PDF-Dokument - Evangelische Kirche von Kurhessen

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Wann lebst Du?
Arbeitshilfe für den Gottesdienst am Buß- und Bettag, 20.11.2013
Einführung
In vielen Gemeinden spielt der Buß- und Bettagsgottesdienst auch an
einem nicht arbeitsfreien Feiertag eine besondere Rolle: Mehrere
Gemeinden feiern zusammen; Gäste halten die Predigt; es sind viele aktiv
beteiligt; man lädt Personen des öffentlichen Lebens ein; die Plakate mit
dem Motiv der Kampagne werden genutzt; es gibt eine gezielte Presseund Öffentlichkeitskampagne. – Dies sind Erfahrungen, die wir auch gern
als Anregung weiter geben.
Wieder bieten wir zwei Liturgieentwürfe. Beide folgen im Ablauf der
Ordnung IV, „Buß- und Bittgottesdienst“, der Evangelischen Kirche von
Kurhessen-Waldeck. Liturgie I ist eher auf traditionsorientierte Zielgruppen
ausgerichtet. Texte der Agende wurden zusammengestellt und bearbeitet.
Die alternative Liturgie wurde fast vollständig neu formuliert. Sie ist für
Gottesdienste mit Jugendlichen, auch besonders in Schulen gedacht. Die
darin vorgeschlagenen Handlungs- und Beteiligungselemente können
ergänzt oder variiert werden. Stärker als der erste Entwurf ist der zweite
auf aktive Mitwirkung hin angelegt. Seine musikalische Gestaltung will
besonders vorbereitet sein.
Die Predigt und der Text zur Meditation des Plakatmotivs können
alternativ verwendet werden.
Sollen Texte externer Autoren vollständig zitiert werden, sollen sie insbes.
in schriftlichen Vorlagen oder über Tonträger in Verbindung mit der Musik
im Gottesdienst Verwendung finden, so ist sehr genau auf die Rechte zu
achten (im Zweifelsfall die Kreisbeauftragten für Kirchenmusik zu Rate
ziehen).
Soll eine Abendmahlsfeier eingefügt werden, so findet sie besser in der
ersten Form ihren Ort. Sie beginnt dann nach dem Zuspruch der
Vergebung und einer kurzen Überleitung oder einem Lied mit den
Einsetzungsworten. Die gegenseitige Zusage des Friedens würde dann
ggf. in die Mahlfeier integriert.
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Auch der vorgesehene Segenszuspruch mit Handauflegung oder
alternativ der Friedensgruß mit Austausch eines Friedenszeichens eignen
sich eher zur Einfügung in die erste Form. Die zweite Form bietet bereits
andere Handlungselemente und sollte nicht „überfrachtet“ werden.
Zur Handauflegung wird die Gemeinde eingeladen, in kleinen Gruppen an
den Altar zu treten und sich -wahlweise - im Stehen oder im Knien segnen
zu lassen. Jeder und jedem einzelnen werden die Hände aufgelegt und ein
biblisches Segens-/Vergebungswort zugesprochen, z.B.
- Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit ( 2. Kor. 3,17)
- Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur, das Alte ist
vergangen, siehe, alles ist neu geworden. (2. Kor. 5,17)
- Ich will dich segnen… und du sollst ein Segen sein. ( 1. Mose 12,2)
Der Segenszuspruch kann für die kleine Gruppe mit einer kurzen
Sendeformel, z.B. „Gehet hin in Frieden“, und mit der Segnung im Zeichen
des Kreuzes enden. Zum Abschluss der Handlung sollte allen
Gemeindegliedern, besonders auch denen, die nicht nach vorn gekommen
sind, insgesamt ein Segenswort zugesprochen werden, z.B. „Die Gnade
unseres Herrn Jesus Christus sei und bleibe mit Euch allen“, wie es den
Schlussversen der Paulusbriefe entspricht. Bei größeren Gemeinden kann
die Segnung auch an mehreren Orten im Kirchenraum angeboten werden,
dementsprechend sollten z.B. Kirchenälteste, Kirchenvorsteherinnen,
Lektoren und Prädikantinnen mitwirken.
Helmut Wöllenstein
Marburg, Oktober 2013
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Inhaltsverzeichnis
I
Liturgie ............................................................................................. 7
II
Alternative Liturgie ......................................................................... 17
III
Predigt –
auch für Lektoren und Lektorinnen geeignet .................................. 29
IV
Meditation zum Plakatmotiv der
Buß- und Bettagskampagne 2013.................................................. 33
V
Kontexte......................................................................................... 37
Impressum ............................................................................................ 42
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I. LITURGIE
MUSIK
BITTE UM DEN HEILIGEN GEIST
EG 134,1 Komm, o komm, du Geist des Lebens
BEGRÜSSUNG
An dieser Stelle kann die Kanzelabkündigung des Bischofs gelesen
werden oder nach dem Lied nach der Predigt
LIED
EG 476,1-3 Die Sonn hat sich mit ihrem Glanz
oder
EG 491,1-4 Bevor die Sonne sinkt
oder
EG 451, 1-5 Mein erst Gefühl sei Preis und Dank
PSALM
Ps 139 (EG 754)
Herr, du erforschest mich
und kennest mich.
Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es;
du verstehst meine Gedanken von ferne.
Ich gehe oder liege, so bist du um mich
und siehst alle meine Wege.
Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge,
das du, Herr, nicht schon wüsstest.
Von allen Seiten umgibst du mich
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und hältst deine Hand über mir.
Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch,
ich kann sie nicht begreifen.
Wohin soll ich gehen vor deinem Geist,
und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht?
Führe ich gen Himmel, so bist du da;
bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da.
Nähme ich Flügel der Morgenröte
und bliebe am äußersten Meer,
so würde auch dort deine Hand mich führen
und deine Rechte mich halten.
Spräche ich: Finsternis möge mich decken
und Nacht statt Licht um mich sein –,
so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir,
und die Nacht leuchtete wie der Tag.
Finsternis ist wie das Licht.
Denn du hast meine Nieren bereitet
und hast mich gebildet im Mutterleibe.
Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin;
wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.
Es war dir mein Gebein nicht verborgen,
als ich im Verborgenen gemacht wurde,
als ich gebildet wurde unten in der Erde.
Deine Augen sahen mich,
als ich noch nicht bereitet war,
und alle Tage waren in dein Buch geschrieben,
die noch werden sollten und von denen keiner da war.
Aber wie schwer sind für mich, Gott, deine Gedanken!
Wie ist ihre Summe so groß!
Wollte ich sie zählen, so wären sie mehr als der Sand:
Am Ende bin ich noch immer bei dir.
Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz;
prüfe mich und erkenne, wie ich’s meine.
Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin,
und leite mich auf ewigem Wege.
oder
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Ps 39 (EG 722)
oder
Ps 67 (EG 730)
mit EG 190.2 Christe, du Lamm Gottes
GEBET
Herr, unser Gott,
du gönnst uns das Licht unserer Augen,
du hast unsere Geburt gewollt,
nicht für das Dunkel hast du uns gemacht,
nicht für den Tod,
sondern um zu leben auf dich hin mit ganzem Herzen.
Nimm uns bei der Hand,
führe uns zum Guten, zum Leben
heute und in Ewigkeit.
(Agende I,2 Nr. 989)
oder
Gott, deine Zeit ist jetzt
und du gibst sie uns.
Doch wir verklären die guten Tage von gestern,
malen uns aus, wie es morgen sein wird,
und sagen heute: Ich habe keine Zeit.
Wir bitten dich:
Erinnere uns täglich,
daß jetzt Zeit ist,
deine Gnade zu empfangen
und heil zu werden durch Jesus Christus.
(Agende I,1 Nr. 647)
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LESUNG
Der reiche Jüngling (Mk 10,17-27)
oder
Die blutflüssige Frau (Mk 5,24b-34)
oder
Alles hat seine Zeit (Pred 3,1-15)
Spruch nach der Lesung:
„Jesus Christus spricht: Ich lebe, und ihr sollt auch leben.“
(Joh 14,19)
LIED
(je nach Lesung)
EG 584,1-4 Meine engen Grenzen
oder
EG 352 Alles ist an Gottes Segen
oder
EG 414 Lass mich, o Herr
PREDIGT
Mt 13,44-46
LIED
EG 346, Such wer das will ein ander Ziel
oder
EG 324, 1-7.14 Ich singe dir mit Herz und Mund
oder
EG 614 Lass uns in deinem Namen
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An dieser Stelle kann die Kanzelabkündigung des Bischofs gelesen
werden oder bei der Begrüßung
VERLESUNG DER 10 GEBOTE
Wie einst das Volk Israel am Berg Sinai stehen auch wir vor Gott und hören
seine Gebote – Weisungen zum Leben
Ich bin der Herr, dein Gott.
Du sollst nicht andere Götter haben neben mir.
Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht unnütz gebrauchen;
denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen
mißbraucht.
Du sollst den Feiertag heiligen.
Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren,
auf daß dir's wohlgehe und du lange lebest auf Erden.
Du sollst nicht töten.
Du sollst nicht ehebrechen.
Du sollst nicht stehlen.
Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.
Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus.
Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Vieh
noch alles, was sein ist.
(Agende I,2 Nr.1144)
Es folgt entweder A: Sündenbekenntnis mit Zuspruch oder B: Klage und
Zuspruch
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A
SÜNDENBEKENNTNIS MIT ZUSPRUCH DER VERGEBUNG
Die Welt ist nicht so, wie sie sein sollte,
und das Leben oft nicht so, wie wir es uns wünschen.
Manchmal denken wir: Gott ist unendlich weit weg,
er kennt mich nicht und hört nicht, wenn ich bete.
Die Welt ist nicht so, wie sie sein sollte,
und das Leben oft nicht so, wie wir es uns erhofft haben.
Überall auf der Welt wird Menschenleben zerstört im Krieg, durch Hunger, aus Hass, durch Unachtsamkeit.
Manchmal auch in unserer Nähe.
Dann kommt die Angst: Auch ich werde klein gemacht.
Die Welt ist nicht so, wie sie sein sollte,
und das Leben oft nicht so, wie wir es geplant haben.
Manchmal sind wir wie gefangen, eingeengt, unter Druck.
Wir spüren: Mein Weg ist versperrt, ich weiß keinen Rat.
Wir bekommen, was wir zum Leben brauchen.
Gott ist für uns da. Er kennt uns und hört, wenn wir beten.
Wir bekommen, was wir zum Leben brauchen.
Überall gibt es Menschen, die Frieden stiften,
Liebe üben und das Brot des Lebens teilen.
Wo das geschieht, schwindet die Angst, wächst unser Mut.
Wir bekommen, was wir zum Leben brauchen.
Wege tun sich auf, wir finden guten Rat.
Gottes Segen begleitet uns.
(Agende I,2 Nr.947 bearbeitet)
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B
KLAGE UND ERMUTIGUNG
Leben wird oft mit Glücklichsein gleichgesetzt. Daher jagen Menschen ihr
Leben lang dem „Glück“ hinterher. Viele suchen es in Reichtum und
Ansehen, Gesundheit und Wohlstand, Erfolg und Macht. Oft kommen sie
dabei außer Atem. Und nicht wenige bleiben auf der Strecke.
In der Bibel werden andere Menschen glücklich gepriesen:
Die sind glücklich,
die nicht nur Besitz und Wohlstand im Sinn haben.
Ihnen steht der Himmel offen.
Die sind glücklich,
die das Leiden der Menschen nicht vertuschen,
sondern lindern und tragen.
Sie werden Trost finden.
Die sind glücklich,
die zartfühlend und dennoch mutig sind.
Sie sollen die Welt regieren.
Die sind glücklich,
die sich nicht abspeisen lassen,
bevor nicht überall Gerechtigkeit waltet.
Ihr Hunger soll gestillt werden.
Die sind glücklich,
die ein empfindsames Herz haben.
Auch ihnen wird man herzlich begegnen.
Die sind glücklich,
die ein reines Gewissen haben.
Ihr Blick für Gott ist ungetrübt.
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Die sind glücklich,
deren Leben dem Frieden dient.
In ihnen erkennt sich Gott wieder.
(Agende I,2 Nr.1171 bearbeitet)
GLAUBENSBEKENNTNIS
EG 184,1-5 Wir glauben Gott im höchsten Thron
FÜRBITTEN
Gott, lass uns noch dies Jahr
Zeit füreinander haben,
dass das Leben aufblüht,
dass wir den Wert des eigenen Lebens schätzen,
ohne andere gering zu achten.
Gott, lass uns noch dies Jahr
Geschichten erzählen von Gärtnern:
dass das Leben Früchte bringt,
dass uns zugefügte Verletzungen nicht bitter machen,
sondern offen für die Wunden anderer.
Gott, lass uns noch dies Jahr
erkennen, wo wir schuldig werden,
dass deine Schöpfung aufatmen kann,
dass Menschen im Vertrauen auf deine Kraft
streiten für die, die ohne Recht sind.
Gott, lass uns noch dies Jahr
Verantwortung und Macht teilen,
dass der Fluch des Krieges gebrochen wird,
dass die Qual des Hungers weicht
in deinem Segen, Gott,
der blühendes Leben will.
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Gott, lass uns noch dies Jahr,
dass unser Leben nicht ohne Früchte bleibt.
(Agende I,1 Nr. 666 bearbeitet)
oder
Gott, deine große bunte Welt,
voller Freude und Leben,
voller Angst und Tod:
Wir durchschauen sie nicht.
Wir machen unsere Erfahrungen,
bilden unsere Urteile
über die Zusammenhänge, über die Menschen.
Aber wir durchschauen noch nicht einmal
unser eigenes Leben.
Gott, wir vertrauen darauf,
daß du alles auf Güte hin angelegt hast,
auf herzliches Erbarmen,
das unsere Schuld und unsere Schwächen trägt,
unserem Leben Richtung und Sinn gibt.
So danken wir für alles,
was uns in der Liebe Jesu begegnet,
was uns von Lasten löst und zueinander führt.
Hilf, daß wir unser Leben nicht verfehlen,
die Vergebung, aus der wir leben,
an andere weitergeben
und immer neu den Mut finden,
mit der Güte anzufangen,
die wir dir verdanken.
(Agende I,1 Nr. 618 bearbeitet)
STILLES GEBET
VATER UNSER
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LIED
EG 482, 1.4.5.7 Der Mond ist aufgegangen
oder
EG 369,7 Sing, bet und geh auf Gottes Wegen
oder
EG 258 Zieht in Frieden eure Pfade
BEKANNTMACHUNGEN
SEGEN
MUSIK
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II. Alternative Liturgie
MUSIK ZUM EINGANG
Ich liebe das Leben
Ich liebe das Leben,
solang der Schnee schmilzt,
solang der weiche Wind
mit meinen Haaren spielt
und die Meisen mich locken.
Ich liebe das Leben,
solang die Rose blüht,
solang ihr Apfelduft
mir in die Nase zieht
und die Amseln, die schlagen.
Ich liebe das Leben,
solang der Weizen reift,
solang ein heißer Tag
mir in die Poren zieht
und die Schwalben im Himmel.
Ich liebe das Leben,
solange es kalt wird,
solang im Horizont
ein nackter Apfelbaum
und die Krähen, die Krähen rufen.
(aus: Friedrich Karl Barth. Flügel im Augenblick, München 2009, S.56.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors)
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BEGRÜSSUNG A
Witz: Wann beginnt das Leben?
Ein evangelischer Pfarrer, ein katholischer Pfarrer und ein Rabbi
unterhalten sich darüber, wann das menschliche Leben beginnt. „Natürlich
bei der Befruchtung der Eizelle“, sagt der katholische Pfarrer. „Nein, nein,
das Leben beginnt erst mit der Geburt des Kindes“, antwortet der
evangelische Pfarrer. Daraufhin der Rabbi: „Das Leben beginnt, wenn die
Kinder aus dem Haus sind und der Hund tot ist.
Was ist Leben?
Mensch wann lebst du?
Wann lebst du auf?
Sag etwas! Denk nach! Antworte!
Oder schweigst du, Mensch,
weil du nicht weißt.
Was es ist
das Leben,
dein Leben?
und wie es sein soll?
Hast du Träume
Oder sind sie längst ausgeträumt?
In den Tag Leben,
bewusst leben
Lebe den Augenblick
Ergreife das Leben
Leere Floskel oder Weisheit
Aufmunterungen aneinander gereihter Worte.
Doch wie sie füllen?
Und womit?
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Und staune, lache und weine
Halte es kraftvoll fest
voller Lust und Freude
am Ende genauso loslassen können.
und leben.
oder
BEGRÜSSUNG B
Komm, o Gott,
du Geist des Lebens,
wohne in und unter uns.
Komm, o Gott,
du Geist des Lebens,
befreie uns zur Liebe,
mach unsere engen Herzen weit.
Komm, o Gott,
du Geist des Lebens,
nähre unseren Hoffnungsbaum,
schenke ihm gute Früchte.
Komm, o Gott,
du Geist des Lebens,
Gesicht der Barmherzigkeit,
Geruch der Heiligkeit,
Geschmack der Unendlichkeit,
Geräusch der Zärtlichkeit,
Gespür für die Ewigkeit.
Wir warten auf dich!
(„Komm, o Gott…“, aus: Hanne Köhler/ Heidi Rosenstock, Du Gott, Freundin der Menschen.
Neue Texte und Lieder für Andachten und Gottesdienste © KREUZ Verlag in der Verlag Herder
GmbH, Freiburg i. Br. 1998)
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LIED
EG 634,1 Die Erde ist des Herrn
oder
EG 622, Weißt du, wo der Himmel ist
oder
EG 632, Wir strecken uns nach dir
PSALM
Lebenspsalm (nach Psalm 8)
Du, mein Gott, wie herrlich
einfach alles, was ich sehe
alles, was du gemacht hast,
singt vom Leben
Im Jauchzen der Kinder
steckt pure Lust
Lebenslust
und lassen für den Moment
alles andere
alle Hassreden, alle Zornausbrüche
vergessen
Wenn ich nachts draußen stehe
den Blick nach oben
zum klaren Sternenhimmel gerichtet
und sehe
die geheimnisvollen Lichter blinken
dann wundere ich mich darüber
dass auch ich
von dir noch gesehen werde
Und dass mein Leben
so wertvoll sein soll
Ich will Sorge tragen für jedes Tier
ob Katze, ob Hund.
Der Vogel
der sein Nest unter meinem Dach baut.
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Der Igel
der in meinem Busch schläft
Und die Maus,
die durch mein Holz huscht.
Auch Löwe und Jaguar
und selbst der Wurm
sollen in meiner Obhut sein?
So viel Leben
Du, mein Gott, wie herrlich
einfach alles, was ich sehe
alles, was du gemacht hast
singt vom Leben
GEBET
Wann lebst du?,
das fragen wir uns in diesem Gottesdienst.
Wann lebst du?
Lass es uns nicht verpassen, Gott, deine Antwort zu hören.
Öffne du unsere Herzen, Augen und Ohren.
LESUNG
Mt 6, 25-35
oder
Römer 14, 7-9
SPRUCH NACH DER LESUNG
Christus spricht: Ich lebe, und ihr sollt auch leben
(GLAUBENSBEKENNTNIS EG S. 54)
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LIED
EG 552 Einer ist unser Leben
PREDIGT
LIED
EG 623 Du bist da wo Menschen leben
LESUNG DER 10 GEBOTE
(Agende I,2 Nr.1144)
Es folgt entweder A: Sündenbekenntnis mit Zuspruch oder
B: Klage und Zuspruch
A: SÜNDENBEKENNTNIS MIT ZUSPRUCH DER VERGEBUNG
Guter Gott,
wir vergessen oft,
was für ein kostbares Gut unser Leben ist,
und dass es „gelebt werden“ will
jetzt und jeden Augenblick.
Wir verschieben das Leben auf später, morgen, übermorgen
und sagen:
Wenn ich groß bin, werde ich leben.
Nach der Konfirmation, nach der Schule, nach der Ausbildung.
Nach dem ersten gutverdienten Geld,
nach der Hochzeit.
Wenn das Haus gebaut und wenn die Kinder groß sind,
werde ich leben.
Über das ständige wenn und dann vergessen wir das Leben.
Wir bitten dich, Gott, um Vergebung und rufen:
Hilf, Herr meines Lebens… EG 419,1
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(Stille)
Du kennst uns, Gott, du weißt, wie wir sind.
Dass wir Verdrängen und Verschieben,
Pläne schmieden und nicht verwirklichen.
Du sagst uns: ich vergebe euch.
B: KLAGE UND ERMUTIGUNG
Klage
Ist dies das Leben, mein Leben?
So trist, es plätschert dahin
im Einerlei und im Allerlei,
im Schieben und Geschoben werden.
Im Nichtstehen bleiben,
im immer weiter und weiter Rhythmus,
alles verplant und ausgebucht.
Wann lebe ich?
Ermutigung
Jeder Augenblick ist Leben.
Auch das Verbummeln von Zeit ist Leben.
Wer in den Tag hinein lebt, ist noch lange kein Tagedieb.
Wenn du die Augen schließt,
zaubert die Sonne
dir bunte Pünktchen und Blitze hinter die Lider.
Und du hörst die Stimme der Nachbarin links
und rechts wird Holz gesägt.
Und ein Hund bellt
und über dir kreist ein Flugzeug,
und unter dir tönt eine Biene.
Und in weiter Ferne ein Martinshorn,
und du riechst Kaffeeduft und auch bisschen Schweiß.
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Und du spürst den Stoff der Hose,
und den Umschlag des Buches in deinem Schoß
Und die Hand ruht und das Herz schlägt.
Alles das und noch viel mehr
ist Leben.
LIED
EG 612, Fürchte dich nicht
IMPULS
Ich bedenke mein Leben- Stimmen von Menschen zwischen 8 und 80
Jahren
(Hier sind Stimmen versammelt, Gedanken von ganz unterschiedlichen
Menschen zum Thema Leben. Man kann sie alle vorlesen, oder auch nur
eine kleine Auswahl daraus. Eine Möglichkeit wäre auch, sie von
unterschiedlichen Stimmen (Kinder, Jugendliche, Erwachsene…) an
verschiedenen Orten in der Kirche oder aus den Kirchenbänken heraus
sagen zu lassen. Man kann aber auch an dieser Stelle die Gemeinde
fragen: Was ist für euch Leben? Und gespannt sein, über die Antworten,
die dann kommen.)
Für mich ist Leben wenn ich auf meinen BMX –Rad den Feldweg herunter
sause und den Wind so scharf spüre, dass es weh tut.
Leben heißt mit einer Tasse Kaffee, einem Buch in den Garten schauen
und sehen, dass die Blüte, die gestern noch geschlossen war, mich heute
anschaut.
Leben heißt, den Briefkasten öffnen und eine Postkarte finden und merken,
in der Ferne denkt jemand an mich.
Wenn ich in den Wald gehe und Geräusche höre, das ist Leben.
Mein knurrender Magen sagt mir: du lebst!
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Leben ist morgens aufzuwachen und zu spüren, ich lebe, ich bin ganz und
gar da.
Leben ist mehr als Schule, viel mehr.
Leben ist Zwiebel schneiden bis keine Tränen mehr da sind.
Leben ist morgens aufstehen und einigermaßen gesund sein.
Nach vierstündiger Wanderung beim Gipfelkreuz stehen.
Sich in die Kissen kuscheln
Geld zählen
Kinder, die schreiend vor Glück in die Wellen am Strand laufen.
Blasen an den Füßen und sich fragen, kann ich morgen weitergehen.
Sektkorken knallen lassen
Leben heißt fragen, neugierig sein, sich wundern, verrückte Dinge machen,
sich überraschen lassen.
Jeden Tag der Weg.
Leben ist ein gutes Gespräch.
Leben ist: Weitermachen- Veränderung- Begeisterung.
Leben ist für mich, wenn ich mit meinem Mitmenschen gut auskomme.
Wenn ich beruflich Todesanzeigen aufnehme und dabei Umgang mit
Menschen habe, auch das ist Leben.
Leben heißt, sich vor Lachen nicht mehr einkriegen und vor Schmerz
schreien und brüllen mit unbändiger Kraft.
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Wenn ich Leute um mich habe, das ist Leben.
Wenn mein kleiner Enkel Ole bei mir ist.
Wenn ich in Ruhe auf dem Sofa sitze und über mir höre ich meine Kinder
toben, das ist Leben.
Wenn im Frühjahr wenige Schwalben kommen und im Herbst viele
fortfliegen das ist Leben.
FÜRBITTEN
mit Refr. Leben, Leben wird es geben, Leben, Leben vor dem Tod
Guter Gott, wohin wir auch gehen, überall ist Leben
Überall sind Menschen, die geboren werden und sterben
Die lieben und leiden
Die lachen und sich sorgen
Die Hoffnung haben und die bitter enttäuscht sind
Die Gemeinschaft haben und die einsam sind
Wir bitten dich
Dass wir unser Leben als Suchende und Fragende sehen.
Wer fragt und sich selbst in Frage stellt, dessen Leben ist offen und frei
Unser Leben ist geprägt, durch Elternhaus
Durch Geschichte und Zeit
Durch Tradition und Religion
Leben mit Guthaben und Hypotheken
Mit Fähigkeiten und Grenzen
Lass uns unser Leben verstehen als Fächer von Gestaltungsmöglichkeiten
Dass wir wagen
Fähigkeiten zu entdecken
Talente zu entwickeln
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Unser Leben ist uns geschenkt
Mit der Aufgabe
Das Leben für die Zukunft zu erhalten
Wer heute lebt hat auch das Morgen anvertraut bekommen.
Lebendiger Gott,
du gibt’s uns das Leben mit allem,
was dazu gehört.
Hilf uns dabei,
zu entdecken, wie es in uns und um uns lebt.
In unserem Lachen und Weinen;
In dem Nächsten der uns begegnet im Supermarkt oder auf der Parkbank;
In den Menschen, mit denen wir zusammen leben,
in unserer Familie und mit Freunden.
Hilf uns dabei,
dem Leben nicht auszuweichen,
auch wenn es manchmal traurig ist
oder Konflikte mit sich bringt
oder uns die Not der Anderen erkennen lässt.
Hilf uns dabei,
unser Leben nicht aus dem Blick zu verlieren
oder aus der Hand zu geben
und auch nicht das Leben der Anderen.
STILLES GEBET
VATER UNSER
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LIED
EG 171, Bewahre uns Gott
oder
EG 621, Ins Wasser fällt ein Stein,
SEGEN
Einen Augenblick lang erahnen
was Leben ist
Jeden Augenblick lang spüren
was Erfüllung ist
Im hier und jetzt
und darüber hinaus
und so breche ich auf in mir
Und dann breche ich auf zu dir
und alles, alles ist Leben
Gott segne und behüte dich…
ORGELNACHSPIEL/MUSIK
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III. Predigt
I.
Liebe Gemeinde,
wann lebst du? Die Buß-und Bettagsaktion in diesem Jahr stellt uns eine
ganz einfache Frage. Wann lebst du? Da möchte man am liebsten mit den
Schultern zucken und sagen: Na, wann schon? Jetzt! Und vielleicht noch in
Gedanken nachschieben: Blöde Frage! Denn ich spüre ja, dass ich lebe.
Ich atme ein und aus und wieder ein. Mein Herz schlägt in einem steten
Rhythmus. Wenn ich meine Hand darauf lege, fühle ich es. Natürlich lebe
ich!
Wann lebst du? Wie bei allen vermeintlich „blöden“ Fragen zögere ich
plötzlich. Und fange an, weiter zu denken. An das, was mein Leben
ausmacht. Dieses Leben ist ja mehr als Einatmen und Ausatmen, als
Herzschlag und Blutdruck. Träume habe ich, und Pläne. Manche davon
auch schon begraben, aber der eine oder andere ist noch ganz lebendig.
Ich hoffe, freue, ängstige mich, bin verzagt und wieder ganz mutig,
schwinge große Reden und bin dann wieder ganz still. Alles das und noch
viel mehr, das ist mein Leben. Meine Beziehungen, die Arbeit, die freie
Zeit, die ich genieße und manchmal auch fürchte. Der Tag, die Nacht,
Liebe und Verlust.
Wann lebst du? Ja, wann lebe ich eigentlich? Es gibt Momente, da fühle
ich mich wie tot. Wie ein Rädchen im Getriebe, das immer weiter läuft,, immer weiter gedreht wird - automatisch. Ist das wirklich Leben? Bin ich in
diesen Augenblicken lebendig? So, dass ich es auch spüren kann, mit
jeder Faser meines Körpers? Ich beginne zu zweifeln, nachdenklich zu
werden, mich zu fragen: Wann, ja wann denn eigentlich?
(evtl. Musik)
II.
Andreas war Investmentbanker bei Leman Brothers. Einer von denen, die
richtig viel Kohle machen. Hunderttausende im Jahr. Mit eigenem
Chauffeur und Urlaub in Luxushotels. Dafür hat er gearbeitet. Viel
gearbeitet. Auch am Wochenende. Hat mal einen Urlaub in Ägypten nach
zwei Tagen abgebrochen, weil ein Kunde abzuspringen drohte. Seine
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Sekretärin musste in Flugzeugen immer einen Gangplatz buchen, damit er
als erster draußen war. Und zwei Minuten früher beim nächsten Termin.
Dann kamen die Panikattacken, Herzrasen. Probleme mit der
Immunabwehr, jedes Jahr eine Lungenentzündung. Und der Gedanke:
„Was mache ich hier eigentlich? Soll das wirklich mein Leben sein? Ich bin
getrieben - vom Ehrgeiz, vom Geld, von etwas, das ich vielleicht gar nicht
benennen kann.“ Es hat gedauert, aber dann war ihm klar: „Es geht auch
anders. Es gibt ein anderes Leben für mich.“ Er hat gekündigt und ist
monatelang über die Alpen gewandert. Hat auf einer Hütte gejobbt. Und
schließlich diese Hütte gekauft, bei Klosters, in der Schweiz. Dort lebt er
nun – als Hüttenwirt. Er wirkt entspannt, als ob er in sich ruhe. Und sagt:
„Hier fühle ich mich lebendig.“
III.
Ich kann Andreas verstehen. Wer so lebt wie er früher, der muss seine
Arbeit wie verrückt lieben. Aber: Tag und Nacht arbeiten? Nie den
Rhythmus aus Arbeit und Ruhe einhalten, das macht auf Dauer krank.
Andreas war gezwungen, auszusteigen. Sein Körper hat ihm das deutlich
signalisiert. Und er hat deswegen die Bremse gezogen.
Nun fühlt er sich lebendig. Heißt das, dass er jetzt lebt und vorher tot war?
Oder sich wie tot gefühlt hat? Schwer zu sagen, so aus der Distanz. Er
scheint jetzt glücklicher mit seinem Leben zu sein. Und das, obwohl er –
stundenmäßig – in der Hochsaison so viel arbeitet wie in seinem alten Job.
Auf die Formel Arbeit=Unglück und verpasstes Leben und umgekehrt
Freizeit=Glück und erfülltes Leben lässt es sich wohl nicht bringen.
Wann lebst du? Für mich hat diese Frage tatsächlich ganz viel damit zu
tun, wann ich mich lebendig fühle. Lebendig fühle ich mich, wenn ich mit
Leidenschaft bei einer Sache bin. So wie Andreas auf seiner Hütte. Und
wenn ich das Gefühl habe, dass ich lebe – statt gelebt zu werden. Das
entdecke ich auch bei zwei Menschen, von denen Jesus erzählt, als er
seinen Jüngern vom Himmelreich vorschwärmt:
- 30 -
IV.
Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein
Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude ging er hin und verkaufte
alles, was er hatte, und kaufte den Acker.
Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen
suchte, und als er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles,
was er hatte, und kaufte sie.
(Mt 13, 44-46)
Zwei Menschen tun etwas, was auf den ersten Blick ziemlich absurd
erscheint. Sie verkaufen alles, was sie haben. Und das nur, um etwas
anderes zu erwerben, was ihnen viel wertvoller erscheint. Sie gehen ein
Risiko ein. Dieser Gedanke kam mir zumindest sofort. Was, wenn der
Schatz im Acker weg ist, wenn dieser Mensch wiederkommt, um ihn zu
heben? Was, wenn die Perle schon an einen anderen verkauft ist, wenn
der Kaufmann sein Geld endlich zusammen hat? Diese zaghaften,
zögerlichen Überlegungen scheinen bei den beiden keine Rolle zu spielen.
Sie finden einen Schatz, entdecken eine Perle und handeln, als gäbe es
hier keinerlei Bedenken, keine Einwände oder mindestens ein Abwägen
von Risiken.
Was soll ich mit diesem Text anfangen? Rät die Bibel mir hier zu riskanten
Tauschgeschäften? Oder dazu, im Leben immer alles auf eine Karte zu
setzen?
V.
Eine Gebrauchsanweisung für mein Leben sehe ich in diesem Gleichnis
nicht. Eher eine Ermutigung, eine Aufforderung, die in etwa so lauten
könnte: „Schau genau hin! Was ist dein Schatz im Acker? Was macht dein
Leben wertvoll, kostbar, lebenswert, gut?“
Die Antwort auf diese Frage ist nicht leicht zu finden. Für den einen ist es
die Familie, für eine andere die beste Freundin. Für Andreas war es die
Entscheidung, auf seinen Körper zu hören. Und für viele ist es darüber
hinaus der Glaube an Jesus Christus. Denn sie haben in ihm einen Halt
gefunden, als ihr Leben haltlos geworden war. Gemeinschaft in seiner
Kirche, Hoffnung in schweren Zeiten. Zuversicht, wo andere schwarz
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sahen und ganz viel Freude und Leichtigkeit. Diese Worte beschreiben ein
wenig von dem, was Jesus meint, wenn er vom Reich Gottes spricht.
Genau erklären kann man es nicht. Man kann es nur erkunden.
VI.
Sabine hat sich auf diesen Weg gemacht. Vor fünf Jahren fuhr sie mit der
Tochter ihres Lebensgefährten auf ein Familienwochenende der
Kirchengemeinde. Eigentlich wollte sie ihre neue Tochter kennenlernen –
gefunden hat sie etwas ganz Überraschendes. „Die Gemeinschaft an dem
Wochenende hat mich beeindruckt.“ erzählt sie. „Ich wurde so nett und
selbstverständlich aufgenommen. So etwas habe ich nie vorher erlebt. Ich
komme aus eher schwierigen Verhältnissen, habe als Jugendliche viel
getrunken und auch Härteres probiert. Das war einfach so, wenn man
dazugehören wollte. Auf der Freizeit musste ich nichts tun, um dabei zu
sein. Ich fühlte mich akzeptiert, so wie ich bin. Das war der Anfang.
Seitdem habe ich mich viel mit dem Glauben beschäftigt. Und sage heute:
ich bin Christin. Das hat nicht alles leicht gemacht. Mit vielem kämpfe ich
immer noch, vor allem mit den Schatten meiner Vergangenheit. Aber ich
weiß jetzt, dass es einen gibt, der mich trägt. Das ist wie ein Schatz, den
ich gefunden habe und den ich nicht mehr hergebe. Ich bin wirklich froh
darüber, damals auf diese Freizeit gefahren zu sein.“
Wann lebst du? Die Buß-und Bettagsaktion in diesem Jahr stellt uns eine
ganz einfache Frage. Manche haben schon eine Antwort auf sie parat.
Andere suchen sie noch. Mit dieser Suche in der Bibel zu beginnen, ist ein
guter Anfang. Denn sie erzählt von Menschen, die sich diese Frage stellen.
Und von dem, der das Leben selber ist. Amen.
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IV. Meditation zum Plakatmotiv der Buß- und Bettagskampagne 2013
Die Gedanken und Motive dieser Meditation sind sehr persönlich. Der Text
sollte zum Lesen gut angeeignet sein. Möglicher weise wird man einzelne
Passagen umformulieren oder auswählen im Blick auf die eigene Person
und auf die Hörerinnen und Hörer.
Füße von unten. Eine ungewöhnliche Ansicht. Anrührend und schockierend
zugleich. Die rosigen Babyfüße in einer flauschigen Decke, und gleich
daneben unter dem Laken die Füße eines Toten. Wie bei einem Krimi im
Leichenschauhaus. Es hängt eine Art Packzettel am Zeh, damit der Tote
nicht verwechselt wird. Ich muss mich überwinden hinzuschauen. - Worum
geht es eigentlich?
„Wann lebst Du?“, fragen diese Füße. Das überrascht mich, denn sonst
fragen meine Füße nie. Als Körperteile sind sie am weitesten von denen
entfernt, die das Denken und das Sagen haben. Sie tragen mich fraglos
durchs Leben wie stumme Diener. Ich sehe von oben auf sie herab. Meist
sind sie unsichtbar, weil sie in Schuhen stecken. Dabei sind es ganz
interessante Gestalten, zart und zugleich kräftig, charakteristisch geformt.
Was gibt es da nicht alles: Hohl-, Senk-, Spreiz- Krallen- und Plattfüße.
Aber auch athletische und ganz elegante, verführerische, mit Ringen an
den Zehen oder lackierten Nägeln. Ja, Füße sind originelle
Persönlichkeiten.
Nun werde ich doch neugierig und lasse mich auf diese Perspektive ein:
das Leben von unten anzuschauen, aus der Sicht meiner Füße. Ich habe
Lust, sie zu fragen oder mich von ihnen fragen zu lassen: Wann lebst Du?
Wann fühlst Du Dich lebendig auf diesem Fußweg, den Du gehst, zwischen
Geburt und Tod?
Kannst Du Dich erinnern wie es war, als Du solche kleinen Füße hattest,
ganz weich und rund? Füße die gern angefasst und geküsst werden?
Wunderbar ist das Leben in jedem Augenblick, der diese Gefühle in Dir
wachruft: Jemand ist für Dich da, sorgt für Dich, kocht Essen, nimmt Dich in
den Arm, Du bist nicht allein auf der Welt.
Nur wenige Monate später konntest Du auf eigenen Füßen stehen. Ein
großer Augenblick für alle. Und dann die ersten Schritte. Wackelig und
stolz, bald ganz allein. Das Gefühl, die erste Unabhängigkeit zu genießen,
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abzuhauen und nicht sofort zu hören, wenn die Eltern hinterher rufen. Und
immer einen Schritt weiter, in die Schule, aus der Schule, Ausbildung,
Führerschein. Große oder kleine Schritte mit Auftritten dazwischen.
Knotenpunkte, Höhepunkte, Fußreflexpunkte deines Lebens.
Und all Deine kleinen Abenteuer. Barfuß im Garten durch frischgemähtes
Gras, in den Ferien am Meer über den Sand, durch den Schlamm, in
Pfützen springen - volle Lotte, Dreck an den Füßen haben dürfen.
Lebenssinn wächst aus Sinnlichkeit. Sehen, hören, tasten, riechen,
schmecken, spüren. Wach und sensibel sein bis in die Zehenspitzen auch für Gefahr. Du kannst dich verletzen, Füße sind ganz empfindlich.
Deine kalten Füße warnen Dich vor der kommen Erkältung, sie sagen, leg
dich ins Bett. – „Kalte Füße kriegen“ – das kann auch heißen: Hier ist kein
guter Ort für dich. Brich auf aus dem Vertrauten, trenn Dich von dem, was
Dir den Raum nimmt, such Dir einen neuen Platz, an dem Du leben kannst.
Weißt du noch, wie die Mutter staunte: Was hast du bloß für große Füße,
schon wieder müssen wir Schuhe für dich kaufen. Mit 14 kann man
wahnsinnig stolz sein auf Schuhgröße 45. Wachsen ohne eigenes Zutun –
da lebst du auf.
Mit jemandem „zusammen gehen“, wie man so schön sagt. Zum ersten Mal
die nackten Füße der Liebsten berühren. Wer wirklich messen will, was
Leben ist, der sollte einen Zärtlichkeitszähler erfinden. Und der zählt mehr
als nur die Augenblicke im Liebesnest. Zärtlichkeit ist einer der Namen
Gottes, meint eine Theologin.
Du staunst immer wieder, was Deine Füße alles können. Sie tragen Dich
Tag für Tag. Sie ermöglichen das ganz normale Leben. Sie geben Dir
einen festen Stand, auch in Deiner Arbeit. Wie gut ist die Erfahrung,
überhaupt Arbeit zu haben, gebraucht zu werden. Handwerk ist immer
auch Fußwerk. Und selbst für eine geistige Arbeit brauchst Du Deine Füße:
Wenn Du für andere eintrittst. Wenn Du etwas Heikles durchstehen musst.
Wenn Du Dich querstellst gegen die glatten Abläufe. – Doch manchmal ist
es zu viel. Du läufst Dich müde in Deinem Hamsterrad. Einmal warst Du so
kaputt, dass Du tatsächlich zu Hause in der Wohnung vor den Schrank
gelaufen bist. Zum Glück war nur der Zeh gebrochen.
Du kennst Leute, für die bedeutet die Höchstform von Leben: Fuß auf dem
Gas haben. Schon hast du dich anstecken lassen, fährst oft zu schnell,
willst zu viel. Schaffst du es noch, runterzukommen am Abend, auch ohne
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Alkohol? Und schaffst Du es unterwegs, wenn du schnell bist, rechtzeitig
vom Gas auf die Bremse? Nicht nur Dein Leben zählt.
Noch einmal richtig tanzen lernen, das wäre ein Traum. Sich fallen lassen,
dem Rhythmus hingeben, der Musik, der Partnerin.
Joggen im Wald. Bei jedem Wetter. Erst die Überwindung, dann läuft es.
Alles fällt von Dir ab. Du bist Dein Atem, Dein Herzschlag. Schlechte Laune
raus, Sauerstoff rein. Unterwegs sammelst du Ideen von den Bäumen,
Wörter, Gedanken. Und weißt, sie kommen von ganz oben.
Und wenn Du langsam alt wirst, wenn Deine zwei Füße nicht mehr genug
sind, wenn Du einen Stock brauchst oder einen Rollator? Wenn Du Dich
nicht mehr bücken und selbst Deine Füße pflegen kannst, wenn die
Fußpflegerin kommen muss – Ob Du Dir das gefallen lässt? Ob Du es
vielleicht sogar genießen kannst, wenn Dir etwas Gutes getan wird? Deine
Füße werden es Dir sagen. So wie Petrus es erlebt hat: Jesus wäscht ihm
die Füße und er merkt, das ist richtig. Das ist gut. Mehr brauche ich nicht.
Ein sehr kostbarer Augenblick war es, als Du der Großmutter zuletzt die
Füße waschen durftest. Erst war sie krank, dann starb sie - zufällig in
Deinen Armen. Und Du hast sie gewaschen. Zuletzt ihre Füße, die alten,
krummen Füße, die die Bäuerin durchs Leben getragen hatten, 96 Jahre
lang. Was für ein Geschenk, bei ihr zu sitzen, Zeit zu haben. Abschied zu
nehmen. Was hast Du Dir mitgenommen aus diesem Augenblick? Ruhe.
Gelassenheit. Das Wissen, Du musst nicht hetzen. Denn Du kannst weder
dem Tod davonlaufen, noch das Leben einfangen. Leben kannst Du nur
jetzt, in diesem Augenblick, heute, und jeden Tag, der Dir geschenkt wird.
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V. KONTEXTE
Gelingendes Leben
„Heute fürchte ich nichts, heute zeige ich mich freimütig, schutzlos dem
Tag, mache die Demutsgebärde des angegriffenen, schwächeren Wolfs,
zwinge den Übermächtigen zur Großmut und wage, mich zu freuen, weil
der Morgen frisch und bitter riecht, weil der Himmel makellos ist, weil eine
späte rosa Nelke aufgeblüht ist am schon verdorrenden Busch, weil ich den
Tod nicht scheue, weil ich lebe, weil ich auf eine Art lebe, die nur ich weiß
und kann, ein Leben unter Milliarden, aber das meine, das etwas sagt, was
kein anderes sagen kann. Das Einmalige eines jeden Lebens. Es macht
heiter, zu wissen, dass jeder Recht hat mit sich selbst. Schön ist es, älter
zu werden, erlöst von sich, von der gewaltigen Anstrengung, etwas zu
werden, etwas darzustellen in dieser Welt. Gelassen sich einfügen,
irgendwo, wo gerade Platz ist, und überall man selbst zu sein und zugleich
weiter nichts als einer von Milliarden. Dies alles, in vielen Worten gesagt,
dauert zu fühlen drei, vier tiefe Atemzüge lang.“
(Luise Rinser, Septembertag.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1964)
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GEBET
Weniger Ansprüche wir würden freier,
und anderen bliebe mehr:
ein Weg zum Leben.
Weniger Gerede wir würden ruhiger,
und andere kämen zu Wort:
ein Weg zum Leben.
Weniger Ungeduld wir würden entspannter,
und andere könnten aufatmen:
ein Weg zum Leben.
Weniger wollen,
mehr schweigen,
geduldiger sein uns allen täte es gut.
Lasst uns in der Stille
vor Gott tragen,
was uns beschäftigt: - - Davon mach uns frei, Herr,
immer mehr zu wollen
und über unsere Kräfte und Möglichkeiten zu leben,
du Geber aller guten Gaben.
(Agende I,2, Nr.908)
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Auszug aus Gedicht: Überall von Joachim Ringelnatz
Überall ist Wunderland
Überall ist Leben.
Bei meiner Tante im Strumpfenband
Wie irgendwo daneben.
Überall ist Dunkelheit.
Kinder werden Väter
Fünf Minuten später
Stirbt sich was für einige Zeit.
Überall ist Ewigkeit…
Bei Gottesdiensten am Morgen kann auch das Gedicht „Morgenwonne“
von Joachim Ringelnatz verwendet werden mit dem wunderbaren
Schluss:
Aus meiner tiefsten Seele zieht
mit Nasenflügelbeben
ein ungeheurer Appetit
nach Frühstück und nach Leben
Manchmal denke ich
Wie viele Leben hätte ich leben können?
Sieben Leben? Oder noch mehr?
Was wäre wenn an einer Stelle und immer wieder die Weichen anders
gestellt worden wäre? Ein Gedankenspiel, verführerisch, spannend aber
auch beängstigend.
Was also wäre wenn….
Ich in einer Großstadt aufgewachsen wäre anstatt auf dem flachen Lande,
nicht im Westen sondern im Osten Deutschlands
im Sozialen Wohnungsbau oder im Nobelviertel statt gutbürgerlich normal.
Ein Elternteil nicht früh gestorben wäre.
Und ich kein Mädchen sondern ein Junge gewesen wäre.
In der Schule nicht in die Klasse 7a sondern 7b gekommen wäre,
nicht sitzen geblieben wäre.
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Hätte ich nach der mittleren Reife eine Ausbildung gemacht…?
Und Mofaführerschein?
Wenn ich damals vor 20 Jahren im Juni nicht auf die Kirmes gegangen
wäre, weil ich keine Lust gehabt oder eine Erkältung mich davon
abgehalten hätte, hätte ich dann meine Freundin nicht kennen gelernt?
Nicht geheiratet mit Kind und Hausbau und allem drum und dran,
was wäre dann?
Säße ich hier?
Oder ganz woanders?
Wäre weit weg,
mit kurzem Haarschnitt und 10 Kilos mehr auf den Rippen,
mit anderen Träumen?
Was wäre das für ein Leben?
Einfach nur ein anderes Leben?
Oder immer noch mein Leben?
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Erstellt von einer Arbeitsgruppe der Liturgischen Kammer der
Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck
Liturgie I und Kontexte:
Pfarrerin Tina Oehm, Fulda, und Prädikantin Hanna Hirschberger, Kassel
Liturgie II und Kontexte:
Pfarrerinnen Imke Leipold, Bad Hersfeld und Anke Trömper, Kassel
Predigt: Pfarrerin Svenja Neumann, Marburg
Meditation zum Plakat: Propst Helmut Wöllenstein, Marburg
Satz und Layout:
Silke Bremer, Kassel, und Prädikantin Hanna Hirschberger, Kassel
Herausgegeben im Oktober 2013 vom Landeskirchenamt in Kassel
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