Predigt über Joh. 13 am 26. Oktober 2008 Prof. Schmidt-Rost

Transcription

Predigt über Joh. 13 am 26. Oktober 2008 Prof. Schmidt-Rost
„Johannes – der Medienexperte“
Predigtreihe im akademischen Gottesdienst in der
Evangelischen Schlosskirche der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu
Bonn
im Wintersemester 2008/2009
Gottesdienst am 26. Oktober 2008
„Vorbereitungsdienst“
Predigt: Reinhard Schmidt-Rost
Gott,
du überraschst uns mit Deiner Güte,
wir fühlen, wie eng die Grenzen sind,
die uns Angst und Einsamkeit,
Konkurrenz und Leistungsstreben ziehen.
Wir bitten, befreie uns aus unseren Grenzen
Durch deine Liebe.
Gott,
du unterbrichst unsere Selbstgespräche
durch Dein Wort,
und zeigst uns Bilder eines Lebens,
das uns sonst niemand vorstellt,
Wir bitten Dich öffne uns die Ohren und die
Herzen für die Eindrücke deiner Liebe und Wahrheit,
die so neu nicht sind, uns aber immer wieder
in Erstaunen setzen.
Gott,
du übermalst unsere schwarz-weißen
Gedanken durch die vielfarbige Vielfalt Deiner Phantasie.
Wir leiden unter Verantwortung und Schuld und kommen
doch als Menschen davon gar nicht los.
Wir sehen schnell Verfall und Katastrophe und denken,
diese eine Dimension sei unser ganzes Leben.
Laß unsere Augen die Vielfalt Deiner Geschöpfe
Erkennen und genießen.
Herr, erbarme Dich.
Kyrie eleison
1
Gott,
du siehst uns als Deine Kinder an,
Du siehst in uns viel mehr, als wir uns je zu sehen trauen.
Öffne unsere Herzen, dass wir Deine Liebe auf uns wirken lassen.
Ehre sei Gott …
Gott,
dich verehren wir als das Höchste Gute,
als die wahre Liebe.
Gib uns den Mut,
bei dieser einen Vorstellungen zu bleiben,
unsere Ohren zu verschließen vor denen,
die uns in Deinem Namen Angst machen wollen
und die Herzen zu öffnen für jeden Gedanken,
der uns die Schönheit des Lebens ausmalt,
das du uns geschenkt hast.
Fürbitte
Gott,
der Du die Güte und Liebe bist,
durchdringe uns mit der Kraft Deines Geistes,
dass wir Abstand gewinnen von den schrecklichen Vorstellungen,
die uns in unserer Sünde und Schuld verhaften,
stärke uns täglich neu durch die Kraft der Liebe,
mit der Du uns von Mutterleibe an begleitest,
dass wir uns anerkennen können,
uns selbst und dann auch andere,
wie Du uns von Anfang an anerkannt hast,
dass wir keine mächtigeren Zeichen suchen,
um Deine Wirkung zu beweisen
als eben die Auswirkungen Deiner Liebe und Güte,
die uns entlasten von unseren Makeln und Missetaten
und uns befreien zum mutigen Zeugnis für diesen deinen Willen,
daß wir einander annehmen und würdigen, wie Du uns
von allem Anfang an gewürdigt hast.
Amen.
2
Predigt über Joh. 13, 1- 16
Liebe Gemeinde!
Was wir wissen, wissen wir zum größten Teil aus den Massenmedien. Der Anteil
an Wissen aus der unmittelbaren Erfahrung ist demgegenüber sehr gering. Was
wüssten wir schon über die Stadt Bonn ohne die lokalen Zeitungen, was wüssten
wir über die Kirche, wenn sie nicht Teil der Darstellung in den Medien wäre?
Gewiss haben die modernen elektronischen Medien diesen Sachverhalt besonders
ins Bewußtsein gerückt, aber die Bedeutung von Massen-Medien reicht weit
zurück. Seit es große Reiche mit differenzierter Kultur gab, also fast seit dem
dritten Jahrtausend vor Christus war die mediale Verbreitung von Informationen
eine kulturelle Grundlage aller Gesellschaften. Reichsweite Reichweite war ein
wesentlicher Faktor der Herrschaft und ihres Bestandes.
Die Christenheit hat sich die Entwicklung der Medien zu nutze gemacht, zur
Verbreitung der Botschaft von Christus – und hat dabei von Anfang an technische
Neuerungen genutzt und Erfindungen mit gefördert. Schon der Codex, die
gegenüber der Rollenform neue Technik der Buchproduktion spielte für die junge
Christenheit eine bedeutende Rolle, von der Briefpost zu Wasser und zu Lande
ganz abgesehen. Die briefliche Verbreitungstechnik war nicht mehr so neu, aber die
Taschenbuch-Produktion, also die Codices mit einzelnen Blättern, dass war eine
Technik, die die Verbreitung einzelner Schriften erleichterte, ja einzelne
Geschichten schriftlich zu verbreiten erlaubte, das Gedächtnis und die mündliche
Verbreitung traten im 1. Jh. der neuen Zeit mehr und mehr zurück.
Der Evangelist Johannes muß ein Kenner der neuen Medienmöglichkeiten gewesen
sein, denn er nutzte diese Technik nicht nur als solche, sondern auch in der
Gestaltung seiner Texte, notierte und zitierte nicht nur die Gleichnisse, die schon
Jesus von Nazareth benutzt hatte, um seine Lehren mediengerecht, also leicht
fasslich zu formulieren, so hatten es die anderen Evangelisten getan, sondern er
entwarf eine eigene mediale Sprache, eine Welt von Bildern, die Vorstellungen von
Gott zur Anschauung brachten, wie man es bisher kaum gehört hatte. Er hatte zwar
noch keinen Diaprojektor und keinen Beamer, aber seine Bilder von Gott blieben
nicht bei der traditionellen Mediengestalt der Persona hängen, sein Gottesbild war
vielfältig: Tür, Weg, Wahrheit, Brot, Wein … wir werden noch einige dieser Bilder
in diesem Semester betrachten.
Die Zeichenhandlung, die er heute vor unseren Augen abrollen lässt, ist eine eigene
Schöpfung, ziemlich frei gestaltet, natürlich eng an der Realität, aber doch in einer
für diesen Evangelisten typischen Gestaltung mit einem Dialog, einem
3
Lehrgespräch als Erläuterung. Wie ein kleiner Spielfilm, ein Einakter auf dem
Theater, läuft diese Geschichte ab, sie ist natürlich kein Tatsachenbericht, - wer
wollte bei Medienprodukten schon von Tatsachen reden, aber wenn solche
Medienprodukte nicht auf Wirklichkeit verweisen würden, - denken Sie etwa an
Werbespots in verschiedenen Medien – wären sie gar nicht verständlich, so aber
teilen sie einen bestimmten Sachgehalt mit und regen zugleich die Phantasie ihrer
Hörer an, sind also für unterschiedliche Deutungen offen.
Vor dem Passafest aber erkannte Jesus, dass seine Stunde gekommen war, dass er
aus dieser Welt ginge zum Vater; und wie er die Seinen geliebt hatte, die in der
Welt waren, so liebte er sie bis ans Ende. 2 Und beim Abendessen, als schon der
Teufel dem Judas, Simons Sohn, dem Iskariot, ins Herz gegeben hatte, ihn zu
verraten, 3 Jesus aber wusste, dass ihm der Vater alles in seine Hände gegeben
hatte und dass er von Gott gekommen war und zu Gott ging, 4 da stand er vom
Mahl auf, legte sein Obergewand ab und nahm einen Schurz und umgürtete sich. 5
Danach goss er Wasser in ein Becken, fing an, den Jüngern die Füße zu waschen,
und trocknete sie mit dem Schurz, mit dem er umgürtet war. 6 Da kam er zu Simon
Petrus; der sprach zu ihm: Herr, solltest du mir die Füße waschen? 7 Jesus
antwortete und sprach zu ihm: Was ich tue, das verstehst du jetzt nicht; du wirst es
aber hernach erfahren. 8 Da sprach Petrus zu ihm: Nimmermehr sollst du mir die
Füße waschen! Jesus antwortete ihm: Wenn ich dich nicht wasche, so hast du kein
Teil an mir. 9 Spricht zu ihm Simon Petrus: Herr, nicht die Füße allein, sondern
auch die Hände und das Haupt! 10 Spricht Jesus zu ihm: Wer gewaschen ist,
bedarf nichts, als dass ihm die Füße gewaschen werden; denn er ist ganz rein. Und
ihr seid rein, aber nicht alle. 11 Denn er kannte seinen Verräter; darum sprach er:
Ihr seid nicht alle rein. 12 Als er nun ihre Füße gewaschen hatte, nahm er seine
Kleider und setzte sich wieder nieder und sprach zu ihnen: Wisst ihr, was ich euch
getan habe? 13 Ihr nennt mich Meister und Herr und sagt es mit Recht, denn ich
bin's auch. 14 Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen
habe, so sollt auch ihr euch untereinander die Füße waschen. 15 Ein Beispiel habe
ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe.
16 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Der Knecht ist nicht größer als sein Herr
und der Apostel nicht größer als der, der ihn gesandt hat.
Liebe Gemeinde!
Liebe Kinder: vor dem Essen - Hände waschen nicht vergessen, eine Grundregel
der Hygiene in der Kindererziehung seit alter Zeit. Auch die Füße wusch man sich
vor dem Essen, da man zu Tische lag oder am Boden hockte, die Füße den Speisen
also recht nahe waren, - eine Haltung, die moderne Mitteleuropäer allenfalls beim
4
Picknick im Freien einnehmen, auch in der schlichtesten Mensa essen Studenten
sitzend an Tischen, seit Jahrhunderten.
Und damals wie heute erfolgt die Reinigung vor dem Essen, nicht während des
Essens. Jesus aber steht während des Mahles auf, mitten drin und wäscht seinen
Jüngern die Füße, nicht vor, sondern während des Essens: Er gibt demnach kein
Beispiel für sachgemäße Hygiene, sondern setzt ein Zeichen in anderer Hinsicht:
Dieser Waschgang hat seinen spezifischen Sinn, seine Aussageintention nicht in
der physischen Reinigung. Was aber drückt diese kurze Spielszene dann aus?
(Denken Sie zum Vergleich an einen Werbefilm für ein Luxus-Auto, bei dem der
Fahrer auf der Beifahrer-Seite einsteigt, um auszudrücken, man fährt in diesem
Auto, als würde man gefahren.)
Über diese kurze Szene entspinnt sich ein Dialog zwischen Jesus und Petrus, dem
anerkannten Wortführer der Jünger:
Petrus wehrt sich zunächst vehement gegen das Fußbad, weil er die Autorität seines
Lehrers gefährdet sieht. Wie kann er die Lehre Jesu noch ernst nehmen, wenn sein
Lehrer derart niedere Dienste leistet? Der Herr und Meister darf sich doch nicht
selbst zum Sklaven machen!
Man kann Petrus durchaus verstehen, ein Dozent sollte es sich schon überlegen, ob
er seinen Studenten die Lektüre fotokopiert. Zwar sind in Zeiten demokratischer
Gesinnung und partnerschaftlichen Beziehungen auch an Universitäten eigenartige
Lehrer-Schüler-Konstellationen zu beobachten, zumal im Zeitalter der Evaluierung
von Lehranstalten unter Kundendienst-Aspekten, aber um solche
Autoritätsverschiebungen und –verschiefungen geht es bei dieser Szene sicher
nicht; dieses Missverständnis wird nur nahe gelegt, um es auszuschließen. Jesus
lehrt seine Jünger gerade durch dieses eigenartige Zeichen, gibt also seine
Lehrerfunktion gerade nicht auf, aber es ist eine komplizierte Lektion! Sicher ist
zunächst nur dies: Es geht nicht um „Unterwerfung“, es ist kein
Herrschaftswechsel, der Lehrer soll nicht etwa dauerhaft Diener seiner Schüler
werden: „Ich bin euer Meister – und ihr sagt das zurecht. Es geht nicht um eine
Umkehrung der Herrschaftsverhältnisse, dagegen hätte sich Petrus zu Recht
gewehrt.
Bedeutet das Zeichen also doch: Richtige Reinigung? Das hört Petrus aus Jesu
Erklärung zunächst heraus: „Wenn ich Dir nicht die Füße wasche, so hast Du
keinen Teil an mir“ – das hört Petrus und denkt: Wenn es also keine unangebrachte
Demutsgeste unseres Lehrers ist, dann ist es doch eine Reinigung von allem, was
5
mich belastet, von aller Schuld und allem Versagen, so wie man es aus der
Vergangenheit gewohnt war und aus verschiedenen Religionen kannte. Jesus – so
denkt Petrus – bringt uns Jünger auf seinen Stand vor Gott, er macht uns rein und
damit sich selbst gleich oder ähnlich. Dann aber, denkt Petrus konsequent, will ich
eine Ganzkörper-Reinigung haben, ein Vollbad und nicht nur ein Fußbad, viel hilft
viel, denkt er und spricht es aus.
Das ist das zweite Missverständnis des Petrus, ein naheliegendes, darauf lief es ja
auch in der Dramatik der Szene hinaus – und er steht mit seinem Unverständnis
beileibe nicht allein. Sein Nachfolger im 21. Jh. z.B. hat am Gründonnerstag 2008
in seiner Predigt zur traditionellen Fußwaschung in Rom genau diese Deutung
gepredigt:
"Tag für Tag sind wir wie übersät von vielgestaltigem Schmutz - von leeren
Phrasen, von Vorurteilen, von Wissen, das halb ist und verbogen." Das Innere der
Menschen (ist) von "Halbwahrheiten" oder "offener Falschheit" bedroht. "All dies
trübt und befleckt unsere Seele, bedroht uns mit der Unfähigkeit zur Wahrheit und
zum Guten", sagte Benedikt weiter. "Nehmen wir aber die Worte Jesu mit
aufmerksamem Herzen auf, erweisen sie sich als wahre Waschungen, als
Reinigungen der Seele, des inneren Menschen."
Die Fußwaschung als rituelles Sündenbad? Ist das der Sinn dieses Zeichens? Die
Kirche als Großreinigungsanstalt für Menschen-Seelen, für jeden einzelnen für sich
– und dann auch für alle? So haben es viele Generationen nach Christus verstanden,
Katholiken wie Lutheraner, (beim Abendmahl werden die Sünden sogar mit Christi
Blut abgewaschen) immer wieder haben Christen ihre Sünden bekannt, aber sich
auch wechselseitig wegen ihrer Sünden angeklagt und wegen mangelnden
Glaubens verurteilt – und haben damit den üblichen Weg gesellschaftlicher Praxis
beschritten: Schuld, Strafe, Sühne – und das alles im Namen des Weltenrichters
Christus. Das hätte stutzig machen können (Der Unterschied zwischen Protestanten
und Katholiken liegt dabei höchsten darin, dass sich die Protestanten auch im
Glauben an die Gnade Gottes, der allen einzeln die Sünde abwäscht, noch
persönlich verantwortlich fühlen, während die katholischen Christen ihre
Verantwortung der großen Mutter Kirche in der Beichte übertragen können – und
dafür auf ein Stück individuelle Verantwortung verzichten, sie aber auch ablegen
können. Die evangelischen Christen müssen sich dauernd fragen, ob sie sich genug
gewaschen haben, ob sie also fest genug an die befreiende, reinigende Wirkung der
Gnade glauben.
Wenn man aber die Abweichung vom Üblichen in dieser Geschichte näher
betrachtet und richtig ernst nimmt, dann muß man die Fußwäsche während des
6
Mahles als einen Ausdruck des Besonderen besonders beachten und ausdeuten; wie
in jedem gestalteten Kunstwerk, ob Buch, ob Film, ob Gemälde, enthält ja die
Abweichung die besondere Aussage.
Und dies ist das Besondere: Es geht Jesus eben nicht um ein Reinigungsbad für den
einzelnen, das hätte vor dem Essen seinen Ort gehabt, es geht also gar nicht um
Verantwortung, Schuld, Sünde der einzelnen, das beschäftigt und belastet die Leute
zwar immer wieder, auch uns, aber damit hält sich Jesus nicht auf; schuldig wird
jeder immer wieder. Davon handeln alle Religionen, die die einzelnen in ein heiles
Verhältnis zu ihrer Gottheit bringen wollen; mit Verantwortung und Schuld des
einzelnen gehen auch alle Gesetzeswerke um, die Ordnung in eine Gesellschaft
bringen sollen.
Jesu Auftrag aber ist offenbar nicht konservativ und individuell, sondern progressiv
und sozial. Er predigt von einer Ordnung, die durch Flexibilität gemeinsames
Leben fördert.
13 Ihr nennt mich Meister und Herr und sagt es mit Recht, denn ich bin's auch. 14 Wenn nun ich,
euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt auch ihr euch untereinander die
Füße waschen. 15 Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe.
Liebe Gemeinde!
Hat Ihnen schon einmal jemand die Füße gewaschen, ich meine jetzt keinen
professionellen Fußpfleger, sondern einen Verwandten, einen Freund? Gewaschen
und massiert?
Das ist ein Vorgang, der zwei Menschen einander sehr nahe bringt. Wer sich die
Füße waschen lässt, muß Vertrauen haben zu dem, der ihn wäscht. Nicht von
ungefähr kostet es alte Menschen, die an ihre Füße nicht mehr hinreichen können,
viel Überwindung, sich an die Wäsche, gerade auch an die Fußwäsche durch einen
anderen Menschen zu gewöhnen.
Das hat vor allem damit zu tun, dass in unseren Füßen viele Nervenstränge enden,
die für unseren ganzen Organismus große Bedeutung haben. Die Berührung dieser
Nerven strahlt weit in unseren Körper aus. Eine Fußwäsche ist eine sehr
persönliche Berührung, sie bedeutet eine tiefe, einfühlsame Begegnung.
Nun nähern wir uns dem Grundmotiv, dass Jesus seinen Jüngern im Zeichen der
Fußwaschung vermitteln wollte: Geht aufeinander ein, achtet einander in euren
Besonderheiten, geht schonend miteinander um, tretet euch nicht auf die Füße,
weder tatsächlich noch im übertragenen Sinn, geht rücksichtsvoll miteinander um.
Nehmt Rücksicht auf die Besonderheiten, nur so werdet ihr das Leben finden und
fördern.
7
Liebe Gemeinde!
Manche Ausleger haben die Szene so verstehen wollen, als ob Johannes hier nur
für einen engen Jüngerkreis geschrieben hätte, sozusagen für eine Kerngemeinde;
Solche Liebesdienste wie eine Fußwaschung seien nur im Schutzraum einer kleinen
Gemeinschaft möglich und auf Dauer zu praktizieren. Aber Spuren solcher
einfühlsamen Rücksichtnahme auf die Besonderheit eines jeden Menschen finden
sich auch sonst in der Predigt des Jesus von Nazareth, wenn er von Gott als Liebe
spricht, der den Menschen entgegenkommt, diese Auffassung durchzieht das ganze
NT (Phil. 2 – Matth. 5, Matth. 20 – Lukas 15) überall ist davon die Rede, dass Gott
nur als entgegenkommende Liebe im menschlichen Leben zu denken und zu fühlen
ist. Die Fußwaschung ist ein Zeichen liebevoller Zuwendung, eine solche
Zuwendung können alle Menschen erleben und als Erfahrung festhalten, auch wenn
sie nicht real als Fußwaschung durchgeführt wird. Aber wenn man diese
Geschichte in der Erinnerung mehrfach ablaufen lässt, wirkt sie, wie die
Geschichten, die in den modernen Massenmedien ununterbrochen erzählt werden
und unser Bewusstsein beeinflussen, und sie wirkt schonend aufweckend, während
die Unterhaltungsmassenmedien seit dem alten Olympia unterscheidend und
schockierend wirken, auf jeden Fall Menschen gegeneinander verschließen.
Liebe Gemeinde!
Jesus bereitet seine Jünger auf ihren Dienst vor. Sie sollen das Leben in der
Wahrheit der Liebe und Güte kennen und vom Leben in Abgrenzung, Konkurrenz
und Gewalt zu unterscheiden lernen.
Jesus will seine Jünger zum Leben in der Wahrheit führen, so drückt es Johannes
aus – und spult immer neue Szenen und Reden ab, die die beeinflussen, die sie auf
sich wirken lassen. Spätestens aus seinen Briefen aber wissen wir es auch
ausdrücklich, dass er nach Bildern für die Wirkung der Liebe suchte. Nur die Liebe
galt ihm als das Medium, in dem sich Menschen wahrhaftig begegnen, ihr Wesen
wirklich entfalten können.
Ihm geht es um Leben in der Wahrheit, die Wahrheit als Medium des Lebens – und
dieses Leben ergibt sich nicht aus der Rechtfertigung des einzelnen vor Gott,
sondern aus einer gegenseitigen Anteilnahme, die keine Herrschaft der einen über
die anderen kennt, auch keine Unterwerfung, sondern alle Menschen als
gleichwürdig ansieht – und alle füreinander in Dienst nimmt.
Jesus sorgt sich nicht um den einzelnen, um seine Reinigung, um seine Schuld, es
geht weder um Hygiene des Leibes noch der Seele, sondern um alles, was zum
Leben führt: Wie kann zur Geltung kommen, was die Menschen ausmacht, sie
auszeichnet? Dass sich Menschen immer wieder gegenseitig in den Schatten
8
stellen, sich nicht wirken lassen wollen, diese Erfahrung hat Jesus, hat auch der
Evangelist Johannes reichlich und wenig erfreulich machen müssen. Diese
offensichtlich angeborene Unfähigkeit, den anderen gelten zu lassen, kann man
durchaus als Sünde bezeichnen. Aber wenn es denn allen Menschen gemeinsam
und allgemein bekannt ist, dann braucht man sich dabei doch nicht aufhalten.
Der Weg zum Leben aber führt über eine gegenseitige schonungs- und
achtungsvolle Behandlung, die die Besonderheiten der anderen überhaupt erst
erkennt und dann auch anerkennt.
Das ist die schlichte Botschaft Jesu, für die er sein Leben gelassen hat, weil sie die
Maßstäbe und Ordnungen der Gesellschaft, damals wie heute aufrührt.
Wem das zu schlicht klingt, der schaue sich in den Massenmedien unserer Zeit um:
Dort gibt es im Grunde auch nur eine Botschaft, und die lautet bekanntlich: Macht
etwas aus den Unterschieden zu Eurem Nutzen. Werdet Sieger. Gewinnt die Braut!
Schlagt Kapital aus Euren Begabungen. Schießt Tore, werdet Winner. Oder
schwarz gemalt: Seht die Verbrecher, haltet den Dieb, stellt euch nicht mit denen
auf eine Stufe.
Es fällt stark auf, wenn die Botschaft Christi auch einmal durchdringt: Führt Eure
Mitmenschen zu ihren Möglichkeiten, aber so, daß Ihr euch dabei nicht selbst
aufgebt, - das wäre wieder das unfrohe Wechselspiel zwischen Herr und Knecht.
Das Zeichen der Fußwaschung bereitet die Jünger auf ihren Dienst als Entdecker
vor, sie sollen die Besonderheiten aller Menschen entdecken und zu würdigen
lernen.
Liebe Gemeinde!
Diese Botschaft ist so schlicht und zugleich so ausgefallen, dass ich mich immer
wieder mit Ihnen hier treffen muß, damit ich Sie fragen kann: Liege ich wirklich
schief damit, ist das alles nicht nur gegen den Trend, sondern auch ganz falsch?
So verstehe ich den Gottesdienst: Dass wir uns verständigen und bestärken, ob wir
die Sendung richtig verstanden haben: Gott ist Güte – und aus dieser Kraft leben
wir alle.
Dass solche Gedanken wie eine neue Geburt wirken können, davon wollen wir am
nächsten Sonntag hören …
heute aber das Bild der Fußwaschung mit uns nehmen und daran erkennen, dass
Leben aus der vertrauensvollen Annäherung fließt und nicht am Waschen und
Spülen an den Spuren unserer Verantwortung und Schuld. Dazu ermutige uns Gott,
der Geist der Liebe.
Amen.
9