Dreckige Tricks

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Dreckige Tricks
Quelle:
, 08.03.2012 / Thema / Seite 10
Dreckige Tricks
Geschichte. Vor fünfzig Jahren beschloß der US-Generalstab die »Operation
Northwoods«. US-Terrorprogramm gegen Kuba brachte die Welt an den Abgrund
Von Horst Schäfer
US-Präsident John F. Kennedy mit den Generälen Lyman Lemnitzer
(rechts) und Walter C. Sweeney jr. (Mitte) auf der Luftwaffenbasis von
Fort Bragg, North Carolina (12.10.1961); Foto: AP
Es war ein widersprüchlicher Jahresbeginn 1962. Einerseits
gab es Zeichen der Entspannung und Vernunft: Am 10.
Februar wurden auf der -Glienicker Brücke bei Potsdam
Gary Powers (1960 mit dem US-Spionageflugzeug
Lockheed U-2 über der Sowjetunion abgeschossen) und der
1957 in den USA verhaftete sowjetische Kundschafter
Rudolf Abel ausgetauscht. Die Großmächte einigten sich,
am 14. März in Genf eine Abrüstungskonferenz zu beginnen. Der Außenminister der
UdSSR, Andrej Gromyko, empfing seinen bundesdeutschen Kollegen Gerhard Schröder
(»SA-Schröder«, CDU). Die dänische Regierung setzte sich am 15. März für die
Schaffung von atomwaffenfreien Zonen überall in der Welt ein. In Paris forderte eine
halbe Million Menschen ein Ende des seit acht Jahren dauernden Algerien-Krieges; dem
Protest folgte dann am 18. März die Unterzeichnung eines entsprechenden Vertrages
zwischen Frankreich und Algerien.
Dem entgegen standen die zunehmenden verdeckten Operationen der USA Anfang
1962 in Vietnam und Laos mit der Sanktionierung von »Entlaubungsprogrammen« durch
die Kennedy-Administration, die Exkommunizierung des kubanischen Staatschefs und
Katholiken Fidel Castro durch Papst Johannes XXIII. am 3. Januar, der auf US-Druck
erfolgte Ausschluß Kubas aus der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) am 22.
Januar, die Verkündung der US-Blockade gegen Kuba am 7. Februar durch Präsident
John F. Kennedy, die nun schon seit mehr als 50 Jahren anhält, und die Rehabilitierung
des wegen seiner Nazivergangenheit zurückgetretenen Ministers Theodor Oberländer
Mitte Februar durch Bundeskanzler Adenauer.
Am 14. Februar erließ Kennedy neun Verordnungen, die im Falle eines »nationalen
Notstands« die Einführung des Kriegs- und Standrechts ermöglichen sollten. Am 28.
Februar stationierte die US-Regierung in der Türkei 15 auf die Sowjetunion gerichtete
atomare Mittelstreckenraketen, die während der Raketenkrise im Oktober 1962 noch
eine Rolle spielen sollten. Gleichzeitig wurde das Tempo der Kriegsprovokationen gegen
Kuba verschärft. Dazu lieferte das angeblich linksliberale und natürlich ganz
unabhängige Magazin Der Spiegel in Heft 15/1962 mit einer Personalie über den
kubanischen Staatschef medialen Flankenschutz: »Fidel Castro, 34, Freund des StalinMumienschänders Chruschtschow, ließ die Skelette der Toten, deren Hinterbliebene
dem Castro-Regime entflohen sind, aus den Gräbern reißen und die Gebeine
verstreuen. Kubas Diktator glaubt, durch diese Leichenschändungen die Republikflucht
seiner dem Ahnenkult anhängenden Landsleute eindämmen zu können.« Brrrr … In
welcher Geheimdienst-Desinformationskloake hatte Der Spiegel denn hier gefischt?
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Der Fall John Glenn
Als am 20. Februar 1962 der US-Astronaut John Glenn mit einer »Mercury«-Rakete in
den Weltraum geschossen wurde und knapp ein Jahr nach Juri Gagarin als erster USBürger die Erde umkreiste, ahnte er sicher nicht, daß die Führung des Pentagon schon
seinen Tod einkalkulierte. Am 2. Februar 1962 hatte Brigadegeneral William H. Craig im
Auftrag des Pentagon den Plan vorgelegt, für ein mögliches Scheitern des
bevorstehenden Weltraumstarts von Glenn unbedingt Kuba und dessen Regierung
verantwortlich zu machen. In dem Papier heißt es: »Das Ziel ist, einen unwiderlegbaren
Beweis zu haben, daß die Kommunisten in Kuba schuld sind, wenn der bemannte
Raumflug Mercury fehlschlägt (…) Das soll durch die Herstellung mehrerer
Beweisstücke erreicht werden, die elektronische Störmaßnahmen der Kubaner belegen
würden.« Der Brigadegeneral überschreibt seinen Vorschlag treffend mit »Dreckiger
Trick«.
Um ein Haar hätte John Glenn diese besonders perfide Kriegsbegründung gegen Kuba
auch unfreiwillig geliefert, denn es gab bei der Landung große Schwierigkeiten, weil das
Hitzeschild der Raumkapsel beschädigt wurde und für einige Zeit die Gefahr bestand,
daß er in der Atmosphäre verglühen würde. Hätten die USA unter diesem Vorwand dann
Kuba überfallen und damit einen dritten Weltkrieg riskiert? Zumindest hatte man das so
vorgesehen. Doch der Fall John Glenn war nur einer der zahlreichen Pläne der USGeneralität, Vorwände für einen Krieg gegen das verhaßte Kuba zu fabrizieren.
»Dirty-Trick-General« Craig gehörte zum US-Generalstab und war die rechte Hand von
dessen Chef, Lyman Lemnitzer, dem höchsten Militär der USA. Gibt man den Namen
Lemnitzer oder das Datum 13. März 1962 in die Suchmaschine Ixquick ein
(Eigenwerbung: »die diskreteste Suchmaschine der Welt«), erscheint als erstes Ergebnis
»Operation Northwoods«. Man erfährt, daß es sich dabei um offizielle Dokumente mit
der höchsten Geheimhaltungsstufe über zahlreiche geplante Terroranschläge der USRegierung auch gegen die eigene Bevölkerung handelte, die am 13. März 1962 von
Lemnitzer unterzeichnet worden waren. Jahrzehnte später entdeckte der USMilitärhistoriker James Bamford sie bei Recherchen im Archiv der weltgrößten
Spionagebehörde, der Nationalen Sicherheitsagentur (NSA) der USA.
Kuba in die Schuhe schieben
Die brisanten Papiere waren mehr als 35 Jahre im Tresor versteckt und wurden von
Bamford, nachdem sie offiziell von den Regierungsbehörden freigegeben worden waren,
im Frühjahr 2001, kurz vor dem Terroranschlag auf die Zwillingstürme in New York,
veröffentlicht. »North-woods« gehörte zur »Operation Mongoose«, einem bereits
unmittelbar nach der Niederlage in der Schweinebucht im April 1961 (siehe jW-Thema
vom 15.4. und 30.11.2011) geplanten Militäreinsatz, der seinen Höhepunkt im Oktober
1962 – kurz vor wichtigen Wahlen zum US-Kongreß – in der Eroberung und »Befreiung«
Kubas finden sollte.
Das besonders Perfide an »Northwoods« war: Ihre eigenen terroristischen Attentate
wollten die USA Fidel Castro in die Schuhe schieben – etwa nach dem Muster des
Reichstagsbrandes 1933, der Hitler als Begründung diente für die Verhaftung von
Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftern und für die Außerkraftsetzung
aller Grundrechte. Oder wie beim angeblich polnischen Überfall auf den Sender Gleiwitz
1939 durch die SS, der Vorwand war für den Krieg des faschistischen Deutschlands
gegen Polen. Auf ähnliche Weise sollte auch die Militäroperation unter dem Codenamen
»Mongoose« und die Besetzung Kubas vor der eigenen Bevölkerung und vor der UNO
als gerechtfertigt und notwendig hingestellt werden.
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ABC, eine der größten US-Fernsehgesellschaften, charakterisierte am 1. Mai 2001 die
»Northwoods«-Dokumente als »Pläne der führenden Militärs der USA, unschuldige
Menschen zu töten und Akte des Terrorismus in US-Städten zu verüben, um öffentliche
Unterstützung für einen Krieg gegen Kuba zu schaffen«. Das habe eingeschlossen: »Die
mögliche Ermordung kubanischer Emigranten, die Versenkung von Schiffen mit
kubanischen Flüchtlingen auf hoher See, die Entführung von Flugzeugen, die Sprengung
eines US-Schiffes und sogar die Inszenierung von gewalttätigem Terrorismus in USStädten. Die Pläne wurden entwickelt als Möglichkeit, die amerikanische Öffentlichkeit
und die internationale Gemeinschaft durch Vorspiegelung falscher Tatsachen dazu zu
bringen, einen Krieg zur Absetzung von Kubas damaligem neuen Führer, des
Kommunisten Fidel Castro, zu unterstützen.« Soweit ABC.
Die »Northwoods«-Provokationen
Verdeckter
Krieg
gegen
das
revolutionäre
Kuba:
Freigegebenes Dokument zur »Operation -Northwoods« mit
der Unterschrift von Generalstabschef Lemnitzer vom 13. März
1962; Foto: Wikipedia
Am 13. März 1962 billigten die Generale und
Admirale des Vereinigten Generalstabs (JCS) den
Plan und nannten ihn »Operation Northwoods –
Vorwände
zur
Rechtfertigung
einer
USMilitärintervention in Kuba«. Generalstabschef
Lemnitzer setzte schwungvoll seinen Namen unter
das
Dokument,
und
es
wurde
über
Verteidigungsminister McNamara an Präsident John
F. Kennedy geleitet. Der Generalstab drängte auf
baldige Umsetzung der Invasionspläne, denn bisher,
so das Hauptargument, gebe es noch kein
bilaterales
Verteidigungsabkommen
zwischen
Sowjetunion und Kuba. Daher sei der Zeitfaktor »für
die Lösung des Kuba-Problems wichtig«. Wenige
Wochen zuvor, nach dem »Mongoose«-Beschluß
der Regierung zur Vorbereitung einer zweiten Kuba-Invasion, waren CIA, Pentagon und
Außenministerium aufgefordert worden, die Planung mit eigenen Ideen zu unterstützen.
Lemnitzer verwies darauf, daß außer dem Generalstab auch das Außenministerium an
einem eigenen Papier zur »Rechtfertigung einer militärischen Intervention der USA in
Kuba« arbeite.
Wichtigster Grund für »Operation North-woods« war die psychologische Vorbereitung
des Überfalls auf Kuba, der »Operation -Mongoose«, mit allen Mitteln des schmutzigen
Krieges. Und so formulierten die höchsten US-Militärs: »Die vorgeschlagenen Aktionen
basieren auf der Voraussetzung, daß die militärische Intervention der USA Ergebnis
einer Periode verstärkter US-kubanischer Spannungen ist, in der die USA berechtigten
Grund zur Klage haben. Die Weltmeinung und das Forum der Vereinten Nationen sollten
dahingehend beeinflußt werden, daß das internationale Bild einer unbesonnenen,
unverantwortlichen kubanischen Regierung entsteht, einer alarmierenden und
unkalkulierbaren Bedrohung für den Frieden in der westlichen Hemisphäre«.
Und um solche Spannungen zu schüren und Kuba als terroristisch verleumden zu
können, schreckte der Generalstab auch nicht vor sogenannten Kollateralschäden im
eigenen Land zurück – einschließlich Toter und Verwundeter. Wie anders soll man Punkt
vier des »Northwoods«-Plans verstehen, der lautet: »Wir könnten eine kubanisch-
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kommunistische Terrorkampagne in der Gegend von Miami und anderen Städten
Floridas und sogar in Washington entwickeln. Die Terrorkampagne könnte gegen
kubanische Flüchtlinge gerichtet sein, die in den USA Asyl suchen. Wir könnten – in
Wirklichkeit oder nur simuliert — eine Schiffsladung Kubaner versenken, die auf dem
Weg nach Florida ist. Wir könnten Anschläge auf das Leben kubanischer Flüchtlinge in
den USA in dem Maße fördern, daß es Verwundete gibt und es dann breit publiziert wird.
Die Explosion von einigen Plastikbomben an sorgsam ausgewählten Plätzen, der Arrest
kubanischer Agenten und die Veröffentlichung von vorbereiteten Dokumenten, die eine
kubanische Beteiligung beweisen, wären bei der Vermittlung des Bildes einer
verantwortungslosen Regierung hilfreich.«
»Erinnert euch an die ›Maine‹«
Daher war es naheliegend, eine erfolgreiche Operation unter falscher Flagge neu
aufzulegen. US-Präsident William McKinley hatte 1898 einen Vorwand gesucht, sich in
den Aufstand der Kubaner gegen die Kolonialmacht Spanien einzumischen und das
Schlachtschiff »Maine« nach Havanna geschickt. Es flog in die Luft, 266 US-Seeleute
starben. Und sofort wurde behauptet, Spanien habe das Schiff gesprengt – die USA
hatten ihren Kriegsgrund. Das wollte General Lemnitzer auch und schlug vor: »Ein
Zwischenfall ›Erinnert euch an die Maine‹ könnte auf verschiedene Art arrangiert werden
(…) Wir könnten ein US-Schiff in der Bucht von Guantánamo in die Luft jagen und Kuba
dafür verantwortlich machen. Wir könnten auch ein unbemanntes Schiff irgendwo in
kubanischen Hoheitsgewässern sprengen (…) Die Nähe zu Havanna (…) würde es
glaubwürdiger machen, insbesondere, wenn die Leute den Krach gehört oder das Feuer
gesehen haben (…) Die Verlust-listen in den US-Zeitungen würden eine hilfreiche Welle
der nationalen Empörung auslösen.«
Die US-Militärbasis Guantánamo, 1903 nach dem durch die Explosion der »Maine«
ermöglichten Einmarsch der USA in Kuba ergaunert, spielte bei den geplanten
Provokationen eine wichtige Rolle. »Eine Serie gut koordinierter Zwischenfälle wird in
und um Guantánamo vorgesehen, um wirklich den Eindruck zu vermitteln, daß sie von
feindlichen kubanischen Streitkräften verübt werden«, planten die Militärs. »Befreundete
Kubaner« in kubanischen Uniformen sollten die Basis angreifen und als Saboteure
verhaftet werden, sie sollten Unruhen am Haupteingang starten, Munition sprengen,
Feuer legen, ein Flugzeug in Brand setzen. Sogar Scheinbegräbnisse sollten stattfinden,
um alles möglichst echt aussehen zu lassen. Die angeblichen Übergriffe Kubas auf die
Basis Guantánamo wollten die USA dann mit »Militäroperationen in großem Umfang«
beantworteten.
Auch bei den Nachbarn sollte Kuba verunglimpft werden. Es war vorgesehen, USFlugzeuge mit Kubas Hoheitszeichen in der Dominikanischen Republik Zuckerrohrfelder
in Brand setzen zu lassen. »Brandsätze aus dem Sowjetblock sollten gefunden werden,
gekoppelt mit ›kubanischen‹ Botschaften an den kommunistischen Untergrund in der
Dominikanischen Republik sowie ›kubanischen‹ Lieferungen von Waffen, die an der
Küste gefunden werden«, schlug der US-Generalstab vor. »Der Gebrauch von
Flugzeugen des (sowjetischen) Typs MIG durch US-Piloten könnte eine zusätzliche
Provokation liefern«, heißt es in den Dokumenten weiter. »Brauchbare Kopien der MIG
könnten in etwa drei Monaten in den USA hergestellt werden.«
Dann wollten die Väter von »Northwoods« beweisen, »daß kommunistische kubanische
MIGs eine Maschine der USAF in einem nicht provozierten Angriff über internationalen
Gewässern zerstört haben«. Und das sollte so ablaufen: Eine Gruppe von F-101Kampfjets fliegt in mindestens zwölf Meilen Entfernung an der kubanischen Küste
entlang. Ein etwas abseits fliegender Pilot teilt über Funk mit, daß er von einer
kubanischen MIG angegriffen wird, bringt jedoch in Wirklichkeit seine Maschine
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unterhalb des Radarschirms nach Florida zurück. Ein U-Boot »findet« in der Nähe der
»Absturzstelle« Teile einer F-101, einen Fallschirm und anderes. Die übrigen Piloten
haben von der Inszenierung keine Ahnung und können bei ihrer Rückkehr »eine wahre
Geschichte« erzählen.
»Northwoods« und der 11.9.
Wer das »Northwoods«-Dokument bereits kurz nach der Veröffentlichung im Mai 2001
gelesen hatte, den mußte nur wenige Monate später zumindest ein Detail beim
Terroranschlag vom 11.9. auf die Twin-Towers in New York aufmerken lassen. General
Lemnitzer ließ bereits 1962 deutlich erkennen, daß es den USA schon knapp 40 Jahre
vor dem 11. September technisch möglich war, große Passagiermaschinen vom Boden
aus präzise fernzusteuern, sie den Kurs mit identischen Flugzeugen tauschen zu lassen
und sie dann im passenden Moment von einer Bodenstation aus zu zerstören (oder eben
in das passende Ziel zu fliegen). Ob wir in 40 oder 50 Jahren wohl erfahren werden, daß
es auch im Jahre 2001 ein Geheimpapier der Regierung Bush gab mit dem möglichen
Titel »Vorwände zur Rechtfertigung einer militärischen Intervention der USA in
Afghanistan« und dem Plan eines niemals endenden »Krieges gegen den Terror« sowie
einer ständigen Präsenz der Vereinigten Staaten im Nahen und Mittleren Osten?
In Punkt 8 der »Vorwände zur Rechtfertigung einer militärischen Intervention der USA in
Kuba« vom Februar 1962 wollte der US-Generalstab jedenfalls eine präparierte USPassagiermaschine über Kuba nach einem angeblichen »Angriff« durch kubanische
Jäger zur Explosion bringen, den »Abschuß« als schlimmen Terrorakt brandmarken und
als Grund für einen sofortigen Krieg gegen Kuba und für die militärische Invasion der
Insel nutzen. Die Maschine, so der Plan, würde kurz nach dem Start mit einem
identischen, aber ferngesteuerten leeren Flugzeug mit den gleichen Kennzeichen den
Kurs tauschen. Wörtlich heißt es im »Northwoods«-Dokument: »8. Es ist möglich, einen
Zwischenfall zu inszenieren, der überzeugend demonstrieren wird, daß ein kubanisches
Flugzeug eine gecharterte Zivilmaschine auf dem Weg von den Vereinigten Staaten
nach Jamaika, Guatemala, Panama oder Venezuela angegriffen und abgeschossen hat.
Das Ziel wird nur deshalb so gewählt, damit die Flugroute über Kuba führt. Die
Passagiere könnten eine Gruppe von Collegestudenten in den Ferien oder jede andere
Gruppe mit dem gemeinsamen Interesse an einem zeitlich nicht festgelegten Charterflug
sein.«
Über Kuba werde das ferngelenkte Flugzeug dann »auf der internationalen
Notruffrequenz eine ›Mayday‹-Botschaft senden und erklären, daß es von einer
kubanischen MIG angegriffen wird. Die Übertragung wird durch die von einem
Radiosignal ausgelöste Zerstörung des Flugzeugs unterbrochen«. Dieser Ablauf, so der
US-Generalstab, werde es Radarstationen für Zivilluftfahrt in den karibischen und
südamerik-anischen Anrainerstaaten ermöglichen, »den USA mitzuteilen, was passiert
ist, anstatt daß die USA den Zwischenfall ›verkaufen‹ müssen«. Insbesondere der letzte
Punkt zeigt, daß die Generäle auch das kleinste Detail ihres geplanten unglaublichen
Verbrechens genau durchdacht hatten.
Eines mußte den führenden US-Militärs jedenfalls klar gewesen sein: Ihre geplanten
Kriegsprovokationen hätten sehr schnell zu einem atomaren Weltbrand führen können.
Der Gesamtplan des US-Generalstabs wurde vom Präsidenten offenbar abgelehnt – weil
ihn die Sorge umtrieb, daß dessen Bekanntwerden seiner Regierung erheblich schaden
würde. Einige der Ideen sind dann aber tatsächlich für provozierende Aktionen gegen
Kuba genutzt worden – bis weit über die durch die Raketenkrise im Oktober 1962
beendete »Operation Mongoose« und den Mord an John F. Kennedy hinaus.
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Strategischer Vorteil des Erstschlags
Schon am 24. Juli 1962 drängte das Pentagon erneut, so bald wie möglich einen Krieg
mit Kuba zu provozieren und begründete das mit dem strategischen Vorteil, daß dann
nämlich die USA Zeitpunkt und Ort einer Invasion selbst bestimmen könnten. Unter
»Nachteile« wird immerhin angemerkt: »Diese Aktion widerspricht der UN-Charta und
der Doktrin der Nichtintervention, wie sie auf der Konferenz von Bogota verkündet
wurde.« Die Kriegsbrandstifter wußten natürlich, daß sie gegen das Völkerrecht
verstoßen. Die Beispiele zeigen, daß es die US-Seite war, die Provokationen plante.
Außerdem wird deutlich, welche Geduld, Selbstbeherrschung, Vorsicht und Klugheit
Havanna aufbringen mußte, um auf keine dieser Provokationen hereinzufallen.
Vier-Sterne-General Lyman Lemnitzer wurde von Präsident Kennedy nach Ende der
»Operation Mongoose« nicht noch einmal als Generalstabschef berufen. Nach der
Raketenkrise war er von November 1962 bis 1969 NATO-Oberbefehlshaber in
Westeuropa. Am 6. Juni 1975 tauchte auch seine vom Plan »Operation Northwoods«
bekannte Unterschrift erneut auf: Er hatte im Auftrag von Präsident Gerald Ford in der
achtköpfigen Rockefeller-Kommission die gesetzlich verbotenen »CIA-Aktivitäten in den
Vereinigten Staaten« untersucht …
Das Bekanntwerden der 15 Seiten umfassenden menschenverachtenden
»Northwoods«-Planung war auch insofern bedeutend, als damit – nach der Entlarvung
der Vietnamkriegslügen durch die Veröffentlichung der »Pentagon-Papiere« 1971 und
den Ermittlungen eines Senats-Untersuchungsausschusses 1975 über die Mord- und
Terrorpolitik der CIA insbesondere gegen Kuba – erneut ein tiefer Einblick in die USWerkstatt für die Erfindung von Kriegsgründen möglich wurde.
Spätestens seit diese Dokumente zugänglich sind, hat auch der insbesondere im
Zusammenhang mit dem 11.9. oft gehörte Einwand an Überzeugungskraft verloren,
Militär, CIA und Politik der USA würden doch nicht für die Schaffung eines
Kriegsvorwands Gesundheit und Leben ihrer eigenen Bürger gefährden. In Kenntnis von
»Operation Northwoods« ist auf alle Fälle größtes Mißtrauen gegenüber jeder offiziellen
Begründung für eine militärische Intervention – ob in Irak, Afghanistan, Libyen, Syrien
oder Iran – und gegenüber jedem angeblichen Terroranschlag angebracht. Es ist
möglich, daß es sich dabei um eine Fälschung oder um eine Fabrikation aus den
Geheimdienstwerkstätten der USA oder anderer Staaten handelt. Denn der
Erfindungsreichtum der Fälscher scheint keine Grenzen zu kennen.
James Bamford, der Entdecker der Dokumente »Operation Northwoods«, erklärte
gegenüber ABC zu den Gefahren, daß sich Ähnliches wiederholen könnte: »Das
Beängstigende ist, daß nichts von alledem herauskommen würde – es sei denn, 40
Jahre später.« Vielleicht …
t Der Journalist Horst Schäfer hat elf Jahre als Korrespondent der DDRNachrichtenagentur ADN in den USA gearbeitet. Er ist Autor des Buches »Im
Fadenkreuz: Kuba« (Berlin 2007) über mehr als 50 Jahre Staatsterrorismus gegen die
sozialistische Inselrepublik, das sich – wie auch dieser Artikel – im wesentlichen auf
inzwischen zugängliche offizielle US-Dokumente von CIA, Pentagon, Außenministerium,
Weißem Haus und den Gedenkbibliotheken der jeweiligen Präsidenten stützt