29.03., Psalm 91 mit Goldener Konfirmation, Pfr. Sigloch
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29.03., Psalm 91 mit Goldener Konfirmation, Pfr. Sigloch
Predigt im Gottesdienst am Palmsonntag, 29. März 2015 mit Goldener Konfirmation in der evang. Kreuzkirche in Reutlingen Predigt über Psalm 911 Pfarrer Stephan Sigloch, Pfarramt Kreuzkirche III, Reutlingen Einleitung Liebe Schwestern und Brüder, liebe Konfirmations-Jubilare, liebe Gemeinde, es ist schon eine ganze Zeit her, seit Sie konfirmiert worden sind, hier in der Kreuzkirche, in der Leonhardskirche oder andernorts. Und Sie haben viel erlebt seitdem: Wünsche und Pläne haben sich erfüllt oder verwirklichen lassen – wenn auch vermutlich manche anders als gedacht, was Beruf und Familie angeht, Erfahrungen und Erlebnisse. Und Sie blicken zurück auf eine lange Zeit gelebten Lebens. Andererseits sind Träume geplatzt, andere Wünsche und Pläne haben sich als Illusion erwiesen und Manches ist „ungelebt“ geblieben. Das gilt ja aber nicht nur für Sie, die Sie heute Ihr Konfirmationsjubiläum feiern: diese Erfahrungen sind ja Teil jeden Lebens, auch wenn die Jugend noch keine 50 Jahre zurück liegt. Wir treffen Entscheidungen – und merken je länger, je deutlicher: Jede Entscheidung für etwas ist zugleich eine Entscheidung gegen viele andere Möglichkeiten, die es auch gegeben hätte. Habe ich eine Berufsausbildung gemacht und dann seitdem gearbeitet? Habe ich studiert? War es der 1 richtige Beruf? Habe ich geheiratet – und bin ich immer noch verheiratet oder geschieden? Habe ich Kinder – oder nicht? Enkel? An so einem Tag gehen die Gedanken zurück – und wir nehmen wahr, was gewesen und geworden ist. Und auch, was sein konnte oder nicht gewesen und geworden ist. Ein Konfirmationsjubiläum, „Goldene“ (oder „Diamantene Konfirmation“) das ist eine Gelegenheit, zurück zu blicken auf die 50 (oder 60) Jahre seit Ihrer Konfirmation: Gutes und Schweres zu erinnern und diese Jahre sozusagen durch eine „geistliche Brille“ in den Blick zu nehmen. Da werden manche Erfahrungen sein, die Sie dankbar erinnern und andere, mit denen es kaum möglich ist, „zu Frieden“ zu finden. Und zugleich ist es auch eine Anlass, den Blick nach vorne zu richten: Auf die Zeit einer neuen, der „nachberuflichen“ Lebensphase mit allen Herausforderungen und Möglichkeiten - die kurz bevor steht oder möglicherweise schon begonnen hat. Wir sind ja nicht nur die Menschen, die wir bis hierher geworden sind, wir sind zugleich auch die Menschen, die wir noch werden können. Manches liegt noch vor uns – auch wenn wir nicht wissen, was genau und wie viel Zeit uns bleibt. In einer Predigt zur Goldenen Konfirmation habe ich gelesen: „Heute feiern wir das Fest der Goldenen Konfirmation in unserer Gemeinde. Dieses Fest läutet nun Ihren Lebensabend ein“. Dieser Meinung bin ich nicht, dass nun direkt der Lebens2 abend beginnt, aber wir wissen eben nicht, was auf uns zukommt. Darum und dafür bitten wir Gott in diesem Gottesdienst um seinen Segen. Text Der Predigttext heute ist ein altes, biblisches Gebet – Psalm 91: „Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe. Denn er errettet dich vom Strick des Jägers und von der verderblichen Pest. Er wird dich mit seinen Fittichen decken, und Zuflucht wirst du haben unter seinen Flügeln. Seine Wahrheit ist Schirm und Schild, dass du nicht erschrecken musst vor dem Grauen der Nacht, vor den Pfeilen, die des Tages fliegen, vor der Pest, die im Finstern schleicht, vor der Seuche, die am Mittag Verderben bringt. Denn der Herr ist deine Zuversicht, der Höchste ist deine Zuflucht. Es wird dir kein Übel begegnen, und keine Plage wird sich deinem Hause nahen. Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, 3 dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest. Über Löwen und Ottern wirst du gehen und junge Löwen und Drachen niedertreten. „Er liebt mich, darum will ich ihn erretten; er kennt meinen Namen, darum will ich ihn schützen. Er ruft mich an, darum will ich ihn erhören; ich bin bei ihm in der Not, ich will ihn herausreißen und zu Ehren bringen. Ich will ihn sättigen mit langem Leben und will ihm zeigen mein Heil.“ (Psalm 91,1-6.9-16; EG 736) Fremd? Zugänge … Vor 50 Jahren hat hier in der Kreuzkirche Pfarrer Margenfeld den Konfirmandenunterricht gestaltet – drüben im „Haus Bethanien“ in der Friedrich-Ebert-Straße 50. Das war damals der Gemeinderaum der Kreuzkirchengemeinde. Inzwischen hat sich in unserer Gemeinde viel verändert – nicht nur der KonfiKurs, auch, was die Räume betrifft. Aber eines ist geblieben: Wenn wir so einen alten Text lesen wie diesen Psalm, dann ist er uns zunächst einmal fremd. Und dann geht es uns wieder, wie es uns im Konfirmandenunterricht mit Manchem gegangen ist, was der Pfarrer erzählt hat – nämlich so, wie es in der Lesung von den Jüngern hieß: „[sie] verstanden das zunächst nicht“ (Joh 12,16): Nein, So reden wir nicht und solche Bilder gebrauchen wir nicht. 4 Aber näher kommen uns diese Worte, wenn wir wahrnehmen: Da haben Menschen ihre Erfahrungen niedergeschrieben – ihre Lebenserfahrungen und ihre Erfahrungen mit Gott: Sie haben ihre Erlebnisse in Bilder und Worte gefasst. Und wenn wir – heute – die Menschen hinter diesen Bildern und Worten suchen, dann erschließt sich nicht nur der fremde Text: Dann entdecken wir Weggefährten, ja Freunde, die vom Leben genau so herausgefordert wurden, wie wir vom Leben herausgefordert werden. Wir sehen dann Menschen, die uns vertraut sind, weil sie dieselben Ängste, Hoffnungen und Erfahrungen von Glück haben, wie wir sie haben. Beobachtungen an Psalm 91 Die Menschen früherer Zeiten haben – das sehen wir an diesem Psalm 91 – haben ihre Gefühle sehr konkret und zum Teil drastisch benannt: Sie sehen sich vielen Gefahren und finsteren Mächten ausgesetzt: Da ist vom „Strick des Jägers“ die Rede, der seine Beute fängt und erlegt. Von der „verderblichen Pest“, tödliche Krankheit, die alles dahinrafft und sich mit unheimlicher Macht ausbreitet. Von nächtlichem Grauen lesen wir, von Pfeilen der Feinde, die einem um die Ohren schwirren, von tückischen Seuchen und räuberischen Löwen. Sogar Drachen sieht der Psalmbeter um sich. – In diesen Bildern gibt der Beter allem, was ihn umtreibt, konkrete Formen und Gestalt. 5 Bilder des Alltags, Bilder der Seele Wir – im Jahr 2015 in Mitteleuropa – sprechen so natürlich nicht. Wir reden nüchterner, analytischer, direkter … unsere Alltagssprache prägen viele technische Bilder. Und trotzdem ist diese Sprach- und Bilderwelt ja nicht ausgestorben: Sie ist nur ausgewandert in die Bilderwelt des Kinos und des Romans. In Abenteuerromanen und Fantasyfilmen begegnen uns nicht nur Drachen, dort sind auch die Angstbilder präsent, die uns im Psalm zuerst so merkwürdig fremd vor-kommen: Schwirrende Pfeile, tückische Seuchen, bestialische Raubtiere und nächtliches Grauen – im Kino sind die Bilder gegenwärtig, die wir mit Hilfe unserer Vernunft und unseres Verstandes gekonnt aus unserem Alltag verdrängt haben. Offenbar sind diese Bilder aber unserer Seele viel vertrauter, als wir uns eingestehen. So „cool“, wie wir gerne rüberkommen, sind wir meist eben doch nicht – daran ändert auch alle Lebenserfahrung nichts. In unserem Innern, unter der gut gepflegten Oberfläche, in unserer Seele, da lauern noch die Gestalten und Figuren vergangen geglaubter Zeiten. Grauen … im Alltag Und manchmal, ganz plötzlich findet sich das Grauen nicht nur in den Abgründen unserer Seele. Manchmal trifft es uns im Alltag und im heute: Da köpfen Terroristen Geiseln vor laufender Kamera. Eltern vernachlässigen ihr Kind, es stirbt an den Folgen von Schlägen. 6 Da steuert ein junger Co-Pilot ein mit 150 Menschen besetztes Flugzeug in eine Felswand. Das Grauen kann schrecklich nahe sein – und wen eine schreckliche, womöglich unheilbare Krankheit trifft, für den oder die wird auch die „tödliche Seuche“ aus Psalm 91 beklemmend konkret. Viele von Ihnen, die heute Konfirmations-Jubiläum feiern, kennen Erfahrungen des Grauens – und wir anderen auch: Je älter wir werden, umso eher wissen wir, was das Leben auch an Schrecklichem und Traurigen mit sich bringt: Freunde und Partner sind gestorben – auch Mit-Konfirmierte von damals. Beziehungen und berufliche Pläne sind gescheitert. Wir leben mit gesundheitlichen Einbußen. Wir kennen Erfahrungen des Ausgeliefertseins und der Ohnmacht – und nicht nur angesichts einer Globalisierung, die wir immer weniger verstehen … vor 30 Jahren waren es Atomkraft, Umweltzerstörung und Mittelstreckenraketen … 2001 der 11. September … in dieser Woche dieser Flugzeugabsturz. Diese verschiedenen schweren Erfahrungen erzählt der Psalm, seine Worte und Bilder benennen die dunkle Seite des Lebens drastisch und deutlich. Und trotzdem hat dieses Gebet einen durch und durch positiven, zuversichtlichen Grundton. Wie kommt das? Positiver Grundton?! Eine Antwort darauf weist uns möglicherweise eine Richtung für eine persönliche Frage: Wie behält, wie bekommt unser 7 Leben einen durch und durch positiven, zuversichtlichen Grundton – auch wenn wir eben längst nicht nur gute und schöne und bereichernde Erfahrungen gemacht haben. Die auch, Gott sei Dank. Wie behält, wie bekommt unser Leben einen durch und durch positiven, zuversichtlichen Grundton, angesichts von manch schweren und traurigen Erfahrungen, mit denen wir auch nicht einfach fertig wurden und werden? Wie können wir dennoch mit unserem Leben, mit unseren Mitmenschen, mit unserem Gott zu Frieden finden? Psalm 91 Der Psalmbeter stellt den Ängsten, allen Erfahrungen des Grauens, allen bösen Mächten etwas entgegen – ohne die guten und die leidvollen Erfahrungen gegeneinander aufzurechnen. Denn gegeneinander aufrechnen lassen sie sich nicht – es sei denn, wir wollten uns das Leben schönreden und das Schwere und Traurige verharmlosen. Dieser biblische Text jedenfalls tut das nicht! Was stellt der Psalm der dunklen Site des Lebens entgegen? Gute Mächte, rettende Kräfte und Gottes behütende Liebe – und auch dafür hat er viele und bunte Bilder: Gottes Macht behütet uns wie ein Sonnenschirm, gibt uns Schatten. Gott ist wie eine Burg, die uns Schutz gewährt. Wie ein Vogel seine Jungen mit dem Flügel schützt und bedeckt, so schützt uns Gott, wenn wir bedroht werden. Er ist der retten8 de Zufluchtsort, gibt uns die Macht, über Löwen und Drachen hinweg zu gehen, so dass sie uns nicht schaden können. Und dann sind da schließlich noch Gottes Engel: Gott hat ihnen befohlen, uns zu behüten, sogar uns auf Händen zu tragen – es ist eine große Fülle an guten, stärkenden, Mut machenden Bildern. Der Psalm blendet einerseits Ängste und Bedrohungen des Lebens nichts aus. Andererseits verweist er uns auf Mächte und Gewalten, die Bedrohungen überwinden und uns in Gefahren bewahren. Gott spricht Am Ende des Gebets spricht Gott, dort, wo das Anführungszeichen steht. Und diese Worte eröffnen uns sozusagen einen Blick in das Herz Gottes, zeigen uns tiefe Liebe und Zuneigung: „Er liebt mich, darum will ich ihn erretten; / er kennt meinen Namen, darum will ich ihn schützen. / Er ruft mich an, darum will ich ihn erhören; ich bin bei ihm in der Not, / ich will ihn herausreißen und zu Ehren bringen. / Ich will ihn sättigen mit langem Leben / und will ihm zeigen mein Heil“ (Psalm 91,14-16). Kann uns mehr versprochen werden? Kann Liebe größer sein? Sich erinnern lassen – Hoffnung gewinnen Wenn Sie heute, wenn wir – mal abgesehen von den Mädchen und Jungs unserer aktuellen Konfi-Gruppe -, wenn wir alle heute zurückblicken auf die Jahre seit unserer Konfirmation 9 (bei mir sind es 37), dann wird uns bewusst, wie oft wir behütet und bewahrt worden sind. Die guten Mächte, die der Psalm in Bildern besingt, hatten oft die Oberhand. – Sie erinnern sicherlich viele Glücksmomente. Und Beziehungen, die gelungen sind – und bis heute lebendig. Unternehmungen, die erfolgreich waren, die geglückt sind. Pläne, die Sie verwirklichen konnten. Worauf blicken Sie heute stolz und zufrieden zurück? Wofür sind Sie dankbar? Was macht Mut zu Hoffnung und Zuversicht? Ein kluger Mensch hat einmal formuliert: „Wer Hoffnung gewinnen will, muss sich erinnern lassen“. Hoffnung und Zuversicht wachsen eben nicht aus der Kraft unseres positiven Denkens, sondern aus guten, konkreten Erfahrungen. Was hat das mit Gott zu tun? Eine Frage möchte ich da aber nicht umgehen – sie ist naheliegend und berechtigt: Was hat das alles mit Gott und mit einem oder meinem Glauben zu tun? Am Ende der Lesung vorhin sagten die Gegner von Jesus: „Seht doch! Alle Welt läuft ihm nach!“ (Joh 12,19). Aber das stimmt ja so nicht – von vielen unserer Wege können wir nicht sagen, wir seien auf ihnen Jesus Christus nachgelaufen. Und so ist die Frage auch: Welche Rolle hat Gott in meinem Leben überhaupt gespielt? Sie werden da, wir werden da alle zu sehr verschiedenen und 10 ganz persönlichen Antworten finden. Aber ich habe Ihnen – schon in der Einladung zu diesem Jubiläum und am Anfang der Predigt – versprochen, dass ich Ihnen eine „geistliche Brille“ anbieten werde, durch die Sie Ihre Erfahrungen und Erinnerungen heute anschauen können. Das Versprechen will ich natürlich einlösen. Die „geistliche Brille“ Wenn ich es recht sehe, dann haben alle unsere guten Erfahrungen mit (anderen) Menschen zu tun – und durch die „geistliche Brille“ sehen wir, dass Gott uns immer wieder Menschen an die Seite gestellt und dass er durch sie unser Leben bereichert, geprägt, manches Mal heraus gefordert und vertieft hat. Wir sind die Menschen, die wir sind, geworden mit und durch Menschen, die uns an die Seite gestellt waren und sind. Möglicherweise haben wir den Eindruck: Mir ist Gott in all den Jahren eigentlich nicht begegnet. Durch die „geistliche Brille“ sehen wir: Gott handelt an uns durch Menschen – und war mir darum nicht fern, sondern eben doch und in den ganz alltäglichen Erlebnissen ganz nah: In Menschen, mit denen zusammen ich Möglichkeiten hatte, die ich alleine nicht gehabt hätte: in Partnerschaften, als Eltern, in Freundschaften. In Menschen, die mich begleitet haben, wenn ich durch schwere Zeiten gegangen bin - Sie erinnern sicher genügend 11 eigene Beispiele. Und diese guten Erfahrungen sind ein Fundament für Hoffnung und Zuversicht, für Gottvertrauen auf Ihren weiteren Wegen. Schluss Manchmal wird unsere Seele von Bildern des Grauens und der Angst überschwemmt. Der Beter von Psalm 91 hat das auch erlebt und eine deutliche Bildersprache dafür gefunden. Aber er hat auch die Erfahrung gemacht, dass die guten und behütenden Mächte stark genug sind, ihn zu behüten. Damit wir diese Wahrheit Gottes und seine Boten, die Engel, nicht übersehen, dafür wurde dieses Gebet aufgeschrieben und überliefert. Wenn wir diesen Psalm beten, kommen wir dem Beter sehr nah. Und vor allem kommen wir darin seiner Hoffnung nahe. Die drückt er in einem Bild aus, das die deutliche Mehrheit der Taufeltern anspricht. Der Satz „Er hat seinen Engeln befohlen, / dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen /…“ (Psalm 91,11) ist der mit weitem Abstand beliebteste Taufspruch. Ich wünsche Ihnen, dass Sie das mitnehmen, immer wieder und immer zuversichtlicher glauben können auf allen ihren Wegen: „Er hat seinen Engeln befohlen, / dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen“. Amen. 12 1 Die Predigt beruht im Wesentlichen und auch in Formulierungen, die ich übernommen habe, zurück auf die Predigt von Pfarrer Prof. Dr. Christoph Dinkel zur Goldenen Konfirmation in der Christuskirche in Stuttgart am 9.3.2014, nachzulesen unter http://www.christuskirchestuttgart.de/fileadmin/mediapool/gemeinden/KG_stuttgart_christuskirche /Predigten/2014/Dinkel__Predigt_Psalm_91__Goldene_Konfirmation_9.3. 14.pdf 13