Verkaufst du noch, oder zwitscherst du schon?
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Verkaufst du noch, oder zwitscherst du schon?
Neuö Zürcör Zäitung Sonderbeilage ^ 31. Oktober 2012 Lauscht man Claude Ginestas Ausführungen, wird es einem beinahe ein wenig bange: «Wir haben über 800 Personen, die uns mit einem ‹Gefällt mir›Verweis auf Facebook empfehlen. Die Hälfte der Besucher, die über Facebook den Weg auf unsere Homepage finden, sind Frauen, der Grossteil ist zwischen 35 und 44 Jahre alt. 287 Freunde haben wir in Zürich, 6 in Belgrad, 2 in Südamerika; 216 Besucher sind englischsprachig, einige sind russischer oder schwedischer Muttersprache», so surrt der Küsnachter Immobilienmakler die Zahlen auswendig herunter. Dank Google Analytics weiss Ginesta zudem ganz genau, wie viele Besucher über welchen Kanal auf der Website seiner Firma landen. Egal, ob über Facebook oder Twitter, über Immobilien-Internetportale oder Suchmaschinen: Ziel ist es, auf möglichst vielen Kanälen die Verweise auf das eigene Unternehmen – und damit den sogenannten «Traffic» auf der eigenen Homepage – zu erhöhen. Ginesta Immobilien pflegt deshalb seit März 2010 einen Facebook- und einen Twitter-Account; auf der Website gibt es ausserdem ein Blog, das der Firmeninhaber höchstpersönlich betreut. IMMOBILIEN 5 Verkaufst du noch, oder zwitscherst du schon? Schweizer Makler nutzen Social Media vorerst noch zurückhaltend. Die Suche nach individuellen, jeweils an Objekte und Kundschaft angepassten Lösungen steht dabei im Vordergrund. Von Claudia Schwartz Kulturelle Unterschiede In den USA nutzen nach den Zahlen des dortigen Verbands der Immobilienbranche mittlerweile über 80 Prozent der Unternehmen Social Media. Und auch in Deutschland nimmt der gezielte Einsatz der neuen Medien als Marketinginstrument rasant zu, wie eine Studie des Instituts für Wirtschaftsinformatik und neue Medien an der Münchner Ludwig-MaximilianUniversität belegt. In der Schweizer Immobilienbranche hingegen muss man Unternehmen, die auf Facebook und Twitter Präsenz zeigen oder ein Blog betreiben, regelrecht suchen. Der 40-jährige Claude Ginesta ist diesbezüglich eine Ausnahmeerscheinung: Der Immobilienprofi bewegt sich im Social-Media-Web wie ein Fisch im Wasser. Ob deshalb das Profilbild seines privaten Facebook-Accounts einen Mantarochen zeige? Ginesta stutzt. Was ich sonst noch gesehen hätte auf seiner privaten FacebookSeite, fragt er. Nichts, versichere ich. Trotzdem wird Ginesta im Laufe des Gesprächs diesbezüglich noch zweimal nachfragen. Schweizer sind bekannt für Verschwiegenheit und Solidität. Im Immobiliengeschäft gelten diese Tugenden genauso wie im Bankengeschäft als unbezahlbar. Peter Rabitz von Wetag Consulting Immobiliare in Locarno ist überzeugt, dass die Schweizer Zurückhaltung in diesem Bereich nicht von ungefähr kommt. Der gebürtige Deutsche ist seit mehr als fünf Jahren im Tessin ansässig und arbeitete zuvor in Los Angeles. Er gibt zu bedenken, dass der Social-Media-Boom in den USA nicht zuletzt mit den Eigenheiten des dortigen Marktes zu tun habe. Die Kommunikation sei transparenter, alle möglichen Daten eines Objektes könnten im Internet abgefragt werden und liessen Rückschlüsse auf die private Situation des Eigentümers zu. So etwas sei in der Schweiz undenkbar und mache schliesslich auch die Einzigartigkeit des hiesigen Marktes aus. Es sei nicht nur schlecht, dass man in Deutschland oder der Schweiz vorsichtiger sei, was diese Trends betrifft, gibt sich Rabitz überzeugt. Das Immobiliengeschäft sei «schwer abhängig vom Vertrauen». Und das könne man sich nur erarbeiten, indem man diskret an die Sache herangehe. Schweizer Zurückhaltung Auf den kulturellen Unterschied verweisen manche Marktbeobachter auch mit dem Hinweis, dass die Zurückhaltung nicht ein Spezifikum der Immobilienbranche allein sei, sondern vielmehr der Schweizer Mentalität geschuldet. Während man in den USA über Jahre miteinander Geschäfte machen kann, ohne sich zuvor je persönlich begegnet zu sein, will der Schweizer Vertragsabschlüsse mit einem Händedruck besiegeln. Der Grund für die Zurückhaltung liegt möglicherweise auch im alltäglichen und banal anmutenden Charak- ter der Internetkommunikation. Überspitzt könnte man sagen: Der Schweizer will nicht herumspielen, er will ernsthaft arbeiten. Kommt hinzu, dass in der Schweiz, was Social Media anbelangt, trotz 2,8 Millionen privaten FacebookNutzern diesbezüglich keine Euphorie herrscht. Auch die Diskussion hierzulande etwa bezüglich Mobbing von Schülern über Facebook führt zu mehr Zurückhaltung und Skepsis. Eine Hemmschwelle dürfte ausserdem sein, dass ein Unternehmen, welches im Bereich der neuen Medien aktiv ist, mehr Einsicht in seinen Betrieb gewährt und etwa die einzelnen Mitarbeiter-Persönlichkeiten nach aussen stärker in Erscheinung treten. Aufbau und Pflege des Image Trotzdem glaubt Claude Ginesta, der einen regen Austausch mit der Immobilienbranche in Amerika pflegt, dass der hinaus und hat mehr mit Imagepflege, Kundenbindung und vor allem Dialogbereitschaft zu tun. Wer sich im Vornherein ausrechnet, wie viele Kaufabschlüsse er konkret über seinen Facebook-Account generieren will, sollte gar nicht erst damit anfangen. So zählt Claude Ginesta nicht, wie viele Verkäufe beispielsweise über Facebook zustande gekommen sind: «Das interessiert uns gar nicht», sagt er. Fachleute halten denn auch nichts davon, Social Media als Ersatz für das klassische Marketing zu betrachten: Facebook-Nutzer wollen nicht einfach mit Werbung eingedeckt werden, sie suchen den persönlichen Kontakt und möchten möglichst rasch zu Informationen kommen. Wer hier den Ton verfehlt, falsche Angaben macht, verwackelte Bilder ins Netz stellt oder Anfragen nicht innert weniger Stunden beantwortet, wirkt unglaubwürdig und beschädigt seinen Ruf. «Wir wollten dem Trend der Zeit folgen und mehr im Web präsent sein, gleichzeitig aber etwas Ungewöhnliches bieten.» hiesige Geschäftszweig den Anschluss zu verpassen droht, zumal sich die Nutzung der neuen Medien rasant weiterentwickle. Hiess das Losungswort der amerikanischen Immobilienbranche vor drei Jahren noch «It’s all about blogging», heisst es nun «It’s all about social media». Indes: Der Schweizer Immobilienbranche geht es ausgesprochen gut, was noch nie ein Grund war, eine Marketingstrategie zu ändern. Sicher ist, dass es kein allgemeingültiges Rezept gibt und jedes Unternehmen seine Social-Media-Strategie individuell auf die eigenen Projekte wie auf den Kundenkreis abstimmen muss. Das macht es relativ aufwendig, weil jedes Bauvorhaben, jeder Verkauf und jede Immobilie in gewisser Weise einzigartig sind. Man muss also jedes Mal das Vorgehen anpassen, die Ziele formulieren, die entsprechende Plattform wählen und zudem überlegen, ob man überhaupt die Mitarbeiter für die Betreuung des entsprechenden elektronischen Gefässes hat. In jedem Fall geht ein Auftritt oder eine Präsentation im Social Web über das reine Suchen-und-Finden-Geschäft Als Paradebeispiel für einen professionellen Auftritt darf das im Juli 2011 von Rhombus Partner Immobilien in Zürich lancierte Wohnblog (www.wohnblog.ch) gelten. Man findet hier ein breitgefächertes Forum für Themen rund um Immobilien. Der Schweizer Markt sei nicht ganz einfach zu bedienen, weil der Kunde hier gut informiert, versiert und hochgebildet sei, sagt die Marketing- und Kommunikationsverantwortliche Katerina van der Laan zur Entscheidung, das Wohnblog ins Leben zu rufen. «Wir wollten dem Trend der Zeit folgen und mehr im Web präsent sein, gleichzeitig aber etwas Ungewöhnliches bieten.» Das Ergebnis ist beachtlich: GastBlogger wie ein Steuerberater, ein Experte für Hypotheken oder auch eine Innenarchitektin und eine Floristin beantworten im Blog eingehende Fragen zu Immobilienfinanzierung, zu Gestaltungsfragen oder Innendekoration. Betreut wird das Ganze von einem eigens dafür entlöhnten Redaktor. Die Gast-Blogger arbeiten ehrenamtlich und bekommen dafür eine Plattform, wo sie auf sich aufmerksam machen können. Katerina van der Laan bewirtschaftet gemeinsam mit dem Redaktor das Wohnblog und pflegt die Kontakte mit den Autoren. Wichtig sei es, die eigene Strategie immer wieder zu hinterfragen und allenfalls anzupassen, erklärt van der Laan. So habe man zwar auf Facebook und Twitter die Adressen reserviert, aber man sei überzeugt, dass man nun mit dem Wohnblog die Kundschaft besser zufriedenstellen könne. Die Besucherzahlen auf der Rhombus-Website haben sich seit dem Start des Wohnblogs jedenfalls verdoppelt. Emotionaler Wert Das Beispiel des Wohnblogs illustriert, wie die zunehmende Etablierung der Social Media den Auftritt der Immobilienbranche in den kommenden Jahren verändern könnte. Der Einstieg in diese Form der Marketingkommunikation erfordert Innovationsgeist und Experimentierfreude. So hat zum Beispiel Halter Unternehmungen vor zwei Jahren beim Bau der Luzerner Sportarena ein spezielles Internetportal eingerichtet, das sowohl allgemeine Informationen bot wie auch ein Baustellenforum via Twitter umfasste, bei dem die Anwohner sich über den Fortschritt des Projektes informieren konnten. Während die laufend aktualisierten Baustellenfotos reges Interesse fanden, stellte sich laut dem Mediensprecher Lukas Widmer relativ wenig Interaktion auf Twitter ein. Tatsächlich gibt es kein Rezept bezüglich der Nutzung von Social Media. Es gilt von Fall zu Fall zu unterscheiden, ob man ein Neubauprojekt vorstellen will oder eine Bestandesimmobilie im Verkauf betreut. Letztlich sei immer noch der persönliche Kontakt entscheidend, betont Lukas Widmer. Wo es um reines Absatzmarketing geht wie bei Mietwohnungen, wird Facebook zumindest als geeigneter Kanal zur Öffentlichmachung betrachtet. Grundsätzlich scheint die multimediale Darstellung, wie sie die Präsentation auf Social-Media-Kanälen ermöglicht, dem Immobiliengeschäft entgegenzukommen, da jeder Immobilie ein emotionales Moment anhaftet. Für die meisten Menschen ist der Erwerb eines Eigenheims die grösste Investition im Leben. Und der gefühlte Wert einer Immobilie lässt sich eben in weichen Faktoren wie Bildern oder Beschreibungen des urbanen Umfelds besser ausdrücken als in Zahlen und Fakten. Peter Rabitz versucht diesem Aspekt Rechnung zu tragen, indem er auf der Homepage derzeit eine spezifi- sche Form der Dienstleistung aufbaut. Neben dem Schweizer Kundenkreis gebe es zunehmend Interessenten aus anderen Ländern, die ihren Wohnsitz in die Schweiz verlegen möchten. Über Twitter kommuniziert man bei Wetag hauptsächlich mit Medienvertretern. Facebook bietet laut Rabitz eine Möglichkeit, die diversen Kanäle miteinander zu verbinden und potenzielle Kunden, Liebhaber und Freunde des Tessins zusammenzuführen. «Swiss Mediterranean Lifestyle Blog» nennt sich das Zauberwort, unter dem sich all die schönen Themen zu Architektur, Kultur, Wohnen und Lebensqualität im Tessin finden. «Wir versuchen unseren Freunden oder Followern zu zeigen, weshalb das Tessin einer der schönsten Plätze der Welt ist und was man an Liegenschaften so erwarten kann», erklärt Peter Rabitz. Natürlich sei das ein merklicher Mehraufwand, der sich von dem kleinen Team aber dank diversen Tools ganz gut bewerkstelligen lasse. Jene, die Social Media nutzen, sind sich jedenfalls einig, dass diese Kanäle gerade auch kleinen Firmen immense Möglichkeiten bieten. Abgesehen vom personellen Aufwand liesse sich sehr kostengünstig ein schrankenloser Markt erschliessen, wenn erst die technischen Voraussetzungen einmal geschaffen seien, so der Tenor. In Amerika kaufe keiner ein Haus ohne Makler. In der Schweiz bestehe noch Scheu, die Vermittlung von Eigentum jemand Fremdem anzuvertrauen, sagt Katerina van der Laan. Sie ist indes überzeugt, dass dieser Branchenzweig auch in der Schweiz wichtiger werden wird und deshalb zukünftig die Social Media mit ihrem Potenzial zur Vernetzung und zum Dialog auch verstärkt genutzt werden. Die Käufer von morgen Claude Ginesta hat Anfang April in seinem Blog die Diskussion um die Zweitwohnungsinitiative aufgegriffen. Niemand habe ihm geantwortet, erzählt er. Er habe schon kontrolliert, ob er den Beitrag auch richtig gepostet habe. «Aber vielleicht will auch einfach niemand mit mir darüber reden», fügt er augenzwinkernd hinzu. Marktbeobachter würden Ginesta trotzdem recht geben. Man muss sich bereits jetzt mit den Neuerungen beschäftigen, um für die Zukunft gerüstet zu sein. Denn jene, die mit den Social Media aufwuchsen, sind nun zwischen 20 und 30 Jahre alt. In einigen wenigen Jahren werden auch sie anfangen, über einen Hauskauf nachzudenken.