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Gesundheit & Rehabilitation / Orthopädie-Technik / Therapien
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Ganzheitliches Rehabilitationskonzept in Barby:
Fit
mit Prothese
Ein neues Konzept für die Rehabilitation beinamputierter
Menschen wird in der Elbe-Saale-Klinik in Barby praktiziert.
Neben der umfassenden stationären Therapie unmittelbar
nach der Amputation werden intensive Trainings- und Test-
„I
ch habe das Gefühl, hier in Barby endlich wieder in
wochen für erfahrenere Anwender angeboten. Orthopädie-
Bewegung zu kommen“, sagt Rita Rennecke. Die
technischer Partner der Klinik ist TOC aus Magdeburg, das
55-jährige Maschinenbau- und Schweißingenieurin
über qualifizierte Prothesenversorgungen hinaus auch
aus Förderstedt in Sachsen-Anhalt hat seit 1975 Diabetes. Vor vier Jahren musste ihr rechter Unterschenkel
amputiert werden, im vergangenen Jahr folgte das linke
Sport- und Freizeitaktivitäten im Programm hat, die Amputierte auf dem Weg zurück ins Alltagsleben unterstützen.
Bein. Ein Schlaganfall und die schlechten Augen
gut laufen, war im Urlaub an der Ostsee und bin viel mit dem Hund spa-
„Gehen lernen, abnehmen,
Diabeteseinstellung“
zieren gegangen“, berichtet sie. „Seit der zweiten Amputation habe ich
In Barby fühlt sich Rita Rennecke auch deshalb wohl,
aber nur noch im Rolli gesessen.“ Doch Rita Rennecke ist ehrgeizig und
weil ihr „das Ambiente nicht so wie in einer Klinik“
zäh, und deshalb ist sie für sechs Wochen in der Elbe-Saale-Rehabilitati-
erscheint. „Die Einzelzimmer sind schön, und man hat
onsklinik, um wieder auf die Beine zu kommen. Mit ihrer Physiotherapeu-
genügend Privatsphäre“, lobt sie. So kann sie sich
tin übt sie jeden Tag am Gehbarren und auf dem Parcours im Freigelände.
ganz auf ihre drei selbst gesteckten Ziele konzentrie-
Am Rollator kann sie sich schon wieder selbstständig auf den Gängen und
ren: „Gehen lernen, abnehmen, Diabeteseinstellung“,
in den Lichthöfen des Klinikgebäudes fortbewegen, um etwa in die Cafe-
die sie im Rahmen ihres straffen Therapieplans enga-
teria zu gelangen. Selbst das für Doppelamputierte besonders schwierige
giert in Angriff nimmt. Dafür trainiert sie sogar fleißig
machen ihr zusätzlich zu schaffen. „Mit einer Prothese konnte ich noch
Treppensteigen meistert sie unter Anleitung und hier und da mit etwas
Unterstützung der Therapeutin erstaunlich gut. Manchmal ist auch Steffen Niemann in solchen Übungssituationen
dabei. Der Orthopädie-Techniker-Meister
und Chef von TOC nutzt gerne die Gelegenheit, Prothesenaufbau und Passform des
Schaftes in der Praxis zu überprüfen und
Probleme mit den behandelnden Ärzten
und Therapeuten wie mit den Patienten
selbst zu besprechen.
Ehrgeizig:
Rita Rennecke will wieder richtig
auf die Beine kommen
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mit Hanteln und an den Kraftgeräten im Therapiezentrum. „Wenn ich wieder zu Hause
bin, möchte ich den knappen Kilometer bis zum Supermarkt wieder zu Fuß gehen
können“, beschreibt Rita Rennecke ihre Motivation. „Beim Einkaufen auf fremde
Hilfe angewiesen zu sein, gefällt mir nämlich überhaupt nicht.“
„Die Amputation ist nicht das Ende der Behandlung,
sondern der Beginn der Rehabilitation“
Die Elbe-Saale-Rehabilitationsklinik ist als Fach- und Lehrklinik mit den Schwerpunkten innere Medizin, Herz-Kreislauf-, Gefäß- und Stoffwechselerkrankungen sowie
Orthopädie und Ernährungsmedizin auf Patienten wie Rita Rennecke bestens eingestellt. Bereits seit Jahren werden viele Menschen, bei denen in Folge von Diabetes mellitus oder der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit eine Beinamputation erfolgen musste, in Barby gleich nach der Operation aufgenommen. „Die Amputation ist nicht das Ende
der Behandlung, sondern der Beginn der RehaGutes Team:
Physiotherapeutin Kerstin Schädel und
Chefarzt Dr. Henner Montanus
bilitation“, hat Sir Reginald Watson-Jones, ein
Pionier der traumatischen Orthopädie, einmal
gesagt. Und dieses Prinzip verfolgt auch Dr.
Henner Montanus, ärztlicher Direktor der Elbe-Saale-Klinik. „Wir haben uns etwa
schon lange auf die Therapie von Wundheilungsstörungen spezialisiert und setzen
für die zeitgemäße Stumpfformung Liner-Technologien ein“, berichtet der Chefarzt.
„Die gute postoperative Betreuung von Amputationspatienten hat sich in SachsenAnhalt und den umliegenden Bundesländern herumgesprochen.“
Partnerschaft zwischen der Elbe-Saale-Klinik und
TOC in Magdeburg hat sich bewährt
Jetzt ist in Barby ein erweitertes Therapiekonzept zur Mobilisierung beinamputierter
Patienten eingeführt worden. „Fit mit Prothese“ (FMP) hat sich eine ganzheitliche
Rehabilitation zum Ziel gesetzt, die den Betroffenen eine schnelle Wiedereingliederung und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen soll. Dazu steht ein
interdiziplinäres Team aus Fachärzten, Physiotherapeuten, Krankengymnasten, Gehschultrainern und Orthopädie-Technikern zur Verfügung. Nach Bedarf können auch
Schmerztherapeuten und Psychologen sowie der Sozialdienst der Klinik mit eingebunden werden. TOC, das Technische Orthopädie-Center aus Magdeburg, hat das
Konzept mit erarbeitet und ist Ansprechpartner für alle Fragen rund um die Optimierung der Prothesenversorgung. Jeden Mittwoch ist Steffen Niemann zur Prothesensprechstunde in Barby, um das Klinik-Team
über neue Entwicklungen zu informieren
und Probleme zusammen mit den Patienten
zu besprechen. Demnächst wird hier eine
kleine Werkstatt eingerichtet, in der Reparaturen und Anpassungen erfolgen können.
Und auch Meister Dirk Jansky, zusammen
mit Niemann Geschäftsführer von TOC, ist
Erfahrene Partner: Steffen Niemann (vorn),
Mandy Küsel und TOC-Mitarbeiter in der
Magdeburger Werkstatt
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gefragt, wenn es etwa um Orthesenversorgungen oder spezielle Fußbettungen für Diabetiker geht. „Unser Ziel ist eine so frühzeitige Mobilisierung unserer beinamputierten Patienten, dass sie sich gar nicht erst
an den Rollstuhl gewöhnen können, einerlei, ob sie bereits mit Interimsprothese zu uns kommen oder hier ihre erste Versorgung erhalten“,
erklärt Dr. Henner Montanus. „Wir sind froh, mit TOC einen Partner an
Vorbild: Mandy
Küsel auf dem
Außenparcours in
Barby
unserer Seite zu haben, der einen großen Erfahrungsschatz und umfassendes Know-how in der Prothetik mitbringt.“
Maßgeschneiderte Therapiemodelle
machen fit mit Prothese
und Gehschulwoche, die vom 26. April bis 3. Mai 2010
Für die oft geriatrischen Patienten kommt es in der drei- bis sechswö-
sich schnell noch anmelden kann. Neben den zahl-
chigen Anschlussheilbehandlung in erster Linie darauf an, Alltagsfähig-
reichen körperlichen Aktivitäten stehen hier immer
keiten zurückzugewinnen. Das Anziehen der Prothese oder der Transfer
auch der Erfahrungsaustausch unter Beinamputierten
ins Bett können dabei schon große Herausforderungen sein. „Für die Ent-
und die gegenseitige Hilfe zur Selbsthilfe im Vorder-
scheidung, ob ein älterer Mensch zu Hause wohnen bleiben kann oder
grund.
wieder in Andalusien stattfinden wird und für die man
besser in einem Pflegheim unterkommt, ist der sichere Transfer schon ein
Therapiemaßnahmen, von krankengymnastischen Behandlungen über
Intensiv- und Prothesenwoche auch für
jüngere und aktivere Beinamputierte
Koordinations- und Gleichgewichtsübungen bis zum gezielten Muskelauf-
Über die Anschlussheilbehandlung hinaus bietet die
bautraining in der medizinischen Sport- und Bewegungstherapie, unter-
Elbe-Saale-Klinik im Rahmen des neuen Konzepts „Fit
stützt die Patienten dabei, mit Prothese wieder fit zu werden. Besonderen
mit Prothese“ noch zwei weitere stationäre Therapie-
Wert legt man in der Elbe-Saale-Klinik auf das intensive Gehtraining mit
module an, die vor allem jüngere und aktivere Prothe-
bis zu zwei individuell
senträger ansprechen sollen: Die Intensiv- und die
gestalteten Einheiten täg-
Technikwoche. Die Intensivwoche zeichnet sich durch
lich. Das Gehschulteam
eine hohe Therapiedichte aus und umfasst in erster
um die leitende Physio-
Linie intensives Gehtraining, physiotherapeutische
therapeutin Kerstin Schä-
Behandlungen und sportliche Aktivitäten. Ziel ist die
del stimmt sich dabei eng
rasche Verbesserung des Gangbildes und der phy-
mit den orthopädie-tech-
sischen Leistungsfähigkeit. Die Fortschritte beim Geh-
nischen Experten ab. So
training werden videogestützt analysiert und umfas-
entscheidendes Kriterium“, betont Dr. Montanus. Ein ganzes Bündel von
sind etwa auch Testversorgungen mit verschie-
send auch für die Kostenträger
Einladend: Das Foyer der
Elbe-Saale-Klinik
dokumentiert. Neben Nordic-Wal-
denen Passteilkonfigura-
king als gerade für Beinamputierte
tionen möglich, um ein sicheres Gehen mit Prothese zu
sinnvoller Ausdauersportart kön-
erreichen und das Gangbild den individuellen Voraus-
nen die Teilnehmer im hauseige-
setzungen entsprechend zu optimieren.
nen Schwimmbad einen Schnup-
Ein glücklicher Umstand ist sicher, dass Mandy Küsel,
Sportwissenschaftlerin und Leiterin der Gehschule bei
TOC, selbst oberschenkelamputiert ist. Die Sitzvolley-
pertauchkurs absolvieren oder
Vielfältige Therapien: Wassergymnastik
im Bewegungsbad
beim Aquajogging Kondition tanken. Die große Sporthalle der Kli-
ball-Nationalspielerin steht den Physiotherapeuten in Barby als Beraterin
nik lädt zum gemeinsamen Sitzvolleyball-Spiel ein. Im
zu Seite und ist für viele Patienten Vorbild und Motivatorin. Als zertifizierte
Sommer sind auch Segeln und Kanufahren möglich.
Trainerin führt Mandy in der Elbe-Saale-Klinik Nordic-Walking-Einsteiger-
Während der Technikwoche liegt das Augenmerk vor
kurse und weitere Sportangebote durch. Die Vernetzung der Aktivitäten
allem auf der Optimierung der Prothesenversorgung.
macht noch aus einem anderen Grunde Sinn: „Nach der Reha fallen viele
Aktuelle Kniegelenke und Füße können ausgiebig
beinamputierte Patienten zu Hause erst einmal in ein tiefes psychisches
getestet, Änderungen am Prothesenaufbau vorgenom-
Loch“, erklärt Dr. Montanus. „Dieser Absturz kann mit den ambulanten
men werden. Die Technikwoche macht etwa im Zuge
Angeboten von TOC in sinnvoller Weise aufgefangen werden.“ So wie etwa
einer anstehenden Neuversorgung oder vor einem
mit der von Mandy Küsel und Rudi Ziegler von Trust Us organisierten Sport-
Systemwechsel Sinn, denn die Anwender können sich
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in Barby nicht nur fundiert und neu-
anschließen, der zu einem Nordic-
tral beraten lassen, sondern gewin-
Walking-Spaziergang ins Biosphä-
nen auch selbst einen praxisnahen
renreservat „Mittlere Elbe“ einlud,
Eindruck der für sie am besten
das sich praktisch vor der Kliniktür
geeigneten Passteilkonfiguration.
erstreckt. Ein Schnuppertauchkurs
Ergänzt wird die Technikwoche
war ebenso gut frequentiert wie das
ebenfalls durch ein intensives Geh-
Sitzvolleyballspiel der Damennatio-
training, Physiotherapie sowie
nalmannschaft mit Mandy Küsel
Sport- und Freizeitangebote.
Andrang: Die Prothesenhersteller zeigten ihre Innovationen
gegen die Männer vom HSV Magdeburg, die im Tie-Break knapp gewan-
Großes Interesse beim Tag der offenen
Tür in der Elbe-Saale-Klinik
nen. „Das war eine gute Werbung für unseren attraktiven Sport, der für
Am 31. Oktober fand in der Elbe-Saale-Klinik der erste
nach Nachwuchstalenten für die Nationalmannschaft und haben hoffent-
„Prothesen-Aktiv-Tag“ statt, bei dem das FMP-Konzept
lich einige Besucherinnen motiviert, zum Sitzvolleyball zu finden.“ Fest
vorgestellt wurde. Patienten und viele auswärtige
steht: Der Aktiv-Prothesen-Tag in Barby war insgesamt eine gute Werbung
Besucher überzeugten sich vom wohnlichen Charakter
für das wichtige und oft noch vernachlässigte Thema der ganzheitlichen
des 236-Betten-Hauses, lauschten interessanten Fach-
Rehabilitation beinamputierter Menschen.
Beinamputierte ideal ist“, stellt Mandy Küsel fest. „Wir sind auf der Suche
vorträgen und belagerten die
Text und Fotos: Gunther Belitz
Stände im Foyer, wo die Prothesen-
Auskünfte:
hersteller ihre Neuheiten präsen-
Elbe-Saale-Klinik, Schloßstraße 42, 39249 Barby,
tierten. Highlights waren etwa das
Tel.: 039298/61-603, Fax: 039298/61-610,
neue Rheo Knee von Össur, die
E-Mail: [email protected],
Kinegen-Kniegelenke von Streifen-
Internet: www.elbe-saale-klinik.de
eder und der Echelon-Fuß von Bauerfeind. Großen Anklang fand das
TOC Technisches-Orthopädie-Center GmbH,
Angebot, die Prothesenschuhe von
Leipziger Straße 45c, 39120 Magdeburg,
medi powered by Dachstein vor Ort
Tel.: 0391/ 6111743 oder 0391/6202726 (Gehschule),
auszuprobieren. Wer wollte, konnte
Fax: 0391/6209886, E-Mail: [email protected],
sich damit gleich Rudi Ziegler
Internet: www.toc-reha.de
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