Mit Mama im Hörsaal - Anne

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Mit Mama im Hörsaal - Anne
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Mit Mama im Hörsaal
Zweiter Bildungsweg: Es ist ja toll, wenn ältere Menschen plötzlich den Wunsch verspüren, sich nach Elternzeit
und Erwerbsleben nochmal irgendwie neu zu verwirklichen. Aber müssen sie das unbedingt an der Uni tun,
in dem Seminar, das Sohn oder Tochter besuchen? Können sie nicht in die Toskana zum Töpfern fahren?
Von Anne-Ev Ustorf
Manchmal ist Jan Schmied besonders
froh, seine Mutter zu sehen. An Tagen,
an denen er zu spät in die Uni kommt,
zum Beispiel. Wenn sich der Geschichtsstudent morgens um 9.25 Uhr in den Vorlesungssaal des Hamburger Philosophenturms schleicht, zehn Minuten zu spät,
nur halb wach und die Augen noch verquollen von der Feier in der Nacht zuvor, dann ist er ganz erleichtert, seine
Mutter im Auditorium sitzen zu sehen.
Zweite Reihe von unten, dritter Platz
von links, da findet er sie meistens – gut
zu erkennen am silbrig-blonden Glanz
ihrer flotten Kurzhaarfrisur.
Jan weiß, dass sie eifrig mitschreibt.
Wenn er nett zu ihr ist, wird sie ihm ihre
Vorlesungsnotizen über bürgerliche Lebenswelten im 19. Jahrhundert später
schnell kopieren. „Sie ist sehr motiviert
und nimmt jede Vorlesung mit. Das hat
für mich Vorteile, aber auch Nachteile:
Fast jeden Tag ruft sie mich aus der
Staatsbibliothek an und fragt: Was
muss ich jetzt noch mal eintippen, wenn
ich das Buch reservieren will? Das ist
dann schon ein bisschen anstrengend“,
sagt der 22-Jährige.
sophie, Theologie, Psychologie oder Geschichte sind bei Studenten älterer Semester gefragt: Etwa zehn Prozent der
Psychologiestudenten in Deutschland
sind über 40, im Fach Philosophie sind
es gar 12,5 Prozent. Die Hemmschwelle,
in fortgeschrittenem Alter noch ein Studium aufzunehmen, sinkt zunehmend.
Immer häufiger sind also sowohl Eltern
als auch ihre Kinder parallel damit beschäftigt, Referate vorzubereiten oder
für Zwischenprüfungen zu lernen. Das
ist nicht immer einfach für die Kinder –
sich aber während der Studienzeit eine
latente Konkurrenzbeziehung zwischen
Tochter und Mutter – zumindest von Janas Standpunkt aus. „Es hat mich irrational geärgert, dass sie angefangen
hat, auch zu studieren“, erzählt Jana.
„Ich fand, das war eigentlich meine Rolle. Aber anfangs glaubte ich noch, die
schafft das eh nicht. Später, als klar
war, dass sie es doch durchzieht und
zwar recht erfolgreich, hatte ich das Gefühl, dass sie mein Studium nicht ernstnimmt, weil es kürzer war als ihres.
Alexander spannt sie
gerne zum Korrekturlesen
seiner Hausarbeiten ein
Zwischen Jana und Erika
entwickelte sich ein latentes
Konkurrenzverhältnis
Seit einem Semester studieren Heide
Schmied und ihr Sohn gemeinsam Geschichtswissenschaften an der Hamburger Uni. Eigentlich war es nicht so geplant. „Geschichte zu studieren, war
schon immer mein Traum, aber ich wollte, dass die Kinder erst halbwegs durch
die Schule sind“, sagt die 44-jährige
Heide. „Und als es dann so weit war,
wollte Jan auch Geschichte studieren, allerdings nicht in Hamburg, sondern in
Heidelberg“. Doch dort klappte es nicht
mit dem Studienplatz – also landeten
Mutter und Sohn zusammen im Orientierungsseminar. Anfangs ging Heide
Schmied ihrem Sohn nach den Vorlesungen absichtlich aus dem Weg, um ihm
nur nicht auf die Nerven zu fallen. Inzwischen kennt sie seine Kommilitonen,
und er kennt ihre: hauptsächlich Studenten fortgeschrittener Jahrgänge.
Ältere Studierende sind an deutschen
Universitäten schon lange keine Seltenheit mehr. Besonders Fächer wie Philo-
Flexibel. Viele Senioren wissen nicht, dass
sich jeder für 80 bis
100 Euro Semesterbeitrag als Gasthörer an der
Universität einschreiben kann –
auch ohne Abitur. Darüber hinaus bieten gut ein Drittel der
deutschen Hochschulen spezielle Seniorenstudiengänge
an. Häufig sind weder Studieninhalte noch Studiendauer verbindlich vorgeschrieben. Einen Überblick über alle Angebote bietet
www.senioren-studium.de.
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Mutter: „Die Bewunderung kam vor
allem durch die Blicke der anderen. Mit
52 noch mal mit einem Studium anzufangen und dann mit einer Eins abzuschneiden, da sage ich heute: Hut ab!“ Mutter
Erika arbeitet inzwischen als Psychologin an der Cote d’Azur und therapiert
dort deutsche Exilanten.
Der Rollenwechsel von der Mutter zur
Kommilitonin ist mitunter heikel. So
empfanden es auch die Jurastudenten
Alexander, 26, und Katharina Simon,
24, deren 51 Jahre alte Mutter Anita seit
drei Jahren Philosophie an der Uni
Frankfurt studiert – zwar nur als Gasthörerin, dafür aber mit vollem Einsatz.
Mindestens drei Tage die Woche ist sie
auf dem Campus, abends schreibt sie
Fotos: TV-yesterday, Vario Images
denn gerade ältere Studenten sind oft
hochmotiviert.
Eine leidvolle Erfahrung, die auch Jana Buchholz machen musste. Zur selben
Zeit wie ihre Mutter nahm die 31-Jährige vor einigen Jahren ein Psychologiestudium auf. Mutter und Tochter studierten allerdings in unterschiedlichen Ländern: Jana an der University of Exeter in
England, ihre Mutter Erika Schwerdtner an der Uni Hamburg. Beide wählten
ihr Studienfach aus einer ähnlichen Motivation heraus. „Wir hatten wohl dieselben Fragen“, sagt Jana, die mittlerweile
als Filmemacherin in Paris lebt. „Wir
wollten beide meinen Vater, einen extrem schwierigen Mann, besser verstehen lernen. Jede von uns dachte, dass
das Psychologiestudium da helfen würde.“ Das tat es nicht, dafür entwickelte
Fürsorglich. Das Studium ist
keine Garantie mehr dafür, einen
Arbeitsplatz zu finden. Durch
die Studiengebühren kann es
zudem teuer werden, die Universität zu wechseln. Das sind wohl
die Gründe, warum immer mehr
Eltern die Zukunft ihrer Kinder in
die Hand nehmen und an ihrer
Stelle in die Studienberatung
kommen. Die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule in
Aachen zum Beispiel hat darauf
reagiert und bietet Elternabende
an. www.rwth-aachen.de
Deswegen habe ich es dann lieber
vermieden, mit ihr über Studienthemen
zu sprechen.“
Erika Schwerdtner sieht die Sache
völlig anders: „Ich fand es schön, dass
Jana auch Psychologie studiert hat. So
hatten wir eine weitere gemeinsame
Sprache. Konkurrenz gab es null Prozent.“ Irgendwann tat Jana ihrer Mutter
mal einen Gefallen und begleitete sie zu
einer Vorlesung an die Hamburger Uni.
Eine grenzwertige Erfahrung: „Aus Gewohnheit habe ich die Freundinnen meiner Mutter dort gesiezt. Später fand ich
heraus, dass die kaum älter waren als
ich.“ Jana Buchholz schloss ihr Studium
mit der Note Zwei ab, Erika Schwerdtner toppte ihre Tochter wenig später mit
einer Eins. Doch Janas anfänglicher
Neid wich schließlich dem Stolz auf die
Neugierig. Und was macht
nun das eigene Kind an der Uni?
Studiert es fleißig? Seit 2005
laden die Hochschulen und die
Stadt Münster jedes Jahr zum
Elternalarm-Wochenende
(www.elternalarm.de) ein. Papa
und Mama können sich so ein
Bild vom studentischen Alltag
verschaffen. Wer gleich mitstudieren will, kann sich bei BAG
WiWA, der Bundesarbeitsgemeinschaft Wissenschaftliche
Weiterbildung für Ältere informieren. www.dgwf.net/bagwiwa
Hausarbeiten. Alexander und Katharina betrachten das Studium ihrer Mutter
zwar mit Wohlwollen, betonen aber
auch die Einschränkungen, die das Familienleben dadurch erfährt – denn beide
leben noch zu Hause. „Durch das Studium meiner Mutter gibt es schon mal Engpässe“, sagt Alexander. „Wir müssen
uns oft selber verpflegen. Mittags esse
ich nun immer in der Mensa, weil es
abends nichts Warmes mehr gibt. Aber
inzwischen habe ich gelernt zu kochen.
Das hat ja auch was Gutes.“
Alexander betreibt nebenbei eine beeindruckende politische Karriere, ist
bereits CDU-Ortsvorsteher für seinen
Stadtteil in Eppstein und Kreistagsabgeordneter im Main-Taunus-Kreis. Ein
Foto mit Kochlöffel würde sich auf der
Homepage des Jungpolitikers neben den
vielen Schnappschüssen mit politischer
Prominenz und Bildern aus der Wehrdienstzeit vermutlich gut machen.
Aber was würde er sagen, wenn sich
seine Mutter richtig immatrikulieren lassen würde, eine Idee, mit der sie schon
länger liebäugelt? „Warum nicht?“, sagt
Sohn Alexander. „Der einzige Nachteil
wäre höchstens, dass sie mich noch stärker als bisher in Diskussionen über ihr
Fach zu verwickeln versuchen würde.
Hegels Phänomenologie des Geistes und
so weiter. Mein Spezialgebiet ist das
nicht gerade. Aber am Ende wäscht eine
Hand die andere: Schließlich spanne ich
sie ja auch zum Korrekturlesen meiner
Hausarbeiten ein.“
Kinderfreundlich. Es gibt immer mehr familiengerechte Hochschulen, trotzdem ist ein Studium nicht leicht mit Kindern zu
vereinbaren. Gut, wenn man auf
Erfahrungen zurückgreifen
kann. An der Hochschule für
angewandte Wissenschaft und
Kunst in Hildesheim haben Ingrid und John Coughlan das Mentorenprogramm „Karrriere-K(n)ick Familie“ gegründet.
Die beiden bekamen als Studenten selbst drei Kinder und kennen sich aus. www.hawk-hhg.de
Nervig. Ehrlich gesagt, sind
manche Senioren jungen Kommilitonen eine Last. Das geht
schon morgens im Hörsaal los,
wenn die Silberhaar-Fraktion
wieder pro Person drei Plätze
für sich selbst, die Ledertasche
und die Tageszeitung belegt.
Auf der anderen Seite wird die
Jugend bekanntlich auch von
Jahr zu Jahr schlimmer. Das
beste Mittel, sich trotzdem zu
verständigen, sind lustige Studentenwitze. Gesprächsstoff
gibt es auf www.witzcharts.de