Ungeliebt, aber vom Erfolg verwöhnt

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Ungeliebt, aber vom Erfolg verwöhnt
Das Nachrichtenportal Rhein-Neckar
CARITASTAGE:
Berliner Compagnie erhält im Kolpinghaus viel Beifall für ihre Lobbyisten-Komödie „Stille
Macht“
Ungeliebt, aber vom Erfolg verwöhnt
Von unserer Mitarbeiterin Gerlinde Scharf
BENSHEIM.
Sie sind wie die Fliegen. Extrem lästig und
schmerzfrei, gleichwohl erfolgreich - und sie
sind vor allem überall. In Berlin und in Brüssel,
in Straßburg und sonst wo. Sie sind die
Strippenzieher im Hintergrund, die Regierung,
Wirtschaft und den Banken helfen, das ganz
große Geld zu verdienen. Und vor Bestechung,
Manipulationen und kriminellen Machenschaften nicht zurückstecken. Es lebe der
Profit! Die Lobbyisten sorgen schon dafür, dass
die Multis an ihr Ziel kommen.
Sie liefern Waffen an Diktatoren und
Leichtgewehre, speziell für Kindersoldaten,
exportieren Gen-Saat nach Indien und treiben
so Millionen von Kleinbauern in den Ruin,
bauchpinseln die Tabak- und Atomindustrie
Die Berliner Compagnie führte im Kolpinghaus die Lobbyisten-Komödie
und lassen die Massentierhaltung hochleben.
"Stille Macht" auf. © Lotz
Sie strecken ihre Fühler immer genau dort
aus, wo es was zu holen gibt und fälschen dafür wissenschaftliche Studien und Statistiken.
Und sie lassen nicht locker bei ihren undurchsichtigen Machenschaften, die ungeliebte, aber dennoch
erfolgsverwöhnte Gruppe der Lobbyisten, hinter der sich Parlamentarier und Referenten, Journalisten
und Mitarbeiter verschiedener Institutionen, Verbände und Stiftungen - und Maulwürfe verbergen.
Wenn es dem Kapital darum geht, Kohle zu machen, steht der Umverteilung von unten nach oben
nichts mehr im Wege. Schließlich ist jedes Mittel recht. Gewissen und Verantwortung? Fehlanzeige!
Moral? Die kann man sich zurechtbiegen. Und wie das alles funktioniert? Die EU hat's kapiert: Man
schließe Freihandelsabkommen mit Entwicklungsländern und schon fließt der Mammon.
Die Berliner Compagnie nimmt die nervenstarken Spezies und zwielichtigen Gestalten in ihrer
brandaktuellen Lobbyisten-Komödie "Stille Macht" genau unter die Lupe und deckt deren
Machenschaften mit schonungsloser Ehrlichkeit, beißender Ironie und viel Humor auf ("Wenn man
Tiere nicht mehr essen soll, warum sind sie dann aus Fleisch?").
Evergreens und Schmachtfetzen
Dazu servieren die Darsteller dem Publikum in ihrer Politshow eine Reihe Evergreens und
Schmachtfetzen im 50er-Jahre-Stil ("Wir schießen jeden Weg frei, das ist unsere Ehre"). Bei aller
Ernsthaftigkeit und Frust hoch drei darf durchaus auch gelacht werden.
Die Theatermacher aus der Hauptstadt gastierten am Freitag anlässlich der Caritastage im gut
besuchten Kolpinghaus. Eingeladen hatte der Caritasverband Darmstadt gemeinsam mit dem NordSüd-Forum Bensheim. Mit coolen Sprüchen wie "Vegetarier leben nicht länger, es erscheint ihnen nur
so, weil das Leben so langweilig ist" oder "Da bilden wir eine Expertenkommission und damit ist das
Thema gestorben" stellt die Compagnie unter Beweis, dass man sehr wohl Polit-Skandale und
Themen, die auf den Nägeln brennen, locker und stressfrei präsentieren kann. Die Botschaft, die
dahinter steckt, kommt trotzdem - oder vielleicht gerade deshalb - an.
Das konspirative Treffen findet in der Lobbyagentur "Utterly & Quiet" statt, deren Mitarbeiter sich das
Motto "für die Besitzenden zu denken" und "Konzerne haben Vorfahrt" auf die Fahne geschrieben
haben und die mit allen nur möglichen Tricks arbeiten. Gemeinwohl und Gerechtigkeitssinn sind für die
Boy- und Girl-Group längst Auslaufmodelle. Massentierhaltung, Billigexporte, exportiertes Gen-Saatgut,
Raucher-Kampagnen und Lieferungen von Kriegswaffen "natürlich in Unruhegebiete, wohin denn
sonst", gilt es optimal zu vermarkten.
Aachener Friedenspreis 2009
Und wenn die Regierenden doch einmal zögern sollten, im Machtkampf zwischen Konzernen, Politik
und Verbrauchern dem Kommerz den Vorrang zu lassen und zunächst entsprechende
"Folgeabschätzungen" verlangen, gibt's genügend Möglichkeiten, diese zu frisieren.
Das Publikum bedankte sich bei der Berliner Compagnie für die mutige und gleichzeitig unterhaltsame
Aufführung mit viel Beifall. Die Theatergruppe erhielt im Übrigen 2009 den nationalen Aachener
Friedenspreis. Gegründet wurde die Truppe 1981. Seither spielt sie Theater als friedens- und
entwicklungspolitische Öffentlichkeitsarbeit. 23 Stücke hat die Compagnie inzwischen entwickelt und in
über 2000 Gastspielen aufgeführt.
© Bergsträßer Anzeiger, Montag, 29.09.2014