünnung durch die Turbulenzen der Luft und durch Diffusion. Einflussgrößen bei der Ausbreitung Die Ausbreitung der radioaktiven Stoffe in der Atmosphäre wird von vielen Dingen beeinflusst, von denen hier nur die wichtigsten genannt werden: - Wind Es mag vielleicht zunächst trivial klingen, dass die Windrichtung bestimmt, wohin die freigesetzten Stoffe transportiert werden. Das Problem bei der Prognose der atmosphärischen Ausbreitung ist jedoch, dass es meist die Windrichtung nicht gibt: sie kann sich von einem Ort zum anderen ändern, hervorgerufen durch Einflüsse der Landschaftsform (Hügel, Täler) oder auch durch Luftmassengrenzen. Auch mit der Höhe ändert sich die Windrichtung: Durch den Einfluss der Reibung und der Erdrotation dreht sich die Windrichtung mit wachsender Entfernung vom Boden. In Extremfällen, etwa wenn Kaltluft und Warmluft aufeinander stoßen, kann die Windrichtung am Boden sich bis zu 180° von der Windrichtung in der Höhe unterscheiden. Natürlich hat auch die Windgeschwindigkeit einen großen Einfluss auf die Konzentration der freigesetzten Stoffe: je höher die Windgeschwindigkeit, desto stärker die Verdünnung. Wie die Windrichtung, so kann sich auch die Windgeschwindigkeit räumlich ändern: zum einen kann die Landschaftsform Änderungen hervorrufen (z. B. Kanalisierungseffekt in einem Tal), zum anderen bewirkt die Reibung der Luft am Boden, dass mit zunehmender Höhe die Windgeschwindigkeit zunimmt. - Turbulenzzustand der Atmosphäre In der Atmosphäre bilden sich ständig Luftwirbel ganz unterschiedlicher Größe, hervorgerufen z. B. durch die Reibung am Boden, durch die Landschaftsform, und durch Erwärmung und Abkühlung der Erdoberfläche. Diese Turbulenzen 132 bewirken, dass die freigesetzten Partikel nicht einfach geradlinig mit dem Wind transportiert werden, sondern dass sich die Wolke zur Seite, nach oben und unten ausbreitet. Die Turbulenzen in der Atmosphäre hängen stark damit zusammen, wie sich die Lufttemperatur mit der Höhe ändert. Im Normalfall nimmt die Temperatur alle 100 Meter etwa um 1 Grad ab. Wird der Erdboden und damit die unteren Luftschichten durch starke Sonneneinstrahlung aufgeheizt (Temperaturabnahme mit der Höhe mehr als 1 Grad pro 100 m), so steigt die erwärmte Luft auf und es bilden sich verstärkte Turbulenzen. Kühlt sich dagegen der Boden und damit die unteren Luftschichten ab (z. B. in einer klaren Nacht), so bleibt die kühle Luft am Boden liegen und die Turbulenz nimmt ab; dies wird als stabile Luftschichtung bezeichnet. Je stabiler die Luftschichtung, desto geringer ist also die Turbulenz, und damit desto geringer die Ausbreitung der freigesetzten Stoffe in vertikaler Richtung. Umgekehrt: je turbulenter die Atmosphäre ist, desto stärker die vertikale Durchmischung, desto schneller erreicht die Wolke den Erdboden. Bei instabiler (turbulenter) Luftschichtung liegt also das Konzentrationsmaximum am Boden nahe am Freisetzungspunkt, bei stabiler Schichtung weiter entfernt. Jeder hat dies schon an der „Rauchfahne“ (meist Wasserdampf) an einem Schornstein beobachten können. Nach einer klaren Winternacht (stabile Schichtung) ist die Fahne oft über eine weite Strecke hin sichtbar und sehr schmal. Am Mittag bei Sonneneinstrahlung (instabile, turbulente Schichtung) verbreitert sich die Fahne dagegen sehr schnell und löst sich bald auf (Abb. 4.1). - Freisetzungshöhe Je höher der Schornstein ist, aus dem die radioaktiven Stoffe freigesetzt werden, desto länger dauert es, bis die Fahne den Erdboden erreicht. Deshalb nimmt der Abstand des Ortes am Boden mit maximaler Konzentration mit wachsender Freisetzungshöhe zu. Wegen der dabei auch zunehmenden Verbreiterung der Wolke ist die maximale Konzentration am Boden umso niedriger, je höher die Freisetzung erfolgt. 133 Instabile Wetterlage m 200 100 0 18 19 20 °C neutrale Wetterlage m 200 100 0 18 19 20 °C stabile Wetterlage (Inversion) m 200 100 0 18 19 20 °C Abb. 4.1 Luftschichtungen und zugehörige Rauchfahnen Werden die radioaktiven Stoffe am Kaminende mit einem Luftstrom nach oben geblasen, oder werden sie zusammen mit heißer Luft freigesetzt (was einen Auftrieb erzeugt), so liegt die Achse der Abluftfahne höher als die Kaminhöhe. Durch diese Vergrößerung der „effektiven Freisetzungshöhe“ werden ebenfalls eine Vergrößerung des Abstandes und eine Verringerung der Konzentration des Punktes maximaler Konzentration am Boden erreicht. Beim Thema „Wind“ wurde schon darauf hingewiesen, dass sich Windrichtung und Windgeschwindigkeit mit der Höhe ändern können, manchmal sogar sehr stark. Deshalb kann eine Vergrößerung der Freisetzungshöhe auch bewirken, dass die freigesetzten Stoffe in eine andere Richtung transportiert werden. Dies macht eine Prognose der atmosphärischen Ausbreitung bei einer unfallbedingten Freisetzung 134 sehr schwierig, wenn man nicht weiß, wie viel Wärme (z. B. bei einem Brand) dabei mit freigesetzt wird. - Physikalisch-chemische Form Die in die Atmosphäre freigesetzten Teilchen werden dort so lange mit dem Wind transportiert, bis sie durch trockene Deposition oder durch den Regen auf den Boden, auf Pflanzen oder andere Oberflächen abgelagert werden. Wie im Abschnitt “Depositon“ näher erläutert wird, spielt bei den Depositionsprozessen die Größe der Teilchen, auch die chemische Form eine Rolle. So werden z. B. sehr große Teilchen schnell abgelagert und können deshalb nicht weit in der Atmosphäre transportiert werden. Auf der anderen Seite werden Edelgase nicht abgelagert und verbleiben deshalb in der Atmosphäre, bis sie durch radioaktiven Zerfall verschwinden (sofern es sich um ein radioaktives Edelgas handelt). Ausbreitungsmodelle Entsprechend den komplexen Prozessen und Einflussfaktoren bei der atmosphärischen Ausbreitung gibt es eine Vielzahl von Modellen, mit denen sich die Ausbreitung berechnen lässt. Es sollen hier nur kurz einige wichtige ModellTypen vorgestellt werden. - Gauss-Modelle Der für praktische Anwendungen wichtigste Modelltyp ist das Gauss-Modell. Es hat seinen Namen daher, dass es die Konzentrationsverteilung in der Abluftwolke senkrecht zur Windrichtung (horizontal und vertikal) in Form einer Gauss’schen-Normalverteilung („Glockenkurve“) beschreibt (siehe Abb. 4.2). Diese Verteilung ergibt sich aus den physikalischen Modellansätzen, wenn man eine Reihe von vereinfachenden Annahmen macht, z. B. dass Windgeschwindigkeit und -richtung räumlich und zeitlich konstant sind, die atmosphärische Turbulenz sich räumlich und zeitlich nicht ändert, die Ausbreitung in ebenem Gelände stattfindet, 135 die Rauhigkeit des Untergrunds räumlich konstant ist, usw. Das Gauss-Modell verwendet zur Beschreibung des vertikalen und horizontalen Auseinanderdriftens der Abluftwolke (Breite der Gauss-Verteilungen) Parameter, welche experimentell bestimmt wurden. Wenn auch die genannten vereinfachenden Annahmen in der Realität nie ganz erfüllt sind, so gibt das Gauss-Modell doch oft ohne viel Rechenaufwand eine brauchbare Abschätzung für die Konzentration in der Umgebung des Emittenten. Allerdings muss man sich davor hüten, dieses Modell in ungeeigneten Situationen anzuwenden, etwa in stark hügeligem Gelände oder in zu großem Abstand (mehr als etwa 10 km) vom Freisetzungspunkt. Konzentrationsverteilung horizontal z vertikal y x =Windrichtung Abb. 4.2 Konzentrationsverteilung in einer Abluftwolke nach dem Gauss-Modell Um die oben genannten vereinfachenden Annahmen abzumildern wurde eine Reihe von verfeinerten Gauss-Modellen entwickelt, welche jeweils mit geeigneten Korrekturen näherungsweise den Einfluss von nicht im Gauss-Modell enthaltenen Effekten abschätzen. So lassen sich etwa zeitliche Änderungen der Atmosphäreneigenschaften (Windrichtung und -geschwindigkeit, Turbulenz) dadurch berücksichtigen, 136 dass man die Abluftfahne für jeweils kurze Zeitintervalle (z. B. 10 Minuten) mit dem Gauss-Modell berechnet und diese dann im nächsten Zeitintervall als Freisetzungsquelle einer erneuten Ausbreitungsrechnung betrachtet, wobei gegenüber dem ersten Zeitintervall geänderte Ausbreitungsbedingungen herrschen können. Ein großer Vorteil der Gauss-Modelle ist, dass sie mit relativ geringem Rechenaufwand zu Ergebnissen führen. In vielen Fällen ist es jedoch nötig, sehr viel detailliertere Modelle zu verwenden, um die Ausbreitungsverhältnisse in der Atmosphäre hinreichend genau zu beschreiben. Hierbei sind dann sehr leistungsfähige Computer nötig. Für solche komplexen Rechenmodelle gibt es zwei grundsätzlich verschiedene Modellansätze, die im Folgenden kurz charakterisiert werden. - Eulersche Ausbreitungsmodelle Die Atmosphäre in der Umgebung des Freisetzungsortes wird in dreidimensionale Gitterzellen eingeteilt. Die Größe der Gitterzellen ändert sich dabei meist mit der Höhe über Grund und mit dem Abstand vom Freisetzungsort. In jeder Gitterzelle können individuelle, zeitlich variable Bedingungen (z. B. Temperatur, Windrichtung und -geschwindigkeit, Turbulenz) herrschen. Die Ausbreitungsepisode wird in kleine Zeitabschnitte unterteilt. In jedem Zeitabschnitt wird berechnet, welche Menge des freigesetzten Stoffes von jeder Zelle in ihre Nachbarzellen transportiert wird. - Lagrangesche Ausbreitungsmodelle Zur Bestimmung des Ausbreitungsverhaltens eines Schadstoffes werden im Computer die „Flugbahnen“ (Trajektorien) von einzelnen Schadstoffpartikeln verfolgt. Die Partikelbewegung wird dabei in kurzen Zeitabschnitten berechnet unter Berücksichtigung des aktuellen Windfeldes (das sich räumlich und zeitlich ändern kann) und einer Zufallskomponente, welche die turbulente Diffusion beschreibt. Nacheinander werden sehr viele Partikel verfolgt, von denen jedes einen anderen Weg nimmt. An den interessierenden Stellen wird gezählt, wie viele Partikel ein bestimmtes Volumen durchqueren; dies ist ein Maß für die Konzentration des freigesetzten Stoffes an diesem Ort. 137 Lagrangesche Ausbreitungsmodelle sind heute Stand der Technik: sie finden z. B. in der Technischen Anleitung Luft (TA-Luft) für konventionelle Schadstoffe Anwendung. Deposition und Verbleib auf Oberflächen Die in die Atmosphäre freigesetzten radioaktiven Stoffe verbleiben natürlich nicht beliebig lange dort, sondern werden durch verschiedene Prozesse auf den Boden, auf Pflanzen und andere Oberflächen (z. B. Häuser, Gewässer) abgelagert. Bei dieser so genannten Deposition unterscheidet man je nach den vorherrschenden Mechanismen vor allem trockene und nasse Deposition. - Trockene Deposition Bei trockenen Wetterbedingungen tragen vor allem zwei Prozesse zu einer Deposition der radioaktiven Stoffe (oft auch Fallout genannt) bei: bei relativ großen Partikeln (d.h. Teilchen von mehr als etwa 1/100 Millimeter Durchmesser) bewirkt die Schwerkraft ein Absinken auf den Boden, sehr kleine Partikeln (vor allem bei Teilchen mit Durchmessern von weniger als ein Tausendstel Millimeter) sinken durch die Schwerkraft kaum ab, sondern bewegen sich im Wesentlichen mit den turbulenten Luftbewegungen. Kommen sie dabei in Bodennähe, so können sie mit Hindernissen (z. B. Pflanzen) zusammenstoßen und daran haften bleiben. Radioaktive Stoffe, welche nicht partikelgebunden, sondern gasförmig vorliegen, können ebenfalls z. B. auf Pflanzenoberflächen abgelagert werden, besonders, wenn es sich um reaktionsfähige Gase handelt: wenn es sich um ein Gas handelt, welches am Stoffwechsel der Pflanzen teilnimmt (z. B. elementares Iod, Tritium, Kohlenstoff-14 in Form von Kohlendioxid), können dabei relativ schnell durch die Blattoberflächen ins Innere der Pflanze gelangen und dort gebunden werden. Reaktionsträge Gase dagegen, vor allem Edelgase, werden dagegen praktisch nicht abgelagert. 138 Bei der technischen Nutzung der Kernenergie, besonders aus Wiederaufarbeitungsanlagen, werden auch radioaktive Edelgase in die Atmosphäre freigesetzt. Hier spielt besonders das langlebige Krypton-85 (Halbwertszeit 10,8 Jahre) eine Rolle. Da es nicht abgelagert wird, reichert es sich in der Atmosphäre an: in den vergangenen 20 Jahren stieg seine Konzentration in der Atmosphäre um etwa den Faktor 3 an. Für die Strahlenexposition von Mensch und Umwelt spielt dieses Krypton-85 jedoch keine nennenswerte Rolle. - Nasse Deposition Wenn es während des atmosphärischen Transports von partikelgebundenen radioaktiven Stoffen regnet, so können diese mit dem Niederschlag zum Boden transportiert werden. Bei dieser so genannten nassen Deposition können zwei Mechanismen eine Rolle spielen: Die radioaktiven Partikel können in der Atmosphäre als Kondensationskeime für Regentröpfchen dienen und mit diesen zum Boden fallen, sobald die Tröpfchen groß genug geworden sind. Dieser Prozess wird als „Rainout“ bezeichnet. Wenn sich die Regenwolke oberhalb der Abluftfahne mit den radioaktiven Partikeln befindet, können die aus der Regenwolke fallenden Regentropfen die Partikel „einfangen“ und mit zum Boden transportieren („Washout“). Die nasse Deposition findet naturgemäß nur in bestimmten Situationen, nämlich wenn Niederschlag fällt, statt. Wenn sie aber erfolgt, so spielt sie eine weit wichtigere Rolle als die trockene Deposition. Dies konnte besonders deutlich in den 60-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts beobachtet werden: Die durch die oberirdischen Kernwaffentests hoch in die Atmosphäre gebrachten radioaktiven Partikel wurden dort weiträumig transportiert bis sie relativ gleichmäßig in hohen Atmosphäreschichten verteilt waren. Die Deposition auf den Erdboden ging über viele Jahre vor sich. Das Ausmaß der auf den Boden deponierten Aktivität z. B. von Cäsium-137 oder Strontium-90 hing dabei in hohem Maße von der regionalen mittleren Niederschlagsmenge ab, d.h. in trockenen Gebieten waren wesentlich geringere Aktivitäten messbar als in Regionen mit hohen Niederschlägen. 139 Auch nach dem Durchzug der Wolke mit radioaktiven Partikeln aus dem Tschernobyl-Unfall war vor allem in Süddeutschland eine ausgeprägte räumliche Variabilität der deponierten radioaktiven Stoffe feststellbar, welche durch die starken regionalen Unterschiede der Regenmengen (aufgrund lokaler Gewitterschauer) hervorgerufen wurde. Trockene Deposition (Fallout) Nasse Deposition (Rainout) Nasse Deposition (Washout) Abb. 4.3 Depositionsprozesse - Interzeption Wie im letzten Abschnitt beschrieben, ist für die gesamte Deposition aus der Atmosphäre zum Boden hin vor allem die nasse Deposition wichtig. Fällt der Niederschlag dabei 140 auf eine Fläche, welche mit Pflanzen bewachsen ist, so bleibt nur ein gewisser Anteil der insgesamt deponierten radioaktiven Stoffe auf den Blättern hängen, der Rest fällt mit dem Regenwasser zum Boden. Das Ausmaß dieser Rückhaltung durch die Pflanzen (Interzeption genannt) spielt vor allem dann eine Rolle, wenn es sich bei den Pflanzen um Nahrungsmittel (z. B. Salat, Gemüse) oder Futtermittel für Haustiere (z. B. Gras für Kühe) handelt, denn nur der von der Pflanze zurückgehaltene Anteil deponierter radioaktiver Stoffe gelangt unmittelbar in die menschliche Nahrungskette. Das Ausmaß der Interzeption hängt von verschiedenen Faktoren ab, z. B. Je weiter die Pflanzen entwickelt sind, d.h. je größer die Blattfläche ist, desto höher ist die Rückhaltung. Je größer die Regenmenge ist, desto geringer ist der Anteil, der auf der Blattoberfläche verbleibt. Die physikalisch-chemischen Eigenschaften des radioaktiven Stoffs beeinflussen, wie stark die Pflanzenoberfläche diesen Stoff binden kann. Das Ausmaß der Interzeption kann über einen weiten Bereich variieren, von 100 % (alles verbleibt auf den Blättern; dies kann z. B. bei sehr dichtem Blattwerk und nur leichtem Nieselregen auftreten) bis nahe 0 % (alles geht auf den Boden; bei kleinen Pflänzchen, starkem Regen). - Verbleib auf Oberflächen Nach einer Ablagerung von radioaktiven Stoffen auf den Erdboden, auf Pflanzen oder andere Oberflächen, verbleiben diese häufig nur für eine beschränkte Zeit an dieser Stelle. Nur wenn eine chemische oder physikalische Bindung an die Oberfläche (z. B. Aufnahme ins Blattinnere von Pflanzen, Adhäsion an kristalline Strukturen von Bodenpartikeln) erfolgt, verbleiben die abgelagerten Stoffe lange Zeit am selben Ort. Ansonsten bewirkt vor allem das Regenwasser, dass die Stoffe im Laufe der Zeit abgewaschen und fortgespült werden. Allgemein gilt: je glatter die Oberflächen sind und je steiler deren Neigung ist, desto schneller werden die darauf deponierten Stoffe wieder entfernt. 141 Man kann dies näherungsweise durch Halbwertszeiten beschreiben, d.h. durch Angabe des Zeitraums, in dem die Hälfte des deponierten Stoffes wegtransportiert wird. Diese Halbwertszeiten können z. B. bei Fenstern (glatte, vertikale Fläche) in der Größenordnung von Tagen, bei rauen Dächern dagegen in der Größenordnung von Jahren liegen. Insbesondere in städtischen Umgebungen spielt dieses so genannte „Abwittern“ eine große Rolle; es führt im Laufe der Zeit zu einer ganz anderen räumlichen Verteilung der radioaktiven Stoffe im Vergleich zur Situation unmittelbar nach der Deposition. Durch ein Einspülen in die Kanalisation können sich so manche Stoffe im Klärschlamm anreichern. Nach einer Deposition auf den Erdboden verbleiben die Stoffe dagegen meist relativ lange am gleichen Ort. Durch das Regenwasser können sie zwar etwas in den Boden eingewaschen werden, doch aufgrund von Bindungen an Bodenpartikel geht dies meist langsam vor sich. So ist z. B. das radioaktive Casium-137, welches von den oberirdischen Kernwaffenversuchen zu Beginn der 1960er Jahre stammt, in den meisten Böden auch heute noch fast vollständig in den obersten Bodenschichten zu finden. - Resuspension Wenn radioaktive Stoffe auf dem Boden oder auf anderen Oberflächen abgelagert worden sind, dann können sie durch den Wind auch wieder aufgewirbelt werden und dann in der Atmosphäre weiter transportiert werden. Diesen Effekt nennt man Resuspension. Durch die Resuspension kann sich das Verteilungsmuster der radioaktiven Stoffe, das sich durch atmosphärische Ausbreitung und Depositionsprozesse im Anschluss and eine Freisetzung ergeben hat, auch langfristig noch ändern. Allerdings ist das Ausmaß der Resuspension abhängig davon, wie feucht es in einer Region ist. In Mitteleuropa z. B. spielt sie keine wesentliche Rolle, dagegen ist sie in Trockengebieten viel stärker ausgeprägt. Durch die Resuspension kann es auch längerfristig zu einer Deposition der radioaktiven Stoffe auf Pflanzenoberflächen kommen. Neben dem Aufwirbeln mit dem Wind kann hierfür auch das Hochspritzen von Wasser und Erdpartikeln (mit anhaftenden radioaktiven Stoffen) bei starkem Regen wirksam sein („Rainsplash“). 142 Die Resuspension führt auch zu einer langfristigen Aufnahme der radioaktiven Stoffe in den Körper durch Einatmen (Inhalation). Im Vergleich zur Aufnahme mit kontaminierten Nahrungsmitteln ist sie aber nur für solche radioaktiven Stoffe bedeutsam, die eine sehr geringe Mobilität in den Nahrungsketten (z. B. Aufnahme aus dem Boden in die Pflanzen, Übergang vom Tierfutter in Milch oder Fleisch) haben. Ein Beispiel hierfür ist das Plutonium. Ausbreitung in Gewässern Werden radioaktive Stoffe in ein Gewässer freigesetzt, so findet auch dort, ähnlich wie in der Atmosphäre, eine Ausbreitung dieser Stoffe aufgrund des Fließens des Wassers, aber auch aufgrund von Turbulenzen statt. Bei einer Einleitung in einen Fluss sind drei Phasen zu beobachten. Ganz zu Beginn wird die Ausbreitung oft überwiegend durch die Turbulenzen, welche durch den eingeleiteten Strahl verursacht werden, bestimmt. Bei geplanten Einleitungen in Gewässer wird oft durch entsprechende Einleitungsvorrichtungen ganz gezielt eine möglichst starke anfängliche Durchmischung erzeugt. In der zweiten Phase findet die Ausbreitung der eingeleiteten Stoffe durch turbulente Diffusion im Fließgewässer statt. Besonders Flusskrümmungen, Buhnen etc. verstärken dabei die Ausbreitung quer zur Fließrichtung. Nach genügend langer Wegstrecke (bei einem großen Fluss nach mehreren Kilometern bis mehreren 10 Kilometern) wird die dritte Phase erreicht, in der die eingeleiteten Stoffe gleichmäßig horizontal und vertikal über das gesamte Flussprofil verteilt sind. Bei einer Einleitung radioaktiver Stoffe in stehende Gewässer (Teich, See) sind die Ausbreitungsverhältnisse viel stärker von den individuellen Eigenschaften des Gewässers abhängig. Dabei haben die Strömungsverhältnisse, z. B. verursacht durch Zu- und Abflüsse, einen großen Einfluss. Außer durch Strömung wird Turbulenz durch Wind und durch Temperaturunterschiede hervorgerufen. Eine besondere Rolle spielt dabei die vertikale Temperaturschichtung des Wassers. Im Laufe des Winters sinkt das an der Oberfläche abgekühlte Wasser in die Tiefe. Im Sommer erfolgt eine Er- 143 wärmung des oberflächennahen Wassers, welches aufgrund seiner geringeren Dichte über dem kalten Tiefenwasser liegt. Hierbei erfolgt kaum ein Austausch zwischen den verschiedenen Höhenschichten. Im Laufe des Sommers weitet sich die erwärmte Oberflächenschicht aus, und wenn im Herbst Stürme stattfinden, dann erreicht die vertikale Durchmischung des Sees ein Maximum. Radionuklide in Nahrungsketten Bei der Deposition von radioaktiven Stoffen aus der Atmosphäre auf den Boden oder auf Pflanzen, welche der Viehfütterung oder der menschlichen Ernährung dienen, gelangen diese Stoffe in die Nahrungsketten, an deren Ende der Mensch steht. Der Mensch nimmt damit radioaktive Stoffe in seinen Körper auf, was zu einer internen Strahlenexposition des Körpers führt. - Kontamination von Pflanzen Die Kontamination von pflanzlichen Produkten durch radioaktive Stoffe kann auf verschiedenen Wegen erfolgen (siehe Abb. 4.4). Die direkte Deposition auf die als Futter- oder Nahrungsmittel genutzten Pflanzenteile spielt vor allem bei solchen Pflanzen eine Rolle, die als Ganzes geerntet und gegessen oder verfüttert werden (z. B. Blattgemüse, Gras, Silomais). Je größer hierbei das Verhältnis von exponierter Blattoberfläche zur Gesamtmasse ist, desto höher ist die Aktivitätskonzentration im geernteten Produkt: während z. B. Kopfsalat, Spinat oder Gras mit am höchsten kontaminiert werden, ist die Aktivitätskonzentration z. B. in Weiß- oder Blaukraut deutlich niedriger, da bei letzteren nur die äußeren Blätter, welche meist bei der Zubereitung entfernt werden, kontaminiert werden. Bei Pflanzen, von denen nur bestimmte Teile genutzt werden (z. B. Tomaten, Bohnen) spielt die direkte Deposition auf diese Teile seltener eine wichtige Rolle, da diese Früchte nur während eines relativ kleinen Zeitraums im Jahr eine entsprechend große Oberfläche haben. Zudem sind manche Pflanzenteile z. B. durch Spelzen oder den Erdboden (Kartoffeln) vor einer direkten Deposition geschützt. 144 Ein wichtiger Kontaminationspfad bei teilweise genutzten Pflanzen ist die Deposition auf das Blattwerk (große Oberfläche) und der anschließende Transport (Translokation) in die genutzten Teile. Dies spielt z. B. bei Getreide und Kartoffeln eine große Rolle. Das Ausmaß der Translokation hängt davon ab, in welchem Entwicklungszustand die Pflanzenblätter kontaminiert werden; am effektivsten ist die Translokation, wenn die Deposition etwa zu Beginn der Entwicklung der Speicherorgane (Kartoffelknollen, Getreidekörner) stattfindet. Die Translokation ist auch nicht für alle radioaktiven Stoffe gleich groß. Manche Elemente (z. B. Cäsium, Iod) sind hier als mobil, andere (z. B. Strontium) als immobil einzustufen. Um das Ausmaß der Translokation zu veranschaulichen: Wird Cäsium zu Beginn des Ährenschiebens auf die Blätter von Getreide abgelagert, so werden rund 10 % der abgelagerten Aktivität in die Getreidekörner verlagert. Während die direkte Ablagerung auf den Pflanzenblättern (mit oder ohne Translokation) nur bei einer Deposition zu bestimmten Jahreszeiten (nämlich dann, wenn die Pflanzen auf den Feldern stehen) eine Rolle spielt, kann eine Deposition auf den Boden immer stattfinden. Durch Regenwasser, Pflügen usw. wird die deponierte Aktivität im oberen Boden verteilt und kann von den Pflanzen über die Wurzeln aufgenommen werden. Diese Art der Pflanzenkontamination ist – im Gegensatz zur direkten Deposition auf den Blättern – nicht nur im ersten Jahr nach der Deposition, sondern langfristig wirksam. Auch hier gibt es Elemente, die von den Pflanzen gut aufgenommen werden (z. B. Strontium), und andere, die nur in sehr geringem Maße über die Wurzeln transportiert werden (z. B. Plutonium). Die in den Boden eingebrachten Radionuklide stehen auch nicht voll für die Wurzelaufnahme zur Verfügung, sondern manche Elemente, z. B. Cäsium, werden relativ schnell an Bodenpartikel gebunden. Ein anderer Transportweg vom Boden hin zu den Pflanzen ist das Aufwirbeln von Bodenpartikeln (mit den daran haftenden radioaktiven Stoffen) durch den Wind und die anschließende Deposition auf der Pflanze. Diese so genannte Resuspension ist der dominierende langfristige Kontaminationspfad für die Pflanzen bei Elementen mit sehr geringer 145 Wurzelaufnahme (z. B. Plutonium). Auch das Hochspritzen von Bodenpartikeln bei starken Regenfällen kann den Pflanzen radioaktive Stoffe aus dem Boden zuführen. 1 2 3 4 Abb. 4.4 Pfade für die Kontamination von Pflanzenprodukten: 1: Direkte Deposition auf die genutzten Pflanzenteile (z. B. Früchte), 2: Deposition auf die Blätter und anschließender Transport in die Früchte (Translokation), 3: Deposition auf den Boden und anschließende Aufnahme in die Pflanze über die Wurzeln, 4: Deposition auf den Boden und anschließendes Hochwirbeln und Deposition auf die Blätter oder Früchte (Resuspension). - Kontamination von Tierprodukten Werden radioaktiv kontaminierte Futtermittel an Tiere verfüttert, so wird ein Teil der radioaktiven Stoffe durch das Blut in verschiedene Organe transportiert und so in den Tierprodukten (Fleisch, Milch, Eier) zu finden sein. Die Zufuhr radioaktiver Stoffe zum Tier wird dabei wesentlich durch die Art und Menge der Futtermittel bestimmt. Häufig wird der so genannte „Weide-Kuh-Milch-Pfad“ betrachtet, der zumindest in der Anfangsphase nach einer Deposition radioaktiver Stoffe zu einer relativ hohen Kontamination der 146 Milch führt. Will man dagegen realistische Werte der Kontamination von Tierprodukten abschätzen, so müssen die tatsächlichen Fütterungsgewohnheiten zugrunde gelegt werden. Diese können regional und saisonal stark schwanken, so dass es zu einer großen Bandbreite der beobachteten Kontamination von Tierprodukten kommen kann. Aktivität im Tierprodukt Wird einem Tier von einem bestimmten Zeitpunkt an täglich die gleiche Menge eines radioaktiven Stoffs gefüttert, so ist in der Milch oder im Fleisch nicht schlagartig eine bestimmte Konzentration dieses Radionuklids zu finden, sondern es stellt sich erst im Laufe der Zeit ein Gleichgewichtswert ein (siehe Abb. 4.5). Dieser wird meist beschrieben durch den so genannten Transferfaktor, welcher das Verhältnis der Aktivitätskonzentration im Tierprodukt (angegeben in Bq/kg) zu der täglich dem Tier zugeführten Aktivitätsmenge (Bq/Tag) angibt. Nach Beendigung der Aktivitätszufuhr zum Tier geht die Aktivität im Tierprodukt auch nicht schlagartig zurück, sondern sie klingt langsam ab, weil der im Körper vorhandene radioaktive Stoff langsam ausgeschieden wird. Zeitraum der Aktivitätszufuhr Gleichgewichtswert Zeit Abb. 4.5 Schematische Darstellung des Radionuklid-Transfers in Tierprodukte Die Transferfaktoren können sehr unterschiedliche Werte annehmen; sie hängen stark vom betrachteten radioaktiven Stoff und der chemischen Verbindung, in der er vorliegt, 147 aber auch von der Tierart bzw. dem Tierprodukt ab. Es ist aber auch zu bedenken, dass die Transferfaktoren keine Naturkonstanten, wie man sie aus der Physik kennt, sind. In biologischen Systemen gibt es immer natürliche Variationen, und so kann z. B. der Transferfaktor für Milch von einer Kuhrasse zur anderen verschieden sein, aber auch innerhalb einer Rasse gibt es Variabilitäten von einer Kuh zur anderen. Der Zeitraum, in dem sich bei konstanter Aktivitätszufuhr ein Gleichgewichtswert im Tierprodukt einstellt, hängt ebenfalls von vielen Faktoren ab. Während sich z. B. beim Übergang von Cäsium in die Milch bereits nach wenigen Tagen ein mehr oder weniger konstanter Wert einstellt, dauert es bei Elementen, welche sich langfristig in bestimmten Organen akkumulieren (z. B. Strontium im Knochen), viel länger. - Einfluss der Verarbeitung und Lagerung auf die Kontamination Häufig werden pflanzliche oder tierische Produkte erst eine Zeit lang gelagert und/oder verarbeitet, bevor sie als Futteroder Nahrungsmittel dienen. Dies kann den Transfer der radioaktiven Stoffe in den Nahrungsketten deutlich beeinflussen. Durch die Lagerung ergibt sich bei kurzlebigen Radionukliden durch den radioaktiven Zerfall eine Reduktion der Kontamination. So bewirkt z. B. eine Lagerung von 2 Monaten bei dem potentiell wichtigen Radionuklid Iod-131 (8 Tage Halbwertszeit) eine Reduktion der Aktivität um den Faktor 180. Ein anderer Effekt der Lagerung besteht darin, dass sich die Aktivitätszufuhr zum Menschen am Ende der Nahrungskette zeitlich nach hinten verschiebt. Nach dem Tschernobyl-Unfall Ende April 1986 wurde so der maximale Körper-Gehalt an Cäsium-137 bei einer großen ProbandenGruppe in München erst im April 1987 gemessen. Bei der Verarbeitung von Pflanzen- oder Tierprodukten zu Futter- und Nahrungsmitteln kann es in den verarbeiteten Produkten zu einer Erhöhung oder Reduktion der Aktivitätskonzentration gegenüber dem Rohprodukt kommen. Im Jahre 1986 hatte Winterweizen im Raum München eine Cäsium-137-Konzentration von rund 100 Bq/kg. Nach dessen Verarbeitung in einer Mühle war im Mehl eine Kontamination 148 von 50 Bq/kg zu messen, während das Nebenprodukt des Mahlvorgangs, die Kleie, einen Cäsium-137-Gehalt von rund 300 Bq/kg aufwies (Abb. 4.6). Für die Radioökologie wichtige Verarbeitungsprozesse in den Nahrungsketten sind auch die Herstellung von Butter, Käse und anderen Produkten aus Milch. Abb. 4.6 Änderung der Aktivitätskonzentration beim Mahlen von Getreide Auch die Verarbeitung von Nahrungsmitteln in der Küche kann zu Veränderungen (in der Regel zur Reduktion) der radioaktiven Kontamination führen. Äußerlich auf Pflanzen haftende radioaktive Partikel können teilweise abgewaschen werden. Beim Kochen gehen die wasserlöslichen radioaktiven Stoffe teilweise ins Kochwasser und werden so – falls das Kochwasser weggeschüttet wird – aus der Nahrungskette entfernt. Es wurden nach dem Tschernobyl-Unfall eine Reihe von „Rezepten“ weitergegeben, mit denen sich z. B. aus Pilzen oder Fleisch der allergrößte Teil des RadioCäsiums entfernen ließ; es erscheint jedoch dabei teilweise fraglich, was dabei an Nährstoffen und Geschmack der Lebensmittel übrig bleibt. Interne Strahlenexposition Von einer internen Strahlenexposition spricht man dann, wenn ein radioaktiver Stoff in den menschlichen Körper gelangt. Während des Aufenthalts im Körper zerfallen dessen Atome teilweise und senden dabei Strahlung aus, die den Körper von innen heraus bestrahlt. 149 Die wichtigsten Pfade, auf denen bei einer radioaktiven Kontamination der Umwelt radioaktive Stoffe in den Körper gelangen können, sind die Aufnahme durch kontaminierte Nahrungsmittel (Ingestion) und mit der Atemluft (Inhalation). Darüber hinaus gibt es auch die Aufnahme über die Haut, über eine Wunde oder durch Injektion; diese Pfade sind aber im Allgemeinen weniger wichtig und werden hier nicht weiter behandelt. Für eine Abschätzung der internen Strahlenexposition sind grundsätzlich zwei Schritte nötig: zum einen die Abschätzung, wie groß die Menge (Aktivität) des vom Menschen in den Körper aufgenommenen radioaktiven Stoffes ist, zum anderen die Berücksichtigung, wo und wie lange der Stoff im Körper verbleibt und wie viel der ausgesandten Strahlung die verschiedenen Organe und Gewebe des Körpers trifft. - Ingestion Die Menge (Aktivität) eines mit der Nahrung aufgenommenen radioaktiven Stoffes hängt zum einen davon ab, wie hoch die Nahrungsmittel kontaminiert sind (dies wurde im letzten Abschnitt diskutiert), zum anderen, wie viel der Mensch von den Nahrungsmitteln isst. Will man also eine quantitative Abschätzung der Aktivitätszufuhr machen, benötigt man realistische Daten über die Verzehrsmengen. Meist werden hierfür mittlere Verzehrsmengen der Gesamtbevölkerung genommen. Die Verzehrsgewohnheiten von Individuen können jedoch stark von den mittleren abweichen; deswegen sind auch Abschätzungen für besondere Gruppen (z. B. Vegetarier, überdurchschnittliche Milchtrinker, Fleischesser etc.) von Interesse. Das Ausmaß der aktuellen radioaktiven Kontamination der Nahrungsmittel lässt sich durch Messung an repräsentativen Nahrungsmittelproben ermitteln. Um eine Prognose in die Zukunft zu erstellen, kann man es aber auch mit radioökologischen Rechenmodellen abschätzen, welche die im letzten Abschnitt diskutierten Prozesse in den Nahrungsketten berücksichtigen. Ausgangspunkt hierzu ist die Menge der auf Böden und Pflanzen deponierten Radioaktivität. Wenn eine Region (Land, Wirtschaftsraum) jedoch sehr unterschiedlich hoch mit radioaktiven Stoffen kontaminiert ist, wie es 150 z. B. nach dem Tschernobyl-Unfall in Deutschland der Fall war, dann ist es für die Abschätzung der Aktivitätszufuhr einer bestimmten Personengruppe wichtig zu wissen, welche Nahrungsmittel von wo bezogen werden. Dies ist kein Problem für Selbstversorger, die sämtliche Nahrungsmittel lokal produzieren. Allerdings hat diese Gruppe heutzutage einen verschwindend geringen Anteil an der Gesamtbevölkerung. Selbst auf dem Land werden heute viele Nahrungsmittel im Handel bezogen, wobei die Nahrungsmittel häufig einen weiten Transport vom Ort der Produktion zum Ort des Verbrauchs hinter sich haben. Noch vor wenigen Jahrzehnten wäre die Abschätzung der Nahrungsmitteltransporte wesentlich einfacher gewesen, denn es gab viele Gebiete, welche mehr oder weniger autark waren, d. h. weitgehend alle verzehrten Nahrungsmittel produziert haben. Heute dagegen liegt die Nahrungserzeugung und -verteilung weitgehend in den Händen großer Handelsketten, was ein starkes Anwachsen und auch eine große Variabilität der Nahrungsmitteltransporte zur Folge hat. Nahrungsmittel werden überwiegend dort gekauft, wo sie gerade am billigsten sind; Transportkosten spielen dabei meist keine entscheidende Rolle. Traditionell wichtige Erzeuger-Verbraucher-Beziehungen sind dabei unwichtiger geworden. Dies macht es äußerst schwer, in einer Abschätzung der Strahlenexposition durch kontaminierte Nahrungsmittel die wahren Transportwege zu berücksichtigen. Das Problem wird noch größer bei einer Prognose der Ingestionsdosis nach einer größeren radioaktiven Kontamination (wie z. B. der Situation nach dem TschernobylUnfall): hierbei können sich die vorhandenen Handelswege schlagartig und unvorhersagbar ändern, auch aufgrund der Reaktion der Bevölkerung. - Inhalation Solange radioaktive Stoffe als sehr feine Partikel oder an Aerosolpartikel gebunden in der Luft schweben, können Sie vom Menschen beim Einatmen inkorporiert werden. Je nach Größe der Partikel gelangen die Teilchen mehr oder weniger tief in den Atemtrakt und werden dort abgeschieden. Je nach Eindringtiefe verbleiben sie einige Zeit in der Lunge, und die beim radioaktiven Zerfall ausgesandte Strahlung bestrahlt das umgebende Gewebe. Die Menge der dabei inkorporierten radioaktiven Stoffe hängt zum einen von der Konzentration dieser Stoffe in der Luft, zum anderen von der Menge der eingeatmeten Luft ab. 151 Die Atemrate, d. h. das pro Zeiteinheit eingeatmete Luftvolumen, hängt vor allem vom Lebensalter des Menschen und von der momentanen körperlichen Aktivität ab, schwankt aber auch individuell von Person zu Person. Einen Eindruck von der Schwankungsbreite vermittelt Abb. 4.7. Atemrate (Liter/Minute) 50 40 schwere Arbeit 30 leichte Aktivität 20 10 ruhend 0 Kleinkind (1 Jahr) Kind (10 Jahre) Erwachsene Abb. 4.7 Schwankungsbreiten von Atemraten Nach einer Freisetzung radioaktiver Stoffe in die Atmosphäre kann die Inhalation zu einer bedeutenden Quelle der Strahlenexposition werden, wenn sich der Mensch in der Ausbreitungsfahne aufhält. Besonders bei kurzlebigen Radionukliden, die beim Transfer in den Nahrungsketten zerfallen, gewinnt die Inhalation relativ an Bedeutung. Das Einatmen radioaktiver Edelgase jedoch führt nur zu sehr geringen Dosen, da diese sich nicht in der Lunge ablagern, sondern schnell wieder ausgeatmet werden. Langfristig führt die Inhalation von resuspendierten radioaktiven Partikeln zu einer Strahlenexposition. Diese spielt aber nur für solche Radionuklide eine nennenswerte Rolle, die über die Nahrungsketten nur in sehr geringem Umfang zum Menschen gelangen und die aufgrund ihrer ausgesandten Strahlung bei Einatmen zu einer hohen Dosis führen (z. B. Plutonium). - Verhalten der radioaktiven Stoffe im Körper Die Abschätzung der in den Körper durch Ingestion oder Inhalation aufgenommenen Aktivität besagt noch nichts über 152 die daraus resultierende Wirkung, wie z. B. das Risiko einer Krebsentstehung. Um ein Maß für die Wirkung zu haben, muss erst noch abgeschätzt werden, welche Dosis aus der Inkorporation des radioaktiven Stoffes entsteht. Die Umrechnung von der aufgenommenen Aktivität in die Dosis ist für jedes Radionuklid verschieden, denn sie hängt u. a. davon ab x in welchem Ausmaß der radioaktive Stoff ins Blut aufgenommen (resorbiert) wird, x wie er sich im Körper verteilt, x wie schnell er wieder ausgeschieden wird, x wie schnell er durch radioaktiven Zerfall reduziert wird, x welche Art von Strahlung er aussendet, x welche Energie diese Strahlung hat. Um das Verhalten von Radionukliden im Körper und die daraus resultierende Strahlenexposition abzuschätzen, gibt es so genannte biokinetische Rechenmodelle, welche den Transport des Stoffes zwischen den einzelnen Organen und Geweben simulieren. Ist in einem Organ oder Gewebe die Aktivität eines bestimmten Radionuklids je Masseeinheit bekannt, lässt sich aus der absorbierten Energie die Energiedosisleistung (pro Zeiteinheit an das betroffene Gewebe übertragene Energiemenge) errechnen. Berücksichtigt man dabei zusätzlich, dass in lebendem Gewebe die einzelnen Strahlenarten unterschiedliche Qualitätsfaktoren der biologischen Wirksamkeit besitzen, ergibt sich die Äquivalentdosisleistung (siehe Kapitel 1.3). Aus der Dosisleistung (beispielsweise in Mikrosievert pro Stunde) und der Zeit, über die sie einwirkt (beispielsweise 1 Jahr), ist die Dosis in diesem Zeitraum errechenbar (im gewählten Beispiel die Jahresdosis in Mikrosievert oder Millisievert). Die auf Aktivitätszufuhr bezogene Integraldosis, also diejenige Dosis, die ein Organ oder Gewebe als Folge einer einmaligen Zufuhr eines oder mehrerer Radionuklide im gesamten (unbegrenzten) Zeitraum nach der Aufnahme bis zum vollständigem Verschwinden dieser Nuklide aus dem Körper erhält, wird als Folgedosis bezeichnet. 153 Begrenzt man den betrachteten Zeitraum nach der Aufnahme, ergibt sich die beschränkte Folgedosis (englisch: dose commitment), zum Beispiel die 50-Jahre Folgedosis. Daten über anatomische Werte oder das Stoffwechselgeschehen unterliegen naturgemäß starken individuellen Schwankungen. Für die Berechnung der Strahlendosis hat die ICRP daher in ihrer Veröffentlichung Nr. 23 /ICR-75/ für einen Durchschnittsmenschen (Reference Man) Standardwerte in allen Einzelheiten festgelegt. Auf der Grundlage dieser Standardwerte ist auch die Referenzperson der deutschen Strahlenschutzverordnung definiert. Im praktischen Strahlenschutz ist es zur Ermittlung der Folgedosis aus einer Inkorporation eines radioaktiven Stoffes nicht nötig, aufwendige Rechnungen mit einem biokinetischen Modell durchzuführen. Vielmehr kann auf Dosisfaktoren zurückgegriffen werden, welche aus solchen Rechenmodellen gewonnen wurden. Diese Faktoren geben jeweils für ein bestimmtes Nuklid die aus der Inkorporation von einem Becquerel resultierende Folgedosis an. Dosisfaktoren sind getrennt für Ingestion und Inhalation und für verschiedene Altersgruppen verfügbar. Aufgenommene Radionuklide werden dann zu einer vergleichsweise hohen Strahlenexposition führen, wenn sie • eine hohe spezifische Aktivität (Becquerel pro Gramm) besitzen, • im Körper stark angereichert werden, • lange dort verweilen und schließlich noch • eine biologisch besonders wirksame Strahlung aussenden. Solche Radionuklide (beispielsweise die Alpha-Strahler Radium-226 oder Plutonium-238 und -239) bezeichnet man als hoch radiotoxisch (strahlengiftig). Auf der anderen Seite gibt es auch radioaktive Stoffe, die vom Körper kaum aufgenommen werden, eine biologisch wenig wirksame Strahlung aussenden und im Falle der äußeren Strahlenexposition nur die Haut bestrahlen. Ihre Radiotoxizität ist gering (Beispiel: Krypton-85). 154 Bei Iod-131, das bevorzugt in die Schilddrüse aufgenommen wird, führt zum Beispiel die Zufuhr von 1.000 Becquerel mit der Nahrung zu Folgedosen für die Schilddrüse von 0,43 mSv beim Erwachsenen beziehungsweise 3,5 mSv beim Kleinkind (wegen einer hohen Aktivitätskonzentration in der sehr kleinen Schilddrüse). Bei Cäsium-137, das sich im Körper annähernd gleichmäßig verteilt, liegt die Folgedosis (Effektivdosis) durch Zufuhr von 1.000 Bq für den Erwachsenen bei ca. 0,01 mSv. Für Kinder (mit Ausnahme der unter 1-Jährigen) ist die Dosis wegen der kürzeren Verweilzeit des Cäsiums im Körper niedriger als für Erwachsene. Externe Strahlenexposition Radioaktive Stoffe können zu einer externen Strahlenexposition des Menschen führen, wenn sie sich außerhalb des Körpers befinden und die von ihnen ausgehende Strahlung auf den Körper trifft. - Strahlung aus einer „radioaktiven Wolke“ Wenn radioaktive Stoffe in die Atmosphäre freigesetzt wurden und sich in der Atmosphäre ausbreiten, so zerfällt ein Teil der radioaktiven Atome hierbei und sendet ionisierende Strahlung aus. Hält sich ein Mensch in oder nahe bei der vorbeiziehenden radioaktiven Wolke auf, so kann diese Strahlung von außen seinen Körper treffen. Hierbei hat Alpha-Strahlung keine Bedeutung, da sie in Luft nur eine Reichweite von wenigen Zentimetern hat. Auch BetaStrahlung ist hier von sehr untergeordneter Bedeutung, da ihre Reichweite in Luft maximal einige Dezimeter bis einige Meter beträgt. Es kommt dazu, dass Alpha- und Betastrahlung beim Auftreffen auf den Körper in der Haut absorbiert werden, so dass die strahlenempfindlicheren Organe und Gewebe keine Strahlung abbekommen. Gammastrahlung dagegen hat eine Reichweite in Luft, die in der Größenordnung von 100 m liegt (abhängig von der Photonenenergie des jeweiligen Radionuklids). Dies bedeutet, der Mensch kann von Gammastrahlung der Radionuklide im diesem Umkreis getroffen werden. Gammastrahlung kann auch ins Innerste des Körpers eindringen, d.h. alle Organe und Gewebe des Menschen werden bestrahlt. Aus diesen Gründen spielt bei der äußeren Bestrahlung die Gammastrahlung die überragende Rolle. 155 Die Strahlenexposition des Menschen beim Vorbeiziehen einer radioaktiven Wolke wird stark reduziert, wenn sich der Mensch in einem Gebäude aufhält. Je nach Gebäudeausmaßen, Wandstärken und Baumaterial kann die Bestrahlung im Gebäude einen Faktor 2 bis 20 niedriger sein als beim Aufenthalt im Freien, beim Aufenthalt im Keller bei großen Gebäuden kann der Reduktionsfaktor sogar bis in die Größenordnung von 1.000 gehen! - Strahlung von abgelagerten Nukliden Die Bestrahlung durch die in der Atmosphäre vorbeiziehenden Radionuklide stellt lediglich eine relativ kurzzeitige Strahlenquelle dar. Dagegen können die am Boden und auf anderen Oberflächen in der Umgebung des Menschen (z. B. Bäume, Hausdächer) deponierten Radionuklide als eine sehr lang anhaltende Strahlenquelle wirken. Deswegen kann dieser Expositionspfad einen relativ großen Beitrag zur gesamten Strahlenexposition liefern. So stammt der größte Teil der Strahlenexposition, den ein Mensch in Deutschland langfristig durch die Ablagerung radioaktiver Stoffe vom Reaktorunfall in Tschernobyl bekommt, von den am Boden abgelagerten Radionukliden, vor allem vom Cs-137. Auch hier spielen Alpha- und Beta-Strahlung eine unwesentliche Rolle, in erster Linie ist hier die Gammastrahlung maßgebend. Wegen der großen Reichweite der Gammastrahlung trägt hier die gesamte Umgebung bis zu mehreren 10 Metern Abstand zur Bestrahlung bei: wenn man sich auf einer ebenen Wiese aufhält, die gleichmäßig mit Cs-137 kontaminiert worden ist, dann stammt rund die Hälfte der auf einen wirkenden Strahlung aus Bereichen, die mehr als 7 m entfernt sind, und rund ein Viertel stammt aus Bereichen, die mehr als 25 m entfernt sind (Zähringer und Pfister 1998)! Radioaktive Edelgase werden nicht am Boden abgelagert, spielen deswegen bei diesem Expositionspfad keine Rolle. Auch bei der Strahlenexposition durch am Boden abgelagerte Radionuklide ergibt sich eine starke Reduktion der Bestrahlung, wenn man sich in Gebäuden aufhält. So verringert sich beispielsweise die Dosisleistung nach einer Deposition von Cs-137 in Gebäuden gegenüber einem Aufenthalt im Freien um den Faktor 2 bis 100, im Keller sogar bis zum Faktor 500 (Jacob 1991). 156 Eine spezielle Art der Strahlenexposition durch abgelagerte radioaktive Stoffe entsteht, wenn die Ablagerung auf die Haut oder die Kleidung des Menschen erfolgt. Hierbei vergrößert sich der relative Anteil von Alpha- und Betastrahlung an der Strahlenexposition etwas, da eine Bestrahlung der Haut durch diese Strahlenarten auftritt. Insgesamt ist dieser Expositionspfad aber im Allgemeinen von geringer Bedeutung, da davon auszugehen ist, dass die Verweilzeit der radioaktiven Stoffe durch Waschen, Duschen und Kleidungswechsel relativ gering ist. 4.2 Strahlenexposition aus natürlichen Quellen Seit es Leben gibt, ist dieses unter dem Einfluss der natürlichen Strahlung. Die so genannte „natürliche Untergrundstrahlung“, d.h. die ionisierende Strahlung, die durch in unserer Natur vorhandenen Quellen bedingt ist, hat mit Sicherheit eine wichtige Rolle in der Evolution gespielt, kann zugleich aber erkennbare Strahlenschäden verursachen. So ist zweifelsfrei das natürliche radioaktive Edelgas Radon für viele ernste Lungenschädigungen bei Bergwerksarbeitern bereits in den vergangenen Jahrhunderten ursächlich. Wenn man auch jede Exposition des Menschen mit ionisierender Strahlung als potentiell gesundheitsschädigend betrachtet, wobei die Wahrscheinlichkeit eines Schadens mit der Dosis ansteigt, so haben wir doch bisher damit überlebt und uns trotz der natürlichen Untergrundstrahlung (vielleicht sogar mit ihrer Hilfe) zu unserer gegenwärtigen Form entwickelt. Häufig denkt man bei der natürlichen Untergrundstrahlung nur an die leicht messbare Strahlung, die von außen auf uns einwirkt, dabei darf man gerade die so genannte innere Strahlenexposition, die durch natürliche Radionuklide in unserem Körper verursacht wird, keinesfalls vernachlässigen, zumal sie verglichen mit der äußeren Strahlenexposition eine deutlich höhere Dosis und damit ein größeres Risiko beschert. Externe Strahlenexposition Die äußere Strahlenexposition stammt aus ganz unterschiedlichen Quellen, die die Natur für uns bereithält. Neben 157 der ionisierenden Strahlung, die von den in der Erdkruste vorhandenen radioaktiven Isotopen als so genannte terrestrische Strahlung ausgeht, „prasseln“ ständig hochenergetische ionisierende Teilchen aus dem Weltraum als kosmische Strahlung auf uns nieder. - Kosmische Strahlung Entstehung Der Ursprung der Strahlung aus dem Weltall ist bislang noch nicht endgültig geklärt, wenngleich mehrere plausible Theorien angeboten werden können. Prinzipiell können Supernova-Explosionen als ihr Ursprung angesehen werden, bei denen durch den Gravitationskollaps große Energiemengen freigesetzt werden, doch können kosmische Magnetfelder geladene Teilchen ebenfalls auf beträchtliche Energien beschleunigen (aber auch abbremsen), wobei nach vielen derartigen Wechselwirkungen bei hochenergetischen Teilchen der Energiegewinn gegenüber dem -verlust durch Abbremsung überwiegt. Nach heutiger Vorstellung ist davon auszugehen, dass die kosmische Strahlung in unserer eigenen Galaxis, der Milchstraße, entsteht, lediglich der Ursprung sehr hochenergetischer Teilchen (t 1017 eV) dürfte in fremden Galaxien (schwarze Löcher, Neutronensterne, Quasare) zu finden sein. Unsere Sonne leistet nur einen geringen Beitrag zur kosmischen Strahlung, die wir auf der Erdoberfläche erleben. In unregelmäßigen Abständen werden bei Strahlungsausbrüchen auf der Sonne („solar flares“) geladene Teilchen mit Energien bis zu einigen GeV in den Weltraum geschleudert und führen einige Male im Jahr zu einer kurzfristig messbaren Dosisleistungserhöhung in den unteren Atmosphärenschichten. Wenngleich solche Eruptionen für uns auf der Erde vernachlässigbar sind, da die Erdatmosphäre sehr gut gegen diese relativ niederenergetischen Teilchen schützt, so können sie in den äußeren Atmosphärenschichten kurzfristig die Flussdichte um mehr als das Hundertfache ansteigen lassen und für die Kosmonauten im freien Weltraum ohne jeglichen Schutz durch die Atmosphäre ernste Probleme bereiten. 158 Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass magnetische „Stürme“ auf der Sonnenoberfläche zusammen mit dem Erdmagnetfeld die Erde gegen niederenergetische Nukleonen aus dem Kosmos abschirmen und die galaktische Strahlung kurzfristig verringern können. Allerdings ist dieser Effekt für uns zwar messbar aber ohne größere Bedeutung. Abb. 4.8 lässt auch erkennen, dass die Sonnenaktivität (etwa 11-jähriger Zyklus) die Dosis in Äquatorgegend selbst in typischer Flughöhe nicht mehr beeinflusst. 1 1 Abb. 4.8 Zeitlicher Verlauf der Dosisleistung (effektive Dosis pro Stunde) vergangener Jahrzehnte in 11,3 km Höhe für verschiedene geographische Breiten (mit freundlicher Genehmigung der AG3, Inst. f. Strahlenschutz, GSF) Primäre und sekundäre kosmische Strahlung: Die Erdatmosphäre schwächt die kosmische Strahlung nicht nur, sie verändert sie auch, sodass die für die Strahlenexposition auf der Erdoberfläche verantwortliche sekundäre kosmische Strahlung keinesfalls identisch ist mit der primären kosmischen Strahlung, die vom Weltall auf die oberen Atmosphärenschichten trifft. Die primäre kosmische Strahlung aus dem Weltraum besteht überwiegend aus energiereichen Protonen (bis zu 1014 MeV), weiters aus Heliumkernen (etwas mehr als 10 %) und zu einem kleineren Anteil aus schwereren Kernen, Elektronen und Photonen (Abb. 4.9). Die hochenergetischen Protonen und Kernteilchen aus dem Kosmos werden nicht nur 159 über Ionisation und Anregung abgebremst, sondern erzeugen über die starke Wechselwirkung mit den Sauerstoff- und Stickstoffkernen der Atmosphäre Sekundärteilchenkaskaden einschließlich vieler kurzlebiger Elementarteilchen, mit einem Maximum in ungefähr 20 km Höhe (Pfotzer-Maximum). In den oberen Atmosphärenschichten tragen vornehmlich Protonen und Neutronen zur effektiven Dosis bei, in Meereshöhe hingegen vorwiegend Myonen. Abb. 4.9 Beiträge der Komponenten der kosmischen Strahlung zur effektiven Dosis in unterschiedlichen Höhen der Atmosphäre in Äquatorgegend bei Minimum der Sonnenaktivität (mit freundlicher Genehmigung der AG3, Inst. f. Strahlenschutz, GSF) Auf Meeresniveau liefert die kosmische Strahlung eine effektive Dosis von etwa 0,3 mSv pro Jahr. In größeren Höhen steigt der Beitrag zur effektiven Dosis durch die erwähnten Teilchenkaskaden merklich an, in typischen Flughöhen von 10 bis 12 Kilometern auf etwa das Hundertfache (Abb. 4.10). 160 Abb. 4.10 Höhenabhängigkeit der Ortsdosisleistung durch kosmische Strahlung Abb. 4.11 Weltübersichtskarte der Dosisleistung (effektive Dosis pro Stunde) in 11,3 km Höhe (April 2005) (mit freundlicher Genehmigung der AG3, Inst. f. Strahlenschutz, GSF) Aus Abb. 4.11 ist deutlich zu erkennen, dass die Dosis neben der Flughöhe maßgeblich durch die geographische Breite mitbestimmt wird, was den Einfluss des Erdmagnetfeldes auf die geladenen Teilchen der primären kosmischen 161 Strahlung widerspiegelt. Aufgrund der Form des Erdmagnetfeldes (siehe Abb. 4.12) werden die geladenen Teilchen der kosmischen Strahlung, die in Polgegend annähernd parallel zu den Magnetfeldlinien auf die Erde niederprasseln, viel weniger abgelenkt als Teilchen, die in Äquatorgegend weitgehend senkrecht zu den Feldlinien fliegen. Dank der Erdatmosphäre ist dieser Einfluss auf die Dosis in Meereshöhe nur gering, für typische Flughöhen liest man hingegen aus Abb. 4.11 eine etwa 3 mal höhere Dosis für Flüge in Polargegend gegenüber der Äquatorregion ab, was einem etwa 100fachen bzw. 30fachen Dosisleistungsanstieg verglichen mit dem Beitrag auf der Erdoberfläche entspricht. Abb. 4.12 Schematische Darstellung des Magnetfelds der Erde Dieser Unterschied macht sich in der folgenden Abb. im Vergleich der Dosiswerte mit der Flugdauer der jeweiligen Flugrouten deutlich bemerkbar. Individuelle Flugdosen können mit einer von der GSF kostenlos zur Verfügung gestellten Online-Version von EPCARD (European Program Package for the Calculation of Aviation Route Doses) berechnet werden unter: www.gsf.de/epcard. Für die Strahlenexposition des Flugpersonals ist das vorwiegend durch die sekundäre kosmische Strahlung bedingte Strahlungsfeld in etwa 10 bis 14 Kilometer Höhe ausschlaggebend. Während die daraus resultierende Dosis für 162 Abb. 4.13 Vergleich von effektiver Dosis und Dauer für Flüge von München oder Frankfurt(*) zu ausgewählten Zielen auf dem jeweils kürzesten Weg in 11,3 km Flughöhe; Steig- und Sinkflug sind mit je 30 min berücksichtigt (mit freundlicher Genehmigung der AG3, Inst. f. Strahlenschutz, GSF) einzelne Flüge verglichen mit der Jahresdosis der natürlichen Strahlenexposition von insgesamt etwa 2,1 Millisievert im allgemeinen bedeutungslos ist (Abb. 4.13), ist sie für das fliegende Personal mit vielen Flugstunden als berufliche Strahlenexposition durchaus zu berücksichtigen. Als obere Abschätzung der jährlichen Strahlenexposition des Flugpersonals gibt das Bundesamt für Strahlenschutz einen Wert von etwa 8 mSv effektive Dosis an, wenn ausschließlich Flüge auf der Nordatlantik-Route angenommen werden und die maximal zulässige Arbeitszeit von 1.000 Flugstunden jährlich voll ausgenutzt wird. - Kosmogene Radionuklide Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass durch die Wechselwirkung der kosmischen Strahlung mit der Atmosphäre auch radioaktive Nuklide gebildet werden, deren Inkorporation ebenfalls zu einer geringen Strahlenexposition führt. In der folgenden Tabelle sind einige dieser Radionuklide mit ihren Halbwertzeiten angeführt. 163 Radionuklid Halbwertzeit Tritium (H-3) 12,3 Jahre Beryllium-7 (Be-7) Beryllium-10 (Be-10) Kohlenstoff14 (C-14) Natrium-22 (Na-22) 53,3 Tage 1,6 10 Jahre 6 5730 Jahre 2,6 Jahre Radionuklid Silizium-32 (Si-32) Phosphor32 (P-32) Argon-39 (Ar-39) Krypton-81 (Kr-81) Krypton-85 (Kr-85) Halbwertzeit 101 Jahre 14,3 Tage 269 Jahre 2,1 105 Jahre 10,7 Jahre Tab. 4.1 Kosmogene Radionuklide Für die Strahlenexposition des Menschen sind die kosmogenen Radionuklide mit einem Gesamtbeitrag von ca. 15 µSv effektive Dosis pro Jahr von untergeordneter Bedeutung. Der größte Beitrag geht auf Kohlentstoff-14 zurück (ca. 12 µSv/a), gefolgt von Beryllium-7, welches für eine effektive Dosis von etwa 3 µSv pro Jahr verantwortlich ist. - Terrestrische Strahlung Die Erdkruste enthält eine Vielzahl natürlicher radioaktiver Stoffe, von denen die meisten einer der drei Zerfallsreihen entstammen, deren Anfangsglieder eine dem Alter des Sonnensystems vergleichbar lange Halbwertzeit W1/2 besitzen: Uran/Radium-Reihe (Muttersubstanz U-238; W1/2 = 4,5 Mrd. Jahre) Uran/Actinium-Reihe (Muttersubstanz U-235; W1/2 = 0,7 Mrd. Jahre) Thorium-Reihe (Muttersubstanz Th-232; W1/2 = 14 Mrd. Jahre) Diese langlebigen Nuklide sind somit noch immer in unserer Erdkruste vorhanden, andererseits entstehen durch ihre Umwandlung (radioaktiver Zerfall) ständig weitere, oft viel kurzlebigere Radionuklide, die in unserer Erdkruste ebenfalls als natürliche Radionuklide zu finden sind. Außer den Radionukliden der natürlichen Zerfallsreihen sind noch mehrere primordiale Radionuklide (Radionuklide, die 164 bei der Bildung der irdischen Materie entstanden und heute noch vorhanden sind) mit zum Teil extrem langen Halbwertzeiten anzutreffen, von denen dem Kalium-40 im Hinblick auf die Strahlenexposition des Menschen die größte Bedeutung zukommt. Nuklid K-40 V-50 Ge-76 Se-82 Rb-87 Zr-96 Mo-100 Cd-113 Halbwertzeit Jahre 1,3 109 1,4 1017 1,5 1021 1,0 1020 4,8 1010 3,9 1019 1,2 1019 9,0 1015 Nuklid Cd-116 In-115 Te-123 Te-128 Te-130 La-138 Nd-144 Nd-150 Halbwertzeit Jahre 2,6 1019 4,4 1014 1,2 1013 7,2 1024 2,7 1021 1,1 1011 2,3 1015 1,7 1019 Nuklid Sm-147 Sm-148 Gd-152 Lu-176 Hf-174 Ta-180 Re-187 Os-186 Pt-190 Halbwertzeit Jahre 1,1 1011 7,0 1015 1,1 1014 2,6 1010 2,0 1015 1,2 1010 5,0 1010 2,0 1015 6,5 1011 Tab. 4.2 Primordiale Radionuklide (aus /KOE-06/) Die unterschiedliche Aktivitätskonzentration im Boden bedingt regionale Schwankungen der Strahlenexposition. Die folgende Abbildung (Abb. 4.14) gibt eine Übersicht über die mittlere Gamma-Ortsdosisleistung für die Bundesrepublik Deutschland einschließlich des Beitrags der kosmischen Strahlung. Die üblichen Werte für Norddeutschland liegen zwischen 0,5 und 0,9 mSv/Jahr, während die Spitzenwerte in den Mittelgebirgen bis zu 2 mSv/Jahr betragen und im weltweiten Vergleich mit Spitzenwerten von etwa 50 mSv/a 165 in Kerala (Indien), 180 mSv/a in Esperito Santo (Brasilien) bzw. über 800 mSv/a in Ramsar (Iran) noch relativ günstig liegen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Anteil durch kosmische Strahlung (Jahresdosis in Meereshöhe ca. 0,3 mSv) sich alle 1.500 Höhenmeter etwa verdoppelt. In unseren Breiten kann man von einer mittleren Strahlenexposition von etwa 0,4 mSv effektive Dosis pro Jahr infolge der terrestrischen Strahlung ausgehen. Abb. 4.14 Übersicht über die mittlere Gamma-Ortsdosisleistung in Deutschland (aus /BMU-04/). 166 Interne Strahlenexposition - Das radioaktive Edelgas Radon Im Rahmen der natürlichen Zerfallsreihen entstehen als Zerfallsprodukte auch die radioaktiven Isotope Radon-222 (Halbwertzeit: 3,8 Tage), Radon-220 (Halbwertzeit 55,6 Sekunden) und Radon-219 (Halbwertzeit: 3,96 Sekunden), die als Edelgas aus dem Erdboden in die Luft freigesetzt und eingeatmet werden und zu einer nicht unbeträchtlichen Teilkörperexposition der Lungen führen können. Wegen der größeren Halbwertzeit trägt besonders das Radon-222 mit seinen kurzlebigen Folgeprodukten Polonium-218, Blei-214 und Polonium-214 zur Strahlenexposition des Menschen bei und ist für den größten Beitrag zur natürlichen Strahlenexposition verantwortlich. Jedoch sind auch die Beiträge des Radon-220 nicht ganz zu vernachlässigen. Der Zerfall des Radons selbst verursacht den geringeren Teil der Strahlenexposition, den deutlich größeren Teil liefern seine kurzlebigen Folgeprodukte. Als Anhaltspunkt zur Einschätzung geologisch bedingter Gefährdung durch zu hohe Radonexposition kann die Radonkonzentration in der Bodenluft gesehen werden, deren regionale Verteilung für Deutschland in folgender Übersichtskarte (Abb. 4.15) dargestellt ist. Die Radonkonzentration in der Raumluft hängt maßgeblich davon ab, wie viel Radon aus dem Boden austreten kann und zeigt große regionale und zeitliche Schwankungen nicht nur infolge Unterschieden der geologischen Verhältnisse, sondern auch der Bausubstanz (Abdichtung des Kellers gegen das Erdreich) als auch der Lüftungsgewohnheiten. Hinzu kommen jahreszeitlich und klimatisch bedingte Schwankungen. In Deutschland sind erhöhte Radonkonzentrationen in Gebäuden vornehmlich auf eine erhöhte Radonfreisetzung aus dem Untergrund zurückzuführen, Baumaterialien sind hier zu Lande selten die Ursache einer erhöhten Radonkonzentration. Damit kommt in geologisch belasteten Gebieten, wo vor allem Kellerwohnungen, Souterrain-Wohnungen, in geringerem Maße auch Wohnungen im Erdgeschoss betroffen sind, der Abdichtung des Kellers gegen das Erdreich be167 Abb. 4.15 Übersichtskarte der regionalen Verteilung der Radonkonzentration in der Bodenluft für Deutschland (Kemski & Partner 2004) sondere Bedeutung zu. In höher gelegenen Wohnungen (Hochhäuser), in denen die Radonkonzentration durch den Beitrag der Baumaterialien bestimmt wird, ist im Mittel mit einer Radonaktivitätskonzentration von 30 Bq/m3 zu rechnen. 168 Eine besondere Situation ergibt sich in einigen Gebieten, wo durch hohe Permeabilität des Untergrundes (Sand- oder Schotterböden) hohe Radonmengen freigesetzt werden bzw. in Bergbaugebieten über Klüfte und Risse im Deckgebirge Grubenwetter mit sehr hoher Radonkonzentration auftreten und über Undichtigkeiten in die Gebäude gelangen können. So wurden in Gegenden mit Granit-haltigem Untergrund lokal Raumluftkonzentrationen von bis zu 10.000 Bq/m3 gemessen, in einzelnen Häusern in UranBergbaugebieten kurzzeitig sogar mehr als 100.000 Bq/m3. Von untergeordneter Bedeutung für die Radonkonzentration in den meisten Haushalten hingegen ist das Radon, das im Wasser gelöst bei dessen Verwendung im Haushalt freigesetzt wird, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, da durch die Nutzung individueller Brunnen in Granitgebieten erhöhte Radon-Konzentrationen in Gebäuden auftreten können, ebenso wie generell in Anlagen der Wassergewinnung, und -aufbereitung. Will man die Radonkonzentration in der Wohnung bestimmen, so stehen mehrere Messverfahren zur Verfügung. Um über die erheblichen tageszeitlichen Schwankungen zu mitteln, die, abgesehen von Luftdruckschwankungen, in Wohnräumen primär auf die übliche Lüftung zurückgehen, sind integrierende Methoden erforderlich, die mindestens über mehrere Tage mitteln. Neben elektronischen Messgeräten sind als wichtige integrative und kostengünstige Messverfahren das track-etch-Verfahren, Elektrete und Aktivkohlenexposimeter zu nennen. Während als einer der Hauptvorteile des track-etch-Verfahrens lange Integrationszeiten bis zu einem Jahr und darüber hinaus anzuführen sind, ist als Nachteil anzusehen, dass Messperioden von ein bis zwei Wochen wegen zu geringer Empfindlichkeit bei üblichen Raumluftkonzentrationen nicht erreichbar sind. Hier setzen sowohl die Elektret-Ionisationskammer als auch die Aktivkohlenmethode mit ihrem Vorteil kurzer Integrationszeiten ein. Der bundesweite Jahresmittelwert der Radonkonzentration in Wohnräumen liegt bei ungefähr 50 Bq/m3 Raumluft, die Mehrzahl der Messwerte liegt unter diesem Wert. Die Radonkonzentration im Freien ist etwa um einen Faktor 3 bis 5 169 geringer, da das Radon dort nicht in geschlossenen Räumen „gefangen“ wird. Für den größten Teil Deutschlands liegen die Werte im Freien im Bereich von 5 bis 30 Bq/m3, unter ungünstigen atmosphärischen Bedingungen wie bei Inversion in Tallagen wurden jedoch Spitzenwerte bis 350 Bq/m3 gemessen (vornehmlich in unmittelbarer Nähe von Abwetterschächten oder großflächigen Halden). Unter der Annahme, dass wir etwa 80 % unserer Zeit in Gebäuden verbringen, resultiert daraus eine mittlere jährliche effektive Dosis von etwas über 1 Millisievert. - Natürliche radioaktive Stoffe in der Nahrung Wie erwähnt, enthält unsere Erdkruste eine Vielzahl natürlicher radioaktiver Stoffe, die für die terrestrische Strahlung verantwortlich sind, von denen aber auch unser Nahrungskreislauf nicht verschont bleibt. Infolge dieser mit Nahrung und Trinkwasser aufgenommenen Radionuklide ist in Deutschland eine jährliche effektive Dosis im Bereich von 0,3 mSv zu erwarten, etwa 0,17 mSv davon ist dem primordialen Radionuklid Kalium-40 zuzuschreiben. Gesamte natürliche Strahlenexposition Die natürliche Umgebungsstrahlung bewirkt im Mittel für eine Person der Bevölkerung in Deutschland eine effektive Dosis von 2,1 mSv pro Jahr, vergleichbar mit dem weltweiten Mittelwert von 2,4 mSv/a. Weltweite Spitzenwerte liegen bei etwa 50 mSv/a in Kerala (Indien), 180 mSv/a in Esperito Santo (Brasilien) bzw. über 800 mSv/a in Ramsar (Iran). Den mit Abstand größten Beitrag in Deutschland mit mehr als 1 mSv effektive Dosis pro Jahr liefert die Inhalation des radioaktiven Edelgases Radon, gleichzeitig besitzt dieser Beitrag die größte Variationsbreite. Die übrigen Beiträge, bedingt durch kosmische Strahlung, terrestrische Strahlung und durch mit der Nahrung aufgenommene natürliche Radionuklide liegen jeweils etwa bei 0,3 bis 0,4 mSv pro Jahr effektive Dosis. 170 4.3 Strahlenexposition aus zivilisatorischen Quellen Strahlenexposition in der Nähe kerntechnischer Anlagen Mehr als 98 % der gesamten Strahlenexposition durch den bestimmungsgemäßen Betrieb einer kerntechnischen Anlage werden von relativ wenigen Radionukliden verursacht. Für die Abschätzung der maximal möglichen Strahlenexposition in der Umgebung genügt daher im Regelfalle die Betrachtung der Nuklide in der nachfolgenden Zusammenstellung. Von den physikalischen Daten nach Seelmann-Eggebert 1981 sind dabei nur die wichtigsten Zerfallsarten und -energien angegeben (bei Betastrahlung jeweils die maximale Energie des Kontinuums), angeregte zwischenstabile Zustände sind nur aufgeführt, wenn sie radiologisch relevant sind. Kritische Organe sind in der Reihenfolge ihrer radiologischen Bedeutung angegeben. • Tritium (H 3) Beta-Strahlung 0,02 MeV; Tochternuklid: Helium-3 (stabil); physikalische Halbwertszeit:12,3 Jahre, kritische Organe: Ganzkörper, Körperflüssigkeiten. • Kohlenstoff-14 (C 14) Beta-Strahlung 0,2 MeV; Tochternuklid: Stickstoff-14 (stabil); physikalische Halbwertszeit: 5730 Jahre, kritisches Organ: Ganzkörper • Phosphor-32 (P 32) Beta-Strahlung 1,7 MeV; Tochternuklid: Schwefel-32 (stabil); physikalische Halbwertszeit:14,3 Tage, kritische Organe: Knochen, Ganzkörper, Hirn, Leber. • Schwefel-35 (S 35) Beta-Strahlung 0,2 MeV; Tochternuklid: Chlor-35 (stabil); physikalische Halbwertszeit: 87,5 Tage kritische Organe: Haut, Hoden, Knochen, Ganzkörper. 171 • Kobalt-60 (Co 60) Beta-Strahlung 0,3 und 1,5 MeV, Gamma-Strahlung 1,2 und 1,3 MeV; Tochternuklid: Nickel-60 (stabil); physikalische Halbwertszeit: 5,27 Jahre, kritische Organe: Leber, Milz, Pankreas, Ganzkörper. • Krypton-85 (Kr 85) Beta-Strahlung 0,7 MeV, kaum Gamma-Strahlung; Tochernuklid: Rubidium-85 (stabil); physikalische Halbwertszeit: 10,76 Jahre; keine Teilnahme am Stoffwechsel; kritische Organe: Haut (Submersion), Lunge, Blut, Fettgewebe, Ganzkörper (Inhalation). • Strontium-89 (Sr 89) Beta-Strahlung 1,5 MeV, kaum Gamma-Strahlung; Tochternuklid: Yttrium-89 (stabil). • Strontium-90 (Sr 90) Beta-Strahlung 0,5 MeV; Tochternuklid: Yttrium-90 (radioaktiv); physikalische Halbwertszeit: 50,5 Tage (Sr 89), 28,5 Jahre (Sr 90) kritische Organe: Knochen, Ganzkörper. • Yttrium-90 (Y 90) Beta-Strahlung 2,3 MeV, Gamma-Strahlung 0,2 und 0,48 MeV, Tochternuklid des Strontium-90, physikalische Halbwertszeit: 61,1 Stunden im Körper im Gleichgewicht mit Sr 90. • Ruthenium-103(Ru 103) Beta-Strahlung 0,2 und 0,7 MeV, Gamma-Strahlung 0,5 und 0,61 MeV; Tochternuklid: Rhodium-103 (stabil). • Ruthenium-106 (Ru 106) Beta-Strahlung 0,04 MeV; Tochternuklid: Rhodium-106 (radioaktiv, phys. Halbwertszeit 2,2 Stunden) physikalisch Halbwertszeit: 39,35 Tage (Ru 103), 368 Tage (Ru 106) kritische Organe: Knochen, Ganzkörper, Nieren. Beta-Strahlung 0,2 MeV, Gamma-Strahlung 0,04 MeV, Konversionselektronen; Tochternuklid: Xenon-129 (stabil). 172 • Iod-131 (1131) Beta-Strahlung 0,6 und 0,8 MeV, Gamma-Strahlung 0,28, 0,36 und 0,64 MeV; Tochternuklid: Xenon-131 (stabil); physikalische Halbwertszeit: 15,7 Millionen Jahre (1129), 8 Tage (I 131) kritisches Organ: Schilddrüse. • Xenon-133(Xe133) Beta-Strahlung 0,3 MeV, Gamma-Strahlung 0,08 MeV; Tochternuklid: Cäsium-133 (stabil); physikalisch Halbwertszeit: 5,25 Tage keine Teilnahme am Stoffwechsel; kritische Organe: Haut (Submersion), Lunge, Ganzkörper (Inhalation). • Cäsium-134(Cs134) Beta-Strahlung 0,7 MeV, Gamma-Strahlung 0,6 und 0,79 MeV; Tochternuklid: Barium-134 (stabil). • Cäsium-137(Cs137) Beta-Strahlung 0,5 und 1,2 MeV, Gamma-Strahlung 0,66 MeV aus dem angeregten Zustand des Tochternuklids (Barium-137m), das mit einer Halbwertszeit von 2,55 Minuten in den Grundzustand übergeht; Tochternuklid: Barium-137 (stabil); physikalische Halbwertszeit: 2,06 Jahre (Cs 134), 30,17 Jahre (Cs 137) kritische Organe: Ganzkörper, Muskel, Leber. • Cer-144(Ce144) Beta-Strahlung 0,3 MeV, Gamma-Strahlung 0,08 und 0,13 MeV; Tochternuklide: Zerfall über Praseodym-144 (Beta-Strahler, Halbwertszeit 17,3 Minuten) zum Neodym-144, einem natürlich vorkommenden praktisch stabilen Alpha-Strahler (Halbwertszeit 2,1 Billiarden Jahre); physikalische Halbwertszeit: 284,8 Tage kritische Organe: Knochen, Nieren, Ganzkörper, Leber. • Die Actinidenelemente wichtig sind besonders Plutonium, Neptunium, Americium und Curium meist Alpha-Strahler. Kritische Organe: bei Inhalation Lunge, Lymphknoten und Knochen, bei Ingestion Knochen, Leber und Lymphknoten. 173 Aus den Daten über die Ableitung radioaktiver Stoffe mit Fortluft oder Abwasser aus kerntechnischen Anlagen lässt sich die Strahlenexposition der Bevölkerung in der Umgebung der Anlagen abschätzen. Dazu wird die Exposition für eine fiktive Referenzperson an den ungünstigsten Einwirkstellen gemäß Anlage VII, Teil A bis C der Strahlenschutzverordnung ermittelt, um sicherzustellen, dass der so ermittelte Referenzwert die reale Strahlenexposition von Einzelpersonen der Bevölkerung selbst im ungünstigsten Fall nicht unterschätzt. Für das Jahr 2004 wurden unter diesen Annahmen folgende Strahlenexpositionen in der Umgebung von Atomkraftwerken durch die Ableitung radioaktiver Stoffe mit der Fortluft oder mit dem Abwasser ermittelt*) (/BMU04/): *) Werte < 0,1 µSv werden im Balkendiagramm als 0,1 µSv wiedergegeben. Abb. 4.16 Strahlenexposition für das Jahr 2004 in der Umgebung von Kernkraftwerken durch Ableitung radioaktiver Stoffe mit der Fortluft für eine Referenzperson unter ungünstigsten Bedingungen (aus /BMU-04/) 174 *) Werte < 0,1 µSv werden im Balkendiagramm als 0,1 µSv wiedergegeben. Abb. 4.17 Strahlenexposition für das Jahr 2004 in der Umgebung von Kernkraftwerken durch Ableitung radioaktiver Stoffe mit dem Abwasser für eine Referenzperson unter ungünstigsten Bedingungen (aus /BMU-04/) Die Abb. 4.16 und 4.17 zeigen als größten Wert für die effektive Jahresdosis 3 µSv für Erwachsene bzw. 5 µSv für Kleinkinder beim Kernkraftwerk Philippsburg, jeweils bedingt durch Ableitung radioaktiver Stoffe mit der Fortluft. Die entsprechenden Werte aus den Ableitungen radioaktiver Stoffe mit dem Abwasser sind meist geringer. Der größte daraus resultierende Wert der effektiven Dosis beträgt 1,3 µSv für Kleinkinder am Standort Emsland. Ähnliche Werte erhält man auch für einschlägige Forschungszentren, wobei für 2004 der höchste Referenzwert der effektiven Dosis infolge Ableitung radioaktiver Stoffe mit der Fortluft mit 5 µSv für Erwachsene bzw. 8 µSv für Kleinkinder für das Forschungszentrum Jülich angegeben wird. Für die Ableitung radioaktiver Stoffe über das Abwasser weist das Forschungszentrum Rossendorf mit 22 µSv effektive Dosis für Erwachsene den höchsten errechneten Wert der betrachteten Forschungszentren auf. 175 Für die Kernbrennstoff verarbeitenden Betriebe in Deutschland wird für 2004 als ungünstigster Referenzwert der effektiven Dosis infolge Ableitung radioaktiver Stoffe mit der Fortluft 3 µSv für Kleinkinder bzw. 1 µSv für Erwachsene beim Betrieb NUKEM in Hanau angegeben. Die durch Ableitungen von Alphastrahlern mit dem Abwasser bedingten Werte lagen in diesen Fällen jeweils bei weniger als 0,1 µSv effektive Dosis. Für das Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben führt die Ableitung radioaktiver Stoffe mit der Abluft im Jahr 2004 unter den erwähnten ungünstigen Annahmen zu einer effektiven Dosis von 0,2 µSv für eine erwachsene Referenzperson, für Kleinkinder (Altersgruppe 1 bis 2 Jahre) bzw. für mit Muttermilch ernährte Säuglinge liegen die Werte bei 0,4 bzw. 1,2 µSv pro Jahr. Die entsprechenden Werte infolge Ableitung mit dem Abwasser liegen in allen diesen Fällen unter 0,1 µSv pro Jahr. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Strahlenexposition durch reguläre Ableitungen radioaktiver Stoffe aus kerntechnischen Anlagen weniger als 10 µSv effektive Dosis pro Jahr für die Bewohner in der Nähe der Anlagen beträgt und damit deutlich kleiner ist als es der Schwankungsbreite der natürlichen Strahlenexposition in Deutschland entspricht. Strahlenexposition durch den Reaktorunfall von Tschernobyl Die Strahlenexposition durch die beim Reaktorunfall in Tschernobyl in Deutschland deponierten Radionuklide rührt heute fast ausschließlich von Cäsium-137 mit 30 Jahren Halbwertzeit her, die Radionuklide mit kürzerer Halbwertzeit sind schon weitgehend zerfallen. Das Bundesamt für Strahlenschutz kalkuliert mit einer externen Strahlenexposition von etwa 10 µSv effektive Dosis für das Jahr 2004 durch das im Boden deponierte Cs-137. Die Abschirmwirkung der Wände bei Aufenthalt in Gebäuden ist in dieser Abschätzung bereits berücksichtigt. Zur Abschätzung der Dosis infolge des mit der Nahrung aufgenommenen Cs-137 (Ingestion) wurden in Deutschland 176 verzehrsfertige Menüs aus Kantinen, Heimen, Gaststätten und Krankenhäusern hinsichtlich ihres Aktivitätsgehalts vermessen. Mit knapp 1,5 µSv effektive Dosis pro Jahr ist dieser Beitrag vergleichsweise gering. In Gebieten mit höherer Radionukliddeposition nach dem Unfall, wie man sie südlich der Donau findet, können diese Werte bis zu einer Größenordnung höher sein. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über den zeitlichen Verlauf der mittleren effektiven Dosis in Deutschland durch den Reaktorunfall in Tschernobyl. Jahr 1986 1987 1988 1989 1990 19911993 1994 19951999 20002003 Strahlenexposition extern (mSv/a) ca. 0,07a) ca. 0,03 ca. 0,025 ca. 0,02 ca. 0,02 < 0,02 Strahlenexposition intern (mSv/a) ca. 0,04b) ca. 0,04c) ca. 0,015d) ca. 0,01 < 0,01 < 0,01 gesamte Strahlenexposition ca. 0,11 ca. 0,07 ca. 0,04 ca. 0,03 ca. 0,025 ca. 0,02e) < 0,02 < 0,015 < 0,01 < 0,001 < 0,02 < 0,02 < 0,01 0,001 < 0,015 Tab. 4.3 Mittlere effektive Dosis durch den Reaktorunfall in Tschernobyl für Erwachsene in Deutschland in verschiedenen Zeiträumen (aus /BMU-03/) a) Im Münchner Raum um etwa den Faktor 4, im Berchtesgadener Raum um etwa den Faktor 10 höher; dies gilt in etwa auch für die folgenden Jahre b) In Bayern um etwa den Faktor 4, in Südbayern um etwa den Faktor 6 höher c) In Bayern um etwa den Faktor 3, in Südbayern um etwa den Faktor 6 höher d) Die regionalen Unterschiede sind nicht mehr so stark ausgeprägt wie in den Vorjahren e) Die mittlere effektive Dosis wird ab 1991 fast ausschließlich durch die Bodenstrahlung des deponierten Cs-137 verursacht 177 Für einzelne Personen kann die individuelle Dosis insbesondere im südbayerischen Raum nach wie vor die in der Tabelle angegebenen Werte beträchtlich überschreiten. So wurden auch 2003 in einzelnen Nahrungsmitteln wie Blütenhonig, Waldbeeren oder Pilzen Cäsium-137-Aktivitäten von einigen hundert Becquerel pro Kilogramm Frischmasse nachgewiesen, der Mittelwert von im Rahmen eines BMUForschungsvorhabens analysierten 45 Wildschweinproben aus dem Bayerischen Wald lag sogar bei 3.900 Bq/kg Muskelfleisch, wobei Werte über 600 Bq/kg nicht mehr verkehrsfähig sind. Der Verzehr eines Nahrungsmittels mit einer Aktivität von 1.000 Becquerel Cs-137 würde zu einer effektiven Dosis von etwa 13 Mikrosievert insgesamt führen (d.h. auf die gesamte Lebenszeit hochgerechnet). Der Strontium-90-Gehalt der Nahrungsmittel blieb in letzter Zeit ziemlich konstant und verursachte eine effektive Dosis von ca. 2 µSv pro Jahr, wobei dieses Radionuklid zu mehr als 90 Prozent aus oberirdischen Kernwaffenversuchen der Fünfziger und Sechziger Jahre stammt und nur zu einem kleinen Teil aus dem Reaktorunfall von Tschernobyl. Strahlenexposition durch den Transport von radioaktiven Stoffen (Castor) Der Transport von radioaktiven Stoffen unterliegt strengen Bestimmungen hinsichtlich der zulässigen Strahlenexposition sowohl für die Bevölkerung als auch für das Begleitpersonal. Abgebrannte Brennelemente aus einem Kernreaktor, die in eine Zwischen- oder Endlagerstätte bzw. in eine Wiederaufbereitungsanlage transportiert werden, stellen die am stärksten emittierenden radioaktiven Frachten dar. Ihr Transport erfolgt in speziell konstruierten unfallsicheren Transportbehältern (z. B. CASTOR – Cask for Storage and Transport of Radioactive Material), die extremen mechanischen und thermischen Belastungen standhalten und strengen Sicherheitsanforderungen genügen müssen. Weiters darf in zwei Metern Abstand von der Fahrzeugoberfläche die Dosisleistung 0,1 mSv effektive Dosis pro Stunde nicht überschreiten, wobei die tatsächlich gemessenen Werte in der Regel eine Größenordnung unter diesem Grenzwert lagen. In umfangreichen Messkampagnen wurde die Personendosis von mehr als 1.000 Personen der Polizei- und Si178 cherheitskräfte während ihres Einsatzes bei CASTORTransporten ermittelt, keiner der Messwerte fand sich oberhalb der Nachweisgrenze des Personendosimeters von 0,1 mSv. Lediglich bei Dosimetern, die einige Stunden direkt an der Oberfläche des Containers fixiert waren, wurden Werte über der Nachweisgrenze registriert. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass nach bisher vorliegenden Ergebnissen und Sicherheitsanalysen beim Transport von radioaktiven Brennelementen keine nennenswerten Strahlenexpositionen für die polizeilichen Sicherheitskräfte oder die Bevölkerung aufgetreten sind und die Dosen für alle Beteiligten deutlich unter den vorgeschriebenen Grenzwerten lagen. Strahlenexposition durch Quellen in Industrie, Wissenschaft und Medizin In der Industrie kommen vor allem umschlossene radioaktive Quellen als auch Röntgenanlagen oder Beschleuniger zum Einsatz. Laut UNSCEAR /UNS-00/ ist die Strahlenexposition für die Beschäftigten generell gering. Im Folgenden sollen einige Anwendungsgebiete genannt werden. - Bestrahlungsanlagen Besonders hohe Dosen sind zur Sterilisation von medizinischen und pharmazeutischen Produkten erforderlich. Meist werden in Gamma-Bestrahlungsanlagen 60Co- oder 137CsQuellen verwendet, wobei die Bestückung der Anlagen wegen der extremen Dosen in unmittelbarer Umgebung der Quellen unter ganz speziellen Abschirm- und redundant ausgelegten Sicherheitseinrichtungen zu erfolgen hat. Der Betrieb selbst benötigt nur wenig Bedienpersonal, die Strahlenexposition ist niedrig. - Zerstörungsfreie Materialprüfung Die zerstörungsfreie Materialprüfung verwendet sowohl umschlossene radioaktive Quellen als auch Röntgenanlagen. Spezielle Sicherheitsvorschriften und Schutzmaßnahmen gewährleisten bei korrekter Handhabung, dass die Strahlenexposition des Personals sowohl bei fest installierten Anlagen als auch beim variablen Einsatz auf Bau- oder Monta179 gestellen im üblichen niedrigen Dosisbereich für beruflich strahlenexponierte Personen liegt. - Leuchtziffern (Lumineszenz) Radioaktive Stoffe in Lumineszenzmaterialien für Leuchtziffern stellen eine der ältesten Anwendungsgebiete ionisierender Strahlung dar. Im Gegensatz zu früher, als man Radium unter absolut unzureichenden Sicherheitsvorkehrungen gehandhabt hat, trägt dieser Industriezweig heute kaum noch zur Strahlenexposition des Personals bei. Meist verwendet man Tritium-haltige Leuchtfarben oder Tritium als Gas eingeschlossen in mit phosphoreszierendem Material ausgekleidetem Glas, die jedoch im Konsum-Bereich in Deutschland nicht zugelassen sind. - Radioisotope – Produktion und Versand Radioisotope finden in vielen Industriezweigen Anwendung, zum Beispiel für Füllstands- oder Schichtdickenmessungen oder zur Präzisionsuntersuchung des Verschleißes von Maschinenteilen nach radioaktiver Markierung ihrer Oberfläche. Die Strahlenexposition der in Produktion und Versand Beschäftigten stammt größtenteils von außen, in Einzelfällen ist die Inkorporation von Radionukliden von Bedeutung. - Bohrlochmessungen („Well Logging“) Für geophysikalische Bohrlochmessungen kommen sowohl Gammastrahler als auch Neutronenquellen zum Einsatz. Wenngleich für dieses Einsatzgebiet keine detaillierten Angaben der Einzeldosen vorliegen, kann der Beitrag zur von der Industrie verursachten Strahlenexposition auf weniger als 10 % geschätzt werden. /UNS-00/ - Beschleuniger Der Hauptbeitrag zur Strahlenexposition von Beschleunigern im Forschungsbereich entstammt den Aktivierungsprodukten in der unmittelbaren Umgebung der Targets. Die größten Dosen treten bei der Wartung, Reparatur oder bei Umbauten der Anlagen auf. - Medizinische Strahlenexposition Betrachtet man die im medizinischen Bereich applizierte Dosis, so muss man zweifelsfrei die Strahlentherapie an erster Stelle nennen. Die Anwendung der Strahlentherapie be180 schränkt sich auf einen kleinen, schwer erkrankten Teil der Bevölkerung*) mit dem Ziel, durch hohe Dosen im Tumorbereich die bösartig veränderten Zellen zu zerstören. Da bei derart hohen Dosen eindeutig die deterministische Wirkung im Vordergrund steht, verliert das Konzept der effektiven Dosis, das ausschließlich auf stochastische Schäden abzielt, seine Gültigkeit. Eine Mittelung der therapeutisch verabreichten Dosen über die Gesamtbevölkerung ist daher nicht geeignet, die therapeutische Strahlenexposition zu charakterisieren. Dies gilt nicht für die Anwendung ionisierender Strahlung im Rahmen der Diagnostik. Für Röntgenuntersuchungen oder in der nuklearmedizinischen Diagnostik kann man aus der effektiven Dosis einen vernünftigen Anhaltspunkt zum Vergleich der strahlenbedingten Risiken ableiten. Der entscheidende Vorteil der effektiven Dosis besteht zweifelsfrei darin, Teilkörperexpositionen mit unterschiedlichen Expositionsbedingungen, wie sie in der Röntgen- oder nuklearmedizinischen Diagnostik vorliegen, mit einer Dosisangabe charakterisieren und hinsichtlich des Risikos vergleichen zu können, wenngleich das Konzept der effektiven Dosis nicht vorbehaltlos anzuwenden ist. So kann das Konzept nicht den mitunter für den Behandlungserfolg entscheidenden Nutzen der jeweiligen Untersuchung berücksichtigen. Ebenso findet die unterschiedliche Altersverteilung von medizinisch strahlenexponierten Patienten und der Gesamtbevölkerung im Konzept der effektiven Dosis keine Entsprechung, genauso wie die Tatsache, dass viele (oft dosisintensive) Untersuchungen vornehmlich schwer kranke Personen betreffen, für die das strahlenbedingte Krebsmortalitätsrisiko angesichts ihres krankheitsbedingten Sterberisikos und der langen Latenzzeiten bis zum Auftreten der meisten Malignome deutlich geringer ist als bei der gleichen Altersgruppe der Normalbevölkerung. Diese Aspekte dürfen insbesondere beim Vergleich der auf die Gesamtbevölkerung umgelegten Do- *) In Deutschland werden etwa 220.000 Personen jährlich mit ionisierender Strahlung behandelt, ca. 20.000 davon durch Brachytherapie (Bezugsjahr 2001) 181 sen der medizinischen Strahlenexposition und der natürlichen Umgebungsstrahlung nicht unbeachtet bleiben. Der folgenden Tabelle 4.4 sind typische Dosiswerte für häufige Röntgenuntersuchungen zu entnehmen. Die Werte beziehen sich auf einen Standardpatienten von 70 kg ± 5 kg, dickere Patienten haben bei Untersuchungen im Körperstammbereich mit höheren Dosen zu rechnen, entsprechend einer Halbwertschichtdicke von etwa 3 cm bezogen auf Weichteilgewebe und typische Röntgenstrahlenqualitäten im Diagnostikbereich. Untersuchungsart Effektive Dosis [mSv] Untersuchungen mit Röntgenaufnahmen Zahnaufnahme d 0,01 Extremitäten (Gliedmaßen) 0,01–0,1 Schädelaufnahme 0,03–0,1 Halswirbelsäule in 2 Ebenen 0,1–0,2 Brustkorb (Thorax), 1 Aufnahme 0,02–0,08 Mammographie beidseits in je 2 Ebenen 0,2–0,6 Brustwirbelsäule in 2 Ebenen 0,5–0,8 Lendenwirbelsäule in 2 Ebenen 0,8–1,8 Beckenübersicht 0,5–1,0 Bauchraum (Abdomenübersicht) 0,6–1,1 Röntgenuntersuchungen mit Aufnahmen und Durchleuchtung Magen 6–12 Darm (Dünndarm bzw. Kolonkontrast10–18 einlauf) Galle 1–8 Harntrakt 2–5 Bein-Becken-Phlebographie 0,5–2 Arteriographie und Interventionen 10–30 CT-Untersuchungen Kopf 2–4 Wirbelsäule / Skelett 2 –11 Brustkorb (Thorax) 6–10 Bauchraum (Abdomen) 10 –25 Tab. 4.4 Bereiche mittlerer Dosiswerte einiger Röntgenuntersuchungen (bezogen auf Standardpatienten von 70 ± 5 kg Körpergewicht) (aus /BMU-03/) 182 Im Jahr 2001 wurden in Deutschland etwa 147 Millionen Röntgenuntersuchungen durchgeführt, womit die Anzahl der Untersuchungen seit 1996 annähernd konstant bei etwa 1,8 Untersuchungen pro Einwohner geblieben ist. Ebenso lässt die relative Häufigkeit der verschiedenen Untersuchungsverfahren nur wenig Veränderung erkennen, wobei in den vergangenen Jahren eine stete Zunahme der CT-Untersuchungen um etwa 7 % pro Jahr sowie ein geringer Rückgang der konventionellen Untersuchungen im Bauchraum am auffälligsten waren. Auf die Bevölkerung hochgerechnet liegt die effektive Dosis durch röntgendiagnostische Maßnahmen bei 1,8 mSv pro Jahr und Einwohner (Bezugsjahr 2001). Die folgenden Abbildungen zeigen die Häufigkeit der einzelnen Röntgenuntersuchungen sowie den Anteil an der kollektiven effektiven Dosis in Deutschland für das Jahr 2001. Arteriographie, Mammo- Intervention 2% graphie 5% CT 6% Verdauungsu. Harntrakt 4% Zähne 34 % Sonstige 3% Thorax 15 % Skelett 35 % Abb. 4.18 Relative Häufigkeit von Röntgenuntersuchungen in Deutschland 2001 183 VerdauungsZähne u. Harntrakt 0,2 Thorax 11 % % Mammogra9 % Skelett Sonstige phie 2 % 11 % 2% Arteriographie, Intervention 18 % Computer-Tomographie 47 % Abb. 4.19 Relativer Anteil an der kollektiven effektiven Dosis von Röntgenuntersuchungen in Deutschland 2001 Für die meisten nuklearmedizinischen Untersuchungen werden vom Bundesamt für Strahlenschutz mittlere effektive Dosen zwischen 5 mSv und 10 mSv angegeben (/BMU-02/), abgesehen von Nierenuntersuchungen (0,7 mSv) und Schilddrüsenszintigraphien (0,9 mSv). Im Bericht /UNS-00/ finden sich etwas niedrigere Werte. In den Jahren 1996 bis 2000 wurden etwa 47 nuklearmedizinische Untersuchungen pro 1.000 Einwohner jährlich durchgeführt mit einer hochgerechneten effektiven Dosis von 0,14 mSv pro Jahr und Einwohner. Die nominelle Strahlenexposition der Bevölkerung in Deutschland durch Röntgendiagnostik und nuklearmedizinische Untersuchungen lässt sich damit auf etwa 1,9 mSv effektive Dosis jährlich pro Einwohner schätzen. Berufliche Strahlenexposition Gemäß § 40 der Strahlenschutzverordnung bzw. § 35 der Röntgenverordnung unterliegen alle Personen, die mit radioaktiven Stoffen umgehen, Röntgenstrahlen anwenden oder an anderen Anlagen zur Erzeugung ionisierender Strahlung tätig sind und sich dabei im Kontrollbereich aufhalten, der physikalischen Strahlenschutzüberwachung. In der Regel erfolgt die Strahlenschutzüberwachung durch Personendosimeter, die von amtlichen Personendosismessstellen ausgegeben und ausgewertet werden. Besteht die Möglichkeit der Inkorporation radioaktiver Stoffe, kann die 184 effektive Dosis durch spezielle Messverfahren wie Ganzkörperzähler oder Ausscheidungsmessungen ermittelt werden. Im Jahr 2004 lag der Jahresmittelwert der mehr als 313.000 in Deutschland überwachten Personen bei 0,13 mSv, für mehr als 262.000 der Überwachten war keine Dosis nachweisbar. Das folgende Diagramm (Abb. 4.20) gibt einen Überblick über die Verteilung der Jahrespersonendosen der beruflich strahlenexponierten Personen einschließlich des fliegenden Personals für das Jahr 2004 (/BMU-04/) Abb. 4.20 Verteilung der Jahrespersonendosen beruflich strahlenexponierter Personen im Jahr 2004 4.4 Problematik epidemiologischer Studien zur Strahlenexposition der Bevölkerung (FallKontroll-Studien) Epidemiologie beschäftigt sich mit der wissenschaftlichen Untersuchung von Faktoren, die die Gesundheit (z. B. toxische Stoffe, ionisierende Strahlung) und die Krankheit (z. B. Suche nach optimalen Heilverfahren) von Individuen und von menschlichen Populationen beeinflussen können. Sie dient als Grundlage für Interventionen im Interesse der öffentlichen Gesundheit und der Vorsorgemedizin, aber auch 185 der Verbesserung von medizinischen diagnostischen und therapeutischen Verfahren. Epidemiologen versuchen deshalb u. a. möglichst unverfälschte Beziehungen zwischen einer vorherigen Exposition durch eine toxische Substanz, ein Spektrum von Nahrungsmittel, von Stressfaktoren, Viren, ionisierende Strahlung, einem Medikament, einer Therapiemaßnahme, etc. und gesundheitlichen Konsequenzen zu erkennen. Die dabei durchgeführten Studienarten können als beschreibend, analytisch oder experimentell klassifiziert werden. Epidemiologen arbeiten immer in einem Dreieck aus a) betrachteter Person, b) Agens und c) Umwelt um diese Person. Nicht immer lassen sich diese drei Punkte eindeutig voneinander trennen. So wird z. B. ein Zigaretten(Agens)raucher nicht nur die Verdickung seiner (Person) Schleimschicht in der Lunge bewirken, sondern auch durch die emittierten Aerosolteilchen in seiner Umwelt die Exposition durch partikelgebundene Radonfolgeprodukte verändern. Es gibt verschiedene Arten von epidemiologischen Studien, für die es wissenschaftliche Standards gibt. Bei so genannten Fall-Kontrollstudien werden zu jeder erkrankten Person ein bis zwei Kontrollpersonen nach dem Zufallsprinzip gesucht, die aber im Alter, Geschlecht und anderen wichtigen Faktoren sehr ähnlich sind. Für die mathematische Korrelationsrechnung muss die Exposition der Individuen bekannt sein. Bei Kohortenstudien vergleicht man Bevölkerungsgruppen, von denen eine Gruppe als belastet oder exponiert bezeichnet wird. Betrachtet man einen zurückliegenden Zeitraum, spricht man von retrospektiven Studien, bei denen die methodische Schwierigkeit in der Erfassung der Exposition liegt. Bei prospektiven Studien kann die Exposition für die kommende Zeit genau bestimmt werden, aber das Personenkollektiv kann sich ändern. Der "Gold-Standard" eines Studiendesigns ist die doppelt blinde, prospektive, randomisierte Kontrollstudie. Dieser wird gefolgt von der Kohortenstudie. Um aber mit einer dieser beiden Methoden bei sehr seltenen Ereignissen zu statistisch signifikanten Fallzahlen zu kommen, werden sehr große Populationen benötigt (in der außergewöhnlich großen und lang andauernden Kohortenstudie der Atombombenüberlebenden von Hiroshima und 186 Nagasaki sind in einer Population von etwa 80 000 Überlebenden in den über 50 Beobachtungsjahren bislang gerade etwas über 500 zusätzliche Krebsfälle aufgetreten für beide Städte, beide Geschlechter, alle Jahre seit der Exposition, alle Tumorarten und alle Geburtsjahrgänge). Wenn die Entwicklung des Gesundheitseffektes eine lange Zeit benötigt, müssen diese großen Populationen über eine lange Zeit wissenschaftlich beobachtet werden. Dies kann auch zu vielen "Verlusten" (z. B. durch unbekanntem Verzug) führen. Epidemiologische Studien, die über viele Beobachtungsjahre mit großen Kollektiven durchgeführt werden, führen zu hohen Gesamtkosten. Schneller und viel billiger sind da Fall-Kontroll-Studien. Hierbei handelt es sich um rückblickende (retrospektive) Untersuchungen einerseits einer Stichprobe erkrankter Personen (Fälle) und andererseits einer Stichprobe gesunder Personen (Kontrollen), die ansonsten in möglichst allen anderen relevanten Werten/Eigenschaften mit den Werten/Eigenschaften der jeweils zugeordneten Fallperson übereinstimmen sollten. Für beide Personengruppen wird nun untersucht, ob in der Vergangenheit Unterschiede in der Art und dem Ausmaß der Exposition durch ein hypothetisches Agens vorlagen. Dies sollten möglichst die einzigen Unterschiede sein. Finden sich signifikante Unterschiede, kann eine Korrelation/Assoziation zwischen dem Risiko-Agens und der Erkrankung vorliegen. Man darf allerdings deswegen keinesfalls auf eine Ursache-Wirkungs-Beziehung für dieses Agens und diese Erkrankung schließen. Allenfalls sollten dann robustere und umfassendere Studien der beiden weiter oben genannten Arten zu diesem Thema durchgeführt werden, um den Verdacht zu erhärten oder entkräften. Fall-Kontroll-Studien haben zu einer Reihe wichtiger epidemiologischer Entdeckungen und Fortschritte geführt. Das klassische Beispiel für eine erfolgreiche Fall-Kontroll-Studie ist die Aufdeckung der Korrelation zwischen Zigarettenrauchen und Lungenkrebs durch Sir Richard Doll (Doll u. Hill, 1954). Mittels einer Fall-Kontroll-Studie konnte Doll eine statistisch signifikante Assoziation zwischen beiden feststellen. Aber erst die Ergebnisse einer daraufhin durchgeführten prospektiven doppelten Blindstudie ergab die notwendige 187 Sicherheit über diese Ursache-Wirkungsbeziehung, die für ernste Schlussfolgerungen aus diesem Verdacht unbedingt nötig war. Die Verdienste von Fall-Kontroll-Studien durch Hinweise auf Assoziationen, zu denen genauere Studien durchgeführt werden sollten, haben aber leider auch zu unberechtigt großem Vertrauen in ihre Aussagekraft und in der Folge auch zu einem Verlust ihrer Glaubwürdigkeiten geführt hat (z. B. bei Studien zu Hormonersatztherapie und Herzkreislauferkrankungen (Lawlor et al. 2004, Pettiti 2004, Stampfer et al. 2004), Sicherheitsgewinn durch Fahrradhelme). Schuld haben wohl hauptsächlich Missverständnisse über die Natur und Grenzen (z. B. wegen des Einflusses der durchführenden Person bei Spezifikationen, investigation, selection and recall biases) eines derartigen Studiendesigns. In dieser Stelle soll kurz die Problematik in epidemiologischen Studien betrachtet werden, die in der Quantifizierung der Strahlenexposition (und nicht die der Strahlenwirkung) bestehen und dies insbesondere für Fall-Kontroll- Studien. Strahlenepidemiologische Studien wurden durchgeführt für eine Vielzahl exponierter Gruppen (UNSCEAR 2000) u. a. - der Atombombenüberlebenden von Hiroshima und Nagasaki, - der beruflich strahlenexponierten Radiologen, - der beruflich strahlenexponierten Arbeiter in vielen kerntechnischen Anlagen , - von durch den Reaktorunfall von Tschernobyl höher exponierten Arbeitern und Personen in der allgemeinen Bevölkerung, - von Bevölkerungsgruppen, die höher dem natürlichen Edelgas Radon und seinen Folgeprodukten exponiert sind, - von Bevölkerungsgruppen, die im Bereich des russischen Flusses Techa gelebt haben, in den nach dem Zweiten Weltkrieg für längere Zeit größere Mengen an Radioaktivität aus der Wiederaufarbeitungsanlage MAJAK abgeleitet wurden, - von weiteren Bevölkerungsgruppen, die in Bereichen gelebt haben in denen die Explosion eines großen Lager188 tanks bei Kyschtym am 29.09.1957 und die Verteilung von Radionukliden durch einen Wirbelwind aus dem vertrockneten See Karachay (benutzt als offene Deponie für radioaktives Material) im Sommer 1967 zur Kontaminierung von Tausenden von Quadratkilometern und geringfügiger Exposition von Hunderttausenden von Menschen geführt hat, - von Bevölkerungsgruppen, die um tatsächliche oder geplante Standorte von kerntechnischen Anlagen leben, - von Personen, die aus diagnostischen Gründen mit Röntgenstrahlung oder Radioisotopen medizinisch untersucht wurden, - von Personen, die aus therapeutischen Gründen mit externer ionisierender Strahlung oder mit Radionukliden exponiert wurden, - etc., etc. Zumeist waren die Häufigkeiten von Krebs- und Leukämieerkrankungen die studierten Wirkungen, aber auch andere medizinische Endpunkte (fruchtschädigende – teratogene – Wirkungen, nicht-Krebserkrankungen, Lebenserwartung) wurden vereinzelt epidemiologisch untersucht. In praktisch allen Fällen mussten retrospektiv die früheren externen und internen Strahlenexpositionen für viele Personen möglichst genau abgeschätzt werden. Zu diesem Themenkreis und über die in der Praxis erreichbare Genauigkeit hat die ICRU für die verschiedensten wissenschaftlichen Möglichkeiten (Orts-, Personen-, biologische Dosimetrie, radioökologische Rechenmodelle, etc.) einen ausführlichen Bericht veröffentlicht (ICRU 2002). Dabei ist sie zu dem Ergebnis gekommen, dass derartige retrospektive Abschätzungen der individuellen Strahlenexpositionen insbesondere in dem Fall niedriger, zusätzlicher externer Strahlenexpositionen mit sehr großen Unsicherheiten verbunden sein können. Für den Fall interner Strahlenexpositionen ergibt sich eine noch größere Unsicherheit durch die Tatsache, dass zum einen die von der ICRP für Referenzpersonen publizierten Dosis-Konversions-koeffizienten für Inhalation und Ingestion für viele Radionuklide von Tierdaten ausgehend für den Menschen geschätzt werden müssen und zum zweiten hier eine noch größere individuelle natürliche Variabilität im 189 Metabolismus als in der Geometrie bei der externen Bestrahlung besteht. Außerdem bestehen über die Höhe der Aufnahmerate verschiedener Nahrungsmittel und deren Herkunftsorte in längst vergangenen Zeiten, sowie über die örtlichen Aufenthaltsgewohnheiten sehr große Quantifizierungsunsicherheiten. Für das für die Bevölkerung wichtige, überall vorkommende (ubiquitäre) Agens Radon (7) und seine Folgeprodukte ergeben sich zusätzliche messtechnische Schwierigkeiten. Üblicherweise können nur ortsdosimetrische Daten für Konzentrationen an natürlichem Edelgas Radon erhoben werden und dies meist nicht einmal für die Zeit der täglich ca. 10 Stunden Aufenthalt außerhalb des eigenen Hauses. Für die epidemiologischen Studien wären aber individuelle Personendosen durch die an den Aerosolteilchen der Atemluft anhaftenden und nicht anhaftenden (unattached fraction) Folgeprodukte seines radioaktiven Zerfalls nötig. Letztere zeichnen nach mechanistischen Organ-Dosisabschätzungen für ca. 90 % der Lungenexposition verantwortlich, das Gas nur für ca. 10 %. Das Verhältnis von Gas- zu Folgeproduktkonzentration hängt u. a. vom Lüftungsverhalten in einem Raum, seiner Möblierung und der variablen Aerosol-Teilchen-Konzentration in der Luft, die durch Raucher (ca. 95 % der Lungenkrebserkrankungen treten bei Rauchern auf), Kerzen, Klimaanlagen, etc. stark beeinflusst wird. Für entsprechende Fall-Kontroll-Studien wären diese individuellen Expositionsdaten retrospektiv zumindest für die letzten dreißig Jahre, jeweils zu den damaligen Lebensbedingungen zu bestimmen. Darüber hinaus ist dabei eine Genauigkeit notwendig, die Unterschiede in zeitlich differentiellen und integralen Expositionen zu anderen Personen erkennen lassen würden. Die zeitliche Differenzierung ist auch deshalb notwendig, da gegenwärtig keine ausreichend abgesicherten theoretischen Strahlenkrebs-Entstehungsmodelle existieren, die die relative Gewichtung von historischen Expositionswerten hinsichtlich des zeitabhängigen Risikos einer Erkrankung eines exponierten Organs erlauben würden. Eine genaue Expositionsquantifizierung wäre nötig, da im Niedrigdosisbereich epidemiologische Studien zudem schon 190 durch kleine Unterschiede in den Parametern (wie z. B. genetischer Untergrund, Lebensweise, andere Agentien, etc.), die nicht gemessen werden, von höher und geringer exponierten Personen verfälscht werden können. Diese Personen führen jeweils ein normales Leben und leben nicht unter eng und stark kontrollierten experimentellen Bedingungen (z. B. "SPF" - specific pathogene free environment") in einem Labor. Deshalb haben Studien insbesondere im Niedrigdosisbereich ein großes Potential für falsch-negative oder falsch-positive Assoziationen und für eine substantielle Überschätzung der wahren Größe von Risiken (Land, 1980). Zusammenfassend ist festzustellen, dass es aus prinzipiellen Gründen, die zu einem großen Teil in der oben angesprochenen Problematik der methodisch unvermeidbaren (inhärenten) Unsicherheiten bei der Expositionsabschätzung liegen, nicht erwartet werden kann, dass die möglichen gesundheitlichen Wirkungen niedriger Strahlendosen (< 10 mSv) mit Hilfe von in diesem Dosis-Bereich durchgeführten epidemiologischen Studien quantifiziert werden können. Hier ist Fortschritt nur vom besseren mechanistischen Verständnis der molekularen, zellulären und systemaren Vorgänge in betroffenen Organen bei Störungen des Funktionsgleichgewichts (der Homöostase) durch niedrige Strahlendosen zu erhoffen. 191 4.5 Literatur: DOE-Low Dose Programme. http://lowdose.tricity.wsu.edu. EU-Low Dose Programme. http://www.riscrad.org. Bundesanzeiger (1990). Allgemeine Verwaltungsvorschrift zu § 45 StrlSchV: Ermittlung der Strahlenexposition durch die Ableitung radioaktiver Stoffe aus kerntechnischen Anlagen und Einrichtungen. BAnz (/BUA-90/) 64a: 1. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2002). Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung. Jahresbericht 2002 (/BMU-02/). Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2003). Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung. Jahresbericht 2003 (/BMU-03/). Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2004). Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung. Jahresbericht 2004 (Parlamentsbericht) (/BMU-04/). Doll, R. and A. B. Hill (1954). The mortality of doctors in relation to their smoking habits. Brit Med Journal 228: 1451-1455. Ehrhardt, J., J. Brown, et al. (1997). RODOS: Decisionmaking support for off-site emergency management after nuclear accidents. Kerntechnik 62: 122-128. International Commission on Radiological Protection (ICRP) (1987). Lung Cancer Risk from Indoor Exposure to Radon Daughters. ICRP Publication 50. Annals of the ICRP 17(1). Oxford, Pergamon Press. International Commission on Radiation Units and Measurements (ICRU) (2002). Retrospective Assessment of Exposure to Ionizing Radiation. ICRU Report 68. Bethesda, MD, USA. Jacob, P. (1991). Externe Strahlenexposition nach der Ablagerung künstlicher Radionuklide. Atomwirtschaft XXXVI: 328-331. Koelzer, W. (2006). Die Strahlenexposition des Menschen. Informationskreis Kernenergie. (/KOE-06/). http://www.kernenergie.de/documentpool/ik_strahlenexp_01 _2006zw.pdf. Berlin. 192 Land, C. E. (1980). Estimating cancer risks from low doses of ionizing radiation. Science 209: 1197-1203. Lawlor, D. A., G. D. Smith, et al. (2004). The hormone replacement: coronary heart disease conundrum: is this the death of observatorial epidemiology? Int J Epidermiology 33: 464-467. Matthies, M., K. Eisfeld, et al. (1982). Simulation des Transfers von Radionukliden in landeswirtschaftlichen Nahrungsketten. GSF-Bericht. Neuherberg, GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit: 882. Müller, H., G. Pröhl (1993). ECOSYS-87: A Dynamic Model for Assessing Radiological Consequences of Nuclear Accidents. Health Physics 64(3): 232-252. Pettiti, D. (2004). Hormone replacement therapy and coronary heart disease. Int J Epidemiology 33: 461-463. Stampfer, M., G. Colditz (2004). Estrogen replacement therapy and coronary heart disease: a quantitative assessment of the epidemiological evidence. Int J Epidemiology 33: 445-453. United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation (UNSCEAR) (2000). Sources and Effects of Ionizing Radiation, Epidemiological evaluation of radiation- induced cancer. UNSCEAR 2000 Report 2, Annex I. New York, USA, United Nations: 297-450. Seelmann-Eggebert, W., et. al. (1981). Nuklidkarte, 5. Auflage. Karlsruhe, Kernforschungszentrum. United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation (UNSCEAR) (2000). Sources and Effects of Ionizing Radiation, Report to the General Assembly (/UNS-00/). New York. Zähringer, M., G. Pfister (1998). Representativeness and comparability of dose rate measurements: Description of site-specific uncertainties and data bias. Kerntechnik 63: 178-184. 193 5. 5.1 Strahlenschutz und gesetzliche Vorschriften Planung und Durchführung des praktischen Strahlenschutzes Der Zweck des Strahlenschutzes ist es, die Exposition von Mensch und Umwelt mit ionisierender Strahlung so gering wie möglich zu halten. Insbesondere hat der Betreiber einer Anlage, in der mit radioaktiven Substanzen umgegangen wird, dafür Sorge zu tragen, dass die Radionuklide nicht in die Umwelt gelangen. Schutz vor äußerer Exposition Die wichtigsten Verhaltensregeln zur Verringerung der äußeren Strahlenexposition sind die drei „A“ des Strahlenschutzes: - Abstand - Abschirmung - Aufenthaltszeit im Strahlungsfeld. Den Abstand von der Strahlenquelle zu vergrößern, ist immer die erste Schutzmaßnahme und meistens einfach zu realisieren. Für einen isotrop strahlenden punktförmigen Strahler im Vakuum verringert sich die Dosis bei Verdoppelung des Abstandes zur Strahlenquelle auf ein Viertel, oder allgemein: die Dosis ist umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstandes. Dies wird als Abstandsquadratgesetz bezeichnet. Das Abstandsquadratgesetz ist rein geometrischer natur. Es lässt sich am einfachsten anhand der Abb. 5.1 erklären. Bei einem divergierenden Strahl deckt die rechteckige Fläche im Abstand 1r einen bestimmten Teil des Strahlungsfeldes ab. Beim doppelten Abstand 2r werden nach dem Strahlensatz vier solcher Flächenstücke benötigt um dasselbe Strahlenbündel abzudecken. Wegen der Erhaltung der Strahlungsenergie entfällt auf jedes dieser Flächenstücke nur noch ein Viertel der Dosis. Beim dreifachen Abstand 3r sind es dann schon 9 Flächenstücke, die Dosis verringert sich auf ein Neuntel. 194 Abb. 5.1 Das Abstandsquadratgesetz In der Praxis kann das Abstandsquadratgesetz für viele Strahlenquellen in Luft mit ausreichender Genauigkeit angewendet werden. Eine Strahlenquelle kann als punkförmig angesehen werden, wenn ihre räumliche Ausdehnung sehr viel kleiner ist als der zu betrachtende Abstand. Für Strahlenquellen, die nicht als Punkförmig angesehen werden können (z. B. Linienquellen), oder für stark kollimierte Strahlung ist dieses Gesetz nicht gültig. Ebenso muss für Alphastrahlung auch die beträchtliche Abschirmwirkung der Luft (Reichweite in Luft nur wenige Zentimeter) in Betracht gezogen werden. Eine wichtige Konsequenz des Abstandquadratgesetzes ist die Verwendung von Pinzetten beim Arbeiten mit radioaktiven Stoffen. Eine gewöhnliche Pinzette vergrößert den Abstand der Quelle zur Hand von 1 mm auf 10 cm (Faktor 100) und verringert die Hautdosis auf ein Zehntausendstel. Die zweite wichtige Schutzmaßnahme ist die Abschirmung der ionisierenden Strahlung. Je nach Strahlenart und Strahlenqualität muss eine geeignete Abschirmung gewählt werden. 195 Alpha- und Betastrahlung sind relativ leicht abzuschirmen (Alphastrahlung: Blatt Papier, Betastrahlung: einige cm Plexiglas, vgl. Kapitel 1.2). Prinzipiell kann zur Abschirmung jedes Material verwendet werden, solange es nur genügend dick ist. Bei der Abbremsung von geladenen Teilchen (Į, ß) in Materie entsteht allerdings Bremsstrahlung. Gerade bei Betastrahlung darf die Bremsstrahlung nicht vernachlässigt werden. Die Intensität der Bremsstrahlung nimmt annähernd proportional mit der Kernladungszahl Z des Abschirmmaterials zu. Idealerweise sollte die Abschirmung von Betastrahlung daher aus zwei Komponenten bestehen: die erste Schicht aus einem niedrig Z Material (z. B. Plexiglas) zur vollständigen Abschirmung der Betateilchen, die zweite Schicht aus einem hoch Z Material (z. B. Blei oder Wolfram) zur Abschirmung der entstandenen Bremsstrahlung. Zur Abschirmung von Gamma- und Röntgenstrahlung ist ein Material von hoher Dichter und hoher Ordnungszahl am besten geeignet. Gängige Materialien sind Blei, Wolfram oder Schwerbeton. Neuere Untersuchungen zeigen, dass unter gewissen Voraussetzungen auch körniger Gips geeignet ist. Das Spektrum der benötigten Abschirmdicken reicht je nach Energie und Intensität der Strahlung von einigen Zehntel Millimetern Blei in Röntgenschürzen in der Medizin über Zentimetern bei typischen Radionukliden in der Nuklearmedizin (I-131, F-18) bis zu Meter dicken Betonwänden in Kernreaktoren oder Teilchenbeschleunigern. Bei letztern beiden handelt es sich allerdings auch um eine Kombination aus Neutronen- und Gammastrahlung bzw. Protonen- und Gammastrahlung. Die dritte Verhaltensregel ist die Minimierung der Aufenthaltszeit im Strahlungsfeld. Die Dosisreduktion durch diese Vorsichtsmaßnahme ist leicht einzusehen. Die Halbierung der Expositionszeit halbiert ebenfalls die absorbierte Dosis. Eine einfache Maßnahme hierzu ist die gute Vorbereitung jeglicher Arbeiten in Strahlungsfeldern. Die Arbeitszeit selber, z. B. Reparaturmaßnahmen oder radiochemische Analysen oder Synthesen, kann nur in den seltensten Fällen verkürzt werden. Allerdings sollten Verzögerungen durch das Beschaffen benötigter Werkzeuge und Hilfsmittel vermieden werden. 196 Ionisierende Strahlung ist mit den menschlichen Sinnen nicht wahrnehmbar. So weiß zwar der Verursacher eines erhöhten Strahlungspegels (Einschalten eines Beschleunigers / einer Röntgenröhre, Herausnehmen eines radioaktiven Präparats aus der Abschirmung) von der möglichen Gefährdung, nicht aber seine Mitarbeiter, geschweige denn der zufällige Passant. Zu diesem Zweck sieht der Gesetzgeber die Einrichtung von gekennzeichneten Strahlenschutzbereichen vor. Je nach möglicher Jahresdosis bzw. Dosisleistung sind dies der Überwachungsbereich, der Kontrollbereich und der Sperrbereich. Außerhalb des Betriebsgeländes können keine Strahlenschutzbereiche ausgewiesen werden. Daher hat der Betreiber einer Einrichtung, in der ionisierende Strahlung erzeugt wird oder in der mit radioaktiven Substanzen umgegangen wird, dafür zu sorgen, dass außerhalb des Betriebsgeländes eine über dem Grenzwert erhöhte Dosisleistung ausgeschlossen ist. Die Zuweisung der Strahlenschutzbereiche und der Nachweis, dass keine Gefährdung der übrigen Bevölkerung besteht, erfolgt anhand eines Strahlenschutzplans. Bei dessen Aufstellung müssen die Äquivalentdosen aller Strahlenquellen unter Berücksichtigung des Abstands und der Abschirmung addiert werden. Bei innerbetrieblichen Strahlenschutzbereichen kann auch die eingeschränkte Aufenthaltszeit der Mitarbeiter in diesen Bereichen in Betracht gezogen werden. Außerhalb des Betriebsgeländes muss allerdings von einem Daueraufenthalt ausgegangen werden. Strahlenschutzbereiche, die aufgrund temporärer Strahlenquellen (Röntgengeräte, Beschleuniger) eingerichtet wurden, können ebenfalls temporär sein, also nur bei laufendem Betrieb der Strahlenquellen. Vorraussetzung zur Aufstellung eines Strahlenschutzplans ist die Kenntnis der Äquivalentdosisleistung jeder Strahlenquelle. Diese kann durch Messung oder Rechnung erlangt werden. Die von radioaktiven Stoffen verursachte Dosisleistung wird durch Multiplikation der Aktivität mit der entsprechenden Dosisleistungskonstante īH dividiert durch das Quadrat des Abstandes ermittelt. Die Dosisleistungskonstante berücksichtigt Strahlenart und -qualität und damit die biologische Wirksamkeit der Strahlung individuell für jedes Radionuklid. Sie hat die Dimension µSv·m2/GBq/h. Einige 197 Dosisleistungskonstanten gängiger Radionuklide sind in Tabelle 5.1 zusammengestellt. Radionuklid F-18 Na-22 Mn-56 Co-60 Tc-99m I-123 I-125 I-128 I-131 Ba-133 Cs-137 Ir-192 Ra-226 U-235 Am-241 īH in µSv·m2/GBq/h 155 322 243 351 16 39 39 14,31 59 80 88 125 251 19,17 6,6 Tab. 5.1 Dosisleistungskonstanten gängiger Radionuklide Die Abschirmwirkungen verschiedener Materialen, die ebenfalls in die Aufstellung eines Strahlenschutzplans eingehen, kann für die Strahlung einiger Radionuklide der DIN 6844 Teil 3 und für die Strahlung aus Röntgenanlagen der DIN 6812 entnommen werden. Für nicht aufgeführte Strahlungsarten und Abschirmmaterialien bzw. Abschirmungen unbekannter Materialzusammensetzung sind Messungen notwendig, um die Schwächungsfaktoren zu bestimmen. Personenkontamination und Dekontaminationsmöglichkeiten Beim Umgang mit offenen radioaktiven Substanzen besteht neben der rein äußerlichen Strahlenexposition die Gefahr der Kontamination der Kleidung oder, noch gefährlicher, der Haut. Eine Kontamination ist das Aufbringen eines radioaktiven Stoffes auf eine Person oder einen Gegenstand, d.h. die Person, der Gegenstand ist kontaminiert. Oft sind die Stoff198 mengen so klein, dass eine Kontamination unter Umständen erst viel später bemerkt wird, aber dennoch eine erhebliche Strahlenexposition verursacht. Dies bewirkt der minimale Abstand durch den direkten Körperkontakt. Zudem kann das Strahlungsfeld nicht wie bei einer stationären Strahlungsquelle ohne weiteres verlassen werden. Besonders Radionuklide, die Alpha- oder Betastrahlung emittieren, können nicht unerhebliche Strahlenschäden verursachen. Die Eindringtiefe der Strahlung ins Gewebe ist zwar relativ begrenzt, das heißt aber, dass ihre gesamte Energie lokal deponiert wird. Entsprechend groß ist ihre schädigende Wirkung. Gerade Alphastrahlung, deren Anteil an der Personendosis sonst allein wegen der Abschirmwirkung der Luft vernachlässigt werden kann, ist besonders gefährlich. Die anzuwendenden Schutzmaßnahmen sind trivial, werden in der Praxis aber leider häufig vernachlässigt. Das Tragen von entsprechender Schutzkleidung ist beim Umgang mit offenen radioaktiven Stoffen obligatorisch. Diese lässt sich im Falle einer Kontamination leicht wechseln. Kontaminationen der Haut lassen sich so vermeiden. Beim Umgang mit Alpha- oder Betastrahlern sollte auf besonders dichte Kleidung und Handschuhe geachtet werden. Da eine Kontamination nicht ohne weiteres bemerkt werden kann, ist eine regelmäßige Messung mit einem Kontaminationsmonitor notwendig. Das sind Strahlungsmessgeräte, mit denen je nach Auslegung kleine Flächenstücke (tragbare Handgeräte), Hände und Füße gleichzeitig (stationäre HandFuß-Kleider-Monitore) oder sogar der ganze Körper (Ganzkörperzähler) auf Kontaminationen untersucht werden können. Eine regelmäßige Kontrolle von Kleidung und Arbeitsplatz ist nicht nur aus Gründen des Selbstschutzes geboten, sondern auch zum Schutz der übrigen Mitarbeiter durch die Vermeidung unbemerkter Verschleppungen von radioaktiven Substanzen. Hat eine Kontamination stattgefunden und ist diese erkannt worden, so müssen unverzüglich Dekontaminationsmaßnahmen getroffen werden. Der radioaktive Stoff muss entfernt und so gelagert werden, dass eine weitere Personengefährdung ausgeschlossen werden kann. Betrifft die Kon199 tamination ausschließlich die Kleidung, so kann die Dekontamination durch einen einfachen Kleiderwechsel vorgenommen werden. Die kontaminierten Kleidungsstücke sind dann solange zu lagern, bis die Aktivität durch den radioaktiven Zerfall auf ein ungefährliches Maß abgeklungen ist, wobei die Lagerzeit von der Aktivitätsmenge, der Qualität der emittierten Strahlung und den Halbwertszeiten der zur Kontamination beitragenden Radionuklide abhängt. Bei einer Kontamination der Haut ist vor allen Dingen Schnelligkeit gefragt, nicht nur wegen der akuten Strahlenexposition, sondern auch weil je nach chemischer Verbindung der Radionuklide die Gefahr einer Diffusion der radioaktiven Stoffe in die Haut besteht. Eine Dekontamination ist dann sehr viel aufwendiger wenn nicht gar unmöglich. Die Dekontamination des Körpers erfolgt durch sorgfältiges Waschen der betroffenen Körperteile. Hierzu gibt es spezielle Waschlotionen, die die Dekontamination auf mechanische (Peeling) oder chemische Art unterstützen. Beim Waschen ist darauf zu achten, dass eine Aufnahme der Radionuklide in den Körper vermieden wird. So sollte z. B. die Dekontamination der Haare nur über den Hinterkopf erfolgen (wie beim Friseur), so dass kein Wasser in Augen, Ohren oder gar Nase und Mund gerät. Deswegen sollte bei der Dekontamination des Kopfes eine weitere Person behilflich sein. In der Regel ist eine Dekontamination so oft zu wiederholen, bis die Kontamination vollständig beseitigt ist oder keine Verbesserungen mehr erreicht werden. Inkorporation und Dekorporationsmöglichkeiten Die größte Gefahr geht von der Aufnahme radioaktiver Stoffe in den Körper aus. Die Inkorporation kann über den Magen (Ingestion), die Lunge (Inhalation) oder über offene Wunden geschehen. Die Radionuklide gelangen so in den Stoffwechselkreislauf und können sich unter Umständen in einigen für die jeweilige chemische Verbindung typischen Organen anreichern. Hierdurch kann es zu erheblichen Aktivitätskonzentrationen und hohen Organdosen in diesen Organen kommen. Wie bei der Kontamination sind auch bei der Inkorporation die Alpha- und Betastrahler die Nuklide mit dem größten Gefährdungspotential. Sie deponieren die 200 Energie ihrer Strahlung direkt in den betroffenen Organen. Bei manchen Radionukliden (z. B. Uran, Plutonium) geht die Radiotoxizität mit einer Chemotoxizität einher, die meist das weitaus größere Risiko darstellt. Ein zusätzliches Problem stellt die unter Umständen lange Verweildauer der Radionuklide im Körper dar. Sie verbleiben solange im Organismus bis sie abgeklungen sind oder auf natürlichem Wege ausgeschieden werden. Durch die zusätzliche Möglichkeit der Ausscheidung nimmt die Aktivität im Körper schneller ab als alleine durch den radioaktiven Zerfall. Man spricht in diesem Fall auch von einer effektiven Halbwertszeit. Da die Abnahme der Aktivität im Körper von zwei voneinander unabhängigen Prozessen bestimmt wird, ist der Kehrwert der effektiven Halbwertszeit gleich der Summe der Kehrwerte der physikalischen und der biologischen Halbwertszeit (1/T1/2,eff = 1/T1/2,phys + 1/T1/2,biol). Beispiel: I-131 in der Schilddrüse, T1/2,phys § 8 Tage, T1/2,biol § 80 Tage, T1/2,eff § 7,27 Tage. Im praktischen Strahlenschutz kann zur Ermittlung der Folgedosis, also derjenigen Dosis, die ein Organ oder Gewebe als Folge einer einmaligen Zufuhr eines oder mehrerer Radionuklide im gesamten Zeitraum nach der Aufnahme bis zum vollständigen Verschwinden dieser Nuklide aus dem Körper erhält, auf Dosiskoeffizienten zurückgegriffen werden. Diese Koeffizienten geben jeweils für ein bestimmtes Nuklid die aus der Inkorporation von einem Becquerel resultierende Folgedosis an. Dabei werden folgende Daten berücksichtigt: Physikalisch/chemische Daten des zugeführten Nuklids: Nuklidart Halbwertszeit (physikalisch) Aus der Aktivitätszufuhr abgeleitete Aktivitätskonzentration im Organ oder Gewebe Strahlenart(en) Strahlenenergie(n) Zerfallsenergie Absorbierter Anteil der Zerfallsenergie Chemische Form Stofflicher Zustand (Gas, Aerosol usw.) 201 Biologische Daten für die Aufnahme durch den Menschen: Alter (Kleinkind, Kind, Erwachsener) Geschlecht Körpergewicht Aufnahmeweg (Inhalation, Ingestion) Resorbierter Anteil der zugeführten Aktivitätsmenge Verteilungsmuster des aufgenommenen Nuklids im Körper (bestimmt durch physikalische Halbwertszeit sowie Anreicherung, Stoffwechsel und Ausscheidung) Kritische Organe für das aufgenommene Nuklid Gewicht und Größe der kritischen Organe Die heute gültigen Dosiskoeffizienten sind im Bundesanzeiger veröffentlicht (Bekanntmachung der Dosiskoeffizienten zur Berechnung der Strahlenexposition vom 23.07.2001, BAnz. Nr. 160a und 160b) /BUA-01/. In der Medizin ist die Inkorporation und Anreicherung von Radionukliden zu therapeutischen Zwecken erwünscht, wie z. B. bei der Radioiod-Therapie bei Schilddrüsenerkrankungen. Der Betastrahler I-131 reichert sich vorwiegend in der Schilddrüse an und kann dort seine strahlentherapeutische Wirkung entfalten. Das übrige Iod, das nicht in der Schilddrüse gespeichert wird, wird über die Nieren ausgeschieden. Der Ausscheidungsprozess kann durch Flüssigkeitsgabe beschleunigt werden, um die Strahlenexposition der Nieren und der Blase gering zu halten. Ein Beispiel für die unerwünschte Inkorporation ist die Inhalation von Polonium-210 mit dem Zigarettenrauch. Das in der Natur seltene Polonium-210, ein Alphastrahler, reichert sich auf den Tabakblättern an und wird mit dem Feinstaub des Zigarettenrauchs inhaliert. Aufgrund der geringen Selbstreinigungsfähigkeit der Lunge von Feinstaub verbleibt es dort praktisch ein Leben lang und ist mitverantwortlich für das erhöhte Lungenkrebsrisiko. Generell gilt zur Vermeidung von Inkorporationen wie auch zur Vermeidung von Kontaminationen das Tragen von Schutzkleidung am Arbeitsplatz, speziell von Handschuhen. Leicht flüchtige Substanzen sollten nur in einem Abzug verarbeitet werden, die Abluft ist mit entsprechenden Filtern zu reinigen. Insbesondere gilt an allen Arbeitsplätzen, an denen mit offenen radioaktiven Substanzen umgegangen wird, ein absolutes Verbot von Rauchen, Essen, Trinken, Schminken etc. Hierdurch wird die Möglichkeit einer Inkorporation durch eventuell kontaminierte Hände eingeschränkt. Alle Tätigkei202 ten, bei denen die Hände ins Gesicht bzw. an den Mund geführt werden, sollten erst dann durchgeführt werden, nachdem die Hände auf eventuelle Kontamination geprüft worden sind. Ähnlich wie bei der Kontaminationsüberwachung bedient man sich zur Überwachung möglicher Inkorporationen hochempfindlicher Messgeräte wie z. B. Ganzkörper- bzw. Teilkörperzähler. Daneben besteht auch die Möglichkeit der Messung der Aktivitätskonzentrationen in den Ausscheidungen oder im Blut. Ein gängiges Verfahren zur Abschätzung eines generellen Inkorporationsrisikos durch Inhalation ist die Bestimmung der Aktivitätskonzentration in der Raumluft. Die erste Dekorporationsmaßnahme ist die Beschleunigung des natürlichen Stoffwechsels, um die Ausscheidung der Radionuklide zu forcieren. Denkbar ist z. B. die verstärkte Gabe von Flüssigkeit zur Ausschwemmung oder Abführmittel, sofern sich die Radionuklide noch im Verdauungstrakt befinden. Generell ist nach einer Inkorporation rasches Handeln erforderlich. Hat erst mal die Anreicherung der inkorporierten Substanzen in den Organen stattgefunden, sind die Radionuklide meist nur schwer und in langwierigen Prozessen wieder aus dem Körper entfernbar. In diesen Fällen muss zwischen den Gesundheitsgefährdungen der medikamentösen Ausscheidungskuren einerseits und des Verbleibs der radioaktiven Nuklide im Körper andererseits sorgfältig abgewogen werden. Sind die inkorporierten Elemente nicht toxisch, so können auch große Mengen stabiler Nuklide desselben Elements eingenommen werden. Dies führt zu einer Verdünnung und Verdrängung der instabilen, radioaktiven Nuklide im Körper. Genau dieses Verfahren lag der Empfehlung zu Grunde, nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl Algen zu essen. Die iodreiche Nahrung sollte den Iodbedarf der Schilddrüse mit stabilem Iod-127 stillen, so dass das radioaktive Iod-131 nicht aufgenommen und gespeichert wird. Zum Zweck der medizinischen Versorgung und Risikoabschätzung bei Inkorporationen größerer Mengen radioaktiver Stoffe sowie bei schweren Kontaminationen sind regionale Strahlenschutzzentren eingerichtet worden. In ihnen ist das 203 physikalische und medizinische Know-how für sofortige Hilfsmaßnahmen vorhanden. In Bayern sind dies: Regionales Strahlenschutzzentrum München Städtisches Krankenhaus Schwabing Institut für medizinische Physik Regionales Strahlenschutzzentrum Neuherberg GSF Forschungszentrum Institut für Strahlenschutz Regionales Strahlenschutzzentrum Würzburg Universität Würzburg Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin 5.2 Gesetzliche Schutzvorschriften Der Umgang mit radioaktiven Substanzen sowie die Errichtung und der Betrieb von Anlagen, die ionisierende Strahlung erzeugen, sind im Atomgesetz (AtG) /ATG-85/ geregelt. Vornehmlich ist damit die friedliche Nutzung der Kernenergie gemeint. Das Atomgesetz enthält aber auch alle Rechtsvorschriften, um Leben, Gesundheit und Sachgüter vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlen zu schützen. Im Atomgesetz ist die Möglichkeit vorgesehen Rechtsverordnungen zur Konkretisierung der Schutzmaßnahmen zu erlassen. Dies ist mit dem Erlass der Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) und der Röntgenverordnung (RöV) geschehen. Vorsorgemaßnahmen und ein wirksames und koordiniertes Vorgehen aller beteiligten Dienststellen in Bund und Ländern bei großräumig wirkenden Verfrachtungen von Radioaktivität auf das Gebiet der Bundesrepublik sind im Strahlenschutzvorsorgegesetz (StrVG) geregelt. Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) Die Strahlenschutzverordnung /STR-01/ enthält Grundsätze und Anforderungen für Vorsorge- und Schutzmaßnahmen zum Schutz von Mensch und Umwelt vor der schädigenden Wirkung ionisierender Strahlung natürlichen oder zivilisatorischen Ursprungs. Mit der Neufassung der Strahlenschutzverordnung vom 20.7.2001 (zuletzt geändert am 1.9.2005) sind die europäischen Richtlinien 96/29/EURATOM und 204 97/43/EURATOM in deutsches Recht umgesetzt worden. In ihr sind weiterführende Regelungen zum Umgang mit radioaktiven Stoffen sowie zu der Errichtung und dem Betrieb von Anlagen zur Erzeugung ionisierender Strahlung enthalten. Für die Genehmigung und die Überwachung des Umgangs mit radioaktiven Stoffen und des Betriebs von Beschleunigeranlagen nach der Strahlenschutzverordnung ist in Bayern das Landesamt für Umwelt zuständig. - Festlegung der Grenzwerte unter gesundheitlichen, gesellschaftspolitischen und ökonomischen Aspekten Die internationale Strahlenschutzkommission (ICRP) bewertet die Ergebnisse und Erkenntnisse über die biologische Wirksamkeit ionisierender Strahlung und veröffentlicht in regelmäßigen Abständen aktualisierte Strahlenschutzempfehlungen. Die derzeit gültigen Empfehlungen zu Dosisgrenzwerten sind 1991 in der ICRP Publikation Nr. 60 erschienen /ICR-91/. Der Entwurf einer Neufassung ist als Diskussionsgrundlage erhältlich. Die ICRP ist ein international anerkanntes, unabhängiges Expertengremium von derzeit 13 Wissenschaftlern. Ihre Empfehlungen bilden in vielen Ländern die Grundlage für die gesetzlichen Schutzvorschriften. So sind die empfohlenen Grenzwerte unter anderem auch in der europäischen Richtlinie 96/29/EURATOM übernommen worden und seit Bekanntgabe der Strahlenschutzverordnung vom 20.7.2001 und der Röntgenverordnung (RöV) vom 18.06.2002 in der Bundesrepublik Deutschland bindend. Die festgelegten Grenzwerte sollen die möglichen Risiken auf ein akzeptables Maß begrenzen. Diese Begründung bedeutet, dass das Risiko auch bei Einhaltung des Grenzwertes nicht gleich Null ist und bei Überschreitung nicht sofort bedrohliche Ausmaße erreicht. Dem praktischen Strahlenschutz liegt das ALARA-Prinzip (As Low As Reasonably Achievable) der internationalen Strahlenschutzkommission zugrunde. Im Einzelnen beinhaltet das ALARA-Prinzip: Rechtfertigung Der Nutzen aus einem Umgang mit ionisierender Strahlung muss die möglichen Gefährdungen überwiegen. 205 Dosisbegrenzung Die Grenzwerte der Personendosis für Einzelpersonen der Bevölkerung (1 mSv/a, StrlSchV, RöV) und für beruflich strahlenexponierte Personen (20 mSv/a, StrlSchV, RöV) müssen eingehalten werden. Dosisreduzierung Die Dosis soll auch unterhalb der Grenzwerte nach wirtschaftlichen und sozialen Gesichtspunkten bestmöglich reduziert werden. Kritiker halten der ICRP oft vor, zu industriefreundlich zu sein. Sie würde mit ihren Grenzwerten und dem Zusatz der Wirtschaftlichkeit bei der Dosisreduzierung den aktuellen Belastungsstand festschreiben. Ebenso seien neue wissenschaftliche Erkenntnisse, dass das Risiko niederer Strahlendosen unterschätzt wird, nicht berücksichtigt worden. Umgekehrt versuchen einige Vertreter der Industrie, die ICRP zur Wiedereinführung des Schwellenmodels für stochastische Strahlenschäden zu bewegen. Beträchtliche Investitionsersparnisse im baulichen Strahlenschutz aufgrund höherer Grenzwerte wären die Folge. Es sollte dabei aber nicht vergessen werden, dass es gute Argumente für die Wahl der Grenzwerte gibt. So liegt der Grenzwert für die effektive Dosis von 1 mSv/a, die Einzelpersonen der Bevölkerung zugemutet werden darf, innerhalb der Schwankungsbreite der natürlichen Strahlenbelastung. Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen konnten in diesem Dosisbereich bisher nicht nachgewiesen werden. Bei einer effektiven Jahresdosis von 20 mSv, das ist der Grenzwert für beruflich strahlenexponierte Personen, ist das Risiko strahlenbedingter Erkrankungen ebenso hoch wie das Unfallrisiko in anderen hoch technisierten Berufszweigen, in denen das Unfallrisiko gesellschaftlich akzeptiert ist. Bei der Anwendung des Konzepts der effektiven Dosis, das die relative Strahlenempfindlichkeit der einzelnen Organe und Gewebe berücksichtigt, wird die Festsetzung gesonderter Dosisgrenzwerte für einzelne Organe oder Gewebe im Prinzip unnötig, zur sicheren Vermeidung akuter (nichtstochastischer) Schäden ist sie jedoch in bestimmten Fällen sinnvoll (vgl. Tabelle 5.2). 206 Organ Augenlinse Haut, Hände, Unterarme, Füße, Knöchel Keimdrüsen, Gebärmutter, Knochenmark Schilddrüse, Knochenoberfläche Dickdarm, Lunge, Magen, Blase, Brust, Leber, Speiseröhre, andere Organe Über 18 150 mSv/a 500 mSv/a 50 mSv/a Unter 18 15 mSv/a 50 mSv/a 300 mSv/a 150 mSv/a Tab. 5.2 Grenzwerte der jährlichen Organdosen beruflich strahlenexponierter Personen Besonderer Schutz gilt dem ungeborenen Leben. So ist die Dosis an der Gebärmutter gebärfähiger Frauen auf 2 mSv im Monat beschränkt. Ab Bekantwerden einer Schwangerschaft darf die Dosis für das ungeborene Kind bis zum Ende der Schwangerschaft höchstens 1 mSv betragen. Ausnahmen von den Grenzwerten gibt es in der Anwendung radioaktiver Stoffe und ionisierender Strahlen am Patienten zu medizinischen Zwecken. Hier sind die Grenzwerte durch die Vorschrift ersetzt, dass die durch die ärztlichen Untersuchungen bzw. Therapien bedingte Strahlenexposition so weit einzuschränken ist, wie dies mit den Erfordernissen der medizinischen Wissenschaft vereinbar ist. Entsprechende Regelungen finden sich auch in der Röntgenverordnung. Das ALARA-Prinzip ist in der deutschen Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) verankert (§§ 4, 5, 6), allerdings mit einer entscheidenden Änderung. Die Dosisminimierung soll hier nicht nach wirtschaftlichen Aspekten erfolgen sondern nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft und Technik. Der Schutz der Einzelperson steht hierbei eindeutig im Vordergrund. Die deutsche Strahlenschutzkommission (SSK) ist das nationale Pendant zur ICRP. Sie veröffentlicht ebenfalls Empfehlungen und Stellungnahmen zu Strahlenschutzthemen und berät das Bundesministerium für Umwelt, Natur207 schutz und Reaktorsicherheit. Ihr Einfluss auf die Grenzwerte ist allerdings gering, da die Bundesrepublik Deutschland an die EURATOM-Richtlinien gebunden ist. Einzig eine Verschärfung, d.h. eine Absenkung, der nationalen Grenzwerte gegenüber denjenigen in den europäischen Richtlinien ist möglich. Der Schwerpunkt der SSK liegt bei Empfehlungen zur praktischen Durchführung des Strahlenschutzes und zur Handhabung der Grenzwerte. - Höchstwerte der Oberflächen- und massenbezogenen Kontamination Dem Betreiber einer Anlage, in der mit radioaktiven Substanzen umgegangen wird oder in der ionisierende Strahlung erzeugt wird, obliegt die Einhaltung der Grenzwerte. Der Schutz vor äußerer Strahlenexposition durch die beim Betrieb entstehende ionisierende Strahlung kann durch die bekannten Maßnahmen Abstand, Abschirmung und Aufenthaltszeit (vgl. Kapitel 5.1) realisiert werden. Ebenso wichtig ist die Vermeidung einer unkontrollierten Verbreitung radioaktiver Substanzen. Die Verbreitung kann mit der Abluft, dem Abwasser, Abfällen oder kontaminierten Gegenständen geschehen. Einmal freigesetzt, gelangen die radioaktiven Nuklide über die Nahrungskette in den menschlichen Körper und führen so zu einer inneren Strahlenexposition. Daher ist das Herausbringen eines Gegenstandes aus Kontrollbereichen, in denen mit offenen radioaktiven Substanzen umgegangen wird, streng reglementiert. Erlaubt ist das Entfernen nur für Kleidung, Werkzeuge, Messgeräte und sonstige Apparate, die auf Kontaminationen überprüft worden sind, d.h. deren Oberflächenaktivität bzw. massenspezifische Aktivität unterhalb bestimmter Grenzwerte liegt (StrlSchV § 44). Die Festlegung von Grenzwerten, die vor den Gefahren einer inneren Strahlenexposition schützen sollen, kann nur nuklidspezifisch getroffen werden. Denn neben der freigesetzten Aktivität sind auch Strahlenart und Strahlenqualität für die biologische Wirksamkeit entscheidend. Genauso gilt es, die physikalische und die biologische Halbwertszeit der Nuklide zu berücksichtigen, wie auch die unterschiedliche Strahlenempfindlichkeit der verschiedenen Organe, in denen 208 eine Aktivitätsanreicherung wahrscheinlich ist. Zuletzt sind die unterschiedlichen Expositionspfade, Ingestion oder Inhalation, in Betracht zu ziehen. Die effektive Dosis von Einzelpersonen der Bevölkerung bei Inkorporation von Radionukliden können der Bekanntmachung der Dosiskoeffizienten zur Berechnung der Strahlenexposition vom 23.07.2001, BAnz. Nr. 160a und 160b /BUA-01/, entnommen werden. Den Berechnungen liegt ein alters- und geschlechtsabhängiges Stoffwechselmodell zugrunde. In der Strahlenschutzverordnung wurden die Grenzwerte unter der Vorgabe festgelegt, dass für Einzelpersonen der Bevölkerung eine zusätzliche effektive Dosis von nicht mehr als 10 PSv/a (1/100 des Jahresgrenzwertes) durch die Freisetzung kontaminierter Gegenstände auftreten kann. Dem Ausbreitungsverhalten der freigesetzten radioaktiven Substanzen wird unter anderem dadurch Rechnung getragen, dass die Grenzwerte nicht für absolute Aktivitätsmengen sondern für Aktivitätskonzentrationen angegeben werden (vgl. Tabelle 5.3). Wenn der Gegenstand mit mehr als einem radioaktiven Nuklid kontaminiert ist, wird die Summenformel angewendet. Die Summenformel verhindert die Erhöhung des Gefährdungspotentials durch Nuklidgemische. Ein Gegenstand gilt demnach als nicht kontaminiert, wenn die Summe der Quotienten aus Aktivitätskonzentration und dem jeweiligen Grenzwert kleiner als 1 ist, d.h. wenn z. B. bei einem Gemisch aus zwei Nukliden die Aktivitätskonzentration des einen Nuklids bereits 60 % des spezifischen Grenzwertes beträgt, dann darf die Aktivitätskonzentration des anderen höchstens 40 % seines Grenzwertes betragen. In Strahlenschutzbereichen muss die Oberflächenkontamination der Arbeitsflächen regelmäßig kontrolliert werden. Die Grenzwerte hierbei beziehen sich allerdings nur auf die nicht haftenden Kontaminationen zur Vermeidung von unbemerkten Personenkontaminationen und Inkorporationen. Da in den Strahlenschutzbereichen ausschließlich eingewiesenes Personal tätig ist, das um die möglichen Gefährdungen weiß und sich entsprechend verhält, liegen die Grenzwerte im Überwachungsbereich um den Faktor 10, im Kontrollbereich um den Faktor 100 höher als beim Herausbringen von Gegenständen aus dem Kontrollbereich. 209 Radionuklid H-3 C-14 F-18 Co-60 Tc-99m I-131 Cs-137 U-235 U-238 Oberflächenkontamination in Bq/cm2 1 E+2 1 E+2 1 1 1 E+1 1 E+1 1 1 1 Spezifische Aktivität in Bq/g 1 E+3 8 E+1 1 E+1 0,1 1 E+2 2 5 E-1 5 E-1 6 E-1 Tab. 5.3 Grenzwerte einiger Radionuklide für Oberflächen- und massenbezogene Kontaminationen (StrlSchV Anlage III Tabelle 1) - Freigabeverfahren Bis zur Neufassung der Strahlenschutzverordnung vom 20.7.2001 konnten nur nicht kontaminierte oder dekontaminierte Gegenstände aus Kontrollbereichen entfernt werden. Der Gegenstand selbst aber musste inaktiv sein. Zudem beschränkten sich die entfernbaren Gegenstände auf Kleidung, Werkzeuge, Messgeräte und sonstige Apparate. Aber auch ursprünglich radioaktive Substanzen zerfallen mit ihren spezifischen Halbwertszeiten und sind schließlich inaktiv. Eine Abgabe dieser nunmehr inaktiven Stoffe in den normalen Umgang war bisher nicht vorgesehen, die teure Einlagerung in Sonderlager war die Regel. Mit dem neuen Freigabeverfahren unterliegen ehemals radioaktive Stoffe nach der Freigabe nicht mehr der Strahlenschutzverordnung. Sie können wie inaktive Stoffe behandelt werden. Freigegeben werden können bewegliche, feste und flüssige Gegenstände, aber auch Einrichtungen, Räume und sogar ganze Gebäude. Jede Freigabe muss zuvor bei der zuständigen Aufsichtsbehörde (in Bayern das Landesamt für Umwelt) beantragt und von dieser genehmigt werden. Das genaue Verfahren ist in § 29 der Strahlenschutzverordnung beschrieben. Vorraussetzung für die Freigabe ist, wie beim Herausbringen von nicht kontaminierten Gegenständen aus dem Kontrollbereich, die Beschränkung der zusätzlichen effektiven 210 Dosis von Einzelpersonen der Bevölkerung durch die freigegebenen Aktivitäten auf höchstens 10 PSv/a. Die Grenzwerte der erlaubten Aktivitätskonzentrationen für die Freigabe sind ebenfalls nuklidspezifisch. Je nach Weiterverwendung der freigegebenen Gegenstände gelten verschieden strenge Werte. Unterschieden wird dabei zwischen einer uneingeschränkten Freigabe und einer Freigabe zur Beseitigung. Die strengeren Grenzwerte gelten für die uneingeschränkte Freigabe, für die keine Angaben über den Verbleib der freigegebenen Gegenstände oder Räume gemacht werden müssen. Sollen die freigegebenen Gegenstände beseitigt bzw. die Gebäude abgerissen werden, kann davon ausgegangen werden, dass diese auf einer Mülldeponie landen. Hier ist mit keinem großen Publikumsverkehr zu rechnen und die Gefährdungswahrscheinlichkeit für Einzelpersonen der Bevölkerung weitaus geringer als bei einer Wiederverwertung. Dementsprechend höher sind die Grenzwerte angesetzt. Unabhängig davon ob eine uneingeschränkte Freigabe oder eine Freigabe zur Beseitigung / zum Abriss erlangt werden soll, entscheidend für das Freigabeverfahren ist, dass die Stoffe nicht absichtlich verdünnt werden dürfen, um die Grenzwerte für die massenbezogenen Aktivitätskonzentrationen zu unterschreiten. Das Abklingen der Aktivität durch entsprechende Lagerzeiten aufgrund des radioaktiven Zerfalls ist das alleinig gültige Verfahren zum Unterschreiten der Grenzwerte. Bei Nuklidgemischen ist die Summenformel, wie im vorangegangenen Abschnitt beschrieben, anzuwenden. Röntgenverordnung (RöV) Auf gleicher Ebene mit der Strahlenschutzverordnung steht die Röntgenverordnung /RÖV-01/. Wie mit der aktuellen Strahlenschutzverordnung werden mit der Neufassung der RöV vom 30.4.2003 die europäischen Richtlinien 96/29/ EURATOM und 97/43/EURATOM umgesetzt. Im Gegensatz zur StrlSchV ist der Zweck der RöV nicht explizit erwähnt. Er ergibt sich aus §1 des Atomgesetzes und dem vollständigen Titel der Röntgenverordnung: Verordnung über den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlen. 211 Der Anwendungsbereich der Röntgenverordnung ist auf den Betrieb von Röntgeneinrichtungen und Störstrahlern mit Elektronenenergien von 5 keV bis 1 MeV beschränkt. Röntgeneinrichtungen sind Einrichtungen, die zum Zweck der Erzeugung von Röntgenstrahlen betrieben werden. Zur Röntgeneinrichtung gehören der Röntgenstrahler, der Generator, Anwendungsgeräte und Zubehör. Die bekanntesten Anwendungen von Röntgeneinrichtungen sind die Aufnahme- und Durchleuchtungseinrichtungen sowie die Computertomographie in der Medizin. Ein weiteres großes Anwendungsgebiet ist die zerstörungsfreie Materialprüfung. Störstrahler sind Einrichtungen, die Röntgenstrahlen erzeugen, ohne zu diesem Zweck betrieben zu werden. Typische Störstrahler im genannten Energiebereich sind Spezialröhren zur Mikrowellenerzeugung, Elektronenröhren zum Senden, Schalten, Gleichrichten, Geräte zur Materialuntersuchung durch Elektronenstrahlen, z. B. Elektronenmikroskope, Geräte zur Materialbearbeitung durch Elektronenstrahlen, z. B. Elektronenstrahlschweißanlagen oder Elektronenbeschleunigeranlagen zur Kunststoffvernetzung, Abwasserentfärbung, Sterilisation. Vielen ist aber nicht bewusst, dass sie beinahe täglich mit Störstrahlern nach der Röntgenverordnung zu tun haben, mit dem Fernseher oder dem Computerbildschirm. Gemeint sind nicht die neuen TFT- oder Plasmabildschirme, sondern die üblichen Röhrenbildschirme, in denen Elektronen zur Bilderzeugung beschleunigt werden. Das ist eine der wenigen Ausnahmen, bei denen nicht der Betreiber sondern der Hersteller für den Strahlenschutz verantwortlich ist. Explizit ist hier nur der Betrieb und nicht wie in der StrlSchV auch die Errichtung gemeint, da bei Röntgenanlagen ausschließlich beim Betrieb ionisierende Strahlung entsteht. Die RöV hat einen uneingeschränkten Geltungsbereich. Es wird nicht unterschieden zwischen den industriellen, technischen, wissenschaftlichen oder medizinischen Zwecken. Die RöV gilt folglich, soweit ihr Geltungsbereich in den einzelnen Bestimmungen der Verordnung nicht ausdrücklich beschränkt ist, für den gewerblichen Unternehmer, freiberuflich Tätige, also für Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Wissenschaftler, für Unternehmen ohne Erwerbscharakter, z. B. gemeinnützige Krankenhäuser, für Privatpersonen und auch für die öffentliche Verwaltung (Bund, Länder, 212 Gemeinden, Gemeindeverbände, Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts). Für die Genehmigung und die Überwachung des Betriebs von Röntgeneinrichtungen nach der Röntgenverordnung sind in Bayern die Gewerbeaufsichtsämter bei den Regierungen zuständig. Die Strahlenschutzgrundsätze und die Grenzwerte für beruflich strahlenexponierte Personen sowie für Einzelpersonen der Bevölkerung sind in der Röntgenverordnung und in der Strahlenschutzverordnung gleich. Die Äquivalentdosis macht gerade unterschiedliche Strahlenarten vergleichbar, so dass für die Grenzwerte die Herkunft der Strahlung (Radioaktivität oder Röntgenröhre) keine Rolle spielt. Die einzelnen Regelungen sind ähnlich und lediglich an die Besonderheiten angepasst. Grundsätzlich bedarf der Betrieb jeder Röntgeneinrichtung der Genehmigung. Unter bestimmten Voraussetzungen genügt eine Anzeige. Im Genehmigungsverfahren wird geprüft, ob Strahlenschutzbeauftragte in der entsprechenden Anzahl schriftlich bestellt sind und die Fachkunde im Strahlenschutz auf dem jeweiligen Verwendungsgebiet besitzen, ob Hilfskräfte Kenntnisse im Strahlenlschutz haben und ob alle Maßnahmen zur Gewährleistung ausreichenden Strahlenschutzes einschließlich der Qualitätssicherung getroffen sind. Alle Röntgeneinrichtungen, auch Hochschutz- und Vollschutzgeräte müssen einer wiederkehrenden Prüfung durch einen Sachverständigen unterzogen werden. Der Zeitabstand zwischen den wiederkehrenden Prüfungen beträgt maximal 5 Jahre. Personen, denen der Zutritt zum Kontrollbereich erlaubt ist, oder Personen, die Röntgenstrahlen anwenden, sind über die Arbeitsmethoden, Gefahren und Schutzmaßnahmen zu unterweisen. Außergewöhnliche Ereignisabläufe oder Betriebszustände beim Betrieb einer Röntgeneinrichtung oder eines Störstrahlers nach § 5 Abs. 1 sind der zuständigen Behörde unverzüglich zu melden, wenn zu besorgen ist, dass eine Person eine Strahlenexposition erhalten haben kann, die die Grenzwerte der Körperdosis nach § 31a Abs. 1 oder 2 über213 steigt, oder sie von erheblicher sicherheitstechnischer Bedeutung sind. Neue Regelungen in der StrlSchV und in der RöV Neben dem bereits besprochenen Freigabeverfahren sind in die Neufassung der Strahlenschutzverordnung vom 20.7. 2001 weitere bisher nicht enthaltene Regelungen aufgenommen worden. Einige betreffen die medizinische Anwendung radioaktiver Stoffe und ionisierender Strahlung am Menschen. Mit den Paragraphen zur rechtfertigenden Indikation, den Dosisreferenzwerten und der ärztlichen Stelle sollen unnötige Patientendosen vermieden werden. Außerdem werden nun erstmals natürliche Strahlenquellen bei der Arbeit berücksichtigt. - Rechtfertigende Indikation Bevor ein Patient zu diagnostischen oder therapeutischen Zwecken ionisierender Strahlung ausgesetzt wird, muss die rechtfertigende Indikation gestellt werden. Die Frage nach der rechtfertigenden Indikation steht bewusst vor Beginn der Untersuchung bzw. Behandlung. Damit wird geklärt, ob der Nutzen für den Patienten größer ist als der mögliche Schaden durch die Strahlenexposition. Verantwortlich ist dabei immer der untersuchende bzw. behandelnde fachkundige Arzt. Die Anwendung radioaktiver Stoffe und ionisierender Strahlung alleine auf die Anforderung des überweisenden Arztes ist nicht zulässig. Die rechtfertigende Indikation muss vom verantwortlichen fachkundigen Arzt gestellt werden. Insbesondere sind dabei eventuell vorhandene Voruntersuchungen zur Vermeidung von Doppeluntersuchungen zu berücksichtigen. Ebenso müssen alternative Untersuchungs- und Behandlungsmethoden erwogen werden, die eine Strahlenexposition des Patienten verringern oder sogar ganz vermeiden. Besonders muss der fachkundige Arzt bei der Stellung der rechtfertigenden Indikation auf die Möglichkeit einer Schwangerschaft weiblicher Patienten achten. Zum Schutz des ungeborenen Kindes ist die Untersuchung bzw. Behandlung mit radioaktiven Stoffen und ionisierender Strah214 lung meist nur in besonders dringlichen Situationen angebracht. Gerade wenn offene radioaktive Stoffe angewendet werden sollen, gilt dies auch für stillende Patientinnen. Eine Stillpause ist unbedingt zu empfehlen. - Teleradiologie Erstmals werden Regelungen zur Teleradiologie getroffen. Teleradiologie umfasst die Untersuchung des Patienten mit Röntgenstrahlung und die Feststellung des Befundes mit Hilfe der angefertigten Röntgenaufnahmen an unterschiedlichen Orten, die über moderne Telekommunikation „online“ miteinander verbunden sind. Die Regelung soll einerseits dem Patienten einen unnötigen Transport in ein anderes Krankenhaus ersparen, aber andererseits zum Schutz des Patienten gewährleisten, dass er von ausreichend fachkundigem Personal versorgt wird und die zur Datenübertragung genutzten Einrichtungen nicht zu Verfälschungen der übertragenen Bilder führen. Um zu verhindern, dass Teleradiologie im Krankenhaus zum „Normalfall“ und damit das entsprechende Fachpersonal nicht mehr vorgehalten wird, wird Teleradiologie grundsätzlich auf den Nacht-, Wochenendund Feiertagsdienst beschränkt. Die zuständige Landesbehörde kann eine weitergehende Ausnahmegenehmigung erteilen, wenn hierfür ein Bedürfnis im Hinblick auf die Patientenversorgung besteht. - Diagnostische Referenzwerte Nachdem die rechtfertigende Indikation gestellt und die Anwendung von radioaktiven Stoffen oder ionisierender Strahlung am Patienten entschieden ist, gilt es, die Strahlenexposition auf ein Minimum zu beschränken. Dies geschieht nach dem Grundsatz: So viel wie nötig, so wenig wie möglich. Aus Sicht des Strahlenschutzes soll die effektive Dosis des Patienten möglichst gering sein. In der Diagnostik verlangt der Mediziner detailreiche, rauscharme Bilder, in der Therapie hundertprozentigen Heilerfolg. Hier gilt es den entsprechenden Kompromiss zu finden. Ein Szintigramm beispielsweise, das wegen des Bildrauschens oder der schlechten Auflösung nicht aussagekräftig ist, verursacht nur unnötige Strahlenbelastung für den Patienten. Die entsprechende Un215 tersuchung müsste wiederholt werden. Umgekehrt bedeutet jedes Becquerel Aktivität zu viel eine unnötig hohe Strahlenbelastung. Der Kompromiss schlägt sich in den diagnostischen Referenzwerten nieder. Für die gängigsten Untersuchungen werden Dosiswerte bzw. Standardaktivitäten angegeben, die ohne Begründung nicht überschritten werden dürfen. Mit den Referenzwerten wird eine einheitliche Basis geschaffen, fehlerhafte Untersuchungen aufgrund falscher Aktivitätsgaben werden vermieden. Die diagnostischen Referenzwerte sind Werte aus der Praxis und unter Mitarbeit führender Radiologen und Nuklearmediziner entstanden. Sie spiegeln jahrelange Erfahrungen gepaart mit den technischen Möglichkeiten wider. - Ärztliche Stelle Die rechtfertigende Indikation und die diagnostischen Referenzwerte sind Bestimmungen zur Minimierung der Strahlenexposition des einzelnen Patienten. Der vollständige Untersuchungs- und Behandlungsprozess mit radioaktiven Stoffen und ionisierender Strahlung wird von der ärztlichen Stelle überprüft. Mit dieser Form der Qualitätssicherung sollen generelle, methodische Fehler vermieden werden. Die ärztliche Stelle entsendet ein Prüfungskomitee, bestehend aus Medizinern und Physikern, das regelmäßig alle Kliniken und Praxen entweder vor Ort oder anhand eingesendeter Unterlagen bewertet. Kontrolliert wird dabei nicht nur die Qualität der verwendeten Apparate und Einrichtungen, sondern auch die Durchführung deren regelmäßiger Funktionsprüfungen. Neu hinzugekommen ist die Bewertung der ärztlichen Arbeit. Anhand einiger Stichproben vollzieht die ärztliche Stelle den vollständigen Untersuchungsverlauf nach. Dies geht von der ersten Anamnese, über die Durchführung der Untersuchungen bis zur Stellung der Diagnose. Besonderes Augenmerk wird auf die korrekte Stellung der rechtfertigenden Indikation und die Einhaltung der diagnostischen Referenzwerte gerichtet. Die vorrangige Aufgabe der ärztlichen Stelle ist die Beratung der überprüften Institute. Sie soll vor allem Verbesserungs216 vorschläge zur Optimierung der Arbeitsabläufe geben. Entsprechend der Schwere der gefundenen Mängel können die Intervalle zur nächsten Überprüfung verkürzt werden. Die Ergebnisse der Untersuchung werden gegebenenfalls an die zuständige Behörde weitergereicht, die weitere Schritte einleitet. Besonders wenn die Verbesserungsvorschläge der ärztlichen Stelle wiederholt ignoriert werden, hat die betreffende Einrichtung mit Folgen zu rechnen. - Berücksichtigung natürlicher Strahlenquellen bei der Arbeit Bis zur Neufassung der Strahlenschutzverordnung vom 20.7.2001 wurden bei der Bestimmung der beruflichen Strahlenexposition ausschließlich diejenigen Strahlenquellen berücksichtigt, mit denen zielgerichtet umgegangen wurde. Gemeint sind Handlungen, bei denen bewusst ionisierte Strahlung erzeugt wird oder radioaktive Stoffe verwendet werden, deren physikalische Eigenschaften genutzt werden sollen. In der Neufassung der Strahlenschutzverordnung werden diese Handlungen mit dem Begriff Tätigkeiten bezeichnet. Neu ist die Berücksichtigung natürlicher Strahlenquellen, die nicht direkt mit der eigentlichen Arbeit in Verbindung stehen. Gemeint sind Handlungen, die nicht zum Zweck der Nutzung der ionisierten Strahlung sondern die aus anderen Gründen nur an diesen Orten mit erhöhter Strahlenexposition ausgeführt werden können. Diese Handlungen werden in der Strahlenschutzverordnung Arbeiten genannt. Arbeiten im Sinne der Strahlenschutzverordnung sind beispielsweise Bergwerksarbeiten, ausgenommen die Gewinnung von Uranerzen, da hier die zielgerichtete Nutzung des Urans beabsichtigt ist. Ebenso gehört das fliegende Personal in Flugzeugen (Flugbegleiter, Piloten), das der extraterrestrischen (Höhen-) Strahlung verstärkt ausgesetzt ist, zu den beruflich strahlenexponierten Personen. Die Arbeitgeber sind angehalten zu prüfen, ob eine Bestimmung der Körperdosis notwendig ist, d.h. ob die effektive Jahresdosis des fliegenden Personals über 1 mSv liegt. Die Strahlenexposition ist umso größer, je höher die Flughöhe ist, da die abschirmende Wirkung der 217 Atmosphäre mit zunehmender Höhe abnimmt. Über den Polen, an denen die Magnetfeldlinien senkrecht auf der Erdoberfläche stehen, fällt zusätzlich die Schutzwirkung des Erdmagnetfeldes weg, das vor Strahlung geladener Teilchen wie den Elektronen schützt. Daher ist die Strahlenexposition auf den Polrouten, die wegen des kurzen Weges die bevorzugte Verbindung zwischen Europa und Nordamerika sind, besonders groß. Diese bedeutet allerdings nach heutigem Wissensstand keine Gefährdung für den einzelnen Touristen, der auf dieser Strecke nur wenige Male im Jahr fliegt (ca. 0,05 mSv pro Transatlantikflug). Erst die vielen Flugstunden der Berufsflieger erhöhen deren Strahlenbelastung deutlich. Eine Berufsgruppe, die bislang selten mit einer erhöhten Strahlenexposition in Verbindung gebracht wurde, sind die Mitarbeiter der Wasserwirtschaft. Dabei gehören sie zu den am stärksten exponierten Berufsgruppen. Praktisch jede Quelle in Bayern spült mit dem Wasser nicht unerhebliche Mengen Radon, ein Zerfallsprodukt des Uran-238, aus dem Gestein an die Oberfläche. In geschlossenen Räumen, wie z. B. den Trinkwasserspeichern, kann die Konzentration des Edelgases Radon, ein Alphastrahler, in der Raumluft erhöhte Werte annehmen. Eine Überwachung der Mitarbeiter wird in vielen Fällen angebracht sein. Auf dem Weg von der Quelle zum Wasserhahn hat sich das Radon durch die Wasserbewegung verflüchtigt, so dass für den Endverbraucher kein Gefährdungspotential besteht. Strahlenschutzvorsorgegesetz (StrVG) Messungen der Aktivitätskonzentrationen in der Umwelt werden bereits seit den 50iger Jahren durchgeführt. Bundesweit waren aber weder die Messdatenerfassung noch die Interpretation derselben einheitlich geregelt. Außerdem führten widersprüchliche Empfehlungen zu Verwirrungen der Bürger nach dem Unglück in Tschernobyl 1986. Mit dem Strahlenschutzvorsorgegesetz (StrVG) /STR-86/ sollte diese Misere beseitigt werden. Das StrVG regelt Aufgaben und Kompetenzen von Bund und Ländern im Ereignisfall, d.h. im Falle von großräumigen Verfrachtungen von Radioaktivität auf das Gebiet der Bundesrepublik. 218 Zu den Aufgaben des Bundes zählen insbesondere: - Großräumige Ermittlung der Umweltradioaktivität - Entwicklung und Festlegung von Mess- und Berechnungsverfahren - Aufbereitung, Sammlung und Bewertung der Umweltradioaktivitätsdaten Die Aufgaben der Länder bestehen in erster Linie in: - Ermittlung der Radioaktivität in bestimmten Umweltbereichen - Übermittlung der Daten an die Bundeszentrale - Umsetzung von Vorsorgemaßnahmen Auf der Grundlage des Strahlenschutzvorsorgegesetzes können Bundesbehörden Empfehlungen von Verhaltensweisen zum Schutz der Bevölkerung aussprechen sowie Verbote und Beschränkungen bei Lebensmitteln, Futtermitteln, Arzneimitteln und sonstigen Stoffen aussprechen, um den Radioaktivitätseintrag in die Ernährungsketten zu begrenzen. - Immissions- und Emissionsüberwachung Die Zuständigkeiten für die Messungen der Umweltradioaktivität sind zwischen Bund und Ländern aufgeteilt. Der Bund ist verantwortlich für die großräumige Überwachung der Ortsdosisleistung und der Aktivitätskonzentration in der Luft und in den Niederschlägen. Hierzu wurde ein flächendeckendes Netz von über 2000 automatischen Messstellen errichtet, die Daten rund um die Uhr ermitteln und an die Leitstellen weiterleiten. Weiterhin gibt der Bund auch die Messund Analyseverfahren für die von den Ländern durchzuführenden Radioaktivitätsermittlungen vor. Die Länder sind verpflichtet, die Aktivitätskonzentrationen im Boden und im Wasser, in der Nahrung und in Medikamenten zu bestimmen. Dies geschieht durch Auswertung von Stichproben, die nach einheitlichen Vorgaben gesammelt werden. Die von den Ländern erhobenen Daten werden ebenfalls an eine Bundeszentralstelle weitergeleitet. Im Rahmen dieses Umweltüberwachungsprogramms werden zur Zeit in Bayern jährlich rd. 7000 Messdaten erhoben. Ein landeseigenes Überwachungsprogramm liefert zusätzlich mehrere 100 weitere Messungen in verschiedensten Medien, u. a. 219 auch bei Wild und wild wachsenden Pilzen. Als Serviceleistung für den Bürger können die in Bayern ermittelten Messwerte auf den Internetseiten des Landesamtes für Umwelt unter http://www.bayern.de/lfu/strahlen/ abgerufen werden. Zur Sammlung, Bearbeitung und Darstellung der aus den verschiedenen Radioaktivitätsüberwachungsprogrammen gewonnenen Daten hat der Bund Anfang 1994 das Integrierte Mess- und Informationssystem zur Überwachung der Umweltradioaktivität (IMIS) eingerichtet. In dieses System werden auch die in Bayern gesammelten Daten zur Umweltradioaktivität vom zuständigen Landesamt für Umwelt eingespeist und auf diese Weise allgemein verfügbar gemacht. Auch die Daten der automatischen Messnetze des Bundes sowie die Daten aus rd. 40 Messlaboren in den Ländern fließen hier ein. Die Auswertung der so gewonnenen Daten im IMIS-System ermöglicht einen schnellen Überblick über die großflächige radiologische Belastungssituation. Darauf wiederum würden sich die Empfehlungen der zuständigen Bundsbehörden zum vorsorgenden Schutz der Bevölkerung gründen. Außerdem betreibt das Bayerische Landesamt für Umwelt ein eigenes flächendeckendes Messsystem, das bayerische Immissionsmessnetz für Radioaktivität (IfR). Die Messstationen überwachen ebenfalls automatisch und kontinuierlich die Ortsdosisleistung und die Aktivitätskonzentrationen in der Luft. Das IfR ist ein unabhängiges Messnetz zur Früherkennung erhöhter Luftaktivitätskonzentration. Es ist wie das IMIS nach den Erfahrungen mit dem Tschernobyl-Unglück entstanden. Bis dahin existierte lediglich das 1978 errichtete bayerische Kernreaktor-Fernüberwachungssystem (KFÜ). Mit seinen ringförmig um die Kernreaktoren angeordneten Messsonden war es das weltweit erste System zur automatischen Immissionsüberwachung. Damit sollen Unregelmäßigkeiten im Betrieb und Emissionen radioaktiver Stoffe aus den Anlagen frühzeitig entdeckt werden können. Weitere Einzelheiten zur Überwachung der Umweltradioaktivität in Bayern sind in Kapitel 6.3 zu finden. Die Immissionsüberwachung wird durch die Emissionskontrolle wirkungsvoll ergänzt, z. B. durch das KFÜ, das auch der Überwachung der Aktivitätsemissionen dient. Daher soll 220 in diesem Kapitel ebenfalls die Emissionsüberwachung besprochen werden, die in der Strahlenschutzverordnung (StrlSchV § 48) geregelt ist. Der Betreiber einer Anlage, in der mit radioaktiven Stoffen umgegangen wird, muss für die kontinuierliche Überwachung der Abluft und des Abwassers sorgen. Die abgegebenen Aktivitätskonzentrationen, aufgeschlüsselt nach den einzelnen Nukliden, sind mindestens einmal jährlich an das Landesamt für Umwelt zu melden. Darüber hinaus ist das Landesamt für Umwelt selber oder ein von ihm beauftragter Sachverständiger jederzeit berechtigt, die Grundstücke bzw. Anlagen zu betreten, Proben zu ziehen und Messungen der Radioaktivitätskonzentrationen vorzunehmen. - Höchstwerte der Aktivitätskonzentration in Luft und Wasser Bei der Festlegung der Höchstwerte für die Aktivitätskonzentrationen in Abwasser und Abluft aus Strahlenschutzbereichen werden analog zu der Festlegung der Grenzwerte für die Freigabe die möglichen Expositionspfade berücksichtigt. Unterschieden wird hier zwischen der direkten Einwirkung, wie z. B. der Aufenthalt im Abluft- bzw. Abwasserstrom, und der indirekten Einwirkung über die Aufnahme mit der pflanzlichen und tierischen Nahrung. Zur Festlegung der indirekten Einwirkungen sind detaillierte radioökologische Berechnungen notwendig, die das Verhalten radioaktiver Stoffe in der Biosphäre beschreiben. Es handelt sich dabei um sehr komplexe Vorgänge (siehe auch Kapitel 4.1), wie - Ausbreitungs- und Verdünnungsvorgänge in Luft, Wasser und Boden, - Ablagerungen auf Boden und Pflanzen, - Verteilungs- und Anreicherungsvorgänge in Pflanze und Tier, - Verhalten der mit Nahrung und Atemluft aufgenommenen radioaktiven Stoffe im Körper des Menschen. Die Verfolgung des Weges radioaktiver Stoffe vom Abgabeort bis in ein menschliches Organ erlaubt die Abschätzung der möglichen Strahlenexposition des Menschen und damit auch die Festlegung maximal zulässiger Ableitungswerte (Emissionswerte) für bestimmte radioaktive Stoffe aus kern221 technischen Anlagen. In die Berechnung gehen auch einige unsichere Faktoren ein, wie z. B. Annahmen über die Wetterlage und damit der Ausbreitung der Aktivität oder die Lebensgewohnheiten der Bevölkerung. Generell darf die effektive Dosis für eine Einzelperson der Bevölkerung, die sich an der ungünstigsten Stelle aufhält, 0,3 mSv im Jahr nicht überschreiten. Für die Betreiber einer Anlage oder Einrichtung, die keine Kernbrennstoffe verarbeitet oder lagert, das sind z. B. die Forschungslaboratorien der Physik oder der Radiochemie und die Nuklearmedizin, ergeben sich Erleichterungen. Hier ist die aufwändige Berechnung der möglichen Strahlenexposition nicht nötig. Stattdessen sind in der Strahlenschutzverordnung nuklidspezifische Grenzwerte für die Aktivitätskonzentrationen in Abluft und Abwasser vorgegeben, die im Jahresmittel eingehalten werden müssen (vgl. Tabelle 5.4). Die Grenzwerte sind so gewählt, dass eine Gefährdung der Bevölkerung ausgeschlossen ist. Sind mehrere Nuklide im Abwasser bzw. in der Abluft enthalten, dann gilt auch hier wiederum die Summenformel, um ein Ansteigen des Gefährdungspotentials zu verhindern. Radionuklid A = Aerosol (Luft) B = elementar (Luft) O = organisch H-3 A H-3 O C-14 A F-18 A Co-60 A TcA 99m I-131 E CsA 137 U-235 A U-238 A in der Luft in Bq/m3 1 E+2 1 E+2 6 5 E+2 1 2 E+3 im Wasser in Bq/m3 1 E+7 1 E+6 6 E+5 2 E+6 2 E+4 4 E+6 5 E-1 9 E-1 5 E+3 3 E+4 4 E-3 5 E-3 3 E+3 3 E+3 Tab. 5.4 Grenzwerte einiger Radionuklide für Aktivitätskonzentrationen aus Strahlenschutzbereichen (StrlSchV Anlage VII Tabelle 4 /STR-01/) 222 5.3 Genehmigungspflicht des Umgangs mit radioaktiven Stoffen In den Paragraphen 3, 4, 6, 7 und 9 des Atomgesetzes heißt es sinngemäß: Wer mit radioaktiven Stoffen umgeht, bedarf einer Genehmigung. Entsprechende Paragraphen finden sich in der Strahlenschutzverordnung für den Umgang mit radioaktiven Stoffen und den Betrieb von Anlagen, die ionisierende Strahlung erzeugen. Ausgenommen ist der Umgang mit radioaktiven Stoffen unterhalb der Freigrenze, wobei bei Nuklidgemischen wiederum die Summenformel zu berücksichtigen ist. Ist einmal eine Genehmigung für ein bestimmtes Radionuklid notwendig und erteilt, so muss auch für alle weiteren Nuklide, mit denen umgegangen werden soll, eine Genehmigung eingeholt werden, auch wenn die entsprechenden Mengen unterhalb der Freigrenze liegen. Genehmigungsvoraussetzungen (Rechtfertigung, Sicherheitsanforderungen) Die erste Voraussetzung zur Genehmigung des Umgangs mit radioaktiven Stoffen ist bereits in den Strahlenschutzgrundsätzen festgelegt. Hierin heißt es, dass der Nutzen aus einem Umgang größer sein muss als die möglichen Gefahren. Nur ein gerechtfertigter Umgang, der überwiegenden öffentlichen Interessen nicht entgegensteht, ist genehmigungsfähig. Weiterhin muss die Zuverlässigkeit des Antragstellers, des Strahlenschutzverantwortlichen, gegeben sein. Der Strahlenschutzverantwortliche bestellt zu seiner Unterstützung eine ausreichende Anzahl Strahlenschutzbeauftragte. Die Strahlenschutzbeauftragten sorgen in ihrem jeweiligen, vorher festgelegten Aufgabenbereich für die Einhaltung der Schutzvorschriften und der in der Genehmigung festgeschriebenen Auflagen. Verantwortlich für den Schutz von Mensch und Umwelt bleibt der Strahlenschutzverantwortliche. Die Strahlenschutzbeauftragten müssen ihre Fachkunde im Strahlenschutz nachweisen, die durch eine geeignete Ausbildung, durch praktische Erfahrung und durch die erfolgreiche Teilnahme an anerkannten Kursen erworben wird. Alle übrigen Mitarbeiter müssen wenigstens Kenntnisse im Umgang mit radioaktiven Stoffen und ionisierender Strahlung besitzen. 223 Bei der Anwendung radioaktiver Stoffe am Menschen in der Medizin muss der Antragsteller oder wenigstens ein Strahlenschutzbeauftragter als Arzt approbiert sein. Die erforderliche Fachkunde zur Bestellung als Strahlenschutzbeauftragter erhält der Arzt in der Regel mit der Facharztprüfung in einer der drei Strahlenfächern, Radiologie, Strahlentherapie und Nuklearmedizin, wobei nur in den letzten beiden Fällen der Umgang mit radioaktiven Stoffen gestattet ist. Neben der Rechtfertigung und den personellen Voraussetzungen müssen geeignete Räume, Ausrüstungen und Geräte vorhanden sein, um die geltenden Schutzvorschriften einhalten zu können. Neben der Gewährleistung eines regulären Betriebs schließt dies auch den Schutz vor äußeren Einwirkungen ein, durch die radioaktive Stoffe freigesetzt werden können. Denkbar sind Feuer und Naturereignisse, wie Erdbeben und Überschwemmungen, aber auch zerstörerische Absichten Dritter. Zuletzt ist für eine Ausreichende Deckungsvorsorge zu sorgen, d.h. der Antragsteller muss nachweisen, dass er die gesetzlichen Schadensersatzverpflichtungen erfüllen kann. Die Höhe der Deckungsvorsorge wird alle 2 Jahre von der zuständigen Behörde erneut festgelegt. Nachweis der Einhaltung der Schutzbestimmungen (Radioökologische Berechnungen u. a.) Der aufwändigste Teil im Genehmigungsverfahren ist der Nachweis der Einhaltung der gesetzlichen Schutzbestimmungen, insbesondere die Einhaltung der Grenzwerte für die effektive Dosis. Für den Fall einer äußeren Strahlenexposition durch ortsfeste Strahlenquellen geschieht dies mit Hilfe eines Strahlenschutzplans. Im Strahlenschutzplan wird die Äquivalentdosis aus den Aktivitätsmengen mit Hilfe der Dosisleistungskonstanten (vgl. Tabelle 5.1) unter Berücksichtigung des Abstandquadratgesetzes (vgl. Abb. 5.1) und der vorhandenen Abschirmung (vgl. Abb. 1.5) berechnet. Hieraus ergibt sich auch die Notwendigkeit der Einrichtung von Strahlenschutzbereichen und die Pflicht der Überwachung der Personendosis der Mitarbeiter. Ferner müssen die Aktivitätskonzentrationen aller Ableitungen aus der Anlage kontrolliert werden. Je nach Verbreitung 224 der Radionuklide in der Umwelt kann sich hieraus sowohl eine äußere wie auch eine innere Strahlenexposition für Einzelpersonen der Bevölkerung ergeben. Zu deren Abschätzung sind detaillierte radioökologische Berechnungen vorzulegen, die alle denkbaren Expositionspfade berücksichtigen. Das in seinen Abläufen außerordentlich komplexe radioökologische Geschehen lässt sich nicht in allen Details vollständig mathematisch erfassen. Eine Abschätzung der höchstmöglichen Dosis ist jedoch durch eine modellhafte Beschreibung durchaus möglich. Dazu werden alle notwendigen Annahmen so getroffen, dass sie stets den ungünstigsten Fall mit einbeziehen. Das Ergebnis eines solchen Vorgehens ist ein Rechenwert, der insgesamt höher liegt, als es der Realität entspricht, also „konservativ“ ist. Die Anwendung der Berechnungsprinzipien auf die Messwerte der Radioaktivität aus den Ablagerungen nach dem Tschernobyl-Unfall hat nun gezeigt, dass in allen Fällen die Strahlendosis überschätzt wurde. Die Rechenwerte lagen also in der Tat auf der sicheren Seite. Bei radioökologischen Berechungen im Rahmen des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens muss nicht jeder Einzelwert, sondern das Gesamtergebnis konservativ sein. So überschätzt beispielsweise der überdurchschnittlich hoch angenommene Nahrungsverbrauch der Referenzperson die stark unterschiedlichen Ernährungsgewohnheiten von Einzelpersonen, wie extremen Fleischessern, Vegetariern und anderen. Die für die Referenzperson errechneten Höchstdosen werden deshalb von real existierenden Personen mit Sicherheit nicht erreicht. Für Überwachungsmessungen muss eine ausreichende Anzahl von Messinstrumenten zur Erfassung der Aktivitätskonzentrationen im Abfall, im Abwasser und in der Abluft vorhanden sein. Das Landesamt für Umwelt schreibt die Messprotokolle vor und kann im Einzelfall die korrekte Durchführung der Messungen kontrollieren. Genauso müssen Messgeräte zur Feststellung von Personenkontaminationen verfügbar sein und gegebenenfalls geeignete Dekontaminationseinrichtungen. Der Nachweis, dass alle Mitarbeiter mit den betriebsinternen Regelungen zum Einhalten der Schutzmaßnahmen vertraut 225 gemacht worden sind, wird durch eine Strahlenschutzanweisung erbracht. Die Strahlenschutzanweisung wird von den zuständigen Strahlenschutzbeauftragten erstellt und ist von allen Mitarbeitern zur Kenntnis zu nehmen. Sie enthält alle Verhaltensweisen zum Umgang mit radioaktiven Stoffen im normalen Betrieb, sowie Verhaltensanweisungen bei möglichen Unfällen. Zudem müssen alle Mitarbeiter jährlich im Umgang mit radioaktiven Stoffen unterwiesen werden. Neben der Auffrischung allgemeiner Strahlenschutzgrundsätze soll hierbei auch auf betriebsspezifische Besonderheiten und Neuerungen hingewiesen werden. Ist der Umgang genehmigt und die Anlage in Betrieb, überprüft das Landesamt für Umwelt die Einhaltung aller Schutzmaßnahmen und Auflagen. Außerdem besteht eine Mitteilungspflicht über jeglichen Zu- und Abgang von Aktivitäten mit ihrem jeweiligen Verbleib. Die Überprüfung wird in regelmäßigen Abständen in Form einer Begehung der Einrichtung vollzogen. Neben der augenscheinlichen Begutachtung der örtlichen Gegebenheiten sind den Prüfern die Dokumentation der regelmäßigen Qualitätskontrollen der verwendeten Messgeräte, die Aufzeichnungen über die jährliche Unterweisung der Mitarbeiter und die Bestätigung ihrer Fachkunde bzw. Kenntnisse vorzulegen. 5.4 Literatur Atomgesetz (1985). (/ATG85/).http://bundesrecht.juris.de/atg/index.html. Dosiskoeffizienten bei äußerer und innerer Strahlenexposition. Bundesanzeiger (/BUA-01/). (2001). 160 a und b. Röntgenverordnung (2001). (/RÖV-01/). http://bundesrecht.juris.de/strlschv_2001/index.html. Strahlenschutzvorsorgegesetz (1986). (/STR-86/). http://bundesrecht.juris.de/strvg/index.html. Strahlenschutzverordnung (2001). (/STR-01/). http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/strlschv_2001/ gesamt.pdf. 226 6. 6.1 Vorsorgemaßnahmen bei Strahlenunfällen Reaktorunfälle (Beispiel Tschernobyl) Reaktorunfälle vor Tschernobyl Im Oktober 1957 kam es in Windscale, UK, in einem gasgekühlten Reaktor mit Graphitkern ohne Sicherheitscontainment zu einem schweren Unfall. Die Überhitzung des Graphitkerns führte zu einem Brand, der nur unter größten Schwierigkeiten am nächsten Tag gelöscht werden konnte. Es folgte eine Freisetzung von Radioaktivität, wobei Partikel von vorhandenen Filtern zurückgehalten werden konnten. Insgesamt wurden ca. 750 TBq flüchtiges I-131 in die Atmosphäre freigesetzt. In einem Umfeld von 300 Quadratkilometern wurde kontaminierte Milch für die Dauer von einem Monat mit einem Verzehrsverbot belegt. Die kollektive Schilddrüsendosis für die englische Bevölkerung wurde mit 2,5*104 Personen-Sievert geschätzt. Hieraus wurden zusätzlich 6,5 Schilddrüsenkrebsfälle pro Jahr abgeschätzt, die bei einer erwarteten natürlichen Inzidenz von über 600 pro Jahr statistisch nicht nachweisbar sind. Im März 1979 ereignete sich ein schwerer Unfall im Kernkraftwerk Three Mile Island in Harrisburg, Pennsylvania, USA. Hierbei handelt es sich um einen wassergekühlten Reaktor mit Sicherheitscontainment. Aufgrund einer Verkettung von Fehlern in der Bedienung des Reaktors kam es zu einem Versagen der Haupt- und Notkühlung. Die Folge war eine Kernschädigung mit einer Freisetzung von rund 50 % des Reaktorinventars an Radiocäsium und 40 % an Radioiod. Diese enormen Radioaktivitätsmengen wurden aber weitgehend vom Reaktorgebäude zurückgehalten, so dass kein Radiocäsium und nur ein sehr geringer Teil (0,00002 %) des Radioiods in die Umgebung entwichen. Die Gesamtmenge an freigesetztem Iod wurde mit 550 GBq geschätzt. Systematische Untersuchungen der exponierten Bevölkerung ergaben keine eindeutigen Hinweise dafür, dass die Freisetzung zu einer Erhöhung der Krebsmortalität geführt hat. 227 Der Tschernobylunfall Am 26. April 1986 ereignete sich im Reaktorblock 4 der ukrainischen Kernkraftwerksanlage Tschernobyl 100 km nördlich von Kiew unweit der Grenze zu Weißrussland der folgenschwerste Unfall in der Geschichte der zivilen Nutzung der Kernenergie. Die Bedienmannschaft hatte einen unangekündigten Test des Kühlsystems nach Abschalten der Elektrizitätsversorgung für die Turbinen vorgenommen. Der Graphit moderierte Reaktor, der über kein heutigen Maßstäben genügendes Reaktordruckgefäß und kein Sicherheitscontainment verfügte, geriet innerhalb kürzester Zeit außer Kontrolle. Abb. 6.1 Der havarierte Reaktorblock 4 des KKW Tschernobyl am 26.04.1986 (Russian Research Centre „Kurchatov Institute“ 1996) Aufgrund der speziellen Bauweise des Reaktors führte die sich verstärkende Kettenreaktion zur Explosion des Reaktorkerns, wobei die Sprengkraft mit 30-40 t TNT gleichgesetzt wurde. Freigesetzt wurden große Teile des radioaktiven Reaktorinventars von etwa 40–50 % des Radiocäsiums und des Radioiods. Da der Graphitbrand innerhalb eines 228 Zeitraums von 10 Tagen nicht gelöscht werden konnte, wurden täglich etwa 10 16 Bq I-131 und 10 15 Bq Cs-137 freigesetzt. Abb. 6.2 Freisetzung von I-131, Te-132 und Cs-137 während des Brands des Reaktorblocks 4 des KKW Tschernobyl in den 10 Tagen nach dem 26.04.1986 (UNSCEAR 2000) Infolge der heftigen Explosion und des Feuers reichte die radioaktive Wolke bis zu 10 km hoch und führte zu einer Verfrachtung des radioaktiven Materials über Teile der Ukraine, Russlands und Weißrusslands. Die Wolke wurde aufgrund der anfangs vorherrschenden Winde zunächst nach Nordwesten abgetrieben, was dazu führte, dass vor allem weißrussische Gebiete (wie z. B. um die Großstadt Gomel herum) besonders vom Fallout betroffen wurden. Aber auch das Gebiet unmittelbar um den Reaktor und die Nachbarstadt Pripyat wurden erheblich kontaminiert. Die Bevölkerung von Pripyat wurde innerhalb von 2 Tagen evakuiert und die Einwohner der Dörfer innerhalb einer 30-km-Zone in der Folgezeit. Insgesamt wurden etwa 30.000 Quadratkilometer mit mehr als 185 kBq/m2 kontaminiert, was die Evakuierung von rund 115.000 Einwohnern zur Folge hatte. In den Jahren nach dem Unfall wurden zusätzlich 210.000 Einwohner in weniger kontaminierte Gebiete umgesiedelt. 229 Abb. 6.3 Kontamination der näheren und weiteren Umgebung des Tschernobylreaktors mit Cs-137 (UNSCEAR 2000) Nachdem die Windrichtung in den folgenden Tagen mehrfach wechselte, wurden auch weiter entfernte Gebiete Europas zum Teil erheblich kontaminiert. In Skandinavien beispielsweise wurden Expositionen von Cäsium-137 bis zu 120 kBq/m2 gemessen. Aufgrund einer ausschließlich stabilen, mehrere Tage andauernden Ostwindlage zog die radioaktive Wolke auch über Deutschland hinweg, wobei sie insbesondere im süddeutschen Raum durch stärkere Regenfälle niedergeschlagen wurde. Südlich der Donau und im Bayerischen Wald wurde zwischen 10 und 50 kBq/m2 Cäsium137 am Boden gemessen. 230 Abb. 6.4 Radioaktivitätsverfrachtungen während 7 Tagen nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl am 26.04.1986 (GRS 1996) Gesundheitliche Folgen des Tschernobylunfalls Die gesundheitlichen Folgen der Tschernobylkatastrophe wurden kürzlich von dem Tschernobylforum, einer Initiative der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), bewertet. Zu diesem Tschernobylforum zählten zahlreiche internationale Experten sowie Vertreter der Wissenschaft aus den von der Tschernobylkatastrophe betroffenen Ländern Ukraine, Weißrussland und Russland. Das Tschernobylforum machte sich zur Aufgabe, die im Bericht des United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation (UNSCEAR) aus dem Jahre 2000 publizierten Daten zu den Folgen des Tschernobylunfalls zur aktualisieren und durch neuere Publikationen in „peer reviewed journals“ sowie durch Berichte staatlicher Einrichtungen der betroffenen Länder zu ergänzen. 231 Mangels Verfügbarkeit geeigneter Messinstrumente und der Durchführung systematischer Untersuchungen in der Bevölkerung unmittelbar nach der Katastrophe ist die Datenlage zu den Strahlendosen der Bevölkerung relativ schlecht. Hinzu kommt, dass die Exposition auf den kontaminierten Gebieten teilweise relativ niedrig ist. Hiervon ist allerdings die hohe, besser dokumentierte Strahlenbelastung der Schilddrüse, die vor allem auf den Verzehr kontaminierter Milch zurückzuführen ist, abzugrenzen. Auch zu den hoch exponierten Ersthelfern auf der Kernkraftwerksanlage liegen belastbarere Dosisabschätzungen vor. Was die gesundheitlichen Risiken infolge des Tschernobylunfalls betrifft, so ist zu berücksichtigen, dass die Lebenserwartung der davon betroffenen Bevölkerung nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auch in nicht kontaminierten Regionen dramatisch abgenommen hat. Über einen Zeitraum von 15 Jahren reduzierte sich die durchschnittliche Lebenserwartung für einen Mann von 70 auf 61 Jahre in Russland und von 67 auf 61 Jahre in der Ukraine (zum Vergleich: die durchschnittliche Lebenserwartung für Männer in Westeuropa liegt derzeit bei 75 Jahren). Man geht davon aus, dass die reduzierte Lebenserwartung durch die Verschlechterung der sozioökonomischen Bedingungen und des Gesundheitssystems bedingt ist. Die von der Expertengruppe analysierten Studien weisen leider häufig Mängel durch kleine Fallzahlen oder unzulängliche Kontrollgruppen auf. Der Einfluss des Rauchens und des Alkoholkonsums kann zu starken Veränderungen der Mortalität und Morbidität führen (insbesondere verschiedener Krebs- und kardiovaskulärer Erkrankungen). Ohne Zweifel kann die psychische Belastung durch bestehende oder vermutete Strahlenexposition zu einer Zunahme des Tabakoder Alkoholkonsums führen, was den Anstieg der Häufigkeit von Krebs und kardiovaskulärer Erkrankungen zur Folge haben kann, ohne dass Strahlung hierbei direkt die Ursache ist. Bei den gesundheitlichen Effekten müssen stochastische von deterministischen Strahleneffekten unterschieden werden (vgl. Kapitel 2.2). 232 - Exponierte Personen Die von der Tschernobylkatastrophe betroffene Bevölkerung kann in drei Kategorien eingeteilt werden: x So genannte Liquidatoren, die unmittelbar nach dem Reaktorunfall oder später während der Aufräumphase strahlenexponiert wurden. Besonders hoch exponiert waren die 150 zum Zeitpunkt des Unfalls auf der Anlage beschäftigten Mitarbeiter. In den Jahren 1986 und 1987 setzte man 240.000 Liquidatoren zur Beseitigung der Folgen der Reaktorkatastrophe ein. Bis 1990 wurde eine große Zahl weiterer ziviler und militärischer Kräfte hinzugezogen, so dass insgesamt 600.000 Personen an den Aufräumarbeiten beteiligt waren. Das gesamte Einsatzpersonal erhielt spezielle Zertifikate als Liquidatoren und damit auch soziale Vergünstigungen. Es muss allerdings davon ausgegangen werden, dass nur ein kleiner Teil dieses Personenkreises hoch exponiert war, während der weitaus größte Teil der Liquidatoren, der in einiger Entfernung von der Anlage und auch zu späten Zeitpunkten eingesetzt wurde, allenfalls niedrige Strahlendosen erhielt. x Einwohner, die aus kontaminierten Gebieten evakuiert wurden. Hierbei handelt es sich um 116.000 Personen, die im Jahre 1986 aus der Umgebung des Tschernobylreaktors evakuiert wurden und zusätzliche 220.000 Personen, die nach 1986 aus verschiedenen, relativ hoch kontaminierten Gebieten Weißrusslands, Russlands und der Ukraine umgesiedelt wurden. x Einwohner kontaminierter Gebiete, die nicht evakuiert wurden. Es wird geschätzt, dass rund 5 Mio. Einwohner auf geringer kontaminierten Gebieten leben, für die eine Evakuierung als nicht erforderlich ertrachtet wurde. Die Art der Exposition war dabei meist unterschiedlich, so wurden die Ersthelfer und die höher exponierten Liquidatoren hauptsächlich einer äußeren Strahlenexposition ausgesetzt (durch Gamma- und Betastrahlung während der Tätigkeit auf der Anlage). Die allgemeine Bevölkerung wurde einerseits Direktstrahlung aus der radioaktiven Wolke und 233 später von auf dem Boden deponierten Radionukliden ausgesetzt. Hinzukommt die mögliche Inhalation von Radioaktivität aus der Luft und die Ingestion von kontaminierter Nahrung und Wasser. - Strahlendosen Nachdem sich 1991–1992 erstmals zeigte, dass die steigende Häufigkeit von Schilddrüsenkrebs bei Kindern in Zusammenhang mit der Strahlenexposition zu bringen ist, wurden die Schilddrüsendosen intensiv untersucht. Sie variieren über einen weiten Bereich in Abhängigkeit vom Lebensalter der exponierten Personen, der Höhe der Bodenkontamination, dem Milchverzehr und der Höhe der Aktivitätskonzentration in der Milch. Die individuellen Schilddrüsendosen erreichten bis zu 50 Gy, mit durchschnittlichen Dosen zwischen 0,03 und 0,3 Gy. Die Einschätzung dieser Schilddrüsendosen basieren auf rund 350.000 Messungen, die innerhalb weniger Wochen nach dem Unfall bei Einwohnern Weißrusslands, der Ukraine und Russlands durchgeführt wurden. Was die Strahleneffekte an der Schilddrüse betrifft, so ist zu berücksichtigen, dass die kontaminierten Gegenden Weißrusslands, Russlands und der Ukraine zum Teil als Gebiete mit mildem oder moderatem Iodmangel zu betrachten sind. Mit der verringerten Zufuhr stabilen Iods nehmen die Schilddrüsenmasse und die Aufnahme von Iod-131 zu. Iodtabletten zur Blockierung der Aufnahme von Radioiod wurden nur vereinzelt (wie z. B. in der Stadt Pripyat) innerhalb von 6 bis 30 Stunden nach der Freisetzung von Radioiod verteilt. Man nimmt an, dass dies bei den Einwohnern Pripyats zu einer Reduktion der Schilddrüsendosis um etwa den Faktor 6 geführt hat. Im übrigen hat sich die Iodblockade in Polen, wo ebenfalls erhebliche Expositionen mit I-131 zu vermelden waren, außerordentlich bewährt. Die Anlagenmitarbeiter und Ersthelfer erhielten Strahlendosen zwischen einigen Gy bis zu 16 Gy. Von den derart hoch exponierten verstarben 28 innerhalb der ersten 4 Monate nach der Strahlenexposition. Die Dosen, die bei den Liquidatoren registriert wurden, erreichten bis zu 500 mGy, mit einer durchschnittlichen Dosis von etwa 100 mGy. 234 Die Strahlenexposition der Bevölkerung im Zeitraum 1986 bis 2005 wird mit wenigen mSv bis zu einigen 100 mSv geschätzt, wobei die Durchschnittsdosen zwischen 10 und 20 mSv liegen (zum Vergleich: Die durchschnittliche Dosis durch natürliche Umgebungsstrahlung in Deutschland pro Person liegt bei etwa 2,4 mSv/Jahr. Während des gesamten Lebens kommt es somit zu einer akkumulierten Dosis von wenigstens 100 mSv). - Schilddrüsenerkrankungen Die Schilddrüse benötigt Iod als Baustein für die Schilddrüsenhormonsynthese und konzentriert auf die Art und Weise auch Radioiod sehr stark. Es ist seit langem bekannt, dass ionisierende Strahlung Schilddrüsenkrebs erzeugen kann, wobei Kinder besonders strahlenempfindlich sind. Zwischen 1992 und 2000 wurden in Weißrussland, Russland und der Ukraine ca. 4.000 Fälle von Schilddrüsenkrebs bei Kindern und Jugendlichen (jünger als 18 Jahre zum Zeitpunkt der Reaktorkatastrophe) diagnostiziert, wobei etwa die Hälfte dieser Fälle auf die Strahlenexposition zurückzuführen ist. Nach den vorliegenden Daten zu den Verläufen der Krebserkrankungen bei 1.152 Schilddrüsenkrebsfällen bei Kindern aus Weißrussland liegen die Überlebensraten für den Zeitraum 1992 bis 2002 bisher bei rund 99 %. Da die Schilddrüsenkrebsfälle bei einem nicht unerheblichen Teil dieses weißrussischen Kollektivs (ca. 20 %) in fortgeschrittenen Tumorstadien (N+, M+) diagnostiziert wurden, ist eine sichere Beurteilung der Prognose erst nach Jahrzehnten möglich. In jüngster Zeit wird auch über eine Zunahme der Schilddrüsenkrebs-Häufigkeit bei Erwachsenen berichtet. Bei auch in anderen Regionen der Welt steigenden Inzidenzen und einer nicht eindeutigen Korrelation der zunehmenden Inzidenzen bei Erwachsenen aus den unmittelbar betroffenen Gebieten der ehemaligen Sowjetunion mit der Strahlendosis durch Tschernobyl ist ein kausaler Zusammenhang bisher unklar. 235 Fälle pro 100 000 Jugendliche Kinder (0 - 14) Jugendliche (15 - 18) Erwachsene (19 - 34) Erwachsene Kinder Abb. 6.5 Jährliche Inzidenz der Schilddrüsenkarzinome bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Weißrussland (Cardis et al. 2006) Andere Schilddrüsenerkrankungen – wie gutartige Schilddrüsenerkrankungen, Hypothyreose oder Autoimmunthyreoiditis – wurden vereinzelt berichtet. Die Zusammenhänge zwischen der Strahlenexposition nach Tschernobyl und derartigen Beobachtungen sind jedoch noch unklar. - Leukämie Nach den Beobachtungen, die an den Überlebenden der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki gemacht wurden, zählt die Leukämie zu den gesicherten Folgen einer Strahlenexposition. Insbesondere Kinder gelten hierbei als besonders strahlenempfindlich. Die vorliegenden Daten lassen den Schluss nicht zu, dass die Strahlenexposition durch Tschernobyl zu einer signifikanten Erhöhung der Rate kindlicher Leukämien geführt hat. Gleichermaßen liegt kein eindeutiger Hinweis dafür vor, dass die Leukämie bei erwachsenen Einwohnern der exponierten Gebiete zugenommen hat. Für die Liquidatoren zeichnet sich ab, dass das Risiko der Leukämie nach Exposition mit mehr als 150 mGy um den Faktor 2 zunimmt. Diese Beobachtung bedarf jedoch noch einer Bestätigung durch weitere Untersuchungen. 236 - Andere solide Tumoren als Schilddrüsenkrebs Nach dem aktuellen Bericht des Tschernobylforums liegen für die Bevölkerung bisher keine gesicherten Erkenntnisse über die Zunahme der Inzidenzen anderer solider Tumoren als Schilddrüsenkrebs durch die Tschernobylkatastrophe vor. Eine Ausnahme stellt allerdings möglicherweise der Brustkrebs bei prämenopausalen Frauen dar. Auch die Gesamtzahl solider Tumoren bei Liquidatoren steigt möglicherweise an. Für die Nicht-Schilddrüsenkrebse müssen Latenzzeiten von 10 bis 15 und mehr Jahren angenommen werden, so dass die Beobachtungszeiträume hier zum Teil noch zu kurz sind. - Andere gesundheitliche Effekte Die Angaben zu durch Tschernobyl bedingten Todesfällen, die in den letzten 20 Jahren gemacht wurden, bewegen sich zwischen zweistelligen und sechsstelligen Zahlen. Als gesichert kann gelten, dass bis heute rund 48 Personen verstorben sind (darunter 31 an Folgen des akuten Strahlensyndroms und 9 an Schilddrüsenkrebs). Angaben zu mehr als 100.000 nach Tschernobyl verstorbenen Einwohnern der Ukraine beziffern die Gesamtmortalität und nicht die auf die Strahlenexposition zurückzuführende Sterblichkeitsrate. Die Gesamtzahl aller in der Zukunft zu erwartenden Todesfälle durch Krebs, die auf den Tschernobylunfall zurückzuführen sind, wird nach derzeitigen Schätzungen mit 4.000 bis maximal 9.000 beziffert. Was die psychologischen Effekte der Tschernobylkatastrophe betrifft, so handelt es sich hierbei um das bei weitem größte Problem. Das Ausmaß der Tschernobylkatastrophe und die große Zahl der betroffenen Personen auch in weiter entfernten Gebieten mit den dadurch verbunden Folgen der Evakuierung und Umsiedelung sowie dem Verlust der ökonomischen Stabilität der Länder der ehemaligen Sowjetunion führten bei den Betroffenen zu verständlichen Ängsten, massiver Verunsicherung und damit verbundenen psychischen und psychosomatischen Beschwerden. Unter den Stresssymptomen herrschen Depression und Angstsymptome vor; die Selbstmordrate ist stark angestiegen. Die Tatsache, dass diese Störungen auch von man237 chen Ärzten als direkte Folgen der Strahlenexposition erklärt werden, verschlechtert die Befindlichkeit der betroffenen Personen. Besondere Besorgnis haben Berichte zur Störung der kindlichen Hirnentwicklung in utero durch die Tschernobylkatastrophe ausgelöst. Eine Pilotstudie der WHO und zwei weitere Untersuchungen ergeben hierfür jedoch keinen Hinweis. Bezüglich hereditärer Effekte und Sterilität bzw. Infertilität zeigen die Erfahrungen aus Hiroshima und Nagasaki, dass derartige Störungen nur oberhalb von Schwellendosen auftreten, mit denen allenfalls die Ersthelfer auf der Anlage exponiert waren. Für die Bevölkerung könnten somit derartige Effekte ausgeschlossen werden. Dies steht nicht in Widerspruch zu der Beobachtung, dass die Geburtenraten in den betroffenen Gebieten abgenommen haben, wobei hierfür andere Effekte, wie z. B. die Unsicherheit über die sozioökonomische Entwicklung, ursächlich verantwortlich sein dürften. Kardiovaskuläre Erkrankungen haben in den letzten Jahren in der Ukraine, Weißrussland und Russland stark zugenommen. Aus Russland wird auch über eine groß angelegte Studie an Liquidatoren berichtet, die eine Zunahme des relativen Risikos für Tod an kardiovaskulären Erkrankungen zeigt. Eine Korrelation mit der Strahlendosis fehlt jedoch. Es bedarf weiterer Studien an Ersthelfern unter Verwendung geeigneter Kontrollgruppen und adäquater Dosimetrie, um diesen Effekten nachzugehen. Ein weiteres in der Öffentlichkeit viel diskutiertes Thema ist eine auf die Strahlenexposition zurückgeführte Immunschwäche, auch als „Tschernobyl-AIDS“ bezeichnet. Bisher lassen sich für Dosen bis zu einigen 10 mGy keine eindeutigen, auf die Strahlenexposition zurückzuführenden Effekte nachweisen. - Strahlenexposition in Deutschland durch Tschernobyl Die Strahlenexposition von Menschen in Deutschland wurde durch folgende Expositionspfade verursacht: 238 x Bestrahlung von außen durch radioaktive Stoffe in der umgebenden Luft und durch ihre Ablagerung am Boden x Bestrahlung von innen durch Inhalation von kontaminierter Luft sowie Ingestion von kontaminierten Lebensmitteln Die Bestrahlung aus der umgebenden Luft lieferte im Vergleich zu den anderen Expositionspfaden nur geringe Beiträge, dies gilt auch für die Inhalation von kontaminierter Luft (inklusive der Aufnahme von radioaktivem Iod). Die Aufnahme kontaminierter Nahrungsmittel (Ingestion) trug in höherem Maße zu der Gesamtdosis bei, die durch die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl verursacht worden ist. Auch heute noch sind in damals hochkontaminierten Gebieten Wildfleisch und bestimmte Waldpilze mit langlebigem Cäsium kontaminiert. Abb. 6.6 Strahlenexposition im ersten Jahr nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl und als kumulative 50 JahreFolgedosis für verschiedene deutsche Gebiete in Relation zur Variationsbreite der natürlichen jährlichen Strahlenexposition (SSK 1996) 239 Die gesamte Strahlenexposition der Menschen in Deutschland ist in Abb. 6.6 dargestellt. Im ersten Jahr nach der Reaktorkatastrophe war die zusätzliche Strahlendosis im Mittel kleiner als die normale Variation der jährlichen natürlichen Strahlenexposition, die durch Unterschiede im Aufenthaltsort innerhalb Deutschlands bedingt ist. Die Strahlenschutzkommission schätzte bereits 1996 zutreffend ab, dass die gesamte Lebenszeitdosis der Menschen in den relativ hoch kontaminierten Voralpengebieten durch den Reaktorunfall etwa gleich sein wird wie die Strahlendosis aus natürlichen Quellen innerhalb eines Jahres (2,4 mSv). Der mittlere Wert der Exposition für die deutsche Bevölkerung durch den Tschernobylunfall liegt unterhalb von einem mSv. Gesundheitliche Effekte für die Bevölkerung in Deutschland sind zwar vielfältig diskutiert worden. So finden sich Berichte über die Erhöhung von Missbildungen, Sterberaten bei Frühgeborenen und genetische Effekte (Mongolismus). Eine sorgfältige Überprüfung dieser Daten hat aber ergeben, dass gesundheitliche Effekte bei der Bevölkerung in Deutschland durch die Strahlendosen infolge der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl nicht verursacht sein können. Dies gilt auch für Krebserkrankungen bzw. Krebstodesfälle. Aufgrund der strahlenbiologischen und klinischen Erfahrungen mit ionisierenden Strahlen waren derartige Effekte bei den aufgetretenen Strahlendosen auch nicht zu erwarten. Iodblockade als Maßnahme zur Strahlenschutzvorsorge Im Falle der Freisetzung von radioaktivem Iod durch einen Reaktorunfall kann die Aufnahme des radioaktiven Iods durch stabiles Iod in Tablettenform effektiv blockiert werden. Derartige Iodtabletten sind prinzipiell leicht verfügbar, preiswert und in geeigneter Verpackung lange haltbar. Um eine ausreichende Wirkung zu erzielen, muss die Tabletteneinnahme wenige Stunden vor oder nach der Exposition mit radioaktivem Iod erfolgen. 240 Vermeidbare Schilddrüsendosis (%) Iodversorgung ausreiIodman- Zeit der Kaliumiodid-Gabe relativ zur Radioiod-Inkorporation (h) Abb. 6.7 Effektivität – ausgedrückt als vermeidbare Dosis in Prozent – der Verordnung von Kaliumiodid in Relation zur Inkorporation von Radioiod (in Stunden). Unterschiedliche Betrachtung für ausreichende (durchgezogene Linie) bzw. unzureichende (gestrichelte Linie) Zufuhr von Iod mit der Nahrung (Reiners 2006 Die Iodtabletten dienen in erster Linie der Blockierung der Aufnahme von Radioiod durch Inhalation aus einer radioaktiven Wolke. Iodtabletten sollten im Prinzip nur einmal verabreicht werden, da ggf. zusätzliche Schutzmaßnahmen greifen müssen (wie Evakuierung oder Verzehrsverbot für kontaminierte Milch und Nahrungsmittel). Nach den vorliegenden epidemiologischen Erkenntnissen sind Ungeborene, Kleinkinder, Kinder sowie Schwangere und stillende Frauen besonders schutzbedürftig. Kinder bis zu 4 Jahren sind besonders empfindlich gegen die möglichen schädigenden Effekte ionisierender Strahlung. Außerdem nehmen kindliche Schilddrüsen – bezogen auf das geringere Volumen – stärker Iod auf als die Schilddrüsen älterer Personen. Neben dem Zeitpunkt der Verabreichung ist die Menge des stabilen Iods entscheidend für die Reduktion der Speicherung radioaktiven Iods. Eine möglichst vollständige Blockade wird durch die in der nachfolgenden Tabelle altersabhängig angegebenen Dosierungen erreicht. 241 Personengruppe Tagesgabe in mg Iodid Tagesgabe in mg Kaliumiodid < 1 Monat 1–36 Monate 3–12 Jahre 13–45 Jahre > 45 Jahre 12,5 25 50 100 0 16,25 32,5 65 130 0 Tabletten à 65 mg Kaliumiodid 1/4 1/2 1 2 0 Tab. 6.1 Empfohlene Dosis Iodid bzw. Kaliumiodid nach Alter (SSK 2004) Iodtabletten sind nur nach Aufforderung durch die zuständige Behörde einzunehmen. Schwangere und Stillende erhalten die gleiche Ioddosis wie die Gruppe der 13- bis 45-Jährigen. Im Regelfall ist eine einmalige Einnahme der Iodtabletten ausreichend, im Ausnahmefall kann die zuständige Behörde eine weitere Tabletteneinnahme empfehlen. Die Tabletteneinnahme ist jedoch bei Neugeborenen stets auf einen Tag, bei Schwangeren und Stillenden auf zwei Tage zu beschränken. Aufgrund des sehr geringen Risikos der Krebsinduktion durch radioaktives Iod bei älteren Menschen und einer zunehmenden Häufigkeit funktioneller Autonomien mit Krankheitswert bei fortschreitendem Lebensalter soll die Iodblockade bei über 45-Jährigen nicht durchgeführt werden. Kontraindikationen gegen die Iodblockade sind Iodallergien (nicht zu verwechseln mit einer Unverträglichkeitsreaktion gegenüber iodhaltigen Medikamenten oder Röntgenkontrastmitteln), Dermatitis herpetiformis Duhring, Iododerma tuberosum, hypokomplementämische Vaskulitis und Myotonia congenita. Für diese Patienten kommt alternativ eine Schilddrüsenblockade durch Natriumperchlorat (1 g täglich über 7 Tage) infrage. In der Bundesrepublik wurden erstmals 1975 Empfehlungen zur Iodblockade für den Fall eines Kernkraftwerkunfalls ausgesprochen und Iodtabletten in einer Dosierung von 130 mg Kaliumiodid von den Ländern für den Katastrophenschutz im Umkreis von 25 km um die Atomkraftwerke beschafft. Auf der Grundlage aktueller Empfehlungen der Strahlenschutz242 kommission wurden diese Tabletten im Frühjahr 2004 ausgetauscht. In der unmittelbaren Umgebung der Atomkraftwerke (bis 25 km) sorgen die Länder für die Versorgung der Bevölkerung. Neu ist, dass für den Entfernungsbereich bis 100 km Iodtabletten in 7 Zentrallagern aufbewahrt werden und allen Ländern bei Bedarf für die Iodblockade zur Verfügung stehen. Geändert wurde auch die Dosierung: Die neuen Iodtabletten enthalten 65 mg Kaliumiodid, was die Dosierung bei Kindern erleichtert. Die Beschaffung von insgesamt 137 Mio. Iodtabletten wurde von den Atomkraftwerksbetreibern finanziert und erfolgte in enger Kooperation mit dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU). 6.2 Missbrauch von radioaktiven Stoffen Der Missbrauch von nuklearen oder anderen radioaktiven Stoffen wird nach Auflösung der Sowjetunion und angesichts der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus ausgehend von Staaten, Gruppen oder Einzeltätern und durch die Weiterverbreitung von Nuklearwaffen nicht länger nur als hypothetische sondern als reale Gefahr betrachtet. Das Spektrum des Missbrauchs reicht von der Nuklearkriminalität bis hin zum Nuklearterrorismus. Die zugrunde liegenden Motive sind entweder finanzieller oder terroristischer Art. Nuklearkriminalität Fälle von Nuklearkriminalität (illegaler Handel, vorsätzlicher Erwerb, Verkauf oder Schmuggel sowie versehentliches Verbringen von nuklearem oder anderem radioaktiven Material, wie unbeabsichtigte Entsorgung oder der Nachweis von kontaminierten Produkten) sind in der umfassenden IAEA Datenbank „Illicit Trafficking Database“ (ITDB) dokumentiert. 243 Abb. 6.8 Bestätigte Vorfälle in der IAEA Datenbank „Illicit Trafficking Database“, 1993-2004 (IAEA 2005) Von 1993 bis Ende Dezember 2004 wurden 662 Vorfälle bestätigt, davon 196 mit nuklearem Material, 400 mit anderem radioaktiven Material sowie 24 Vorfälle sowohl mit nuklearem als auch anderem radioaktiven Material. Im Jahr 1996 wurde mit 26 Vorfällen die geringste Zahl dokumentiert, 2004 die höchste Anzahl mit 93 Vorkommnissen. In 50 % der Fälle handelte es sich um kriminelle Aktivitäten wie Diebstahl, illegalen Besitz, versuchten Verkauf oder Schmuggel. Abb. 6.9 Verteilung der Vorkommnisse von illegalem Handel mit nuklearem Material, 1993-2003 (IAEA 2004) 244 In der Mehrzahl der Vorfälle zwischen 1993–2004 lag nukleares Material in Form von natürlichem Uran, abgereichertem Uran oder niedrig angereichertem Uran vor. Bei 17 Vorfällen bis 2003 und bei einem Vorfall 2004 lag Handel mit hoch angereichertem Uran und Plutonium vor. Hoch angereichertes Uran (high enriched uranium: HEU) und Plutonium (Pu) sind geeignet für den unmittelbaren Gebrauch in einer improvisierten Nuklearbombe. Nuklearmaterial in der Form von niedrig angereichertem Uran (low enriched uranium), abgereichertem Uran (depleted uranium), natürlichem Uran (natural uranium) und Thorium erfordert dagegen eine intensive, technisch komplexe Verarbeitung, um in einer improvisierten Nuklearbombe Verwendung zu finden. Wie Tabelle 6.1 zeigt, kam es nach Auflösung der Sowjetunion in den frühen 90er Jahren zu einem Anstieg der Vorfälle mit nuklearem Material. Seit 1994 ist diese Tendenz stark rückläufig. In nur ganz wenigen Fällen ging es um waffentaugliches Nuklearmaterial, wobei es sich meist um kleine Proben von größeren Mengen Nuklearmaterials handelte, selten um waffentaugliches Nuklearmaterial in der Größenordnung von Kilogrammmengen. In Deutschland ist illegaler Handel mit nuklearem Material seit 1992 bekannt. Auch in Bayern wurden mehrere Fälle festgestellt. Die Herkunftsländer des nuklearen Materials waren überwiegend Staaten des ehemaligen Ostblocks. 245 Datum Ort Material Vorfallbeschreibung 24.05. 1993 Vilnius Litauen HEU/ 150 g Auffinden von 140 kg mit HEU kontaminiertem Beryllium im Tresorraum einer Bank in Teilen einer Frachtsendung von 4.4 t legal importiertem Beryllium März 1994 St. Petersburg Russland HEU/ 2.972 kg Verhaftung einer Person wegen Besitz von in einer nukleartechnischen Anlage gestohlenem HEU 10.05. 1994 TengenWiechs Deutschland Pu/ 6.2 g Auffinden von Pu bei einer polizeilichen Hausdurchsuchung 13.06. 1994 Landshut Deutschland Verhaftung mehrerer PerHEU/ 0.795 g sonen wegen Besitz von HEU 25.07. 1994 München Deutschland Pu/ 0.24 g Konfiszierung einer geringen Menge eines PuO2UO2 Gemischs im Zusammenhang mit einer größeren Beschlagnahme auf dem Flughafen München am 10.08.1994 10.08. 1994 München Deutschland Pu/ 363.4 g Beschlagnahme eines PuO2-UO2 Gemischs auf dem Flughafen München 14.12. 1994 Prag Tschechien HEU/ 2.73 kg Beschlagnahme von HEU durch die Polizei in Prag Juni 1995 Moskau Russland HEU/ 1.7 kg Verhaftung einer Person wegen Besitz von in einer nukleartechnischen Anlage gestohlem HEU 06.06. 1995 Prag Tschechien Beschlagnahme einer ProHEU/ 0.415 g be HEU durch die Polizei in Prag 08.06. 1995 Ceske BudeHEU/ 16.9 g jovice Tschechien 246 Beschlagnahme einer Probe HEU durch die Polizei in Ceske Budejovice 29.05. 1999 Rousse Bulgarien HEU/ 10 g Verhaftung einer Person durch Zollbehörden beim versuchten Schmuggel von HEU am Zollkontrollpunkt Rousse 02.10. 1999 Kara-Balta Kirgisien Pu/ 1.49 g Verhaftung zweier Personen wegen versuchten Verkaufs von Pu 19.04. 2000 Batumi Georgien HEU/ 770 g Verhaftung von vier Personen wegen Besitz von HEU 16.09. 2000 Tbilisi Georgien Pu/ 0.4 g Beschlagnahme von nuklearem Material einschließlich Pu durch die Polizei auf dem Flughafen Tbilisi Pu/ 0.001 g Diebstahl unterschiedlichen radioaktiven Materials einschließlich einer winzigen Menge Pu aus der ehemaligen Versuchsanlage zur Wiederaufarbeitung Dezem- Karlsruhe ber 2000 Deutschland 28.01. 2001 Asvestochori Pu/ ~3 g Griechenland Auffinden von 245 kleinen Pu-haltigen Metallplatten in einem Geheimlager im Wald Kouri beim Dorf Asvestochori 16.07. 2001 Paris Frankreich HEU/ 0.5 g Verhaftung von drei Personen in Paris beim versuchten Verkauf von HEU 26.06. 2003 Sadahlo Georgien HEU/ ~170 g Verhaftung einer Person wegen Besitz von HEU beim versuchten Schmuggel des Materials Tab. 6.2 Bestätigte Vorfälle mit high enriched uraniuim (HEU) oder Plutonium (Pu) (nach IAEA 2005) Bei anderem radioaktiven Material handelte es sich zumeist um umschlossene radioaktive Quellen mit unterschiedlicher Aktivität und unterschiedlichem Verwendungszweck. Die Mehrzahl der Quellen war Cs-137, gefolgt von 247 Sr-90, Am-241, Co-60 und Ir-192. Bei einem Großteil der Vorkommnisse lag kein krimineller Hintergrund vor. Abb. 6.10 Verteilung der angegebenen Aktivität von anderem radioaktiven Material bei bestätigten Vorfällen, 1993-2003 (vorläufige Zahlen für 2003) (IAEA 2004) Nuklearterrorismus Unter Nuklearterrorismus versteht man den Gebrauch von nuklearem oder anderem radioaktiven Material sowie Handlungen gegen nukleare Anlagen aus terroristischen Motiven. Verschiedene Szenarien des Nuklearterrorismus mit unterschiedlicher Eintrittswahrscheinlichkeit und unterschiedlichen Auswirkungen und Folgen lassen sich differenzieren. Die Eintrittswahrscheinlichkeit ist beim Nuklearterrorismus von der technischen Machbarkeit abhängig; durch diese wird das Risiko in erster Linie bestimmt, nicht durch die Auswirkungen und Folgen. Drei Arten des Nuklearterrors lassen sich unterscheiden, erstens der Einsatz von radioaktivem Material als „schmutziger Bombe“ bzw. der Strahlenterrorismus (z. B. die Kontamination von Trinkwasser und Nahrungsmitteln oder das Ablegen von radioaktiven Quellen in dicht bewohnten Gebieten), zweitens die Sabotage von oder der Angriff auf kerntechnische Anlagen oder Wiederaufarbeitungsanlagen und drittens der Diebstahl von Nuklearwaffen oder von nuklearem Material zum Bau einer improvisierten nuklearen Bombe. 248 MachbarEffekte / Schäden keit / BetroffeUmwelt / WahrPsy- Risiko Mensch nes Wirtscheinche Gebiet schaft lichkeit StrahlenschwieVorterrorismus / rig, klein bis sehr wiegend groß mittel „Schmutzige aber mittel groß lokal Bombe“ machbar Sabotage / Anschlag besehr gesehr sehr sehr groß auf kerngroß waltig klein schwierig (>100km2) schränkt technische Anlage sehr Improvisiertraum extrem groß groß bis verextrem te Nuklearatisch 2 klein (>50km ) kataheerend klein bombe strophal Tab. 6.3 Vergleichende Risikoabschätzung für verschiedene Formen des Nuklearterrorismus (nach Anet 2001) - „Schmutzige Bombe“ Bei einer „schmutzigen Bombe“ handelt es sich um konventionellen Sprengstoff, z. B. Dynamit, dem radioaktive Stoffe in Form von Puder oder kleinsten Kugeln beigefügt oder beigemischt sind. Durch die Explosion kommt es zu einer Verteilung (Dispersion) von radioaktivem Material. Dadurch unterscheidet sich das Szenario eines „Radiological Dispersion Device“ („RDD“) bzw. einer „schmutzigen Bomben“ von einer Nuklearbombe, die auf einer Kernspaltung beruht. Unterschiedliche Radionuklide mit stark variierenden Aktivitäten finden in der zivilen Industrie, in Forschung und Medizin breite Anwendung. Zu den gebräuchlichsten radioaktiven Quellen gehören Kobalt-60 für die Bestrahlung von Lebensmitteln, Cäsium-137 für medizinische und wissenschaftliche Geräte, Americium-241 in Rauchmeldern und technischen Messgeräten, Tritium für Leuchtfarben, Iridium-192 in Geräten zur Überprüfung von Schweißnähten und Nickel-63 für chemische Analysen. Weitere wichtige Nuklide im Zusammenhang mit der "schmutzigen Bombe" sind Strontium-90 und Plutonium-239. 249 - Sabotage bzw. terroristischer Anschlag Als Ziele von Sabotage oder eines terroristischen Anschlags könnten vor allem Kernkraftwerke dienen. Radioaktive Freisetzungen aus nuklearen Anlagen sind nicht mit einer Nuklearbombe vergleichbar, da Nuklearanlagen nicht explodieren können. Auch Lager für militärisches und ziviles nukleares Material und für radioaktive Abfälle, Wiederaufarbeitungsanlagen für nukleare Brennstoffe, Urananreicherungsanlagen, Forschungsreaktoren und Nukleartransporte kämen als Ziele in Frage. Angriffe auf Kernkraftwerke sind zwar möglich, in Anbetracht der umfassenden Sicherheitsmaßnahmen von kerntechnischen Anlagen zeichnet sich dieses Szenario jedoch durch eine geringe Machbarkeit aus und stellt damit ein sehr unwahrscheinliches Ereignis dar. Im Gegensatz zur geringen Wahrscheinlichkeit steht das große Gefährdungspotential, das einem nuklearen Fallout gleichkäme. Aber selbst wenn Anschläge nicht oder nur zu einer geringen Freisetzung von Radioaktivität führen würden, wären die psychologischen Auswirkungen in der Bevölkerung sehr groß und der Schaden würde sich auf die gesamte Nuklearindustrie erstrecken. - Improvisierte Nuklearbombe Der Bau von improvisierten Nuklearbomben durch Terroristen setzt die Beschaffung einer genügenden Menge von geeignetem nuklearem Material, hoch angereichertem Uran bzw. Plutonium, voraus. Trotz der bekannt gewordenen Fälle von Schmuggel ist eine unentdeckte Abzweigung großer Mengen nuklearen Materials durch nicht-staatliche Organisationen äußerst unwahrscheinlich oder gar unmöglich. Zudem ist die Entwicklung selbst einer einfachen Nuklearbombe technisch äußerst anspruchsvoll und setzt eine aufwendige und teuere Ausrüstung voraus, die überdies unter internationaler Kontrolle steht. Das Szenario einer improvisierten Nuklearbombe ist daher äußerst unwahrscheinlich. Die Verwendung von gestohlenen Nuklearwaffen scheint dagegen eher möglich. Schwer berechenbare Risiken stellen der Verlust der Kontrolle Russlands und der Folgestaaten der 250 früheren Sowjetunion über nukleares Material, über sensitive Technologien und über das Know-how auf dem Gebiet der Nuklearwaffen dar sowie die Rekrutierung arbeitsloser Nuklearspezialisten durch Länder und terroristische Organisationen. Die Folgen einer Nuklearbombe wären unvorstellbar groß, wobei die Auswirkungen von Druckwelle und Hitze die Folgen von Radioaktivität übersteigen würden. Die Anzahl der Betroffenen wäre groß und weite Gebiete wären kontaminiert. Gegenmaßnahmen Die in der Bundesrepublik getroffenen Maßnahmen begründen einen im europäischen Vergleich hohen Standard. Initiativen der Europäischen Union zur Angleichung der in den Mitgliedsstaaten noch unterschiedlichen Standards sind eingeleitet. Der Prävention des illegalen Handels und des missbräuchlichen Einsatzes nuklearer und anderer radiologischer Quellen kommt der höchste Stellenwert zu. Maßnahmen gegen den illegalen Handel beinhalten einmal effektive Schutzmaßnahmen und zum anderen Kontroll- und Sicherungsmaßnahmen. Der sog. physische Schutz umfasst den Schutz des nuklearen Materials vor Diebstahl, Sabotage oder anderen illegalen Aktivitäten innerhalb der Landesgrenzen. Schutzmaßnahmen des Betreibers schließen umfassende technische und administrative Vorkehrungen gegen Abzweigung von nuklearem Material ein, z. B. Zaunüberwachung oder Wachdienste, die gesicherte Lagerung des nicht in Nutzung bzw. Verarbeitung befindlichen nuklearen Materials und die laufende Beobachtung mit automatischen Kameras. Aufgabe der IAEA und ihrer Mitgliedsstaaten ist es, illegalen Handel durch entsprechende Kontrollmaßnahmen zu verhindern. Kontroll- und Sicherungsmaßnahmen beinhalten die laufende Buchführung über den Eingang und Ausgang radioaktiver Stoffe und Abfälle, also die regelmäßige Bestimmung des Inventars und mindestens eine jährliche Inventur. Hoheitliche Kontrollen umfassen die regelmäßige visuelle Kontrolle vor Ort und Durchsicht der 251 Dokumentation durch Inspektoren der IAEA sowie der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM). Die Kontrolle des Schmuggels etwa durch Radioaktivitätsmessung beim grenzüberschreitenden Verkehr kommt zum Einsatz, wenn Präventionsmaßnahmen nicht greifen. 6.3 Überwachung der Umweltradioaktivität in Bayern Die Überwachung der Umweltradioaktivität ist auch aufgrund des § 1 des Strahlenschutzvorsorgegesetzes (StrVG) eine Verpflichtung für Bundes- und Landesbehörden (siehe Nr. 5.4.2). Die Überwachung der Umweltradioaktivität ist eine wichtige Komponente des präventiven Notfallschutzes bei einem nuklearen Ereignisfall und dient als Basis für die Bewertung eines Ereignisses und für das Ergreifen von entsprechenden Maßnahmen. Bei der Radioaktivitätsüberwachung werden zwei Bereiche unterschieden, erstens die großräumige Überwachung der allgemeinen Umweltradioaktivität im gesamten Staatsgebiet bzw. in einem Bundesland und zweitens die Umgebungsüberwachung im Nahbereich einer kerntechnischen Anlage. Integriertes Mess- und Informationssystems (IMIS) zur Überwachung der allgemeinen Umweltradioaktivität In Deutschland begann die Überwachung der Umwelt in den frühen fünfziger Jahren mit der Messung des radioaktiven Fallouts der oberirdischen Atomwaffentests. Der Reaktorunfall in Tschernobyl war der Anlass, das bisherige seit dem EURATOM-Vertrag bestehende Überwachungssystem flächenmäßig auszuweiten, messtechnisch erheblich auszubauen und mit Hilfe der Informationstechnik zum Integrierten Mess- und Informationssystem (IMIS) zusammenzufassen. IMIS gewährleistet mit seinen Daten aus den Messstationen des Bundes und ca. 400 Messstationen in Bayern, dass eine erhöhte Umweltradioaktivität flächendeckend, schnell und sicher erkannt wird. Diese Überwachung erfolgt routinemäßig (Routinebetrieb) und bei Störfällen oder Unfällen (Störfallbetrieb). Damit spielt IMIS eine wichtige Rolle bei der 252 Notfallvorsorge. Überschreitet die Radioaktivität einen bestimmten Schwellenwert wird automatisch ein Alarm ausgelöst. Dies ist eine wesentliche Grundlage für Entscheidungen des BMU zur Einleitung umgehender koordinierter Vorsorgemaßnahmen. 4. Ebene: „Entscheidung- und Informationsebene“ Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Bund 3. Ebene: „Datenzusammenführung“ Bundesmessnetze von Bundesamt für Strahlenschutz Deutscher Wetterdienst Bundesamt für Gewässerkunde Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie Bundesumweltamt 2. Ebene: „Sammlung, Auswertung und Dokumentation von Radioaktivitätsdaten in Bayern“ Zentralstelle des Bundes für die Überwachung der Umweltradioaktivität (ZdB) Bundesamt für Strahlenschutz Neuherberg Zentralstelle für die Überwachung der Umweltradioaktivität in Bayern Bundesleitstellen für die Überwachung der Umweltradioaktivität Freistaat Bayern Landesmessstelle 1. Ebene: „Datenermittlung“ Bayerisches Landesamt für Umwelt, Augsburg Abb. 6.11 Übersicht über beteiligte Institutionen bei der Überwachung der Umweltradioaktivität (IMIS) in Bayern Die Bundeseinrichtungen überwachen Luft, Niederschlag, Boden, Wasser, Schwebstoffe und Sediment, die Landeseinrichtungen überwachen Lebensmittel, Futtermittel, Düngemittel, Arzneimittel, Gebrauchsgegenstände usw. IMIS greift auf die bundesweit existierenden Messnetze der folgenden Behörden zu: x Bundesamt für Strahlenschutz (BfS): etwa 2.150 Messstellen zur Überwachung der bodennahen Gamma-Ortsdosisleistung, die flächendeckend in einem Raster von jeweils 15 x 15 km über Deutschland verteilt sind und 12 Messstellen zur Überwachung der Radioaktivität in der Luft. x Deutscher Wetterdienst (DWD): 39 Messstellen zur Überwachung der Radioaktivität in Luft und Niederschlag. 253 x Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG): 40 Messstellen zur Überwachung der Bundeswasserstraßen (Flüsse und Kanäle). x Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie (BSH): 12 Messstellen zur Überwachung der Küstengewässer. x Die Dienststelle Freiburg des BfS sammelt die Daten der Messnetze des BfS und des DWD, wertet sie aus und übergibt sie an die Zentralstelle des Bundes (ZdB) im BfS zur Weiterleitung an das BMU. Abb. 6.12 Mittlere externe Strahlenexposition in Deutschland in Bodennähe im Freien, 2004 (BMU 2005) Immissionsmessnetz für Radioaktivität (IfR) zur Überwachung der Umweltradioaktivität Neben dem bundesweiten IMIS haben einzelne Länder zusätzlich eigene Umweltüberwachungssysteme eingerichtet. In Bayern werden Daten zur Umweltradioaktivität mit dem Immissionsmessnetz für Radioaktivität (IfR) erfasst und an die jeweiligen Landesbehörden automatisch weitergegeben. IfR entstand als Konsequenz des Reaktorunfalls von 254 Tschernobyl 1986 ergänzend zum Kernreaktor-Fernüberwachungssystem (KFÜ). Bei einer Radioaktivitätsbelastung der Umwelt sind für den Menschen 3 Belastungspfade von Bedeutung, erstens die externe Belastung durch Gamma-Strahlen, zweitens die Aufnahme luftgetragener Radionuklide mit der Atmung und drittens die Aufnahme von Radionukliden mit der Nahrung. Das IfR des Bayerischen Landesamtes für Umweltschutz (LfU) misst in 31 automatischen Messstationen kontinuierlich und flächendeckend die Gamma-Ortsdosisleistung und die Aktivitätskonzentrationen in der Luft sowie mit 24 weiteren Messgeräten den Niederschlag. Als wichtigste Messgrößen werden radioaktive Edelgase mittels Proportional-Zählrohr-Detektoren, radioaktive Aerosole mittels Plastik-Szintillations-Detektoren und die Iod-131-Aktivitätskonzentration in der Luft mit NatriumIodid-Detektoren erfasst. Zusätzlich können auf der Zugspitze und in der Außenstelle des LfU in Kulmbach Aerosol gebundene radioaktive Nuklide getrennt erfasst werden. Die Messergebnisse werden an die Messnetzzentrale im LfU in Augsburg zur Auswertung gesandt. Als Folge einer Überschreitung von Grenzwerten wird im LfU ein Alarm ausgelöst, um ggf. rechtzeitig Schutzmaßnahmen vorbereiten zu können. Abb. 6.13 IfR-Messstation mit Messgerät: Blick vom Schneeferner Haus auf das Zugspitzplatt (LfU 2005) 255 Umgebungsüberwachung bayerischer Kernkraftwerke Die Umgebungsüberwachung kerntechnischer Anlagen stellt eine zusätzliche Überprüfung der Emissionsüberwachung dar und gibt unmittelbar Aufschluss über die Auswirkungen der Emissionen. Im Rahmen der Umgebungsüberwachung werden von den Betreibern der kerntechnischen Anlagen und von unabhängigen Messstellen regelmäßig Proben genommen und deren Radioaktivität bestimmt. Zu den unabhängigen Messstellen in Bayern gehören das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), die Framatome ANP GmbH, Standort Erlangen (FANPE), die Universität Regensburg, Zentrales Radionuklidlaboratorium, UmweltRadioAktivität-Laboratorium (URA) und das Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit, Oberschleißheim (GSF). Die zehn erfassten Umweltbereiche sind Luft, Niederschlag, Boden/-Oberfläche, Pflanzen/Bewuchs, Futtermittel, Ernährungskette Land, Milch und Milchprodukte, oberirdische Gewässer, Ernährungskette Wasser und Grund-/Trinkwasser. Abb. 6.14 Übersicht über Expositionspfade in der Umgebung eines Kernkraftwerkes (BfS 2005) 256 Kernreaktor-Fernüberwachungssystem (KFÜ) Ein Störfall des Kernkraftwerks Gundremmingen im Jahre 1977 war Anlass für das von Bayern ausgehende KernreaktorFernüberwachungssystem (KFÜ). Dieses System erfasst automatisch die sicherheitstechnischen Parameter, die Emissionen, meteorologischen Werte und Immissionsgrößen in der Umgebung von Kernkraftwerken und leitet die Resultate an die atomrechtlichen Aufsichtsbehörden im Allgemeinen an die Länderministerien weiter. Die Betreiber des KernreaktorFernüberwachungssystems (KFÜ), dessen Messstellen entlang des Zauns von Kernkraftwerken kreisförmig verteilt sind, sind die Kernkraftwerksbetreiber und die Länder. 6.4 Radioaktivitätsmessungen beim grenzüberschreitenden Verkehr „Tschernobyl-Verordnung“ Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl wurden bei der Einfuhr von bestimmten Lebensmitteln aus Osteuropa erhöhte Werte für Radioaktivität nachgewiesen. 1987 hat deshalb die Europäische Kommission in der Verordnung (EWG) Nr. 3955/87, der „Tschernobyl-Verordnung“, zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 616/2000 vom 20.03. 2000, für die Einfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse mit Ursprung in Drittländern Höchstwerte an Radioaktivität festgelegt. So darf die maximale kumulierte Radioaktivität von Cäsium 134 und 137 für Milch und Milcherzeugnisse sowie für Lebensmittel für die Ernährung speziell von Kleinkindern 370 Bq/kg und für alle anderen betroffenen Erzeugnisse 600 Bq/kg nicht überschreiten. Insbesondere bei bestimmten Pilzarten aus Drittländern sind wiederholt Fälle der Nichteinhaltung der zulässigen Höchstwerte an Radioaktivität festgestellt worden. Obgleich die festgelegten Höchstwerte nur für die Einfuhr von Nahrungsmitteln in die Europäische Union gelten, werden sie in der Praxis aber auch innerhalb der EU als solche angewendet. Die Einfuhr aller von der Verordnung erfassten Erzeugnisse aus osteuropäischen Ländern ist nur mit dem vorgeschriebenen Ausfuhrzeugnis zulässig, d.h. dass die Höchstwerte 257 an radioaktiven Stoffen nicht überschritten werden. Die Geltungsdauer dieser Überwachungsmaßnahmen wurde bis zum 31. März 2010 verlängert. Die Zulässigkeit der Einfuhr der von der TschernobylVerordnung erfassten Waren wird im Rahmen der Überwachung des grenzüberschreitenden Warenverkehrs geprüft und im Zweifelsfall wird von der Zollverwaltung eine Probeentnahme und Untersuchung durch die zuständigen Lebensmittelüberwachungsbehörden veranlasst. Für Fragen im Zusammenhang mit der Einfuhr von Lebensmitteln, die von der Tschernobyl-Verordnung erfasst werden, und den damit verbundenen besonderen Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen stehen neben dem Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft und den zuständigen Lebensmittelüberwachungsbehörden auch örtlich zuständige Zollstellen sowie das Zoll-Infocenter in Frankfurt/Main zur Verfügung. Grenzmonitoring Die Ein- und Ausfuhr von nuklearem oder sonstigem radioaktiven Material nach Deutschland ist grundsätzlich nur mit einer Genehmigung des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zulässig (§ 3 Atomgesetz und § 11 Strahlenschutzverordnung). Die Zollverwaltung überprüft im Rahmen der Überwachung des grenzüberschreitenden Warenverkehrs die Zulässigkeit der Ein- und Ausfuhr von nuklearem oder sonstigem radioaktiven Material. Ziel ist die Prävention bzw. Kontrolle des Schmuggels über Landesgrenzen. Zum Aufspüren von illegal befördertem nuklearem oder anderem radioaktiven Material bzw. der unabsichtlichen Verbringung dieser Stoffe werden von den Zollstellen Messgeräte zur Radioaktivitätsüberwachung von Fracht, Fahrzeugen und Personen eingesetzt. Das Monitoring von Neutronenstrahlung ist essentiell für die Entdeckung von nuklearem Material, anderes radioaktives Material wird durch Messung der Gamma-Strahlung erfasst. Zur Erstidentifizierung sind Strahlenmonitore geeignet, die radioaktives Material schnell und qualitativ erfassen. Zur Lokalisation, Verifizierung und Nuklididentifizierung werden Radioisotopen258 detektoren eingesetzt. Nach ihrem Verwendungszweck lassen sich drei Messgerätetypen unterscheiden, erstens Taschenmonitore, zweitens tragbare oder mobile Messgeräte, die auch in Fahrzeugen, Helikoptern oder auf Schiffen zur Verfügung stehen und stationäre Monitore, die üblicherweise an Landesgrenzen und Flughäfen fest eingebaut sind. Ergibt sich bei der Überprüfung der Verdacht, dass radioaktive Stoffe illegal befördert oder mitgeführt werden, so benachrichtigt die Zollstelle unverzüglich die zuständige Landesbehörde und regelt das weitere Verfahren. Abb. 6.15 Radioaktivitätsmessung eines Fahrzeugs bei der Grenzkontrolle mit einem tragbaren Handmonitor (IAEA 2005) Zur Bekämpfung der Nuklearkriminalität hat die IAEA mit Schaffung eines neuen Programms reagiert und die Durchführung einer Pilotstudie zur praktischen Erprobung von Grenzmonitorsystemen angeregt. Die Pilotstudie ITRAP (Illicit Trafficking Radiation Detection Assessment Program) wurde von September 1997 bis September 2000 von den Austrian Research Centres Seibersdorf (ARCS) durchgeführt, um die technischen Voraussetzungen zur Detektion von nuklearem und anderem radioaktiven Material an Grenzübergängen zu erarbeiten und die Machbarkeit eines solchen Überwachungssystems abzuschätzen. Die Vorauswahl der Geräte und umfassende Laboruntersuchung im Forschungszentrum Seibersdorf bildeten die Basis für den Testbetrieb der Überwachungsgeräte am Flughafen Schwechat in Wien und am österreichisch-ungarischen Grenzübergang Nickelsdorf. 259 Vier zentrale Ergebnisse sind: x einheitliche, international verwendbare Spezifikationen für die Überwachungssysteme x der Nachweis, dass Monitoringsysteme an den Grenzen installiert werden können, ohne den Ablauf gravierend zu stören, ein entsprechendes Training der Beamten vorausgesetzt x die Erarbeitung eines einheitlichen Verfahrensablaufs, der die reibungslose Zusammenarbeit der betroffenen Einsatzorgane sicherstellt x die Möglichkeit der Instandhaltung und Wartung der Geräte ohne größeren Aufwand. Die Resultate der Studie können somit zur Erarbeitung von realistischen Durchführungsbestimmungen für Grenzmonitorsysteme dienen unter Berücksichtigung von technischen und ökonomischen Gesichtspunkten. 6.5 Katastrophenschutz-Maßnahmen Im Hinblick auf kerntechnische Unfälle wird in Deutschland zwischen anlageinternem und anlageexternem Notfallschutz unterschieden. Der anlageinterne Notfallschutz, Vorsorgeund Schutzmaßnahmen obliegen dem Betreiber auf der Grundlage der Strahlenschutzverordnung. Beim Konzept des anlageexternen Notfallschutzes ist zu berücksichtigen, dass in Deutschland die gesetzlich vorgeschriebene Unterscheidung zwischen Katastrophenschutz und Strahlenschutzvorsorge gilt. In anderen Staaten dagegen werden die den deutschen Vorsorgemaßnahmen vergleichbaren Maßnahmen als Notfallschutzmaßnahmen in der späten Phase eines kerntechnischen Unfalls angesehen. Der Notfallschutzplanung liegen Eingreifrichtwerte zugrunde, bei deren Überschreitung die Einleitung von Maßnahmen zu prüfen ist und Eingreifwerte bei deren Überschreitung die Maßnahmen durchzuführen sind. Katastrophenschutz - Zuständigkeit und rechtliche Grundlagen Die Planung und die Durchführung des Katastrophenschutzes fallen in die Zuständigkeit der Bundesländer. Nach dem 260 Bayerischen Katastrophenschutzgesetz vom 24. Juli 1996 ist das Staatsministerium des Innern das zuständige Ministerium für den allgemeinen Katastrophenschutz. Die zwischen Bund und Ländern abgestimmten „Rahmenempfehlungen für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen (RE 99)“ zielen auf die Angleichung der Verfahrensweisen im gesamten Bundesgebiet und beinhalten die organisatorischen Vorgaben. Vorschläge für die Einleitung medizinischer Maßnahmen sind in den „Radiologischen Grundlagen für Entscheidungen über Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung bei Unfall bedingten Freisetzungen von Radionukliden“ beschrieben. Für den Fall, dass bei einem kerntechnischen Unfall die gestaffelten Sicherheitsmaßnahmen nicht greifen und die Eingreifwerte überschritten werden könnten, wurden Katastrophenschutzplanungen für die Umgebung von Kernkraftwerken erarbeitet. Die Katastrophenschutzmaßnahmen zielen primär auf den Schutz der Bevölkerung vor einer Unfall bedingten Exposition und auf die Vermeidung deterministischer Strahlenschäden. - Maßnahmen Die Aufgaben der Katastrophenschutzbehörden sind vorbeugender und abwehrender Katastrophenschutz, der Maßnahmen für die Umgebung der kerntechnischen Anlage bis zu einem Radius von 25 km vorsieht. Die vorbeugenden Maßnahmen der behördlichen Katastrophenschutzplanungen beinhalten besondere festgelegte Planungszone, Alarmpläne und Alarmierungsprozeduren. Eine grundlegende Maßnahme bildet die Einteilung der Umgebung der kerntechnischen Anlage in 3 Planungszonen, die Zentralzone mit bis zu 2 km Umkreis um die Anlage, die Mittelzone mit etwa 10 km und die Außenzone mit ca. 25 km um die Anlage. Bei der Anordnung von Katastrophenschutzmaßnahmen kann hiermit auf eindeutige und einfache Weise festgelegt werden, in welchen Zonen und Sektoren welche Maßnahmen erforderlich sind. Zwei Alarmstufen werden unterschieden: Voralarm wird ausgelöst, wenn bei einem Ereignis noch keine oder geringe 261 Auswirkungen auf die Umgebung auftreten. Katastrophenalarm wird ausgelöst, wenn bei einem kerntechnischen Unfall eine Gefahr bringende Freisetzung radioaktiver Stoffe in die Umgebung festgestellt wird oder droht. Die Bevölkerung wird dann durch Sirenensignale und Lautsprecherfahrzeuge gewarnt bzw. informiert. Weitere vorbeugende Maßnahmen sind Lageermittlung, d. h. Prognose der radiologischen Lage, Messungen in der Umgebung gemäß der „Richtlinie zur Emissions- und Immissionsüberwachung kerntechnischer Anlagen (REI)“ von Gamma-Ortsdosisleistung, Aktivitätskonzentrationen verschiedener Radionuklide und der Luft und flächenbezogener Aktivität auf dem Boden. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sind Grundlage für die zu treffenden Schutz- und Abwehrmaßnahmen. Abwehrende Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung sind in erster Linie der „Aufenthalt in Gebäuden“, die „Ausgabe von Iodtabletten“ und die „Evakuierung“. Weitere Maßnahmen des Katastrophenschutzes sind u. a. Umsiedlung, Unterrichtung und Warnung der Bevölkerung, Verkehrseinschränkungen (Zugangsbeschränkungen und Sperrung von Gebieten), Warnung vor dem Verzehr frisch geernteter Lebensmittel, Dekontamination in Notfallstationen und ärztliche Betreuung und Versorgung. Ziele, Konzepte, Strategien und Methoden des medizinischen Notfallschutzes werden im Notfallplan festgelegt und umfassen alle administrativen Maßnahmen zur Vorbereitung auf Strahlennotfälle. Vier Bereiche der medizinischen Notfallvorbereitung lassen sich unterscheiden: x Der Aufbau und die Vorhaltung notwendiger Organisationsstrukturen beinhalten die Festlegung der Zuständigkeiten bei der Rettung, die Bestimmung der ärztlichen Leitung der Notfallstation, die Regelung des Einsatzablaufs sowie Anordnungen zur Informationsvermittlung und Dokumentation. x Die raumplanerische Notfallvorbereitung definiert neben den Gefahren- und Kontrollbereichen am Unfallort, Planungszonen von Notfallstationen, d. h. Ausweisung eines separaten Eingangs, von kontaminierten, Puffer- und nicht kontaminierten Zonen und die Festlegung von Messstellen an den Übergangszonen. 262 x Die technische Notfallvorbereitung umfasst die Planung und Einrichtung der Notfallstation, Lagerhaltung und Bereitstellung von Ausrüstung zur Kontaminationskontrolle der Notfallstation, Ausrüstung zum Selbstschutz des Personals, von Hilfs- und Arbeitsmitteln zur Dekontamination, Mess- und Analysegeräten, medizinischen Hilfsmitteln und Medikamenten zur Dekorporation. x Zu den personellen Kapazitäten gehören Rufbereitschaften von ärztlichen und nicht ärztlichen Fachkräften, medizinischem und technischem Assistenzpersonal sowie ihre fachliche Schulung, Fortbildung und Übung. Abb. 6.16 Organisationsschema der ärztlichen Versorgung in Notfallstationen (SSK 1995) Die Durchführung effektiver und rechtzeitiger medizinischer Notfallmaßnahmen zur Rettung und Behandlung von Betroffenen beinhaltet die Übernahme von Patienten an der Grenze zum Gefahrenbereich, den Transport der Patienten, Triage und medizinische Erstversorgung in Notfallstationen, Identifizierung von bzw. Weiterleitung an geeignete stationäre Behandlungszentren, Durchführung von Dekorporationsund Dekontaminationsmaßnahmen, Ausführung von Kontrollmessungen, Probenentnahme und Dokumentation. 263 Strahlenschutzvorsorgezentren Regionale Strahlenschutzzentren Zur Versorgung bei betrieblichen Strahlenunfällen wurde von der Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik das Institut für Strahlenschutz (IfS) gegründet, das ein System der Regionalen Strahlenschutzzentren (RSZ) aufgebaut hat. Durch vertragliche Vereinbarungen entstanden so an verschiedenen Instituten, Kliniken und Forschungseinrichtungen die RSZ als Leitstellen für alle Fragen, die einer strahlenmedizinischen Beratung und Versorgung bedürfen. Das RSZ Netzwerk umfasst zurzeit 11 Einrichtungen. Die RSZ verfügen im Allgemeinen über alle erforderlichen Einrichtungen für eine eventuell notwendige Direktversorgung und für die ambulante oder stationäre Überwachung von beruflich Strahlenverunfallten. Bei schweren Strahlenunfällen kann die Spezialstation der Berufgenossenschaftlichen Unfallklinik in Ludwigshafen-Oggersheim und bei schweren Hautverbrennungen die Fachklinik Hornheide bei Münster nach Vermittlung durch ein RSZ in Anspruch genommen werden. Greifswald Hamburg Berlin Hannover Dresden Jülich Homburg Würzburg Ludwigshafen Karlsruhe Neuherberg München Abb. 6.17 Netz der Regionalen Strahlenschutzzentren (RSZ) in Deutschland 264 Ein Arzt und ein Physiker des Regionalen Strahlenschutzzentrums sind 24 Stunden erreichbar, stehen telefonisch für konkrete Beratungen zur Verfügung und bieten Informationen und Entscheidungshilfen an. Ärzte geben Anweisungen zu Dekontaminationsmaßnahmen, Dekorporationstherapien, zur Überwachung von Verunfallten, zum Vorgehen bei kombinierten Verletzungen (Kontamination und offene Wunden, Frakturen und Verbrennungen) und zu Selbstschutzmaßnahmen von Einsatzkräften und Sicherheits- und Rettungspersonal. REMPAN-Netzwerk der WHO – Kollaborationszentren für medizinische Vorsorge und Hilfe bei Strahlenunfällen Das REMPAN (Radiation Emergency Medical Preparedness and Assistance Network) System der WHO ist der Zusammenschluss von zurzeit 17 fachkundigen medizinischen Einrichtungen und etwa 15 assoziierten Instituten zu einem weltweiten Wissens- und Kompetenznetzwerk. Die primären Ziele sind die medizinische Vorsorge und Förderung von vorkehrenden Schutzmaßnahmen im Hinblick auf Strahlenunfälle, die internationale Hilfeleistung und Beratung bei Strahlenunfällen und die Förderung der Nachbereitung eines Unfalls in Form von wissenschaftlichen Studien. * *********** * ** ** * * ** ** * ** * * * * * Abb. 6.18 Internationales Netzwerk der WHO REMPAN Zentren 265 Seit Juni 2005 ist die Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin des Universitätsklinikums Würzburg das offizielle deutsche WHO REMPAN-Kollaborationszentrum für medizinische Vorsorge und Hilfe bei Strahlenunfällen, das im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) etabliert wurde. Die drei Aufgabenschwerpunkte des WHO REMPAN-Zentrums Würzburg liegen in der Verbesserung der medizinischen Versorgung von Strahlenunfallpatienten in Deutschland, der Repräsentanz Deutschlands im internationalen WHO REMPAN-Netzwerk zur gegenseitigen Hilfe bei Strahlenunfällen und in der medizinischen Auswertung von Strahlenunfällen auf der Basis des Datenbanksystems SEARCH (System for Evaluation and Archiving of Radiation Accidents based on Case Histories). 6.6. Literatur Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) mbH (1996). Der Unfall und die Sicherheit der RBMK-Anlagen. Köln. Russian Research Centre "Kurchatov Institute" (1996). Tschernobyl nach dem Unfall. Moskau, Bilddokumentation. Strahlenschutzkommission des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz- und Reaktorsicherheit (SSK) (1996). 10 Jahre nach Tschernobyl, Informationen der Strahlenschutzkommission zu den radiologischen Auswirkungen und Konsequenzen insbesondere in Deutschland. Berichte der Strahlenschutzkommission 4. Strahlenschutzkommission des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (SSK) (1997). Durchführung der Iodblockade der Schilddrüse bei kerntechnischen Unfällen. Veröffentlichungen der Strahlenschutzkommission 41. Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) mbH (2000). Tschernobyl: Gesundheitliche Folgen. BMUSachstandsbericht 1. Köln. 266 Reiners, Chr. Iodblockade der Schilddrüse bei kerntechnischen Unfällen. Nuklearmedizin 3 (2006) 97-100. Cardis E. et al. Consequences of the Chernobyl accident: 20 years on. J. Radiol. Prot. 26 (2006) 127-140. National Research Council of National Academies (2003). Distribution and Administration of Potassium Iodide in the Event of a Nuclear Incident. Washington, DC, National Academies Press. Strahlenschutzkommission des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (SSK) (2004). Verwendung von Iodtabletten zur Iodblockade der Schilddrüse bei einem kerntechnischen Unfall (Iodmerkblätter). BAnz 220. United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation (UNSCEAR) (2000). Sources and Effects of Ionizing Radiation. Report to the General Assembly. New York, United Nations. World Health Organization (WHO) (1999). Guidelines for Iodine Prophylaxis following Nuclear Accidents. Update 1999. Geneva, WHO. World Health Organization (WHO) (2005). Health Effects of the Chernobyl Accident and Special Healthcare Programmes. Geneva, UN Chernobyl Forum Expert Group "Health" (EHG). http://www.ssk.de/veroeff.htm. http://www.unscear.org/. http://www.who.int/ionizing_radiation/en/. Anet, B. (2001). Terrorismus: Stehen wir vor der letzten Stufe, dem Nuklearterrorismus? 7. Chemical and Biological Medical Treatment Symposium, Kroatien. http://www.laborspiez.ch/d/aktuelles/fact_sheet/nuklearterrorismus/dubrovnik. Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz (2005). Verhinderung des Spaltstoffmissbrauchs. München. http://www.stmugv.bayern.de. Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz (2005). Risiko des Spaltstoffmissbrauchs im Brennstoff-Kreislauf. München. http://www.stmugv.bayern.de. 267 Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) (2005). Strahlenschutz bei der Verwendung von radioaktivem Material ("Schmutzige Bombe") in Verbindung mit konventionellem Sprengstoff. Salzgitter. http://www.bfs.de/ion/papiere/schmutzige_bombe.html. Bundesministerium des Innern (2001). Zweiter Gefahrenbericht der Schutzkommission beim Bundesminister des Inneren. Bonn. Center for International Security and Cooperation (CISAC) (2002). Understanding the risk and realities of nuclear terrosrism. Standorf. http://cisac.stanford.edu/publications/understanding_the_ risks_and_realities_of_nuclear_terrorism/ European Commission (2004). Nuclear Medicine Brochure. Brussels. http://europa.eu.int/comm/energy/nuclear/safeguards/index_ en.html. International Atomic Energy Agency (IAEA) (2002). Detection of radioactive materials at borders. IAEA-Tecdoc-1312. Vienna. International Atomic Energy Agency (IAEA) (20021). Prevention of the inadvertent movement and illicit trafficking of radioactive materials. IAEA-Tecdoc-1311. Vienna. International Atomic Energy Agency (IAEA) (2005). IAEA Illicit Trafficking Database (ITDB). Fact Sheets for 19932004. Vienna. http://www.iaea.org. International Atomic Energy Agency (IAEA) (2005). Combating Illicit Trafficking. Vienna. http://www.iaea.org/Publications/Booklets/Ssp/ trafficking.html. Nilsson, A. (2001). Security of materials. IAEA Bulletin 43/4. Orlov, V. A. (2004). Illicit nuclear trafficking and the new agenda. IAEA Bulletin 46(I): 53-56. World Health Organization (WHO) (2003). Health protection guidance in the event of a nuclear weapon explosion. http://www.who.int/ionizing_radiation/en/WHORAD_ InfoSheet_Nuclear_weapons21Feb.pdf 268 World Health Organization (WHO) (2003). Radiological dispersion device (Dirty bomb). Geneva. http://www.who.int/ionizing_radiation/en/WHORAD_ InfoSheet_Dirty_bombs21Feb.pdf. Bayer, A. (1993). Überwachung der radioaktiven Kontamination und der Strahlenexposition im Ereignisfall. Veröffentlichungen der Strahlenschutzkommission 25. Bayer, A., L. Hornung-Lauxmann, et al. (1999). Stand der Überwachung der Umweltradioaktivität in Deutschland. Strahlenschutz: Wissenschaftliche Grundlagen, rechtliche Regelungen, praktische Anwendungen. D. Borchardt, A. Kaul, W. Kraus and H. Rühle. Berlin, Hoffmann Verlag. Bayerisches Landesamt für Umwelt (2005). Das bayerische Immissionsmessnetz für Radioaktivität (IfR). München. http://www.bayern.de/lfu/strahlen/ifr/ifr_1.html. Bayerisches Landesamt für Umwelt. Strahlenschutz. http://www.bayern.de/lfu/strahlen/index.html. Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) (2005). Notfallvorsorge durch das BfS. München. http://www.bfs.de/bfs/druck/strahlenthemen/notfallvorsorge.h tml. Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz (2005). Umgebungsüberwachung. München. http://www.stmugv.bayern.de/de/strahl/aufsicht/umgeb.html. Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz (2005). Überwachung der Umweltradioaktivität. München. http://www.stmugv.bayern.de/de/strahl/sschutz/ueberw.html. Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) (2005). Strahlenthemen: Integriertes Mess- und Informationssystem zur Überwachung der Radioaktivität - (IMIS). Salzgitter. Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) (2005). Radioaktivitätsmessnetz. Salzgitter. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2005). Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung im Jahr 2004. Berlin. 269 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2004). Internationaler Vergleich der Modelle und Parameter zur Entscheidungsbegründung in Notfallsituationen. Berlin. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2005). Überwachung der Umweltradioaktivität. Berlin. http://www.bmu.de/strahlenschutz. Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (2005). Radioaktivität in Lebensmitteln. München. http://igl.bayern.de/de/left/fachinformationen/lebensmittel/rad ioaktivität_allgemein.html. Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz (2005). Radioaktivität in und radioaktive Kontamination von Lebensmitteln. München. http://www.vis-ernaehrung.bayern.de/de/left/fachinformatio nen/verbraucherschutz/unerwuenschte_stoffe/radioaktivität. html. Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz (2005). Aktuelle Empfehlungen und Hinweise. München. http://www.stmugv.bayern.de/de/strahl/notfall/empfehl.html. Bayerisches Landesamt für Umweltschutz (2005). Radioaktives Cäsium im Wildbret. München. http://www.bayern.de/lfu/strahlen/wild/wild/Caesium.html. Beck, P. (2000). ITRAP, Illicit Trafficking Radiation Detection Assessment Program, Final Report. Seibersdorf, Austrian Research Center. Bundesamt für Strahlenschutz (2005). Nuklearmedizinische Gefahrenabwehr. Salzgitter. http://www.bfs.de. Bundesministerium der Finanzen (2005). Pilze und andere radioaktiv belastete Lebensmittel. Bonn. http://www.zoll.de/b0_zoll_und_steuern/d0_verbote_und_ beschraenkungen/c0_schutz_menschI_gesundh/f0_ lebensmittel/I0_radioaktiv/index.html. Bundesministerium der Finanzen (2005). Kernbrennstoffe und sonstige radioaktive Stoffe. Bonn. http://www.zoll.de/b0_zoll_und_steuern/d0_verbote_und_ beschraenkungen/a0_oeffentliche_ordnung/c0_radioaktive_ stoffe/. 270 Bundesministerium der Finanzen (2005). Überwachungen im Bereich der Verbote und Beschränkungen. Bonn. http://www.zoll.de/d0_zoll_im_einsatz/d0_mkg/d0_bereich_ vub/index.html. Bundesministerium der Finanzen (2005). Verbote und Beschränkungen. Bonn. http://www.zoll.de/b0_zoll_und_steuern/d0_verbote_und_ beschraenkungen/index.html. Bundesministerium der Finanzen (2005). Warenkreis der Tschernobyl-Verordnung. Bonn. http://www.zoll.de/b0_zoll_und_steuern/d0_verbote_und_ beschraenkungen/c0_schutz_menschI_gesundh/f0_lebensmittel/ I0_radioaktiv/a0_warenkreis/. Duftschmid, K. (1999). Preventing the next case. IAEA Bulletin 41(3). European Commission (2005). Einfuhrregelung landwirtschaftlicher Erzeugnisse nach Tschernobyl. Brussels. http://europa.eu.int/scadplus/leg/de/lvb/I21110.html. International Atomic Energy Agency (IAEA) (2005). Combating Illicit Trafficking. Vienna. http://www.iaea.org/Publications/Booklets/Ssp/trafficking.html. International Atomic Energy Agency (IAEA) (2002). Prevention of the inadvertent movement and illicit trafficking of radioactive materials. IAEA-Tecdoc-1311. Vienna. International Atomic Energy Agency (IAEA) (2002). Detection of radioactive materials at borders. IAEA-Tecdoc-1312. Vienna. International Atomic Energy Agency (IAEA) (2005). Combating Illicit Trafficking. Vienna. http://www.iaea.org/Publications/Booklets/Ssp/trafficking.html. Umweltinstitut München e. V. (2004). 18 Jahre nach Tschernobyl. EU-Grenzwerte und radioaktive Belastung von Lebensmitteln. München. http://www.umweltinstitut.org/frames/all/m386.html. 271 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (1999). Übersicht über Maßnahmen zur Verringerung der Strahlenexposition nach Ereignissen mit nicht unerheblichen radiologischen Auswirkungen (Maßnahmenkatalog). Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2004). Internationaler Vergleich der Modelle und Parameter zur Entscheidungsbegründung in Notfallsituationen. Berlin. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2005). Schriftenreihe: Reaktorsicherheit und Strahlenschutz. Berlin. http://www.bmu.de/strahlenschutz/schriftenreihe_ reaktorsicherheit_strahlenschutz/doc/20112.php http://www.bmu.de/strahlenschutz/aktuell/aktuell/1782.php. Eder, E. (1999). Kernreaktor-Fernüberwachung. Strahlenschutz: wissenschaftliche Grundlagen, rechtliche Regelungen, praktische Anwendungen. D. Borchardt, A. Kaul, W. Kraus and H. Rühle. Berlin, Hoffmann Verlag. Institut für Strahlenschutz (2005). Regionale Strahlenschutzzentren. Köln. Korn, H. and K. D. Borchardt (1999). Der anlageninterne Notfallschutz bei kerntechnischen Unfällen und die Information der betroffenen Bevölkerung. Strahlenschutz: Wissenschaftliche Grundlagen, rechtliche Regelungen, praktische Anwendungen. D. Borchardt, A. Kaul, H. Rühle. Berlin, Hoffmann Verlag. Pfenninger, E., S. Himmelseher, et al. (2004). Untersuchung zur Einbindung des öffentlichen Gesundheitsdienstes in die katastrophenmedizinische Versorgung der Bundesrepublik Deutschland. Bonn, Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Ständige Konferenz für Katastrophenvorsorge und Katastrophenschutz (2000). Katastrophenschutz in Gesetzen der Länder. Köln. 272 Starke, H. (1993). Beitrag und Leistungsfähigkeit der Bundesmessnetze in IMIS. Veröffentlichungen der Strahlenschutzkommission 25. Strahlenschutzkommission des Bundesministeriums für Umwelt (1995). Medizinische Maßnahmen bei Kernkraftwerksunfällen. Veröffentlichungen der Strahlenschutzkommission 4. Strahlenschutzkommission des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz- und Reaktorsicherheit (1996). Der Strahlenunfall, Ein Leitfaden für Erstmaßnahmen. Veröffentlichungen der Strahlenschutzkommission 32. Strahlenschutzkommission des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2000). Rahmenempfehlungen für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen. Berichte der Strahlenschutzkomission 24. Strahlenschutzkommission des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2000). Radiologische Grundlagen für Entscheidungen über Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung bei Unfall bedingten Freisetzungen von Radionukliden. Berichte der Strahlenschutzkomission 24. Weiss, W. (1993). Beitrag und Leistungsfähigkeit der Bundesmessnetze in IMIS. Veröffentlichungen der Strahlenschutzkommission 25. World Health Organization (WHO). Würzburg, REMPAN Collaboration Center. http://www.rempan.de. World Health Organization (WHO). http://www.who.int/ionizing_radiation/en/. 273 7. Erläuterung von Fachbegriffen A Absorption Aufnahme Aerosole Gase mit festen oder flüssigen Schwebeteilchen. Afterloading Nachladetechnik für die intrakavitäre und interstitielle Strahlentherapie, z. B. mit 137-Cäsium-Quellen, bei der zunächst der leere Applikator in das Zielvolumen, z. B. die weibliche Gebärmutter, gebracht und erst nach Lagekontrolle und ferngesteuert mit dem radioaktiven Präparat beschickt wird. Akkumuliert -Ź kumulativ Aktivierung Entstehung eines -Ź Radionuklids aus einem stabilen -Ź Nuklid durch Beschuss von -Ź Protonen, -Ź Neutronen oder anderen Teilchen. Aktivität Maß für die -Ź Radioaktivität. Einheit: -Ź Becquerel. Aktivitätskonzentration Verhältnis der -Ź Aktivität eines -Ź Radionuklids zum Volumen des Materials, in dem das Radionuklid verteilt ist. Aktivkohledosimeter (-exposimeter) Mit Aktivkohle gefüllte, luftdicht verschließbare Dose (ca. 10 cm Durchmesser), mit der die Radonkonzentration in der Luft bestimmt werden kann. Akutes Strahlensyndrom Folge einer Ganzkörperexposition ab 1 -Ź Gray. Schweregrad, Verlauf und -Ź Prognose sind von Art und -Ź Dosis der -Ź ionisierenden Strahlung abhängig. Alpha-Strahler -Ź Radionuklid, das unter Aussendung eines -Ź AlphaTeilchens zerfällt (-Ź radioaktiver Zerfall). 274 Alpha-Strahlung -Ź Strahlung aus -Ź Alpha-Teilchen. Alpha-Teilchen Heliumkern, bestehend aus zwei -Ź Protonen und zwei -Ź Neutronen. Alpha-Zerfall Kernumwandlung unter Aussendung eines -Ź Alpha-Teilchens. Americium-241 Künstliches radioaktives Element, das -Ź Alpha-Strahlung aussendet. Anderes radioaktives Material Nicht durch -Ź Kernspaltung entstandene -Ź radioaktive Stoffe. Angiographie Radiologisches Verfahren zur Darstellung der Blutgefäße (Arterien und Venen) durch Injektion eines Röntgenkontrastmittels und anschließende Anfertigung schneller programmierter Aufnahmeserien. Äquivalentdosis Dosisgröße im Strahlenschutz unter Berücksichtigung der biologischen Wirksamkeit der -Ź Strahlung. Einheit: -Ź Einheit: -Ź Sievert. Atom Elektrisch neutraler Baustein der Materie, bestehend aus einem positiv geladenen -Ź Atomkern und einer negativ geladenen Elektronenhülle. Atomkern Zusammengesetzt aus den Kernbausteinen (-Ź Nukleonen). Er trägt beinahe die gesamte Masse des Atoms. Atomreaktor Umgangssprachlich für -Ź Kernreaktor. Atomwaffentest, oberirdischer Oberirdische Zündung eines nuklearen Sprengsatzes zu Testzwecken. 275 Austrian Research Centres Seibersdorf (ARCS) Größte Tochtergesellschaft des ARC-Konzerns, die u. a. in Forschungs- und Entwicklungsprojekten für nationale und internationale Auftraggeber interdisziplinär zusammenarbeitet. B Becquerel (Bq) Einheit der -Ź Aktivität. Zerfälle pro Sekunde. Beryllium Leichtmetall, das meist als Legierungszusatz verwendet wird. Durch -Ź Alpha-Teilchen werden aus Beryllium -Ź Neutronen freigesetzt. Beta-Strahler -Ź Radionuklid, das unter Aussendung eines -Ź Beta-Teilchens zerfällt (-Ź radioaktiver Zerfall). Beta-Strahlung -Ź Strahlung aus -Ź Beta-Teilchen. Beta-Teilchen -Ź Elektron Beta-Zerfall Kernumwandlung unter Aussendung eines -Ź Beta-Teilchens. Biologische Halbwertszeit -Ź Halbwertszeit, biologische Brachytherapie Minimalinvasive strahlentherapeutische Methode, bei der radioaktive Strahlungsquellen entweder im Tumorgewebe oder kontaktierend am Tumorgewebe positioniert werden. Bremsstrahlung Elektromagnetische Strahlung. Sie entsteht durch Beschleunigung oder Abbremsung geladener Teilchen in Materie. Brennelement Aus einer Vielzahl von -Ź Brennstäben montierte Anordnung in der -Ź Kernbrennstoff in den -Ź Kernreaktor eingesetzt wird. 276 Brennstab Bestimmte Form, in der -Ź Kernbrennstoff, umgeben von einem Hüllmaterial, in einem -Ź Kernreaktor eingesetzt wird. C Cäsium-137 Das bedeutendste künstliche Cäsium- -Ź Isotop ist ein -Ź Beta- und -Ź Gamma-Strahler. Chemotoxizität Giftigkeit einer Substanz auf Grund ihrer chemischen Eigenschaften. Chromosomen Strukturen einer lebenden Zelle, auf denen die Erbanlagen (Gene) lokalisiert sind. Die Gesamtheit der Chromosomen bezeichnet man als Genom. Außer bei den niederen Lebewesen (z. B. Bakterien) befinden sich die Chromosomen in einem Zellkern. Die Zellkerne der meisten Lebewesen enthalten mehrere Chromosomen, die sich in der Größe voneinander unterscheiden. Je nach der Zahl, in der jedes Chromosom vorhanden ist, spricht man von einem haploiden (jedes Chromosom einmal), von einem diploiden (jedes Chromosom doppelt) oder einem polyploiden (jedes Chromosom vielfach) Chromosomensatz. Curie (Ci) Alte Einheit für die -Ź Aktivität. 1 Ci = 37 GBq. D Dekontamination Beseitigung oder Verminderung von oberflächlichen Verunreinigungen mit -Ź radioaktiven Stoffen (-Ź Kontamination). Dekorporation Entfernung -Ź radioaktiver Stoffe, die vom menschlichen Organismus aufgenommen wurden. Deponiert abgelagert 277 Deposition Ablagerung von in der Atmosphäre vorhandenen Schwebstoffen oder Gasen auf dem Boden, Pflanzen oder anderen Oberflächen. Detektor Hier Gerät zum Nachweis und zur Messung -Ź ionisierender Strahlung. Deterministische Strahleneffekte Treten in der Regel ab einer bestimmten -Ź Schwellendosis auf; die Schwere des Schadens nimmt mit der Dosis zu (vgl. -Ź stochastische Strahleneffekte). Diagnose Zuordnung der Symptome und Untersuchungsergebnisse in ein Krankheitsbild. Diagnostischer Referenzwert Auf Vorschlag der Strahlenschutzkommission wurden in Deutschland im Jahre 2003 vom Bundesamt für Strahlenschutz diagnostische Referenzwerte für Radiopharmaka festgelegt und im Bundesanzeiger veröffentlicht. Darin sind Referenzwerte der Radiopharmaka für häufige nuklearmedizinische Untersuchungsverfahren sowie dosisintensive nuklearmedizinische Untersuchungsverfahren enthalten. Eine Überschreitung dieser Referenzwerte bedarf einer Begründung durch einen fachkundigen Nuklearmediziner und muss entsprechend dokumentiert werden. Dicht ionisierend Strahlung, die bei Wechselwirkung mit Materie ihre Energie auf einem sehr kurzen Weg an diese überträgt und daher dicht beieinander liegende lonisationsereignisse auslöst. DNS Desoxyribonukleinsäure, im englischen Schrifttum mit DNA bezeichnet. Riesenmolekül, das aus zwei Strängen besteht und die Erbinformation in Form eines chemischen Codes enthält. Bestandteil der -Ź Chromosomen. 278 Dosimeter Dosimeter dienen zur Messung der externen Strahlendosis (-Ź Personendosis). Man unterscheidet zwischen direkt anzeigenden Dosimetern (z. B. Stabdosimeter) und indirekt messenden Dosimetern (z. B. Filmplakette, Glasdosimeter), bei denen messtechnisch erfassbare Veränderungen der Dosis proportional sind. Dosimetrie Bestimmung der -Ź Dosis. Dosis -Ź lonendosis -Ź Energiedosis -Ź Äquivalentdosis -Ź effektive Äquivalentdosis Maß für die Wirkung -Ź absorbierter -Ź ionisierender Strahlung. - Gesamtdosis Summe der in Teilen zu verschiedenen Zeitpunkten -Ź applizierten oder erhaltenen -Ź Dosis. - Lebenszeitdosis Summe der im Lauf des Lebens in Teilen -Ź applizierten oder erhaltenen -Ź Dosis. Dosisabschätzung Abschätzung der -Ź Strahlenexposition unter Einbeziehung aller relevanten -Ź Expositionspfade. Dosisfaktor Faktor zur Umrechnung von -Ź Aktivität in Dosis. Dosisfaktoren für aufgenommene Aktivität berücksichtigen neben den physikalischen Größen (Energie pro Zerfallsereignis, Strahlenart, -Halbwertszeit) und der chemischen Form des aufgenommenen Radionuklids auch noch biologische Parameter (Alter, Aufnahmedauer, Anreicherung, Organgröße, Dosisverteilung u. s. w.) und schließlich die Art der Aufnahme (-Ź Inhalation, -Ź Ingestion). Dosisfaktoren für Inhalation erlauben z. B. aus der Aktivitätskonzentration in der Luft eine Berechnung der Organ-Dosen; Dosisfaktoren für äußere Bestrahlung erlauben aus der Aktivitätskonzentration in Luft oder Aktivität pro Fläche am Boden eine Berechnung der externen Körper-Dosen. Dosisleistung -Ź Dosis pro Zeiteinheit. 279 Dosisrichtwert -Ź Eingreifrichtwert Down-Syndrom Angeborene Erkrankung, die auf das dreifache Vorhandensein des -Ź Chromosoms 21 zurückzuführen ist. DSA Digitale Subtraktionsangiographie Röntgenologische Kontrastdarstellung des Herzens und von Blutgefäßen unter Anwendung der digitalen Subtraktionsmethode. Dabei werden die digitalen Aufnahmen der Gefäße mit Kontrastmittel von denen ohne Kontrastmittel abgezogen: Es entsteht eine reine Darstellung der Gefäße. E Edelgas Gruppenbezeichnung für die Elemente Helium, Neon, Argon, Krypton, Xenon und das radioaktive Radon. Effektive Äquivalentdosis, effektive Dosis Größe im Strahlenschutz, unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Strahlenempfindlichkeiten der Organe. Einheit: Sievert. Effektive Halbwertszeit -Ź Halbwertszeit eines radioaktiven Stoffes im Körper. Dabei gehen sowohl der -Ź radioaktive Zerfall wie auch die Ausscheidung des Stoffes ein. Eingreifrichtwert Dosiswert, bei dessen Erreichen die Einleitung von Schutzmaßnahmen zu prüfen ist. Elektron Elementarteilchen mit einer Ladung von einer negativen -Ź Elementarladung. Elektronenvolt (eV) Gebräuchliche Energieeinheit für -Ź Strahlung. Element Hier chemisches Element, -Ź Atom mit einer bestimmten -Ź Kernladungszahl bzw. -Ź Ordnungszahl. 280 Elementarladung Kleinste nachgewiesene elektrische Ladung. Ein -Ź Elektron trägt eine negative E., ein -Ź Proton eine positive E. Embryo Frühes Entwicklungsstadium des keimenden Lebens (beim Menschen bis zum 3. Monat). Emission Abgabe von (Schad-)Stoffen an die Atmosphäre oder in Gewässer. Emittent Verursacher von -Ź Emissionen. Endlager Anlage zur langfristig wartungsfreien, zeitlich unbefristeten sicheren Lagerung von radioaktiven Abfällen ohne beabsichtigte Rückholung. Energiedosis Absorbierte Strahlungsenergie je Masseneinheit. Enzym „Biokatalysator", Eiweißstoff, der jeweils nur ganz bestimmte Stoffwechselreaktionen beschleunigt. Epidemiologie Erforschung von Krankheiten anhand der Beobachtung großer Bevölkerungs- -Ź kollektive. EURATOM Die 1957 gegründete Europäische Atomgemeinschaft EURATOM hat die friedliche Nutzung der Kernenergie sowie die Entwicklung einer entsprechenden Kernindustrie zum Ziel. EURATOM-Vertrag Die Grundlage für die Arbeit von -Ź EURATOM trat 1958 in Kraft. Evakuierung Vorübergehende Räumung eines Gebietes. Exposition, exponiert -Ź Strahlenexposition 281 Expositionspfad Weg radioaktiver Stoffe von der Ableitung aus einer Anlage oder Einrichtung über einen Ausbreitungs- oder Transportvorgang bis zu einer -Ź Strahlenexposition des Menschen (z. B. Luft - Futterpflanze - Kuh - Milch). Extraterrestrisch außerirdischen Ursprungs F Fälle Gruppe von Erkrankten, die mit einer Gruppe vergleichbarer Personen ohne diese Krankheit, sog. -Ź Kontrollgruppe, in Untersuchungen verglichen wird. Fallout Radioaktiver Niederschlag aus kleinsten Teilchen in der Atmosphäre. Fallzahl -Ź Fälle Fetus Spätes Entwicklungsstadium des Keimes der Säugetiere (beim Menschen ab dem 3. Monat). Folgedosis Strahlendosis, die als Folge einer einmaligen Aktivitätsaufnahme im gesamten (unbegrenzten) Zeitraum nach der Aufnahme resultiert. Die in der Radioökologie häufig verwendete 50-Jahre-Folgeäquivalentdosis ist die Äquivalentdosis, die als Folge einer einmaligen Aktivitätszufuhr in einem Zeitraum von 50 Jahren (das Bezugsjahr mitgerechnet) resultiert (beschränkte Folgedosis). Forschungsreaktor Kernreaktor, der für wissenschaftliche Forschung verwendet wird. Freisetzung radioaktiver Stoffe Entweichen radioaktiver Stoffe aus den vorgesehenen Umschließungen in die Anlage oder in die Umgebung. 282 G Gamma-Ortsdosisleistung -Ź Strahlenexposition, die von außen auf den Menschen einwirkt. Sie wird angegeben als -Ź Äquivalentdosis, gemessen an einem bestimmten Ort pro Stunde. Gamma-Strahler -Ź Radionuklid, das unter Aussendung eines -Ź GammaQuants zerfällt (-Ź radioaktiver Zerfall). Gamma-Strahlung -Ź Strahlung aus -Ź Gamma-Quanten. Gamma-Quant -Ź Photon aus einem Kernzerfall. Gamma-Zerfall Kernumwandlung unter Aussendung eines -Ź GammaQuants. Gen, Genom -Ź Chromosomen Genmutation Änderungen des Erbgutes. Gray (Gy) Einheit der -Ź Energiedosis. Grenzmonitoring Messung der -Ź Radioaktivität des grenzüberschreitenden Verkehrs. H Halbwertszeit, biologische Zeit, nach der von der ursprünglichen Menge eines in den Körper aufgenommenen Stoffes die Hälfte vom Organismus ausgeschieden oder abgebaut ist. Halbwertszeit, effektive Zeit, nach der durch radioaktiven Zerfall und biologische Vorgänge (z. B. Ausscheidung) die Aktivitätskonzentration in einem Organismus auf den halben Wert abgeklungen ist. 283 Halbwertszeit, physikalische Zeit, nach der von der ursprünglichen Menge der-Ź Radionuklide die Hälfte zerfallen ist. Havariert verunglückt Hereditärer Effekt Erblicher Effekt, Weitergabe von (Krankheits-)Anlagen an die nächste Generation. Hypothyreose Unterfunktion der Schilddrüse. I ICRP International Commission on Radiological Protection (Internationale Strahlenschutzkommission). ICRU International Commission on Radiation Units and Measurements (Internationale Kommission für radiologische Einheiten und Messungen). Immissionsgrößen Maß für schädliche Umwelteinwirkungen, die durch -Ź Emission entstanden sind. Infertilität Unfähigkeit, eine Schwangerschaft bis zu einem entwickelten Kind auszutragen. Ingestion Aufnahme von Stoffen durch den Magen-Darmtrakt. Inhalation Aufnahme von Stoffen über die Atemwege. Inkorporation Aufnahme von Stoffen in den Körper. Internationale Atomenergie Organisation (IAEO) Englisch: International Atomic Energy Agency (IAEA), ist eine eigenständige Organisation innerhalb der UN zur Förderung der friedlichen Anwendung und Nutzung der Atomenergie. 284 Integriertes Mess- und Informationssystem (IMIS) Dient zur Überwachung der Umweltradioaktivität. Interzeption Anteil der deponierten Luftschwebstoffe (=> Deposition), der auf den Pflanzen verbleibt. In utero im Mutterleib Inzidenz Anzahl von Personen, die innerhalb eines Jahres neu an einer bestimmten Krankheit erkranken. J Iod Baustein für die -Ź Synthese von Schilddrüsenhormonen. - Stabiles Iod Nicht radioaktives -Ź Isotop des Iods - Instabiles Iod radioaktives -Ź Isotop des Iods (-Ź Radioiod). Iodblockade Vorbeugende Maßnahme zur Verhinderung der Einlagerung von -Ź radioaktivem Iod nach -Ź Reaktorunfällen durch z. B. Kaliumiodid. Iodid Chemisches Salz der Iodwasserstoffsäure, z. B. Kaliumiodid. Iododerma tuberosum Hautveränderung, die bei langer Iodeinnahme bei Überempfindlichkeit gegenüber -Ź Iod entsteht. Ion Durch überschüssige oder fehlende -Ź Elektronen geladenes -Ź Atom. Ionisationskammer Gerät zur Messung -Ź ionisierender Strahlung durch Messung des elektrischen Stromes, der entsteht, wenn Strahlung das Gas in der Kammer ionisiert. 285 lonendosis Die erzeugte Ladung je Masseneinheit, gemessen in Coulomb pro Kilogramm (C/kg). Ionisierende Strahlung -Ź Strahlung, die in der Lage ist -Ź Ionen zu erzeugen. Iridium-192 Eines der 20 radioaktiven Iridium -Ź Isotope. Isotope Unterscheiden sich in ihrem Kernaufbau durch die Anzahl ihrer -Ź Neutronen. ITRAP Abkürzung für Illicit Trafficking Radiation Detection Assessment Program, deutsch: Programm zur Aufdeckung des illegalen Schmuggels und Handels mit radioaktiven Stoffen. K Kardiovaskuläre Erkrankung Herzerkrankung Karzinogen krebserregend Kausal ursächlich Kernbrennstoff Spaltbare Materialien in Form von -Ź Uran als Metall, Legierung oder chemischer Verbindung (einschließlich -Ź natürlichen Urans), -Ź Plutonium als Metall, Legierung oder chemischer Verbindung. Kernkraftwerk (KKW) Ein mit -Ź Kernreaktoren betriebenes Dampfkraftwerk; umgangssprachlich Atomkraftwerk. Kernladungszahl Anzahl der -Ź Protonen, positiven -Ź Elementarladungen, in einem Atom. Kernreaktor Anlage zur Nutzung von Kernenergie. 286 Kernspaltung Spaltung schwerer Atomkerne durch Beschuss mit -Ź Neutronen in jeweils zwei mittelgroße Kerne, die radioaktiven Spaltprodukte, wobei große Energiemengen freigesetzt werden. Kernspurdetektor Bestimmte Materialien, bei denen nach elektrochemischer Ätzung die Einschlagstellen der Alpha-Teilchen vergrößert dargestellt und elektronisch oder visuell mit dem Mikroskop gezählt werden können. Kerntechnische Anlagen Kerntechnische Anlagen sind -Ź Kernkraftwerk (KKW), -Ź Wiederaufarbeitungsanlagen, militärische Anlagen zur Erzeugung von -Ź Kernwaffen, Zwischenlager, -Ź Endlager und -Ź Anreicherungsanlagen und -Ź Forschungsreaktoren. Kernumwandlung Alle nicht stabilen Atomkerne („Radionuklide") wandeln sich – teilweise in mehreren Stufen – unter Abgabe energiereicher Strahlung in stabile Kerne um. Das jeweilige Produkt einer Kernumwandlung wird als Tochternuklid bezeichnet. Die Erscheinung, dass ein Stoff ohne vorherige Anregung und von außen nicht beeinflussbar Strahlung aussendet, wird als Radioaktivität bezeichnet. Da der ursprüngliche Stoff dabei allmählich „verschwindet", prägte man dafür den Begriff – radioaktiver Zerfall. Manche schweren Kerne zeigen mit einer gewissen Häufigkeit Spontanspaltungen; der Kern zerbricht dabei ohne äußere Einwirkung in zwei etwa gleich große Bruchstücke und es tritt Neutronenstrahlung auf. Kettenreaktion Die durch -Ź Absorption eines -Ź Neutrons ausgelöste -Ź Kernspaltung setzt ihrerseits wieder einige Neutronen frei, die weitere Spaltungen auslösen können. Kollektiv Gruppe von Personen mit ähnlichen Eigenschaften. 287 Kontamination, kontaminierte Verunreinigung von Flächen, Gegenständen oder Personen mit -Ź radioaktiven Stoffen. Kontaminationsmonitor Messgerät zum Aufspüren von -Ź Kontaminationen. Kontrollbereich -Ź Strahlenschutzbereich in dem mit einer erhöhten -Ź Strahlenexposition zu rechnen ist. Kontrollgruppe Gruppe von Nicht-Erkrankten, die bezogen auf Risikofaktoren mit den sog. -Ź Fällen vergleichbar ist. Korrelation -Ź Statistische Bezeichnung für einen Zusammenhang. Krebsinduktion Hervorrufen einer Krebserkrankung. L Landesamt für Umwelt (LfU) Aufsichtsbehörde für Strahlenschutzbelange in Bayern. LET Linear energy transfer, Energieübertragungsvermögen einer Strahlung pro Wegeinheit. Linearbeschleuniger Teilchenbeschleuniger, in dem die Teilchen geradlinig, hochfrequenzgesteuert, energiezuführende elektrische Felder durchlaufen. Spezielle Konstruktionen für die Strahlentherapie liefern Elektronenstrahlen und ultraharte Röntgenstrahlen. Liquidator Person, die an der Beseitigung (Liquidation) der Folgen des Reaktorunfalls von Tschernobyl beteiligt war. Locker ionisierend Strahlung, die bei Wechselwirkung mit Materie ihre Energie auf einem verhältnismäßig langen Weg an diese überträgt und daher relativ weit voneinander entfernte lonisationsereignisse auslöst. Lymphatisches System Lymphbahnen und Lymphdrüsen. 288 M Massenzahl Anzahl der Kernbausteine, -Ź Nukleonen, in einem Atom. Metastabiler Zustand Scheinbar stabiler Zustand eines -Ź Radionuklids mit beschränkter Lebensdauer. Moderiert, Moderator Ein Moderator bremst die schnellen bei einer Kernspaltung freigesetzten Neutronen ab. Der Moderator umgibt in der Regel den Brennstoff; er besteht z. B. aus Wasser oder Graphit. Molekül Chemische Verbindung aus mehreren -Ź Atomen. Monitor Gerät zur Aufzeichnung und Messung von nuklearem oder anderem radioaktivem Material. N NaI-Detektor Standard- -Ź detektor für -Ź Gamma-Strahlung in der Nuklearmedizin. Natriumperchlorat Hemmt die Aufnahme von -Ź radioaktivem Iod in die Schilddrüse dadurch, dass es wie -Ź Iod von der Schilddrüse aufgenommen wird. Natürliche Umgebungsstrahlung -Ź Exposition Neutron Elektrisch neutrales Elementarteilchen. Kernbaustein (-Ź Nukleon). Neutronenstrahlung Strahlung in Form elektrisch neutraler Elementarteilchen (-Ź Neutronen), die insbesondere bei der Kernspaltung freigesetzt werden. 289 Nuklearbombe Beruht auf der Kernspaltung von -Ź Uran-235 oder -Ź Plutonium-239. Nukleares Material Durch -Ź Kernspaltung entstandene -Ź radioaktive Stoffe, abzugrenzen von -Ź anderem radioaktiven Material. Nuklearmedizin Anwendung radioaktiver Stoffe in der Medizin zu diagnostischen und therapeutischen Zwecken. Nuklearwaffen Bezeichnung für Geschosse, Raketen, -Ź Bomben, Minen mit Sprengladungen aus -Ź Kernbrennstoff. Nukleonen Kernbausteine: -Ź Protonen und -Ź Neutronen. Nuklid Atomkern Nuklididentifizierung Nachweis und Messung von -Ź Nukliden. O Ordnungszahl Anzahl der -Ź Protonen, positiven Ladungen, in einem -Ź Atom. Organdosis Mittelwert der -Ź Äquivalentdosis über ein Organ. Ortsdosis -Ź Äquivalentdosis gemessen an einem bestimmten Ort. P Partikel Teilchen Peer reviewed journals Wissenschaftliche Zeitschriften, in denen nur Veröffentlichungen erscheinen, die zuvor von mindestens einem Gutachter kritisch bewertet wurden. 290 Personendosis Die an einer repräsentativen Stelle der Körperoberfläche gemessene -Ź Äquivalentdosis. PET Positronen-Emisssions-Tomographie. Nuklearmedizinisches, diagnostisches Verfahren, bei dem Positronen aussendende radioaktive Substanzen, insbesondere der radioaktiv markierte Zucker (18F-FDG), vorwiegend zur Darstellung von vitalem Tumorgewebe verwendet werden. Photon Quant elektromagnetischer -Ź Strahlung. Ein Photon ist die kleinste Strahlungsmenge. Sie kann jede beliebige Energie tragen, aber nur als ganzes erzeugt oder vernichtet werden. Pilotstudie oder Machbarkeitsstudie untersucht, ob und unter welchen Bedingungen eine geplante aufwändige Untersuchung erfolgreich sein kann. Plutonium-239 Der Alpha-Strahler entsteht bei normalem Betrieb eines -Ź Reaktors und kann in -Ź Nuklearwaffen verwendet werden. Positron Antiteilchen des -Ź Elektrons mit einer positiven -Ź Elementarladung. Prämenopausal Zeit vor den Wechseljahren. Primordiale Radionuklide Radionuklide, die bei der Bildung der irdischen Materie entstanden und heute noch vorhanden sind. Prognose Vorhersage einer zukünftigen Entwicklung, z. B. eines Krankheitsverlaufs. Proton Elementarteilchen mit einer positiven Elementarladung. Kernbaustein (-Ź Nukleon). PuO2-UO2 Chemische Formel für Plutoniumdioxid und -Ź Urandioxid. 291 R Radikal Kurzlebiges, extrem reaktionsfähiges Bruchstück eines -Ź Moleküls. Radioaktive Quelle bzw. Strahlungsquelle ist ein Gerät oder Material, das -Ź ionisierende Strahlung aussenden kann. - Umschlossene radioaktive Quellen sind ständig von einer allseitig dichten, festen, inaktiven Hülle umschlossen oder in festen inaktiven Stoffen ständig so eingebettet, dass bei üblicher betriebsmäßiger Beanspruchung ein Austritt radioaktiver Stoffe mit Sicherheit verhindert wird. - Offene radioaktive Quellen sind alle radioaktiven Quellen mit Ausnahme der umschlossenen. Radioaktiver Zerfall Kernumwandlung unter Aussendung von -Ź Strahlung. Das entstehende -Ź Tochternuklid kann wiederum instabil, d.h. radioaktiv, sein. Radioaktivität -Ź Radioaktiver Zerfall Radiocäsium Radioaktives Cäsium -Ź Isotop Radioisotop Radioaktives Ź Isotop Radioisotopendetektor -Ź Detektor zur Lokalisation, -Ź Verifikation und -Ź Nuklididentifizierung. Radiological Dispersion Device (RDD) Englischer Fachbegriff für sog. -Ź „Schmutzige Bombe“. Radionuklid Instabiler Kern, der sich durch Aussendung von -Ź Strahlung in einen stabileren Kern umwandelt. Radioökologie Lehre vom Verhalten radioaktiver Stoffe in der Umwelt. Radiotoxizität Giftigkeit einer Substanz auf Grund -Ź radioaktiver Strahlung. 292 Reaktor Kurzbezeichnung für -Ź Kernreaktor. Reaktorunfall -Ź Strahlenunfall Regionale Strahlenschutzzentren (RSZ) Von der Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik und der Berufsgenossenschaft der Chemischen Industrie eingerichtete Leitstellen zur optimalen Versorgung von -Ź beruflich strahlenexponierten Personen bei einem Ź Strahlenunfall. Relatives Risiko Gibt den Faktor an, um den sich die Erkrankungshäufigkeit in einer -Ź exponierten Gruppe von der in einer -Ź Kontrollgruppe unterscheidet. REMPAN (Radiation Emergency Medical Preparedness and Assistance Network) Netzwerk von zur Zeit ca. 30 Kollaborationszentren der -Ź WHO. Resuspension Wiedereintritt von am Boden oder auf Pflanzen deponierten Luftschwebstoffen in die Atmosphäre, z. B. infolge Aufwirbelns durch den Wind. Röntgenkontrastmittel Substanz zur Verbesserung der röntgenologischen Darstellung von u. a. Körperräumen und Gefäßen. Röntgenstrahlung Elektromagnetische -Ź ionisierende Strahlung, entstanden durch Beschleunigen oder Abbremsen geladener Teilchen (Ź Bremsstrahlung) oder Elektronenübergänge in der Atomhülle (charakteristische Röntgenstrahlung). RöV Verordnung über den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlen (Röntgenverordnung). 293 S Schilddrüsendosis -Ź Organdosis für die Schilddrüse. Schmutzige Bombe Umgangssprachlicher Begriff für konventionellen Sprengstoff, dem -Ź radioaktive Stoffe beigefügt oder beigemengt sind (englisch: -Ź Radiological Dispersion Device (RDD)). SEARCH (System for Evaluation and Archiving of Radiation Accidents based on Case Histories). Datenbank zur Archivierung und Auswertung von -Ź Strahlenunfällen basierend auf Patientenkrankenakten. Sicherheitscontainment Schutzhülle zum Einschluss der -Ź Radioaktivität eines -Ź Reaktors, die besonders hohe Anforderungen hinsichtlich Dichtheit und Stabilität erfüllt. Sievert Einheit der -Ź effektiven Dosis und der -Ź Äquivalentdosis. Solider Tumor -Ź Tumor eines Organs. Somatisch körperlich Somatisches Strahlenrisiko Risiko für eine körperliche Schädigung der von der Bestrahlung betroffenen Person; zur Unterscheidung vom genetischen Risiko, das für die Schädigung der Folgegenerationen besteht. Spaltprodukte -Ź Nuklide, die bei der Spaltung schwerer -Ź Atomkerne entstehen. Spezifische Aktivität Verhältnis der -Ź Aktivität eines -Ź Radionuklids zur Masse des Materials, in dem das Radionuklid verteilt ist. Spontanspaltung Spaltung schwerer Atomkerne in mehrere größere Bruchstücke ohne äußere Einwirkungen. 294 Sterilität Zustand der Unfruchtbarkeit. Stochastische Strahleneffekte Hierbei führt eine Erhöhung der -Ź Dosis zu einer höheren Eintrittswahrscheinlichkeit der Strahlenschäden. Eine -Ź Schwellendosis gibt es hier nicht (vgl. -Ź deterministische Strahleneffekte). Strahlenbiologisch, Strahlenbiologie Wissenschaft, die die Wechselwirkungen zwischen -Ź ionisierender Strahlung mit biologischer Materie untersucht. Strahlendosis Dosis an -Ź ionisierender Strahlung. Strahlenexposition Einwirkung -Ź ionisierender Strahlung auf den Menschen. Strahlenschutzbereich Gekennzeichneter Bereich, in dem mit erhöhter -Ź Strahlenexposition zu rechnen ist. Strahlenunfall Ereignisablauf, der für eine oder mehrere Personen eine -Ź effektive Dosis von mehr als 50 Millisievert zur Folge haben kann. Strahlung Energieform, die sich als elektromagnetische Welle oder als Teilchenstrahlung ausbreitet. - direkte Strahlung: -Ź Alpha- oder -Ź Beta-Strahlung - indirekte Strahlung: -Ź Photonen (-Ź Gamma- und Röntgenstrahlung) oder -Ź Neutronenstrahlung Strahlungsquelle -Ź Radioaktive Quelle Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) Verordnung über den Schutz vor Schäden durch die Anwendung radioaktiver Substanzen. Strontium-90 Der -Ź Beta-Strahler entsteht bei der -Ź Kernspaltung von -Ź Uran. 295 Strahlenschutzvorsorgegesetz (StrVG) Verordnung zur Vorsorge vor Schäden durch ionisierende Strahlung. Szintigramm Abbildung der Radioaktivitätskonzentration im Körper. T Teilchenstrahlung Aus geladenen (z. B. -Ź Elektronen, -Ź Protonen) oder ungeladenen Teilchen (z. B. Neutronen, Neutrinos) bestehende Strahlung (im Gegensatz zur elektromagnetischen Wellenstrahlung). Teleradiologie Durchführung einer Röntgenuntersuchung, bei der der verantwortliche Arzt per (Bild-)Telefon mit den durchführenden Personen in Verbindung steht. Thorium -Ź Isotop 232 ist ein -Ź Alpha-Strahler. TNT Abkürzung für den wichtigen Explosivstoff Trinitrotoluol, dessen Sprengwirkung als Maß der Wirkung von -Ź Nuklearwaffen dient. Tochternuklid Aus einer Kernumwandlung (-Ź radioaktiver Zerfall) entstehendes Nuklid. Track-etch-Detektor (Kernspurdetektor) Bestimmte Materialien, bei denen nach elektrochemischer Ätzung die Einschlagstellen der Alpha-Teilchen vergrößert dargestellt und elektronisch oder visuell mit dem Mikroskop gezählt werden können. Transferfaktor Beschreibt quantitativ den Übergang eines Radionuklids von einem Compartment in ein anderes (z. B. Boden - Pflanze, Futterpflanze - Milch usw.). Triage Einteilen von Verletzten (unter Katastrophenbedingungen) nach zunehmender Verletzungsschwere. 296 Tritium Radioaktives -Ź Isotop des Wasserstoffs, das -Ź Betastrahlung sehr niedriger Energie aussendet. Tschernobylforum Sammelt seit 2003 im Auftrag der -Ź Weltgesundheitsorganisation (WHO) wissenschaftliche Daten über die Auswirkungen der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl auf die Gesundheit, Psyche, Wirtschaft und Umwelt Tschernobyl-Verordnung Die Verordnung (EWG) Nr. 737/90 der Europäischen Kommission legt für die Einfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse mit Ursprung in Drittländern Höchstwerte an -Ź Radioaktivität fest, deren Einhaltung von den Mitgliedsstaaten überprüft wird. U United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation (UNSCEAR) Deutsch: Komitee der Vereinten Nationen über die Wirkung von atomarer Strahlung, ein wissenschaftliches Komitee, das regelmäßig Berichte für die UN-Vollversammlung über die -Ź Strahlenexposition und die Wirkungen -Ź ionisierender Strahlung erstellt. Uptake Aufnahme eines -Ź Radionuklids und dessen Anreicherung in einem bestimmten Organ. Uran Uran kommt in der Natur (-Ź Natururan) hauptsächlich in zwei -Ź Isotopen vor: U-238 und U-235; es enthält weniger als 1 Prozent spaltbares Uran (U-235). - Beim angereicherten Uran wird der Anteil an U-235 gegenüber dem U-238 durch Anreicherung erhöht. Schwach angereichertes Uran, englisch: low-enriched uranium (LEU), enthält etwa 2-4 % U-235; es wird gewöhnlich in -Ź Kernreaktoren eingesetzt. Hoch angereichertes, englisch: high-enriched uranium (HEU), enthält mehr als 20 % U-235; es kann auch zur Herstellung von -Ź Nuklearwaffen verwendet werden. 297 - Abgereichertes Uran, englisch: depleted uranium (DU), ist ein Rückstand, der bei der Erzeugung von -Ź Brennstäben oder -Ź Nuklearbomben entsteht. Es besteht zu fast 100 Prozent aus U-238. DU ist chemisch hochgiftig und schwach radioaktiv. Urananreicherungsanlage Einrichtung, in der der Prozentsatz des spaltbaren -Ź lsotops -Ź Uran-235 über den Gehalt von 0,72 % des -Ź Natururans hinaus gesteigert wird. Urandioxid (UO2) Häufigstes Uranoxid und chemisch sehr stabil. Der -Ź Kernbrennstoff für die meisten -Ź Reaktoren ist heute Urandioxid, früher wurde dagegen oft metallisches -Ź Uran (U) verwendet. V Verifikation Vorgehen, das durch Überprüfung die Richtigkeit bestätigt. W Weichteilgewebe Repräsentiert im Mittel die Eigenschaften aller Körpergewebe mit Ausnahme der Knochen und Knorpel. Definition für die -Ź Dosimetrie: Homogenes Material mit einem Massegehalt von 10,1 % Wasserstoff, 11,1 % Kohlenstoff, 2,6 % Stickstoff und 76,2 % Sauerstoff. Wellenstrahlung Aus elektromagnetischen Wellen bestehende Strahlung (z. B. Licht, Radiowellen, Röntgen- und -Ź Gammastrahlen). Weltgesundheitsorganisation Englisch: World Health Organization (WHO). Wiederaufarbeitungsanlage Anlage, in der die Stoffe -Ź Uran und -Ź Plutonium (in Form chemischer Verbindungen) aus verbrauchten -Ź Brennelementen zurück gewonnen und die hoch radioaktiven Abfälle abgetrennt werden. 298 Z Zerfallsreihe Für ein -Ź Radionuklid charakteristisches Zerfallsschema über wiederum instabile -Ź Tochternuklide bis zu seinem letztlich stabilen Tochternuklid. Zwischenlager Zeitlich befristete Lagerung bestrahlter -Ź Brennelemente oder radioaktiver Abfälle vor ihrer -Ź Endlagerung. Zyklotron Beschleuniger für positiv geladene Teilchen (Protonen, Deuteronen, Alphateilchen). Die Teilchen laufen unter Einfluss eines magnetischen Feldes auf halbkreisförmigen Bahnen von zunehmendem Durchmesser und treten jeweils nach halbem Umlauf aus der einen in die andere Umlaufkammer über, wodurch sie beschleunigt werden und hohe kinetische Energien gewinnen. Zyklotrone werden in der Medizin zur Erzeugung kurzlebiger Radioisotope und zur Neutronentherapie eingesetzt. 299 8. Sachverzeichnis A Abschirmung der Strahlung 12 Abwehr- und Reparaturmechanismen vielzelliger Systeme 44 Adaptive Reaktionen 43 Äquivalentdosis (H) 20 Ärztliche Stelle 216 Aktivitätskonzentration in Luft und Wasser, Höchstwerte 221 Akute Bestrahlung 37 Akute Strahlenkrankheit 51 Akute Strahlenkrankheiten nach einmaliger Ganzkörperexposition 54 Akute Strahlenschäden 53 Alphastrahlung 6 Anpassungsreaktionen von Organismen 62 Apoptose 36 Atome 1 Ausbreitungsmodelle radioaktiver Stoffe in der Atmosphäre 135 Ausbreitung radioaktiver Stoffe in Gewässern 143 B Bestrahlung des roten Knochenmarks 45 Betastrahlung 6 Biologische Dosimetrie 39 Biologische Grundlagen 25 Bystander Effekte 41 C Chronische Bestrahlung 37 Chronische Strahlenkrankheit 51 Comptoneffekt 11 Computer-Tomographie (CT) 114, 119 D Dekontaminationsmöglichkeiten 198 Dekorporationsmöglichkeiten 200 Deterministische Spätschäden 61, 62 Deterministische Strahlenwirkungen 50 Diagnostische Referenzwerte 215 Digitale Radiographie 117 Digitale Subtraktionsangiographie (DSA) 118 DNS-Doppelstrangbrüche (DSB) 32 300 DNS-Schäden 32 Dosisleistung 18 Druckwasserreaktor 87 E Effektive Dosis (E) 15 Effekte durch chronische Strahlenexposition mit niedriger Dosisrate 61 Effektüberschneidungen 48 Energiedosis (D) 13 Energieerzeugung 82 Epidemiologische Studien (Fall-Kontroll-Studien) 185 Epidemiologische Studien an exponierten Populationen 69 Externe Strahlenexposition 155 F Faktorabhängigkeit der Strahlenwirkungen 52 G Gammakamera 105 Gammastrahlung 6 Genetisch signifikante Dosis 16 Genetische Mutationen 34 Genetische Strahlenwirkungen 52 Genom-Instabilität 36 Gesetzliche Strahlenschutzvorschriften 204 Gray (Gy) 13 Grenzmonitoring 258 H Herz-Diagnostik, nuklearmedizinisch 110 Hiroshima und Nagasaki, Überlebende 66 Hormesis und kleine Dosen 76 I Immissions- und Emissionsüberwachung 219 Immissionsmesssystem für Radioaktivität (IfR) 254 Improvisierte Nuklearbombe 250 Industrie 92 Ingestion 150 Inhalation 151 Inkorporation 200 Integriertes Mess- und Informationssystem (IMIS) 252 Internationale Strahlenschutzkommission (ICRP) 67 Interne Strahlenexposition 149, 167 Interventionelle Radiologie 118 301 Interzeption 140 Iodblockade zur Strahlenschutzvorsorge 240 Ionendosis (J) 13 Isotope 2 K Kalibrierquellen 95 Katastrophenschutz 260 Katastrophenschutz, abwehrende Maßnahmen 262 Katastrophenschutz, vorbeugende Maßnahmen 261 Katastrophenschutz-Maßnahmen 260 Kernfusion 83 Kernspaltung 84 Kollektivdosis 16 Kontamination von Pflanzen 144 Kontamination von Tierprodukten 146 Konventionelle Röntgendiagnostik 118 Kosmische Strahlung 158 Kosmogene Radionuklide 163 Kritische Organe 17 L Letal-Dosen 36 Leukämie 45 Leukämie nach Tschernobylunfall 236 Lineares Energie-Übertragungsvermögen (LET) 20 M Mechanismen der Zellschädigung 28 Medizinische Strahlenexposition 180 Messgrößen im Strahlenschutz 20 Missbildungen 60 Missbrauch von radioaktiven Stoffen 243 N Nasse Deposition 139 Neutronen-Therapie 122 Nieren-Diagnostik, nuklearmedizinisch 111 Nuklearkriminalität 243 Nuklearterrorismus 248 Nuklide 2 P Paarbildung 11 Partikel- und Photonenstrahlung 100 Perkutane Strahlentherapie (Radioonkologie) 121 302 Personenkontamination 198 PET/CT-Systeme 114 Photoeffekt 11 Physiologische Abwehr- und Anpassungsreaktionen biologischer Systeme 73 Polymerisation von Kunststoffen 94 Positronen-Emissions-Tomographie (PET) 112 Projektions-Radiographie 118 Protonen-Therapie 122 R Radioaktive Abfälle 124 Radioaktive Abfälle, Behandlungsmethoden 125 Radioaktive Abfälle, Quellen 124 Radioaktive Stoffe, Verhalten in der Umwelt (Radioökologie) 130 Radioaktive Stoffe, Ausbreitung in der Atmosphäre 132 Radioaktivität 2 Radioaktivitätsmessungen beim grenzüberschreitenden Ver-kehr 257 Radiographie 93 Radioisotope, Herstellung 95 Radioisotope in der Wissenschaft 97 Radionuklide in der Medizin, Voraussetzungen 101 Radionuklide in der medizinischen Diagnostik 104 Radionuklide in der Therapie 115 Radionuklide in Nahrungsketten 144 Radioökologie 17 Radiopharmaka 106 Radiopharmazeutika 106 Radon 167 Radon-/Radium-Therapie 123 Rauchmelder 96 Reaktortypen 85 Reaktorunfälle 227 Reaktorunfall von Tschernobyl 228 Reaktorunfall von Tschernobyl, gesundheitliche Folgen 231 Reaktorunfälle vor Tschernobyl 227 Rechtfertigende Indikation 214 Regel- und Messeinrichtungen 96 Regionale Strahlenschutzzentren 264 Reichweite der Strahlung 9 Relative Biologische Wirksamkeit (RBW) 31 REMPAN-Netzwerk der WHO 265 303 Reparatur von Strahlenschäden 33 Resuspension 142 Risikoanalyse 63 Risikoanalyse, Modifikationen 71 Risikoanalyse, sekundäre Faktoren 65 Röntgendiagnostik 116 Röntgendurchleuchtung 117 Röntgenfluoreszenz-Analyse 93 Röntgenverordnung (RöV) 211 S Schilddrüsen-Diagnostik, nuklearmedizinisch 108 Schilddrüsenerkrankungen nach Tschernobylunfall 235 Schmutzige Bombe 249 Siedewasserreaktor 87 Sievert (Sv) 14 Single-Photon-Emissions-Computer-Tomographie (SPECT) 112 Skelett-Diagnostik, nuklearmedizinisch 109 Somatische Spätschäden nach Strahlenexposition mit hoher Dosis/-rate 62 SPECT/CT-Systeme 115 Sterilisation und Konservierung 94 Stochastische Spätschäden 49,-63 Stochastische Strahlenwirkungen 47 Strahlenarten 5 Strahlendosen nach Tschernobylunfall 234 Strahlendosisbegriffe 13 Strahleneinfangereignisse 38 Strahlenempfindliche Teile der Zelle 31 Strahlenexposition aus natürlichen Quellen 157 Strahlenexposition aus zivilisatorischen Quellen 171 Strahlenexposition, beruflich 184 Strahlenexposition des Flugpersonals 163 Strahlenexposition durch den Betrieb von Kernkraftwerken, Beschäftigte 90 Strahlenexposition durch den Betrieb von Kernkraftwerken, Bevölkerung 90 Strahlenexposition durch den Reaktorunfall von Tschernobyl 176 Strahlenexposition durch den Transport von radioaktiven Stoffen (Castor) 178 Strahlenexposition durch nuklearmedizinische Untersuchungen 106, 107 304 Strahlenexposition durch Quellen in Industrie, Wissenschaft und Medizin 179 Strahlenexposition in der Nähe kerntechnischer Anlagen 171 Strahlenexposition in der Röntgendiagnostik 121 Strahlenexposition in Deutschland durch Tschernobyl 238 Strahleninduzierte Störungen des biologischen Gleichgewichtes 43 Strahlenschäden der Haut, verstärkende 58 Strahlenschäden der Keimdrüsen 58 Strahlenschäden des ungeborenen Lebens 59 Strahlenschäden, späte 61 Strahlenschutz und gesetzliche Vorschriften 194 Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) 204 Strahlenschutz vor äußerer Exposition 194 Strahlenschutzvorsorgegesetz (StrVG) 218 Strahlenschutzvorsorgezentren 264 Strahlungs-Wichtungsfaktor 13 Szintigramm 105 T Teleradiologie 215 Terrestrische Strahlung 164 Tomographie-Verfahren, nuklearmedizinisch 112 Trockene Deposition 138 Tschernobyl-Verordnung 257 U Überwachung der Umweltradioaktivität in Bayern 252 Umgang mit radioaktiven Stoffen, Genehmigungspflicht 223 Umgebungsüberwachung bayerischer Kernkraftwerke 256 Unterschiedliche Strahlenempfindlichkeiten im Körper 35 W Wechselwirkung der Strahlung mit der Materie 9 Werkstoffprüfung 93 Wirkungsweise ionisierender Strahlen 25 Wirkungsweise ionisierender Strahlen auf vielzellige Organismen 40 Z Zellen als kleinste Funktionseinheiten 25 Zellerneuerungssysteme 53 Zwischen- und Endlager 126 305 www.gesundheit.bayern.de Herausgeber: Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz (StMUGV) Rosenkavalierplatz 2, 81925 München Internet: E-Mail: Stand: Druck: www.stmugv.bayern.de [email protected] Oktober 2006 Medienhaus Mintzel-Münch GmbH, Hof © StMUGV, alle Rechte vorbehalten Gedruckt auf 100 % Recyclingpapier Diese Druckschrift wird kostenlos im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Bayerischen Staatsregierung herausgegeben. Sie darf weder von den Parteien noch von Wahlwerbern oder Wahlhelfern im Zeitraum von fünf Monaten vor einer Wahl zum Zweck der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für Landtags-, Bundestags-, Kommunalund Europawahlen. Missbräuchlich ist während dieser Zeit insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken und Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte zum Zweck der Wahlwerbung. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl darf die Druckschrift nicht in einer Weise verwendet werden, die als Parteinahme der Staatsregierung zugunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Den Parteien ist es gestattet, die Druckschrift zur Unterrichtung ihrer eigenen Mitglieder zu verwenden. Bei publizistischer Verwertung - auch von Teilen - Angabe der Quelle und Übersendung eines Belegexemplars erbeten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte sind vorbehalten. Die Broschüre wird kostenlos abgegeben, jede entgeltliche Weitergabe ist untersagt. Diese Broschüre wurde mit großer Sorgfalt zusammengestellt. Eine Gewähr für die Richtigkeit und Vollständigkeit kann dennoch nicht übernommen werden. Bayern Direkt ist Ihr direkter Draht zur Bayerischen Staatsregierung. Unter Telefon 0 18 01/20 10 10 (4,6 Cent pro Minute aus dem Festnetz der Deutschen Telekom) oder per E-Mail unter direkt @ bayern.de erhalten Sie Informationsmaterial und Broschüren, Auskunft zu aktuellen Themen und Internetquellen sowie Hinweise zu Behörden, zuständigen Stellen und Ansprechpartnern bei der Bayerischen Staatsregierung.