Beatmung in Bauchlage beim akuten Lungenversagen

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Beatmung in Bauchlage beim akuten Lungenversagen
MEDIZIN
ÜBERSICHTSARBEIT
Beatmung in Bauchlage beim akuten
Lungenversagen
Thomas Bein, Ralf Kuhlen, Michael Quintel
ZUSAMMENFASSUNG
SUMMARY
Einleitung: Die Behandlung des akuten Lungenversagens
erfordert neben der Beatmung spezielle Strategien des
Flüssigkeitsmanagements, der adäquaten pharmakologischen und antimikrobiellen Intervention sowie besondere
Lagerungstechniken. Die Beatmung in Bauchlage stellt eine supportive Maßnahme dar, über deren pathophysiologische Grundlagen, wissenschaftliche Evidenz und klinische
Anwendung hier berichtet wird. Methoden: Literaturrecherche in den Datenbanken PubMed/Medline, Embase und
Cochrane. Analyse von 384 publizierten Arbeiten (prospektiv randomisierte Studien, Kohortenstudien, Fallberichte,
Übersichten, Editorials) zum Thema Lagerungstherapie bei
akuter respiratorischer Insuffizienz. Auswahl der Arbeiten,
die den Qualitätskriterien des Oxford Centre for EvidenceBased Medicine entsprechen. Ergebnisse: Bei Patienten
mit akutem Lungenversagen bewirkt die intermittierende
Beatmung in Bauchlage eine Reduktion des VentilationsPerfusions-Missverhältnisses und somit eine Verbesserung des pulmonalen Gasaustausches. Die Reduktion der
Letalitätsrate durch diese Maßnahme ist bisher nicht bewiesen. Der Lagerungswechsel kann mit potenziell
schwerwiegenden Komplikationen verknüpft sein und erfordert ein gut geplantes, strukturiertes Vorgehen. Diskussion: Obwohl die Bauchlage bei kritisch eingeschränkter
Oxygenierung häufig eingesetzt wird, fehlt der Nachweis
eines generellen Überlebensvorteils. Künftige Studien
sollten es ermöglichen, den Stellenwert bei klar umschriebenen Indikationen festzulegen.
Dtsch Arztebl 2007; 104(28–29): A 2048–53.
Ventilation in Prone Position in Acute Lung
Failure
Introduction: The intensive care management of acute
pulmonary failure includes mechanical ventilation, careful
management of fluid balance, pharmacological and antimicrobial interventions and special positioning techniques.
We report on the pathophysiological principles, scientific
evidence and clinical application for prone position in
mechanically ventilated patients suffering from acute
respiratory failure. Methods: Literature search in PubMed/
Medline, Embase and Cochrane databases. 384 publications
dealing with positioning therapy (prospective randomized
studies, cohort studies, case reports, reviews, editorials)
were analyzed. Results: In patients with acute respiratory
failure ventilation in prone position improves gas exchange
by reducing ventilation-perfusion mismatch. However, a
reduction in mortality in these patients has not been
demonstrated. The technique of prone positioning can be
associated with severe complications. It requires clear
management algorithms. Discussion: Although intermittent
prone positioning is accepted as a routine treatment in
patients with impaired oxygenation, no studies have so far
been able to show a decrease in mortality rate in these
patients. Further prospective studies in well defined
patient populations are required to clarify its role.
Dtsch Arztebl 2007; 104(28–29): A2048–53.
Key words: ventilation, acute respiratory failure, oxygenation,
prone position, perfusion, ventilation
Schlüsselwörter: Beatmung, akutes Lungenversagen, Oxygenierung, Bauchlage, Perfusion, Ventilation
D
Klinik für Anästhesiologie, Universitätsklinikum Regensburg:
Prof. Dr. med. Bein
Klinik für Intensivmedizin, Helios-Klinikum
Berlin-Buch: Prof. Dr.
med. Kuhlen
Anästhesiologie II –
Operative Intensivmedizin, Universitätsklinikum Göttingen:
Prof. Dr. med. Quintel
A 2048
as akute Lungenversagen des Erwachsenen ist gekennzeichnet durch eine nachhaltige Einschränkung des pulmonalen Gasaustausches, welche – je nach
Grad der Lungenschädigung – eine unterschiedlich ausgeprägte Störung der pulmonalen Verteilung von Ventilation
und Perfusion widerspiegelt (1). Unter physiologischen
Bedingungen ist das Verhältnis von Ventilation (VA) zu
Perfusion (Q) im großen Gasaustauschgebiet der Lunge
(circa 300 Millionen Alveolen mit begleitenden Kapillaren beim Erwachsenen) fein aufeinander abgestimmt, um
ein optimales Verhältnis von alveolärer Ventilation zu pulmonaler Perfusion zu gewährleisten, sodass die Atemgase
Sauerstoff und Kohlendioxid effektiv ausgetauscht werden. Schwerwiegende Störungen des VA/Q-Verhältnisses
entstehen im Rahmen von akuten pulmonalen Erkrankungen, beispielsweise bei Pneumonie, Ödem, Lungenkontusion oder Aspiration. Auch extrapulmonale Erkrankungen, wie Massivtransfusion, Trauma, Sepsis, „neurogenes“ Lungenödem infolge einer Hirnläsion, akute Peritonitis oder Pankreatitis können zu diesen Störungen führen.
Die wichtigsten Mechanismen der Beeinträchtigung
der pulmonalen Funktion hierbei sind in Grafik 1 dargestellt. Nach einer amerikanisch-europäischen Konsensuskonferenz (2) wird der Schweregrad des Lungenversagens
anhand des Ausmaßes der Oxygenierungsstörung in 2
Kategorien eingeteilt (Kasten 1), auf denen spezifische
Therapiestrategien basieren. Der akute Beginn, das Ausmaß der Hypoxämie und das Fehlen einer akuten Herzin Jg. 104
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suffizienz sind beiden Formen der respiratorischen Insuffizienz gemeinsam. Beim akuten Atemnotsyndrom
(ARDS) handelt es sich um die schwerere Form des akuten Lungenversagens, die pathophysiologisch durch eine
endotheliale und epitheliale Schädigung der alveolokapillären Strukturen mit konsekutiver Flüssigkeitseinlagerung, Surfactantverlust und Destruktion der Alveolararchitektur charakterisiert ist (3).
Das akute respiratorische Versagen ist eine der wesentlichen Aufnahmediagnosen auf Intensivstationen. Die
derzeit wichtigsten Therapieprinzipien beim akuten Lungenversagen schließen differenzierte Beatmungsstrategien, Flüssigkeits- und Ernährungsmanagement, adäquate
Antibiotikatherapie, pharmakologische Interventionen
und spezielle Lagerungsmaßnahmen ein (4) (Kasten 2).
Besondere Bedeutung kommt hierbei der maschinellen
Beatmung zu, weil sie auf der einen Seite das wichtigste
symptomatische Therapieprinzip des Lungenversagens
ist, auf der anderen Seite aber selbst – vor allem aufgrund
der Umkehrung der intrathorakalen Druckverhältnisse –
zu schwerwiegenden Nebenwirkungen führen kann. Insbesondere können die Lunge, aber auch nichtpulmonale
Organe, durch Druck, Volumen und Scherkräfte weiter geschädigt werden (5). Deshalb wird beim akuten Lungenversagen maßgeblich an supportiven Therapieprinzipien
geforscht, die – ohne die Lunge zu schädigen – dazu beitragen, die Lungenfunktion zu verbessern.
Die Beatmung in Bauchlage war in den letzten Jahren
Gegenstand zahlreicher klinisch-wissenschaftlicher Untersuchungen und wird auf vielen Intensivstationen beim
akuten Lungenversagen angewandt. Im Folgenden wird
über die (patho-)physiologischen Grundlagen, die klinischen Erfahrungen sowie über den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zum Konzept der Beatmung in Bauchlage berichtet. Die Autoren führten eine
umfassende Literaturrecherche in den Datenbanken
PubMed/Medline, Embase und Cochrane durch. Es erfolgte die Analyse von 384 publizierten Arbeiten (prospektiv randomisierte Studien, Kohortenstudien, Fallberichte, Übersichten, Editorials) zum Thema Lagerungstherapie bei akuter respiratorischer Insuffizienz
und die Auswahl derjenigen Arbeiten, die den Qualitätskriterien des Oxford-Centre for Evidence Based Medicine
entsprechen.
ten zur Kollapsneigung der mittleren und kleinen Luftwege mit nachfolgender Atelektasenbildung. Beim erkrankten Lungenparenchym wird dieser Effekt durch
bronchoalveoläre Sekretion, Ödembildung und Minderproduktion sowie Fehlfunktion des pulmonalen Surfactant-Systems verstärkt (7).
1
GRAFIK 1
Verschiedene pathophysiologische Mechanismen bei akuter respiratorischer
Insuffizienz. ARDS,
„acute respiratory
distress syndrome“;
aus: Bein T, Pfeifer M
(Hrsg.): Intensivbuch
Lunge. Medizinisch
Wissenschaftliche
Verlagsgesellschaft,
2007, mit freundlicher Genehmigung
der Medizinisch
Wissenschaftlichen
Verlagsgesellschaft,
Berlin.
KASTEN 1
Klassifizierung des akuten Lungenversagens*
c „AAcute lung injury“ (ALI)
– akute Entwicklung
– PaO2/FIO2 < 300 mm Hg (unabhängig vom PEEP-Niveau)
– bilaterale Infiltrate auf der anteroposterioren Thoraxröntgenaufnahme
– keine klinischen Zeichen einer linksatrialen Hypertonie
c „AAcute respiratory distress syndrome“ (ARDS)
– akute Entwicklung
– PaO2/FIO2 < 200 mm Hg (unabhängig vom PEEP-Niveau)
– bilaterale Infiltrate auf der anteroposterioren Thoraxröntgenaufnahme
– keine klinischen Zeichen einer linksatrialen Hypertonie
* gemäß der amerikanisch-europäischen Konsensuskonferenz (2);
PaO2, arterieller Sauerstoffpartialdruck; FIO2, inspiratorische Sauerstoffkonzentration; PEEP, positiv-endexspiratorischer Druck
Wirkung der Bauchlage beim akuten
Lungenversagen
Neben den in Grafik 1 dargestellten Mechanismen, die
bei der Entwicklung eines Lungenversagens die Einschränkung des Gasaustauschs bedingen, führen künstlicher Luftweg und maschinelle Beatmung zu zusätzlichen, typischen Veränderungen im respiratorischen
System. Analgosedierung, Intubation und mechanische
Beatmung per se induzieren eine Abnahme des Thoraxdurchmessers sowie eine Veränderung der Zwerchfellkonfiguration: Neben einer kranialwärts orientierten
Verlagerung und Abflachung des Diaphragmas beeinflussen sie die Geometrie und Elastizität sämtlicher Bestandteile der Thoraxwand sowie der Bauchmuskulatur
negativ (6). Dies führt beim beatmeten Intensivpatien Jg. 104
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KASTEN 2
Konzepte zur Behandlung
des akuten Lungenversagens
c
c
c
c
c
c
c
c
lungenprotektive Beatmung
positiv-endexspiratorischer Druck (PEEP)
Rekrutierungsmanöver („open lung“)
frühzeitige Integration der Spontanatmung
balancierte Volumentherapie
Lagerungstherapie (Bauchlage)
pharmakologische Intervention
extrakorporale Lungenunterstützung
A 2049
MEDIZIN
Abbildung 1:
Computertomografische Darstellung der Lunge bei
einem Patienten mit
akutem Lungenversagen, Anschnitt
unterhalb der Carina.
Deutlich erkennbar
sind typische dorsobasale Atelektasen
mit Regionen der
Minderbelüftung.
Atelektasen entstehen also überwiegend in den dorsalen, zwerchfellnahen Abschnitten. Sie verkleinern den Anteil des belüfteten Lungenparenchyms erheblich, werden
aber weiterhin – gerade weil sie in den gravitationsabhängigen Partien der Lungen liegen – durchblutet. Dieses Missverhältnis zwischen Ventilation und Perfusion wird als intrapulmonaler Shunt bezeichnet und bestimmt weitgehend
das Ausmaß der Störung des pulmonalen Gasaustausches.
In diesen Arealen findet keine Ventilation statt, wohl aber
eine unverminderte, wenn nicht sogar verstärkte Durchblutung (Abbildung 1), wobei kein Kontakt zwischen Blut
und Gas zustande kommt. Um den Gasaustausch zu verbessern, sind Maßnahmen zur Wiedereröffnung dieser
Atelektasen von besonderem therapeutischen Interesse.
Thoraxkonfiguration,
Atemgasverteilung
und Atelektasenbildung (schraffierte
Linien) in Rückenlage und in Bauchlage. Beachtenswert ist die Veränderung des Diaphragmas (Zunahme der „muskulären
Dynamik“ im Bereich der Wirbelsäule). In Bauchlage
werden die Atemgase homogener
verteilt und die
Atelektasenareale
reduziert.
A 2050
GRAFIK 2
Schon vor 30 Jahren wurde erstmals über den Einsatz der Bauchlagerung beim akuten Lungenversagen
berichtet (8). Hierdurch konnte die Oxygenierung
deutlich gesteigert werden, allerdings war der genaue
Mechanismus lange Zeit unbekannt. Erst durch die
Einführung der Computertomografie (CT) und durch
die Entwicklung aufwendiger lungenphysiologischer
Funktionsuntersuchungen („multiple inert gas elimination
technique“, MIGET) konnte man den Effekt der Bauchlage auf die geschädigte Lunge exakt erfassen (Kasten 3).
Die Bauchlagerung bewirkt eine Homogenisierung der
Atemgasverteilung und der pulmonalen Perfusion (9)
und somit eine Reduktion des VA/Q-Missverhältnisses
(Grafik 2). Darüber hinaus ergaben die CT-Studien,
dass die Bauchlagerung die respiratorische Mechanik
verbessert, die Dynamik des Zwerchfells steigert und
durch die Umkehr der Gravitationsverhältnisse zu einer
Wiedereröffnung dorsobasaler „abhängiger“ Lungenareale beiträgt. Dies reduzierte die intrapulmonale
Shuntfraktion (10).
Evidenzlage zur Beatmung in Bauchlage
Zahlreiche Studien wiesen bei Patienten mit akutem Lungenversagen eine Steigerung der Oxygenierung durch
Bauchlagerung nach (10–15). Insbesondere bei Patienten
mit posttraumatischer respiratorischer Insuffizienz zeigte
sich ein guter Effekt (16). Die Verbesserung des Gasaustausches stellte sich häufig innerhalb kurzer Zeit ein und
ließ sich über Stunden hinweg steigern. In den meisten
Studien betrug die Dauer der Bauchlagerung 6 h, die tägliche Wiederholung der Maßnahme im Intervall führte zu
einer andauernden und nachhaltigen Besserung des pulmonalen Gasaustauschs. Hierdurch wurde die Bauchlagerung insbesondere bei schweren, aufgrund der Hypoxämie akut lebensbedrohenden Formen des ARDS als
akute „Rettungsmaßnahme“ eingesetzt. In vergleichenden Studien war eine langdauernde Bauchlagerung
> 12 h der kürzeren Dauer von 6 h bezüglich des Effektes
auf die Oxygenierung überlegen (17, 18). Allerdings fehlen
bisher weitergehende Studien, die es erlauben, einen klaren Algorithmus abzuleiten. So sind weder der optimale
Zeitpunkt, prophylaktisch oder therapeutisch, die spezifische Indikation, „acute lung injury“ (ALI) oder ARDS,
sowie Dauer und Wiederholung klar definiert. Auch die
Indikation zum Einsatz weiterer Rettungsmaßnahmen
zur Steigerung des Gasaustausches bei lebensbedrohlich
eingeschränkter Oxygenierung, wie die Inhalation von
Stickstoffmonoxid oder Prostazyklin sowie der extrakorporale Lungenersatz, sind mangels aussagekräftiger prospektiver Studien nicht klar festgelegt.
Das klinische Ergebnis der Beatmung in Bauchlage
war in den letzten Jahren Gegenstand von 3 großen
multizentrischen Studien (19–21), die der Frage nachgingen, ob durch systematische Bauchlagerung die Letalität
beim akuten Lungenversagen verringert werden kann.
Die wesentlichen Ergebnisse sind in der Tabelle dargestellt. Die Studien von Gattinoni et al. (19) sowie Guerin
et al. (20) wählten als Einschlusskriterium ein moderates
Lungenversagen (ALI) und führten täglich eine Bauchlagerung von 8 h durch. In diesen Studien mit großer Fall Jg. 104
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zahl und einem vergleichbaren Beatmungsregime fand
man keinen Unterschied bezüglich der Letalität zwischen
der Untersuchungsgruppe mit Bauchlagerung und der
Kontrollgruppe. Allerdings wiesen Guerin et al. eine Reduktion der Inzidenz von beatmungsassoziierten Pneumonien bei den Patienten nach, die mehrere Tage regelmäßig auf dem Bauch gelagert wurden.
Die Komplikationsrate, wie zum Beispiel lagerungsbedingte Druckschäden, war in der Gruppe mit Bauchlagerung höher. In der Studie von Mancebo et al. (21) mit
klarer definierten Einschlusskriterien – es wurden lediglich Patienten mit manifestem ARDS eingeschlossen –
und längeren Bauchlagerungszeiten von 20 h, ergab der
Trend eine niedrigere Letalität der Untersuchungsgruppe,
allerdings verfehlte diese Studie das Signifikanzniveau.
Die Untersuchung musste aus logistischen Gründen nach
Einschluss von 136 Patienten abgebrochen werden.
Letztendlich fehlen also große, multizentrische Studien,
die einen positiven Effekt der Bauchlagerung auf die Beatmungsdauer, auf die Intensivbehandlungszeit und die
Letalität eindeutig belegen. Insbesondere fehlen klare
Einschlusskriterien und ein striktes Studienprotokoll, in
dem einheitliche Intensivtherapie vorgeschrieben und die
Einstellung der Beatmung geregelt wird. Alle Studien
waren Gegenstand lebhafter methodischer Diskussionen.
Wesentliche Kritikpunkte sind, dass es unterschiedliche
Lagerungsprotokolle gab, die man nicht immer einhielt.
Ferner bestand wenig vorherige Erfahrung mit der Lagerung, und die Patienten waren nicht eindeutig charakterisiert. In allen Studien gab es Untergruppen, die augenscheinlich von der Intervention profitierten, sodass in
künftigen Studien ganz wesentlich auf die präzise Definition der untersuchten Krankheitsbilder und -zustände fokussiert werden muss. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die in diesen 3 großen Studien verwendeten
Beatmungseinstellungen nur teilweise mit dem derzeit
empfohlenen Konzept der „lungenprotektiven“ Beat-
KASTEN 3
Effekte der Beatmung in Bauchlage
c Homogenisierung der Atemgasverteilung
c Homogenisierung der pulmonalen Perfusion (Reduktion
des Ventilations-Perfusions-Missverhältnisses)
c Reduktion des Pleuradruckgradienten
c Verbesserung der respiratorischen Mechanik
c „Dynamisierung“ des Diaphragmas
c Reduktion von Atelektasen
c Steigerung der pulmonalen Sekretion
mung übereinstimmen. So empfiehlt heute das Acute
Respiratory Distress Syndrome Network (22) einen hohen positiv-endexspiratorischen Druck (PEEP) und ein
niedriges Tidalvolumen. Die inkonsequente Einhaltung
dieser Empfehlung könnte dazu beigetragen haben, dass
zwischen Interventions- und Kontrollgruppe kein Unterschied in der Letalität bestand.
Bauchlagerung in der Intensivmedizin
Die Beatmung in Bauchlage wird – auch ohne eindeutigen Wirksamkeitsnachweis – auf vielen Intensivstationen
angewandt (Abbildung 2). Sie erfordert eine sorgfältige
Vorbereitung sowie eine gute Abstimmung zwischen
pflegendem und ärztlichem Personal, um Komplikationen zu vermeiden (Kasten 4). Zu diesen gehören neben
dem akzidentellen Verlust von Tubus oder Kathetern vor
allem hämodynamische und pulmonale Beeinträchtigungen durch vegetativen Stress oder einer Dyskoordination
zwischen Beatmungsgerät und Patient, sofern dieser
nicht ausreichend sediert ist. Darüber hinaus können bei
besonders schlanken oder übergewichtigen Patienten und
beim Einsatz von vasopressorischen Substanzen (Katecholaminen) exponierte Hautareale wie Knie, Becken,
TABELLE
Vergleich von Studiendesign und Ergebnissen von 3 großen, prospektiven multizentrischen
Studien zur Bauchlagerung bei akutem Lungenversagen
Gattinoni (19)
Guerin (20)
Mancebo (21)
RL
BL
RL
BL
RL
BL
Patienten
152
152
387
413
60
76
Kriterium
(PaO2/FIO2 < 300)
(PaO2/FIO2 < 300)
(PaO2/FIO2 < 200)
Stunden BL/d
7h
8h
20 h
Tidalvolumen
10 mL/kg
8–10 mL/kg
8 mL/kg
PEEP
10 cm H2O
8 cm H2O
8 cm H2O
Letalität
kein Unterschied
kein Unterschied
kein Unterschied
Pneumonie
nicht erfasst
reduziert in BL
kein Unterschied
↑↑
↑↑
Beatmung
kein Unterschied
kein Unterschied
Unterschied fraglich
Komplikation
mehr Druckschäden
mehr Druckschäden
nicht erfasst
Oxygenierung
↑
RL, Rückenlage; BL, Bauchlage; PaO2, arterieller Sauerstoffpartialdruck; FIO2, inspiratorische Sauerstoffkonzentration;
PEEP, positiv-endexspiratorischer Druck; ↑↑, stark erhöht; ↑, erhöht
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A 2051
MEDIZIN
Abbildung 2:
10-jährige Patientin
mit schwerer
StaphylokokkenPneumonie infolge
einer Meningitis.
Durchführung der
Bauchlage mit
einem speziellen
System zur schonenden Lagerung
des Kopfes. Nach
4 Intervallen
einer 12-stündigen
Bauchlagerung
bildete sich das
Lungenversagen
rasch zurück. Links
neben der Kopflagerungsschale
befindet sich der
Beatmungsschlauch.
A 2052
Thorax, Nase und Gesicht ausgeprägte Druckschäden erleiden. Das Drehen des gut vorbereiteten Patienten
(Kreislaufstabilisierung, ausreichende Analgosedierung,
Sicherung und/oder Verlängerung von Kathetern, Drainagen, Tubus) sollte mit mehreren Pflegekräften und einem
Arzt erfolgen, der sich vor allem um die Sicherung des
künstlichen Luftweges und der intravasalen Zugänge
kümmert (23). Im Sinne eines Risikomanagements muss
vor der Drehung ein Notfallalgorithmus mit Notfallwagen und geplantem Vorgehen bei Tubus- oder Katheterverlust verfügbar sein. Bei der Bauchlagerung ist auf die
druckfreie, weiche Lagerung des Kopfes, des Beckens
und der Knie zu achten. Diese Auflagepunkte sind auch
während der Maßnahme wiederholt zu kontrollieren.
Wenn sich der pulmonale Gasaustausch und die respiratorische Mechanik durch die Bauchlage bessern, ist es
sinnvoll, die Beatmungsparameter zu korrigieren. Um die
Lunge zu schützen, können die inspiratorische Sauerstoffkonzentration, der Beatmungsdruck und das Tidalvolumen reduziert werden.
Bei hämodynamischer und respiratorischer Toleranz
wird eine Dauer der Maßnahme von 8 bis 12 h empfohlen. Die Rücklagerung des Patienten sollte unter Beachtung der gleichen Sorgfaltskriterien wie während des
Drehens auf den Bauch erfolgen. Bei positivem Effekt
auf den Gasaustausch kann es sinnvoll sein, nach 8 bis
12 h Rückenlage erneut in Bauchlage zu beatmen. Dieses
Konzept kann – je nach Schwere des Lungenversagens –
über mehrere Tage bis zu einer Woche beibehalten werden. Um die Aspiration von Sondennahrung bei der
Bauchlagerung zu vermeiden, sollte die enterale
Ernährung für den Lagerungsvorgang ausgesetzt werden,
um sie anschließend in angemessener Dosierung
(< 40 mL/h) fortzuführen. Als absolute Kontraindikationen gegen die Bauchlage gelten das akute Schocksyndrom und eine instabile Wirbelsäule; bei relativen Kontraindikationen muss eine individuelle Abwägung erfolgen. Relative Kontraindikationen sind eine akute traumatische oder nicht traumatische zerebrale Läsion, schwere
Mittelgesichtsverletzungen sowie ein akutes Abdomen,
insbesondere bei nicht verschlossener Laparotomie und
Netzeinlage. Um lagerungsassoziierte Komplikationen
zu reduzieren, ist auf vielen Intensivstationen eine „in-
komplette“ Bauchlagerung (135o-Lagerung) populär, bei
der eine Seite des Patienten mittels einer Lagerungshilfe
angehoben wird. Diese 135o-Lagerung bietet vor allem
einige pflegerische Vorteile (orales und tracheales Absaugen, regelmäßige Pupillenkontrolle, Ausleitung von abdominalen Drainagen oder Thoraxdrainagen). Allerdings
ist beim schweren ARDS mit Gefahr der Hypoxämie der
Effekt auf den Gasaustausch durch die inkomplette
Bauchlagerung weniger ausgeprägt als bei vollständiger
180o-Bauchlagerung (24). Bei Patienten mit schwerer
Gasaustauschstörung ist daher die komplette 180oBauchlagerung zu empfehlen, wohingegen die 135oBauchlagerung bei moderater Einschränkung der Lungenfunktion zum prophylaktischen Einsatz – zur Sekretmobilisierung, Vermeidung nosokomialer Pneumonie
und zur Atelektasenprävention – vorzuziehen ist.
Leitlinien zur Lagerungstherapie bei Intensivpatienten
als systematisch entwickelte Darstellungen und Empfehlungen mit dem Zweck, intensivmedizinisch tätige Ärzte
bei der Entscheidung über angemessene Lagerungsmaßnahmen zu unterstützen, werden derzeit unter Federführung des Erstautors dieses Artikels und mit Unterstützung der Arbeitsgemeinschaft für Wissenschaftlich-Medizinische Fachgesellschaften formuliert. Nach Verabschiedung durch das Präsidium der Deutschen Gesellschaft für
Anästhesiologie und Intensivmedizin ist mit einer Publikation im Frühjahr 2008 zu rechnen. Im Rahmen der bereits veröffentlichten S2-Leitlinien „Diagnostik und Therapie der Sepsis“ wird die Bauchlage mit einem abgeschwächten Empfehlungsgrad C bei kritisch eingeschränkter Oxygenierung (PaO2/FIO2 < 88 mm Hg)
(PaO2, arterieller Sauerstoffpartialdruck; FIO2, inspiratorische Sauerstoffkonzentration) empfohlen. Eine Cochrane-Analyse oder eine systematische Metaanalyse von
medizinischen Fragestellungen liegt bisher nicht vor.
Zusammenfassung
Bei beatmeten Intensivpatienten mit akutem Lungenversagen ist die intermittierende Bauchlagerung für circa 12 h
im Wechsel mit der Rückenlagerung geeignet, den pulmonalen Gasaustausch zu verbessern, weil die Drehung
auf den Bauch das Ventilations-Perfusions-Missverhältnis reduziert (Kasten 5). Obwohl dieser Effekt in vielen
Studien nachgewiesen wurde und die Bauchlagerung in
der klinischen Praxis häufig eingesetzt wird, fehlt bisher
KASTEN 4
Mögliche Komplikationen bei der
Bauchlagerung
c Akzidenzieller Verlust von Tubus oder Kathetern
während des Drehens
c Hypotonie, Tachykardie
c Herzrhythmusstörungen
c Verschlechterung des Gasaustausches
c Intoleranz des Patienten (Wachwerden, Husten etc.)
c Druckstellen an exponierten Körperregionen (Kinn,
Becken, Knie)
c Gesichtsödem
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MEDIZIN
KASTEN 5
Entscheidungskriterien zum Einsatz
der Beatmung in Bauchlage
Schweres, akutes Lungenversagen (PaO2/FIO2
< 200 mm Hg) ausgelöst durch
c Trauma (Lungenkontusion)
c postoperative Komplikationen (Herz-Lungenchirurgie,
Ösophaguschirurgie, ausgedehnte Oberbaucheingriffe)
c pulmonale Aspiration von Mageninhalt
c toxische Alveolitis (induziert durch Medikamente oder
Chemotherapie)
c Inhalationstrauma
c Pneumonie
c Sepsis
c Massivtransfusion
c Pankreatitis, Peritonitis
Absolute Kontraindikationen zur Bauchlage
c akutes Schocksyndrom
c instabile Wirbelsäule
Relative Kontraindikationen zur Bauchlage (individuelle
Abwägung erforderlich)
c akute zerebrale Läsion
c schwere Mittelgesichtsverletzung
c akutes (offenes) Abdomen
der generelle Nachweis einer Reduktion der Letalitätsrate durch diese Maßnahme. Hier sind weitere, sorgfältig
geplante randomisierte prospektive Studien erforderlich,
um bei gut definierten Patientenpopulationen valide Aussagen zu erhalten. Der Lagerungswechsel auf den Bauch
kann potenziell mit teilweise schwerwiegenden Komplikationen verknüpft sein (25) und erfordert vom intensivmedizinischen Personal ein strukturiertes Vorgehen. Dieses schließt eine gute Vorbereitung des Patienten, die
sorgfältige Organisation der Intervention, ein durchdachtes Risikomanagement und eine enge Überwachung des
gelagerten Patienten ein.
Interessenkonflikt
Prof. Bein hat Vortragshonorare des Medizinprodukteherstellers KCI, Wiesbaden, erhalten. Prof. Quintel hat den Medizinproduktehersteller KCI, Wiesbaden,
beraten. Prof. Kuhlen erklärt, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 19. 12. 2006, revidierte Fassung angenommen: 30. 4. 2007
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Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Thomas Bein
Klinik für Anästhesiologie
Universitätsklinikum
93042 Regensburg
E-Mail: [email protected]
@
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A 2053