Expertenstimmen zur Internationalität des Deutschen

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Expertenstimmen zur Internationalität des Deutschen
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Expertenstimmen zur Internationalität des Deutschen Jugendliteraturpreises
(Stand 13. Mai 2013)
Arbeitsstelle für Kinder- und Jugendmedienforschung (ALEKI): Prof. Dr. Gabriele von
Glasenapp (Mitglied der Kritikerjury des DJLP 2001 bis 2004) und Prof. Dr. Otto Brunken
(Vorsitzender der Kritikerjury des DJLP 2003 bis 2006)
„Der Deutsche Jugendliteraturpreis hat im Laufe seiner langen Geschichte schon viel Kritik
einstecken müssen: Es würden die falschen Bücher ausgezeichnet, es würden wichtige Werke
übersehen, die prämierten Werke würden von der Zielgruppe nicht gelesen, es würden ausschließlich
die Werke der großen Verlage berücksichtigt, die Kritikerjury kenne sich auf dem Buchmarkt nicht aus,
wirklich wichtige Autoren hätten den Preis nicht erhalten. Und jetzt die Forderung nach
Protektionismus für die Werke deutschsprachiger Autoren, nach einer grundlegenden Änderung der
Satzung also, deren internationale Ausrichtung seinerzeit zwar nachvollziehbar sei, den
gesellschaftspolitischen Tatsachen heute aber nicht mehr entspreche. Dass bei der Preisvergabe
eigentlich die literarische Qualität der Werke im Vordergrund stehen sollte und nicht die Akteure,
kommt bei dieser Argumentation naturgemäß nicht zur Sprache.
All diese Kritik, Anwürfe und Vorwürfe (und seien sie von noch so prominenter Stelle geäußert) hat der
Jugendliteraturpreis in letzter Konsequenz unbeschadet überstanden – und sich dabei durchaus
flexibel gezeigt: Es wäre ein eigenes und keineswegs kurzes Kapitel innerhalb der Geschichte des
Preises, wollte man all die Änderungen aufzählen, die er seit seiner Begründung durchlaufen hat.
An einem haben die Verantwortlichen jedoch unbeirrbar festgehalten: der internationalen Ausrichtung
des Preises. Genau das ist nun Gegenstand der Kritik. Es könne nicht sein, so die Kritiker, dass ein
deutscher Staatspreis übersetzte Werke auszeichne. Von Benachteiligung deutscher Autoren ist die
Rede, und es werden zum Teil abstruse Vorschläge gemacht, wie die Verantwortlichen dieser Praxis
entgegenzutreten hätten: Eine extra Sparte für übersetzte Werke sei einzurichten, für jedes nominierte
bzw. prämierte übersetzte Werk müsse auch ein deutsches Werk berücksichtigt werden.
Es stimmt: Dass ein deutscher Staatspreis kinder- und jugendliterarische Werke auszeichnet, die in
deutschen Verlagen erschienen sind – und zwar ungeachtet ihrer Herkunft – scheint auf den ersten
Blick ungewöhnlich. Bei anderen Preisen und in anderen Staaten wird anders verfahren. Bei
genauerer Betrachtung jedoch ist es genau diese internationale Ausrichtung, die die Einzigartigkeit
und auch das Renommee des Deutschen Jugendliteraturpreises ausmacht. Was man vor knapp
sechzig Jahren noch nicht wissen konnte, zeigt sich heute in seinem ganzen Ausmaß – der Preis ist
auf diese Weise in der Lage, der Globalisierung, von der gerade die Kinder- und Jugendliteratur in
hohem Maße geprägt ist, Rechnung zu tragen. Nicht zuletzt dieser Ausrichtung des Preises verdankt
die in Deutschland erscheinende Kinder- und Jugendliteratur ihr großes Ansehen, das sie weltweit
genießt.
Deutschland wird bis heute oftmals zu Recht für seine Sonderwege kritisiert, die das Land im Laufe
der Geschichte wiederholt eingeschlagen hat. Man kann auch die Vergabepraxis des Deutschen
Jugendliteraturpreises als einen Sonderweg bezeichnen. In diesem Falle aber handelt es sich um
einen Weg, den wir im Interesse der LeserInnen, der Qualität der Kinder- und Jugendliteratur jenseits
nationaler Grenzen und auch im Interesse des Preises nicht verlassen sollten. Diesen Weg werden wir
gerne weiter verfolgen.“
Dr. Susanne Helene Becker, Literaturdidaktikerin und -wissenschaftlerin, Vorsitzende der
Kritikerjury 2009 bis 2012
„Als Literaturhistorikerin hat mich stets fasziniert, wie importlustig sich der deutsche Buchmarkt seit
seiner Ausweitung im 19. Jahrhundert zeigt.
Als Kinderliteraturwissenschaftlerin hab ich es immer bewundert, dass deutsche Verlage
experimentierfreudig – und manchmal sogar wagemutig – im Ausland nach toller Literatur für unseren
Nachwuchs suchen, diese übersetzen lassen und veröffentlichen. Sollte ein Verlag dieses
Engagement nicht für inländische Autoren aufbringen, so ist das Sache der Verlage, aber nicht die
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des Stifters des Deutschen Jugendliteraturpreises. Abgesehen davon, steht ja die deutsche Kinderund Jugendliteratur gleichermaßen zur Auswahl für diese Auszeichnung wie die der ganzen Welt.
In meiner Zeit als Juryvorsitzende war ich überaus überzeugt davon, den gesamten Buchmarkt und
also dessen Weltoffenheit zu berücksichtigen und mit den Nominierungen einen Beitrag dazu zu
leisten, dass das internationale Renommee des Preises gestärkt wird. Und warum sollten JuryMitglieder einen Hang zur übersetzten Kinder- und Jugendliteratur haben? Was wäre denn der
Gewinn für die Juroren?
Ebenso, wie es unmöglich ist, einen Schuh zu finden, der zu Jeans, Pelzmantel, Strandkleidung und
Abendkleid gleichermaßen passt, ist es undenkbar, dass ein einziger Preis mit seinen Statuten alle
Begehrlichkeiten bedient! Deswegen kann ich auch in keiner Weise verstehen, warum ein offenbar
empfundener Mangel an Wertschätzung von ‚indigenen‘ Akteuren der Kinder- und Jugendliteratur
diese dazu bewegt zu fordern, dass dieser eine Preis inmitten zahlreicher Auszeichnungen für Kinderund Jugendliteratur in Deutschland seine internationale Ausrichtung aufgeben soll.
Und noch weniger kann ich verstehen, dass den Aufruf zur Neukonstituierung des Deutschen
Jugendliteraturpreises auch Akteure des Literaturbetriebs unterzeichnet haben, die selbst
ausgezeichnet wurden.“
Monika Bilstein, Verlegerin Peter Hammer Verlag
„Als das Bundesjugendministerium den Deutschen Jugendliteraturpreis 1956 ins Leben rief, sollte
nicht die deutsche Literatur im Vordergrund stehen, sondern der Nachwuchs sollte eine Orientierung
bekommen, was qualitativ das Beste aus der Bücherernte eines Jahres ist, und zwar weltweit.
Warum sollte das fast 60 Jahre später nicht mehr sinnvoll sein? Kinder und Jugendliche sollen ihren
Blick weiten, zur Begegnung und Auseinandersetzung mit literarischen Themen angeregt werden. Im
Zeitalter des Internets ist unsere Wahrnehmung globaler denn je, und im Alltag haben die Kinder in
Betreuungseinrichtungen, in Schulen längst mit Kindern aus anderen Kontinenten Kontakt. Literatur
leistet ein Vordenken, ein Einfühlen in zunächst fremde Welten, die oft nur der dort geborene
Schriftsteller authentisch vermitteln kann. Fremde Blickwinkel tragen zur Verständigung bei.
Es geht nicht darum, ob deutschsprachige Autoren schlechter schreiben als fremdsprachige; das tun
sie gewiss nicht. Nur geht es beim Deutschen Jugendliteraturpreis nicht um das Entweder-oder,
sondern um das Und: Alle Autoren, egal welcher Muttersprache und Nation, haben dieselbe Chance,
Beachtung zu finden.“
Hildegard Bockhorst, Geschäftsführerin der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und
Jugendbildung e.V. (BKJ)
„Gestiftet wird der Deutsche Jugendliteraturpreis vom Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend; finanziert wird er aus Mitteln des Kinder- und Jugendplanes des Bundes. Damit
einher geht die Verpflichtung, zu allererst die Interessen der Kinder und Jugendlichen im Blick zu
haben. Ziel des Deutschen Jugendliteraturpreises muss es sein, Kinder und Jugendliche mit Hilfe
eines unabhängigen, qualitativ überzeugenden und vielfältigen Literaturangebots in ihrer
Persönlichkeit zu stärken und ihnen Orientierungshilfe zu bieten. Orientierung ist nicht nur hinsichtlich
des schier unüberschaubaren Buchmarktes von Nöten, sondern auch bezüglich der zunehmend
komplexen Rahmenbedingungen des Aufwachsens in einer medial vernetzten, globalisierten Welt.
Warum sollten da die Künste, sollte die Literatur, vor Sprach- oder Landesgrenzen halt machen? –
Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Bücher und Geschichten aus Deutschland und aller Welt.
Der Deutsche Jugendliteraturpreis sollte daher weiterhin die besten davon prämieren, und so
weltoffen bleiben wie er 1956 erdacht wurde.“
Dr. Roswitha Budeus-Budde, Süddeutsche Zeitung, Journalistin Kinder- und Jugendbuch;
Vorsitzende der Kritikerjury 1995/1996; Vorsitzende der Sonderpreisjury für das AutorenGesamtwerk 2010
„Viel Feind viel Ehr. Nach diesem bewährten Sprichwort ist es dem Deutschen Jugendliteraturpreis
seit seiner Gründung 1956 gelungen, ein lebendiges und wichtiges Instrument der literarischen Szene
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zu werden, mit der Aufgabe Kindern und Jugendlichen Lust auf Bücher zu machen und Autoren zu
inspirieren. Von Anfang an war und blieb die Idee der Gründer umstritten, diesen Preis nicht nur an
deutschsprachige Autoren, sondern an alle Titel eines Jahrgangs, an Bücher, die in deutschen
Verlagen auch als Übersetzung erscheinen, zu vergeben. Es sollte ein Preis sein, der international
ausgerichtet, nicht nur den Lesern, sondern auch den Autoren den Blick öffnete für die literarischen
Kulturen der ganzen Welt. Das Ergebnis nach fast 60 Jahren: Wir hier in Deutschland haben die
internationalste Literatur von Europa, das ist unser Markenzeichen. Wer diese Kulturvielfalt leugnet
und ändern will, fällt zurück in einen Provinzialismus, der nicht nur dem Ansehen des Deutschen
Jugendliteraturpreises schadet.“
Prof. em. Birgit Dankert, Professorin für Bibliothekswissenschaft am Fachbereich Bibliothek
und Information der Fachhochschule Hamburg 1981 bis 2007; Vorsitzende der Kritikerjury 1991
bis 1994; Vorsitzende der Sonderpreisjury für das Autoren Gesamtwerk 2007
„Internationalität bereichert das literarische Feld. Der Deutsche Jugendliteraturpreis ist gerade mit
einer solchen Zielsetzung gegründet worden (Bundesjugendplan 1956: Friedenserziehung durch
Kinder- und Jugendliteratur aus aller Welt). Ich sehe keine politische Entwicklung, die eine Korrektur
sinnvoll erscheinen ließe. Die ärgerliche Dominanz des angelsächsischen Kinder- und Jugendbuches
ist – wie beim Film – eine Frage des Marktes (und manchmal leider auch der Qualität
deutschsprachiger Manuskripte) und muss auch mit markt-wirksamen Aktionen bekämpft werden.
Interessenvertretung der von mir hoch geschätzten Übersetzerinnen wäre für mich kein Motiv des
Handelns, wohl aber eine weltoffene Literaturpädagogik und Kinderkultur, die sich an guten
Kinderbüchern in vorzüglichen Übersetzungen erfreuen kann. Was ist zu tun? Egal, wo wir arbeiten:
- Macht klar, aus welchem Kulturkreis jedes Buch kommt und warum es so aussieht wie es aussieht;
- fallt selber nicht auf Marketing-Geklingel herein (weder bei in- noch bei ausländischen Büchern);
- sprecht aus, wenn es sich bei einem Bestseller um ein schlechtes Buch handelt;
- klärt jugendliche Leser (und Kolleginnen) über Marktmechanismen auf;
- schärft den Blick für die literarischen Qualitäten und Vorzüge deutschsprachiger Kinder- und
Jugendbücher;
- scheut vor harten, klaren Urteilen und Qualitätskriterien nicht zurück;
- handelt als Weltbürger, nicht nationale Interessenvertreter - denn daraus ist noch nie gute Literatur
entstanden.“
Prof. Dr. Klaus Doderer, Gründer des Instituts für Jugendbuchforschung in Frankfurt/Main und
AKJ-Ehrenmitglied, Herausgeber (zusammen mit Cornelia Riedel) von Der deutsche
Jugendliteraturpreis – Eine Wirkungsanalyse (Juventa 1988)
„1. Der Deutsche Jugendliteraturpreis ist ein Buch-Preis und kein Autoren-Preis.
2. Er wurde nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Absicht ins Leben gerufen, Kinder und Jugendliche
sowie Eltern, Pädagogen, Buchhändler und alle an der weltoffenen Erziehung der Jugend Beteiligten
und Interessierten in Deutschland auf besonders wertvolle jugendgeeignete poetische Werke und
Sachbücher aufmerksam zu machen.
3. Die Idee, die internationale Herkunft der zu preisenden Buchobjekte gelten zu lassen, war ein
Grundelement der Erfinder des Preises. Um es mit den Worten Jella Lepmans, der Gründerin der
Internationalen Jugendbibliothek in München zu sagen, die Jugend in Deutschland sollte an der
‚Weltliteratur der Jugend‘ teilhaben.
4. Diese Vorstellung – sie war in der Nachkriegszeit als klare Antwort auf die nationalistischen
Auffassungen in der Nazi-Zeit zu verstehen – ist heute nicht überholt. Im Gegenteil, der globale
Aspekt hat eher an Bedeutung zugenommen.
5. Man darf davon ausgehen, dass weiterhin in den Jury-Verfahren des Deutschen
Jugendliteraturpreises neben den sachlich-inhaltlichen Kriterien auch die sprachlichen Kriterien eine
Rolle spielen. Damit aber spielt der Gesichtspunkt der muttersprachlichen, der ästhetischen und
mentalen Qualität bei der Beurteilung eo ipso eine Rolle.“
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Atje Drexler, Bereichsleiterin Programmbereich Völkerverständigung Europa und seine
Nachbarn, Robert Bosch Stiftung GmbH
„Die Robert Bosch Stiftung veranstaltet gemeinsam mit dem Arbeitskreis Jugendliteratur jährlich eine
Übersetzerwerkstatt ‚Kein Kinderspiel‘ zur Vermittlung deutschsprachiger Kinder- und Jugendliteratur
in alle Sprachen der Welt. Ziel ist, im Geist der Völkerverständigung die Rolle der Übersetzer als
Vermittler zwischen Kulturen zu stärken und qualitativ hochwertige Übersetzungen aktueller deutscher
Kinder- und Jugendliteratur auf den Weg zu bringen. Dort sind renommierte Autoren genauso zu Gast
wie Debütanten, denen wir den Weg in die internationale Wahrnehmung ebnen möchten. Gerne sind
wir bereit, mit den Kinder- und Jugendbuchautoren über ihre internationalen Bedürfnisse ins Gespräch
zu kommen.“
Heike Ellermann, freie Künstlerin und Autorin, nominiert für den Deutschen
Jugendliteraturpreis 1991 und 1999
„Auch wenn meine Meinung im Kreise vieler Kolleginnen & Kollegen mit Sicherheit unpopulär ist: ich
bin für ‚German Open!‘ – diesen Begriff erinnere ich, als vor einigen Jahren die Debatte ‚Deutscher
Preis für Deutsche Autorinnen und Autoren‘ wieder einmal aufschlug, wohl aber nicht mit dieser
Vehemenz wie jetzt. Dass der Preis in erster Linie dem deutschen Lesepublikum die ganze Palette an
herausragenden Büchern vorführen möchte, die auf dem deutschen Markt in Originalsprache und
Übersetzung verfügbar ist – wird dieses eigentliche Anliegen des Preises vom Arbeitskreis für
Jugendliteratur vielleicht nicht genügend verdeutlicht?
Die Preisbücher in der Sparte Bilderbuch – und nur für diesen Bereich kann ich sprechen – erlauben
Jahr für Jahr auch den Blick über den Tellerrand auf herausragende Bilderbücher, die von den
internationalen Verlagen gewagt werden. Wenn ich z.B. die Veröffentlichungen auf dem französischen
Buchmarkt verfolge, dann gibt es dort künstlerische Bilderbücher von noch viel experimentellerer
Machart als es die Übersetzungen bei uns vorführen. Und sie scheinen ihr Kauf- und Lesepublikum zu
finden. Bücher dieser Art könnte es auf dem deutschen Buchmarkt als Originalausgaben auch geben,
denn sie sind da: als Dummies zu bestaunen zwei Mal im Jahr auf den Buchmessen-Büchertischen
der Kunsthochschulen! Die deutschen Verlage müssen sich nur trauen, sie zu veröffentlichen, dann
gäbe es ein breites und spannendes Spektrum für eine nationale Preisauswahl!
Dass die Entscheidungen einer unabhängigen Jury in jedem Jahr wieder anfechtbar, unverständlich
und ungerecht sein werden (auch was die Verteilung auf die Verlage betrifft), das ist doch klar und
immer so gewesen. Aber welche Jury hört diesen Vorwurf nicht? Ich spreche aus Erfahrung – als
Jury-Mitglied von diversen Kunst- und Literaturpreisen, als beim Deutschen Jugendliteraturpreis
Nominierte und als (sehr enttäuschte) Nicht-Nominierte. Und das ist noch nicht lange her...
Ich meine auch, es ist ein Zeichen von großzügiger Weltoffenheit, dass der DJLP als Staatspreis ein
internationaler Preis ist. Ich bin für ‚German Open!‘“
Dr. Uwe-Michael Gutzschhahn, Übersetzer, Lektor, Agent, Herausgeber, Preisträger des
Deutschen Jugendliteraturpreises 2006 (Preis der Jugendjury) und 2009 (Sparte Jugendbuch)
„Welches Kind interessiert, ob ein Autor Engländer, Franzose, Lette oder Deutscher ist?
Die Jury wählt aus allen Einsendungen aus, nicht mit der Vorstellung, deutsche Autoren schlechter zu
stellen, sondern sie gleichberechtigt zu würdigen.
Es gibt durchaus eine beachtliche Zahl von Autoren und Autorinnen, die von der Jury für ihre
innovativen Bücher prämiert wurden – zum Beispiel Tamara Bach, Wolfgang Herrndorf, Finn-Ole
Heinrich oder in diesem Jahr die nominierte Susan Kreller. Viele von ihnen haben sich durch den Preis
auch international durchgesetzt.
Im Verhältnis zur Gesamtwelt der Kinderliteratur ist Deutschland ein relativ kleines Land, wenn auch
ein durchaus bedeutendes. Eine Quote zu fordern wäre falsch, weil man dem Internationalen einen
Malus verschaffen würde, dem Nationalen dagegen – als solchem schon – einen Bonus.
Das Verhältnis, das sich in der Nominierungsliste zwischen nationaler und internationaler Literatur
spiegelt, gibt durchaus Größe und Bedeutung Deutschlands in der internationalen KinderliteraturPublikation wider. Wenn es einen Preis geben soll, der deutsche Literatur fördert, unterstütze ich das.
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Aber der Deutsche Jugendliteraturpreis ist sinnvollerweise ein internationaler Literaturpreis.“
Dr. Gabriele Haefs, Übersetzerin, Sonderpreisträgerin Übersetzung des Deutschen
Jugendliteraturpreises 2008
„In Ländern, aus deren Sprachen ich übersetze, nehme ich große Bewunderung dafür wahr, wie
weltoffen der Deutsche Jugendliteraturpreis sei, und wie stolz wir doch darauf sein können, so einen
Preis zu haben. Die Jugendbuchautoren, mit denen ich in diesen Ländern zu tun habe, wünschten, bei
ihnen gäbe es auch so einen Preis, und nicht nur solche, die für das eigene Land oder die eigene
Sprache gedacht sind. – Ein schönes Argument für die Beibehaltung des jetzigen Verfahrens.
Die Behauptung von Kritikern des Deutschen Jugendliteraturpreises, Übersetzungen hätten insofern
einen Vorteil, als sie im Ursprungsland Zeit genug hatten, sich zu bewähren, und schon anderswo ein
Erfolg waren, geht ziemlich an der Wirklichkeit vorbei. Paula Fox, deren Buch ‚Ein Bild von Ivan‘ 39
Jahre nach Erscheinen prämiert wurde, ist eine absolute Ausnahme. Sehr viele Übersetzungen
erscheinen fast gleichzeitig mit dem Original, manchmal sogar gleichzeitig. Es kommt auch vor, dass
ein Buch in der Originalsprache im Land des Autors oder der Autorin kein Erfolg ist, die Übersetzung
in einem anderen Land aber wohl – ein solches Buch z.B. war Jostein Gaarders ‚Sofies Welt‘,
ausgezeichnet mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 1994. ‚Sofies Welt‘ wurde erst in der Folge
auch in Norwegen ein Bestseller, weil die dortigen Zeitungen über die Auszeichnung berichteten, und
da war das Interesse geweckt.“
Ute Hentschel, Buchhändlerin, Referentin, Mitglied der Kritikerjury in der Sparte Sachbuch seit
2011
„Der Deutsche Jugendliteraturpreis genießt im Buchhandel ein hohes Ansehen; sowohl für die Bücher
der Nominierungsliste als auch für die Preisbücher wird in vielen Buchhandlungen umfassend
geworben. Der Buchhandel kann sich dabei darauf verlassen, dass die prämierten Titel
außerordentlichen Qualitätsansprüchen genügen, weil sie aus der Jahresproduktion aller sämtlich in
Deutschland erschienenen Titel ausgewählt werden.
Der deutsche Buchhandel ist, nicht nur was die Kinder- und Jugendliteratur angeht, international
aufgestellt. Gerade im Kinder- und Jugendbuch verlangen die Kunden eine hohe Qualität weltweiter
Provenienz. Kaum ein Kunde, der ein Kinder- oder Jugendbuch kauft, achtet dabei auf die nationale
oder ethnische Herkunft eines Autors oder Illustrators, wichtig ist alleine die literarische und
ästhetische Qualität des Buches.
Zur Diskussion, ob der Deutsche Jugendliteraturpreis zukünftig ausschließlich an original deutsche
Autoren und Illustratoren verliehen werden soll, ist aus Sicht des Buchhandels folgendes festzustellen:
Ein Preis, der ausschließlich deutsche Originalwerke berücksichtigt, wäre ein Nischenpreis und in
keiner Weise mehr für den international ausgerichteten deutschen Buchhandel interessant. Somit
würde ein solcher Preis seine marktrelevante Wirkung verlieren, die er jetzt in hohem Maße hat.
Wer als Autor oder Illustrator einen so renommierten Preis wie den Deutschen Jugendliteraturpreis
erhalten will, muss nicht nur gute Bücher schreiben, sondern sich vor allem der internationalen
Konkurrenz stellen – so wie im Buchhandel eben auch.“
Prof. Dr. Petra Josting, Professorin für Kinder- und Jugendliteratur sowie Literatur/Mediendidaktik an der Universität Bielefeld
„Wieder einmal schlagen die Wellen hoch, der Kritikerjury geht’s an den Kragen: Sie habe keine gute
Wahl getroffen, zu viele deutsche Autorinnen und Autoren seien zu Unrecht nicht berücksichtigt
worden – so ja letztlich der Vorwurf. Gänzlich ausschließen will man die übersetzte KJL natürlich nicht
und fordert deshalb eine Änderung der Vergaberichtlinien, d. h. neben einem Preis für
deutschsprachige Originalwerke soll es zukünftig eine separate Sparte deutsche Übersetzungen
geben.
Erfreulicherweise gibt es viele ExpertInnenstimmen, die sich dieser Forderung nicht anschließen und
zwar mit überzeugenden Argumenten, die ich hier nicht wiederholen möchte. Was mich an dem
offenen Brief der Initiative besonders stört, ist die Deutschtümelei, die ihm zugrunde liegt und nicht
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dadurch relativiert wird, dass man eine Übersetzungssparte einrichtet. Ganz klar ist von einer
‚Benachteiligung der deutschsprachigen Originalliteratur‘ die Rede, von ‚muttersprachlicher
Originalliteratur‘, auf die sich der DJLP konzentrieren müsse. Weiter heißt es: ‚Nicht nur die Förderung
der Vermittlung von fremden Lebensbereichen und Kulturen‘ sei ‚wichtig, sondern mindestens ebenso
die Förderung der Vermittlung der eigenen kulturellen Identität.‘ Und es kommt noch heftiger, wenn ich
lesen muss: ‚Was für einen Eindruck mag die Literaturproduktion eines Landes im Ausland erwecken,
in dem es zwar einen reichen Kinder- und Jugendliteraturmarkt gibt, wo aber kaum je ein
deutschsprachiges Originalwerk den DEUTSCHEN JUGENDLITERATURPREIS bekommt.‘
Auch das Argument, die sog. Brücke Autorin/Autor fehle im Falle der Übersetzungen, wenn
Leseförderung und Literaturvermittlung im Mittelpunkt stehen sollen, kann so nicht stehen bleiben.
Keine Frage, Lesungen in Schulen, Bibliotheken etc. sind wichtige Aktivitäten, aber aus der
Leseforschung wissen wir, dass sie nur die Lesemotivation diejenigen steigern, die gut lesen können,
denen es aber z. B. an Anregungen im Elternhaus oder auch in der Schule fehlt. Die Lesefähigkeit der
vielen Kinder und Jugendlichen im Lesealter, die nicht über ausreichende Leseflüssigkeit verfügen,
die nicht entziffern, dem Gelesenen keinen Sinn entnehmen können etc., wird mit Lesungen in keiner
Weise verbessert. Für diese Gruppe müssen wir uns ganz andere Fördermaßnahmen einfallen
lassen.
Mein Appell deshalb an unsere Bundesministerin Dr. Kristina Schröder: Die Mitglieder der zahlreichen
Jurys haben in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder sehr gute Arbeit geleistet. Dass sie das
auch in Zukunft können, müssen wir sicherstellen. Bitte erhalten Sie dem DJLP seine Internationalität
und Weltoffenheit, das Innovativste und Beste für unsere großen und kleinen LeserInnen finden wir
nur mit Blick über alle Landesgrenzen hinweg!“
Bettina A. Lamprecht, Gymnasiallehrerin für Deutsch/Englisch/Ethik am Joseph-BernhardtGymnasium Türkheim, Bayern
„Eltern, Lehrkräfte und auch die Kinder und Jugendlichen werden über den Deutschen
Jugendliteraturpreis auf besonders lesenswerte Bücher aufmerksam gemacht. Das überquellende
Angebot an original deutschsprachiger und übersetzter Literatur in den Buchläden überfordert viele.
Ein renommierter Preis hilft bei der Auswahl. Ansonsten „gewinnt“ auf dem Buchmarkt doch eher
derjenige, der das auffälligste, modernste Cover bietet, oder die reißerischsten Aufmacher. Inhaltliche
oder/und sprachliche Qualität (auch und gerade von Übersetzungen) ist ja für den Kunden wirklich
nicht ohne weiteres erkennbar in dieser Flut. Ich persönlich schätze die Bandbreite, die bisher über die
Nominierungsliste sowie über die Gewinner des Deutschen Jugendliteraturpreises abgedeckt wird, im
höchsten Maße. Ich wünschte, diese würde erhalten bleiben. Was täten wir Lehrer zum Beispiel ohne
die hervorragende skandinavische Kinder- und Jugendliteratur? Wer hülfe uns effektiver bei der
Eingrenzung der Themen, der Auswahl von Schullektüren – damit wir nicht immer nur die „Klassiker“
lesen (lassen), sondern auch einmal Neues finden – aus der Weltliteratur, gerade für unsere
jugendliche Klientel, als dieser bekannte Preis?“
Dr. Dagmar Leupold, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Deutschen Literaturfonds e.V.
„In den vergangenen Wochen wurde der Arbeitskreis für Jugendliteratur in einem offenen Brief
kritisiert, weil er sich bei der Vergabe des Deutschen Jugendliteraturpreises nicht auf deutsche
Autoren beschränkt. Das Kuratorium und der Vorstand des Deutschen Literaturfonds e.V. halten die
zentralen Argumente dieser Kritik für nicht zutreffend und plädieren nachdrücklich dafür, an der
bisherigen Vergabepraxis festzuhalten.
In den vergangenen Tagen haben bereits zahlreiche Stellungnahmen die Weltoffenheit des
Deutschen Jugendliteraturpreises unterstützt. Wir schließen uns den darin geäußerten Einwänden
gegen die Kritik an und möchten drei Punkte hervorheben:
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Auch wir halten den ‚Blick über die Grenzen‘, den Bücher ausländischer Autorinnen und Autoren
ermöglichen, für ein umfassendes Weltverständnis für wesentlich, und die Impulse und Einblicke, die
übersetzte Werke bieten können, für unverzichtbar.
Der Deutsche Jugendliteraturpreis dient vorrangig der Leseförderung und nicht der Autorenförderung,
daher ist die Frage nach der Herkunft der ausgezeichneten Titel – Übersetzung oder Originalausgabe
– von nachrangiger Bedeutung.
Seit 2010 verleiht der Deutsche Literaturfonds e.V. gemeinsam mit dem Arbeitskreis für
Jugendliteratur an zwei deutschsprachige Jugendbuchautoren ein sechsmonatiges Stipendium in
Höhe von 12.000 Euro. Mit dieser Auszeichnung ist ein einwöchiger Aufenthalt in Paris mit Lesungen
an Schulen und am Goethe-Institut verbunden. Bei dieser Gelegenheit können die Autorinnen und
Autoren wichtige Kontakte zur französischen Jugendliteratur-Szene knüpfen – ein erster Schritt hin zu
einer Übertragung der ausgezeichneten Werke ins Französische. Es bleibt uns völlig unerfindlich,
weshalb auch diese Stipendien Gegenstand der Kritik waren.“
Sabine Mähne, LesArt-Berliner Zentrum für Kinder- und Jugendliteratur
„Quote versus Qualität?
Wieder einmal wird beklagt, deutsche Autorinnen und Autoren kämen zu kurz bei
Nominierungsauswahl und Vergabe des Deutschen Jugendliteraturpreises. Wieder einmal wird im
Namen ‚Deutscher Jugendliteraturpreis‘ das Adjektiv fehlgedeutet. Wieder einmal erschallt der Ruf
nach Veränderung der Ausschreibungsbedingungen zugunsten deutscher Autoren und Autorinnen.
Dafür gibt es keinen Grund. Denn:
- Dieser Preis fördert das Lesen von Kindern und Jugendlichen und nicht das Schreiben von
Autorinnen und Autoren oder die Arbeit von Buchillustratorinnen und -illustratoren.
- Dieser Preis bereichert gerade auch mit den übersetzten Werken aus anderen Kulturen und
Ländern das kinder- und jugendliterarische Leben in Deutschland. Er fördert das Gespräch
über die Qualität von Kinder- und Jugendbüchern.
- Dieser Preis ist ein literarischer Preis, der zu allererst das außerordentliche und
hervorragende Was und Wie anerkennt und dann seine Schöpfer und Schöpferinnen feiert.
- Der Deutsche Jugendliteraturpreis ist eine Würdigung der literarischen Sprache(n), ihrer
Vielfalt und Fülle. Jede Quote zugunsten deutscher Originalwerke würde diese Vielfalt
einschränken.
Ganz offensichtlich gibt es in der Debatte die Notwendigkeit zur Auseinandersetzungen über
literarische Qualität. Wie wäre es mit Seminaren, Tagungen oder Arbeitstreffen zu diesem Thema?“
Gudrun Mebs, Kinderbuchautorin, Preisträgerin des Deutschen Jugendliteraturpreises 1984
(Sparte Kinderbuch)
„Nein, meine Unterschrift bekommt dieses seltsame Ansinnen wahrlich nicht. Ich bin absolut nicht der
Ansicht, dass der Deutsche Jugendliteraturpreis nur deutsche Autoren beglücken darf. Ein gutes Buch
ist ein gutes Buch, da ist es egal, ob es in Deutschland oder Honolulu geschrieben wurde.
Gerade dass dieser Preis sich so international präsentiert, ist ja seine einmalige Qualität!
Oder fürchten gar meine Kollegen die internationale Konkurrenz? Flapsig kann ich da nur sagen:
Schreibt bessere Bücher, dann kommt ihr gewiss auch in den Genuss des Preises (und des
Preisgeldes, über das sich zum Glück oft auch nichtdeutsche Kollegen freuen dürfen). Es ist doch so,
dass den Kindern und auch mir Preise ziemlich wurscht sind. (Die Mebs hat gut reden, sie hat ihn ja
schon gehabt...). Es geht den Kindern und auch mir nicht um den Autor, den Übersetzer, den Verlag,
es geht nur um's Buch. Fasziniert es oder nicht. Und just diese Überlegung hat sich der Arbeitskreis
auf die Fahne geschrieben, möge die weiterhin ungestört flattern dürfen.
Entscheidend ist nur die Qualität des Buches, nichts sonst. So verstehe ich Leseförderung, die wir
Autoren auf unsere Fähnlein geschrieben haben oder schreiben sollten. Und ist es nicht wunderbar,
wenn ein nichtdeutsches Buch durch den Preis nebst Vermarktung darob einen Schubs in Richtung
Kind bekommt?
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Gebärden wir uns denn nun global oder nicht? Müssen wir plötzlich zusammen kriechen und ‚Bitte,
nur wir, nur wir‘ kreischen? Ich nenne das ängstlich und es verwundert mich, dass gerade die jungen
Autoren offenbar so denken. Da habe ich schon die Augen aufgerissen, denn gerade die heutige
Jugend kenne ich anders und wünsche sie mir auch anders.
Überdies, geht nicht mal wieder diese Diskussion, das Gezippel, voll über die Köpfe der Kinder
hinweg?
Das verärgert mich sehr. Denn das Wort ‚Kind‘ ist in dem ganzen Gezippel nie vorgekommen.
Nur die Interessen der deutschen Kollegen, die besser bedient werden wollen. Ja, wenn die Statuten
zu ihren Gunsten verändert werden sollen, garantieren sie dann auch, dass sie preiswürdige Bücher
schreiben werden?
Lächerlich. Es geht ums Kind, es geht ums Buch. Um nichts sonst. Das ist unser Schreiber-Auftrag.“
Dr. Susanna Partsch, Kunsthistorikerin, Autorin, Preisträgerin des Deutschen
Jugendliteraturpreises 1998 (Sparte Sachbuch)
„‚Angesichts der großen Invasion französischer Kunst, die sich seit einigen Jahren in den
sogenannten fortgeschrittenen deutschen Kunstkreisen vollzieht, scheint es mir ein Gebot der
Notwendigkeit zu sein, daß deutsche Künstler ihre warnende Stimme erheben‘ schrieb der heute in
Vergessenheit geratene Maler Carl Vinnen 1911 im ‚Protest deutscher Künstler‘ anlässlich des
Ankaufs eines Bildes von Vincent van Gogh durch die Bremer Kunsthalle. Dieser Aufruf gegen die
Überfremdung deutscher Kunst wurde unter anderen von Thomas Theodor Heine, Käthe Kollwitz,
Paul Schultze Naumburg, Franz von Stuck und Wilhelm Trübner unterschrieben, also Bildenden
Künstlern, die unterschiedlicher nicht seien können. Die Erwiderung ließ nicht lange auf sich warten.
‚Im Kampf um die Kunst‘ hieß die auf Initiative von Wassily Kandinsky und Franz Marc bei Piper in
München publizierte Antwort, an der sich namhafte Museumsdirektoren und Kunsthistoriker sowie
heute berühmte Künstler wie Max Beckmann, August Macke und Max Pechstein mit Textbeiträgen
beteiligten. Franz Marc schrieb unter anderem: ‚Ein starker Wind weht heute die Keime einer neuen
Kunst über ganz Europa und wo gutes, unverbrauchtes Erdreich ist, geht die Saat auf nach
natürlichem Gesetz. (…) Der Wind fährt, wohin er will. (…) und selbst, wenn Ihr ein paar Pflänzchen
mit Füssen tretet oder ausreisst, so macht das der Natur gar nichts aus. Es ist nur etwas unkollegial
und verrät auch eine traurige Anschauung über Kunst. Es gibt nur einen Weg der Verständigung: den
ehrlichen Vergleich.‘
Der Ankauf eines Kunstwerks durch ein namhaftes Museum ist immer eine Auszeichnung und wird
auch meistens durch eine Art Jury, der Ankaufskommission, bestimmt. Wie arm wären unsere
Museen, fände sich in ihnen nur deutsche Kunst.
In den letzten Tagen haben sich bereits viele Stimmen ‚Im Kampf um die Jugendliteratur‘ und die
Notwendigkeit ihrer Internationalität geäußert. Mit scheint sie gerade in Zeiten der Globalisierung
nötiger denn je und so sind auch die Sätze von Franz Marc, egal ob man sie nun auf die Bildende
Kunst oder auf die Literatur bezieht, nach über hundert Jahren noch aktuell.“
Dr. Christiane Raabe, Direktorin der Internationalen Jugendbibliothek
„Kritik am Deutschen Jugendliteraturpreis hat es immer gegeben. Mal wurde dem Deutschen
Jugendliteraturpreis vorgeworfen, die Auswahl sei literarisch verstiegen, mal zu banal. Jetzt richtet
sich der Unmut gegen die internationale Ausrichtung des Preises. Deutsche Autorinnen und Autoren
fühlen sich benachteiligt und ungerecht behandelt. Auch dieser Vorwurf ist nicht neu.
Abgesehen davon, dass die viel beklagte Ungerechtigkeit mit Blick auf die Statistik eher gefühlt sein
dürfte, kommen die Kritik an der Internationalität des Preises und die Forderung nach einem
‚deutschen‘ Preis zu einer Unzeit. Der Deutsche Jugendliteraturpreis, der einzige Staatspreis für
Literatur in Deutschland, dient nicht in erster Linie der Autorenförderung. Er wird aus dem Kinder- und
Jugendplan des Bundes finanziert. Zu den Grundsätzen dieses Programms zählt, ‚das
Zusammenwachsen der jungen Generation in Deutschland und Europa [zu fördern] und zur
Verständigung und Toleranz über Grenzen hinweg […] beizutragen.‘ Der Deutsche
Jugendliteraturpreis ist seit fast 60 Jahren diesem Grundsatz der Weltoffenheit und Toleranz
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verpflichtet. Diesen Grundsatz zu kippen, wäre gerade heute ein irritierendes Signal in die Welt. Man
sollte nicht zuletzt vorsichtig sein, die hohe Reputation, die die deutsche Kinder- und
Jugendbuchbranche wegen ihrer internationalen Ausrichtung und Weltaufgeschlossenheit im Ausland
genießt, aufs Spiel zu setzen.“
Holly-Jane Rahlens, Jugendbuchautorin, Preisträgerin des Deutschen Jugendliteraturpreises
2003 (Sparte Jugendbuch)
„Die Initiative beginnt ihren Brief mit einem Vergleich, nämlich der für einen ‚Aprilscherz‘ gehaltenen
Vorstellung, ein bekannter Hollywoodregisseur könne den Deutschen Filmpreis (vom deutschen
Staatsminister für Kultur) erhalten. Leider hinkt schon dieser Vergleich, denn auch da vermischen sich
deutsche und internationale Beteiligungen viel mehr als die Verfasser des Aufrufs zu ahnen scheinen.
Unter den Filmen mit den meisten Nominierungen im Jahr 2013 ist einer, der von einem deutschen
und zwei amerikanischen Regisseuren gemeinsam entwickelt und gedreht wurde, und zwar mit einem
internationalen Schauspielerensemble (fast ohne deutsche Schauspieler). Finanziert wurde dieser
Film mit deutschen und internationalen Geldern. Und nebenbei: vor ein paar Jahren wurde ein Film
nominiert, dessen Drehbuch von einer Amerikanerin geschrieben worden war. Da hätte ich also fast
eine Lola bekommen. Pech gehabt.
Meine Realität als Amerikanerin, die seit 40 Jahren in Deutschland lebt, ist: Ich habe für meinen ersten
Jugendroman, der auf Englisch geschrieben und zuerst auf Deutsch verlegt wurde, den Deutschen
Jugendliteraturpreis bekommen. Zum Glück für mich, meinen Verlag und hoffentlich meine Leser. In
der Folge habe ich in zehn Jahren vor inzwischen hunderten Klassen auf Deutsch (und Englisch!) aus
meinen Büchern gelesen, mit deutschen Schülern über meine Arbeit und über meine internationale
Existenz diskutiert. Ohne Nominierung und Preis wäre das langsamer vorangegangen. Insoweit
verstehe ich nur zu gut den Wunsch meiner Kollegen, Ihre Chancen zu verbessern, diesen Preis
eventuell zu gewinnen.
Anderseits finde ich es toll, dass es einen von der deutschen Bundesregierung geförderten Preis für
internationale Kinder- und Jugendliteratur gibt. Ich habe überhaupt nichts dagegen, dass Deutschland
hier ein Zeichen setzt, sich weltoffen zeigt, und ich freue mich darüber, dass Deutschland sich anders
zeigt als vielleicht ein paar andere Staatspreise für Jugendliteratur, die nur Bücher aus dem eigenen
Land auszeichnen. Aber Moment: Wie viele Länder haben überhaupt einen Staatspreis für
Jugendliteratur, der nur die eigene Literatur auszeichnet? Österreich — ja. Und dann?
Wer in anderen Ländern an wen auch immer Preise für Kinder- und Jugendliteratur vergibt, so
eindeutig ist das nicht wie die Initiative behauptet.
Auf Englisch gibt es ein Idiom, es lautet: to bark up the wrong tree. Ich glaube, die Initiative zielt auf
die Falschen. Warum sollte der DJLP, der in Jahrzehnten gute Arbeit für nur die beste Kinder- und
Jugendliteratur aus aller Welt gemacht hat, seine Statuten ändern, der DJLP, der sich durch
engagierte und qualifizierte Arbeit seiner vielen Aktivisten ein hohes Ansehen erworben hat?
Warum nicht einen neuen Preis, der speziell deutsche Kinder- und Jugendliteratur fördert, initiieren?
Warum nicht neue Sponsoren suchen, andere Regierungstöpfe, andere Verbände (Bibliotheken),
Verlage, Sponsoren? Vor allem: Macht Druck auf eure Verlage, untersucht mit wieviel Geld sie bei
manchen Lizenzen spekulieren. Diese vielen kommerziellen, meist inhaltlich mäßigen Titel machen
nämlich euer Leben als deutsche Autoren schwerer und nicht die paar ausländischen Titel, die die
Chance haben, für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert zu werden. So jedenfalls seh' ick
das.“
Prof. Dr. Caroline Roeder, Professorin an der PH Ludwigsburg, ehemalige Vorsitzende der
Kritikerjury 2007/2008
Wir alle für immer zusammen
„Der Deutsche Jugendliteraturpreis ist durch seine Zielsetzung und seine PreisträgerInnen im Laufe
seiner über fünfzigjährigen Geschichte zu einem Preis herangewachsen, der auf der internationalen
Bühne großes Renommee besitzt. Zu Recht. Denn ausgezeichnet wurden und werden mit dem
Deutschen Jugendliteraturpreis Bücher, die für die bundesrepublikanische Kinderbuchlandschaft
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richtungsweisend und programmatisch zu verstehen sind. Blickt man auf die Titelliste der Preisbücher
wird nicht allein an den hochkarätigen Namen der AutorInnen, IllustratorInnen und ÜbersetzerInnen
die Bedeutsamkeit dieser Institution DJLP deutlich. An den ausgezeichneten Werken lässt sich die
Entwicklungslinie deutscher (Kinder-) Literaturgeschichte at its best nachzeichnen; die Programmatik
dieser Werke wird im Literarästhetischen wie im Thematischen deutlich, ebenso werden das
Innovationspotential im Künstlerischen wie in den Diskursen über gesellschaftspolitisch brisante
Themen ablesbar.
Nun wurde wieder einmal ein ‚German Open‘ eröffnet, so liest man, und gerne würde man diese
affirmativ operierende Kampagne einfach ignorieren. Als ehemalige Juryvorsitzende, aber nicht nur als
diese, tut einem diese Debatte im Herzen weh, als Literaturwissenschaftlerin müsste man dem
Geäußerten nicht viel entgegenhalten, um es zu entkräften. Aber nach den unerwarteten Erfolgen von
Sarrazin & Co wagt man kaum noch Populismus dieser Couleur stillschweigend hinzunehmen. Der
Debatte über die ‚deutschen‘ PreisträgerInnen wäre entgegen zu halten: Was wäre denn die
Nachkriegsliteratur und die schmerzhafte Auseinandersetzung für die bundesrepublikanische
Öffentlichkeit mit der NS-Vergangenheit und den Holocaust ohne Clara Asscher-Pinkofs Sternkinder,
ohne Judith Kerrs rosa Kaninchen? Was wäre die deutsche Kinderliteratur ohne die Erzählungen von
Uri Orlev, Myron Levoy, Jan Procházka, Anatoli Pristawkin, Isaac Bashevis Singer oder Amos Oz?
Wie kann über Familien erzählen ohne Guus Kuijer oder Bart Moeyaerts oszillierende
Familienporträts, wie über Gewalt reden ohne die verstörenden Fälle, die Peter Pohl oder Mats Wahl
aufrollen? Wie kann man heutige Bilderbücher denken ohne die Formensprache einer Květa
Pacovská oder die wilden Kerle eines Maurice Sendak? Unsere heutige Welt verstehen ohne die
Bilder aus dem Land der Emigration und Immigration, wie sie Shaun Tan sprachlos, aber
weltumfassend uns eröffnet? Ja, woher wüsste man überhaupt, in welcher Werkstatt die Welt wirklich
entstanden ist ohne Gioconda Belli?
Zu dem Aufruf den Deutschen Jugendliteraturpreis zu nationalisieren haben inzwischen schon einige
klug das Wort erhoben und viele empörte Stimmen wurden laut. Die wesentlichen Argumente wurden
angeführt und analytisch präzise dem Getöse entgegen gehalten.
Ich haben diesen Entgegnungen und überlegten Statements nichts wesentlich Neues hinzuzufügen.
Möchte nur zu gerne den AutorInnen und Illustratorinnen, den internationalen, die gerade verbal zur
Tür hinaus gejagt werden sollen, danken und mich für die empörende Debatte entschuldigen. Die
deutsche Kinder- und Jugendliteratur ohne sie nicht denkbar und um einiges ärmer: Es fehlte an
Farbe, an Vielfalt an Vielstimmigkeit.“
Dr. Sybil Schlepegrell, Journalistin und ehemalige Vorsitzende des Arbeitskreises für
Jugendliteratur e.V.
„Zwölf Jahre lang waren die Kinder in Deutschland und ihre Literatur im Käfig der NS-Ideologie.
Danach standen alle Bücher zur Verfügung, die so lange vor den Grenzen hatten warten müssen –
standen und stehen jedes Jahr auch zur Wahl für den 1956 gestifteten Deutschen Jugendbuchpreis
(wie er damals hieß): Er sollte und soll Eltern helfen, das richtige Buch, gleich welcher Sprache, für ihr
Kind zu finden. Und ich bin dankbar für die Fülle von Gedanken, Einfällen und unsterblichen
Kinderbuchhelden, die uns diese internationale Literatur immer wieder schenkt. Sie hat uns wieder zu
Europäern gemacht. Unsere Literatur ist eine Stimme im Weltkonzert – das gilt für Belletristik und
Jugendliteratur – und ein Narr, wer unsere Kinder und Enkel wieder in den Käfig sperren wollte.“
Dr. Michael Schmitt, 3sat Kulturzeit/Journalist, Mitglied der Jury für die Kranichsteiner
Jugendliteratur-Stipendien seit 2010
„Protektionismus oder Quotierung sind kein guter Nährboden für die Literatur. Wenn dieser Tage
schon wieder gefordert wird, der Deutsche Jugendliteraturpreis möge sich doch bitte vor allem um die
Förderung der deutschen Kinder- und Jugendbuchszene kümmern, dann klingt das leider so
provinziell und verstaubt wie die gerade ebenso aktuellen Forderungen der ‚Alternative für
Deutschland‘ nach der Rückkehr zur D-Mark.
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Der Deutsche Jugendliteraturpreis ist 1956 als Staatspreis für die Auszeichnung sprachlich und
künstlerisch hervorragender Kinder- und Jugendbücher begründet worden und steht für eine
souveräne Tradition von Internationalität, Kunstverstand und Weltwissen. Warum sollte man davon
ausgerechnet in einer durch die Globalisierung nur noch enger zusammengerückten Welt abrücken?
Für den Deutschen Jugendliteraturpreis sind selten ‚Blockbuster‘ nominiert oder ausgewählt worden.
Wenn die Verfasser und Unterzeichner des offenen Briefs raunend nahelegen, die regelmäßig
wechselnden Jurys ließen sich bei ihrer Auswahl vom ‚Markt‘ vor sich her treiben, dann sollten sie
zwecks näherer Kenntnis erst einmal Bestsellerlisten und Preisträgerlisten der jeweiligen Jahre
genauer vergleichen. Sie sollten bedenken, dass Verlagsprogramme von Verlagen und nicht von
Juroren gemacht werden. Vor allem aber sollten sie ihre falschen Zahlenangaben zur aktuellen
Shortlist des Jahres 2013 korrigieren und erwähnen, dass es bis heute immer wieder vorkommt, dass
fast alle gekürten Preisträger der deutschsprachigen Szene entstammten.
Gibt es einen einsichtigen Grund, warum die deutsche Buchproduktion, die doch nach einem Platz auf
den Weltmärkten sucht, sich dem Vergleich mit den Literaturen anderer Länder entziehen sollte?
Vielleicht um ein Biotop zu sichern? Der Deutsche Jugendliteraturpreis bewertet Kunst und Literatur
und sichert ihr Aufmerksamkeit. Wer diese Anerkennung will, sollte vor der weltweiten Konkurrenz
nicht zurückschrecken.“
Jochen Till, Jugendbuchautor
„Für mich stand in dem Begriff ‚Deutscher Jugendliteraturpreis‘ nie das Deutsche, sondern die
Jugendliteratur im Vordergrund. Und die ist nun mal vielschichtiger, als das, was wir
deutschsprachigen Autoren hervorbringen.
Eines der Bewertungskriterien für den Preis ist, soviel ich weiß, die Innovation eines literarischen
Werkes. Da kann beispielsweise nicht Band 7 der Reihe Soundso nominiert werden, weil das eben
wenig innovativ ist. Und jetzt mal Hand aufs Herz: Wie viel literarische Innovation und wie viele
tatsächlich herausragende Kinder- und Jugendbücher kommen denn aus Deutschland? Das liegt ganz
sicher nicht nur an den Autoren, sondern vielmehr an den Verlagen, die einfach nichts Innovatives
wagen, sondern ständig nur bereits Bewährtes abkupfern. Würden Sie Unterschriften für eine Petition
an die großen Publikumsverlage sammeln, die sie dazu zwingt, pro Programm drei deutsche
Nachwuchsautoren zu veröffentlichen, wäre ich sofort dabei. So denke ich aber, dass das Pferd von
hinten aufgezäumt werden soll, was sicher nicht der richtige Weg ist. Es ist ja nicht so, dass deutsche
Autoren beim Deutschen Jugendliteraturpreis nicht stattfinden – ihre Werke müssen sich nur eben
qualitativ und innovativ vom Rest abheben. Wer das schafft, kommt sicher auch auf die
Nominierungsliste. Und es ist ja auch nicht so, dass es keine deutschen Preisträger gibt. Es kann ja
nicht Sinn und Zweck eines angesehenen Preises sein, die vorhandene internationale Qualität zu
verwässern, indem man die Kriterien einschränkt. Da rutschen dann Jahr für Jahr deutsche
Originalausgaben auf die Nominierungsliste, die es im internationalen Vergleich qualitativ überhaupt
nicht verdient hätte.“
PD Dr. Gina Weinkauff, Professur für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur am Institut
für Germanistik der Universität Leipzig, Vorsitzende der Kritikerjury 2013/2014
„ ‚Die deutschsprachige Kinder- und Jugendliteratur möge nach nunmehr fast sechzig Jahren endlich
vom DEUTSCHEN JUGENDLITERATURPREIS angemessen wahrgenommen und gewertschätzt
werden, so wie es auch andere Länder mit ihrer eigenen Literaturproduktion handhaben.‘
In diesem letzten Satz des bisher jüngsten offenen Briefes in Sachen ‚Deutscher Jugendliteraturpreis‘
drückt sich, sprachlich etwas unbeholfen, eine Befindlichkeit aus: Deutsche Kinder- und
Jugendbuchautorinnen und -autoren fühlen sich im eigenen Land schlecht behandelt, weil ihre Werke
einer Konkurrenz ausgesetzt sind, die ihnen ungerecht scheint. Nach sechzig Jahren, so meinen sie,
sei es endlich an der Zeit, die Statuten des einzigen deutschen Staatspreises für Kinder- und
Jugendliteratur so zu verändern, dass eine stärkere Berücksichtigung der einheimischen Autorinnen
und Autoren garantiert sei.
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Mit einer solchen Regelung wäre der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur kein Dienst
erwiesen und der Preis würde vermutlich sehr rasch die Beachtung verlieren, die er gegenwärtig
genießt.
Vor allem wird hier einem Provinzialismus das Wort geredet, der nicht nur unzeitgemäß ist, sondern
auch im Widerspruch zu den Traditionen deutschen Kinder- und Jugendliteratur steht. Das mit großem
Abstand erfolgreichste deutsche Kinderbuch der Aufklärung ‚Robinson der Jüngere‘ von Joachim
Heinrich Campe ist die Bearbeitung eines Klassikers der englischen Literatur. Es steht am Beginn
einer Entwicklung, die auch in den nachfolgenden Jahrhunderten stets wichtige Impulse aus dem
Ausland bezogen hat. In den 12 Jahren nationalsozialistischer Herrschaft war dieser Zustrom
unterbrochen und nach 1945 versprach man sich von seiner Wiederherstellung auch einen
humanisiererende Wirkung (‚Reeducation‘). Dass der damals noch so genannte deutsche
‚Jugendbuchpreis‘ seit seiner Stiftung auch ins Deutsche übersetzte Literatur berücksichtigte, ist
einerseits eine Folge dieser auf Völkerverständigung via Literaturimport gerichteten Hoffnungen,
andererseits Ausdruck der traditionell bestehenden Übersetzungsorientierung der deutschen Kinderund Jugendliteratur.
Natürlich haben sich die Verhältnisse seit 1956 verändert, und zwar die ‚Lebensrealität und die
Literaturproduktion‘ gleichermaßen, wie es im offenen Brief heißt. Aber Erstere ist kulturell vielfältiger
geworden und Letztere hat sich vom Nationalliteraturkonzept noch weiter entfernt. Bereits in meiner
Antwort auf den ersten diesjährigen offenen Brief von Astrid van Nahl habe ich zwei Beispiele aus der
aktuellen Nominierungsliste dafür angeführt, ‚dass literarische Kommunikation Sprach- und
Ländergrenzen in einer Weise überschreitet, die hin und wieder sogar eine trennscharfe
Unterscheidung zwischen Übersetzungen und Originalwerken schwierig macht‘.
Die Liste ließe sich noch erweitern: Im Bereich des Bilderbuchs, des illustrierten Buches und des
Comics gibt es viele Beispiele transnationaler Kooperationen, außerdem textlose Werke, die zwar
kulturspezifische Verstehensprobleme aufwerfen, aber keine Übersetzungsphänomene im klassischen
Sinn. Im erzählenden Kinder- und Jugendbuch haben wir es mit einer Reihe von Autorinnen und
Autoren zu tun, die in einer internationalen Öffentlichkeit wahrgenommenen werden und in der
deutschen Kinder- und Jugendliteratur haben sich nicht nur ganze Genres, wie zum Beispiel der
jugendliterarische Adoleszenzroman oder der komisch-phantastische Kinderroman erst durch
entsprechende Übersetzungen entwickelt, auch die literarische Exploration lebensweltlicher
Veränderungen profitierte hin und wieder von Übersetzungen aus kulturell ähnlichen Ländern.
Vermutlich ist es eine Folge dieser Globalisierung literarischer Öffentlichkeiten, dass in den
zurückliegenden Jahrzehnten in einigen Ländern zusätzlich Preise, Empfehlungslisten oder Sparten
eingerichtet wurden, die die Berücksichtigung von Übersetzungen ermöglichen. Zum Beispiel der
‚Silberne Griffel‘ (Zilveren Griffel), ‚Der Silberne Pinsel‘ (Zilveren Penseel; jeweils seit 1971) und der
‚Prijs van de Jonge Jury‘ (seit 1997) in den Niederlanden, der ‚Prix Sorcières‘ (seit 1986) und der
‚Grand prix des jeunes lecteurs‘ (seit 1985) in Frankreich, der ‚Premio Cento‘ (seit 1981) und der
‚Premio Andersen‘ (seit 1982) in Italien und der ‚Literaturpreis der Jury der jungen Leser‘ (seit 1995)
und die ‚Die Kröte des Monats‘ (seit 2005) in Österreich.
In Österreich, der Schweiz und diversen anderen Ländern gibt es außerdem Preise mit dem Ziel der
Förderung der jeweils eigenen Literatur und im anglophonen Raum liegt der Übersetzungsanteil so
niedrig, dass sich protektionistische Regelungen ohnehin erübrigen. Dafür gibt es in den USA einen
Preis zur Förderung kinderliterarischer Übersetzungen: den ‚Mildred L. Batchelder Award‘, der unter
anderem Werken vom Josef Holub, Cornelia Funke, Karin Gündisch, Rafik Schami, Peter Härtling,
Jörg Steiner und Christine Nöstlinger zuteil wurde.
Für die Unterschiedlichkeit der Beachtung übersetzter Literatur in den einzelnen Ländern und
Sprachräumen gibt es viele, nicht zuletzt historische, Gründe. Ihr Status drückt sich unter anderem
auch in den Statuten von Literaturpreisen aus. Dass er im deutschen Sprachraum traditionell ziemlich
hoch ist, scheint erfreulich, die Leserinnen und Leser können davon nur profitieren. Es ist interessant
zu verfolgen, wie sich die Ausrichtung solcher Preise im Laufe der Zeit verändert. Alle beobachteten
Veränderungen laufen eine zunehmende Öffnung zur Literatur des Auslands hinaus und nicht auf eine
nachträgliche Abschottung.“
Vielleicht ist diese Dokumentation interessant.
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Diese Preise berücksichtigen auch Übersetzungen:
Buxtehuder Bulle
Corine in der Kategorie Jugendbuchpreis
Die besten 7 – Bücher für junge Leser
Eule des Monats
Gustav-Heinemann-Friedenspreis für Kinder- und Jugendbücher
Illustrationspreis für Kinder- und Jugendbücher
Katholischer Kinder- und Jugendbuchpreis
LesePeter
Luchs
Rattenfänger-Literaturpreis
Schnabelsteherpreis
Troisdorfer Bilderbuchpreis
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Diese nur in deutscher Sprache verfasste Werke, bzw. deutschsprachige Autoren
Peter-Härtling-Preis für Kinder- und Jugendliteratur der Stadt Weinheim
Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis
Friedrich-Bödecker-Preis
Hans-im-Glück-Preis
Großer Preis der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur e.V. Volkach
Friedrich-Gerstäcker-Preis für Jugendliteratur
Hansjörg Martin Preis
Phantastik-Preis der Stadt Wetzlar
Sonderpreis im Rahmen des Deutschen Jugendliteraturpreises
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Mitglieder der Jugendjury zum Deutschen Jugendliteraturpreis 2013
nehmen Stellung zur internationalen Ausrichtung des Preises
„Gerade internationales Miteinander ist doch sehr wichtig in einer globalisierten Welt, da kann man
doch nicht einfach talentierte Autoren anderer Nationalitäten ausschließen bzw. gesondert bewerten,
meiner Meinung nach kann sich gerade Deutschland so ein Ausschließen nicht leisten...
Außerdem ist der Deutsche Jugendliteraturpreis doch gerade durch internationale Autoren mit
internationalen Themen so vielfältig und interessant und wenn dann viele gute Bücher überhaupt nicht
belohnt werden ist das doch unsinnig. Hinzu kommt auch noch, dass international keinesfalls
bedeutet, dass deutsche Autoren benachteiligt und extra nicht beachtet werden. Es hat doch jeder
seine faire Chance.“
Paula, 15 Jahre (Leseclub Münchner Bücherfresser der Buchhandlung Waldmann)
„Ich muss schon sagen, dass die Forderung eine Unverschämtheit ist! Das Verhalten erinnert hierbei
eher an ein kleines bockiges Kind, als an intellektuelle, erwachsene Autoren. Wird hier, wie in vielen
Krisenzeiten ein Sündenbock gesucht, sodass man schließlich zur altbewährten Methode gegriffen
hat: ‚Ausländer Raus!!!‘ (wie originell...) Diese panische Maßnahme ist nicht nur unüberlegt, sondern
greift gleichzeitig noch die Zielgruppe, die Leser, an. Denn anstatt zu versuchen den Fehler bei sich zu
suchen. Völlig außer Acht lassend, dass der Ursprung des Problems ist, die aktuell überwiegende
Unfähigkeit der Mehrheit deutscher Autoren, junges Publikum durch Idee und Sprache zu begeistern.
Allen etwas aufdrücken was sie nicht wollen, ihnen aber andererseits vorenthalten was begehrt wird
(ganz im Sinne von ‚Wenn ich es nicht haben kann, soll es keiner haben!‘). In Summe lässt sich nur
wiederholen, dass dieses Verhalten extrem inakzeptabel ist.“
Leon, 16 Jahre (Leseclub Münchner Bücherfresser der Buchhandlung Waldmann)
„Schon seit Jahren wird der Deutsche Jugendliteraturpreis an herausragende und besondere Autoren
dieses Genres vergeben. Auf der Liste der bisherigen Preisträger stehen bekannte internationale
Namen wie Michael Ende, Astrid Lindgren, Kevin Brooks u.v.m. Doch jetzt melden sich die deutschen
Autoren zu Wort: Sie fühlen sich immer mehr benachteiligt im Vergleich zu ausländischen Autoren,
schließlich ist es der Deutsche Jugendliteraturpreis.
Damit ist mal wieder ein Klischee der Deutschen bestätigt: Wir sind zu engstirnig, wir haben unseren
Nationalstolz und zeigen diesen auch allen, die ihn sehen wollen. Bisher war doch gerade die
Internationalität des Deutschen Jugendliteraturpreises das Besondere, die uns im Ausland ein
positives Bild verschafft hat! Ausländische Autoren kommen auf die Buchmessen, machen Buchtouren
und zeigen sich mitunter sehr viel offener als ihre deutschen Kollegen!
Als Mitglied der Jugendjury für den Deutschen Jugendliteraturpreis kann ich aus Erfahrung sagen,
dass eben gerade die Autoren aus dem Ausland oft spannendere Geschichten zu erzählen haben! Sie
kommen aus anderen Ländern, aus anderen Gesellschaften und aus anderen politischen Situationen
und beschreiben diese auch ganz anders. Daran fehlt es nämlich leider den Deutschen, denn da die
deutsche Geschichte nicht so viel Neues mehr zu bieten hat, ist der tausendste Drittes Reich- oder
DDR-Roman nichts Besonderes mehr. Ich persönlich lese viel lieber über die Apartheid in Südafrika
und über politische Verfolgung im Kaukasus – Themen die man eben bei ausländischen Büchern
findet.
Für mich klingt es unter Anderem so, als fühlten sich die deutschen Autoren von ebendieser
ausländischen Themenvielfalt bedroht – weil sie wissen, dass sie dagegen wenig Chancen haben.
Und wettbewerbsliebend, wie der Deutsche nun mal ist, muss diese Konkurrenz ausgeschaltet
werden! Da fragt man sich, worum es bei diesem Preis eigentlich geht.
Geht es darum, dass deutsche Autoren auf der Bühne stehen und Preise gewinnen wollen? Oder
vielleicht doch um Literatur, um gute, neue, spannende Kinder- und Jugendbücher? Denn Literatur
schließt niemanden aus, da wird zwischen deutschen Bestsellerautoren und südamerikanischen
Newcomern kein Unterschied gemacht!
Natürlich ist Literatur Definitionssache, doch im Grunde genommen zählt einzig und allein der Text.
Nicht der Autor, nicht die Ursprungssprache, sondern die Geschichte. Aufbau, Personen,
Handlungsort und Glaubhaftigkeit kann man bei jedem Buch gleich bewerten, denn die Grundidee ist
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überall auf der Welt und schon seit mehreren Jahrhunderten dieselbe: Menschen sollen das Buch
lesen und etwas daraus mitnehmen, darüber nachdenken. An dieser Stelle ein bekanntes Zitat von
Oscar Wilde: ‚Art for Art’s Sake!‘
Außerdem – wenn man sich die Nominierungslisten der letzten Jahre mal ansieht, finden sich ja
überraschenderweise doch deutsche Namen! Könnte es etwa sein, dass diese Bücher sich in den
Augen der deutschen Jurys international behaupten können? Könnte es sein, dass sich die deutschen
Autoren eben nur mal anstrengen müssen, anstatt es als selbstverständlich zu sehen, dass sie ja
allein wegen ihrer Nationalität eine Nominierung verdient haben?
Schon jetzt ist es schwierig, den Deutschen Jugendliteraturpreis sinnvoll zu erklären, mit drei
unabhängigen Jurys, 30 nominierten Büchern und sechs verschiedenen Kategorien! Soll hier wirklich
eine neue Kategorie eingeführt werden, die dann das gesamte internationale Angebot
zusammenfasst?! Da wäre es doch viel sinnvoller, gleich einen komplett neuen Preis für
innerdeutsche Autoren zu vergeben, anstatt einen seit fast 60 Jahren bestehenden Preis vollkommen
umzukrempeln.
Für uns Jurys wäre zudem die Auswahl an geeigneten Büchern drastisch eingeschränkt, denn
heutzutage ist es ja auch in vielen Verlagen so, dass öfter die ausländischen Bücher auf den Markt
gebracht werden als die deutschen. Sollte man nicht vielleicht hier anfangen? Als aufstrebender Autor
muss man in Deutschland schon sehr, sehr viel Glück haben, dass man sein Buch an einen Verlag
verkaufen kann, denn die Top-Titel sind zu großen Teilen Übersetzungen - und so ist es kein Wunder,
dass viele ausländische Bücher in den Händen der Jurys und auf den Nominierungslisten landen! Am
Deutschen Jugendliteraturpreis anzusetzen ist also keine wirklich gute Idee, sondern ehrlich gesagt
der komplett falsche Weg, denn wirklich etwas ändern wird sich vermutlich nicht.
Zum Abschluss rate ich noch jedem Kritiker, sich die Rede von Susan Sontag beim Friedenspreis des
Deutschen Buchhandels 2003 durchzulesen oder anzuschauen. Sie redet von der Bedeutung von
Literatur – und erwähnt mit keinem Wort, dass Literatur nur auf eine Sprache pro Land beschränkt ist!“
Katharina, 18 Jahre (Leseclub Münchner Bücherfresser der Buchhandlung Waldmann)
„Ich denke, dass auch internationale Bücher nominiert werden sollten, da es sehr gute Bücher gibt, die
nicht von deutschen Autoren geschrieben werden. Die Globalisierung sollte auch vorm Büchermarkt
keinen Halt machen. Auch der Austausch zwischen den verschiedenen Kulturen ist sehr wichtig.“
Frauke, 14 Jahre (Jugendleseclub Beckum der Evangelischen Kirchengemeinde Beckum)
„Es gibt bei den ausländischen AutorenInnen viele Themen, die uns Jugendliche interessieren und
unsere Aufmerksamkeit finden. Diese Bücher möchten wir bei der Preisvergabe berücksichtigen,
ansonsten verliert der Preis an Bedeutung, der Buchmarkt ist international.“
Kassandra, 15 Jahre (Jugendleseclub Beckum der Evangelischen Kirchengemeinde Beckum)
„Ich denke, dass die Internationalität für ein breites Spektrum an Jugendliteratur, das wir
berücksichtigen, wichtig ist. Auch anderssprachige Autoren sollten daher eine Chance, den Deutschen
Jugendliteraturpreis zu bekommen, zumal es sich ja um deutschsprachige Bücher handelt und die
Übersetzung der Literatur nicht nur Übersetzung ist, sondern mit viel Interpretation und Kunst
verbunden ist.“
Lukas, 14 Jahre (Jugendleseclub Beckum der Evangelischen Kirchengemeinde Beckum)
„Zu der Initiative ‚Der DJLP soll deutscher werden‘: Einige sehr gute ausländische Bücher haben in
ihren eigenen Ländern gar nicht den Erfolg, den sie eigentlich verdient hätten. Der DJLP aber ist dazu
da, die Schätze unter den vielen Jugendbüchern zu finden. Und bei diesen ist es vollkommen egal,
aus welchem Land sie kommen, Hauptsache, sie stechen aus der Masse heraus und sind gute
Literatur. Der Preis räumt solchen Büchern oft erst einen Platz in der Bücherlandschaft ein. Es ist
engstirnig und sinnlos, die Bücher beim Preis nach deutsch oder ausländisch zu sortieren; wir in der
Jury hätten nur noch sehr wenig Auswahl, um eine Zehnerliste zusammenzustellen, sollten wir nur
noch deutsche Bücher daraufsetzen dürfen.“
Claire, 16 Jahre (Leseclub Münchner Bücherfresser der Buchhandlung Waldmann)
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„Ich bin der Meinung, dass nicht nur deutsche Bücher den Preis bekommen sollen, weil man mit
Büchern aus anderen Ländern auch viel lernen kann, z.B. über ihre Sitten und Bräuche... Außerdem:
wenn das Buch gut ist, hat es einen Preis verdient, ob von deutschem Autor oder nicht...“
Josephine, 13 Jahre (Lese-AG der Bergschule St. Elisabeth, Heiligenstadt)
„Also ich finde, dass man auch aus anderen Ländern die Bücher nominieren sollte, weil auch aus
anderen Ländern die Bücher toll sein können. Und man auch mal in einer anderen Sprache lesen
kann.“
Hannah, 10 Jahre (Lese-AG der Bergschule St. Elisabeth, Heiligenstadt)
„Es sollte auf keinen Fall der Deutsche Jugendliteraturpreis nur für Deutsche sein, denn die besten
Bücher sind häufig nur im internationalen Kreis zu suchen und dadurch ja auch zu finden. Mit andern
Worten ein absolutes NO!!! von mir.“
Tilmann, 14 Jahre (Lese-AG der Bergschule St. Elisabeth, Heiligenstadt)
„Ich finde, dass übersetzte Bücher auch den Preis bekommen können sollten, weil ich finde, es geht
hauptsächlich um die Geschichte und erst dann um die Ausführung und die Sprache, in der sie
geschrieben wurde.“
Janine, 13 Jahre (Lese-AG der Bergschule St. Elisabeth, Heiligenstadt)
„Ich bin dagegen, dass nur rein deutsche Bücher gewinnen können. Ich meine, dann könnte man ja
nur voll wenige Bücher zur Auswahl stellen und so bestimmt nicht das beste finden.“
Merle, 13 Jahre (Lese-AG der Bergschule St. Elisabeth, Heiligenstadt)
„Gute Frage, ob der Preis international bleiben sollte. Er heißt schließlich Deutscher
Jugendliteraturpreis. Ich denke, dass es schon wichtig ist, original-deutsche Bücher zu fördern, weil es
ja auf dem Markt viel mehr und vor allem ausländische (englische) Bücher gibt (siehe Harry Potter,
Tribute v. Panem...). Andererseits ist es natürlich bei der Suche nach wirklich guten Büchern unfair,
diese Bücher außen vor zu lassen, nur weil sie nicht deutsch sind (da können die Autoren ja auch
nichts dafür). Ich finde es gut, dass es einen Sonderpreis für ein deutsches Werk gibt und dass auch
Nachwuchs besser gefördert werden muss, ist außer Frage.
Allerdings ist ‚deutsch‘ immer noch kein Qualitätsmerkmal und es würde uns doch viel vorenthalten
bleiben, wenn die ausländischen Bücher nicht mit einbezogen werden können. Und wo will man denn
dann die Grenze ziehen? Meine Meinung ist deshalb, die ‚ausländischen‘ Bücher auf jeden Fall weiter
für den Deutschen Jugendliteraturpreis im Rennen zu lassen, weil sie die Buchwelt bereichern und es
nicht fair wäre, ein Buch aufgrund seiner Herkunft zu diskreditieren. Das halte ich für ein wichtiges
Merkmal einer offenen, toleranten Gesellschaft, zu der wir alle schließlich erzogen werden, oder?“
Johanna, 16 Jahre (Lese-AG der Bergschule St. Elisabeth, Heiligenstadt)
„Ich finde es interessant, Bücher aus anderen Ländern (bei mir sind es amerikanische Bücher) zu
lesen, denn manchmal gefällt mir ausländische Literatur um einiges besser als deutsche. Ein anderer
Schreibstil ist auch mal eine willkommene Abwechslung und man erfährt manchmal etwas über Land
und Leute. Warum sollte man sich also denn nur auf ein oder zwei Länder beschränken? Je mehr
Länder einbezogen werden, desto mehr Auswahl haben wir. Ich bin also absolut dagegen, dass nur
Bücher von einem Land den Literaturpreis bekommen.“
Felix, 11 Jahre (Lese-AG der Bergschule St. Elisabeth, Heiligenstadt)
„Ich finde, es geht ja um die Idee hinter dem Buch und nicht darum, woher das Buch kommt. Und
weiterhin lesen die meisten hier in meinem Internat auch ausländische Bücher. Also wären wohl die
meisten Bücher, die hier gelesen werden, nicht mehr dabei. Vielleicht sollte man einen eigenen Preis
nur für deutsche Jugendbücher einführen.“
Tamara, 14 Jahre (Lese-AG der Bergschule St. Elisabeth, Heiligenstadt)
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„Es ist für Kinder und Jugendliche der heutigen Zeit unglaublich wichtig, dass die Internationalität und
somit die Nominierung übersetzter Titel bewahrt bleibt. Eine allseitige Bildung ist aus meiner Sicht als
Deutschlehrerin nur möglich, wenn Begegnung mit Literatur und Autoren auf nationaler und
internationaler Ebene stattfindet. Schon in der Schule mit Hilfe von Literatur gelingt so ein
Kennenlernen fremder Kulturen. Das heißt auch Öffnung nach außen mit einem kritischen Blick über
die eigene Erfahrungswelt hinaus. Der Bildungsauftrag verlangt vom Schulsystem die Erziehung der
Kinder und Jugendlichen zu mündigen Bürgern.
Der Alltag unserer Schüler und somit der Jugendlichen ist nicht mehr nur ein deutscher. Sie haben
ausländische Klassenkameraden, wohnen in einer Wohngegend mit Migranten zusammen, wachsen
bilingual auf. Die Mitglieder der Lese AG der Bergschule in Heiligenstadt sind daran gewöhnt aus
einem breiten Spektrum deutscher und übersetzter Literatur auszuwählen. Es wäre ein Rückschritt für
sie als Jugendjury keine Übersetzungen mehr in der Auswahl zu haben. Ihre ganze Medienwelt ist ein
Blick nach außen, das Internet lässt gar keine Einschränkung mehr zu. Der Vorschlag hinsichtlich der
Auswahl der Bücher würde die Jugendlichen meines Erachtens noch mehr vom Buch weg zum
Computer treiben.
Außerdem ist es wichtig für deutschsprachige Autoren sich mit Kollegen in der ganzen Welt messen
zu können. Viele Bereiche unserer Gesellschaft müssen sich miteinander vergleichen, einen gewissen
Druck aushalten und können dadurch das ‚Geschäft‘ beleben.“
Gabriele Richter (Deutschlehrerin, Lese-AG der Bergschule St. Elisabeth, Heiligenstadt)
„Gerade habe ich ein Buch gelesen, das mir die Jugendlichen unserer Jury ans Herz gelegt haben. Es
ist soeben auf Deutsch erschienen und von einem niederländischen Autor geschrieben. Das Buch hat
mich sofort gefesselt – sicher aus anderen Gründen wie die Jugendlichen. Da es ein Buch über
Schule ist, habe ich sofort viele neue gewinnbringende Ideen für meinen eigenen Umgang mit
auffälligen Kindern und Jugendlichen gewonnen, denn das niederländische Schulsystem ist deutlich
anders als unseres. Vieles lässt sich aber übernehmen. Und dazu kommt, dass sehr offen und
komplexfrei und gleichzeitig leicht und witzig mit einem Thema in dem Buch umgegangen wird, das
Kinder und Jugendliche erschreckt, vor dem sie Angst haben: der eigene Tod. Gerade mir als
Religionslehrerin hilft das Buch auch in der Vermittlung dieses schweren Themas.
Warum erzähle ich das? Nie wäre ich auf das Buch aufmerksam geworden ohne unsere Jury-Gruppe.
Ohne die Jury-Arbeit. Die Kinder haben das Buch ausgewählt und für interessant und lesenswert
befunden. Die Niederlande sind nun wirklich um die Ecke und fast versteht man die Sprache ohne
großen Aufwand, wenn man z.B. niederdeutsche Dialekte versteht – sollte nicht ein deutscher
Jugendbuchpreis so ein Buch mit einschließen? Es käme mir philisterhaft vor, wenn man da jetzt zu
Zeiten des vereinten Europas eine Grenze aufbauen würde.
Aber auch zu anderen Aspekten habe ich noch einiges zu sagen. Seit meiner eigenen Jugend
verfolge ich die Kinder- und Jugendliteratur aus aller Welt mit einem speziellen Interesse. Ich bin noch
relativ medienfrei aufgewachsen. Noch während meines Studiums in den 70er Jahren war
Jugendliteratur ein Stiefkind in der medialen Welt, ich musste sehr suchen, da überprüfbare Zeugnisse
aktuellen Lebens in anderen Ländern zu finden – es ist eine Befreiung aus der Enge des uns direkt
umgebenden Umfeldes, wenn wir aus anderen Ländern über das lesen können, was uns täglich
umgibt: Schule, Familie, Freundschaften, Ängste, Zukunftsträume. Der fremde Blick eröffnet gerade
die Möglichkeiten, das Eigene deutlicher zu sehen und befähigt zu Handlungsfähigkeit. Vergleiche
bringen brauchbare um umsetzbare Ergebnisse. Man denke an die Wirkung der ‚Vorbilder‘ wie
Huckleberry Finn und Pippi Langstrumpf. Ein deutscher Preis der heutigen modernen Bildungswelt
sollte doch das Ziel vor Augen haben: nämlich den Mehrwert für die Zielgruppe – die sind nun mal die
Kinder und Jugendlichen. Es ist ja auch undenkbar, z.B. den Nobelpreis nur für schwedische
Wissenschaftler zu vergeben.
Als Russischlehrerin liegt mir darüber hinaus der Aspekt der Völkerverständigung noch sehr am
Herzen. Ich habe genau aus diesem Grunde Russisch gelernt, weil es eben ein wichtiger Schritt
gegen nationale Vorurteile ist, die Sprache des anderen zu kennen. Das kann man aber nun nicht
beliebig für jede Sprache fortsetzen. Wenn es nicht Übersetzungen aus anderen Sprachen gäbe,
könnten die Kinder- und Jugendlichen die anderen Kulturen überhaupt nicht wahrnehmen. Würde die
Internationalität des Preises aufgehoben, befürchte ich einen Rückgang der Übersetzungen. Mal ganz
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abgesehen davon, dass es sehr gute Übersetzer gibt, deren Arbeit sich oftmals lohnt von einer breiten
Lesergruppe wahrgenommen zu werden.
Ab schließend kann ich also sagen, dass die Aufhebung der Internationalität des
Jugendliteraturpreises den Kindern und Jugendlichen einen reichen Erfahrungsschatz nähme, den
Lese-Anreiz stark senken würde und für die unentgeltliche Mitarbeit in den Jugend-Gremien sicherlich
einen herben Rückschlag bedeuten würde. Das Signal, in der Bildungslandschaft mitwirken zu
können, würde geschwächt und es ist die Frage, ob das die Botschaft ist, die wir den
Heranwachsenden mitgeben wollen.“
Ulrike Plath, (Lehrerin, Teamerin der Lese-AG der Bergschule St. Elisabeth, Heiligenstadt)