Warum Hochwuchs? Diagnose

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Warum Hochwuchs? Diagnose
Fortbildung
Warum Hochwuchs?
Diagnose, Differenzialdiagnose,
­vielleicht auch Therapie
Jürgen H. Brämswig | Universitäts-Kinderklinik, Münster
Ein Fallbericht
Friederike ist das erste und einzige Kind gesunder Eltern.
Nach Auskunft der Mutter ist sie schon im Kindergarten, in
der Grundschule und jetzt auch im Gymnasium immer „die
Größte“ gewesen. Die vorliegenden Daten zur Körperlänge/höhe zeigen einen perzentilenparallelen Wachstumsverlauf
oberhalb der 97. Perzentile (Abb. 1). Friederike ist
jetzt im Alter von 12,5 Jahren 177,3 cm groß. Die
gemessene Körperhöhe der Mutter beträgt 185,3
cm (ca. 5 cm oberhalb der 97. Perzentile), die Körperhöhe des Vaters wird mit 190 cm (ca. 90. Perzentile) angegeben. Die Pubertätsentwicklung hat
bei Friederike vor einem Jahr begonnen. Die erste
Periodenblutung ist noch nicht eingetreten. Friederike akzeptiert eine Erwachsenengröße von 185
cm, möchte aber auf keinen Fall größer werden.
Die körperliche Untersuchung ist ohne auffälligen Befund mit den Tanner-Stadien B4 und PH4.
Eine Röntgenaufnahme der linken Hand zeigt
ein Skelettalter von 12 1/2 Jahren (Atlasmethode
nach Greulich-Pyle). Bei einem Skelettalter von 12 ½ Jahren hat
Friederike nach den Tabellen von Bayley/Pinneau 94,1 % ihrer
voraussichtlichen Endgröße erreicht, die sich auf 188,4 cm mit
einer einfachen Standardabweichung von +/- 3 – 5cm errechnet. Friederike und ihre Eltern stellen sich und dem beratenden
Kollegen die Frage, ob bei Friederike eine Hochwuchstherapie
durchgeführt werden soll?
Vater
Mutter
Abb. 1: Körperhöhen und Wachstumsverlauf von Friederike. Skelettalter
nach Greulich-Pyle. Körperhöhen von
Mutter und Vater.
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Fortbildung
Einleitung
Der Hochwuchs ist definiert als eine Körperhöhe, die oberhalb der 97. Perzentile oder der zweifachen Standardabweichung der Körperhöhe gesunder Jungen
und Mädchen liegt.
Als Referenzwerte können die Wachstumsdaten von Reinken (1992), Hesse
(1997), oder die Daten der Züricher longitudinalen Wachstumsstudie von Prader (1989) dienen [1 – 3]. In Abhängigkeit
von den jeweiligen Referenzwerten beträgt die 97. Perzentile für 18-jährige Jungen 192,7 cm [1], 194,4 cm [2], 191,2 cm [3].
Für 18-jährige Mädchen sind 178,9 cm [1],
181,0 m [2], und 175,1 cm [3] die Werte
der 97. Perzentile. Die Körperhöhen für
eine mögliche Hochwuchstherapie liegen
mit Endgrößenprognosen von 202 cm für
Jungen und 185 cm für Mädchen deutlich
oberhalb der 97. Perzentile. Das Aufnahmekriterium für eine Mitgliedschaft im
„Klub Langer Menschen“ ist für Männer
eine Körperhöhe von mindestens 190 cm
und für Frauen eine Körperhöhe von mindestens 180 cm.
Diagnose und Differenzialdiagnose
In den meisten Fällen des Hochwuchses
handelt es sich um eine Normvariante der
Körperhöhe bei familiärem oder konstitutionellem Hochwuchs. Eine weitere differenzialdiagnostische Abklärung ist nach
Dokumentation des Wachstumsverlaufes des Kindes und der Körperhöhen der
Eltern und Geschwister nicht notwendig.
Die Jungen und Mädchen haben schon in
den ersten Lebensjahren eine Körperhöhe
oberhalb der 97. Perzentile erreicht. Das
Wachstum verläuft in der Regel perzentilenparallel bis zum Erreichen der Erwachsenengröße (Abb. 1).
Bei einer deutlichen Diskrepanz der Körperhöhe des Kindes zur Körperhöhe der Eltern und Geschwister oder auffälligem perzentilenflüchtigen Wachstumsverlauf sind
eine Reihe pathologischer oder syndromaler Ursachen des Hochwuchses abzuklären
(Tab. 1). Pathologische Ursachen des Hochwuchses fallen durch eine Beschleunigung
der Wachstumsgeschwindigkeit auf. Die
Kinder verlassen den zuvor eingehaltenen
152
Tab. 1: Pathologische Ursachen des Hochwuchses
Syndrome und chromosomale
Störungen
Endokrine Störungen
◾◾ Sotos-Syndrom
◾◾ Weaver-Syndrom
◾◾ Marfan-Syndrom
◾◾ Beckwith-Wiedemann Syndrom
◾◾ Homozystinurie
◾◾ Marshall-Smith-Syndrom
◾◾ Simpson-Golabi-BehmelSyndom
◾◾ Klinefelter-Syndrom
◾◾ XYY-Syndrom
◾◾ Adrenogenitales Syndrom
◾◾ Pubertas praecox
◾◾ Pseudopubertas praecox
◾◾ Eosinophiles Adenom der
Hypophyse
◾◾ Hyperthyreose
„Wachstumskanal“. Im Einzelfall ist eine
erweiterte Diagnostik z. B. zur Abklärung
eines einfach virilisierenden adrenogenitalen Syndroms (17-­Hydroxy-Progesteron im
Serum, Pregnantriol im 24-Stunden-Urin),
einer Pubertas praecox (GnRH-Test) oder
eines eosinophilen Adenoms der Hypophyse (IGF-1, IGFBP-3, orale Glukosebelastung
mit Bestimmung der Wachstumshormonwerte, Kernspintomographie) erforderlich
(Tab. 1).
Syndromale Ursachen, wie z. B. SotosSyndrom oder Marfan-Syndrom, zeigen
häufig neben auffälligen körperlichen
Merkmalen eine deutliche Diskrepanz
der Körperhöhe des Kindes zur Körperhöhe der Eltern, aber eher ein normales
perzentilenparalleles Wachstum.
Indikation zur Therapie des
­konstitutionellen Hochwuchses
Die Indikation zur Hochwuchstherapie
wird in der Literatur sehr kontrovers diskutiert, eine Hochwuchstherapie von einigen Autoren auch strikt abgelehnt. Keineswegs liegt ein Konsens vor, ab welcher
voraussichtlichen Endgröße eine Hochwuchstherapie durchgeführt werden sollte. Die Angaben schwanken zwischen einer errechneten voraussichtlichen Endgröße von 195 cm (Bierich 1979) und 205 cm
(Butenandt 1984) bei Jungen sowie 175 cm
(Zachmann 1975) und 185 cm bei Mädchen
(Kuhn 1985) [4 – 7]. Nach den Richtlinien
der „Deutschen Gesellschaft für Kinderendokrinologie und -diabetologie (DGKED)
e. V.“ kann bei einem Therapiewunsch der
betroffenen Mädchen und Jungen mit Zustimmung der Eltern eine Hochwuchsbehandlung ab einer Körperhöhe von 202 cm
bei Jungen und von 185 cm bei Mädchen
in Erwägung gezogen (AWMF-Leitlinien).
In jedem Fall stellt die Indikation zur
Therapie eine sehr individuelle Entscheidung des Patienten/der Patientin und der
Eltern dar. Es ist notwendig, eine besonders sorgfältige und individuelle, mündliche und schriftliche Aufklärung über die
Wertigkeit der Endgrößenprognose, der
Therapie und ihrer Nebenwirkungen sowie des Therapieerfolges durchzuführen
[8, 9]. Die Darlegungen sollten in einem
Gesprächsprotokoll festgehalten und vor
Therapiebeginn von den Betroffenen, den
Eltern und dem behandelnden Arzt unterschrieben werden.
Diagnostik vor Einleitung einer
Hochwuchstherapie
Nach Ausschluss pathologischer Ursachen
des Hochwuchses ist die weitere Diagnostik im Wesentlichen auf die mögliche Nebenwirkungen der Hochwuchstherapie
beschränkt.
Zur Dokumentation einer normalen
hypothalamisch-hypophysär-testikulären
Funktion ist es sinnvoll, wenn bei Jungen
vor Therapiebeginn die Basalwerte für Testosteron, LH und FSH, ggf. auch die Ergebnisse eines GnRH-Tests vorliegen. Wir
konnten durch diese Untersuchung pathologische FSH-Werte bei 2 Patienten mit einem 47, XYY- und einem Patienten mit einem 47, XXY (Klinefelter)-Syndrom diag-
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nostizieren. Im Hinblick auf die noch immer kontroverse Diskussion über mögliche
Nebenwirkungen der hochdosierten Testosterontherapie auf die testikuläre Funktion, insbesondere die Spermatogenese, erscheint dieses Vorgehen auch weiterhin
angebracht [8].
Es ist unklar, ob eine Gerinnungsdiagnostik vor Einleitung einer hochdosierten Östrogentherapie bei allen Mädchen
durchgeführt werden muss. Bei der großen
Zahl behandelter Mädchen sind bisher nur
wenige Fälle publiziert worden, in denen
eine Thrombose im Rahmen der Hochwuchstherapie beobachtet wurde. Sicherlich ist bei einer entsprechenden Familienanamnese (Thrombophilie) eine ausführliche Gerinnungsdiagnostik obligatorisch.
Laborchemische Befunde einer Thrombophilie stellen eine relative Kontraindikation zur Hochwuchstherapie dar.
Durchführung
der Hochwuchstherapie
Wegen der kontroversen Pro- und ContraAusgangssituation und der Unsicherheit
bezüglich möglicher Spätfolgen sollte die
Hochwuchstherapie nur in größeren pädiatrischen Zentren und von pädiatrischen
Endokrinologen durchgeführt werden.
Nur auf diesem Wege können Daten erhoben und gesammelt werden, die für die
Beurteilung des Therapieerfolges und der
akuten und chronischen Nebenwirkungen
der Behandlung von Bedeutung sind.
Der Beginn der Hochwuchstherapie
kann nicht generell auf ein bestimmtes Lebensalter festgelegt werden. In der Regel
wird es möglich sein, den Therapiebeginn
solange zu verschieben, bis erste Pubertätsmerkmale spontan eingetreten sind. Wegen der hohen Dosen der Östrogene und
des Testosterons erscheint eine Einleitung
der Therapie vor der Pubertät problematisch und wenig sinnvoll.
An der Universitäts-Kinderklinik
Münster wurden in den Jahren 1970 – 2000 insgesamt 2.079 Jungen und 3.465
Mädchen wegen eines Hochwuchses vorgestellt. 410 Jungen (19,7 %) und 717 Mädchen (20,7 %) wurden behandelt [8].
Die Therapie des Hochwuchses wird bei
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Hochwuchs
3 % der Jungen und Mädchen sind
definitionsgemäß hochwüchsig,
weil ihre Körperhöhe größer als die
populationsspezifische altersentsprechende 97. Perzentile ist. In den
meisten Fällen handelt es sich um
eine Normvariante der Körperhöhe,
einen konstitutionellen oder familiären Hochwuchs, nur selten sind Syndrome oder hormonelle Störungen
die Ursache.
Eine Therapie zur Reduzierung einer
exzessiven Erwachsenengröße kann
im Einzelfall durchgeführt werden,
wenn die prognostizierte Endgröße bei Jungen mehr als 202 cm, bei
Mädchen mehr als 185 cm beträgt.
Die Entscheidung zur Therapie sollte
nur nach reiflicher Überlegung und
nach schriftlicher Zustimmung der
Eltern und der Betroffenen erfolgen.
In einem ausführlichen Gespräch
sollten zuvor die Wertigkeit der Endgrößenprognose, die Wirkungen und
Nebenwirkungen der hochdosierten
Testosteron- oder Östrogentherapie
detailliert dargestellt werden.
Jungen mit Testoviron Depot 500 mg i. m.
in 14-tägigen Abständen durchgeführt. In
der Regel wird die Behandlung bis zum
Abschluss des Wachstums oder bis zu einem Skelettalter von 17 Jahren fortgesetzt.
Die Therapie dauert im Mittel etwa 14 Monate [10]. Nach Auswertung retrospektiver
Daten und Durchführung einer prospektiven Studie ist eine 6-monatige Behandlung offensichtlich ebenfalls ausreichend
[11]. Die Ergebnisse dieser Kurzzeittherapie entsprechen denen der 14-monatigen
Behandlung [11]. Diese Beobachtungen
werden allerdings kontrovers diskutiert
[12, 13]. Auch bei einer niedrig dosierten
Hochwuchstherapie mit Testoviron Depot
250 mg in 14-tägigen Abständen zeigen sich
vergleichbare Endgrößen [14].
Die Behandlung des konstitutionellen Hochwuchses der Mädchen wird mit
konjugierten Östrogenen oder ÄthinylÖstradiol durchgeführt. Während die
­Dosierung der konjugierten Östrogene nie
verändert wurde, ist die medikamentöse
Therapie mit Äthinyl-Östradiol bei gleicher Wirkung und geringeren Nebenwirkungen von zunächst 0,5 bzw. 0,3 mg auf
heute 0,1 mg pro Tag herabgesetzt worden.
Die Behandlung wird als kontinuierliche
Östrogentherapie mit zusätzlicher 10-tägiger Gabe von Gestagenen vom 19. bis 28.
Zyklustag durchgeführt [8]. In der Regel
wird die Behandlung bis zum Abschluss
des Wachstums oder bis zu einem Skelettalter von 15 Jahren fortgesetzt, wenn nach
den Tabellen von Bayley-Pinneau 99 % der
Erwachsenengröße erreicht sind.
Nebenwirkungen
der Hochwuchstherapie
Viele der akuten Nebenwirkungen der
Hochwuchstherapie sind heute sowohl für
Jungen als auch für Mädchen bekannt. Unklar bleibt, welche Folgen der Therapie im
späteren Erwachsenenalter auftreten, da
Langzeitbeobachtungen über einen Zeitraum von mehr als 25 Jahren bisher nur bei
wenigen Patienten vorliegen. Aus diesem
Grunde müssen Risiken, die vorstellbar,
aber wegen der relativen Kürze der Nachbeobachtungszeit noch nicht dokumentierbar sind, ebenfalls in die Diskussion
um die Indikation zur Hochwuchstherapie einbezogen werden.
Als akute Nebenwirkungen der Hochwuchstherapie sind bei Jungen Ödeme mit
einer Häufigkeit von etwa 7 % beschrieben.
In der Regel gehen diese Ödeme nach einer Therapieunterbrechung oder nach einer Umstellung der Behandlung auf wöchentliche Testosterongaben von je 250 mg
Testoviron Depot zurück [8].
Eine Akne wird bei etwa 45 – 50 % der
Jungen beobachtet. Bei etwa der Hälfte der
Jungen ist eine medikamentöse Therapie
erforderlich. Schwere Verlaufsformen bis
hin zur Acne fulminans wurden beschrieben [15]. Der ursächliche Zusammenhang
zur Hochwuchstherapie wird kontrovers
diskutiert, zumal schwere Verlaufsformen
der Akne auch spontan bei Jugendlichen
während der Pubertät auftreten können.
Die Auswirkungen der hochdosierten
Testosterontherapie auf die testikuläre
Funktion, einschließlich der Spermato-
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genese, sind durch 2 neuere Publikationen besser dokumentiert worden [16, 17].
In beiden Studien war die Samenqualität
der behandelten hochwüchsigen Patienten
nicht beeinträchtigt und mit der Samenqualität einer nicht behandelten Gruppe junger Männer vergleichbar. In einer
nachfolgenden Studie konnten normale
Vaterschaften bei wegen Hochwuchs behandelten Jungen im Vergleich zu einer
unbehandelten Kontrollgruppe dokumentiert werden [18]. Unklar ist zu diesem Zeitpunkt, ob und welche Schädigungen der Prostata durch die Therapie
verursacht werden. Weitere Nachuntersuchungen bis in das spätere Erwachsenenalter sind zur Klärung dieser Fragestellung
unabdingbar.
Eine häufige und sehr belastende Nebenwirkung bei der Hochwuchstherapie
der Mädchen ist die Gewichtszunahme.
Diese kann in den ersten 6 Therapiemonaten 5 – 10 kg betragen und vor allen
Dingen für übergewichtige oder adipöse
Patientinnen problematisch sein [8]. Bei
einer Fortführung der Therapie ist die
Gewichtsentwicklung nach den ersten 6
Monaten deutlich geringer. Insgesamt entspricht die Gewichtszuname der generell
zu beobachtenden Gewichtsentwicklung
während der Pubertät, allerdings mit einer Hauptgewichtszunahme zu Beginn der
Hochwuchstherapie.
In einigen Fällen treten zu Therapiebeginn auch bei Mädchen Ödeme auf, die allerdings nur selten zum Therapieabbruch
führen. Die unter den höheren ÖstrogenDosen (0,5 – 0,3 mg/Tag) zu Anfang der
Therapie geklagte Übelkeit, zum Teil mit
Erbrechen, wird heute unter der reduzierten Dosis von 0,1 mg/Tag nur noch sehr
selten beobachtet.
Striae rubrae treten bei 6 % der Patientinnen auf, sind aber auch während der
spontanen Pubertätsentwicklung zu beobachten [8].
Drei Publikationen haben in den letzten Jahren haben auf eine mögliche Fertilitätsproblematik bei wegen Hochwuchs
behandelten jungen Frauen aufmerksam
gemacht. In der Arbeit von Hendricks et
al. [19] wird über eine ovarielle Dysfunk-
tion mit vorzeitigem Verlust von Follikeln, erhöhten FSH-Werten und niedrigen AMH-Serumspiegeln hingewiesen. Nur 110 von 175 behandelten Frauen
(70,5 %), aber 113 von 128 unbehandelten
Frauen (89,7 %) erzielten eine Schwangerschaft. Die Odds Ratio war 0,26 (95-%-KI
0,13 – 0,52, p < 0,001). Im Gegensatz dazu
hatten in einer australischen Studie 248
von 371 (66,9 %) behandelten und 267 von
409 (65,3 %) unbehandelten Frauen Kinder.
Auch die Autoren dieser Studie folgern,
dass die hochdosierte Östrogentherapie
die Fertilität dieser Frauen reduziert [20].
Beide Studien berichten, dass ein höherer
Prozentsatz der behandelten Frauen wegen einer Fertilitätsproblematik eine ärztliche Untersuchung und Behandlung erhält und eine längere Zeit bis zum Eintritt
einer Schwangerschaft benötigt [19, 20]. In
einer weiteren Publikation von Hendricks
et al. wird der Einfluss unterschiedlicher
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Östrogendosen auf die Fertilität von behandelten hochwüchsigen Frauen untersucht und mit den Daten von unbehandelten hochwüchsigen Frauen verglichen
[21]. Nur die mit 200 µg Ethinylestradiol
behandelten Frauen hatten im Vergleich
zu unbehandelten Frauen eine geringere
Schwangerschaftsrate, nicht die mit 100 µg
Behandelten.
Als mögliche Spätfolgen der Behandlung werden eine erhöhte Inzidenz von
Mamma- oder Uteruskarzinomen diskutiert. Entsprechende Berichte liegen in der
Literatur aber bisher (noch) nicht vor.
Ergebnisse der Hochwuchstherapie
Die Reduktion der Erwachsenengröße
wird ganz entscheidend von der Genauigkeit der Endgrößenprognose, dem Alter bei Therapiebeginn und dem Zeitpunkt
der letzten Untersuchung nach dem Ende
der Therapie bestimmt.
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Wesentliches für die Praxis . . .
◾◾ Der Hochwuchs ist definiert als eine Körperlänge/-höhe oberhalb der 97. Perzentile
◾◾ Hochwuchs stellt sehr häufig eine Normvariante der Körperlänge/-höhe dar,
z. B. bei familiärem Hochwuchs
◾◾ Zu den pathologischen Ursachen des Hochwuchses zählen Syndrome, wie das
Marfan-Syndrom, hormonelle Ursachen, wie das adrenogenitale Syndrom, und
Chromosomenstörungen, wie das Klinefelter-Syndrom.
◾◾ Die Indikation zur Hochwuchstherapie sollte nur nach intensiver Aufklärung
der Eltern und der Patientin/des Patienten einschließlich einer schriftlichen
Einverständniserklärung erfolgen.
Die Genauigkeit der Endgrößenprognose bei Hochwüchsigen wird in der Literatur sehr unterschiedlich bewertet. Die
verschiedenen Methoden nach BayleyPinneau, Tanner-Whitehouse und Roche-Wainer-Thissen liefern bei demselben
Patienten durchaus sehr unterschiedliche
Ergebnisse [8]. Diese Ergebnisse werden
nicht zuletzt auch von der Genauigkeit bestimmt, mit der das Skelettalter festgelegt
wird. Es ist bekannt, dass dieselbe Röntgenaufnahme der linken Hand von demselben Untersucher in Unkenntnis des
Vorbefundes zwischen 6 und 12 Monate
unterschiedlich bewertet werden kann.
Aus diesem Grunde ist eine ausreichende
Erfahrung in der Beurteilung des Skelett­
alters Voraussetzung für die Berechnung
der voraussichtlichen Endgröße. Zusätzlich sollte dem behandelnden Arzt bekannt
sein, in welchem Maße die einzelne Methode die Endgröße zu einem bestimmten Skelettalter über- oder unterschätzt [8].
In den meisten Publikationen werden
die Therapieergebnisse summarisch für
die Gesamtgruppe der Patienten dargestellt [8]. Die Patientenkollektive sind häufig zu klein, um sie nach einzelnen Skelett­
altergruppen differenzieren zu können.
Grundsätzlich gilt jedoch, dass die Einsparung der Erwachsenengröße umso
deutlicher ist, je früher mit der Therapie
begonnen wird. Die Einsparung beträgt
am Therapieende etwa 50 – 70 % der Differenz, die zwischen der Körperhöhe vor
Therapiebeginn und der prognostizierten
Endgröße errechnet wurde. Die Reduktion der Körperhöhe ist dabei unabhängig
156
von dem Skelettalter bei Therapiebeginn.
Mit dem weiteren Wachstum nach dem Behandlungsende reduziert sich die Einsparung auf etwa 40 – 50 % des vor Therapiebeginn errechneten Wachstums [8].
Unser einleitender Fall
Friederike und ihre Eltern haben sich nach
ausführlicher Beratung über die Wertigkeit der Endgrößenprognose, die Wirkungen und Nebenwirkungen der Hochwuchstherapie für eine Hochwuchsbehandlung entschieden. Erfreulicherweise
konnte die Therapie ohne Probleme durchgeführt werden. Friederike ist mit der Erwachsenengröße von 180 cm sehr zufrieden. Bezogen auf die Endgrößenprognose
von 188,4 cm hat sie einen sehr guten Therapieerfolg erzielt.
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Korrespondenzadresse
Prof. Dr. Jürgen H. Brämswig
Universitäts-Kinderklinik
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