FUSSBALL-WM 7 Wetterhoch Yves und die Fans brachten mächtig

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FUSSBALL-WM 7 Wetterhoch Yves und die Fans brachten mächtig
FUSSBALL-WM
Mannheimer Morgen
Montag, 10. Juli 2006
7
Wetterhoch Yves und die Fans brachten mächtig Stimmung
WM-ABC: Von Ausverkauft bis Züge – die Fußball-WM verändert das Bild der Deutschen im Ausland und ihr eigenes Selbstverständnis
Die Fußball-WM bleibt als Fest der Freude
in Erinnerung – ein Sommer-Freiluft-Konzert des Überschwangs im sonst eher nüchternen Deutschland. Selbst der neue Patriotismus kam von der heiteren Seite. Das
ultimative WM-ABC:
icherheit: Die WM war sicher. Kaum
S
prügelnde Hooligans, keine massenhafte Zwangsprostitution, keine Horden von
Taschendieben. Und kein Terrorismus.
eamgeist: „Teamgeist“ war nicht nur
T
der WM-Ball. Er war ein „Symbol für
die deutsche Ingenieurskunst“, sagt Her-
usverkauft: Die Tickets für alle
64 WM-Spiele gingen weg wie warme
A
Semmeln. „Wir waren fast ausverkauft“,
steller Adidas.
sagte der Vizepräsident des Organisationskomitees, Horst R. Schmidt.
nternehmen: Von der Drogerie bis zum
U
DAX-Konzern hofften Unternehmen
auf einen Kick für die Kauflaune – und ih-
erlin: Die WM hat der Hauptstadt Berlin 15 Millionen Besucher beschert.
B
„Die WM war ein absoluter Glücksfall“,
sagte Tourismus-Chef Hanns Peter Nerger.
ren Anteil am WM-Geschäft. Am Ende ist
die Bilanz gemischt. Während Brauereien
oder Fanartikel-Hersteller meist prächtig
verdienten, waren andere Läden leer.
hristlich: Der Trost kam von (fast) ganz
oben. Die Spitzen der beiden großen
C
christlichen Kirchen sprachen nach dem
ölkerfreundschaft: Die WM beeindruckte auch international und verV
schönerte das Bild Deutschlands im Aus-
deutschen WM-Aus den enttäuschten Fans
Mut zu. Sie sollten sich ihrer Tränen nicht
schämen. „Das ist jetzt kein Weltuntergang“, sagte Bischof Wolfgang Huber.
eutschland: Am Fenster, am Auto, in
der Hand – und manchmal auch um
den Bauch. Die Fußball-Begeisterung hat
Schwarz-Rot-Gold zum Verkaufsschlager
gemacht. Branchenkenner schätzen, dass
während der WM etwa fünf Millionen
Deutschland-Fahnen verkauft wurden.
land. Viele der rund zwei Millionen ausländischen WM-Besucher fahren mit guten
Erinnerungen nach Hause.
underheiler: Jürgen Klinsmann. So
viel Lob ist auf einen Deutschen lange
W
nicht mehr niedergeprasselt, die Kanzlerin
D
lf: Elf Minuten mussten reichen. Die
Schlussfeier vor dem Finale Italien gegen Frankreich im Berliner Olympiastadion beschränkte sich auf den strikten poppigen Zeitrahmen von 19.35 bis 19.46 Uhr.
E
ernsehen: Rekordquoten und Anerkennung für die Leistung. Die große Mehrheit der Deutschen ist mit der WM-Fernsehberichterstattung sehr zufrieden, ergab
eine Umfrage. ARD, ZDF und RTL erhielten überwiegend gute Noten.
F
oleo: WM-Maskottchen „Goleo“ hat
sich doch noch zum Verkaufsschlager
entwickelt. In den vergangenen vier Wochen ging der Löwe über eine Million Mal
über den Ladentisch.
G
ymnen: Auf den Fanfesten lautete die
favorisierte Hymne der sangeslustigen
H
Schlachtenbummler lange „Fii-naa-lee,
oo-hooo!“
Goleo, Mädchen, Spielerfrauen: Die WM hatte viele verschiedene Gesichter – die meisten davon lächelten.
nventar: Das ist der Hammer: Das Auktiädchen: Die Mädchen haben es geonshaus Dechow versteigert Erinne- Mbracht. Die große Zahl junger, weibliIrungsstücke
an die WM. In sechs Städten cher Fans ist nach Ansicht des Sportsoziowerden Flaggen, Schilder und Möbel des
OK angeboten.
obs: WM schafft Arbeit. Zur WM wurden
50 000 befristete Jobs in Tourismus und
JGastgewerbe
geschaffen. Gut die Hälfte
wird nach Ansicht der Bundesregierung
noch im kommenden Jahr Bestand haben.
äfer: Jürgen Klinsmanns früheres VWCabrio ist ein Verkaufsschlager. Für
K
den 1967 zugelassenen Oldtimer wurden
über 160 000 Euro geboten.
yrik: Das war auch eine WM der Liniendichter. Zu jedem Spiel verfasste der
Poesie-Automat des Kunst- und Kulturprogramms Lyrik. „11 Meter von München
nach Berlin!“ So hieß das Gedicht nach
Frankreichs 1:0 im Halbfinale über Portugal. Torschütze: Zidane mit Elfmeter.
L
logen Michael Klein ein Grund für die
friedlich verlaufene WM. „Mädchen sind
für Fangruppen schon immer ein Puffer gegen Gewalt gewesen.“
achspielzeit: Ein Tor nach der berühmten 90. Minute entzündete erst so richN
tig die riesige Begeisterung rund um die
deutsche Elf: Als Oliver Neuville gegen Polen Sekunden vor dem Schlusspfiff das 1:0
erzielte, waren Millionen selig wie selten.
rganisationskomitee: Das OK zog unter Leitung von Lichtgestalt Franz Beckenbauer neben der FIFA die Fäden. Nach
jahrelanger Kleinarbeit konnte das Gremium zufrieden bilanzieren: „Großartig“ und
„vorzüglich“ sei das alles gewesen.
O
ublic Viewing: Das Mitfiebern beim öffentlichen Fußballgucken auf großen
P
Bilder: dpa
Videowänden wurde zum Massenphänomen. Wie magnetisiert strömten bunt kostümierte Fans auf die Plätze. Rund 15 Millionen waren es auf den FIFA-Festen.
hätte ihn fast auf die Schulter geküsst.
Gotthilf Fischer, Leiter der „Fischer-Chöre“, schmetterte: „Dieser Klinsmann ist ein
Wunderheiler. Es ist unglaublich, was er
nicht nur mit der Mannschaft gemacht,
sondern einem ganzen Volk gegeben hat.“
XXL: Zum dritten Platz der Deutschen
X
formulierte sich der Poesie-Automat
noch einmal in eine neue Dimension:
uartier: Wo die Mannschaften Quartier
machten, waren auch die SpielerfrauQ
en nicht weit. Und sie kauften und kauften.
„Klinsmänner sagen Danke. Die große
Schweinsteigerung! 3 Tore – Platz 3!
Deutschland im Fußballhimmel!“
Popsängerin Cheryl Tweedy, mit Englands
Verteidiger Ashley Cole liiert, lästerte: „Es
geht nur darum, wer die beste Uhr, die beste Handtasche und die beste Frisur hat.“
ves: So hieß das Wetter-Hoch, das
pünktlich zum Beginn der K.o.-Runde
Y
für Superwetter sorgte. Schon in der Vor-
etourkutsche: Kabarettist Dieter HilR
debrandt kann mit dem Stolz, ein
Deutscher zu sein, wenig anfangen. „Ich
bin stolz auf eine Äußerung von Franz Beckenbauer, der gesagt hat, jeder solle sich
gelegentlich in einen Hubschrauber setzen
so wie er, dann wüsste er, wie schön
Deutschland ist. Ich würde sagen: Patriotismus heißt Beckenbauer.“
runde war die Sonne „zu Gast bei Freunden“. Trockener, sonniger und wärmer als
üblich – so lautet das Gesamt-WM-Fazit
der Meteorologen.
üge: Die Züge waren voll. Die FußballWM hat der Bahn mehr zusätzliche
Z
Kunden beschert als erwartet. In den Zügen von der S-Bahn bis zum ICE wurden
während des Turniers rund 15 Millionen
Fahrgäste befördert.
dpa
Nach der Party ist vor der Party
BERLINER BULETTEN: Der Klinsi-Show folgt die Love-Parade
Die große Party ist
vorbei, es ist Zeit,
noch ein paar Souvenirs von dieser
WM in den Koffer
zu packen. Doch
wie sehr man auch
sucht – die Flaschen oder Dosen,
in denen die Berliner Luft dieses
WM-Sommers mit
nach Hause genommen werden könnte, es gibt sie nicht als
Mitbringsel. Schade eigentlich, denn es
gäbe viel, was zu konservieren wäre.
Etwa die „Ask-me“-Buttons am Revers
der vielen Freiwilligen, die nicht nur getragen wurden, weil die FIFA das so wollte. Berlin, oft als das Zentrum des
„Hamm-wa-nich“,
„Machn-wa-nich“
wahrgenommen, zeigte sich weltoffen und
nach vorne gewandt, weil es sich den
Blickwinkel der vielen Fußball-Reisenden
zu eigen machte. Die stiegen mit einem
Staunen am neuen Hauptbahnhof aus und
nahmen eher die Zeichen der Moderne
wahr, als die schmuddeligen Hinterhöfe
der Vorstädte. Chaotisch, laut, arm, an
manchen Stellen unfertig – Berlin hat seine Probleme, spielt aber als einzige deutsche Großstadt von Weltrang in der ersten
Liga. Das mussten die Berliner offenbar
nur oft genug hören, bis sie ihre Stadt zur
Freude ihrer Gäste nun offenbar auch
selbst ein bisschen lieb gewonnen haben.
Und weil sie wissen, wem sie alles zu verdanken haben, wird sogar darüber diskutiert, Jürgen Klinsmann die Ehrenbürgerwürde zu verleihen.
Fast schon sympathisch erscheint es da,
dass wenigstens die Taxifahrer als Hüter
der hauptstädtischen Miesepetrigkeit die
Stellung halten. Nicht nur der eigene
Fahrdienst des Organisationskomitees
brachte die Taxler auf die Palme, nun ist
auch noch das Sommerwetter schuld an
der schlechten Laune der Berufs-Chauffeure, weil die Leute bei Sonnenschein lieber laufen. Es wird also noch jeder sein
Haar in der Suppe gefunden haben und
mancher Fußball-Allergiker wird sich da
wieder richtig zu Hause fühlen.
Doch nach der WM ist vor der Bundesliga und nächstes Wochenende kommt es
noch besser. Auf der bisherigen Fan-Meile
steigt nächste Woche die Love-Parade.
Die Party geht weiter.
th
Berliner Ehrenbürgerwürde für Partymacher Jürgen Klinsmann (hier mit Xavier Naidoo)?
Bild: dpa