Industrie spart eine Menge Geld, wenn sie ihre

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Industrie spart eine Menge Geld, wenn sie ihre
Freitag, 18. September 2015 I
m August ist die kleine Leonie
in einem Wiener Spital auf die
Welt gekommen. Noch am Tag
der Geburt haben die stolzen
Eltern fleißig Bilder auf Facebook gepostet, und eine Schar
an Friends kommentierte das
freudige Ereignis mit dem üblichen „Moii wie süüß“, „Gratuliere“,
mit vielen Herzerln und Smileys.
Nur bei einem Junggesellenfreund
des frischgebackenen Papas fiel die
Reaktion anders aus als beim Rest.
„Jetzt heißt‘s für die nächsten 18
Jahre tief in die Tasche greifen“,
schrieb er unter die Babybilder. Der
Neodaddy ärgerte sich kurz über
die sonderbare Anteilnahme seines
Freundes und wollte es dann genauer wissen. Was also kostet mich
das Kind wirklich?
Mit Kosten in der Höhe von 500
€ im Monat sollten Eltern heutzutage rechnen, wie eine Studie des
ehemaligen Bundesministeriums
für Soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz ergab. 108.000 € sind es Adam Riese
zufolge demnach bis zum 18. Lebensjahr – eine hübsche Summe,
an der die FMCG-Industrie einen
maßgeblichen Anteil mitnaschen
darf. Es lohnt sich ergo allemal,
große Bemühungen um die kleine
Kundschaft zu unternehmen.
Mama, komm in den Club
Ein Blick in die heimische Handelswelt zeigt, dass die Marktteilnehmer den Gedanken schon
verinnerlicht haben, zum Beispiel
die Rewe-Drogerieschiene Bipa.
Besitzerinnen der BipaClub-Karte
können sich bereits zwei Monate
bevor der Nachwuchs auf die Welt
kommt, beim sogenannten BabyClub registrieren und erhalten
dann als erstes eine Willkommensbox mit Produktproben, Hefterl
und Gutscheinen. Was die Mütter
aber noch mehr dazu bewegen
dürfte, mitzumachen: Jeden ersten
Montag, Dienstag und Mittwoch
im Monat gibts ein Viertel Rabatt
auf nahezu alle Babyprodukte.
Dazu wird Mama mit Neuigkeiten
auf dem Laufenden gehalten, etwa
über das Magazin bbmom. Und:
Das Kleine bekommt jedes Jahr eine Geburtstagsüberraschung.
Schenkt man den vielen Mütterforen im Internet Glauben, dann
macht Mitbewerber dm seine Sache in Mutterumgarn-Belangen
aber noch besser; vor allem die
Willkommensbox für das Baby soll
deutlich besser ausgestattet sein.
Dazu gibt es ebenfalls Geburtstagsgeschenke und regelmäßige
Goodies. Und auch das DrogerieVerbraucherformat Müller wirbt
mit einem eigenen Baby-Programm. Das besteht aus einem Einkaufsgutschein, einem Couponheft,
sowie Willkomensgruß, bestehend
aus Produktproben, Gutscheinen
und Werbeflyern. Vergleicht man
die Meinungen der Mütter in den
Foren über die drei Drogisten, dann
schneidet dm am besten und Müller am schlechtesten ab.
Die klassischen Lebensmittelketten schalten sich marketingtechnisch dann ein, wenn die Kids
aus dem Säuglingsalter heraus
retail & mothercare 37
sind – und zielen ihre Kommunikation dann direkt auf die Kinder.
Das Supermarktformat Billa etwa
tut es in Form des Billa4Kids-Programms. „Es gibt nichts Wichtigeres, als das Wohlergehen unserer
Kinder“, schreiben die Verantwortlichen in der eigens für die Kleinen
eingerichteten, krachbunten Homepage. Und laden diese dazu ein,
Billa-Bandenmitglied zu werden,
bei Spielen und Basteleien mitzumachen, süße Kochrezepte mit der
Mama auszuprobieren.
Mitbewerber Spar legt den Fokus
in Sachen Kinderwerbung dagegen
ganz auf seine Stickersammelaktion. Schon in der siebenten Auflage
lädt der faule Kater Garfield zur
Vorsicht geboten ist, das haben sowohl der Rewe-Konzern als auch
die Spar zu spüren bekommen:
Beide Handelsketten waren vor
wenigen Jahren mit einem vom
Obersten Gerichtshof rechtskräftig
entschiedenen Urteil konfrontiert.
In beiden Fällen, bei Billa im Jahr
2013, bei Spar 2012, ging es um eine direkte Aufforderung zum Kauf
eines wie weiter oben beschriebenen Stickerbuchs. Beide Male hatte
der Verein für Konsumentenschutzinformation (VKI) eine Verbandsklage im Auftrag des Konsumentenschutzministeriums eingereicht.
Der Slogan, wie im Falle von Billa „Hol dir jetzt dein Stickerbuch“
wurde als Verstoß gegen das Verbot
Bipa offeriert
mehrmals im
Monat Rabatt auf
Babysachen.
Bei dm ist das
Baby-Willkommenspaket
beliebt.
Spar möchte mit
den Garfield-Sammelstickern bei
Kindern punkten,
Billa versucht‘s mit
dem Kids-Club.
Foren (Mamis treffen Mamis), Freizeittipps für Familien sowie ein Beraterchannel der einstigen „Supernanny“ Katharina Saalfrank.
„Wir merken durch das Betreiben der Seite, dass viele, besonders
junge Familien sehr verunsichert
sind. Mit der Seite wollen wir ihnen beratend zur Seite stehen“,
erklärt Sima, die sich die deutsche
Seite netmoms.de als Vorbild genommen hat und selbstredend
auch eine Werbeplattform für
Händler und Markenartikler sein
möchte. Sogar die Möglichkeit, eine Produkttestfamilie zu werden,
wird auf der Seite angeboten – ein
ganz wichtiger Punkt, wie Sima
festhält.
Fünfsterne-Zielgruppe
Sie ist überzeugt, dass die FMCGIndustrie eine Menge Geld sparen
würde, wenn sie ihre neuen Produkte zuerst bei einer Auswahl
an Familien testen lassen würde,
bevor sie sie auf den Markt bringen. Bei den sogenannten In-HomeUse-Tests werden den teilnehmenden Probierern die Produkte direkt
nach Hause geschickt. Es sei zwar
Die FMCGIndustrie spart
eine Menge Geld,
wenn sie ihre
Produkte vor
dem Launch
über In-HomeUse-Tests in
Familienhaushalten testet.
© spar.at, bipa.at; billa4kids.at; dm-drogeriemarkt.at
medianet.at
Stickermania – mal ist er in den
Weltmeeren, dann in den Wüsten
und Steppen unterwegs. Das dafür
nötige, pädagogisch wertvolle Pickerl-Buch ist gespickt mit Fragen,
Spielen und Überraschungen. Mit
einer Club-Mitgliedschaft wirbt
indes das Interspar-Maskottchen
­Ingo. Der grüne Drache, der ein
bisschen an Grisu, den Feuerwehrmann, erinnert, verspricht seinen
kleinen Fans ein Club-Magazin mit
Malvorlagen, Rätseln, Bastelideen
und Rezepten. In den Interspar-Restaurants wird der jüngsten Zielgruppe eine Ingo-Schatzkiste offeriert, die neben der Nahrung noch
einige Gimmicks enthält.
Das pickerlsammelnde Kind
Allerdings: Dass beim auf Kinder
abzielenden Marketing äußerste
Sylvia Sima
Geschäftsführerin
Sachen & Machen
Kleine Kunden
Erst im Volksschulalter, also
zwischen 10
und 13 Jahren,
können Kinder in
der Regel halbwegs verlässlich
zwischen Realität
und Fiktion unter­
scheiden.
10–13
der Kinderwerbung angesehen. Abgewiesen wurde indes ein Unterlassungsbegehren im Hinblick auf
die Werbung für die Sammelaktion
im Allgemeinen – auch deshalb,
weil es sich nicht auf eine Aufforderung zum Kauf von ganz bestimmten Produkten bezieht. Daher
können die Händler den Kleinen
das Pickerlsammeln weiterhin offerieren.
Eine Expertin auf dem Gebiet ist
Sylvia Sima, Geschäftsführerin der
Werbeagentur Sachen & Machen.
Neben zahlreichen Direktmarketing- und Werbemittelaktivitäten
betreibt das Unternehmen die Internetseite welovefamily.at. Auf
der Page dreht sich alles um Kinder
und Familien: Leicht umsetzbare
Kochtipps und Gutenachtgeschichten sind dort ebenso zu finden wie
nicht die günstigste Methode (jeder einzelne Test kostet rund 3,50
€), dafür aber der aussagekräftigste. Denn testen die Probanden die
Sonnencreme, den Badeschaum
oder die neue Müslisorte zu Hause, dann passiert das weit eingehender und intensiver als etwa bei
einer schnellen Befragung auf der
Straße.
Das sollte diese 5-Sterne-Zielgruppe, die jungen Mütter, dem
Handel wert sein, möchte man
meinen. Denn sie spült viel Geld in
die Kassen der Retailer, die eben in
ihren Konsumentscheidungen oft
unsicher sind, und greift daher im
Zweifelsfall eher zum höherwertigeren Produkt. Und, wie heißt es
so schön in einem bekannten Fernsehwerbe-Spot: Für unser Baby nur
das Beste.

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