6 FREIE ENERGIE UND FREIE ENTHALPIE 6.1 Definition der freien

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6 FREIE ENERGIE UND FREIE ENTHALPIE 6.1 Definition der freien
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6
FREIE ENERGIE UND FREIE ENTHALPIE
6.1
Definition der freien Energie und der freien Enthalpie
Nachdem der Energieerhaltungssatz gefunden war, hat man versucht, chemische Affinitäten mit Hilfe der Energie zu erklären. Die chemische Affinität ist danach ein Maß für
den möglichen Energiegewinn bei einer Reaktion; eine chemische Umsetzung entsprach dem Streben nach möglichst tiefer Energie. 1875 wies Lord Rayleigh aber darauf hin, dass es nicht allein auf die Energie ankommen kann. Es gibt schließlich spontan ablaufende Reaktionen, bei denen der Umgebung Wärme entzogen wird. Gibbs
und Helmholtz hatten um 1880 die richtige Einsicht: Die Entropie muss berücksichtigt
werden. Das führte zur Definition der freien Enthalpie und der freien Energie.
6.1.1 Die freie Energie
Für spontan ablaufende Prozesse gilt
dS −
δQrev
T
>0
Das „>“ steht, da dS durch irreversible Prozesse größer sein kann als δQrev T (im
Gleichgewicht dS − δQrev T = 0 ). Die Beziehung wollen wir genauer ansehen. Angenommen dem System wird reversibel Wärme zugeführt, ohne dass sich sein Volumen
ändert. Dann gilt dU = δQ und
dS −
dU
>0
T
Schlussfolgerung: Bei konstantem Volumen laufen Prozesse spontan ab wenn
dU − TdS < 0
Dies legt nahe, die
Freie Energie
F ≡ U − TS
zu definieren (engl. Helmholtz function, oft mit A abgekürzt). Ihre Änderung ist für isotherme Prozesse durch
dF = dU − TdS
gegeben. Isotherme Prozesse bei konstantem Volumen laufen dann spontan ab, wenn
sich die freie Energie dabei verringert. Gleichgewicht ist dann erreicht, wenn die freie
Energie unter den gegebenen Bedingungen ein Minimum erreicht hat.
Allgemein (d.h. auch für nicht-isotherme Prozesse) gilt
dF = dU − d (TS ) = dU − TdS − SdT
Setzt man dU = TdS − PdV ein ergibt sich
dF = − PdV − SdT
6.1.2 Die freie Enthalpie
Angenommen einem System wird reversible Wärme bei konstantem Druck zugeführt.
Dann gilt dH = δQ und
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dS −
dH
>0
T
Bei konstantem Druck laufen Prozesse spontan ab, wenn
dH − TdS < 0
Dies legt nahe die
Freie Enthalpie
G ≡ H − TS = U + PV − TS
zu definieren (engl. Gibbs1 function). Ihre Änderung ist für isotherme, isobare Prozesse
durch
dG = dH − TdS
gegeben. Isotherme Prozesse bei konstantem Druck laufen dann spontan ab, wenn
sich die freie Enthalpie dabei verringert. Das System ist bei konstantem Druck und
konstanter Temperatur genau dann im Gleichgewicht, wenn die freie Enthalpie ihr Minimum erreicht hat.
Allgemein (d.h. auch für nicht-isotherme Prozesse) gilt
dG = d (U + PV ) − TdS − SdT = dU + PdV + VdP − TdS − SdT
Setzt man dU = TdS − PdV ein, ergibt sich
dG = VdP − SdT
6.2
Freie Energie und freie Enthalpie als Zustandsfunktion
Die Einführung der freien Energie und freien Enthalpie war zwar plausibel, mag aber
noch etwas willkürlich erscheinen. Warum kombiniere ich nicht andere Größen auf
andere Arten und Weisen miteinander? Außerdem: Sind die beiden Funktionen Zustandsgrößen?
Eine systematische Art, neue Zustandsfunktionen zu finden, wurde mit der Entdeckung
der Zustandsfunktion Entropie ermöglicht es. Dabei kann man nach einem Schema Zustandsfunktion transformieren. Angenommen ein Zustand sei durch eine Zustandsfunktion Y = Y ( x1 , x 2 ) beschrieben. Sie soll von zwei unabhängigen Variable x1 und x2
abhängen. Die Änderung von Y ist gegeben durch
dY = a1 dx1 + a 2 dx 2
wobei ai = ∂Y ∂xi . Mit der mathematischen Identität
d (a1 x1 ) = x1da1 + a1dx1 ⇔ a1dx1 = d (a1 x1 ) − x1da1
folgt
d (Y − a1 x1 ) = − x1da1 + a 2 dx2
und
d (Y − a1 x1 − a 2 x 2 ) = − x1da1 − x 2 da 2
Die neuen Funktionen Y − a1 x1 und Y − a1 x1 − a 2 x 2 sind wieder Zustandsfunktionen.
Ihre „natürlichen“ Variable sind a1 und x2 bzw. a1 und a2. Voraussetzung dabei ist, dass
alle Größen (a1, x1, a2, x2) Zustandsgrößen sind.
1
Josiah Willard Gibbs, 1839-1903, amerik. Physiker und Mathematiker, Prof. in Yale. Er hat die Grundlagen der chemischen Thermodynamik gelegt.
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Diese mathematische Betrachtung wollen wir jetzt auf die thermodynamischen Funktionen anwenden. Betrachten wir ein geschlossenes System (dn=0) und gehen wir von
der inneren Energie
dU = TdS − PdV
aus. Diese Form der Schreibweise für U macht deutlich, dass für die innere Energie S
und V die natürlichen Variablen sind. Rein mathematisch gilt
dU ( S ,V ) =
∂U
∂S
⋅ dS +
V
∂U
∂V
⋅ dV
S
Vergleicht man die beiden Beziehungen erhält man
∂U
∂S
=T
∂U
∂V
und
V
= −P
S
Jetzt können wir transformieren. Als Variable treten hier S für x1 und V für x2 auf. Die
Transformation liefert
d (U − TS ) = − SdT − PdV
Die neue Zustandsfunktion ist die freie Energie. Als natürliche Variable erhält man T
und V. Verwende ich V=x1 und S=x2 ergibt sich
d (U + PV ) = VdP + TdS
Die neue Zustandsfunktion ist die Enthalpie mit den natürlichen Variablen P und S. Als
drittes ergibt sich die freie Enthalpie aus
d (U − TS + PV ) = VdP − SdT
Die natürlichen Variablen sind P und T.
Frage: Die Wahl der natürlichen Variablen S und V für U erscheint etwas willkürlich.
Kann ich auch andere Variable wählen? Wie wäre es mit dU = CdT − PdV . Hier wären
T und V die Variablen.
Im Prinzip könnte ich andere Variable wählen, solange es sich um Zustandsgrößen
handelt. In dem speziellen Fall klappt das also nicht, da die Wärmekapazität C keine
Zustandsgröße ist, sondern vom speziellen Weg abhängt, mit dem ein Prozeß geführt
wird.
6.3
Offene System und das chemische Potential
In Zusammenhang mit den Zustandsfunktionen U, H, F und G wurden bisher geschlossene System behandelt. Ein Stoffaustausch mit der Umgebung war nicht zugelassen.
Diese Einschränkung soll jetzt wegfallen. Dazu betrachten wir ein System, in dem sich
n1, n2,..., nk Mole der Stoffe 1, 2,...,k befinden, deren Mengen sich ändern dürfen. Wie
ändert sich dabei die freie Enthalpie? Man fragt nach der freien Enthalpie, da sie praktisch die wichtigste Zustandsfunktion ist. Da G in dem Fall von P,T, n1, n2,..., nk abhängt,
gilt allgemein
∂G
∂G
⋅ dP +
dG =
∂P T , ni
∂T
⋅ dT +
P , ni
k
∂G
∑ ∂ni
i =1
⋅ dni
T , P, n j
Der Index j am nj bedeutet, dass alle Stoffmengen außer der iten konstant gehalten
werden.
Das ist eine umständliche Schreibweise. Man kann sich das Leben einfacher machen.
Vergleicht man die Beziehung mit der für geschlossene Systeme bekannten Gleichung
dG = VdP − SdT , dann erhält man sofort
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V=
∂G
∂P T , ni
−S =
und
∂G
∂T
P , ni
Die verbleibenden partiellen Ableitungen nennt man chemische Potentiale:
μi ≡
∂G
∂ni
T , P, n j
Beispiel: Bei einem Wasser-Ethanol-Gemisch hat man es mit zwei chemischen Potentialen zu tun, nämlich
μ H 2O ≡
∂G
∂ n H 2O
und
μ EtOH ≡
T , P , nEtOH
∂G
∂n EtOH
T , P , nH 2 O
Mit den chemischen Potentialen erhält man schließlich:
dG = VdP − SdT +
∑ μ i dni
i
Dies ist eine der wichtigsten Gleichungen der Thermodynamik! Sie wird die Gibbsche
Fundamentalgleichung genannt. Bei konstanter Temperatur und konstantem Druck
bestimmen die chemischen Potentiale wie sich G ändert, wenn man die stoffliche Zusammensetzung eines Systems variiert.
Bei der Definition des chemischen Potentials geht es um mehr als nur eine kürzere
Schreibweise. Dies wird deutlich, wenn man sich die Änderung der anderen wichtigen
extensiven Zustandsfunktionen ansieht. Wie ändert sich beispielsweise die innere
Energie mit der Zusammensetzung?
G = U + PV − ST ⇒ U = G − PV + ST
Damit gilt
dU = dG − PdV − VdP + SdT + TdS
⎞
⎛
μ i dni ⎟ − PdV − VdP + SdT + TdS
= ⎜VdP + SdT +
⎟
⎜
i
⎠
⎝
∑
= TdS − PdV +
∑ μ i dni
i
D.h. das chemische Potential bestimmt auch, wie sich die innere Energie eines offenen
Systems mit der Zusammensetzung ändert. Außerdem gilt
μi =
∂U
∂ni
T , P, n j
Die gleichen Zusammenhänge kann man leicht für die Enthalpie und die freie Energie
zeigen:
μi =
∂H
∂ni
und
T , P, n j
μi =
∂F
∂ni
T , P, n j
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6.4
Arbeit und Änderung der freien Enthalpie
Die freie Enthalpie hat ein wichtige Bedeutung, die in dem folgenden, allgemein gültigen Satz deutlich wird:
Die bei einem isobaren, isothermen, reversiblen Prozeß verrichtete Arbeit, die
keine Volumenarbeit ist, entspricht der Änderung der freien Enthalpie.
Das wollen wir herleiten. Ausgangspunkt der Herleitung ist die Definition der freien Enthalpie:
G ≡ U + PV − TS
Jede Änderung ist rein mathematisch gegeben durch
dG = dU + PdV + VdP − TdS − SdT
Bei T und P konstant entfallen zwei Terme:
dG = dU + PdV − TdS
Der erste Hauptsatz besagt, dass dU = δQ + dW . Einsetzen ergibt
dG = δQ + dW + PdV − TdS
Jetzt spalten wir die Arbeit in Volumenarbeit -PdV und nicht-Volumenarbeit dWnVa auf:
dG = δQ − PdV + dWnVa + PdV − TdS = δQ + dWnVa − TdS
Für reversible Prozesse entspricht die frei werdende Wärme der Änderung der Entropie multipliziert mit der Temperatur, δQ = TdS . Daher:
dG = dWnVa
oder
ΔG = WnVa
6.5
T, P konstant
Übersicht
Die Definition und die Änderung der fünf wichtigen Zustandsfunktionen sind:
Zustandsfunktion
U
S
Gibbsche Fundamentalgleichungen
Natürlich Variable
dU = TdS − PdV + ∑ μ i dni
S, V, ni
dS =
μi
P
1
dV + dU − ∑
dni
T
T
T
V, U, ni
dH = TdS + VdP + ∑ μi dni
S, P, ni
F≡U-TS
dF = − SdT − PdV + ∑ μi dni
T, V, ni
G≡U+PV-TS
dG = − SdT + VdP + ∑ μi dni
T, P, ni
H≡U+PV
Die Änderung der Entropie ergibt sich durch Umstellen der Beziehung für die innere
Energie. Die Zustandsfunktionen U und S sind durch die beiden Hauptsätze gegeben.
H, F und G sind Definition. Gibt man eine Fundamentalgleichung vor, lassen sich alle
anderen herleiten. Als wichtigste Fundamentalgleichung wird entweder die Beziehung
für dU oder die für dG gewählt.
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Die Bedingungen für Gleichgewicht sind:
6.6
U und V konstant (abgeschlossenes System)
S maximal
T und V konstant
F minimal
T und P konstant
G minimal
Gleichgewichte
Zunächst muss die Bedeutung des Begriffs „Gleichgewicht“ klar gemacht werden. Dazu betrachten wir ein System aus mehreren Phasen. Eine Phase ist ein physikalisch
und chemisch homogener Bereich. Speziell gibt es gasförmige, flüssige und feste Phasen. Viele Festkörper können unterschiedliche Kristallformen einnehmen, die auch
nebeneinander vorliegen können. Jede Phase kann wieder aus mehreren Komponenten (d.h. chemisch unterschiedlichen Anteilen) bestehen.
Innerhalb des Systems seien physikalische Änderungen zugelassen. So kann sich eine
Phase ausdehnen, ihre innere Energie kann sich ändern usw. Auch chemische Reaktionen seien möglich, so dass selbst in einem abgeschlossenen System sich die Stoffmengen ändern können. Bei der Reaktion A→B beispielsweise sinkt nA während nB
steigt.
Wann ist dieses System im Gleichgewicht? Im Gleichgewicht ändern sich die Parameter, die das System vollständig beschreiben, zeitlich nicht. Dazu betrachten wir ein
System aus zwei Phasen; die Erweiterung auf viele Phasen ist evident.
Phase 1
Phase 2
Ein abgeschlossenes System ist dann im Gleichgewicht, wenn die Entropie maximal
ist. Eine Funktion ist dann maximal, wenn alle Ableitungen nach den unabhängigen
Variablen verschwinden, d.h. wenn dS = 0 .
dS = dS1 + dS 2
=
P1
P
μ
μ
1
1
dV1 − dU1 + 1 dn1 + 2 dV2 − dU 2 + 2 dn2
T1
T1
T1
T2
T2
T2
Da das Volumen V und die innere Energie U eines abgeschlossenen Systems fest vorgegeben sind, gilt
V1 + V2 = V
dV = 0
⇒ dV1 = −dV2
U1 + U 2 = U
dU = 0
⇒ dU1 = −dU 2
Eine vergleichbare Bedingung gilt für die Teilchenzahl. Beim Phasenübergang bleibt
beispielsweise die gesamte Teilchenzahl konstant und es gilt
n1 + n2 = n
dn = 0
⇒ dn1 = − dn2
Sind chemische Reaktionen erlaubt, kann es sein, dass sich die gesamte Teilchenzahl
ändert, z.B. bei der Reaktion 2H→H2. Man erhält aber auch eine zusätzliche einschränkende Bedingung, ähnlich wie die letzte Beziehung. Bei der Reaktion 2H→H2
gilt beispielsweise
n H + 2 ⋅ n H2 = n
dn = 0
⇒ dn H = −2 ⋅ dn H2
Setzt man die drei Bedingungen ein so ergibt sich
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P
P
μ
μ
1
1
dS = 1 dV1 − dU1 + 1 dn1 − 2 dV1 + dU1 − 2 dn1
T1
T1
T1
T2
T2
T2
⎛P P ⎞
⎛1 1 ⎞
⎛μ
μ ⎞
= ⎜⎜ 1 − 2 ⎟⎟dV1 − ⎜⎜ − ⎟⎟dU1 + ⎜⎜ 1 − 2 ⎟⎟dn1
⎝ T1 T2 ⎠
⎝ T1 T2 ⎠
⎝ T1 T2 ⎠
Damit dS = 0 müssen alle Klammerausdrücke verschwinden. Das ist genau dann erfüllt, wenn gilt
T1 = T2
P1 = P2
μ1 = μ 2
D.h. im Gleichgewicht sind Temperatur, Druck und chemisches Potential in allen Phasen gleich!
Was ist, wenn wir kein abgeschlossenes System vorliegen haben, sondern andere
Randbedingungen gelten?
T und V konstant. Im Gleichgewicht ist F minimal, d.h. dF=0. Mit
dF = dF1 + dF2 = − S1dT1 − P1dV1 + μ1dn1 − S 2 dT2 − P2 dV2 + μ 2 dn2
= − P1dV1 + μ1dn1 + P2 dV1 − μ 2 dn1
= −(P1 − P2 )dV1 + (μ1 − μ 2 )dn1
folgt
P1 = P2
μ1 = μ 2
T ist sowieso vorgegeben (damit ist dT1 = dT2 = 0 ).
T und P konstant. Im Gleichgewicht ist G minimal, d.h. dG=0. Mit
dG = μ1dn1 − μ 2 dn1 = (μ1 − μ 2 )dn1
folgt
μ1 = μ 2
T und P sind sowieso vorgegeben.
Allgemein gilt: Im thermodynamischen Gleichgewicht herrschen in einem System
überall die gleiche Temperatur, der gleiche Druck und das gleiche chemische
Potential.
Vorausgesetzt ist dabei, dass T, P und μi unabhängige Zustandsvariablen sind. Wie
wichtig diese Voraussetzung ist, sei an zwei Beispielen erläutert:
•
Phase 2 sei ein kleiner Flüssigkeitstropfen, umgeben von seinem Dampf. Die Oberflächenspannung erhöht den Druck im Tropfen und P1=P2 gilt nicht! Grund: dU und
damit dS enthalten einen Term γdA, wobei γ die Oberflächenspannung ist und A die
Oberfläche. P und A sind nicht unabhängig voneinander.
•
Angenommen wir haben es mit geladenen Molekülen zu tun. Man muss dann die
elektrische Arbeit im äußeren elektrischen Feld berücksichtigen. Dies führt zur Definition des elektrochemischen Potentials
μ~ ≡ μ + Q ϕ
i
i
i i
wobei Qi die Ladung der iten Molekülsorte ist und ϕ das elektrische Potential bezeichnet. Im Gleichgewicht muss nicht das chemische sondern nur das elektrochemische Potential überall gleich sein.
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6.7
Homogene Phasen
6.7.1 Definition
Bisher wurde etwas ungenau eine Phase als ein physikalisch und chemisch homogener Bereich definiert. Jetzt soll der Begriff „homogene Phase“ genauer definiert
werden. Dazu denke man sich eine Phase mit der inneren Energie U, dem Volumen V
und den Teichenzahlen ni in zwei gleiche Teile zerlegt. S(U,V,ni) sei die Entropie der
ganzen Phase, S(U/2,V/2,ni/2) sei die Entropie jeder der beiden Teile. Die Phase heißt
dann homogen, wenn gilt
1
⎛U V n ⎞
S (U ,V , ni ) = S ⎜ , , i ⎟
2
⎝2 2 2⎠
(
) (
)
oder allgemeiner 1 τ ⋅ S U ,V , ni = S U τ ,V τ , ni τ ; τ ist eine beliebige reelle Zahl.
Anschaulich gesprochen: Halbiere ich das System, hat jedes Teilsystem die halbe Entropie.
Jetzt können auch die Begriffe extensive Variable (auch „Quantitätsgröße“ genannt)
und intensive Variable („Qualitätsgröße“) sauber definiert werden: Extensive Variable
steigen linear mit der Ausdehnung der Phase. Dazu gehören U, V und ni. Intensive
Variable sind unabhängig von der Ausdehnung. T, P und μi gehören dazu. Grund: Es
gilt
∂S 1
=
∂U T
μ
∂S
=− i
∂ni
T
∂S P
=
∂V T
Da S, U, V und ni alle linear mit der Ausdehnung ansteigen, sind die Differentialquotienten unabhängig davon.
Achtung: Man darf eine Phase im obigen Sinne nur solange als homogen betrachten,
wie Oberflächeneffekte vernachlässigbar sind. Beispiel: Ich betrachte einen kugelförmigen Tropfen mit Radius R. Seine Oberflächenenergie beträgt U Surf = 4πγR 2 . Ange-
4
nommen, man verdoppelt sein Volumen von V = πR 3 auf V ' = 2V . Dabei steigt der
3
3 ⋅ 2 ⋅V
= R ⋅ 3 2 = R ⋅1.26 . Die Oberflächenenergie vergrößert sich auf
Radius auf R ' = 3
4π
U Surf ' = 4πγR ' 2 = 4πγR 2 ⋅ 1,59 = U Surf ⋅ 1,59
D.h. bei einer Verdopplung des Volumens steigt die Oberflächenenergie nur um 59%.
Bemerkung: Bei homogenen Phasen sind neben U und S auch G, H und F extensive
Größen. Denn wenn S und U linear wachsen, steigen auch F = U − TS , H = U + PV
und G = U − TS + PV linear an.
6.7.2 Die Gibbs-Duhem-Gleichung
Für homogene Phasen kann man eine wichtige Beziehung herleiten. Ich gehe aus von
der differentiellen Schreibweise der Entropie:
dS =
P
1
dV + dU −
T
T
μ
∑ Ti dni
Dabei fällt auf, dass lauter extensive Variablen als Differentiale auftauchen, während
als Vorfaktoren nur intensive Variablen stehen. Vergrößert man ein System also von
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Null bis auf die Endgröße bleiben die Vorfaktoren konstant. Deshalb kann man leicht
integrieren:
S
ni
μi
1
dU ' −
dn'i
0
T
T
μ i ni
P V
1 U
⇒ S = ⋅ dV ' + ⋅ dU ' −
⋅ dn'i
T 0
T 0
T 0
μ i ni
PV U
⇒S=
+ −
T
T
T
⇒ 0 = U − TS + PV −
μ i ni
V
P
∫ ∑
U
∫0dS ' = ∫0 T dV ' + ∫0
∫
∫
∑
∫
∑
∑
Die ersten drei Terme entsprechen gerade G und man erhält
G=
∑ ni μ i
Diese Gleichung, die für homogene Phasen gilt, wird oft als die Gibbs-Duhem-Gleichung bezeichnet.
Bemerkung: Man
dG = − SdT + VdP +
∑
kann die Gleichung auch direkt durch Integration
μ i dni bei konstanten intrinsischen Variablen herleiten.
von
Aus ihr folgt direkt eine einfache Konsequenz: Habe ich eine reine Phase, dann ist das
chemische Potential gleich der molaren freien Enthalpie:
Gm =
6.8
G
=μ
n
Entropie und freie Enthalpie von Gasen
6.8.1 Entropie des idealen Gases
Wir wollen jetzt einen absoluten Wert für die molare Entropie des idealen Gases berechnen. Dabei setzen wir voraus, dass wir es mit einem homogenen System zu tun
haben, welches nur aus einem Stoff besteht. Als unabhängige Parameter wählen wir T,
V und n. Aus der Homogenität folgt unmittelbar, dass
S (T , V , n) = n ⋅ S m (T ,Vm )
Wie hängt die molare Entropie von T und Vm ab? Dazu gehen wir aus von der Beziehung
dS m =
1
P
dU m + dVm
T
T
Die innere Energie drücken wir durch die molare Wärmekapazität cV aus. Für das ideale Gas gilt P = RT Vm . Das setzten wir in den zweiten Term ein:
c
R
dS m = V dT +
dVm
T
Vm
Nimmt man an, dass sich die Wärmekapazität nicht mit der Temperatur ändert, dann
kann man von einem Ausgangszustand bei T0, V0 bis zum Zustand bei T und Vm integrieren. Da Vm und T unabhängige Variablen sind und S eine Zustandsfunktion ist, kann
ich zuerst T von T0 auf T erhöhen und danach Vm ändern (oder umgekehrt). Ergebnis:
S m = cV ⋅ ln
V
T
+ R ⋅ ln m + S 0
T0
V0
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Die Entropie steigt also logarithmisch mit der Temperatur und mit dem Volumen. Beides ist intuitiv verständlich. Bei hoher Temperatur sausen die Moleküle schneller durch
die Gegend (Gas oder Flüssigkeit) oder wackeln stärker um ihre Gleichgewichtsposition (im Festkörper) als bei kleiner Temperatur. Je größer das Volumen, desto
mehr mögliche Positionen können die Moleküle einnehmen. Folge: die Unordnung, und
damit die Entropie, wächst.
Die Konstante S0, die als Integrationskonstante in die Rechnung kam, wird auch „Entropiekonstante“ genannt. Normalerweise ist sie belanglos, da nur Entropieunterschiede
wichtig sind. Wichtig ist sie nur, wenn Moleküle das ideale Gas verlassen, z.B. durch
chemische Reaktionen oder Kondensation. Zur Erinnerung: V0 und S0 sind molare Größen.
Für die gesamte Entropie kann man auch schreiben:
⎛
⎞
V
T
+ R ln m + S 0 ⎟⎟
S = n ⋅ S m = n ⋅ ⎜⎜ cV ln
T0
V0
⎝
⎠
⎛
⎞
T
V
= n ⋅ ⎜⎜ cV ln
+ R ln
+ S 0 ⎟⎟
T0
nV0
⎝
⎠
⎛
⎞
T
V
= n ⋅ ⎜⎜ cV ln
+ R ln
− R ln n + S 0 ⎟⎟
T0
V0
⎝
⎠
Die Entropiekonstante kann man im Rahmen der Statistik berechnen. Um den Vergleich später zu erleichtern, wird die Gleichung für Teilchenzahlen anstatt Molzahlen
umformuliert, d.h n durch N/NA ersetzen. Da im Moment nur Unterschiede interessieren, kann man die Einheiten T0, V0 und NA auch weglassen. Außerdem nutze ich,
dass k B = R / N A . Damit erhält man
⎛c
S ⎞
S = N ⋅ ⎜⎜ V ⋅ ln T + k B ⋅ ln V − k B ⋅ ln N + 0 ⎟⎟
NA ⎠
⎝ NA
6.8.2 Chemisches Potential des idealen Gases
Wie groß ist die freie Enthalpie eines idealen Gases? Anders gefragt: Wie hängt die
freie Enthalpie eines idealen Gases von P und n ab? Ausgangspunkt der Überlegung
sind die Gleichungen
dGm = dμ = Vm dP − S m dT
G = n ⋅ Gm
Im Moment wird die Abhängigkeit von der Temperatur nicht betrachtet. Die Gleichung
würde sehr umfangreich werden. Da oft isotherme Prozesse interessieren, ist die Temperaturabhängigkeit auch nicht so wichtig. Man betrachtet einen beliebigen Prozeß,
der bei P0 beginnt und bei P endet. Integrieren führt zu
P
∫
P
Gm = G0 (T ) + Vm dP ' = G0 (T ) + RT ⋅
P0
1
P
∫ P' dP' = G0 (T ) + RT ⋅ ln P0
P0
G0(T) ist eine Funktion von T nicht aber von P. Die Druckabhängigkeit steckt im zweiten
Term. Als chemisches Potential ausgedrückt erhält man:
μ = μ 0 + RT ⋅ ln
P
P0
Bemerkung: Oft findet man die Schreibweise μ = μ 0 + RT ⋅ ln P . Dann hat man das
Problem, dass im Logarithmus eine Zahl mit Einheit steht, was nicht sein darf. Anders
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ausgedrückt: Je nachdem, in welcher Einheit ich den Druck schreibe, erhalte ich andere Werte für lnP. Lösung: Meßbar sind nur Differenzen von G. Rechne ich Änderungen
von G aus, löst sich das Problem von selbst, da dann wieder Verhältnisse im Logarithmus erscheinen, also etwa ln(P1/P2).
Beispiel: Wie ändert sich die freie Enthalpie eines Mols (a) flüssigen (b) gasförmigen
Wassers, wenn man den Druck isotherm bei 298 K von 1 bar auf 2 bar erhöht? Das
Gas soll dabei als ideal angenommen werden, die Flüssigkeit sei inkompressibel.
Da der Prozeß bei konstanter Temperatur und konstanter Molzahl abläuft gilt
2bar
ΔG =
∫ VdP
1bar
Für die inkompressible Flüssigkeit bleibt das Molvolumen mit 18,0 cm3 konstant:
ΔG = VΔP = 18,0 ⋅ 10 −6 m 3 ⋅ 10 5 Pa = 1,8 J
Für das ideale Gas ändert sich das Volumen bei der Druckerhöhung gemäß
V = RT / P . Damit:
Pf
ΔG = RT ⋅
Pf
1
∫ P dP = RT ⋅ ln Pi
= 2,48kJ ⋅ ln 2 = 1700 J
Pi
Beim Gas erhöht sich die freie Enthalpie also etwa 1000 mal stärker als bei der inkompressiblen Flüssigkeit.
6.8.3 Chemisches Potential des realen Gases
Die oben hergeleitete Gleichung gilt nur für ein ideales Gas. Für reale Gase wird oft
eine formal analoge Gleichung verwendet:
μ = μ 0 + RT ⋅ ln
f
P0
Dabei ist der Druck durch die Fugazität f (fugacity) ersetzt. Die Fugazität hat die gleiche Dimension wie der Druck. Vorteil: Thermodynamische Rechnungen laufen jetzt wie
im Fall des idealen Gases.
Vorsichtig sein muss man mit der Wahl des Standard-Zustands. Bei realen Gasen
kann man nicht einfach Normaldruck für P0 einsetzen. Man wählt den Standarddruck in
diesem Fall so niedrig, dass sich das Gas praktisch wie ein ideales Gas verhält.
Oft verwendet man
f ≡γ ⋅P
für die Fugazität. Der Faktor γ wird Fugazitätskoeffizient genannt. Damit kann man
das chemische Potnetial ausdrücken durch
μ = μ 0 + RT ⋅ ln
P
+ RT ⋅ ln γ
P0
In der Tabelle und der folgenden Abbildung ist der Fugazitätskoeffizient für Stickstoff
bei 273 K gezeigt.
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Fugazitätskoeffizient
1,8
N2, 273 K
1,6
1,4
1,2
1,0
0
200
400
600
800
1000
Druck / bar
6.9
Fragen und Tabellen
Der 2. Hauptsatz und die Einführung der Entropie erlaubt es zwei wichtige Zustandsfunktionen zu definieren. Welche? Welche Bedeutung haben sie? Welchen Zustand
strebt ein System im Gleichgewicht an?
Was versteht man unter dem chemischen Potential?
Was sind intensive, was extensive Variablen?
Wie ändert sich das chemische Potential eines idealen Gases in Abhängigkeit vom
Druck?
PCIII-06.DOC MASKOS/BUTT 07.05.2009
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Druck, Fugazität und Fugazitätskoeffizient für N2 bei 273 K.
f / bar
γ
1
0,9996
0,9996
10
9,956
0,9956
50
49
0,98
100
97
0,97
200
194
0,97
400
424
1,06
600
732
1,22
800
1176
1,47
1000
1810
1,81
P / bar
PCIII-06.DOC MASKOS/BUTT 07.05.2009