DEr LEtztE Macht Das Licht aus - JS

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DEr LEtztE Macht Das Licht aus - JS
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dienst StandortschlieSSung
standortschlieSSung dienst
Der Letzte
Macht das
Licht aus
E
s ist einsam in
der Kantine,
schon seit Monaten. Benjamin
Peters
sitzt allein am
Tisch, stochert im Abendessen.
Um ihn herum stehen ganze
Tischreihen verwaist. Genauso
trist ist es auf der Stube, die der
20-jährige Hauptgefreite allein
bewohnt. Die Kaserne ist fast
leer. „Wir haben hier kaum noch
etwas zu tun“, sagt Peters. „Und
nach dem Dienst ist auch tote
Hose.“ Weder in der Kaserne
noch im Ort sei etwas los. Die
meisten Spiele auf seiner Videokonsole hat er durchgespielt,
seit ein paar Wochen macht er
in der Fahrschule neben der Kaserne seinen Führerschein. Am
Standort Lütjenburg gehen
Ende des Jahres nach 50 Jahren
die Lichter aus.
Am 26. Oktober 2011 stellte
Verteidigungsminister Thomas
de Maizière sein Standortkonzept vor. Spätestens da wussten
in Lütjenburg alle, dass der
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Standort geschlossen wird. Dass
auch die komplette Truppengattung der Heeresflugabwehr, die
hier stationiert ist, aufgelöst
werden soll, war bereits seit
Sommer 2010 bekannt. Rund
1200 Soldaten dienten damals
im Regiment, heute sind es noch
400. Die Planer im Ministerium
hielten es nach dem Ende des
Kalten Krieges nicht mehr für
notwendig, dass Einheiten des
Heeres vor Luftangriffen geschützt werden müssen.
Bereits vor zwei Jahren wurde das „Arbeitstier“ der Truppe
ausgemustert, der Flugabwehrkanonenpanzer Gepard. Seitdem holten Schwertransporter
34 Panzer ab. Wohin, dazu will
man nichts sagen. Zwei stehen
noch in der Halle, hängen an
Stromkabeln, weil die Batterien
sonst binnen Tagen leer wären.
Über 70 Prozent des Großgerätes ist bereits weg, aufgeteilt in
andere Einheiten. Hallen und
Abstellflächen sind leer. Alles
muss weg, vom Spaten bis zum
Gewehr.
Lange hofften die Soldaten am
Standort, das „MANTIS“-System
zu übernehmen, das einmal
­dafür gedacht war, die Feldlager
in Afghanistan vor Granatenund Mörserbeschuss zu schützen. Doch MANTIS wird künftig
von der Luftwaffe in Husum betrieben. Dorthin sind bereits
150 Soldaten der Heeresflugabwehr gewechselt, haben die
Heeresuniform gegen die der
Luftwaffe getauscht. Einige in
Lütjenburg hatten gehofft, dass
eine Infanterieeinheit in die Kaserne zieht. Das hätte manchen
vor der Versetzung bewahrt.
Hauptgefreiter Maike Buske
wusste bis Februar nicht, wie es
bei ihr weitergehen würde. Sehr
oft musste sie nachhaken, berichtet die 22-jährige Zeitsoldatin. Der Anruf vom Spieß
machte sie dann zur Gewinnerin der Standortschließung:
Künftig wird sie die Marineuniform tragen und als Stabsdienstsoldatin im Landeskommando
in Kiel arbeiten, eine der wenigen freien Stellen dort. Heimat-
Hauptgefreiter
Benjamin Peters
mit einem Ka­
meraden in der
fast leeren Kanti­
ne. Kleines Bild:
Stabsfeldwebel
Axel Stoltz und
seine Frau Marti­
na sorgen sich,
wie es weiterge­
hen soll.
FotoS: Nicolas felder, www.nicolasfelder.com
Wie geht es den Soldaten an Standorten, die geschlossen
werden? Pascal Ziehm war bei der Heeresflugabwehr
in Lütjenburg. Dort wird nicht nur die Kaserne dichtgemacht. Sondern eine ganze Truppengattung aufgelöst
näher geht es für sie kaum. Auch
Benjamin Peters scheint mit einer Versetzung kein Problem zu
haben. „Ich bin unabhängig.
Mir ist das egal“, sagt er. Dafür
hätten sie unterschrieben, und
das gehöre zum Soldatsein eben
dazu, hört man immer wieder.
Wie andernorts hat auch die
Stadt Lütjenburg darum geworben, Standort zu bleiben: Medienberichte, Appelle an den Verteidigungsminister. Ein Faltblatt
preist die Vorzüge des Standorts
an: Lütjenburg, „Garnisonsstadt
mit Herz“. Auf dem Cover wirbt
auch Oberleutnant Claudia
Groß im Feldanzug für den
Standort, mit ihrem Sohn auf
dem Arm. Vor zwei Jahren kam
die 32-Jährige hierher, wechselte von der Artillerie, um an der
Ostseeküste die Familie wieder
zusammenzuführen. Ende des
Jahres geht Groß zunächst in
den Mutterschutz, später in den
BFD. Ihre Karriere bei der Bundeswehr geht zu Ende.
Die Personalverantwortli­
chen des Regiments in Lütjenburg nennen die „Personalabschmelzung“ einen „vollen Erfolg“. 250 Soldaten wurden
bereits versetzt. Viele, die noch
da sind, werden die Bundeswehr
ohnehin bis Jahresende verlassen. Aus Personalfragebögen
und Personaldaten wurden so-
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genannte Steuerlisten angefertigt, die dann über die Schreibtische der 1. Panzerdivision in
Hannover den Personalstellen
zur Entscheidung vorgelegt wurden. Ein langer bürokratischer
Weg. „Üblich und bewährt“, sagen die Personaler. Nennenswerte Probleme? „Keine“, heißt
es von offizieller Seite.
Einer, der das anders sieht,
ist der 43-jährige Stabsfeldwebel
Axel Stoltz, Soldat seit 1987. Für
ihn wird die Reform zum persönlichen Problem. Als es den
Gepardpanzer hier noch gab,
war er Ausbilder am Simulator
und Kraftfahrfeldwebel. Heute
ist sein Aufgabenfeld deutlich
übersichtlicher. Stoltz ist Vorsitzender der Unteroffiziersheimgesellschaft. Er sagt, er würde
den Beruf wechseln, wenn es
beim Zoll oder bei der Bundespolizei eine Stelle für ihn gäbe.
Doch das Wichtigste ist für ihn,
in Zukunft nicht von Frau und
Sohn getrennt zu sein.
Stoltz ist geschieden. Seine
zweite Ehefrau Martina folgte
ihm von München in den Norden. Eineinhalb Jahre brauchte
sie, um Fuß zu fassen, einen Job
zu finden. In einer Doppelhaus-
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sie zum Jahresende versetzt werden. Dazu heißt es aus der Personalabteilung im Regiment: „Aus
Fürsorgegründen wird diese
Planung erst bekanntgegeben,
­
wenn sie aus Sicht der Personalführung als sicher zu bewerten
ist, um nicht Erwartungen zu
schüren, welche gegebenenfalls
enttäuscht werden müssen.“
Stabsfeldwebel Heiko Gaeb­
ler war Spieß in der Allgemeinen
Grundausbildung, jetzt
löst er die 8. Batterie auf,
wie die Kompanien in d
­ er
Heeresflugabwehr heißen.
„Als Spieß bin ich derjenige, der das Licht ausmacht.“ Gaebler sagt, es
habe ihm wehgetan, das
Batteriewappen vom Gebäude abnehmen zu müssen. Es wird ans Luftwaffenmuseum nach BerlinGatow verschickt oder
von der Flugabwehr der
Luftwaffe in Husum übernommen – genauso wie
die Flakgeschütze, die hinter der Wache stehen, die
Gedenksteine vor den Batteriegebäuden, die Truppenfahnen und das BoWas die Bundeswehr tun sollte
genschützensilber.
Ist Gaebler noch gerne
werden. Als Vorgesetzter
 die Soldaten informieren,
Soldat?
Ja, sagt er. Trotzmuss man akzeptieren
bevor sie es aus der
dem habe auch er Motivaund es aushalten, dass
Zeitung erfahren.
Leugnen, Ärgern und
tionsprobleme gehabt. Die
 nicht davon ausgehen,
Jammern zu
meisten Soldaten haben
dass die Mannschafter –
Veränderungs­prozessen
die man angeblich so
das Regiment verlassen,
dazugehören.
dringend braucht – indi­
Kameraden und Freu­n­de
rekt über die Vorgesetzten  Standortschließungen
wurden getrennt. Auf
alles erfahren. Mannschaf­
betreffen auch die
Gaeb­ler wartet eine Stabster sollten genauso ernst
Familien. Ihnen sollte die
verwendung, schriftlich
genommen werden wie
Bundeswehr besonders
alle anderen Soldaten.
zur Seite stehen.
hat er das noch nicht. An
 In Wirtschaftsunterneh­
 Die Soldaten selbst sollten
den neuen Job muss sich
men heißt es Change
nicht blind darauf ver­
der 43-Jährige noch geManagement: Um Un­
trauen, dass der Dienst­
wöhnen: „Früher dachte
sicherheit zu vermeiden,
herr alles für sie regelt.
ich, ich sitze mit 45 Jahren
müssen Mitarbeiter
Initiativ werden, sich
noch auf dem Panzer.“
möglichst früh und
selbst umhören, wo es
umfassend informiert
Stellen gibt.
Vom offiziellen Beschluss, den Standort zu
Unten links:
Oberleutnant
Claudia Groß ver­
lässt die Bundes­
wehr bald. Links:
Oberst Kuhlen
wollte seine Sol­
daten nicht im
Stich lassen.
­Unten: Fast alle
Gepardpanzer
sind abtranspor­
tiert.
hälfte wohnen sie zur Miete. Sie
würde jederzeit mit ihrem Mann
umziehen, egal wohin. Eine
Fernbeziehung kommt für beide
nicht infrage. Doch Stoltz kann
aus einem anderen Grund nicht
weg: Sein 13-jähriger Sohn aus
erster Ehe, der nicht weit entfernt lebt. Nach der Scheidung
war Stoltz fünf Jahre getrennt
von seinem Kind. Beiden bekam
das nicht gut. Was genau geschehen ist, möchte Stoltz nicht
erzählen. „Meinen Sohn kann
ich hier nicht alleinlassen“, sagt
er mit bayerischem Akzent.
Zum Truppenarzt ist er gegangen, hat sein Problem geschildert, wurde in die psychia-
trische Abteilung des Bundeswehrkrankenhauses überstellt.
Stoltz stockt immer wieder, während er erzählt. Auch ein ziviler
Psychologe bestätigt ihm, krank
zu werden, wenn er weggeht.
Therapierbar ist er momentan
nicht, denn das Problem entsteht ja erst, wenn er weg muss.
Hamburg ist seine Schmerzgrenze. Auch den Sozialdienst hat
Stoltz eingeschaltet. Eine Mitarbeiterin kommt zum gleichen
Ergebnis wie die drei Ärzte.
Hinter vorgehaltener Hand
heißt es vom Sozialdienst, dass
solche Prognosen bei den Personalstellen kaum noch zählen.
Den Eindruck hat auch Axel
Stoltz: „Von meinen Personalführern hätte ich mir mehr Verständnis für meine Situation erhofft.“ Seine Frau Martina hätte
sich frühzeitige Informationen
und den Einbezug der Familie
gewünscht. Ihren Mann erlebt
die 41-Jährige öfters trübsinnig,
still, nachdenklich. Das Ehepaar
fühlt sich wie gelähmt.
60 weitere Soldaten im Regiment wissen noch nicht, wohin
schließen, erfuhr in der Heeresflugabwehrtruppe Oberst Klaus
Kuhlen als Erster. Er ist gleichzeitig der letzte General der
Truppengattung. Seit 41 Jahren
ist Kuhlen Soldat, er trägt die
korall­rote Litze, im Barettabzeichen die von Eichenlaub umgebenen gekreuzten Rohre und die
Rakete. Er sitzt in einem Hinterzimmer des Unteroffizierheims
der Schill-Kaserne. Ende August
2010 erfuhr er davon, dass es seine Truppe künftig nicht mehr
geben wird. „Ich habe das akzeptiert“, sagt Kuhlen knapp. Es
scheint in ihm zu rumoren. Eine
Entscheidung ohne Details sei es
gewesen. In die Detailplanung
im Ministerium hatte man ihn
nicht eingebunden. Damals hatte er kurz darüber nachgedacht,
hinzuwerfen. Ein Nachlassverwalter wollte er nicht sein. Dann
blieb er doch, um seine Frauen
und Männer nicht alleinzulassen.
Kuhlen wollte so gut wie
mög­
lich informieren. Jede
hand­feste Neuigkeit gab er weiter, berief Personalversammlungen ein, sprach mit den
Kommandeuren und Einheitsführern. Doch auch er konnte
nicht vermeiden, dass seine Soldaten nur häppchenweise erfuhren, was sie erwartet.
Als der Verteidigungsminis­
ter in Berlin die Standortschließungen verkündete, bauten die
Mannschafter ihre Laptops auf,
um live übers Fernsehen zu erfahren, wie es weitergeht. Der
Regimentskommandeur in Lütjenburg hatte nur die Offiziere
und Unteroffiziere zum gemeinsamen Anschauen der Pressekonferenz eingeladen – in die
Truppenküche. Das Offiziersheim war da schon nicht mehr
brauchbar. Dort macht sich bereits der Schimmel breit.
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