Themenheft Kernenergie

Transcription

Themenheft Kernenergie
N AT U R W I S S E N S C H A F T U N D
TECHNIK IM UNTERRICHT
Jahrgang 54
Dezember 2012
K E R N
E N E R G I E
D
S
I
D
I E
I T U A T I O N
N
E U T S C H L A N D
Ausstieg – SICHERHEIT – Rückbau – Endlagerung
Vorwort
Liebe Lehrerinnen, liebe Lehrer,
die Energiewende ist derzeit eines der wichtigsten gesellschaftspolitischen Themen in Deutschland. Ein zentrales Element darin ist der Ausstieg aus der Kernenergie. Im Rahmen
ihres Energiekonzepts aus dem Jahr 2010 hatte die Bundesregierung die Laufzeiten der Kernkraftwerke in Deutschland
zunächst teilweise deutlich verlängert. Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima beschloss die Bundesregierung dann
die Rücknahme der Laufzeitverlängerung. 2022 soll nunmehr
das letzte Kernkraftwerk in Deutschland vom Netz gehen.
Ist die Kernenergie dann überhaupt noch ein Thema
für den Unterricht? Sowohl in Europa als auch weltweit wird die Kernenergie weiter eine Rolle spielen.
Einige unserer Nachbarn nutzen Kernkraftwerke langfristig und bauen diese Form der Stromerzeugung sogar aus.
Der Rückbau der stillgelegten Kraftwerke und die Entsorgung radioaktiver Abfälle werden uns in Deutschland auch
nach 2022 über Jahrzehnte begleiten. Stichworte dabei sind
zum einen die Behandlung und der Transport dieser Abfälle,
aber auch eine neue Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Stoffe.
Ausgehend von der Frage „Was geschah eigentlich in Fukushima?“ vermittelt das vorliegende Material aktuelle Fakten zur Kernenergie in Deutschland nach dem Ausstieg, aber
auch zum Aufbau und zur Funktionsweise von Kernkraftwerken. Dieses Zeitbild WISSEN ist Teil der Bildungsreihe
des Zeitbild Verlags zu Fragen der Energieversorgung und
soll dazu beitragen, dass sich Ihre Schülerinnen und Schüler sachkundig an der gesellschaftlichen Debatte um unsere
Energiezukunft beteiligen können.
Ihre Zeitbild-Redaktion
Zeitbild Wissen
2
Inhalt
Seite 4+5
Die Reaktorkatastrophe von Fukushima
Seite 6+7
Stromversorgung im Umbruch
Seite 8+9
Kernenergie weltweit
Seite 10+11
Kernenergie in Deutschland
Seite 12+13
Der Aufbau eines Kernkraftwerks
Seite 14+15
Sicherheit von Kernkraftwerken in Deutschland
Seite 16+17
Radioaktive Abfälle
Seite 18+19
Endlagerung von radioaktiven Abfällen in Deutschland
Seite 20+21 Rückbau von Kernkraftwerken
Seite 22
„Wir sind eine Ingenieurnation“
Im Gespräch mit Dr. Joachim Knebel
Seite 23
Hinweise für den Einsatz im Unterricht
Seite 24-34 Arbeitsblätter
3
Seite 35
Lösungshinweise, Bildnachweis
Seite 36
Links und Literaturtipps, Impressum
Zeitbild Wissen
Die Reaktorkatastrophe
von Fukushima
Am Freitag, dem 11. März 2011, ereignete
sich ein gewaltiges Seebeben der Stärke
9,0 (Magnitude) vor der Ostküste Japans.
Ein Tsunami mit einer Wellenhöhe von
mehr als 14 m überrollte etwa eine Stunde
nach dem Beben, gegen 16:00 Uhr Ortszeit
(08:00 Uhr MEZ), die Küste, überflutete
die angrenzende Region und richtete schwere
Verwüstungen an. Beben und Tsunami
forderten Tausende von Menschenleben.
SAPPORO
AOMORI
AKITA
SENDAI
FUKUSHIMA
TOKIO
YOKOHAMA
HIROSHIMA
OSAKA
Im unmittelbaren Einwirkungsbereich dieser
Naturkatastrophe befinden sich vier Kernkraftwerksstandorte. Während sich die Schäden an
drei Standorten in Grenzen hielten, verursachte
der Tsunami am Standort Fukushima Daiichi
folgenschwere Zerstörungen. In drei Blöcken
des Kernkraftwerks kam es dabei zu einer Kernschmelze und zu Wasserstoffexplosionen.
Dabei wurden auch radioaktive Stoffe in die
Umgebung freigesetzt. Diese Ereignisse wurden
auf der internationalen INES-Skala in die höchste
Kategorie 7 als „katastrophaler Unfall“ eingestuft.
Vermeidbare Tragödie
Das Kraftwerk Fukushima Daiichi umfasst
sechs Reaktorblöcke und liegt unmittelbar an der
Pazifikküste. Bekannt ist, dass große Tsunamis
Zeitbild Wissen
mit mehr als 10 m Wellenhöhe an der japanischen
Küste und auch am Küstenabschnitt von
Fukushima auftreten können. Der Schutzwall vor
dem Kraftwerk war aber nur 5,7 m hoch. Die Welle
vom 11. März erreichte an diesem Küstenabschnitt
eine Höhe von etwa 13 m, überflutete die Anlage
und verursachte dabei schwere Zerstörungen
am Kernkraftwerk. Besonders folgenschwer war
der Ausfall der Notstromversorgung mit den
Dieselgeneratoren und elektrischen Einrichtungen
in den Kellerräumen der Maschinenhäuser und
damit der Stromversorgung der Notkühlsysteme.
Die Anlagen und Räume waren nicht gegen
einen solchen Wassereinbruch geschützt, obwohl
japanische Sicherheitsexperten in den letzten
Jahren immer wieder auf diesen gravierenden
Sicherheitsmangel hingewiesen hatten.
4
Schwere Fehler des
Kernkraftwerksbetreibers
Eine von der japanischen Regierung
eingesetzte Expertenkommission hat dem
Kraftwerksbetreiber Tepco (Tokyo Power Company)
schwere Versäumnisse vor und auch während der
Katastrophe vorgeworfen: Tepco rechnete nicht
mit einer Situation, bei der alle Stromquellen
wegen einer Naturkatastrophe gleichzeitig
unterbrochen würden und habe die Mitarbeiter
nicht ausgebildet, entsprechend darauf zu
reagieren. Das Unternehmen habe zudem falsch
auf die Katastrophe reagiert. Die Kernschmelzen
in den Reaktoren und das Entweichen radioaktiver
Stoffe hätten deutlich begrenzt werden können,
wenn in den Reaktoren 1 und 3 früher Überdruck
abgebaut und sehr viel schneller Wasser zur
Kühlung zugeführt worden wäre. Auch sei die
Kommunikation zwischen den Einsatzteams
äußerst mangelhaft gewesen.
Fukushima und die
Folgen in Deutschland
Die Katastrophe in Japan hatte direkte
Auswirkungen auf die Politik in Deutschland.
Am 15. März 2011 entschied die Bundesregierung,
sieben vor 1980 ans Netz gegangene Kernreaktoren zunächst abzuschalten. Die Bundesregierung richtete eine Ethikkommission „Sichere
Energieversorgung“ zur Neubewertung der
Risiken der Kernenergie und als Ratgeber der
zukünftigen Energieversorgung ein. Die ReaktorSicherheitskommission (RSK) wurde beauftragt,
den Zustand der 17 deutschen Kernkraftwerke
sicherheitstechnisch zu prüfen.
Dieser sogenannte nationale Stresstest bescheinigte den deutschen Kernkraftwerken
sicherheitstechnische Robustheit, führte jedoch
auch Möglichkeiten zur weiteren Verbesserung
der Sicherheitsreserven auf. Zusätzlich wurden
deutsche Kernkraftwerke einer EU-weiten
Überprüfung
(EU-Stresstest)
unterzogen.
Dieser nukleare EU-Stresstest bestätigte die
Ergebnisse der RSK und empfahl ebenfalls
Sicherheitsverbesserungen. Im Juni 2011 beschloss
der Deutsche Bundestag den Ausstieg aus der
Kernenergie bis 2022.
Ein Jahr danach – 2012
In den ersten Tagen der Katastrophe wurde
aufgrund der Wetterlage ein großer Teil der
radioaktiven Stoffe, insbesondere Jod und Cäsium,
aufs Meer verweht. Später gelangten nach Drehen
des Windes radioaktive Stoffe in die Provinz
Fukushima. Insgesamt wurden zwischen fünf
und zehn Prozent der 1986 beim Reaktorunfall
von Tschernobyl (damalige UdSSR) freigesetzten
Menge emittiert. Bis in eine Entfernung von 40
Kilometern wurden radioaktive Kontaminationen
gemessen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO
berechnete für weite Bereiche der dortigen
Präfektur Strahlendosen von 1 bis 10 mSv und für
zwei höher belastete Beispielgebiete von 10 bis
50 Millisievert (mSv) 80.000 Menschen wurden
evakuiert, von denen bislang einige zumindest
zeitweise in ihre Heimat zurückkehren konnten.
Kernkraftwerk Fukushima Daiichi nach dem Tsunami
und den nachfolgenden Wasserstoffexplosionen
C hr o n o l o g ie
der
11. März 2011
14:46 Uhr: Seebeben vor der japanischen Küste +++ Automatische
Schnellabschaltung aller Kernkraftwerke an der Ostküste +++ Tsunami trifft
die Ostküste Japans nachmittags gegen 15:00 +++ Überflutung des Kraftwerks
Fukushima Daiichi +++ Dadurch Ausfall der Strom- und Notstromversorgung
sowie der Kühlsysteme +++ Regierung ruft abends den nuklearen Notstand aus
+++ Behörden ordnen Evakuierung der lokalen Bevölkerung an.
12. März 2011
Messung von erhöhter Radioaktivität in und um das KKW Fukushima Daiichi
+++ Evakuierungszone auf zehn Kilometer erweitert +++ Wasserstoffexplosion
in Reaktor 1, Dach und Wände des Gebäudes werden zerstört +++ Radius
der Evakuierungszone auf 20 Kilometer vergrößert, 140.000 Menschen sind
betroffen.
5
ersten
T A g e
13. März 2011
Japanische Atomaufsicht teilt mit, dass in Fukushima möglicherweise eine
Kernschmelze begonnen hat.
14. März 2011
Wasserstoffexplosion in Reaktor 3 des KKW Fukushima Daiichi +++ Brennstäbe
im Reaktor 2 liegen trocken +++ Regierungssprecher erklärt am Abend, dass
möglicherweise in drei Reaktoren eine Kernschmelze droht.
15. März 2011
Explosion in Reaktor 2, Feuer nach einer Explosion in Reaktor 4 +++ Sehr
hohe Werte an Radioaktivität auf dem Gelände des Kraftwerks +++ zeit- und
stellenweise hohe Strahlungsintensität +++ Erhöhte Radioaktivität am Rand des
Großraums Tokio festgestellt.
Zeitbild Wissen
Stromversorgung
im Umbruch
Bruttostromerzeugung
in Deutschland (2011)
Mineralölprodukte 1,1 %
Steinkohle
18,5 %
Erdgas
13,6%
Übrige Energieträger 4,2 %
8 % Wind
Braunkohle
24,6 %
Erneuerbare
20,3 %
5,4 % Biomasse
2,9 % Wasser
3,2 % Photovoltaik
0,8 % Hausmüll
Kernenergie
17,7 %
Quelle: AG Energiebilanzen 2012
Im- und Export von Strom
zwischen Deutschland und
seinen Nachbarländern
innerhalb des europäischen
Verbundnetzes UCTE
Entwicklung der Stromerzeugung
in Deutschland (in Mrd. kWh)
576,6
608,8
621,0
2000
2011
2030*
Export | Import
59,9 Mrd. kWh | 42,2 Mrd. kWh
2010
56,0 Mrd. kWh | 50,0 Mrd. kWh
2011
Der Stromexport ging von 2010 auf 2011 deutlich
zurück, während der Import stieg.
*Vorläufige Prognose, Stand: 10/2011
Quelle: BMWi/AGEB,
Studien zur weiteren Entwicklung des Energieverbrauchs bzw.
der Stromerzeugung in den nächsten 20 Jahren zeigen eine
uneinheitliche Entwicklung. Fachleute rechnen damit, dass sich
der Primärenergiebedarf in Deutschland bis 2030 um nahezu
25 Prozent gegenüber dem Referenzjahr 2000 verringern wird.
Den Strombedarf in Deutschland sehen Energieexperten dagegen
für die nächsten 20 Jahre auf einem annähernd gleichbleibenden
Niveau, er könnte trotz aller Bemühungen, Strom zu sparen,
in der Zukunft sogar noch leicht ansteigen.
Zeitbild Wissen
6
Weltstrombedarf steigt
Der globale Bedarf an elektrischer Energie ist
in den letzten 20 Jahren rasant angestiegen und
wird nach Auffassung von Energieexperten auch
in der Zukunft voraussichtlich weiter zunehmen.
Die Gründe hierfür liegen vor allem im
Wirtschaftswachstum einiger bevölkerungsreicher
Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien.
Auch die Forderung nach „Zugang zu Elektrizität
für alle“, wie sie UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon
schon mehrmals geäußert hat, lässt angesichts der
Tatsache, dass noch immer mehr als 1,6 Milliarden
Menschen keinen Zugang zu Elektrizität haben, für
die Zukunft einen rasanten Anstieg des Verbrauchs
um bis zu 45 Prozent bis 2035 erwarten.
Strom kennt keine Grenzen
Deutschlands Stromnetz gilt als eines der
weltweit sichersten. Sollte es dennoch einmal zu
einem Engpass in der Energieversorgung kommen,
gibt es Unterstützung aus anderen europäischen
Ländern. Für den Stromaustausch haben sich
europäische Länder zu einem grenzübergreifenden
Verbundnetz zusammengeschlossen. Das Verbundnetz ermöglicht auch den Stromhandel.
Strom wird dort gekauft, wo er gerade am
günstigsten produziert wird. Wer beispielsweise
gerade über freie Stromkapazitäten verfügt, bietet
diese über die Strombörse zum Kauf an.
Im Herbst 2010 beschloss die Bundesregierung ein „Energiekonzept
für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung“.
Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima hat der Deutsche Bundestag
beschlossen, zügig aus der Nutzung der Kernenergie auszusteigen.
Die energiepolitischen Ziele der Bundesregierung, bezogen auf elektrische Energie:
• Reduktion des Stromverbrauchs um 10 % bis 2020 und um 25 % bis 2050 (gegenüber 2008).
• Anteil der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch:
35 % bis 2020 und 80 % bis 2050.
• Beschleunigung des Ausbaus der Offshore-Windleistung sowie Ausbau der
Netzinfrastruktur (Nord-Süd-Trassen).
• Ausstieg aus der Kernenergienutzung in Deutschland bis 2022.
Auswirkungen auf die Stromversorgung
Vor dem Hintergrund des Kernenergieausstiegs geht es mittelfristig vor allem
darum, eine sichere Stromversorgung zu gewährleisten, um mögliche Stromausfälle
zu vermeiden. Hierzu muss – parallel zum Ausbau der erneuerbaren Energien – das
vorhandene Stromnetz so erweitert und modernisiert werden, dass es künftigen
Anforderungen gerecht wird, insbesondere mit Blick auf eine Nord-Süd-Stromachse
von Offshore-Windparks zu den Verbrauchszentren der Ballungsräume in West- und
Süddeutschland.
Auch die Frage der Speicherung von Strom aus erneuerbaren Energien stellt sich
für die Zukunft. Diese Speicher gleichen die Unterschiede zwischen Stromnachfrage
und schwankendem Stromangebot von Windkraft- und Photovoltaikanlagen aus. In
Deutschland dienen Pumpspeicherkraftwerke diesem Zweck, die wenigen Anlagen sind
aber schon heute nicht ausreichend in der Lage, Stromproduktionsspitzen durch die
erneuerbaren Energien aufzunehmen.
7
Zeitbild Wissen
Kernenergie
w e lt w e i t
KernenergieNUtzung
Keine KernenergieNUtzung
KernenergieNUtzung geplant
AUSSTIEG AUS DER KernenergieNUtzung Beschlossen
Zum Jahresende 2011 waren weltweit 437 Kernkraftwerke in Betrieb. Stand 9/2012. Quelle: IAEA
Die zivile Nutzung der Kernenergie in Kernkraftwerken
begann Mitte der 1950er-Jahre. In den folgenden
Jahrzehnten wurden in vielen Industriestaaten Kernkraftwerke gebaut; deren Leistung pro Reaktor
wuchs schnell an. Im Jahr 1951 erzeugte der erste
Versuchsreaktor in den USA Strom aus Kernenergie.
Das erste Kraftwerk zur großtechnischen Erzeugung
von elektrischer Energie wurde 1954 bei Moskau in
Betrieb genommen. 1955 folgte in England das weltweit
erste kommerzielle Kraftwerk, 1957 in Pennsylvania in
den USA und 1961 in Deutschland. Zahlreiche Länder
wandten sich in den folgenden Jahren der Nutzung
der Kernenergie zur Stromerzeugung zu.
Zeitbild Wissen
8
Standorte von Kernkraftwerken
in Europa
Entwicklung weltweit
Nach der Reaktorkatastrophe in Japan legte neben Deutschland auch die Schweiz
verbindlich fest, aus der Nutzung auszusteigen, Deutschland nunmehr beschleunigt bis
zum Jahr 2022, die Schweiz bis 2034. Auch Italien lehnte die Kernenergienutzung erneut
ab. Unter den Staaten, die weiter an der Kernenergienutzung festhalten, sind besonders
Indien und China hervorzuheben. Beide Länder setzen aufgrund ihrer wirtschaftlichen
Entwicklung und ihres großen Strombedarfs auf den Ausbau der Kernenergie und planen
zahlreiche neue Kraftwerke. Auch europäische Staaten wie Frankreich, Großbritannien
und Finnland, aber auch die USA halten weiter an der Kernenergie fest und planen zum
Teil, ihre Kernenergiekapazitäten zu ersetzen oder weiter auszubauen.
Internationale Zusammenarbeit
Stimmen gegen die Kernenergie
Seit den 1970er-Jahren entstanden in vielen Ländern
Bewegungen, die die Nutzung von Kernenergie ablehnten,
weil sie Risiken für Bevölkerung und Natur befürchteten. Vor
allem in Deutschland ist diese Bewegung seit über 40 Jahren
sehr aktiv. Die teilweise Kernschmelze im Kernkraftwerk
Three Mile Island 1979 in den USA und insbesondere die
Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 in der Sowjetunion,
heute Ukraine, bestärkten diese Bewegungen in ihrer
Ablehnung. Ab den 1990er-Jahren verlangsamte sich der
Ausbau der Atomkraft deutlich; in Deutschland wurde
im Jahr 2000 vereinbart, die Nutzung der Kernenergie
bis 2024 geordnet zu beenden. Diese Frist wurde von der
Bundesregierung 2010 zunächst wieder verlängert.
9
Die Internationale Atomenergieorganisation
(IAEO) wurde 1957 mit dem Ziel gegründet, die
internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet
der friedlichen Nutzung der Kernenergie und der
Anwendung radioaktiver Stoffe zu fördern und
gleichzeitig den Missbrauch dieser Technologie
(insbesondere
die
Weiterverbreitung
von
Kernwaffen) zu verhindern. Der Sitz der IAEO ist
in Wien.
Die IAEO befasst sich intensiv mit der
Sicherheit von Kernkraftwerken und anderen
kerntechnischen Anlagen – insbesondere mit
denen in Osteuropa und Asien, wo derzeit die
meisten neuen Kernkraftwerke entstehen. Die
Organisation formuliert und überwacht nicht
nur technische Sicherheitsstandards, sondern
auch zum Beispiel Standards für Gesetze und die
Einschätzung der Sicherheit und des Managements
von Kernkraftanlagen sowie die Verteilung der
Uranvorräte weltweit.
Zeitbild Wissen
Kernenergie
in Deu tschl and
In Deutschland erlaubten die alliierten
Siegermächte bis 1955 keine kerntechnische
Forschung, auch nicht für die friedliche
Anwendung. Als dieses Verbot aufgehoben war,
arbeitete man in der Bundesrepublik Deutschland
intensiv daran, den Rückstand zum internationalen
Forschungsstand möglichst schnell aufzuholen.
Schon nach zwei Jahren war es so weit: 1957 wurde
der erste deutsche Forschungsreaktor in Garching
bei München – auch als „Atomei“ bezeichnet – in
Betrieb genommen. 1961 folgte das erste deutsche
Kernkraftwerk in Kahl am Main mit einer Leistung
von 15 MW – wenig im Vergleich zu heute üblichen
1.400 MW und mehr. Es wurde 1985 stillgelegt. In
den folgenden zwei Jahrzehnten wurden in der
Bundesrepublik und in der DDR insgesamt mehr als
30 Kernkraftwerke zur Stromerzeugung gebaut.
Zeitbild Wissen
10
Brunsbüttel
Brokdorf
Unterweser
Krümmel
Emsland
Grohnde
Kernkraftwerk Neckarwestheim
In Deutschland wurden insgesamt etwa 100
kerntechnische Anlagen in Betrieb genommen. Dabei
muss zwischen Kernreaktoren zur Energiegewinnung
und Forschungsreaktoren unterschieden werden.
Als letzter kommerzieller Kernreaktor ging 1989 der
Block 5 des Kernkraftwerks Greifswald ans Netz. Der
Ausbildungskernreaktor Dresden erhielt 2004 als bislang
letzter Forschungsreaktor seine Betriebsgenehmigung.
Am 1. Januar 1960 trat das Gesetz über die friedliche
Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen
ihre Gefahren (kurz Atomgesetz) in Kraft. Seitdem
wurde es mehrfach geändert und ergänzt. Im Zuge der
Wiedervereinigung wurden die Kernkraftwerke der
ehemaligen DDR abgeschaltet.
Biblis A
Biblis B
Grafenrheinfeld
Philippsburg 2
Isar 1
Neckarwestheim 2
Philippsburg 1
Neckarwestheim 1
Isar 2
Gundremmingen B
Gundremmingen C
2002 vereinbarte die damalige Bundesregierung mit
den Energieversorgungsunternehmen, dass die Nutzung
der vorhandenen Kernkraftwerke zeitlich begrenzt
wird und keine neuen Kernkraftwerke gebaut werden.
Vorgesehen war, dass die ursprünglich 19 kommerziell
genutzten Kernkraftwerke (bezogen auf das Jahr 2002)
bis 2021 abgeschaltet werden. Zwei Kernkraftwerke, Stade
und Obrigheim, wurden in den Jahren 2003 und 2005
abgeschaltet, in Betrieb waren 17 kommerziell genutzte
Kernkraftwerke.
gemäß Atomgesetz-Novelle von
2011 außer Betrieb
Im Zuge eines neuen Energiekonzeptes entschied
die Bundesregierung 2010, die Laufzeiten der deutschen
Kernkraftwerke um durchschnittlich 12 Jahre zu verlängern.
Aufgrund der Reaktorkatastrophe von Fukushima
beschloss sie im März 2011 jedoch ein Moratorium zur
Sicherheitsüberprüfung aller deutschen Kernkraftwerke.
Dieses beinhaltete die vorläufige Abschaltung der sieben
vor 1980 ans Netz gegangenen Kraftwerke. Mit der
Novellierung des Atomgesetzes im August 2011 erlosch
die Betriebsgenehmigung dieser sieben Kernkraftwerke
sowie des Kernkraftwerks Krümmel. Die verbleibenden
neun Reaktoren sollen gemäß dem Atomgesetz nun bis
spätestens Ende 2022 abgeschaltet werden. In Betrieb sind
acht Forschungsreaktoren und fünf Unterrichtsreaktoren.
Kernkraftwerke in Betrieb
Stromerzeugung aus Kernkraft in Deutschland
16000
Stromerzeugung in GWh
14000
12000
10000
8000
6000
4000
3000
0
Jan
Feb
Mrz
Apr
Mai
2010
Jun
Jul
Aug
Sep
Okt
Nov
Dez
ø
2011
Quelle: VGB PowerTech
11
Zeitbild Wissen
Der Aufbau eines
Kernkraftwerks
In einem Kernkraftwerk (KKW), auch als Atomkraftwerk
(AKW) bezeichnet, entsteht Wärme durch die kontrollierte
Kernspaltung von radioaktivem Uran-235. Diese Wärme
erhitzt Wasser, mit dem entstehenden Dampf wird eine
Turbine angetrieben, an der ein Generator angeschlossen ist.
Der Generator erzeugt schließlich elektrischen Strom.
Typen von Kernreaktoren
Der Druckwasserreaktor (DWR)
Es gibt weltweit verschiedene Reaktortypen.
Man unterscheidet sie danach, wie der Reaktorkern
gekühlt wird – entweder mit Wasser, Natrium
oder Heliumgas. In Deutschland gibt es nur
wassergekühlte Reaktoren, die sogenannten
Leichtwasserreaktoren. „Leichtes Wasser“ ist
dabei die Bezeichnung für gewöhnliches Wasser,
dessen Wasserstoffatome aus dem leichtesten
Wasserstoffisotop, aus Protium, bestehen. Das
Wasser umspült die Brennstäbe im Reaktorkern
und dient als Moderator* und zur Kühlung der
Brennstäbe. Leichtwasserreaktoren gibt es in zwei
unterschiedlichen Formen: Druckwasserreaktoren
und Siedewasserreaktoren. Von den neun
deutschen Kernkraftwerken in Betrieb gehören
sieben Anlagen zum Typ Druckwasserreaktor, zwei
Anlagen zum Typ Siedewasserreaktor.
ist weltweit die häufigste Bauform der Leichtwasserreaktoren. Der Betriebsdruck des Wassers ist mit bis
zu 150 bar so hoch gewählt, dass es bei der vorgesehenen
Temperatur nicht siedet. Dadurch erfolgt eine gleichmäßige
Benetzung der Brennstäbe und eine ausgeglichene
Wärmeverteilung. Druckwasserreaktoren verfügen über
drei Wasserkreisläufe.
Der Primärkreislauf nimmt die Wärme des Reaktors
auf und gibt sie an den Sekundärkreislauf ab. Dadurch
verdampft darin das Wasser; der Dampf treibt die Turbine
an. Der Kühlkreislauf kühlt den Dampf im Sekundärkreislauf
im Kondensator wieder zu Wasser. Der Vorteil: Die
Radioaktivität bleibt im Primärkreislauf, sie gelangt nicht in
die Turbine und den Kondensator.
*Der Moderator dient dazu, schnelle Neutronen abzubremsen,
um so die Kettenreaktion zu ermöglichen.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
Zeitbild Wissen
Schemazeichnung eines
Druckwasserreaktors (DWR)
Reaktordruckbehälter
Hauptkühlmittelpumpe
Dampferzeuger
Sicherheitsbehälter
Brennelementlagerbecken
Turbinen-Hochdruckteil
Wasserabscheider und Zwischenüberhitzer
Turbinen-Niederdruckteil
Generator
Transformator
Kondensator
Vorwärmanlage
Speisewasserpumpe
Hauptkühlwasserpumpe
Kühlturm
12
Der Siedewasserreaktor (SWR)
Dieser Reaktortyp verfügt über zwei Wasserkreisläufe.
Beim Siedewasserreaktor wird der Dampf, der die Turbinen
antreibt, direkt im Reaktor erzeugt. Die Brennstäbe
geben die Wärme direkt an das Wasser ab, das sie umgibt.
Dieses beginnt dadurch zu sieden – daher der Name.
Der entstehende Dampf wird direkt an die Turbinen
weitergeleitet, gelangt von dort in einen Kondensator, wo
er wieder zu flüssigem Wasser abkühlt. Und von hier geht es
wieder zurück in den Reaktor.
Abklingbecken für Brennelemente
13
Der
Betriebsdruck
eines
Siedewasserreaktors ist mit etwa 70 bar relativ niedrig. So
muss der Druckbehälter nur für einen Druck –
einschließlich Sicherheitszuschlag – von etwa 90
bar ausgelegt werden. Außerdem gibt es beim
Siedewasserreaktor nur einen Wasserkreislauf
zwischen Turbine und Reaktor. Das Wasser
dient im Reaktor auch als Moderator. Im Dampf
befinden sich weniger Wassermoleküle, daher
verschlechtert sich bei steigender Hitze die
Moderatorwirkung: Je heißer der Reaktor wird,
desto mehr bremst er sich selbst, eine vorteilhafte
Sicherheitseigenschaft. Das Wasser im Reaktor
enthält hochradioaktive Stoffe. Sie werden durch
die Dampf- Wasser- Trennung zum weitaus größten
Teil im Reaktordruckbehälter zurückgehalten.
Gasförmige radioaktive Stoffe, die mit dem Dampf
mitgerissen werden, werden im Kondensator
abgesaugt und damit dem Kühlmittelkreis
entzogen. Deshalb sind auch Maschinenhaus
und Turbine in die Sicherheitsmaßnahmen
des Strahlenschutzes einbezogen. Aus diesem
Grund sind Sicherheitseinrichtungen eingebaut,
die bei einer Störung den Dampfstrom zum
Maschinenhaus sofort unterbrechen.
Zeitbild Wissen
Sicherheit von Kernkraftwerken in Deutschland
Der Schutz der Bevölkerung vor einer radioaktiven Belastung ist beim Betrieb eines
Kernkraftwerkes ganz besonders wichtig. Deshalb unterliegen in Deutschland gemäß den
Vorgaben des Atomgesetzes Planung, Bau, Betrieb und Rückbau eines KKW sehr strengen
Vorschriften und staatlicher Aufsicht. Auf der Bundesebene ist das Bundesministerium für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) zuständig. Das BMU überträgt den
Ländern die Aufsicht über den Betrieb der Kernkraftwerke. Die Umweltministerien der
Länder wachen mit Unterstützung von Gutachterorganisationen (z. B. TÜV) darüber,
dass die Anlagen nach den rechtlichen Vorgaben betrieben werden und dass der gesetzlich
geforderte Schutz gewährleistet wird.
Sicherheitsüberprüfungen
und -analysen
Nationale und internationale Aufsichtsbehörden führen regelmäßige Kontrollen aller Kernkraftwerke durch. Die technischen Systeme werden
ständig weiterentwickelt und modernisiert. Der Erfahrungsaustausch mit anderen Staaten trägt dazu
bei, dass alle Kernkraftwerksbetreiber von den
neuesten Erkenntnissen profitieren können. Auch
die Aus- und Weiterbildung des Personals spielt
eine wichtige Rolle: Die Kernkraftwerksmitarbeiter
bilden sich regelmäßig fort, zum Beispiel durch
Sicherheitstrainings am Simulator.
Aktive Sicherheitsmaßnahmen
Neben den hier vorgestellten
passiven Sicherheitsmaßnahmen verfügen Kernkraftwerke
noch über aktive Sicherheitsmaßnahmen.
Dazu gehören: Redundanz –
alle Sicherheitssysteme sind
mehrfach vorhanden. Diversität
– die Sicherheitssysteme sind
nicht nur mehrfach vorhanden,
sondern auch unterschiedlich
ausgelegt. Räumliche Trennung
– stellt sicher, dass nicht mehrere Systeme gleichzeitig beschädigt oder zerstört werden
können. Fail-Safe – bedeutet,
dass die Sicherheitssysteme bei
eventuellen Fehlern sofort aktiv
werden.
Zeitbild Wissen
Sicherheitsschleuse
Das Zwiebelschalenprinzip
In westlichen Leichtwasserreaktoren dienen mehrere Barrieren zum Zurückhalten der radioaktiven Stoffe. Wie bei einer Zwiebel, deren Keim von vielen Schutzschichten umschlossen ist, wirken beim Kernkraftwerk mehrere nacheinander gestaffelte Barrieren. Selbst wenn eine Barriere versagen sollte, sorgen die übrigen
weiterhin für Sicherheit. Die Mehrfachbarrieren schließen somit die Radioaktivität
sicher ein. Darüber hinaus herrscht im Reaktorgebäude ein konstanter Unterdruck,
der das Austreten von Radioaktivität aus dem Inneren verhindern kann.
14
Barriere 1
Das Kristallgitter des Brennstoffes selbst: Die
erste Barriere stellen die Kernbrennstofftabletten selbst dar, da sie den größten Teil der Spaltprodukte zurückhalten. In Leichtwasserreaktoren
wird heute nahezu ausschließlich Uran-235 für die
Kernspaltung verwendet. Dieses ist in dem natürlich vorkommenden Uran in einem Anteil von 0,7
Prozent enthalten. Im Kernbrennstoff wird dieser
Anteil auf 3 bis 5 Prozent angereichert.
Barriere 2
Die Brennstabhülle: Die gasdicht und druckfest verschweißte Brennstabhülle trennt den Kernbrennstoff vom Kühlmittel und verhindert, dass die
bei der Kernspaltung entstehenden Spaltprodukte
in das Kühlmittel gelangen. Darüber hinaus muss
die Brennstabhülle über mechanische Festigkeit
verfügen, korrosions- und hitzebeständig sein sowie eine geringe Neigung zur Neutronenabsorption
aufweisen. Die Brennstäbe eines Druckwasserreaktors sind – bspw. wie im Kernkraftwerk Brokdorf
– 4,8 Meter lang, 11 Millimeter dick und bestehen
aus einer 0,65-Millimeter starken Umhüllung aus
Zirkaloy (Zirkonium-Legierung).
Barriere 3
Der Reaktordruckbehälter mit dem angeschlossenen Rohrsystem: Der Reaktordruckbehälter – ein
dickwandiger zylindrischer Stahlbehälter mit einer
Höhe von zwölf und einem Innendurchmesser von
fünf Metern besitzt eine Wandstärke von 25 Zentimetern und ein Leergewicht von etwa 530 Tonnen.
Das Reaktordruckgefäß und die Wandungen des
Kühlmittelkreislaufes verhindern das Austreten der
im Brennstoff entstandenen radioaktiven Substanzen und der sich im Kühlwasser befindlichen durch
Neutronen aktivierten Korrosionsprodukte.
Barriere 4
Betonabschirmung (Biologischer Schild): Der
Reaktordruckbehälter befindet sich in einer Betonkammer. Diese verfügt über eine besondere Kühlung und übernimmt die Funktion eines biologischen
Schildes und der Strahlenabschirmung. Ein geringer
Anteil der entstandenen Spaltprodukte kann gegebenenfalls in das Kühlmittel gelangen.
Barriere 5
Der Sicherheitsbehälter (Containment): Der
Reaktordruckbehälter und der sich daran unmittelbar anschließende Teil des Kühlmittelkreislaufes
werden vom gasdichten und druckfesten Sicherheitsbehälter mit einer Wanddicke von z. B. 30 mm
umschlossen. Um den Sicherheitsbehälter befindet
sich – in einigen Zentimetern Abstand – eine Dichthaut aus Stahl von vier Millimetern Stärke. Der Reaktordruckbehälter ist so ausgelegt, dass er bei
Störungen den austretenden Dampf aufnimmt, sodass keine radioaktiven Stoffe in die Atmosphäre
und Umgebung entweichen können.
15
1 – Kristallgitter des Brennstoffs
2 – Brennstabhülle
3 – Reaktordruckbehäter
4 – Betonabschirmung
5 – Sicherheitsbehälter
6 – Stahlbetonhülle
Barriere 6
Stahlbetonhülle: Der stählerne Sicherheitsbehälter ist mit einer bis zu zwei Meter dicken Stahlbetonhülle umschlossen. Diese bildet das sichtbare Reaktorgebäude und schützt gegen äußere Einwirkungen.
100-prozentige Sicherheit?
Kritiker der Kernkraftnutzung wie zum Beispiel Umweltorganisationen bemängeln, dass bei allen ausgefeilten technischen Sicherheitssystemen der Faktor Mensch ein unkalkulierbares Risiko darstelle. Die Erfahrung zeige, dass Menschen unvorhersehbare Fehler machen können.
Auch eine noch so ausgefeilte Technik und Sicherheit könne diese Risiken allenfalls minimieren, aber nicht ausschließen. Hinzu käme, dass
es erfahrungsgemäß kein technisches System gebe, das zu 100 Prozent
sicher sei. Ein schwerer Reaktorunfall – insbesondere in einem dicht besiedelten Industrieland – könne nach Auffassung von Kritikern zu unüberschaubaren Folgen führen.
Sicherheit nach Fukushima
Die Bundesregierung ordnete nach der Katastrophe von Fukushima
an, eine Untersuchung aller deutschen Kernkraftwerke auf ihre Sicherheit gegen Naturkatastrophen (Erdbeben und Hochwasser mit Überflutung der Anlage), gegen einen Ausfall der Kühlwasserversorgung sowie
gegen Flugzeugabstürze durchzuführen. Für die deutschen Anlagen hat
die untersuchende Reaktorsicherheitskommission (RSK) des Bundesumweltministeriums festgestellt, dass sie „durchgehend robuster sind
als die von Fukushima I [Daiichi]“. Gleichzeitig wurden Maßnahmen zur
Verbesserung der Sicherheitsreserven empfohlen.
Zeitbild Wissen
Radioaktive Abfälle
Blick in den Reaktorkern
Für die Behandlung der Abfallstoffe, den
Transport und die Zwischenlagerung sind
in Deutschland die Abfallverursacher, das
heißt bei Abfällen aus Kernkraftwerken
die Energieversorgungsunternehmen, verantwortlich. Für die Endlagerung liegt die
Verantwortung gemäß Atomgesetz bei der
Bundesrepublik Deutschland.
In Deutschland werden zwei Arten
radioaktiver Abfälle unterschieden:
• wärmeentwickelnde Abfälle
(hochradioaktiv)
• Abfälle mit vernachlässigbarer
Wärmeentwicklung
(schwach- und mittelradioaktiv)
Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung sind beispielsweise Schutzkleidung, Filter,
Reinigungsmittel oder auch kontaminierte Werkzeuge aus dem Betrieb der Anlagen sowie Rohre,
Kabel oder auch ausgediente Anlagenteile wie z. B.
Pumpen oder Rohrleitungen, die vor allem beim
Rückbau anfallen. Zu den wärmeentwickelnden
radioaktiven Abfällen zählen die abgebrannten
Brennelemente der Kernkraftwerke sowie die radioaktiven Abfälle, die aus der Wiederaufarbeitung
deutscher Brennelemente in Frankreich und England stammen. In Deutschland ist vorgesehen, alle
radioaktiven Abfälle für immer in tiefe geologische
Formationen (bis ca. 1.300 m Tiefe) einzulagern,
um sie dauerhaft von der Biosphäre abzuschließen.
Was passiert mit den Abfällen?
Bevor Abfälle in einem Endlager eingelagert werden können, müssen sie behandelt und
endlagergerecht verpackt werden. Hierbei steht
insbesondere die Volumenreduzierung im Vordergrund. Die Behandlung der Abfälle hängt in
starkem Maße von ihrer Radioaktivität und von der
Form ab, in der sie vorliegen. Schwach und mittelradioaktive Stoffe, die in fester Form vorliegen,
werden zunächst gepresst, damit sie möglichst
wenig Platz benötigen, und anschließend in Stahlfässern verpackt. Bei Flüssigkeiten trennt man
Zeitbild Wissen
die radioaktiven Stoffe durch Verdampfen, Fällen
oder Filtern von der nicht aktiven Flüssigkeit ab
und verfestigt die Rückstände in Bitumen oder Zement. Sie werden ebenfalls in Stahlfässern eingeschlossen.
Jährlich werden in einem Druckwasser-Kernkraftwerk ungefähr 40 Brennelemente mit einem
Gesamtgewicht von ca. 20 Tonnen ausgetauscht.
Die abgebrannten Brennelemente lagern zunächst
einige Jahre im Abklingbecken des Kraftwerks, bis
ihre Radioaktivität und Wärmeproduktion so weit
abgeklungen sind, dass sie in Zwischenlagerbehälter verpackt werden können.
Bis 2005 kam ein Teil der abgebrannten
Brennelemente aus Deutschland zur Wiederaufarbeitung, die gesetzlich vorgesehen war, in
spezielle Anlagen nach Frankreich und Großbritannien. In einem komplizierten Verfahren
wurden Plutonium und Uran abgetrennt, um
sie zu neuen Brennelementen zu verarbeiten.
Die übrigen, nicht wieder verwertbaren Spaltprodukte aus den abgebrannten Brennelementen
werden in einer Borsilikatglasschmelze eingeschlossen und in Behälter aus Edelstahl gefüllt.
Deutschland ist zur Rücknahme der bei der Wiederaufarbeitung entstandenen radioaktiven Abfälle
verpflichtet. Die Abfälle wurden zu einem großen
Teil bereits nach Deutschland zurückgebracht beziehungsweise werden in den nächsten Jahren
noch nach Deutschland zurückgeführt. Transpor-
16
Schutzplatte
Sekundärdeckel
te in die Wiederaufarbeitung sind seit dem 1. Juli
2005 verboten. Seither lagern alle abgebrannten
Brennelemente bis zu ihrer Endlagerung in eigens
errichteten Zwischenlagern an den Standorten der
einzelnen Kernkraftwerke.
Primärdeckel
Abschirmungselemente
Die CASTOR-Behälter
Tragekorb mir Einzelbehältern
Für den Transport und die langjährige Zwifür strahlende Glaszylinder
schenlagerung von abgebrannten Brennelementen
oder Brennelemente
und hochradioaktiven Abfällen werden in Deutschland hauptsächlich sogenannte CASTOR-Behälter
verwendet. Es gibt hiervon unterschiedliche Bauformen, je nachdem für welche Art von Brennelementen oder Abfällen. Ein aktueller CASTORBehälter für bestrahlte Brennelemente ist an die 6
Meter lang, hat einen Durchmesser von etwa 2,5
Behälterkörper aus besonders
Meter, eine Wandstärke von 40 cm und ein Leerdickem und stabilem Gusseisen
gewicht von rund 100 Tonnen. Sein Behälterkörper ist aus Gusseisen mit Kugelgraphit hergestellt,
Kühlrippen
einem speziellen Material, das über eine extrem
hohe Festigkeit und Zähigkeit verfügt. Der Behälter schirmt die Gamma- und NeutronenstrahTragzapfen
lung weitgehend ab. Die Anforderungen an einen
Transportbehälter sind in Bezug auf mechanische
Quelle: GNS
Stabilität, Dichtheit und Temperaturfestigkeit sehr
hoch. Behälter, wie sie für abgebrannte Brennelemente eingesetzt werden, müssen gemäß international gültigen Gefahrgutbestimmungen folgende • Freier Fall des Behälters aus 9 m Höhe auf ein
Prüfungen bestehen, ohne undicht zu werden:
unnachgiebiges Fundament.
• Freier Fall des Behälters aus 1 m Höhe auf einen Stahldorn
mit einem Durchmesser von 15 cm und einer Höhe von
mindestens 20 cm.
• Feuertest von 30 Minuten bei mindestens 800 °C.
• Eintauchen des Behälters in Wasser für
15 Stunden bei einer Wassertiefe von 15 m
oder bei Zulassung für besonders große
Gesamtaktivität für 1 Stunde bei einer Wassertiefe von 200 m.
Umstrittene Transporte
Als „Castortransporte“ mit Güterzügen und Schwerlasttransportern sind die
zwischen 1996 und 2011 durchgeführten Rückführungstransporte von hochradioaktiven Wiederaufarbeitungsabfällen aus Frankreich ins Zwischenlager in Gorleben
bekannt geworden. Gorleben ist die einzige Anlage in Deutschland, die über eine
Genehmigung verfügt, hochradioaktive Abfälle aus der Wiederaufarbeitung deutscher Brennelemente aufzunehmen. Diese Transporte wurden von einem großen
Polizeiaufgebot begleitet. Kernkraftgegner nahmen sie zum Anlass, um beispielsweise mit Kundgebungen und Sitzblockaden, an denen sich bis zu mehrere tausend
Menschen beteiligten, gegen die Transporte selbst, aber auch gegen die Nutzung
der Kernenergie insgesamt zu demonstrieren. Der letzte Transport mit hochradioaktiven Wiederaufarbeitungsabfällen aus Frankreich hat 2011 stattgefunden. Weitere Transporte aus England (hochradioaktiv) und Frankreich (mittelradioaktiv) sind
nicht vor 2015 geplant.
Verladen eines CASTOR-Behälters
17
Zeitbild Wissen
Endlagerung von radioaktiven
Abfällen in Deutschland
Die Endlagerung von radioaktiven Abfällen in Deutschland ist
im Atomgesetz (AtG) geregelt. Demnach muss die Bundesregierung Anlagen zur Sicherstellung und zur Endlagerung radioaktiver Abfälle einrichten. Die Zuständigkeit innerhalb des Bundes
liegt beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit (BMU) mit seiner nachgeordneten Behörde,
dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS).
sich bereits radioaktive Abfälle, es finden jedoch
keine neuen Einlagerungen mehr statt. Aufgrund
von Wasserzuflüssen in die unterirdischen Lagerräume prüft die Behörde gegenwärtig Möglichkeiten, die Abfälle in der Asse aus dem Bergwerk
zurückzuholen. Das stillgelegte Eisenerzbergwerk
Schachtanlage Konrad, nahe Salzgitter, ist als Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle
gesetzlich genehmigt und wird für die Einlagerung
der Abfälle ausgebaut.
Gorleben als Endlager?
Technische Messungen in Gorleben
In Deutschland sind etwa 95 Prozent der anfallenden nuklearen Abfälle schwach- und mittelradioaktiv. Etwa 5 Prozent sind hochradioaktiv,
enthalten aber 99 Prozent der gesamten Radioaktivität. Radioaktive Abfälle sollen für 1 Million Jahre
sicher von der Umwelt abgeschirmt werden. International besteht Konsens, tiefe geologische Formationen für die Endlagerung zu nutzen.
In Deutschland gibt es vier Endlager bzw. Endlagerprojekte, die unter der fachlichen Aufsicht des
BfS stehen: das Endlager Morsleben in SachsenAnhalt, die Endlager Asse und Schacht Konrad
und das Erkundungsbergwerk Gorleben in Niedersachsen. In Morsleben und der Asse befinden
Zeitbild Wissen
Am Standort Gorleben befindet sich ein unberührter Salzstock (anders als die Asse, die früher
als Salzbergwerk diente und riesige Hohlräume
enthält, vergleichbar einem groben Schwamm),
der seit 1979 auf seine Eignung als mögliches Endlager für hochradioaktive Abfälle hin untersucht
wird – die sogenannte Erkundung. Nach Auffassung vieler Fachleute lassen sich radioaktive Abfälle in Salzformationen besonders sicher lagern:
• Salzlagerstätten weisen eine besonders hohe
geologische Stabilität auf, verändern sich also
über lange Zeiträume hinweg nicht; der Salzstock Gorleben z. B. existiert über 200 Mio.
Jahre.
• In Salzstöcken lassen sich gut Hohlräume für
den Einlagerungsbetrieb anlegen.
• Das Innere von Salzlagerstätten steht nicht mit
dem Grundwasser in Verbindung. Damit kann
18
Sohle
840 m
Schacht 2
Salzstock
Schacht 1
Deckgebirge
Sohle
870 m
Länge des Streckensystems: ca. 7 km
re über
Schacht- und Sohlensystem in Gorleben
a der
s Kölner Doms.
den nuklearen Abfall unwiederEin Salzstock ist nach heutigen
bringlich umschließt.
Erkenntnissen
fürMaterial
die End-ins Grundwasser
kein
radioaktives
lagerung besonders gut geeignet,
die Wärme des nuklearen Abfalls
870-m-Sohle gelangen.
agert werden• Salz
weilbesitzt
das Steinsalz
u.a. Plastizität. Spalten
gut ableitet.
eine große
und
Hohlräume schließen sich von selbst wieder.
• Salz verfügt über eine gute Wärmeleitfähigkeit,
damit kann die Wärme, die radioaktive
Abfälle erzeugen, gut abgeleitet werden.
Aus diesen Gründen halten Fachleute nach heutigem Stand der Erkundung Gorleben als Endlager
für hochradioaktive Abfälle für geeignet. Es gibt
auch Fachleute, die bezweifeln, dass Salzlagerstätten ganz allgemein und Gorleben im Besonderen
für die Endlagerung von radioaktiven Abfällen geeignet seien. Problematisch sei beispielsweise der
mögliche, langsame Austritt von Schadstoffen aus
dem Salzstock durch Grundwassereinbrüche. Gegen Gorleben sprächen außerdem beispielsweise
auch geologische Gründe wie eine Bruchzone im
Untergrund oder vermutete gasführende Schichten. Die Fachmeinungen dazu sind allerdings
höchst widersprüchlich.
Erkundungsbergwerk Gorleben
Die Suche geht weiter
In die Erkundung von Gorleben wurden bisher
1,6 Milliarden Euro investiert, die zu über 90 Prozent von den Energieversorgungsunternehmen getragen wurden. Eine abschließende Entscheidung,
ob der Salzstock als mögliches Endlager geeignet
ist oder nicht, liegt auch nach über 30 Jahren nicht
vor. Hierfür würde es noch einiger weiterer Jahre
Erkundung und eines Genehmigungsverfahrens
bedürfen. Im November 2011 vereinbarten das
Bundesumweltministerium und die Bundesländer, dass bundesweit eine neue, ergebnisoffene Suche nach einem geeigneten Standort für ein Endlager durchgeführt werden soll. In die Suche sollen
neben Salz auch weitere geologische Formationen,
z. B. Ton, einbezogen werden.
Was machen die anderen?
In anderen Ländern mit Kernkraftwerken werden auch alternative Gesteinsformationen erkundet, da u. a. keine geeigneten Salzvorkommen
vorhanden sind. In Frankreich und in der Schweiz
19
Karte mit den Standorten Asse, Morsleben, Konrad sowie des Erkundungsbergwerks Gorleben. Quelle: Bundesamt für Strahlenschutz.
sind es Tongesteine, in den USA ist dies vulkanischer Tuffstein, in
Finnland und Schweden Granit. In Finnland und in Schweden, wo
sich Gemeinden um den Endlagerstandort beworben hatten, wurden bereits Standorte für ein Endlager hochradioaktiver Abfälle ausgewählt.
Forschen für die Entsorgung
Wegen der zum Teil sehr langen Halbwertzeit einiger Radionuklide müssen hochradioaktive Abfälle über sehr lange Zeiträume sicher von der Biosphäre abgeschirmt werden. Mithilfe der sogenannten Transmutation werden durch Neutronenbeschuss langlebige
Isotope umgewandelt (transmutiert) und es entstehen letztendlich
radioaktive oder stabile Spaltprodukte. Auch in Deutschland wird
auf diesem Gebiet geforscht. Solche Verfahren sind aber heute reine
Forschungsprojekte. Ob sie jemals kommerziell eingesetzt werden
können, ist offen, und sie können damit keine Grundlage für eine
verantwortungsvolle Entsorgungsplanung sein.
Zeitbild Wissen
Rückbau von
Kernkraftwerken
Wie andere Industrieanlagen auch werden Kernkraftwerke am
Ende ihrer Betriebszeit stillgelegt. Aber ein Kernkraftwerk kann
u. a. wegen der radioaktiven Bestandteile nicht einfach abgerissen werden, es muss kontrolliert zurückgebaut werden. Ziel des
Rückbaus ist die vollständige Beseitigung der Anlage und die
Wiederherstellung des ursprünglichen, natürlichen Zustands des
Geländes – der Rückbau zur „Grünen Wiese“ oder alternativ
auch für die Nachnutzung als Industrie- und Gewerbegebiet.
Dies kann aufgrund der hohen sicherheitstechnischen Anforderungen und der notwendigen Genehmigungsverfahren mit
Beteiligung der Öffentlichkeit unter Umständen viele Jahre
dauern, beim direkten Rückbau bis zu 20 Jahre. Seit Beginn
der kommerziellen Nutzung der Kernenergie wurden in
Deutschland bereits mehrere Anlagen stillgelegt und wie
z. B. das VAK Kahl zurückgebaut.
Jede Menge Auflagen
In Deutschland ist das Atomgesetz maßgebend
für die Errichtung, den Betrieb und die Stilllegung
von Kernkraftwerken. Hinzu kommen noch zahlreiche weitere Verordnungen wie z. B. die Strahlenschutzverordnung, das Kreislaufwirtschaftsgesetz,
die Gefahrstoffverordnung und das Bundesimmissionsschutzgesetz. Der Sicherheitsgedanke spielt
in allen Phasen eines Kernkraftwerks, von der Errichtung über den Betrieb bis hin zum Rückbau,
eine sehr große und wichtige Rolle. Sowohl die
Umwelt als auch die beim Rückbau beteiligten
Menschen müssen vor jeglicher Beeinträchtigung
durch radioaktive Strahlung geschützt werden.
Sofort oder später – Rückbaukonzepte
Es stehen im Prinzip zwei Wege zur Auswahl,
um ein Kernkraftwerk zurückzubauen: Der „direkte Rückbau“ und der „Rückbau nach sicherem Einschluss“. Beim „direkten Rückbau“, der
häufigsten Form des Rückbaus in Deutschland,
wird das Kraftwerk nach Ende des Regelbetriebs
in mehreren Schritten nach Genehmigungen der
zuständigen Behörden demontiert, die radioaktiv
belasteten Bauteile werden aufwendig zerlegt, soweit wie möglich gereinigt – man spricht hier von
Zeitbild Wissen
dekontaminiert – und fachgerecht entsorgt. Nicht
radioaktiv belastete Komponenten wie z. B. Turbinen können herkömmlich zurückgebaut werden.
Bei der Methode „sicherer Einschluss“ wird
der belastete Teil der Anlagen – bei Druckwasserreaktoren das Reaktorgebäude – zunächst für
einen festgelegten Zeitraum „sicher eingeschlossen“. Das bedeutet, dass dieser Bereich von der
restlichen Anlage z. B. durch Abtrennen und
Verschließen von Leitungen physisch getrennt
und abgeschlossen wird. Der nicht oder nur leicht
radioaktiv belastete Außenbereich kann auf herkömmliche Weise zurückgebaut werden. Nach
Ablauf der Frist wird der Rest der Anlagen – unter entsprechenden, in der Regel vereinfachten,
Sicherheitsvorkehrungen – demontiert. Ziel dieser
Rückbauvariante ist es, durch ein Abklingen der
Radioaktivität den späteren Abbau der Anlage aufgrund einer niedrigen radioaktiven Belastung zu
erleichtern und zwischenzeitliche technische Fortschritte zu nutzen.
Beispiele für einen direkten Rückbau sind die
Arbeiten am Kernkraftwerk Greifswald nahe Lubmin, es ist das weltweit größte Stilllegungsprojekt
dieser Art. Der Rückbau der Anlage erfolgt seit
1995, im Jahr 2014 soll das Gelände wieder nutzbar sein. Auch die Kernkraftwerke Gundremmingen A, Mülheim-Kärlich, Obrigheim, Rheinsberg,
Stade und Würgassen werden gegenwärtig direkt
20
rückgebaut. Ein Beispiel für das Konzept des sicheren Einschlusses ist der ehemalige Hochtemperatur-Reaktor in Hamm-Uentrop. Er befindet sich
seit 1997 im sicheren Einschluss, ab 2027, nach
Unterschreiten der relevanten Grenzwerte, kann
dann endgültig mit dem Abriss begonnen werden,
für den ca. 20 Jahre veranschlagt werden.
Kritik am Einschlusskonzept
Kernkraftgegner halten den „sicheren Einschluss“ über einen so langen Zeitraum für nicht
sicher, da aufgrund einer möglichen Beschädigung
der Hülle oder einer anderweitigen Freisetzung
von Radioaktivität die Gefahr gegeben sei, dass
Radioaktivität in die Umwelt gelangen könnte. Anders als beim direkten Rückbau würden die Kraftwerke nicht nach etwa 20 Jahren abgebaut sein,
sondern erst nach 40 bis 45 Jahren. Problematisch
an dieser Rückbauvariante ist die Tatsache, dass
nach einer so langen Zeit vermutlich nur noch
wenige Experten für den Rückbau zur Verfügung
stünden. Die ehemaligen Mitarbeiter wären dann
sicherlich längst pensioniert.
(1968-1976)
Rückbau
Rückbau
(1969-2005)
Rückbau
Nutzung im Straßenbau
Eine der größten Herausforderungen beim Abbau eines Kernkraftwerkes ist
die Bewältigung der Abbauabfälle (Abbaumassen). Rund 250.000 Tonnen Abfall
müssen zum Beispiel am KKW Würgassen entsorgt werden, rund 80 Prozent der
Gesamtmasse sind Betonstrukturen. Alle Materialien werden während der Demontage sortiert, um gezielt wiederverwertet oder entsorgt werden zu können. Nur ein
kleiner Teil der Abbaumaterialien ist während des Betriebs des KKW überhaupt mit
radioaktiven Stoffen in Berührung gekommen. Der größte Teil dieser Rückbauabfälle kann nach einer sorgsamen und umfangreichen Reinigung (Dekontamination)
dem normalen Abfallkreislauf zugeführt werden und zum Beispiel im Straßenbau
wiederverwendet werden. Letztendlich sind rund 3 Prozent der Abbaumassen sog. radioaktiver Abfall. Die wesentlichen Abfallverursacher sind der Reaktordruckbehälter,
der Biologische Schild und die Dampferzeuger. Diese Bauteile sind durch ihre Nähe
zur Kernspaltung selbst radioaktiv geworden (aktiviertes Material) und können nicht
dekontaminiert werden. Sie werden vor Ort zerlegt, fachgerecht verpackt und für die
spätere Endlagerung bereitgestellt.
Rückbaustatus von Kernkraftwerken
Anlagen in Deutschland
im Rückbau
Rückbau abgeschlossen, „Grüne Wiese“
im „sicheren Einschluss“
Quellen: BfS, AG Energiebilanzen, DAtF
Zerlegen, Sandstrahlen, Zusammenstauchen
(Dekontamination und Abfallminimierung)
Damit ein Bauteil wieder in den Wertstoffkreislauf zurückkommen kann, muss
es ein mehrstufiges Verfahren durchlaufen: Nach der Demontage, Zerlegung und
Zerkleinerung werden die Bauteile – falls radioaktive Kontamination festgestellt
wird – mit Wasser (Hochdruckreiniger), Sandstrahlern oder Stahlkugelstrahlern gereinigt. Da die Reinigungsmaterialien die radioaktiven Partikel binden, werden sie
aufgefangen. Das Wasser beispielsweise wird anschließend verdampft und das übrigbleibende Konzentrat ist dann radioaktiver Abfall. Wird bei der anschließenden
Überprüfung des Bauteils noch Kontamination festgestellt, wird erneut gereinigt.
Aufgrund sorgfältiger Dekontamination braucht nur ein relativ geringer Umfang des
Abbaumaterials als radioaktiver Abfall entsorgt werden. Dieser wird nach Möglichkeit in spezielle 180 l-Blechfässer gefüllt und mit einer Hochdruckpresse extrem verdichtet. Bis zu acht Presslinge lassen sich dann in einem genormten 200 l-Abfallfass
unterbringen. Ziel der Abfallbehandlung ist die Volumenreduzierung, da die Kosten
für Aufbewahrung und Endlagerung an der Anzahl der Gebinde bemessen werden.
21
Zeitbild Wissen
„Wir sind eine Ingenieurnation”
Joachim Knebel ist seit Oktober 2010 Chief Science Officer im Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Er studierte Maschinenbau und
wurde 2002 zum Leiter des Programms »Nukleare Sicherheitsforschung« am KIT sowie Sprecher des gleichnamigen Programms in der
Helmholtz-Gemeinschaft berufen. Er ist Autor oder Koautor von mehr
als 100 wissenschaftlichen Publikationen sowie Organisator zahlreicher
Konferenzen und internationaler Forschungsprojekte im Bereich Kernenergie. Am KIT ist er für die Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik zuständig sowie für das KIT-Zentrum Mobilitätssysteme.
Deutschland hat beschlossen, aus der
Nutzung der Kernenergie auszusteigen. Wozu brauchen wir dann eigentlich noch Forschung auf diesem Gebiet?
Auch wenn alle Kernkraftwerke in
zehn Jahren abgeschaltet sein werden,
müssen wir uns weiter mit der Kerntechnik beschäftigen. Da ist zum einen die
Entsorgung der radioaktiven Abfälle und
die Frage des Endlagers, die gelöst werden
muss. Dann sollen die Kernkraftwerke
zurückgebaut werden, dazu braucht es
natürlich Spezialisten, die die Reaktoren
kennen und bewerten können. Und auch
der Strahlenschutz spielt beim Rückbau,
der Endlagerung und in der Nuklearmedizin eine wichtige Rolle. Ich fürchte
allerdings, dass es die breit angelegte, nationale Reaktorsicherheitsforschung in 10
bis 15 Jahren in Deutschland wohl nicht
mehr geben wird.
Aber die wird doch auch nicht mehr
benötigt...
... was so nicht stimmt! Um uns herum in Europa, auch weltweit, geht die
Entwicklung weiter. Deutschland wird
auch in Zukunft als Mitglied internationaler Gremien oder in Kommissionen
über Fragen der nuklearen Sicherheit
mitentscheiden müssen. Die Bundesregierung, die Ministerien und die Genehmigungsbehörden benötigen dazu eigene
Fachkräfte und fachliche Beratung. Das
Berufsbild eines reinen Kerntechnikers in
Deutschland wird der heute in der Ausbildung stehenden jungen Generation von
Ingenieuren aber nur schwer zu vermitteln sein.
Was genau wird denn im Bereich der
Kernenergie in Deutschland erforscht?
Im Bereich der nuklearen Entsorgung,
des Strahlenschutzes und der Strahlenmedizin müssen wir in Deutschland
Zeitbild Wissen
auch langfristig forschen. Dazu kommt
die Behandlung von radioaktiven Abfällen, zum Beispiel die Umwandlung langlebiger Nuklide mittels sogenannter P+TVerfahren. Ein anderes Beispiel ist das in
Deutschland entwickelte Entscheidungshilfesystem RODOS, eine Software, die
die Ausbreitung von Radioaktivität und
notwendige
Katastrophenschutzmaßnahmen berechnet. Dieses System wurde
auf die Situation in Fukushima, Japan,
umgeschrieben und half den Behörden
bei wichtigen Entscheidungen, etwa über
Evakuierungen.
Dieses System fand aber auch bei der
Berechnung der Ausbreitung der Aschewolke bei Vulkanausbrüchen Anwendung. Ursprünglich in der Kerntechnik
entwickelte Expertise wird auf diese Weise
umorientiert und kann im Zuge der Energiewende neu eingesetzt werden. Beispiele
sind die Flüssigmetalltechnologie für Solarthermie, Wasserstoff-Sicherheitstechnologie etwa für Brennstoffzellen und
Wasserstofftanks in der Mobilität oder die
Forschung für Hochtemperatur-Energiematerialien.
Was antworten Sie denn jungen Leuten auf die Frage, ob sie jetzt überhaupt noch ein Fach studieren sollten,
das mit Kernenergie zu tun hat?
Wer sich gezielt für Kernphysik oder
Radiochemie interessiert, der sollte diese
Fächer auch studieren, denn die Betätigungsfelder im In- und Ausland sind groß
und im späteren Berufsleben keineswegs
auf Kernenergie beschränkt. Die Nachfrage nach Energietechnik-Fachleuten
wird weiter anhalten, im Bereich Reaktortechnik wird sie in Deutschland jedoch
über kurz oder lang verschwinden. Wer in
diesem Bereich arbeiten will, wird das im
Ausland tun. Deshalb interessieren sich
auch besonders viele ausländische Studie-
rende für diese Ausbildung bei uns, denn
deutsche Universitäten sind auf diesem
Gebiet heute weltweit führend.
Was die Jobchancen betrifft – nun,
Ingenieure werden in allen Bereichen
händeringend gesucht! Wir sind eine Ingenieurnation, und das wird auch so
bleiben. Eine gute, breit angelegte Ausbildung, sei es zum Beispiel in der Elektrotechnik, in der Verfahrenstechnik oder
im Maschinenbau, ist die beste Grundlage. Damit kann man sich später auf
Erneuerbare Energien, konventionelle
Kraftwerkstechnik oder Kerntechnik spezialisieren – und die Tätigkeitsbereiche
im Berufsleben auch wechseln. Das gehört
heute selbstverständlich dazu, ebenso wie
eine Berufstätigkeit im Ausland.
Ausgewählte Universitäten
und Hochschulen
• RWTH Aachen (Prof. Allelein)
• Universität Stuttgart
(Prof. Starflinger)
• Technische Universität München
(Prof. Macian)
• Ruhruniversität Bochum
(Prof. Koch)
• Technische Universität Dresden
(Prof. Hurtado)
Ausgewählte Forschungseinrichtungen
• Karlsruher Institut für Technologie
(KIT)
• Helmholtz-Zentrum DresdenRossendorf (HZDR)
• Forschungszentrum Jülich (FZJ)
22
Hinweise für den Einsatz
im Unterricht
Das vorliegende Bildungsmaterial kann ab der 9. Klasse
eingesetzt werden, eignet sich jedoch hauptsächlich für
den Einsatz in der Sekundarstufe II. Es besteht aus zwei
Teilen – dem Magazinteil und den Arbeitsblättern.
Sowohl der Magazinteil als auch die Arbeitsblätter können
von Ihren Schülerinnen und Schülern genutzt werden.
Der Magazinteil geht auf hochaktuelle Themen
im Zusammenhang mit der Nutzung der Kernenergie ein: der Unfall von Fukushima und seine Folgen, der Umbau der Stromversorgung, das
Energiekonzept der Bundesregierung, die Nutzung
der Kernenergie weltweit und in Deutschland, der
Aufbau und die Sicherheit von Kernkraftwerken,
radioaktive Abfälle und ihre Endlagerung sowie
der Rückbau von Kernkraftwerken. Der Magazinteil ist informativ gehalten und orientiert sich bei
der Auseinandersetzung mit den verschiedenen
Themen neben technischen auch an gesellschaftswissenschaftlichen Fragestellungen.
Der Großteil der Arbeitsblätter greift die Themen aus einer naturwissenschaftlich-technischen
Perspektive auf. Beispiele sind hier physikalische
Grundlagen (Kernspaltung, Strahlung etc.) oder der
Bau und die Funktionsweise von Kernkraftwerken.
Arbeitsblätter zur Geschichte und zu Fragen der
Endlagerung sollen zu einer offenen Diskussion
anregen. Grundsätzlich unterstützen die Arbeitsblätter die selbstständige Auseinandersetzung mit
den Themen und können zur Lernkontrolle sowie
für die Unterrichtsvorbereitung eingesetzt werden.
23
Konzepte für den Unterricht
Schülerinnen und Schüler können sich im
Rahmen arbeitsteiliger Gruppenarbeit mit je einem Thema auseinandersetzen. Dazu erhält jede
Arbeitsgruppe ein Arbeitsblatt mit dem jeweiligen Thema und arbeitet die Fragestellungen anhand der Informationen des Magazinteils und der
Arbeitsblätter selbstständig auf. Darüber hinaus
können Informationen in Schulbüchern, im Internet (siehe Linkhinweise) oder in der Zeitung
recherchiert werden. Dies kann auch in Form einer Wochenhausaufgabe oder einer Hausarbeit
geschehen. Nach der Bearbeitung der Aufgaben
präsentiert die Gruppe ihr Thema und die Ergebnisse der ganzen Klasse. Die moderierende Lehrkraft führt die Klasse am Ende aller Präsentationen
in eine offene Diskussion, in der die erarbeiteten
Inhalte besprochen und ausgetauscht werden.
Lehrplananbindung
Das Thema Kernenergie in der Energieversorgung ist ein guter Ausgangspunkt für den Projektunterricht bzw. für einen fächerübergreifenden
Unterricht. Naturwissenschaftliche und technische Fragestellungen können in den Fächern Physik, Technik, Chemie und Biologie angesprochen
werden. Politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und ethische Aspekte des Themas Kernenergienutzung bieten Anknüpfungspunkte für die
Fächer Politik, Wirtschaft, Gemeinschaftskunde,
Geografie, Ethik und Religion.
Zeitbild Wissen
Arbeitsblatt 1:
Kernspaltung von Uran
Für die Nutzung der Kernenergie ist das Uranisotop Uran-235 entscheidend. Da es im natürlichen
Uran nur mit einem Anteil von 0,7 Prozent enthalten ist –, der Hauptanteil ist mit 99,3 Prozent
das Uran-238 – muss das Isotop Uran-235 deshalb vor dem Einsatz als Brennstoff auf ca. 3 bis 4
Prozent angereichert werden. Die besondere Bedeutung von U-235 besteht darin, dass es sich unter
Energiefreisetzung in zwei leichtere Atomkerne (Spaltprodukte) teilt, sobald ihm ein Neutron hinzugefügt wird. Außer den beiden Spaltprodukten entstehen noch zwei bis drei Neutronen, die dazu
genutzt werden können, andere U-235-Kerne zu spalten und damit weitere Energie und Neutronen
freizusetzen. Man spricht dann von einer Kettenreaktion. Sie ist entscheidend für die Aufrechterhaltung des Spaltungsprozesses und damit für die Nutzung der Kernenergie.
9
Möglich ist die Kettenreaktion nur, wenn die bei
der Kernspaltung mit relativ hoher Geschwindigkeit freigesetzten Neutronen so langsam geworden
sind, dass sie jeweils in die Urankerne eindringen
können. Zu diesem Zweck werden sie von einem
Moderator verlangsamt – in den deutschen Kernkraftwerken ist dies Wasser. Damit die Kettenreaktion nicht unkontrolliert abläuft, werden über-
zählige Neutronen mithilfe von Steuerstäben aus
Cadmium- oder Borverbindungen, die Neutronen
absorbieren, eingefangen.
Energie wird deshalb gewonnen, weil bei der
Kernspaltung Masse in Energie umgewandelt wird.
Bei der Spaltung von 1 kg U-235 ist die Energieausbeute etwa 2,5 Millionen Mal höher als bei der Verbrennung von 1 kg Steinkohle.
Aufgaben
1. Welche berühmte Formel aus der Physik beschreibt die Grundlagen
der Umwandlung von Masse in Energie?
2. Nennen Sie einige Isotope des Urans und beschreiben Sie ihre
gemeinsamen und unterschiedlichen Eigenschaften.
3. Erläutern Sie in Ihren eigenen Worten nachstehende Formel.
Zeitbild Wissen
24
Arbeitsblatt 2:
Alpha- und Betastrahlung
Alpha-Strahlung
Beim Alphazerfall stößt ein großer Atomkern
wie z. B. Radium-226 einen Heliumkern aus,
bestehend aus zwei positiv geladenen Protonen
und zwei neutralen Neutronen, und es entsteht
Radon-222. Die Strahlung besitzt in Luft nur eine
geringe Reichweite von wenigen Zentimetern und
lässt sich durch ein Blatt Papier oder eine dünne
Alufolie abschirmen. Durch den Alphazerfall
entsteht ein Atom mit völlig neuen physikalischen
und chemischen Eigenschaften. Nuklide, die solche
Teilchen aussenden, nennt man Alphastrahler.
Typische in der Natur vorkommende Alphastrahler
sind Uran und Thorium sowie einige ihrer
Zerfallsprodukte.
Betastrahlung
Beim Betazerfall werden negativ geladene
Elektronen aus einem Atomkern geschleudert.
Diese Elektronen sind die Betastrahlung, sie
stammen aus dem Atomkern, wo sich ein Neutron
in ein Proton und ein Elektron umwandelt.
Das Proton bleibt im Kern, das Elektron wird
weggeschleudert. Die Reichweite von Betastrahlung
kann in Luft einige Meter betragen, abschirmen
lässt sie sich durch Aluminiumplatten von einigen
Millimetern Dicke. Den hier beschriebenen
Vorgang nennt man Beta-Minus-Zerfall. Typische
Betastrahler sind Cobalt-60, Strontium-90 oder
Cäsium-137.
Es gibt auch einen Beta-Plus-Zerfall. Dabei
werden „Elektronen“ mit positiver elektrischer
Ladung, sogenannte Positronen, aus dem Kern
emittiert. Die Strahlung wird deshalb Beta+- oder
Positronenstrahlung genannt.
Aufgaben
1. Woraus bestehen Alphateilchen?
2. Wie entsteht das Elektron beim Betazerfall?
25
Zeitbild Wissen
Arbeitsblatt 3:
Gamma- und
Neutronenstrahlung
Gammastrahlung
Gammastrahlung ist eine elektromagnetische Strahlung, wie
auch Radiowellen, Mikrowellen oder das sichtbare Licht. Sie ist
jedoch wesentlich energiereicher. Gammastrahlung tritt oft auf,
wenn beim Alpha- oder Betazerfall überschüssige Energie in
Form von Strahlung abgegeben werden muss. Sie ist praktisch mit
Röntgenstrahlung identisch, entsteht aber im Kern und nicht wie
die Röntgenstrahlung in der Atomhülle. Gammastrahlung wird
mit für den jeweiligen Atomkern charakteristischen Energien
abgegeben. Der Atomkern ist nach einem Alpha- oder Betazerfall
meist noch in einem angeregten Zustand. Diese Energie wird
dann in Form eines oder mehrerer Gammaquanten abgegeben.
Dadurch ändert sich zwar der Energiezustand des Kerns, nicht
jedoch dessen Massenzahl oder Kernladungszahl. Beispielsweise
kann der nach dem Betazerfall noch angeregte (metastabile - m)
Kern des Barium-137m ein Gammaquant abgeben und dadurch
ein niedrigeres Energieniveau erreichen. Gammastrahlung
ist sehr durchdringend, um sie abzuschirmen, braucht es
dicke Bleischilde von mindestens 20 cm oder Betonwände von
mindestens einem Meter Dicke.
Neutronenstrahlung
4
2 He
+
9
4 Be
12
6C
13
6C
Die Neutronenstrahlung spielt bei
der Nutzung der Kernenergie eine
entscheidende Rolle. Um die Kettenreaktion
in einem Atomreaktor zu starten, braucht
man freie Neutronen. Diese strahlt zum
Beispiel Beryllium ab, wenn man es mit
Alphateilchen (Heliumkernen) beschießt.
Dringt ein Alphateilchen in den BerylliumKern ein, so entsteht ein instabiles
Kohlenstoff-Isotop mit 13 Kernbausteinen
(6 Protonen und 7 Neutronen). Einen
stabilen Zustand erreicht der Kern dadurch
wieder, dass er ein Neutron abstößt. Am
Ende steht Kohlenstoff-12.
1
0n
Aufgabe
1. Erläutern Sie in Ihren eigenen Worten
die Entstehung der Gammastrahlung.
Zeitbild Wissen
26
Arbeitsblatt 4:
Energiedosis, Organdosis
und effektive Dosis
In den Tagen nach der Reaktorkatastrophe in Japan war
in den Nachrichten immer wieder von Millisievert (mSv)
zu hören und zu lesen. Was hat es damit auf sich?
Sievert
Strahlenexposition im Vergleich:
Strahlung radioaktiver Stoffe ionisiert beim
Eindringen in den Körper Atome und Moleküle.
Dabei gibt sie Energie ab. Die Energieabgabe je
Masseneinheit nennt man Energiedosis der Strahlung. Sie wird in der Einheit 1 Joule/kg gemessen.
Je mehr Energie die Strahlung an den Körper abgibt, desto größer kann die Wirkung sein. Zudem
wurde festgestellt, dass die biologischen Wirkungen ionisierender Strahlung nicht nur von der
Höhe der Energiedosis, sondern auch von der Art
der Strahlung abhängen. Um das zu berücksichtigen, wurde die Organdosis eingeführt. Sie ist
gleich der Energiedosis in einem Organ multipliziert mit einem von der jeweiligen Strahlungsart
abhängigen Faktor. Bei Beta-, Gamma- und Röntgenstrahlung ist der Faktor 1, bei Alphastrahlung
20. Ihre Einheit ist ebenfalls 1 Joule/kg, sie wird
mit dem speziellen Einheitennamen Sievert (Sv*)
bezeichnet.
Da 1 Sievert eine sehr große Strahlendosis ist,
werden die Werte üblicherweise in tausendstel
Sievert (Millisievert, 1 mSv = 0,001 Sv) oder in millionstel Sievert (Mikrosievert, 1 μSv = 0,001 mSv =
0,000001 Sv) angegeben.
• 7.000 mSv:
Tödliche Dosis bei kurzzeitiger Ganzkörperbestrahlung
Die effektive Dosis berücksichtigt dazu noch die
unterschiedliche Empfindlichkeit der Organe durch
einen organspezifischen Wichtungsfaktor. Ihre Einheit ist ebenfalls 1 Sv. Die in einer bestimmten Zeitspanne erhaltene Strahlendosis, dividiert durch die
Länge dieser Zeitspanne, bezeichnet man als Dosisleistung. Die Angabe erfolgt üblicherweise in Millisievert oder Mikrosievert pro Stunde (mSv/h oder
μSv/h).
Die maximale erlaubte effektive Dosis im Jahr
für beruflich strahlenexponierte Personen beträgt
20 mSv/a, über ein Berufsleben dürfen jedoch nicht
mehr als 400 mSv zusammenkommen.
• 1.000 mSv:
Vorübergehende Strahlenkrankheit bei kurzzeitiger Ganzkörperbestrahlung.
• 20 mSv:
Jahres-Grenzwert für beruflich strahlenexponierte Personen.
• 6-10 mSv:
Computertomographie des Brustkorbs.
• 4 mSv:
Mittlere jährliche effektive Dosis durch natürliche und künstliche Strahlenquellen
in Deutschland
• 0,1 mSv:
Hin- und Rückflug Frankfurt – New York;
Röntgenaufnahme des Brustkorbs.
Aufgaben
1. Wieso ist der Umrechnungsfaktor zur Ermittlung der Organdosis aus der Energiedosis bei der Alphastrahlung so viel höher als
bei den anderen Strahlungsarten?
* Rolf Sievert (1896-1966), schwedischer Physiker
27
2. Wie hoch ist die empfangene Jahresdosis durch die natürliche
kosmische Strahlung, wenn deren Dosisleistung auf Meereshöhe
im Mittel 0,035 μSv/h beträgt?
30 mSv/a
3 mSv/a
0,3 mSv/a
Zeitbild Wissen
Arbeitsblatt 5:
Strahlenexposition
in Deutschland
Natürliche Strahlenexposition
Überall in unserer Umgebung ist ionisierende Strahlung als Teil der natürlichen Umwelt
vorhanden. Man unterscheidet vier Komponenten der natürlichen Strahlenexposition:
1. Die Strahlung des natürlich vorkommenden Edelgases Radon. Ihre Intensität hängt in Räumen vom Baumaterial, außerhalb von der Beschaffenheit des Gesteins im Untergrund ab.
2. Radioaktive Nuklide im Boden bewirken die terrestrische Strahlung. Ihre Intensität ist
von Ort zu Ort sehr unterschiedlich. Besonders stark strahlen z. B. Urangestein und Granit.
3. Die körperinnere Strahlung kommt aus radioaktiven Nukliden (z. B. Kalium-40), die über
die Nahrung in den menschlichen Körper gelangen und dort zerfallen. 4. Ein Teil der sehr
energiereichen kosmischen Strahlung aus dem Weltraum durchdringt die Atmosphäre. Diese
Strahlung nimmt mit der Höhe zu und ist deshalb bei Bergtouren oder im Flugzeug verstärkt
wirksam. In Deutschland ist die effektive Dosis durch die natürliche Strahlenexposition regional
unterschiedlich und schwankt zwischen 1 mSv/a und 6 mSv/a. Im Mittel beträgt sie 2,1 mSv/a.
Mittlere jährliche effektive Dosis eines
Menschen in Deutschland: ≈ 4,0 mSv
Strahlenbelastung des
Menschen in Deutschland
Zivilisatorische Strahlenexposition
Medizin
48 %
Radon
28 %
Nahrung
7%
Bodenstrahlung
10 %
Kosmische Strahlung
7%
Sonstiges
<1%
Mittlere Werte:
1,8 mSv - Medizin
1,1 mSv - Radon
0,3 mSv - Nahrung
0,4 mSv - Bodenstrahlung
0,3 mSv - Kosmische Strahlung
0,04 mSv - Sonstiges:
Atombomben, Tschernobyl, kerntechnische
Anlagen, Forschung und Technik
Quellen: Bericht der Bundesregierung
„Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung“
Auch Strahlenquellen, die der Mensch
selbst geschaffen hat, tragen zur jährlichen
Gesamtbelastung bei. Die effektive Dosis dadurch
beträgt im Mittel 1,8 mSv pro Jahr. Vor allem
die Belastung aus der Medizindiagnostik –
Röntgenaufnahmen und Computertomografien
– spielen hierbei eine Rolle. Dazu kommen
die „Überreste“ der oberirdischen Atombombenexplosionen von 1945 bis 1980 (< 0,01 mSv
pro Jahr) und vom Reaktorunfall in Tschernobyl
(ca. 0,01 mSv pro Jahr) sowie durch kerntechnische
Anlagen in Deutschland (< 0,01 mSv pro Jahr) und
Forschung und Technik (0,01 mSv pro Jahr).
Aufgaben
1. Berechnen Sie die gesamte bisher erworbene Strahlenexposition eines 70-jährigen
Menschen in Deutschland.
2. Recherchieren Sie im Internet anhand von
Karten zur externen Strahlenexposition in
Deutschland die Werte für Ihre Region.
Was fällt Ihnen an der Karte auf?
Tipp: Suchen Sie u. a. beim Bundesamt
für Strahlenschutz.
(Parlamentsbericht 2010); BfS
Zeitbild Wissen
28
Arbeitsblatt 6:
Strahlung und Mensch
Die effektive Strahlendosis ermöglicht eine
Bewertung des schädlichen Einflusses von ionisierender Strahlung auf den menschlichen Körper.
Neben der Art der Strahlung ist auch wichtig, wie
man mit der Strahlung in Berührung gekommen
ist. Strahlenschützer bezeichnen dies als Expositionspfad. Bei der externen Exposition wirkt ionisierende Strahlung von außen auf den Körper ein.
Die Inkorporation, also die Aufnahme radioaktiver
Stoffe in den Körper, führt dagegen zur internen
Exposition des Organismus. Man unterscheidet bei
der Inkorporation radioaktiver Stoffe zwischen der
Aufnahme über die Atemwege (Inhalation), über
die Nahrung (Ingestion) und über die Haut (perkutane Aufnahme).
Gase · Staub · Aerosole
nasse und trockene Ablagerung
Bewässerung
Inhalation
und äußere
Bestrahlung
aus der Luft
Ablagerungen auf und
in Nahrungspflanzen
Ablagerungen
auf dem Boden
äußere Bestrahlung
Ablagerung
auf Weiden
Fleisch und
Fleischprodukte
Frischmilch
Viehtränke
Milchprodukte
Trinkwasser
Ab wann kann Strahlung
gefährlich werden?
äußere
Bestrahlung aus
dem Wasser
Nahrungsaufnahme aus
dem Wasser
Die Gefahren ionisierender Strahlung hängen
Grundwasser
von der Art, Intensität und Dauer der Bestrahlung
sowie dem Expositionspfad ab. Alphastrahlung hat
eine geringe Reichweite, daher ist sie außerhalb
Abb. 7.01
des Körpers weitgehend ungefährlich.
Innerhalb
Expositionspfade für
radioaktive Stoffe
des Körpers kann sie jedoch das Gewebe schädigen.
Betastrahlen haben dagegen in Luft eine Reichweite von bis zu einigen Metern. Gamma- und Neu-7.3 Anreicherung von Radionukliden in Nahrungsketten
tronenstrahlung haben eine höhere Eindringtiefe
und können auch durch äußere Expositionen zu
Symptome der Strahlenkrankheit
In den Gliedern der Nahrungsketten können sich Einen Anreicherungsvorgang im Nahrungssy
Schädigungen führen. Bei den meisten radioaktiRadionuklide anreichern. Dies ist darauf zurück- tem eines Süßwassersees zeigt Abb. 7.02. D
ven Zerfallsprozessen tritt eine Kombination aus
Ab einer Dosis von 1 Sievert treten beim Menzuführen, dass ein Organismus nicht für alle Ele- Anreicherungsfaktoren geben das Verhältnis de
verschiedenen Strahlungsarten auf. Man unterscheneinen
erste
Symptome der
Strahlenkrankheit
wie
im Organismus z
mente
Regelmechanismus
besitzt,
um be- Strontium-90-Konzentration
scheidet weiterhin zwischen akuten Strahlenschäder im Wasser
stimmte
Konzentrationen
einzuhalten.
Übelkeit
und Erbrechen
auf. Bei höheren
Dosis-an. Die Anreicherungsfaktoren sin
auf das Frischgewicht bezogen und in relative
den und durch Strahlung bedingten Spätschäden
werten können beim Menschen Strahlenschäden
Beim Menschen gehören z. B. die Elemente Einheiten angegeben.
wie beispielsweise der Schädigung des Erbgutes.
auftreten,
die
sich
u.
a.
in
verbrennungsähnlichen
Kalium und Calcium zu den sogenannten geregelHautschäden,
Haarausfall
und
Blutarmut äußern. Nerz
ten
Elementen. Es bedeutet,
dass ein
gesunder
(Knochen)
Eine akute
Organismus
bei Ganzkörperexposition
ausreichendem Nahrungsan-von 5 Sievert
820
Bieber
Expositionspfade:
gebot
im Körperder
auf Betroffenen
einem
(Knochen)
führtseine
bei Konzentration
etwa 50 Prozent
inner1.300
Bisamratte
bestimmten Wert hält.
halb eines Monats zum Tode. Ab einer kurzzeiti(Knochen)
3.500
• Externe Exposition
gen
Strahlenexposition
20 Sievert
Im
Standardmenschen
sind es fürvon
Calcium
1.100 g treten SchäWasserpflanzen
Wolkenstrahlung
denfüram
zentralen
Nervensystem
auf, die meist
und
Kalium
140 g. Bei erhöhter
Zufuhr dieser
280
Bodenstrahlung
Elemente
wird
der
nicht
benötigte
Anteil
mit
den
innerhalb weniger Tage tödlich wirken.
Ausscheidungsprodukten vermehrt wieder abgeQuelle: Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) mbH
geben.
• Interne Exposition
Inhalation
Ingestion
Abb. 7.02
Typische Anreicherungsfaktoren von
Sr-90 im Nahrungssystem eines Süßwassersees
50
29
Die Elemente Strontium und Cäsium zählen beim
Menschen zu den nicht geregelten Elementen.
Je größer das Angebot dieser Elemente in der
Nahrung ist, desto mehr wird auch resorbiert
und verbleibt eine mehr oder minder lange Zeit
im
Körper. Von einem bestimmten SättigungsAufgabe
wert an bildet sich ein Gleichgewichtszustand
zwischen Aufnahme und Ausscheidung.
Barsch
(Knochen)
3.000
Süßwasser
1
Elritze
950
Muscheln
(Fleisch)
730
Plankton
180
Bodensediment
180
Informieren Sie sich über Strahlenschäden und
Maßnahmen zum Schutz vor Strahlenschäden
auf der Webseite des Bundesamtes für Strahlenschutz:
www.bfs.de/de/ion/wirkungen
Zeitbild Wissen
Arbeitsblatt 7:
Aufbau eines
Kernkraftwerks
Kernkraftwerke sind Wärmekraftwerke. Sie erzeugen Wärme
durch eine kontrollierte Kettenreaktion. Urankerne des Isotops
U-235 werden mit langsamen Neutronen gespalten, dabei werden
zwei bis drei schnelle Neutronen freigesetzt. Diese können nach
ihrer Moderierung (Abbremsung) weitere Kerne von Uran-235
spalten und lösen so eine kontrollierte Kettenreaktion aus.
In einem Druckgefäß eines Druckwasserreaktors, circa 12 m hoch, aus 25 cm dickem Stahl,
stehen ca. 200 Brennelemente, zusammengesetzt aus einzelnen Brennstäben. Sie enthalten als
Brennstoff insgesamt ungefähr 100 t Uran, das bis
zu vier Prozent mit dem spaltbaren Isotop U-235
angereichert ist. Zwischen den Brennstäben befindet sich Wasser. Das Wasser bremst die bei den
Kernspaltungen entstehenden schnellen Neutronen ab; denn hauptsächlich langsame Neutronen
können weitere Kernspaltungen in U-235-Kernen
hervorrufen. Die Abbremsung der Neutronen ist
wichtig, denn das zu 96 Prozent in den Brennstäben vorhandene, nicht spaltbare U-238 absorbiert
besonders die schnellen Neutronen durch Neutroneneinfang.
Zwischen den Brennstäben befinden sich Regelstäbe. Sie enthalten Bor oder Cadmium. Die
Kerne beider Elemente können langsame Neutronen einfangen und sie so dem Spaltungsprozess
entziehen. Man regelt die Kettenreaktion, indem
man die Regelstäbe mehr oder weniger weit in den
Reaktorkern einfährt. Ist der Reaktor abgeschaltet, so befinden sich die Regelstäbe vollständig im
Kern. Zieht man sie langsam heraus, so nimmt die
Zahl der Spaltungen pro Sekunde zu. Die Leistung
des Reaktors lässt sich auf diese Weise regeln. Das
Wasser dient außerdem im abgeschalteten Zustand
als Kühlmittel. Bei Normalbetrieb zirkuliert es im
Primärkreislauf und besorgt den Energietransport.
Aufgaben
1. Welche Funktion haben in einem Reaktor die
Brennstäbe? Wozu benötigt man die Regelstäbe?
2. Wasser spielt eine zentrale Rolle in einem Kernkraftwerk.
Beschreiben Sie seine Funktion im Kernreaktor.
3. Welche Gemeinsamkeiten haben Kohle- und
Kernkraftwerke?
Zeitbild Wissen
Im Druckwasserreaktor erreicht das Wasser eine
Temperatur von ca. 300 Grad Celsius. Trotzdem
siedet es nicht, da es unter einem Druck von 150
bar steht. In einem Wärmetauscher gibt das heiße Wasser seine Energie an den Sekundärkreislauf
ab, ohne dass ein Stoffaustausch stattfindet. Im Sekundärkreislauf entsteht so heißer, unter hohem
Druck stehender Dampf. Er führt die Energie zu
einer Dampfturbine, die einen Generator antreibt.
Im Kondensator kondensiert der Dampf mithilfe
von Kühlwasser. Das Wasser wird wieder in den
Wärmetauscher zurückgepumpt.
30
Arbeitsblatt 8:
Aufbau eines Kernkraftwerks Durch die Wärme, die der Primärkreislauf in
die Dampferzeuger einspeist, wird das Wasser
mit Druckwasserreaktor
15
10
9
des Sekundärkreislaufs verdampft. Dieser Damp
treibt die Turbine und den Generator an.
In den Kondensatoren nach den Niederdruckturbinen wird der Dampf kondensiert.
Das Kondensat wird mit Kondensatpumpen
über Niederdruck-Vorwärmanlagen in den Speisewasserbehälter geführt. Die Speisewasserpumpen fördern das Wasser von dort über
Hochdruck-Vorwärmanlagen in die Dampferzeuger zurück.
14
1
2
3
4
5
6
7
Aufgabe
Ein Druckwasserreaktor ist durch getrennte Wasserkreisläufe gekennzeichnet (Primär- und Sekundärkreislauf
sowie Kühlkreislauf). Markieren Sie die Kreisläufe und
erläutern Sie ihre Funktionsweise!
31
8
9
10
11
12
13
14
15
Reaktordruckbehälter
Hauptkühlmittelpumpe
Dampferzeuger
Sicherheitsbehälter
Brennelementlagerbecken
Turbinen-Hochdruckteil
Wasserabscheider und
Zwischenüberhitzer
Turbinen-Niederdruckteil
Generator
Transformator
Kondensator
Vorwärmanlage
Speisewasserpumpe
Hauptkühlwasserpumpe
Kühlturm
Zeitbild Wissen
Arbeitsblatt 9:
Die kontrollierte Kernspaltung
im Kernkraftwerk
Wasser spielt eine zentrale Rolle bei der kontrollierten Kernspaltung im Reaktor. Bei der Kernspaltung von Uran-235
werden Neutronen freigesetzt. Diese Neutronen haben aber
eine sehr hohe Geschwindigkeit und würden an weiteren
Atomkernen einfach abprallen. Um weitere Kerne spalten zu
können, müssen die Neutronen durch einen sogenannten
Moderator – in deutschen Reaktoren ist dies Wasser, in
anderen Kraftwerkstypen auch Graphit – stark abgebremst
und auf Spaltgeschwindigkeit verlangsamt werden.
Wasser bremst die schnellen Neutronen – der Moderator
Die Funktion der Steuerstäbe
Funktion der Steuerstäbe:
Die Regelung der Aktivität der Kettenreaktion
erfolgt durch Regelstäbe (auch als Steuerstäbe
bezeichnet) aus Borcarbid (B4C) oder Cadmium.
Die Steuerstäbe haben die Aufgabe, die für weitere
Spaltungen zur Verfügung stehenden Neutronen
einzufangen. Die Kerne von Bor oder Cadmium
können langsame Neutronen einfangen und sie so
dem Spaltungsprozess entziehen. Man regelt die
Kettenreaktion, indem man die Regelstäbe mehr
oder weniger weit in den Reaktorkern einfährt.
Ist der Reaktor abgeschaltet, befinden sich die
Regelstäbe vollständig im Kern. Zieht man sie
langsam heraus, so nimmt die Zahl der Spaltungen
pro Sekunde zu. Die Leistung des Reaktors lässt
sich auf diese Weise regeln.
Aufgabe
Erklären Sie, was man unter einer kontrollierten Kettenreaktion versteht.
Zeitbild Wissen
32
Arbeitsblatt 10:
Mindmap Endlagerung
Abfallarten
Sicherheit
oberirdisch
ENDL AGERUNG
Endlagerprojekte
Asse
Art des Standorts
dezentral
Rückholbarkeit
Bevölkerung
Klüfte u. Risse
geol. Umfeld
Geologie
Gesteine
Salz
Verwerfung
Stabilität, unterirdisch, Gorleben, Arbeitsplätze, Morsleben, Ton, Granit, zentral, technische
Maßnahmen, Proteste, organisatorische Maßnahmen, Grundwasser, Schacht Konrad,
hochradioaktive
Abfälle,Morsleben,
schwach- Ton,
undGranit,
mittelradioaktive
Abfälle
Erdbeben, unterirdirsch,
Gorleben, Arbeitsplätze,
zentral, technische
Maßnahmen, Proteste,
organisatorische Maßnahmen, Grundwasser, Schacht Konrad, hochradioaktive Abfälle, schwach- und mittelradioaktive Abfälle
Aufgaben
1. Recherchieren Sie mithilfe des Internets
Informationen rund um das Thema Endlagerung.
www.bfs.de/de/endlager
www.endlagerung.de
http://de.wikipedia.org/wiki/Endlager_(Kerntechnik)
http://endlagerung.oeko.info/
2. Vervollständigen Sie die vorliegende Mindmap und
setzen Sie die Begriffe an die richtige Stelle.
3. Führen Sie in der Klasse eine offene Diskussion zu den Fragestellungen
rund um das Thema Endlagerung von radioaktiven Abfällen durch.
33
Zeitbild Wissen
Arbeitsblatt 11:
Geschichte der Kernenergie
1896:
1979
Antoine Henri Becquerel entdeckt die Radioaktivität.
Schwerer Unfall mit teilweiser Kernschmelze am 28.
März 1979 im KKW Three Mile Island bei Harrisburg,
USA. Es gelingt den Reaktor zu stabilisieren.
1942:
Enrico Fermi baut in Chicago den ersten Kernreaktor.
Am 2. Dezember 1942 gelingt zum ersten Mal eine
sich selbst erhaltende kontrollierte Kettenreaktion.
1955:
Start der kerntechnischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland. Das Bundesministerium
für Atomfragen wird gegründet. Der erste deutsche
„Atomminister“ Franz Josef Strauß hält die friedliche
Nutzung der Atom-Energie für so bedeutend „wie die
Erfindung des Feuers“.
1957:
In Deutschland geht der erste Forschungsreaktor
(„Atomei“) in München-Garching in Betrieb.
1959:
Der Bundestag verabschiedet das Atomgesetz. Ziel: „…
die Erforschung, die Entwicklung und die Nutzung der
Kernenergie zu friedlichen Zwecken zu fördern ...“.
1961:
Das Versuchsatomkraftwerk in Kahl am Main erzeugt
Strom aus Kernenergie. In den Jahren danach werden
in beiden deutschen Staaten zahlreiche Kernkraftwerke errichtet.
1970er-/1980er-Jahre:
Die Anti-Atomkraft-Bewegung gegen Bau von Kernkraftwerken bekommt immer größeren Zulauf. Große
Protestaktionen in Wyhl, Brokdorf, Grohnde, Gorleben, später in Wackersdorf (geplante Wiederaufarbeitungsanlage).
1986:
Am 26. April ereignet sich im Kernkraftwerk Tschernobyl in der Ukraine (damals Sowjetunion) der bisher
schwerste Unfall in der Geschichte der Kernenergie.
Eine radioaktive Wolke zieht über Europa. Große Unruhe und Ängste in der Bevölkerung vor einer Gefahr
durch Radioaktivität.
1990:
Wiedervereinigung Deutschlands. Die Reaktoren der
ehemaligen DDR werden abgeschaltet, die Anlagen
stillgelegt.
2002:
Änderung des Atomgesetzes mit dem Ziel, „die Nutzung der Kernenergie zur gewerblichen Erzeugung
von Elektrizität geordnet zu beenden“. Die letzten Reaktoren würden ca. 2021 abgeschaltet werden.
2010:
Der Gesetzgeber verlängert die Laufzeiten der bestehenden Reaktoren im Rahmen des Energiekonzepts
2050 um durchschnittlich 12 Jahre; die Laufzeit der
letzten Reaktoren würde ca. 2040 enden.
2011:
Am 11. März beschädigt ein Seebeben und der darauf
folgende Tsunami das japanische KKW Fukushima
schwer. Die Folge ist ein katastrophaler Unfall der
höchsten Kategorie mit Wasserstoffexplosionen und
Kernschmelzen in drei Reaktorblöcken. Die Bundesregierung lässt kurz danach die acht ältesten deutschen
Reaktoren abschalten. Alle verbleibenden Anlagen
müssen nunmehr zeitlich gestaffelt bis 2022 vom
Netz gehen.
Aufgabe
Recherchieren Sie in Ihrer Familie, ob und wie sich die
Einstellung zur Nutzung der Kernkraft im Laufe der letzten
40 Jahre verändert hat.
Zeitbild Wissen
34
Lösungshinweise
Arbeitsblatt 1
Arbeitsblatt 5
Aufgabe 1: E = mc2, Albert Einsteins berühmte Formel. (E= Energie, m= Masse, c= Lichtgeschwindigkeit)
Aufgabe 2: Uran ist ein in der Natur vorkommendes
radioaktives Schwermetall. Insgesamt existieren über
25 Uranisotope. Natürlich vorkommende Uranisotope
sind Uran-238 (99,27 %-Anteil), Uran-235 (0,72 %-Anteil) und Uran-234 (0,0054 %-Anteil). Die übrigen Uranisotope werden künstlich erzeugt. Uranisotope unterscheiden sich durch ihre Halbwertszeit. Das Uranisotop
Uran-235 wird im Rahmen der Kernspaltung eingesetzt.
Aufgabe 3: Der Kern von Uran-235 zerplatzt durch
Aufnahme eines langsamen Neutrons in zwei Bruchstücke und einige Neutronen. Als radioaktive Spaltprodukte entstehen ein Kryptonkern, ein Bariumkern und
drei Neutronen. Es wird mehr Energie freigesetzt als das
Neutron mitgebracht hat.
Aufgabe 1: Bei einer mittleren jährlichen Dosis von
4,0 mSv/a, beträgt die erworbene Strahlendosis eines
70-jährigen Menschen in Deutschland 280 mSv.
Aufgabe 2: Geologisch bedingt ist die mittlere externe Strahlenexposition in Deutschland in Bodennähe im
Bayerischen Wald, im Fichtelgebirge, im Schwarzwald,
im thüringische und sächsische Erzgebirge, im Thüringer Wald, im südlichen Hunsrück sowie lokal im Rheinischen Schiefergebirge, erhöht.
Arbeitsblatt 7
Aufgabe 1: Ein Alphateilchen besteht aus zwei Neutronen und zwei Protonen – also einem Heliumatomkern.
Aufgabe 2: Im Kern des Cäsiums wandelt sich ein
Neutron in ein Proton um und sendet dabei ein schnelles Elektron aus. Das Elektron führt Energie mit sich.
Zurück bleibt ein Kern eines anderen Elements (Barium), dessen Kernladungszahl um 1 größer ist.
Aufgabe 1: Die Brennstäbe enthalten den Brennstoff (Uranoxid). Mehrere Brennstäbe werden zu einem Brennelement zusammengefasst. Die Regelstäbe
dienen zur Regelung der Neutronenmultiplikationsrate
eines Kernreaktors. Ein Regelstab besteht aus neutronenabsorbierendem Material (Cadmium, Bor usw.).
Aufgabe 2: Wasser bremst die schnellen Neutronen ab und bringt sie damit auf Spaltgeschwindigkeit. Wasser dient auch als Kühlmittel und
besorgt
den
Energietransport
(Wasserdampf).
Aufgabe 3: Kernkraftwerke und Kohlekraftwerke
sind Wärmekraftwerke. Ein Stoff erzeugt Wärme, der
wiederum Dampf erzeugt, mit dessen Hilfe über eine
Turbine ein Generator angetrieben wird, der dann
Strom erzeugt.
Arbeitsblatt 3
Arbeitsblatt 8
Aufgabe 1: Gammastrahlung tritt auf, wenn beim Alpha- oder Betazerfall überschüssige Energie in Form von
elektromagnetischer Strahlung abgegeben wird.
Der Primärkreislauf nimmt die Wärme des Reaktors
auf und gibt sie an den Sekundärkreislauf ab. Dadurch
verdampft darin das Wasser; der Dampf treibt die Turbine an. Der Kühlkreislauf kühlt den Dampf im Sekundärkreislauf im Kondensator wieder zu Wasser.
Arbeitsblatt 2
Arbeitsblatt 4
Aufgabe 1: Ein Alphateilchen überträgt wegen seiner
hohen Ionisierungsdichte (Zahl der Ionen pro Wegstrecke) besonders viel Energie an eine einzelne Körperzelle. Deshalb ist der Schaden viel größer als bei anderen
Strahlungsarten mit gleicher Energiedosis.
Aufgabe 2: Die empfangene Jahresdosis durch die
natürliche kosmische Strahlung beträgt 0,3 mSv (bei
einer Dosisleistung auf Meereshöhe von 0,035 μSv pro
Stunde).
Arbeitsblatt 9
Aufgabe 1: Unter einer kontrollierten Kettenreaktion
versteht man das Steuern des Spaltungsprozesses. Gesteuert wird über die Regelstäbe.
Bildnachweis:
Titelbild: Reaktorbereich des KKW Unterweser während einer Abschaltung
DAtF: 8, 9, 15, 19 (2x), 24, 25, 26, 29, 30, 32 (2x)
EnBW Kernkraft GmbH: 11
E.ON Kernkraft GmbH: 1, 3, 10, 12, 17, 31
Fice: 19
Hundertmark: 11, 21, 27
KIT/M. Priske: 22
RWE Power AG: 3
TEPCO: 5
Thomas Köhler/photothek.net: 18
Vattenfall Europe Nuclear Energy GmbH: 2 (2x), 7, 13, 14, 16
Zeitbild: 4, 6, 28
35
Zeitbild Wissen
Informationen zur Strom- und Energieversorgung
sowie zur Energiewende
Bundesministerium für Wirtschaft und
Technologie (BMWi)
www.bmwi.de
Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen
www.ag-energiebilanzen.de
Energiekonzept der Bundesregierung
www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/
Themen/Energiekonzept/_node.html
Radioaktivität und Strahlenschutz
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (BMU)
www.bmu.de
Bundesamt für Strahlenschutz (BfS)
www.bfs.de
Strahlenschutzkommission der Bundesregierung (SSK)
www.ssk.de
Endlagerung
Bundesamt für Geowissenschaften und Rohstoffe
(BGR)
www.bgr.de
Lesetipps
Basiswissen Kernenergie
Informationskreis Kernenergie, Berlin, 2007
Ausführliche Informationen zu physikalischen Grundlagen der Kernenergie sowie zur Funktionsweise und
zur Sicherheit von Kernkraftwerken.
Radioaktivität und Strahlenschutz
DAtF – Deutsches Atomforum e. V., Berlin, 2012
Ausführliche Informationen zu Strahlungsarten, Strahlungsexposition und Strahlungsschutzmaßnahmen
Linktipps
Umfangreiche Informationen und
Hintergründe zur Kernenergie
DAtF – Deutsches Atomforum e.V.
www.kernenergie.de
Wissensportal Kernenergie
www.kernfragen.de
Reaktor-Sicherheitskommission der
Bundesregierung (RSK)
www.rskonline.de
Gesellschaft für Anlagen- und
Reaktorsicherheit (GRS) mbH
www.grs.de
Bundesamt für Strahlenschutz
www.bfs.de
Bundesanstalt für Materialforschung- und Prüfung
www.bam.de
Entsorgungskommission der Bundesregierung (ESK)
www.entsorgungskommission.de
GNS Gesellschaft für Nuklear-Service mbH
www.endlagerung.de
Debatten zur Kernenergie
Öko-Institut e.V.
www.streitpunkt-kernenergie.de
Greenpeace
www.greenpeace.org/international/en/campaigns/
nuclear
Impressum
Zeitbild Wissen „Kernenergie. Die Situation in Deutschland.
Ausstieg, Sicherheit, Rückbau, Endlagerung“ herausgegeben von
der Zeitbild Verlag und Agentur für Kommunikation GmbH, Kaiserdamm 20,
14057 Berlin, in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Atomforum e.V.
Dezember 2012
Gesamtherstellung:
Zeitbild Verlag, Berlin, www.zeitbild.de. 1. Auflage, Dezember 2012.
Verantwortlich: Frank J. Richter
Gestaltung: C100 Studio, München
Illustration: C100 Studio, München; junge meister*, Berlin
Druck: DCM Druck Center Meckenheim GmbH, Meckenheim
Printed in Germany.
Beratung: Peter Klatte
Die enthaltenen Texte und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt.
Eine kommerzielle Nutzung ist nicht gestattet. Wir erklären mit Hinblick
auf die genannten Internet-Links, dass wir keinerlei Einfluss auf Gestaltung
und Inhalte der Seiten haben und uns die Inhalte nicht zu eigen machen.