Journal Club - BIOspektrum
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233_302_BIOsp_0312_233_302_BIOsp_0312 08.05.12 09:14 Seite 288 288 W I S S EN SCH AFT · JOU R NAL CLUB ÿ Histon-Lysine – Signale der circadianen Uhren ÿ Evolution des Menschen: miRNAs, UV-Strahlung und Pigmentierung der Haut ÿ Introns in 16S-rRNA-Genen von Schwefelbakterien ÿ Nacktmull reagiert nicht auf „sauer“ Lothar Jaenicke1 Jochen Graw2 Histon-Lysine – Signale der circadianen Uhren Die heutige Grundvorstellung über die Orte und Mechanismen der biologischen Zeitgeber in Organen, Zellen und Zellkompartimenten beruht auf der Hypothese, dass die Histonaggregate, um die in den Chromosomen die DNA in Form der Nukleosomen gewickelt ist, den entscheidenden Code für vielerlei ortho-, metaund epigenetische Vorgänge speichern, die mit Zeitregelungen zu tun haben. ó Mit Veränderungen der apparenten pKaWerte an den reaktiven Enden der basischen Aminosäurereste Lysin-9 (K9/K9ac) und Lysin4 (K4/K4me3) in Histon H3 durch Transacetylasen und -methylasen geht die Modulierung der Bindung anderer Proteinliganden an dieses kritische Element der Signalgebung in Schaltkreisen der Transkiption/Translation einher. Diese erhalten Impulse von den Kontrollorganen der Taktgebung in Physiologie und Verhalten der Metazoen, den positiven Transkriptionsfaktoren CLOCK und BMAL1 sowie den interferierenden im PER-CRY-Komplex. Eine Möglichkeit des Wie zeigen L. DiTacchio et al. (Science (2011) 333:1881–1885) an Maus-Fibroblasten und zeitmutierten Drosophila-Kulturzellen Luciferase-luminometrisch elegant auf. Das Circadian-Uhrwerk enthält mehrere Transkriptions-Rückkopplungen aus Schleifen einander entgegenwirkender Proteinkomplexe. CLOCK-BMAL aktiviert, PER-CRY desaktiviert die H3-funktionalisierenden Enzyme. Beide sind wiederum Ziele einer Reihe anderer Proteine, die ihre Funktion und/oder Menge beeinflussen und ihrerseits durch bindende Proteine beeinflusst werden. Am Histon H3 greifen an: SIRT1, Histon-Acetylase inaktivierendes SIN3A, HDAC1, JARID1a, b und c; im Histon-Methylierungskomplex die Adaptoren PER, CRY, SFPQ, NONO, WDR5. Y Ihre quantitative und qualitative Signifikanz ist unklar, aber ihre gemeinsame Wirkung auf die Chromatinaktivität beweist der Erfolg des im Tagestakt geregelten circadianen Uhrwerks, das ungeregelt täglich eine etwa halbstündige Spanne gewinnen würde. Jedoch: Ist wirklich das Histon das Ziel der Kontrolle, nicht das Proteom um dieses herum? Lothar Jaenicke ó Evolution des Menschen: miRNAs, UV-Strahlung und Pigmentierung der Haut Die Evolution des Menschen macht an vielen Stellen Sprünge, die nur schwer erklärbar sind. Eine Erklärungsmöglichkeit berücksichtigt Unterschiede in der Regulation der Genexpression. Z. Zhang hat mit Mitarbeitern den Einfluss von Veränderungen in den Bindestellen für miRNAs auf die Hautfarbe des Menschen untersucht (Li J et al., PLoS Genet (2012) DOI:10.1371/journal.pgen.1002578). ó miRNAs regulieren die Expression ihrer Zielgene, die sie häufig über Bindestellen in der 3’-nicht-translatierten Region (UTR) der jeweiligen mRNA erkennen. Li et al. haben nun untersucht, inwieweit sich in den 3’-UTRs verschiedener mRNAs die Bindestellen für miRNA bei Populationen aus Zentralafrika, Japan, China und den USA (europäischen Ursprungs) unterscheiden. Die Autoren haben sich dabei auf solche (vorhergesagten) Bindestellen konzentriert, die in mehreren Allelen vorliegen. Ein Allel davon enthält jeweils eine Sequenz, die keine miRNA-Bindung zulässt. Sie identifizierten 2.217 bi-allelische Polymorphismen, wobei einige extreme Abweichungen vom HardyWeinberg-Gleichgewicht zeigten. Eine mögliche Ursache dafür kann eine positive Selektion sein, die zu einer verbesserten Anpassung an lokale Gegebenheiten führt. Die Autoren konnten bei einer Gruppe mit hoher positiver Selektion zeigen, dass sich in der 3’-UTR der TYRP1-mRNA die Bindestelle für miR-155 befindet; das TYRP1-Gen codiert für ein Tyrosinase-verwandtes Protein, das für die Pigmentierung der Haut wichtig ist. Dabei erlaubt das evolutionär jüngere Allel die Abschaltung des TYRP1-Gens durch miR-155; dieses Allel ist in den Populationen in China, Japan und Zentralafrika fast ausschließlich vorhanden. Die Autoren schließen daraus, dass damit die TYRP1-Expression an unterschiedliche UV-Bestrahlung in den verschiedenen Breitengraden angepasst werden kann. Y Die starken Abweichungen vom HardyWeinberg-Gleichgewicht können unterschiedliche Ursachen haben, z. B. „Ausreißer“ aus der neutralen genetischen Drift oder Strukturierungen innerhalb der Populationen. Die Autoren konnten in dieser Arbeit experimentell zeigen, dass die Unterschiede keine statistischen Artefakte sind, sondern funktionell wirksam werden. In diesem Fall erzielt ein einziger Polymorphismus eine große Wirkung – nämlich auf die Melaninsynthese der Haut. Jochen Graw ó 1 Institut f. Biochemie, Universität zu Köln, Zülpicher Straße 47, D-50674 Köln 2 Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt GmbH, Ingolstädter Landstraße 1, D-85764 Neuherberg, [email protected] 3 Falkenstraße 87, D-58553 Halver, [email protected] 4 Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Pharmakologie, Carl-Neuberg-Straße 1, D-30625 Hannover, [email protected] 5 Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, Inhoffenstraße 7, D-38124 Braunschweig, Susanne [email protected] BIOspektrum | 03.12 | 18. Jahrgang 233_302_BIOsp_0312_233_302_BIOsp_0312 08.05.12 09:14 Seite 289 289 Johannes Sander3 Roland Seifert4 Susanne Freund5 Introns in 16S-rRNA-Genen von Schwefelbakterien Aufgrund ihrer universellen Präsenz und ihrer Konstanz in Größe und Funktion werden 16S-rRNA-Gene bei phylogenetischen Studien und zur Identifizierung von Organismen in Umweltproben routinemäßig amplifiziert. Doch die 16S-RNAs von Thiomargarita namibiensis, Riesenbakterien mit Schwefelstoffwechsel und großer Vakuole, ließen sich trotz offensichtlicher optischer Präsenz dieser Organismen meist nicht nachweisen. ó V. Salman et al. (Proc Natl Acad Sci USA (2012) 109:4203–4208) fanden jetzt heraus, dass hierfür offensichtlich lange, selbstspleißende Introns der Gruppen I und II an bis zu vier verschiedenen Stellen in den 16S-RNAs von Thiomargarita nambibiensis und verwandten Arten verantwortlich sind. Interessanterweise befinden sich die Introns oft an denselben oder ähnlichen Positionen wie bei Eukaryoten, d. h. es gibt Organismenreich-übergreifende Hotspots für die Intron-Insertion in 16S-rRNA-Gene. Eine Intron-codierte HomingEndonuklease hilft wahrscheinlich bei der Transposition der Introns an einen homologen, aber noch Intron-freien Ort und damit beim horizontalen Transfer. Y Introns in bakteriellen Genen sind bekannt, aber selten. Identifiziert wurden sie zwar in 16S-rRNA-Genen von Archaea (dort erfolgt enzymatisches Spleißen) und 23S-rRNA-Genen von Bakterien, allerdings noch nie in 16S-rRNAGenen von Bakterien. Mögliche Erklärungen für ihr dichtes Auftreten bei Thiomargarita und Verwandten sind ein geringerer Selektionsdruck auf Intron-Verlust durch einen Energiespeicherkapazität-bedingten, geringen prozentualen Energieaufwand für die Replikation oder Polyploidie-bedingter leichter Intron-Ausbreitung. Konsequenzen ergeben sich für Studien zur Phylogenie und zur Biodiversität, die die Möglichkeit von Introns in 16S-rRNA-Genen in Zukunft berücksichtigen müssen. Johannes Sander ó Nacktmull reagiert nicht auf „sauer“ Der südafrikanische Nacktmull ist ein naher Verwandter der Maus. Er lebt unter der Erde in schlecht belüfteten Bauten, eng zusammen mit bis zu 80 Tieren, die alle CO2 produzieren. Das muss physikochemisch zu Blutübersäuerung führen. Doch diese Tiere sind dagegen sinnesphysiologisch unempfindlich, obwohl sie (mittels Patch-Clamp-Methode nachgewiesen) durchaus H+-bediente (Sauer-) Schmerzsensoren in ihren Dorsalwurzelganglien besitzen. ó Dabei handelt es sich um beide Typen: ASIC(acid sensing)- und TRPV1(Vanilloid-Rezeptor 1)-Ionenkanäle. ASIC sind auf Kurzzeit eingestellt und Benzamil-empfindlich. TRPV1 sind Dauerkanäle und werden durch Capsaicin (N-(4-Tert-Butylphenyl)-4-(3-chlorpyridin-2-yl)tetrahydropyrazin, BCTC) gehemmt (dies ist der Grund der „heißen“ Paprika-Wirkung!). Beim physiologisch/pharmakologischen Vergleich der orthologen H+-Sensoren von Nacktmull und Maus fanden E. S. Smith et al. (Science (2011) 334:1557–1560) nur minimale Unterschiede. Auch rekombinante ASICa und b sowie TRPV1 BIOspektrum | 03.12 | 18. Jahrgang beider Spezies verhalten sich annähernd gleich. Jedoch feuert zur Aktivierung von Na+-empfindlichen Ionenkanälen (NaVs) durch ausreichende Membrandepolarisation ein gewisser Prozentsatz von Neuronen (Mull > Maus; Haut > Gewebe) Aktionspotenziale nach Säurereiz, aktiviert aber nicht die C-Faser-Nociceptoren, deren Zahl bei Mull und Maus sich gleichen. Alles in allem erhöhen somit Protonen beim Mull, nicht bei der Maus, die Schwelle der Aktionspotenziale, vermindern aber ihre Amplitude. Das heißt: In allen Parametern sind die Nociceptoren des Mulls gegenüber Säuren sehr viel unempfindlicher. Y Als Modell, wie Protonen bei Säugern die Schmerzempfindung auslösen, ergibt sich, dass in den Schmerzneuronen ein Gleichgewicht zwischen depolarisierendem Auslöser (durch TRPV1a/b und ASICs) und Hemmung des NaVKanals besteht. Durch die CO2-angereicherte Umwelt wurde im Nacktmull eine Mutation im Nociceptor ausgelöst, sodass er die mit dem hohen CO2-Partialdruck im Bau einhergehende hohe Acidität des Blutes nicht spürt. Lothar Jaenicke ó Kurz gefasst ó Heparin-Pentasaccharid chemenzymosynthetisch Heparine sind Glukosaminoglykane, die insbesondere als Blutgerinnungshemmer bekannt sind. Die Herstellung des bislang verwendeten vollsynthetischen ultralow molecular weight (ULMW)-Heparin-Pentahexosids „Arixtra“ erfordert teure Ausgangsmaterialien und etwa 50 Synthesestufen. Y. Xu et al. (Science (2011) 334:498–501) schlagen einen einfacheren und billigeren chemoenzymatisch-chemosynthetischen Weg vor. Die Ausgangsmaterialien werden durch bakterielle Fermentationen mit rekombinanten Enzymen aus dem natürlichen Heparin-Biosyntheseweg erhalten. Dazu kommen chemische und enzymatische Transformationsschritte, sodass nur insgesamt zehn bis zwölf Synthesestufen notwendig sind. Lothar Jaenicke ó Rohstoffe aus den Weltmeeren Braunalgen können zur Treibstoffproduktion eingesetzt werden. Die Nutzung ihrer Alginate (Struktur-Kohlenhydrate) hängt davon ab, dass Mikroorganismen die Alginate mit brauchbarer Geschwindigkeit und Ausbeute zu niedermolekularen, zu „Sprit“ vergärbaren Zwischenprodukten metabolisieren können. A. J. Wargacki et al. (Science (2012) 335:308-313) haben aus der DNA eines Vibrio splendidusStamms ein 36-kbp-Fragment isoliert, das die Enzyme für Transport und Stoffwechsel von Alginat encodiert und es zusammen mit den Transformationsenzymen zu Intermediaten und deren Alkohol-Vergärung auf eine E. coli-Plattform montiert. So konnten sie aus Alginaten in guter Ausbeute und Geschwindigkeit 4,7 Vol% „Bio-Ethanol“ erzeugen. Lothar Jaenicke ó Vorsicht bei der Interpretation von Studien in Stammzellen! Induzierte pluripotente und embryonale Stammzellen sind derzeit ein hot topic in der biomedizinischen Forschung. Neben der potenziellen therapeutischen Anwendung werden Stammzellen auch vermehrt als Krankheitsmodelle, zur Wirkstoffentdeckung und für toxikologische Untersuchungen eingesetzt. Kang et al. (J Pharmacol Exp Ther (2012) 341:510– 517) zeigen, dass die pharmakologischen Eigenschaften von L-Typ-Kalziumkanälen in von Stammzellen abgeleiteten Kardiomyozyten und in nativen Kardiomyozyten unterschiedlich sind. Diese Daten zeigen sehr schön, dass man bei aller Euphorie den Einsatz von Stammzellen in der pharmakologischen Forschung ebenso kritisch überdenken muss wie den Einsatz jedes anderen Systems. Roland Seifert 233_302_BIOsp_0312_233_302_BIOsp_0312 08.05.12 09:14 Seite 290 290 W I S S EN SCH AFT · JOU R NAL CLUB ÿ Wie Botulinum-Neurotoxin in den Körper gelangt und was man daraus für die Arzneistoffentwicklung lernen kann ÿ Neue Perspektive für CML-Therapie durch paradoxe Aktivierung ÿ Shiga-Toxin durch Mn2+ auf den Abbauweg zurückgeführt ÿ MIMS als lebensbildgebendes Verfahren Wie Botulinum-Neurotoxin in den Körper gelangt und was man daraus für die Arzneistoffentwicklung lernen kann Botulinum-Neurotoxin (BoNT) wird von dem Gram-positiven Anaerobier Clostridium botulinum produziert und kann Ursache von Nahrungsmittelvergiftungen sein. Als Folge der Intoxikation kommt es zu einer schlaffen Muskellähmung. Lokal appliziert kann BoNT zur Behandlung verschiedener spastischer Muskelerkrankungen wie Schiefhals und Lidkrämpfen eingesetzt werden. Wegen seiner hohen Potenz kann BoNT auch als Bioterrorismuswaffe missbraucht werden. BoNT wird in cholinerge Neurone aufgenommen und katalysiert dort die Proteolyse eines SNARE-Proteins, wodurch die Freisetzung von Acetylcholin verhindert wird. Bislang war nicht klar, über welchen Mechanismus das 150-kDa-Protein BoNT nach oraler Gabe den Transport durch den Gastrointestinaltrakt überlebt. ó Gu et al. (Science (2012) 335:977–981) stellten nun in hoher Auflösung die Kristallstruktur von BoNT mit dem nicht-toxi schen clostridialen Non-Hämagglutininprotein NTNHA dar. NTNHA besitzt überraschenderweise eine ähnliche dreidimensionale Struktur wie BoNT und bindet das Toxin über ein großes Areal. Dadurch wird BoNT im Gastrointestinaltrakt vor proteolytischem Abbau geschützt. Die Arbeit leistet nicht nur einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des Wirkungsmechanismus von BoNT, sondern hat auch pharmakologische Implikationen. Eine Möglichkeit besteht darin, niedermolekulare Substanzen zu entwickeln, die die Interaktion von NTNHA mit BoNT blockieren. Solche Wirkstoffe hätten bei der Prävention von Bioterrorismusangriffen mit BoNT therapeutischen Wert. Wirkstoffe, die Protein-Protein-Interaktionen modulieren, stellen eines der großen Zukunftsfelder der pharmakologischen Forschung dar. Außerdem ist die Arbeit ein sehr gutes Beispiel für das Konzept, dass die gastrointestinale Resorption von Proteinen in pharmakologisch wirksamer Dosis möglich ist. Y Man könnte sich vorstellen, Biologicals, eine wichtige Arzneistoffgruppe mit Proteinstruktur, an NTNHA zu koppeln und vor Degradation zu schützen. Somit würde man nichttoxische Toxinkomponenten als Carrierproteine nutzen. Die Arbeit zeigt, dass die Forschung an Toxinen von erheblicher therapeutischer Bedeutung ist. Roland Seifert ó Neue Perspektive für CML-Therapie durch paradoxe Aktivierung Für die Therapie der chronischen myeloischen Leukämie (CML) werden Imatinib, Dasatinib und Nilotinib eingesetzt. Diese Wirkstoffe inhibieren die für CML charakteristische onkogene Kinase BCR-ABL und verhindern dadurch die Aktivierung von RAS und der nachgeschalteten Signalkaskade RAF/MEK/ERK – die unkontrollierte Vermehrung der betroffenen Zelle unterbleibt. Bei CML-Zellen, die die mutagene Kinaseform BCR-ABLT315I exprimieren, können die Inhibitoren jedoch nicht mehr binden. Packer et al. (Cancer Cell (2011) 20:715–727) entdeckten nun durch eine paradoxe Hyperaktivierung des RAF/ MEK/ERK-Signalwegs eine potenzielle Strategie, diese Resistenz zu umgehen. ó Die Gruppe um Richard Marais begann die Arbeit mit Melanomzellen, die onkogenes NRASQ61L exprimieren. In Abhängigkeit dieser aktiven RAS-Form trat nun, entgegen den Erwartungen, nach Zugabe der BCR-ABL-Inhibitoren eine Aktivierung der RAF-Isoformen BRAF und CRAF sowie der nachgeschalteten Kinasen MEK (mitogen-activated protein kinase kinase) und ERK (extracellular signal-regulated kinase) ein. Diese paradoxe SignalwegAktivierung hängt mit der zusätzlichen schwachen Bindung der Inhibitoren an RAF zusammen, dessen partielle Inhibierung zu einer Dimerisierung und nachfolgend zur Aktivierung führt. In einem zweiten Schritt wurde dieser offtarget-Effekt in CML-Zellen überprüft. Die Ergebnisse stützen dabei die Rolle des aktivierten RAS: In Wildtyp-Zellen blieb der Effekt aus, da bereits mit der Inhibierung von BCR-ABL keine Aktivierung von RAS stattfinden kann. In Zellen, die BCR-ABLT315I exprimieren, wurde der Signalweg hingegen aktiviert und die Überlebensrate erhöht. Nun stellte sich die Frage, ob diese paradoxe Aktivierung einen therapeutischen Angriffspunkt für resistente Zellen bieten kann. Die daraufhin durchgeführte Untersuchung zeigte, dass die Kombination von Nilotinib und einem MEK-Inhibitor der Hyperaktivierung des RAF/MEK/ERK-Signalwegs tatsächlich entgegenwirkte, dadurch das Zellwachstum inhibierte und den Zelltod induzierte. Y Diese Arbeit zeigt eine Möglichkeit, das Auftreten von Resistenzen beim Patienten zu unterbinden. Zur Bestimmung der Effizienz dieser neuen therapeutischen Strategie sind weitere Experimente notwendig. Susanne Freund ó BIOspektrum | 03.12 | 18. Jahrgang 233_302_BIOsp_0312_233_302_BIOsp_0312 08.05.12 09:14 Seite 291 Shiga-Toxin durch Mn2+ auf den Abbauweg zurückgeführt Vor allem für den Menschen zellgiftige Shiga-(Neuro)Toxine (STx) werden vom eigentlichen Genus Shigella und von hämorrhagischen Colibakterien (EHEC) gebildet. Sie gelangen retrograd durch die Membranen in die Wirtszellen und umgehen dadurch den lysosomalen Abbau. Es gibt keine brauchbare antibiotische Behandlung; im Gegenteil birgt diese das Risiko der Toxinfreisetzung und damit lebensbedrohender Erkrankung. Für Labortiere sind Ruhrerreger verhältnismäßig harmlos. ó STx besteht aus einer katalytisch-toxischen A-Untereinheit, die mit der bindungsund transportvermittelnden B-Untereinheit über die Zellmembran durch frühes Endosom, das späte Endo- und Lysosom umgehend, in den Golgi-Apparat und das Endoplasmatische Reticulum geschafft wird, von wo es im Zytosol die Ribosomen inaktiviert und wirksam wird. Bisher sind keine chemotherapeutisch nützlichen niedermolekularen S-Antitoxine gefunden worden, wie denn überhaupt die molekularen Wechselwirkungen weitgehend ungeklärt blieben. Das Membranprotein GPP130, das zwischen Golgi-Apparat und Endosomen in bislang unbekannter Funktion kreist, wird durch 50–500 μM Mn2+ spezifisch gegenüber anderen ähnlichen Bakteriotoxinen abgebaut (Mukhopadhyay S, Linstedt AD, Proc Natl Acad Sci USA (2011) 108:858–863), und so prüften diese Autoren (Science (2012) 335:332–335) den Einfluss von Mn2+ auf den Transport von in der B-Untereinheit grünfluoreszenzmarkiertem STx. Tatsächlich stoppt dieser Transport komplett, während alle anderen Lebensäußerungen ungestört bleiben. Y Weitere Detailuntersuchungen bestätigen, dass das billige und bewiesen unschädliche Mn2+ in den gegebenen Konzentrationen äußerst effektiv und spezifisch einer STx-Vergiftung entgegenwirkt. In Zusammengabe mit einem Antibiotikum können auch solche durch abgetötete Bakterien beherrscht werden. Lothar Jaenicke ó MIMS als lebensbildgebendes Verfahren MIMS (Multiisotop-abbildende Massenspektrometrie) kann nicht nur zum Abbilden, sondern auch zum Verfolgen von laufenden Lebensvorgängen in Zellen eingesetzt werden. Bei der Methode werden lebende Zellen mit stabilen Isotopen markiert und anschließend mit einem Ionenstrahl angeregt, um die emittierten Sekundärionen massenspektrometrisch auf ihre Molekülzusammensetzung zu analysieren. Dies kann in einem engen Bereich stattfinden und gibt dadurch eine sehr genaue, auch abbildbare Unterscheidung zwischen Ionen sehr ähnlicher Masse, wie sie im Leben bei Stoff- und Molekülwechselvorgängen auftreten. Diese Methodik wird an zwei aktuellen Beispielen aus der Zell- und Entwicklungsbiologie demonstriert. ó Bei der asymmetrischen Verdoppelung von Stammzellen sollte auch deren Chromatin asymmetrisch segregieren. Das heißt, Tochterzellen, die Stammzellen bleiben, sollten ihre Ausgangs-DNA-Matrize behalten, die zur Differenzierung bestimmten dagegen die neusynthetisierten DNA-Stränge zugeteilt be- BIOspektrum | 03.12 | 18. Jahrgang kommen. Tatsächlich aber zeigen die MIMSErgebnisse beim Einbau von 15N-(bzw. 13C-) Thymidin oder 81Br- und 127I-Desoxyuridin in Menschen-Vorhautfibroblasten- und MausDünndarmkrypten-Zellkulturen unmittelbar, dass die DNA-Stränge in solchen proliferierenden Zellen statistisch markiert werden, also nicht segregiert bleiben (Steinhauser ML et al., Nature (2012) 481:516–519). In gleicher MIMS-Technik wurde der (im Gegensatz zum Küken) nach Maß der Grünfluoreszenzmarkierungskinetik auffallend schnelle Protein-Umsatz in den Spitzen des Aktins der mechanosensorischen Haarzell(Stereocilien)bündel des Innenohrs von Ochsenfrosch und Maus durch Einbau von 12C/15N nach Leucin-Verfütterung verfolgt. Nach diesen Ergebnissen wird nur das abschilfernde Spitzenprotein der Aktinbündel rasch ersetzt, während der Rest der Stereocilie träge stoff- und strukturwechselt (Zhang DS et al., l.c.:520–524). Y MIMS ist nach diesen Beispielen eine vielversprechende kinetische Methodik, Vorgänge im Leben zu verfolgen und zu deuten. Lothar Jaenicke ó