Mitochondrialer Kalzium-Torwächter Wake up, little Susie: Das

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Mitochondrialer Kalzium-Torwächter Wake up, little Susie: Das
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WISSENSCHAFT · JOURNAL CLUB
ÿ Wake up, little Susie: Das Genom eines Orang-Utan-Weibchens
ist sequenziert
ÿ Mitochondrialer Kalzium-Torwächter
ÿ Methylaspartat-Zyklus aus Haloarchaeen
ÿ Alzheimer und kein Ende
Lothar Jaenicke1
Jochen Graw2
Johannes Sander3
Wake up, little Susie: Das Genom eines Orang-Utan-Weibchens ist sequenziert
Neue Sequenziertechniken erlauben es,
in immer schnelleren Zyklen Genome von
Säugern zu sequenzieren. Ein großes
internationales Konsortium unter der
Leitung von Devin P. Locke (St. Louis,
USA) hat jetzt den ersten Entwurf für eine
vollständige Sequenz des Genoms von
Susie vorgelegt, eines weiblichen OrangUtans aus Sumatra; dieser „Entwurf“ hat
immerhin schon eine 5,5fache Abdeckung
des Genoms (Locke DP et. al., Nature
(2011) 469:529–533). Die Autoren haben
darüber hinaus weitere Orang-Utans aus
Sumatra und Borneo teilweise sequenziert, um Populationsunterschiede festzustellen.
ó Eine erste überraschende Erkenntnis war,
dass offensichtlich die Evolutionsrate des
Orang-Utan-Genoms langsamer ist als bei Menschen und Schimpansen. Dies ist vor allem auf
die geringere Aktivität der Alu-Retrotransposons zurückzuführen und bedingt dadurch eine
stärkere strukturelle Stabilität des Genoms.
Eine zweite Bedeutung für die vergleichende
Evolutionsforschung wird von den Autoren herausgestellt: Da jetzt von mehr Spezies der
Hominiden vollständige Sequenzinformationen
vorliegen, lassen sich Trends in der Hominidenevolution klarer erkennen. Die Autoren weisen darauf hin, dass sich nach ihrer Analyse
zwei Bereiche besonders stark entwickelt
haben: der Sphingolipid-Stoffwechsel und die
visuelle Wahrnehmung, wobei drei Gene besonders auffallen (Arrestin, Recoverin und
Opsin). Der Vergleich von Susies Sequenz mit
den Teilsequenzen anderer Orang-Utans aus
Sumatra und Borneo deutet außerdem darauf
hin, dass die Individuen aus Sumatra genetisch
heterogener sind als die der wesentlich größeren Population in Borneo; die beiden Subspezies haben sich vor etwa 400.000 Jahren
getrennt.
Y Vor etwa 12 bis 16 Millionen Jahren haben
sich die Orang-Utans von den anderen Primaten getrennt. Mit der jetzt vorhandenen zusätzlichen Sequenzinformation wird sich das Bild
der Hominiden-Evolution noch klarer zeichnen
lassen. Wir werden damit in der Lage sein, die
evolutionären Trends in der Primaten-Entwicklung besser zu erkennen, die letztendlich
zu dem (evolutionären) Erfolg der Primaten
(und damit auch des Menschen) geführt haben.
Jochen Graw ó
Mitochondrialer Kalzium-Torwächter
Der mitochondriale Kalziumkanal kontrolliert die Energetik dieser Organellen,
dadurch die Effektivität der gesamten
Zellphysiologie: Einstrom aus dem Zytoplasma aktiviert; Block bremst. Die Steuerung geschieht durch ein bisher unbekanntes Protein, beim Menschen codiert
im Gen CBARA, an der Kontaktstelle zwischen dem Ca2+-Uniport der mitochondrialen Innenmembran und dem IP3-Rezeptor des Endoplasmatischen Reticulums
(ER), das F. Perocchi et al. (Nature (2010)
467:291–296) nun als Ca2+-Sensor des
M-Uniporters charakterisieren. Sie nennen es mitochondriales Kalzium-Aufnahme Protein 1 (MICU1).
ó Beide Proteine sind vermutlich zahlreich in
den jeweiligen Membranen verteilt, aber nur
die Kontakt-Aggregierungen sind durch die
dort hohe Ca2+-Ionenkonzentration die Schalter des Geschehens. Bei hohem zytoplasmatischen Ca2+-Niveau wird der Zufluss zum Mitochondrium geöffnet. Das Mitochondrium dient
dadurch als Kalzium-Puffer großer Kapazität,
moduliert die zytoplasmatischen Kalzium-Signale und schützt die Zellen vor Kalzium-Überlast.
Bei der Abgabe von Ca 2+-Ionen aus dem
Zytoplasma in die Mitochondrien arbeitet das
mitochondriale Uniport-Schleusensystem, sehr
empfindlich auf das Ca2+-Niveau justiert, gegen den Gradienten, getrieben durch ein hohes negatives Potenzial über die Mitochondrien-Membran. Ca2+ ist nicht nur Passivlast
im System, sondern zugleich Regler seiner Aktivität. Wenn kein Ca2+ aus dem ER fließt und
Zytoplasma-Ca2+ niedrig ist, fließt Ca2+ aus
dem Mitochondrium in das Zytoplasma über
die Membranaustauscher NLCX für Na+/Ca2+
und LETM für H+/Ca2.
Der mitochondriale Uniporter MICU1 wurde
durch RNA-Interferenz aus einem Dutzend
Kandidaten ermittelt. Stilllegen unterbricht weder die Atmungskette noch das Membranpotenzial, sondern nur den Zutritt von mitochondrialem Ca2+ in Zellen, entkoppelt zytosolische
Ca2+-Fluxe und Matrix-Dehydrogenasen. Das
Protein MICU1 ist an die Mitochondrien-Membran gebunden und besitzt die beiden Ca2+Bindungs-essenziellen EF-Griffe.
Y Da dem Protein eine zweite Transmembrandomäne fehlt, ist es vermutlich nicht selbst
der Kanal, sondern die Ca 2+-empfindliche Spürsonde des eigentlichen Uniporters, der noch
gesucht wird.
Lothar Jaenicke ó
1 Institut f. Biochemie, Universität zu Köln, Zülpicher Straße 47, D-50674 Köln
2 Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt GmbH, Ingolstädter Landstraße 1, D-85764 Neuherberg,
[email protected]
3 Falkenstraße 87, D-58553 Halver, [email protected]
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Methylaspartat-Zyklus aus Haloarchaeen
Anders als Tiere können Pflanzen aus
Fettsäuren Zucker aufbauen, indem sie
die frei werdenden Acetyl-CoA-Einheiten
in den die Decarboxylierungsschritte des
Citratzyklus umgehenden Glyoxylatzyklus
einschleusen. Bei Prokaryoten dient dieser Zyklus außerdem dem Wachstum auf
C2-Verbindungen. Alternativ erfolgt die
Acetyl-CoA-Assimilation bei ihnen über
den Ethylmalonyl-CoA-Weg. Jetzt wurde
ein weiterer Zyklus in Haloarchaeen entdeckt.
ó Einige Haloarchaeen (z. B. Haloarcula marismortui) können zwar auf Acetat wachsen, ihnen
fehlen aber wesentliche Enzyme nicht nur dieses Zyklus, sondern auch des EthylmalonylCoA-Wegs. Khomyakova et al. (Science (2011)
331:334–337) identifizierten daher über einen
Proteomvergleich von auf Acetat bzw. Succinat
gewachsenen Zellen Acetat-abhängig hochregulierte Gene. Basierend auf der Analyse dieser Gene konnten sie folgenden Acetatassimilationszyklus postulieren und auf Ebene der
Enzymaktivitäten testen: Zunächst wird wie
beim Citratzyklus aus Oxalacetat und AcetylCoA 2-Oxoglutarat gebildet, aus dem dann Glutamat entsteht. Aus dem Glutamat wird über
Zwischenstufen β-Methylmalyl-CoA gebildet,
das wie beim Ethylmalonyl-CoA-Weg in Propionyl-CoA und Glyoxylat gespalten wird. Während das Glyoxylat wie beim Glyoxylatzyklus
und beim Ethylmalonyl-CoA-Weg mit AcetylCoA zu Malat kondensiert, entsteht aus dem
Propionyl-CoA nach Aufnahme von HCO3ebenfalls Malat. Letzeres steht dann für Biosynthesen und zur Oxalacetatregeneration zur
Verfügung.
Y Für das beim Abbau gespeicherter Polyhydroxyalkanoate entstehende Acetyl-CoA dürfte ein entsprechender Assimilationsweg nützlich
sein. In der Tat besitzen auch die meisten Haloarchaea die Gene für den Glyoxylat- (Haloferax
volcanii) und/oder den Methylaspartatzyklus.
Entstanden ist Letzterer wahrscheinlich aus
verschiedenen Bausteinen durch lateralen Gentransfer.
Johannes Sander ó
Alzheimer und kein Ende
Gelegenheit und Not machen Diebe – und
Wissenschaft. Die Altersperspektive in
einer vom hilflosen Überaltern geplagten
Welt lässt mich in letzter Zeit immer wieder auf die Neurodegenerationen stoßen.
Bei diesen überschreiten Prionen genannte Proteinteilchen, die von außen in den
gesunden Körper gelangen, die Blut/Hirnschranke und lösen im Gehirn bislang
unheilbare Erkrankungen des Nervensystems aus, indem sie endogene Proteinfragmente umfalten und zu unlöslichen,
Neurokontakte unterbrechenden Isolierschichten zusammenlagern. Zu diesen
Prionen gehört das tau-Protein der spongiformen Creutzfeldt-Jacob-Enzephalitiden, das aggregierende Polyglutamin des
Huntington-Veitstanzes oder das alphaSynuklein des Parkinson, von denen in
den letzten Jahrzehnten viel Erkenntnis zu
erfahren ist, wenn auch keine Heilung.
ó Nun zeigen Y. S. Eisele et al. (Science (2010)
330:980–982), dass kleine Saat-Kristallite des
beta-Amyloids (Aβ) aus Hirngewebslysaten
einer an Alzheimer erkrankten Maus nach
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Injektion in die Bauchhöhle einer gesunden
Maus binnen fünf Monaten in deren Gehirn die
für eine Alzheimer-Degeneration typischen,
neurofibrillären Verfilzungen um die Blutgefäße erzeugen, mit nachfolgender, durch Kongorot färbbarer Plaquebildung in der hypertrophierenden und -phosphorylierenden lokalen Glia. Die Aβ-Amyloidoseauslösung wird
durch Denaturieren oder spezifische Immunfällung der Extrakte verhindert. Sie gelingt in
entsprechender Zeit nicht durch Verfüttern
oder über die Schleimhäute von Nase oder
Augen.
Y Wie das aber geschieht, bleibt aufzuklären.
Möglich wäre die rasche Umgehung der zellulären Phagozytose im Blutstrom oder der schützende Huckepack-Transport durch Mono- und
Makrozyten aus dem Blutstrom in den cerebralen Perivaskulärraum. Es ist noch nicht
erwiesen, dass die „Infektion“ ohne weitere
(Protein-, Lipid- oder RNA-)Kofaktoren
geschieht, wie sie bei der familiären, durch
Mutation der beta-Sekretase ausgelösten
Erkrankung gemutmaßt wird (F. Wang et al.,
Science (2010) 327:1132–1136).
Lothar Jaenicke ó
Kurz gefasst
ó Dictyostelium discoideumPaarungstypen
Die Schleimamöbe Dictyostelium discoideum weist neben einer haploidungeschlechtlichen Vermehrungsform zwei haploide, gegensinniggeschlechtliche Paarungstypen (I und
II) auf. G. Bloomfield et al. (Science
(2010) 330:1533–1536) illustrierten,
dass sich die Gene auf Chromosom
5 zwischen Typ I und Typ II unterscheiden. Ein dritter Paarungstyp (III)
kann mit (I) oder (II), aber nicht mit
sich selbst fusionieren. SchlüsselGenprodukte für eine erfolgreiche
Kreuzung sind zwei Proteine, die Typ
I und Typ III kontrollieren. Eine Kombination von Homologen beider Typen
kontrolliert Typ II.
Lothar Jaenicke
ó T3SS-Translokation Oberflächen-lokalisierter Proteine
Typ-III-Sekretionssysteme (T3SS)
ermöglichen Pathogenen (Yersinia
pseudotuberculosis), Effektorproteine (Yops) in Wirtszellen zu schleusen.
Ursprünglich wurde angenommen,
dass die Yop-Proteine bei Kontakt von
Wirt und Parasiten in einem einzigen
Schritt übertragen werden. Akopyan
et al. (Proc Natl Acad Sci USA (2011)
108:1639–1644) zeigen, dass sich
Yop-Effektoren und -Translokatoren
bereits vor dem Kontakt von Bakterien- und Wirtszelle auf der Bakterienoberfläche befinden und bei Kontakt effektiv in die Wirtszelle übertragen werden. Sekretion aus dem
Bakterium und Translokation in die
Wirtszelle können demnach entkoppelt werden. Dieser Mechanismus
scheint generell auf Pathogene übertragbar zu sein.
Johannes Sander
ó CytP450-Intermediat I
charakterisiert
CytP450-Monoxigenasen katalysieren die Oxidation von aliphatischen
C-H-Bindungen durch den an das
Häm-Eisen (FeIII) gebundenen Sauerstoff. J. Rittle und M. T. Green (Science (2010) 330:933–937) bestätigten
nun einen bereits vor zehn Jahren von
I. Schlichting angenommenen Reaktionsmechanismus. Am Beispiel des
Thermophilen-Enzyms P450-Chlorperoxidase CYP119 mit m-Chlorbenzoesäure als Substrat konnten die
Forscher das Intermediat CYP119-I
der Reaktion stabilisieren und dessen
chemische Struktur und außerordentliche Reaktionskraft aufzeigen.
Lothar Jaenicke
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WISSENSCHAFT · JOURNAL CLUB
ÿ Der Einfluss des Vaters auf den Stoffwechsel seiner Kinder – proteinarmes Futter führt bei
Nachkommen zu verminderter Cholesterol-Konzentration
ÿ O’zapft is! Assimilatorischer Zuckerexport durch Pflanzenpathogene umgeleitet
ÿ Bio-Halbleiter aus FF-Quantenpunkten
ÿ AMPK aktiviert Stress-modulierte Transkription durch Chromatin-H2B-Phosphorylierung
ÿ Pathogene Salmonellen schlagen Konkurrenten
Der Einfluss des Vaters auf den Stoffwechsel seiner Kinder – proteinarmes
Futter führt bei Nachkommen zu verminderter Cholesterol-Konzentration
Epigenetische Information kann über die
Keimbahn weitergegeben werden und
damit eine generationsübergreifende
Information über Umweltbedingungen
darstellen. Viele Arbeiten beschäftigten
sich mit maternalen Effekten; die Gruppe
um Oliver Rando (Worcester, USA) hat
auch den Einfluss väterlicher Ernährung
untersucht (Carone BR et. al., Cell (2010)
143:1084–1096).
ó Dazu haben sie männliche Mäuse nach dem
Absetzen bis zur sexuellen Reife mit proteinarmer Diät gefüttert (Proteinanteil 11 % statt
20 %) und mit normal gefütterten Weibchen
verpaart. Untersuchungen des epigenetischen
Musters in den Nachkommen dieser Männchen zeigten eine veränderte Methylierung
eines vermutlichen Enhancers des Ppara-Gens
(peroxisome-proliferator activated receptor α ),
die mit einer verminderten Ppara-Expression
assoziiert ist. Außerdem sind Gene des Cholesterol-Stoffwechsels aktiviert, was zu einer
Senkung der Cholesterol-Konzentration in der
Leber führt. Weiterhin sind verschiedene
miRNAs in ihren Konzentrationen verändert.
Da sich die Methylierung des Enhancers des
Ppara-Gens in Spermien der Mäuse mit der
niedrigen Proteinmenge im Futter nicht von
der Kontrollgruppe unterscheidet, muss für die
Übertragung auf die nächste Generation ein
anderer Mechanismus angenommen werden
(nicht-codierende RNA?). Diese Arbeit zeigt,
dass das Epigenom der Spermien durch das
Nahrungsangebot verändert wird und einen
Einfluss auf biochemische Eigenschaften der
Nachkommen hat.
Y Die Häufung derartiger Befunde, dass die
Ernährung der Eltern den Metabolismus der
Kinder beeinflusst, lässt aufhorchen. Es stellt
sich dabei die Frage, ob die Auswirkungen
entbehrungsreicher Zeiten (wie z. B. während
und nach den beiden Weltkriegen in Europa)
nicht gravierendere Auswirkungen haben als
McDonalds und Burger King zusammen – vorausgesetzt, es herrscht eine Phase ausreichenden Nahrungsangebots. Epidemiologische
Arbeiten stützen diese These, allerdings dauert es beim Menschen offensichtlich eine Generation länger als bei Mäusen: Hungersnöte bei
den Großvätern führen erst bei den Enkeln zu
Fettleibigkeit und Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Pembrey ME et al., Eur J Hum Genet
(2006) 14:159–166).
Jochen Graw ó
O’zapft is! Assimilatorischer Zuckerexport durch Pflanzenpathogene umgeleitet
Glukose-„Effluxtransporter“ (SWEETs) halten die Glukose-Konzentration im Tierblut
wie auch in den Nektarien, Pollinarien
und Gymnaeceen der Angiospermen konstant, sind aber bislang eher phänomenologisch beschrieben. Mit einer ingeniösen
Fluoreszenzresonanzenergietransfer
(FRET)-Nano-Nachweismethode geht die
Arbeitsgruppe um W. B. Frommer (Carnegie Institution, Stanford, CA) an das Problem der SWEETs heran (Chen LQ et al.,
Nature (2010) 468:527–532).
ó Die Methode beruht auf der kontinuierlich
emissionsfluorometrisch registrierten Konformationsänderung eines Proteins bei Bindung
(s)eines Liganden, hier also der Glukose an
den SWEET-Transporter. Dieses Sieben-Transmembran-Aggregat schickt Glukose mit nie-
driger Affinität (Km ca. 9 mM) und pH-unabhängig durch die Zellmembran in den Extrazellulärraum.
Die Autoren exprimieren die potenziellen
SWEET-Gene von Arabidopsis thaliana (At), Oryza sativa (Os), Caenorhabditis elegans (Ce) und
Maus (Mm) zusammen mit einem NanosensorReporterprotein in Nierenkulturzellen vom
Menschen. Bei At gibt es 17 SWEETs, bei Os
21, bei Ce 7, beim Menschen 1, alle mit den
gleichen Charakteristika, obschon in verschiedenen Organen der Pflanze (z. B. Fruchtknoten-, Staubfädenzellen) und von Tieren
(z. B. Intestinalepidermis- oder Nebenhodenzellen) exprimiert. Sie alle haben also eine
Quelle/Senke-Funktion in der Ernährung zwischen Metazoen-Geweben.
Y Hochinteressant ist, dass phytopathogene
und invasive Pilze (z. B. der Mehltau Glovinomomyces cichoracearum, der Grauschimmel
Botrytis cinerea) und Bakterien (z. B. der Fäuleerreger Xanthomonas oryzae) auch in Modellorganismen die Expression und Aktivität
der Wirts-SWEETs für sich nutzen können. Möglicherweise tun sie dies durch Injektion von
TAL-Effektorproteinen, die, in den Kern aufgenommen, den Promotor eines korrelierten spezifischen SWEETs erreichen. Dadurch wird Glukose, die normalerweise über den SWEET zu
einer stationären Konzentration in den Saftstrom fließt, sodass die Außen-Glukosekonzentration niedrig bleibt, zu hoher Konzentration in den Intrazellulärspalt, den Sitz der
Pathogene, abgeleitet.
Lothar Jaenicke ó
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Bio-Halbleiter aus FF-Quantenpunkten
Organische Polymere können Elektronenleiter sein, unter Umständen sogar Halbleiter. N. Amdursky vom Weizmann-Institut in Rehovot/Israel zeigt (J Am Chem
Soc (2010) 132:15632–15636), dass das
Dipeptid (FF) aus dem aromatischen Phenylalanin (F) unter definierten Umständen
zu sogenannten Quantenpunkten aggregiert. Dies sind nanoskalare dreidimensional geordnete Strukturen, deren energiegeladene Exzitone sich mit Halbleitern
oder Isolatoren zusammenlagern können.
Ihre elektronischen Eigenschaften liegen
zwischen denen des Kristalls und eines
Einzelmoleküls. Am bekanntesten sind
die Quantenpunkte anorganischer Materiale, wie Si und Ge oder die Sulfide und
Selenide der zweiwertigen Elemente Ca,
Zn und des toxischen Cd.
ó Die Voraussetzung wirksamer Quantenpunkte ist materialunabhängig lediglich ein
Durchmesser des „Quantenkäfigs“ etwa in der
Wellenlänge der elektronischen Wellenfunktion. Daher kommen auch Organika infrage.
Die Autoren beobachteten, dass sich beim Verdunsten einer methanolischen FF-Lösung spontan nanokristalline Dimer-Strukturen (Durchmesser ca. 2,1 Å) mit symmetrisch angeordneten aromatischen Resten bilden. Sie sind
nicht nur piezoelektrisch, sondern emittieren
auf Anregung hin Licht in einem sehr schmalen Frequenzbereich. Beim Lösen geht diese
Eigenschaft voll reversibel verloren. Sie hängt
also mit dem kristallinen Zustand zusammen;
einzelne FF sind keine Quantenpunkte. In Wasser ordnen sich die Methanolkristalle zu Peptid-Nanoröhren von mehreren 106 Quantenpunkten. Auch dieser Vorgang ist vollständig
umkehrbar und beim Einbringen in Methanol
zerfallen sie wieder zu einzelnen Quantenpunkten. Quantenpunkt-Dispersionen und
Nanoröhren geben identische Röntgenbeugungsmuster. Also sind jene die konstituierenden Bauelemente.
Y Die Eigenschaften hängen zweifellos mit
der Größe und den Komponenten der Quantenpunkte sowie der daraus gebildeten Nanoröhren zusammen. Von den relevanten Bio-Aminosäuren wurde erst die Kombination mit Tryptophan geprüft. Das Ergebnis war positiv. Das
Ganze ist also ein überaus offenes und aussichtsreiches Arbeitsfeld für die biophysikalische Chemie und andere Biokombinationen.
Lothar Jaenicke ó
AMPK aktiviert Stress-modulierte Transkription durch
Chromatin-H2B-Phosphorylierung
AMP-aktivierte Proteinkinase (AMPK) ist
der allgemeine Energiesensor der Eukaryotenzelle. Auf „Ein“ gestellt bei Gen(Bestrahlung, Peroxide, chemische oder
Interkalationsagenzien) und Stoffwechseltoxischen (2-Desoxyglukose) Stress-Störungen der Energiebilanz bewirkt sie akute Antworten und chronische Adaptationen über Gen-Exprimierungen. Der geläufigen Vorstellung, dass das über Phosphorylierung von Protein-Transkriptions- oder
Regulationsfaktoren geschieht, die ihrerseits RNA-PolymeraseII an Gen-Promotoren aggregieren, widersprechen D. Bungard et al. (Science (2010) 329:1201–
1205) durch Experimente an embryonalen
Maus-Fibroblasten, deren AMPK inaktiviert ist.
ó Sie weisen durch Chromatin-Immunfällungen einen direkteren Mechanismus nach, nämlich die Phosphorylierung des Chromatin-Histons H2B an Ser36, das im Säugetier-Phosphorylierungsmotiv – xΦXXXSXXXΦx – je drei
Positionen zwischen hydrophoben Resten (Phi)
steht, wobei X vornehmlich basische Aminosäuren sind. Φ trübt zwar den Erkennungsvorgang, aber das wird vermutlich durch andere Interaktionskräfte kompensiert.
Unter den genannten Stressbedingungen
assoziiert AMPK mit p53-Promotoren und der
(Leber)kinase B1 und/oder ihren Zusatzproteinen STRAD, MIO25, die zur p53-Aktivierung
nötig sind, sowie mit transkribierten Regionen
von Ziel-Genen. Somit lassen sich auch Auswirkungen auf Elongation und Transkription erwarten.
Y Ser36 ist an sich im Nukleosom nicht stark
exponiert. Es ist anzunehmen, das H2B außerhalb des Nukleosomenverbunds gegriffen und
durch die zusätzlichen Negativladungen
gestreckt, dadurch zugänglicher gemacht wird.
Ser36/Ala-H2B rekrutiert RNA-Polymerase
kaum.
Lothar Jaenicke ó
Pathogene Salmonellen schlagen Konkurrenten
Infektionen regen das Intestinalsystem zu
einem tückischen Teufelskreis der ROSProduktion an, dessen Endprodukt das
Pathogen begünstigt. S. E. Winter et al.
(Nature (2010) 467:426–429) zeigen das
am Beispiel des Serotyps Typhimurium
von Salmonella enterica.
ó Dieser kann, im Gegensatz zu allen Konkurrenten, auf Tetrathionat (S4O2–
6 ) als Elektronenakzeptor-Substrat gedeihen, was seit bald
hundert Jahren zur Differenzialkultur gegenüber anderen Durchfallbakterien genutzt wird.
In der Natur kommt das instabile Tetrathionat
nicht vor, wohl aber in Boden und Darminhalt
BIOspektrum | 02.11 | 17. Jahrgang
reichlich Sulfat-, Sulfit- und Sulfidvorläufer, aus
denen sich leicht Thiosulfat bildet.
Die Frage war, ob und wie die Oxidationsreaktion Thiosulfat-zu-Tetrathionat im Darm
der Säuger ablaufen kann. Sie wurde in Versuchen an der Maus beantwortet: Die pathogene Salmonella typhimurium dringt in die normalerweise nicht phagocytierenden Darmepithelzellen durch das Typ-III-Sekretionssystem (T3SS), einen Interspezies-Proteintransporter mit AT-reichem Gen ein. Dann setzt in
diesen die von einem GC-reichen Gen codierte Reaktion ein, durch die (vom Standpunkt
des Wirts kontraproduktiv) das Phagocyten-
Immunsystem an der Infektionsstelle rekrutiert und aktiviert wird. Diese „Abwehr“ nämlich erzeugt nun reaktive Sauerstoffspezies
(ROS), also O•–
2 -Radikale, die Entzündung und
Invasion des Epithelgewebes bewirken. Dadurch erst ermöglicht diese durch horizontalen Gentransfer erworbene Eventkette die Ausbreitung des Pathogens im Intestinalgewebe.
Y Analoges gilt für Yersinia enterocolitica,
deren Verwandte, der Pesterreger Y. pestis, diese Fähigkeit verloren hat und daher nicht mehr
im Darm leben kann, sondern auf die externe
Übertragung durch den Flohbiss angewiesen
ist.
Lothar Jaenicke ó