Beitrag: Was, warum, wie und wozu »angewandte Childhood
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Beitrag: Was, warum, wie und wozu »angewandte Childhood
#PP KITA-MANAGEMENT // CHILDHOOD STUDIES Was, warum, wie und wozu »angewandte Childhood Studies«? Hintergründe, Forschungsstand und Perspektiven für eine Didaktik der frühen Kindheit ■ Ziel des vorliegenden Artikels ist es, einen Einblick zu geben in den aktuellen Diskurs zu »Childhood Studies« (CS) als angewandte Kindheitswissenschaften. Zu diesem Zweck wird zunächst der Begriff1 geklärt und danach die Bedeutung des Ansatzes für die Praxis am Beispiel der Vorstellung vom »Kind als aktivem Lerner« dargestellt. Prof. Dr. Monika Zimmermann Wissenschaftliche Leitung des Studienganges Sozialpädagogik & Management, Dipl.-Päd., Personal & Business Coach, Systemische Paartherapeutin, Wissenschaftsexpertin DBVC Prof. Dr. Sonja Perren Lehrstuhl Entwicklung und Bildung in der frühen Kindheit, Universität Konstanz und Pädagogische Hochschule Thurgau, Masterstudiengang Frühe Kindheit 104 D ie Childhood Studies sind aus der Kritik an der bisherigen Forschung in Erziehungs- und Sozialwissenschaften entstanden. Exemplarisch verdeutlicht dies die Forderung des englischen Kindheitswissenschaftlers Martin Woodhead (Vorwort aus Kehily, 2008): »Interest in ‚Childhood Studies‘ is for many born out of frustration with the narrow visions of the child offered by traditional academic discourses and methods of inquiry, (…). The appeal of an interdisciplinary Childhood Studies is about a more integrated approach to research and teaching around children’s lives and well-being, a more joined-up view of the child in context.« Die CS sind also aus dem interdisziplinären Bestreben heraus entstanden, die Kindheit als Forschungsgebiet aus unterschiedlichen Perspektiven heraus so zu beleuchten, dass aus den Resultaten wissenschaftlicher Untersuchungen von Kindheit Impulse für die Pädagogik, die Soziale Arbeit mit Kindern und andere Handlungsfelder hervorgehen können KiTa BW 5 | 2016 (vgl. Kehily 2008). Die theoretischen Ansätze der CS sind daher von einer Reihe unterschiedlicher Zugänge geprägt (vgl. zum theoretischen Portfolio der CS: Krüger & Grunert (2009)), die jeweils interdisziplinär eingebettet werden: Psychologische Entwicklungstheorien. Die CS stützen sich wesentlich auf die gängigen psychologischen Entwicklungstheorien, hinterfragen und modifizieren diese aber auch und stellen sie in einen interdisziplinären Kontext. Sozialisationstheorie als Ausgangspunkt der Kindheitsforschung. Auch die Sozialisationstheorie spielt im Rahmen von CS eine große Rolle. Dabei wird die Sozialisation allerdings nicht, wie in der klassischen Soziologie des 20. Jahrhunderts, als eine empirische Tatsache begriffen, sondern auch selbst als ein Ansatzpunkt für Veränderungen im Sozialisationsprozess verstanden. Sozialräumliche und Soziologische Deutungsansätze. Der Sozialraum als Wirkungsfeld der Pädagogik stellt eine der wichtigsten Schnittstellen zwischen der theoretischen Fundierung und der praktischen Orientierung der CS dar. Kulturtheorie und Gender Studies. Die kulturelle Bedingtheit von Kindheit, aber auch die Determination von Entwicklung und Sozialisation durch Gender hat in den letzten Jahren viel Raum in kontroversen Debatten der CS eingenommen. • Psychoanalytische Ansätze der Kindheitsforschung. Eine wichtige Rolle im theoretischen Gefüge der CS spielen auch Ansätze, die sich auf die klassische Psychoanalyse und auf Varianten der Psychoanalyse, wie sie sich im 20. Jahrhundert herausgebil- det haben, stützen (Individualpsychologie, Logotherapie nach Frankl etc.). » Die Childhood Studies sind eine interdisziplinäre Forschungseinrichtung [...]« Die Abbildung 1 gibt einen Eindruck von der Vielfältigkeit der theoretischen Ansätze der CS und Diversität der Einflüsse auf die CS. Die Childhood Studies sind eine interdisziplinäre Forschungsrichtung, deren Aufgabe es ist, strukturelle Probleme, die in verschiedenen Kontexten und Kulturen die Qualität von Kindheit beeinträchtigen, zu verstehen und Ansätze zu ihrer Behebung zu finden (vgl. u.a. Krüger & Grunert, 2009). Einen guten Überblick über die aktuellen Entwicklungen im nationalen Diskurs zu Didaktik und angewandten Kindheitswissenschaften, wenn auch mit einem Fokus auf die Kindergesundheit, gibt der Sammelband von Geene et al. (2013). Dort werden die Folgen der Erkenntnisse aus den angewandten Kindheitswissenschaften für eine Didaktik der frühen Kindheit von den Grundlagen der Diskurse her entwickelt. Das aktive lernende Kind aus der Perspektive der Childhood Studies Die CS als junges Wissenschaftsgebiet bewegen sich im Spannungsverhältnis zwischen Kindheit als Schutzraum oder auch als Zeitspanne der Sozialisation einerseits, und andererseits einer Wahrnehmung von Kindern als eigenständige, einzigartige und autonome Subjekte. Es gehört zu den zentralen Annahmen der neuen Kindheitssoziologie, dass die Vorstellung von Kindheit ein soziales Konstrukt ist (Alanen KITA-MANAGEMENT // CHILDHOOD STUDIES Q} Abb. 1: Vielfalt theoretischer Einflüsse/Zugänge der Childhood Studies (in Anlehnung an Krüger & Grunert, 2009) 2002). Kindheit wird als eigene Entität verstanden, eingebettet in gesellschaftliche Normen und Zusammenhänge. Die Kindheitssoziologie betrachtet Kinder nicht nur als Werdende (Becomings), sondern auch als Seiende (Beings); Kinder als aktiv Handelnde und (Mit-)Gestaltende (Honig 1999). In der angelsächsischen Diskussion wird hier, in Anlehnung an die UN-Kinderrechtskonvention, von einem Dreiklang von Protection, Provision und Participation gesprochen (vgl. Geene et al. 2013). » [...] kindzentriertes Lernen gehör[t] zu den Leitprinzipien der meisten Bildungspläne für die frühkindliche Bildung.« Einfluss auf die Bildungspläne in Deutschland und der Schweiz Die Sicht auf die Kinder als eigenständige, einzigartige und autonome Subjekte entspricht auch der aktuellen Sichtweise im Feld der frühkindlichen Bildung und Betreuung. Partizipation von Kindern und kindzentriertes Lernen gehören zu den Leitprinzipien der meisten Bildungspläne für die frühkindliche Bildung, dies sowohl in Deutschland wie auch in der Schweiz. Der »Orientierungsplan für Bildung und Erziehung für die baden-württembergischen Kindergärten« (OP) stärkt die Kinderperspektive und »bietet Impulse zur pädagogischen Begleitung kindlicher Entwicklung im Alter zwischen drei und sechs Jahren« (OP, 8). »Als Akteur der kindlichen Bildungsprozesse wird vorrangig das Kind selbst gesehen: Es ‚ist Akteur, Subjekt, das sich aktiv die Umwelt erschließt, aneignet, gestaltet‘« (OP, 21 zitiert nach Zimmer- mann 2011, 128). Zwei Leitprinzipien des Schweizer Orientierungsrahmens (Wustmann Seiler & Simoni, 2012) verdeutlichen dies: Zugehörigkeit und Partizipation: Jedes Kind möchte sich willkommen fühlen und sich ab Geburt beteiligen, Ganzheitlichkeit und Angemessenheit: Kleine Kinder lernen mit allen Sinnen, geleitet von ihren Interessen und bisherigen Erfahrungen. » Auch in die aktuelle Literatur zur Qualitätssicherung der Erzieherausbildung haben die CS Eingang gefunden [...]« Als bedeutend für den deutschsprachigen Diskurs werden unter anderem die Begriffe der Subjektorientierung und Partizipation hervorgehoben. Die Fokussierung des Diskurses auf die Subjektorientierung begründen Kloss et al. (2013) mit der spezifischen Qualität der Kindheitswissenschaften, der Soziologie der Kindheit mit dem Akteursstatus des Kindes eine neue Dimension gegeben zu haben. Als weitere wichtige Folge der Ergebnisse der Kindheitswissenschaften für den didaktischen Diskurs im Kontext der frühen Kindheit benennen Borkowski und Schmitt (2013) die Tendenz einer ganzheitlichen Betrachtung von Kindheit mit der Perspektive der Verzahnung kindlicher Lebenswelten. Die große Bedeutung, die diese Aspekte in den letzten Jahren gewonnen haben, zeigt sich nicht zuletzt an der Aufnahme der Grundlagen der angewandten Kindheitswissenschaften in die akademische Erzieherausbildung. Hermann (2008) konnte bereits vor einigen Jahren feststellen, dass die einschlägigen Inhalte prominent berücksichtigt werden. Auch Masterstudiengänge wie z.B. der MA Frühe Kindheit der Universität Konstanz und Pädagogische Hochschule Thurgau haben einen interdisziplinären Zugang, welche für die CS typisch ist. Auch in die aktuelle Literatur zur Qualitätssicherung der Erzieherausbildung haben die CS Eingang gefunden und beeinflussen so die nationalen Diskurse zur Didaktik der frühen Kindheit. Insgesamt ist festzustellen, dass der nationale Diskurs zur frühkindlichen Didaktik durch die Aspekte der Subjektorientierung und der Partizipation, die im Rahmen der angewandten Kindheitswissenschaften fokussiert worden sind, wesentliche Anregungen erhalten hat, die aktuell breite Wirkung ausüben. Die starke Subjektorientierung und der vergleichende soziologische Ansatz der CS führen derzeit in den internationalen Diskursen verstärkt zur Herleitung von pädagogischen Qualitätsstandards. Diese werden etwa in skandinavischen Publikationen aus- }P INTERNATIONALE BERUFSAKADEMIE DER F+U UNTERNEHMENSGRUPPE GGMBH (IBA) – DUALES STUDIUM DEUTSCHLANDWEIT Die iba mit Sitz in Darmstadt und 11 weiteren Studienorten ist eine der größten privaten staatlich anerkannten Berufsakademien Deutschlands. Sie bietet die kürzeste Verbindung zwischen Theorie und Praxis im Studienmodell der geteilten Woche. Im Studiengang Sozialpädagogik & Management vermittelt die iba Ihren Studierenden gemeinsam mit den Praxispartnern/Trägern eine optimale Ausbildung und bestmögliche Praxiserfahrung. Insbesondere die frühe Verknüpfung von Theorie und Praxis zeichnet dieses Studienmodell aus. So können die Studierenden sich von Anfang an in der betrieblichen Praxis einbringen und mit den Kindern und Erwachsenen arbeiten, die sie auch nach dem Studium bestens betreuen werden. (www.internationale-ba.com) KiTa BW 5 | 2016 105 #PP KITA-MANAGEMENT // CHILDHOOD STUDIES führlich entwickelt und bemühen sich um eine umfassende Berücksichtigung des Forschungsstandes. So führt Sheridan (2011) etwa die unterschiedlichen Perspektiven auf Kindheit, die die CS entwickelt haben, in die analytische Struktur ihrer Überlegungen zur pädagogischen Qualität ein. Fazit 106 Normativ zielen die CS darauf ab, die gewonnenen Erkenntnisse zu nutzen, um kindliche Lebenswelten aus diesem Wissen heraus positiv zu gestalten, Handlungsoptionen zu entwickeln und in Wissenschaft und Praxis zu implementieren. Die Auseinandersetzung mit den Perspektiven der frühkindlichen Bildung vor dem Hintergrund der CS hat gezeigt, dass sich diese Perspektiven in den letzten Jahren immer stärker an den Ergebnissen der CS ausrichten. Dies geschieht auf unterschiedliche Weise: 1. durch eine langsame Übernahme der Theoreme und Postulate der CS als angewandte Kindheitswissenschaften in den pädagogischen Mainstream, 2. durch den Einfluss von Fachdiszipli- nen, die sich an die Handlungsfelder der CS anschließen, 3. letztendlich durch die Herausbildung einer angewandten Kindheitswissenschaft. ■ Literatur Alanen, L. (2002): Women’s Studies – Childhood Studies: Anknüpfungspunkte, Parallelen und Perspektiven, In: Olympe, Vol. 16, Nr. 2, S. 46 – 57. Baden- Württemberg, Ministerium für Kultus, Jugend und Sport (Hrsg.). (2006). ORIENTIERUNGSPLAN. In Orientierungsplan für Bildung und Erziehung für die baden-württembergischen Kindergärten. Pilotphase. Berlin: Cornelsen Scriptor. Geene, R./Höppner, C./Lehmann, F. (2013, Hrsg.): Kinder stark machen: Ressourcen, Resilienz, Respekt. Ein multidisziplinäres Arbeitsbuch zur Kindergesundheit. Geene, R./Hungerland, B./Liebel, M./Lutzmann, F./ Borkowski, S. (2013): Subjektorientierung und Partizipation. Schlüsselbegriffe der Kindheitswissenschaften. In: Geene, R./Höppner, C./Lehmann, F. (2013, Hrsg.): Kinder stark machen: Ressourcen, Resilienz, Respekt. Ein multidisziplinäres Arbeitsbuch zur Kindergesundheit, S. 69 – 90. Hermann, T.C. (2008): Entwicklung der akademischen Erzieher/innen- Ausbildung. O.O. Honig, Michael-Sebastian (1999): Entwurf einer Theorie der Kindheit. Frankfurt/Main. weiterte Ausgabe. Kehily, M.J. (2008): An Introduction To Childhood Studies. Berkshire: McGraw-Hill International. Kloss, J./Hungerland, B./Wihstutz, A. (2013): Kinder als Akteure. Die Neue Soziologie der Kindheit. In: Geene, R./Höppner, C./Lehmann, F. (2013, Hrsg.): Kinder stark machen: Ressourcen, Resilienz, Respekt. Ein multidisziplinäres Arbeitsbuch zur Kindergesundheit, S. 115 – 130. Sheridan, S. (2011): Pedagogical Quality in Preschool. An Issue of Perspectives. Goteborg Studies in Educational Sciences, No. 160. Goteborg: Acta Universitatis Gothoburgensis, S. 83 – 90. Wustmann Seiler, C./Simoni, H. (2012): Orientierungsrahmen für frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung in der Schweiz. Erarbeitet vom Marie Meierhofer Institut für das Kind, erstellt im Auftrag der Schweizerischen UNESCO-Kommission und des Netzwerks Kinderbetreuung Schweiz. Zürich. Retrieved from www.fruehkindliche-bildung.ch/projekte/orientierungsrahmen.html. Zimmermann, M. (2011). Naturwissenschaftliche Bildung im Kindergarten: Eine integrative Längsschnittstudie zur Kompetenzentwicklung von Erzieherinnen. Studien zum Physik- und Chemielernen (Bd. 128). Berlin: Logos. http://www.logos-verlag.de/ cgi-bin/buch/isbn/3053 1 In diesem Artikel werden die Begriffe Childhood Studies und Kindheitswissenschaften synonym verwendet. Krüger, H.-H./Grunert, C. (2009):Handbuch der Kindheits- und Jugendforschung. 2.akt. und er- Ein Programm der Initiative Gesundheit in der KiTa Ernährung, Bewegung und seelisches Wohlbefinden Gesundheit für Eltern und Erzieherinnen Die AOK Bayern - Die Gesundheitskasse unterstützt die KiTas bei der Umsetzung, z. B. mit Schulungen und Materialien. Informieren Sie sich bei Katharina Leopold unter Telefon: 0911 218-694 oder per E-Mail: [email protected] KiTa BW 5 | 2016 Weitere Infos unter www.aok.de/bayern/ jolinchenkids