Journal Club - BIOspektrum

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W I S S EN SCH AFT · JOU R NAL CLUB
ÿ Histon-Lysine – Signale der circadianen Uhren
ÿ Evolution des Menschen: miRNAs, UV-Strahlung und Pigmentierung
der Haut
ÿ Introns in 16S-rRNA-Genen von Schwefelbakterien
ÿ Nacktmull reagiert nicht auf „sauer“
Lothar Jaenicke1
Jochen Graw2
Histon-Lysine – Signale der circadianen Uhren
Die heutige Grundvorstellung über die
Orte und Mechanismen der biologischen
Zeitgeber in Organen, Zellen und Zellkompartimenten beruht auf der Hypothese,
dass die Histonaggregate, um die in den
Chromosomen die DNA in Form der
Nukleosomen gewickelt ist, den entscheidenden Code für vielerlei ortho-, metaund epigenetische Vorgänge speichern,
die mit Zeitregelungen zu tun haben.
ó Mit Veränderungen der apparenten pKaWerte an den reaktiven Enden der basischen
Aminosäurereste Lysin-9 (K9/K9ac) und Lysin4 (K4/K4me3) in Histon H3 durch Transacetylasen und -methylasen geht die Modulierung
der Bindung anderer Proteinliganden an dieses kritische Element der Signalgebung in
Schaltkreisen der Transkiption/Translation
einher. Diese erhalten Impulse von den Kontrollorganen der Taktgebung in Physiologie und
Verhalten der Metazoen, den positiven Transkriptionsfaktoren CLOCK und BMAL1 sowie
den interferierenden im PER-CRY-Komplex.
Eine Möglichkeit des Wie zeigen L. DiTacchio
et al. (Science (2011) 333:1881–1885) an
Maus-Fibroblasten und zeitmutierten Drosophila-Kulturzellen Luciferase-luminometrisch
elegant auf.
Das Circadian-Uhrwerk enthält mehrere
Transkriptions-Rückkopplungen aus Schleifen
einander entgegenwirkender Proteinkomplexe. CLOCK-BMAL aktiviert, PER-CRY desaktiviert die H3-funktionalisierenden Enzyme. Beide sind wiederum Ziele einer Reihe anderer
Proteine, die ihre Funktion und/oder Menge
beeinflussen und ihrerseits durch bindende
Proteine beeinflusst werden. Am Histon H3
greifen an: SIRT1, Histon-Acetylase inaktivierendes SIN3A, HDAC1, JARID1a, b und c; im
Histon-Methylierungskomplex die Adaptoren
PER, CRY, SFPQ, NONO, WDR5.
Y Ihre quantitative und qualitative Signifikanz ist unklar, aber ihre gemeinsame Wirkung
auf die Chromatinaktivität beweist der Erfolg
des im Tagestakt geregelten circadianen Uhrwerks, das ungeregelt täglich eine etwa halbstündige Spanne gewinnen würde. Jedoch: Ist
wirklich das Histon das Ziel der Kontrolle, nicht
das Proteom um dieses herum?
Lothar Jaenicke ó
Evolution des Menschen: miRNAs, UV-Strahlung und Pigmentierung der Haut
Die Evolution des Menschen macht an
vielen Stellen Sprünge, die nur schwer
erklärbar sind. Eine Erklärungsmöglichkeit berücksichtigt Unterschiede in der
Regulation der Genexpression. Z. Zhang
hat mit Mitarbeitern den Einfluss von
Veränderungen in den Bindestellen für
miRNAs auf die Hautfarbe des Menschen
untersucht (Li J et al., PLoS Genet (2012)
DOI:10.1371/journal.pgen.1002578).
ó miRNAs regulieren die Expression ihrer
Zielgene, die sie häufig über Bindestellen in der
3’-nicht-translatierten Region (UTR) der jeweiligen mRNA erkennen. Li et al. haben nun
untersucht, inwieweit sich in den 3’-UTRs verschiedener mRNAs die Bindestellen für miRNA
bei Populationen aus Zentralafrika, Japan, China und den USA (europäischen Ursprungs)
unterscheiden. Die Autoren haben sich dabei
auf solche (vorhergesagten) Bindestellen konzentriert, die in mehreren Allelen vorliegen. Ein
Allel davon enthält jeweils eine Sequenz, die
keine miRNA-Bindung zulässt. Sie identifizierten 2.217 bi-allelische Polymorphismen, wobei
einige extreme Abweichungen vom HardyWeinberg-Gleichgewicht zeigten. Eine mögliche Ursache dafür kann eine positive Selektion sein, die zu einer verbesserten Anpassung
an lokale Gegebenheiten führt. Die Autoren
konnten bei einer Gruppe mit hoher positiver
Selektion zeigen, dass sich in der 3’-UTR der
TYRP1-mRNA die Bindestelle für miR-155 befindet; das TYRP1-Gen codiert für ein Tyrosinase-verwandtes Protein, das für die Pigmentierung der Haut wichtig ist. Dabei erlaubt das
evolutionär jüngere Allel die Abschaltung des
TYRP1-Gens durch miR-155; dieses Allel ist in
den Populationen in China, Japan und Zentralafrika fast ausschließlich vorhanden. Die
Autoren schließen daraus, dass damit die
TYRP1-Expression an unterschiedliche UV-Bestrahlung in den verschiedenen Breitengraden
angepasst werden kann.
Y Die starken Abweichungen vom HardyWeinberg-Gleichgewicht können unterschiedliche Ursachen haben, z. B. „Ausreißer“ aus der
neutralen genetischen Drift oder Strukturierungen innerhalb der Populationen. Die Autoren konnten in dieser Arbeit experimentell zeigen, dass die Unterschiede keine statistischen
Artefakte sind, sondern funktionell wirksam
werden. In diesem Fall erzielt ein einziger Polymorphismus eine große Wirkung – nämlich auf
die Melaninsynthese der Haut.
Jochen Graw ó
1 Institut f. Biochemie, Universität zu Köln, Zülpicher Straße 47, D-50674 Köln
2 Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt GmbH, Ingolstädter Landstraße 1, D-85764 Neuherberg,
[email protected]
3 Falkenstraße 87, D-58553 Halver, [email protected]
4 Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Pharmakologie, Carl-Neuberg-Straße 1, D-30625 Hannover, [email protected]
5 Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, Inhoffenstraße 7, D-38124 Braunschweig, Susanne [email protected]
BIOspektrum | 03.12 | 18. Jahrgang
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Johannes Sander3 Roland Seifert4
Susanne Freund5
Introns in 16S-rRNA-Genen von Schwefelbakterien
Aufgrund ihrer universellen Präsenz und
ihrer Konstanz in Größe und Funktion
werden 16S-rRNA-Gene bei phylogenetischen Studien und zur Identifizierung von
Organismen in Umweltproben routinemäßig amplifiziert. Doch die 16S-RNAs
von Thiomargarita namibiensis, Riesenbakterien mit Schwefelstoffwechsel und
großer Vakuole, ließen sich trotz offensichtlicher optischer Präsenz dieser Organismen meist nicht nachweisen.
ó V. Salman et al. (Proc Natl Acad Sci USA
(2012) 109:4203–4208) fanden jetzt heraus,
dass hierfür offensichtlich lange, selbstspleißende Introns der Gruppen I und II an bis zu
vier verschiedenen Stellen in den 16S-RNAs
von Thiomargarita nambibiensis und verwandten Arten verantwortlich sind. Interessanterweise befinden sich die Introns oft an denselben oder ähnlichen Positionen wie bei Eukaryoten, d. h. es gibt Organismenreich-übergreifende Hotspots für die Intron-Insertion in
16S-rRNA-Gene. Eine Intron-codierte HomingEndonuklease hilft wahrscheinlich bei der
Transposition der Introns an einen homologen,
aber noch Intron-freien Ort und damit beim
horizontalen Transfer.
Y Introns in bakteriellen Genen sind bekannt,
aber selten. Identifiziert wurden sie zwar in
16S-rRNA-Genen von Archaea (dort erfolgt enzymatisches Spleißen) und 23S-rRNA-Genen von
Bakterien, allerdings noch nie in 16S-rRNAGenen von Bakterien. Mögliche Erklärungen
für ihr dichtes Auftreten bei Thiomargarita und
Verwandten sind ein geringerer Selektionsdruck
auf Intron-Verlust durch einen Energiespeicherkapazität-bedingten, geringen prozentualen
Energieaufwand für die Replikation oder Polyploidie-bedingter leichter Intron-Ausbreitung.
Konsequenzen ergeben sich für Studien zur
Phylogenie und zur Biodiversität, die die Möglichkeit von Introns in 16S-rRNA-Genen in
Zukunft berücksichtigen müssen.
Johannes Sander ó
Nacktmull reagiert nicht auf „sauer“
Der südafrikanische Nacktmull ist ein
naher Verwandter der Maus. Er lebt unter
der Erde in schlecht belüfteten Bauten,
eng zusammen mit bis zu 80 Tieren, die
alle CO2 produzieren. Das muss physikochemisch zu Blutübersäuerung führen.
Doch diese Tiere sind dagegen sinnesphysiologisch unempfindlich, obwohl sie
(mittels Patch-Clamp-Methode nachgewiesen) durchaus H+-bediente (Sauer-)
Schmerzsensoren in ihren Dorsalwurzelganglien besitzen.
ó Dabei handelt es sich um beide Typen:
ASIC(acid sensing)- und TRPV1(Vanilloid-Rezeptor 1)-Ionenkanäle. ASIC sind auf Kurzzeit
eingestellt und Benzamil-empfindlich. TRPV1
sind Dauerkanäle und werden durch Capsaicin
(N-(4-Tert-Butylphenyl)-4-(3-chlorpyridin-2-yl)tetrahydropyrazin, BCTC) gehemmt (dies ist der
Grund der „heißen“ Paprika-Wirkung!). Beim
physiologisch/pharmakologischen Vergleich
der orthologen H+-Sensoren von Nacktmull und
Maus fanden E. S. Smith et al. (Science (2011)
334:1557–1560) nur minimale Unterschiede.
Auch rekombinante ASICa und b sowie TRPV1
BIOspektrum | 03.12 | 18. Jahrgang
beider Spezies verhalten sich annähernd gleich.
Jedoch feuert zur Aktivierung von Na+-empfindlichen Ionenkanälen (NaVs) durch ausreichende Membrandepolarisation ein gewisser
Prozentsatz von Neuronen (Mull > Maus;
Haut > Gewebe) Aktionspotenziale nach Säurereiz, aktiviert aber nicht die C-Faser-Nociceptoren, deren Zahl bei Mull und Maus sich gleichen. Alles in allem erhöhen somit Protonen
beim Mull, nicht bei der Maus, die Schwelle der
Aktionspotenziale, vermindern aber ihre
Amplitude. Das heißt: In allen Parametern sind
die Nociceptoren des Mulls gegenüber Säuren
sehr viel unempfindlicher.
Y Als Modell, wie Protonen bei Säugern die
Schmerzempfindung auslösen, ergibt sich, dass
in den Schmerzneuronen ein Gleichgewicht zwischen depolarisierendem Auslöser (durch
TRPV1a/b und ASICs) und Hemmung des NaVKanals besteht. Durch die CO2-angereicherte
Umwelt wurde im Nacktmull eine Mutation im
Nociceptor ausgelöst, sodass er die mit dem
hohen CO2-Partialdruck im Bau einhergehende
hohe Acidität des Blutes nicht spürt.
Lothar Jaenicke ó
Kurz gefasst
ó Heparin-Pentasaccharid chemenzymosynthetisch
Heparine sind Glukosaminoglykane, die insbesondere als Blutgerinnungshemmer bekannt
sind. Die Herstellung des bislang verwendeten
vollsynthetischen ultralow molecular weight
(ULMW)-Heparin-Pentahexosids „Arixtra“ erfordert teure Ausgangsmaterialien und etwa
50 Synthesestufen. Y. Xu et al. (Science (2011)
334:498–501) schlagen einen einfacheren und
billigeren chemoenzymatisch-chemosynthetischen Weg vor. Die Ausgangsmaterialien werden durch bakterielle Fermentationen mit rekombinanten Enzymen aus dem natürlichen
Heparin-Biosyntheseweg erhalten. Dazu kommen chemische und enzymatische Transformationsschritte, sodass nur insgesamt zehn
bis zwölf Synthesestufen notwendig sind.
Lothar Jaenicke
ó Rohstoffe aus den Weltmeeren
Braunalgen können zur Treibstoffproduktion
eingesetzt werden. Die Nutzung ihrer Alginate
(Struktur-Kohlenhydrate) hängt davon ab, dass
Mikroorganismen die Alginate mit brauchbarer Geschwindigkeit und Ausbeute zu niedermolekularen, zu „Sprit“ vergärbaren Zwischenprodukten metabolisieren können. A. J. Wargacki et al. (Science (2012) 335:308-313) haben aus der DNA eines Vibrio splendidusStamms ein 36-kbp-Fragment isoliert, das die
Enzyme für Transport und Stoffwechsel von Alginat encodiert und es zusammen mit den
Transformationsenzymen zu Intermediaten und
deren Alkohol-Vergärung auf eine E. coli-Plattform montiert. So konnten sie aus Alginaten in
guter Ausbeute und Geschwindigkeit 4,7 Vol%
„Bio-Ethanol“ erzeugen.
Lothar Jaenicke
ó Vorsicht bei der Interpretation von
Studien in Stammzellen!
Induzierte pluripotente und embryonale
Stammzellen sind derzeit ein hot topic in der
biomedizinischen Forschung. Neben der potenziellen therapeutischen Anwendung werden
Stammzellen auch vermehrt als Krankheitsmodelle, zur Wirkstoffentdeckung und für toxikologische Untersuchungen eingesetzt. Kang
et al. (J Pharmacol Exp Ther (2012) 341:510–
517) zeigen, dass die pharmakologischen Eigenschaften von L-Typ-Kalziumkanälen in von
Stammzellen abgeleiteten Kardiomyozyten und
in nativen Kardiomyozyten unterschiedlich
sind. Diese Daten zeigen sehr schön, dass man
bei aller Euphorie den Einsatz von Stammzellen in der pharmakologischen Forschung ebenso kritisch überdenken muss wie den Einsatz
jedes anderen Systems.
Roland Seifert
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W I S S EN SCH AFT · JOU R NAL CLUB
ÿ Wie Botulinum-Neurotoxin in den Körper gelangt und was man daraus für die Arzneistoffentwicklung
lernen kann
ÿ Neue Perspektive für CML-Therapie durch paradoxe Aktivierung
ÿ Shiga-Toxin durch Mn2+ auf den Abbauweg zurückgeführt
ÿ MIMS als lebensbildgebendes Verfahren
Wie Botulinum-Neurotoxin in den Körper gelangt und was man daraus für die
Arzneistoffentwicklung lernen kann
Botulinum-Neurotoxin (BoNT) wird von
dem Gram-positiven Anaerobier Clostridium botulinum produziert und kann
Ursache von Nahrungsmittelvergiftungen
sein. Als Folge der Intoxikation kommt es
zu einer schlaffen Muskellähmung. Lokal
appliziert kann BoNT zur Behandlung verschiedener spastischer Muskelerkrankungen wie Schiefhals und Lidkrämpfen eingesetzt werden. Wegen seiner hohen
Potenz kann BoNT auch als Bioterrorismuswaffe missbraucht werden. BoNT
wird in cholinerge Neurone aufgenommen
und katalysiert dort die Proteolyse eines
SNARE-Proteins, wodurch die Freisetzung
von Acetylcholin verhindert wird. Bislang
war nicht klar, über welchen Mechanismus das 150-kDa-Protein BoNT nach
oraler Gabe den Transport durch den Gastrointestinaltrakt überlebt.
ó Gu et al. (Science (2012) 335:977–981)
stellten nun in hoher Auflösung die Kristallstruktur von BoNT mit dem nicht-toxi schen clostridialen Non-Hämagglutininprotein
NTNHA dar. NTNHA besitzt überraschenderweise eine ähnliche dreidimensionale Struktur
wie BoNT und bindet das Toxin über ein großes Areal. Dadurch wird BoNT im Gastrointestinaltrakt vor proteolytischem Abbau geschützt.
Die Arbeit leistet nicht nur einen wichtigen
Beitrag zum Verständnis des Wirkungsmechanismus von BoNT, sondern hat auch pharmakologische Implikationen. Eine Möglichkeit besteht darin, niedermolekulare Substanzen zu
entwickeln, die die Interaktion von NTNHA mit
BoNT blockieren. Solche Wirkstoffe hätten bei
der Prävention von Bioterrorismusangriffen mit
BoNT therapeutischen Wert. Wirkstoffe, die
Protein-Protein-Interaktionen modulieren, stellen eines der großen Zukunftsfelder der pharmakologischen Forschung dar. Außerdem ist
die Arbeit ein sehr gutes Beispiel für das Konzept, dass die gastrointestinale Resorption von
Proteinen in pharmakologisch wirksamer Dosis
möglich ist.
Y Man könnte sich vorstellen, Biologicals,
eine wichtige Arzneistoffgruppe mit Proteinstruktur, an NTNHA zu koppeln und vor Degradation zu schützen. Somit würde man nichttoxische Toxinkomponenten als Carrierproteine nutzen. Die Arbeit zeigt, dass die Forschung
an Toxinen von erheblicher therapeutischer
Bedeutung ist.
Roland Seifert ó
Neue Perspektive für CML-Therapie durch paradoxe Aktivierung
Für die Therapie der chronischen myeloischen Leukämie (CML) werden Imatinib,
Dasatinib und Nilotinib eingesetzt. Diese
Wirkstoffe inhibieren die für CML charakteristische onkogene Kinase BCR-ABL und
verhindern dadurch die Aktivierung von
RAS und der nachgeschalteten Signalkaskade RAF/MEK/ERK – die unkontrollierte
Vermehrung der betroffenen Zelle unterbleibt. Bei CML-Zellen, die die mutagene
Kinaseform BCR-ABLT315I exprimieren,
können die Inhibitoren jedoch nicht mehr
binden. Packer et al. (Cancer Cell (2011)
20:715–727) entdeckten nun durch eine
paradoxe Hyperaktivierung des RAF/
MEK/ERK-Signalwegs eine potenzielle
Strategie, diese Resistenz zu umgehen.
ó Die Gruppe um Richard Marais begann die
Arbeit mit Melanomzellen, die onkogenes
NRASQ61L exprimieren. In Abhängigkeit dieser aktiven RAS-Form trat nun, entgegen den
Erwartungen, nach Zugabe der BCR-ABL-Inhibitoren eine Aktivierung der RAF-Isoformen
BRAF und CRAF sowie der nachgeschalteten
Kinasen MEK (mitogen-activated protein kinase kinase) und ERK (extracellular signal-regulated kinase) ein. Diese paradoxe SignalwegAktivierung hängt mit der zusätzlichen schwachen Bindung der Inhibitoren an RAF zusammen, dessen partielle Inhibierung zu einer Dimerisierung und nachfolgend zur Aktivierung
führt.
In einem zweiten Schritt wurde dieser offtarget-Effekt in CML-Zellen überprüft. Die Ergebnisse stützen dabei die Rolle des aktivierten RAS: In Wildtyp-Zellen blieb der Effekt aus,
da bereits mit der Inhibierung von BCR-ABL
keine Aktivierung von RAS stattfinden kann. In
Zellen, die BCR-ABLT315I exprimieren, wurde
der Signalweg hingegen aktiviert und die Überlebensrate erhöht. Nun stellte sich die Frage,
ob diese paradoxe Aktivierung einen therapeutischen Angriffspunkt für resistente Zellen
bieten kann. Die daraufhin durchgeführte
Untersuchung zeigte, dass die Kombination
von Nilotinib und einem MEK-Inhibitor der
Hyperaktivierung des RAF/MEK/ERK-Signalwegs tatsächlich entgegenwirkte, dadurch das
Zellwachstum inhibierte und den Zelltod induzierte.
Y Diese Arbeit zeigt eine Möglichkeit, das Auftreten von Resistenzen beim Patienten zu unterbinden. Zur Bestimmung der Effizienz dieser
neuen therapeutischen Strategie sind weitere
Experimente notwendig.
Susanne Freund ó
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Shiga-Toxin durch Mn2+ auf den Abbauweg
zurückgeführt
Vor allem für den Menschen zellgiftige
Shiga-(Neuro)Toxine (STx) werden vom
eigentlichen Genus Shigella und von
hämorrhagischen Colibakterien (EHEC)
gebildet. Sie gelangen retrograd durch
die Membranen in die Wirtszellen und
umgehen dadurch den lysosomalen
Abbau. Es gibt keine brauchbare antibiotische Behandlung; im Gegenteil birgt
diese das Risiko der Toxinfreisetzung
und damit lebensbedrohender Erkrankung. Für Labortiere sind Ruhrerreger
verhältnismäßig harmlos.
ó STx besteht aus einer katalytisch-toxischen A-Untereinheit, die mit der bindungsund transportvermittelnden B-Untereinheit
über die Zellmembran durch frühes Endosom, das späte Endo- und Lysosom umgehend, in den Golgi-Apparat und das Endoplasmatische Reticulum geschafft wird, von
wo es im Zytosol die Ribosomen inaktiviert
und wirksam wird. Bisher sind keine chemotherapeutisch nützlichen niedermolekularen
S-Antitoxine gefunden worden, wie denn
überhaupt die molekularen Wechselwirkungen weitgehend ungeklärt blieben.
Das Membranprotein GPP130, das zwischen Golgi-Apparat und Endosomen in bislang unbekannter Funktion kreist, wird durch
50–500 μM Mn2+ spezifisch gegenüber anderen ähnlichen Bakteriotoxinen abgebaut
(Mukhopadhyay S, Linstedt AD, Proc Natl
Acad Sci USA (2011) 108:858–863), und so
prüften diese Autoren (Science (2012)
335:332–335) den Einfluss von Mn2+ auf den
Transport von in der B-Untereinheit grünfluoreszenzmarkiertem STx. Tatsächlich stoppt
dieser Transport komplett, während alle anderen Lebensäußerungen ungestört bleiben.
Y Weitere Detailuntersuchungen bestätigen,
dass das billige und bewiesen unschädliche
Mn2+ in den gegebenen Konzentrationen
äußerst effektiv und spezifisch einer STx-Vergiftung entgegenwirkt. In Zusammengabe mit
einem Antibiotikum können auch solche
durch abgetötete Bakterien beherrscht werden.
Lothar Jaenicke ó
MIMS als lebensbildgebendes Verfahren
MIMS (Multiisotop-abbildende Massenspektrometrie) kann nicht nur zum Abbilden, sondern auch zum Verfolgen von
laufenden Lebensvorgängen in Zellen
eingesetzt werden. Bei der Methode werden lebende Zellen mit stabilen Isotopen
markiert und anschließend mit einem
Ionenstrahl angeregt, um die emittierten
Sekundärionen massenspektrometrisch
auf ihre Molekülzusammensetzung zu
analysieren. Dies kann in einem engen
Bereich stattfinden und gibt dadurch
eine sehr genaue, auch abbildbare
Unterscheidung zwischen Ionen sehr
ähnlicher Masse, wie sie im Leben bei
Stoff- und Molekülwechselvorgängen
auftreten. Diese Methodik wird an zwei
aktuellen Beispielen aus der Zell- und
Entwicklungsbiologie demonstriert.
ó Bei der asymmetrischen Verdoppelung
von Stammzellen sollte auch deren Chromatin asymmetrisch segregieren. Das heißt,
Tochterzellen, die Stammzellen bleiben, sollten ihre Ausgangs-DNA-Matrize behalten, die
zur Differenzierung bestimmten dagegen die
neusynthetisierten DNA-Stränge zugeteilt be-
BIOspektrum | 03.12 | 18. Jahrgang
kommen. Tatsächlich aber zeigen die MIMSErgebnisse beim Einbau von 15N-(bzw. 13C-)
Thymidin oder 81Br- und 127I-Desoxyuridin in
Menschen-Vorhautfibroblasten- und MausDünndarmkrypten-Zellkulturen unmittelbar,
dass die DNA-Stränge in solchen proliferierenden Zellen statistisch markiert werden,
also nicht segregiert bleiben (Steinhauser ML
et al., Nature (2012) 481:516–519).
In gleicher MIMS-Technik wurde der (im
Gegensatz zum Küken) nach Maß der
Grünfluoreszenzmarkierungskinetik auffallend schnelle Protein-Umsatz in den Spitzen
des Aktins der mechanosensorischen Haarzell(Stereocilien)bündel des Innenohrs von
Ochsenfrosch und Maus durch Einbau von
12C/15N nach Leucin-Verfütterung verfolgt.
Nach diesen Ergebnissen wird nur das abschilfernde Spitzenprotein der Aktinbündel
rasch ersetzt, während der Rest der Stereocilie träge stoff- und strukturwechselt (Zhang
DS et al., l.c.:520–524).
Y MIMS ist nach diesen Beispielen eine vielversprechende kinetische Methodik, Vorgänge im Leben zu verfolgen und zu deuten.
Lothar Jaenicke ó

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