pdf des Bandes - Historisches Kolleg

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pdf des Bandes - Historisches Kolleg
Schriften des Historischen Kollegs
Herausgegeben von Lothar Gail
Kolloquien
79
R. Oldenbourg Verlag München 2011
Die Verteilung der Welt
Selbstbestimmung und das
Selbstbestimmungsrecht der Völker
The World Divided
Self-Determination and the Right of
Peoples to Self-Determination
Herausgegeben von
Jörg Fisch
unter Mitarbeit von
Elisabeth Müller-Luckner
R. Oldenbourg Verlag München 2011
Schriften des H istorischen Kollegs
herausgegeben von
Lothar Gail
in Verbindung mit
Johannes Fried, Peter Funke, H ans-W erner H ahn, K arl-H einz Hoffmann,
M artin Jehne, C laudia M arti, H elm ut Neuhaus, Friedrich W ilhelm Rothenpieler,
M artin Schulze Wessel und Andreas W irsching
Das H istorische K olleg fördert im Bereich der historisch orientierten W issenschaften G e­
lehrte, die sich durch herausragende Leistungen in Forschung und Lehre ausgew iesen haben.
Es vergibt zu diesem Zweck jährlich bis zu drei Forschungsstipendien und zw ei F ördersti­
pendien sow ie alle drei Jahre den „Preis des H istorischen K ollegs“.
D ie Forschungsstipendien, deren Verleihung zugleich eine A uszeichnung für die bisherigen
Leistungen darstellt, sollen den berufenen W issenschaftlern w ährend eines Kollegjahres die
M öglichkeit bieten, frei von anderen Verpflichtungen eine größere A rbeit abzuschließen.
Professor Dr. Jö rg Fisch (Zürich) w ar - zusam m en mit Prof. Dr. A lbrecht C ordes (Frankfurt
a. M .), Prof. Dr. G eorg Schm idt (Jena), Dr. Jan Plam per (Tübingen) und PD Dr. M artin
W rede (G ießen) - Stipendiat des H istorischen Kollegs im K ollegjahr 2007/2008. Den O blie­
genheiten der Stipendiaten gem äß hat Jö rg Fisch aus seinem A rbeitsbereich ein K olloquium
zum Them a „Selbstbestim m ung und Selbstbestim m ungsrecht: Errungenschaft der M oderne
oder kollektive Illusion? / Self-D eterm ination and the R ight of Self-D eterm ination: Achieve­
ment of M o dern ity or C ollective Illusio n ?“ vom 14. bis 16. Februar 2008 im H istorischen
K olleg gehalten. Die Ergebnisse des K olloquium s w erden in diesem Band veröffentlicht.
Das H istorische K olleg w ird seit dem K ollegjahr 2000/2001 - im Sinne einer „public private
partnership“ - in seiner G rundausstattung vom Freistaat B ayern finanziert, die M ittel für die
Stipendien stellen gegenw ärtig die Fritz Thyssen Stiftung, der Stiftungsfonds D eutsche Bank,
die G erda H enkel Stiftung und der Stifterverband für die Deutsche W issenschaft zu r Verfü­
gung. Träger des H istorischen Kollegs, das vom Stiftungsfonds Deutsche Bank und vom Stif­
terverband errichtet und zunächst allein finanziert w urde, ist die „Stiftung zu r Förderung der
H istorischen Komm ission bei der B ayerischen A kadem ie der W issenschaften und des H isto­
rischen K ollegs“.
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TCDM 0 7 0
1
,10/1 7A-JO/I Q
Inhalt
J ö r g Fisch
E in leitu n g............................................................................................................................
VII
Verzeichnis der T agungsteilnehm er...........................................................................
XXI
I. Grundlagen
G eorg K oh ler
Selbstbestimmung, individuell und kollektiv. Oder: Rousseaus Problem . .
3
O n utna Yasuaki
Self-Determination and the Right of Self-Determination. An Overview
from a Trans-Civilizational Perspective ..................................................................
23
II. Die Frühe Neuzeit, die Französische Revolution und die Folgen
H ein z D u ch h a rd t
Fremdbestimmung statt Selbstbestimmung. Das Vorfeld von „Selbst­
bestimmung“ im 18. Jahrhundert .............................................................................
41
H e in h a r d S te ig e r
Das natürliche Recht der Souveränität der Völker. Die Debatten der
Französischen Revolution 1789-1793 ....................................................................
51
J ö r g Fisch
Selbstbestimmung vor der Selbstbestimmung. Die Herausbildung des
modernen Begriffs des Selbstbestimmungsrechts der Völker in Am erika .
87
III. Die Zeit der Weltkriege
J o s t D ü lffe r
Die Diskussion um das Selbstbestimmungsrecht und die Friedens­
regelungen nach den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts ...................................
113
M arina C attaruzza und S acha Zala
Wider das Selbstbestimmungsrecht? Wilsons Vierzehn Punkte und Italien
in der europäischen Ordnung am Ende des Ersten Weltkriegs .....................
141
M a rc F rey
Selbstbestimmung und Zivilisationsdiskurs in der amerikanischen
Außenpolitik 1917-1950 ................................................................................................
157
VI
In h a lt
IV. UNO und Völkerrecht
P e t e r H ilp old
Humanitäre Intervention: Neue Perspektiven für ein geächtetes
Instrument der V ölkerrechtsgeschichte?..................................................................
175
R a m on L eem a n n
Pathos und Pathologie des Selbstbestimmungsrechts der Völker:
Individualbeschwerden vor dem U N O -M enschenrechtsausschuß..............
191
H a n s-Jo a ch im I l e i n t z e
Indigene Völker und das Selbstbestimmungsrecht. Selbstbestimmungs­
forderung als Sackgasse? ................................................................................................
223
V. Neuere rechtlich-politikwissenschaftliche Ansätze - und die Zukunft?
S tefa n Wo I ff
Resolving Self-Determination Conflicts: The Emerging Practice of
Complex Power S h arin g ................................................................................................
255
K ristina R o ep sto rff
Understanding Self-Determination as Non-Domination: C alling for a
Shift from Government to Governance? ...............................................................
285
W olfga n g D a n sp e ck g ru b e r
Self-Determination in Our Time: Reflections on Perception,
Globalization, and C h an ge...........................................................................................
307
R egister.................................................................................................................................
333
Jörg Fisch
Einleitung
Es gibt Begriffe, die aufgrund ihres Wortlauts eine solch Suggestiv- und zuweilen
sogar Sprengkraft entwickeln, daß eine längere Phase der Vorbereitung und Ge­
wöhnung erforderlich ist, bevor der dafür zur Verfügung stehende Ausdruck auch
tatsächlich für den gemeinten Sachverhalt verwendet wird, wodurch dieser dann
wieder um so prominenter hervortritt. Ein besonders ausgeprägtes Beispiel dafür
ist die Selbstbestimmung von Kollektiven, Staaten oder Völkern, und erst recht
das Selbstbestimmungsrec/?f der Völker. Die Sprache wehrt sich gleichsam gegen
die Verwendung desjenigen Wortes, das den zugrundeliegenden Sachverhalt am
deutlichsten und kompromißlosesten zum Ausdruck bringt, und selbst nachdem
das Wort, oder genauer: die Formel vom Selbstbestimmungsrecht der Völker ein­
mal geschaffen ist, sträubt sich diese gegen ihre Verwendung. Hat sich die Formel
schließlich doch durchgesetzt, hält der Widerstand an, indem ihre Bedeutung im­
mer wieder abgeschwächt wird.
Der Begriff der Selbstbestimmung wird zuerst für das Individuum gebildet, als
eine Art intensivierter Freiheitsbegriff. Uber die bloße Freiheit, zu tun und zu
lassen, was er w ill, hinaus bestimmt der Mensch sich und sein Tun selbst, und
schließlich erhält er sogar das R ech t, dies zu tun. Die eigentliche Schwierigkeit
entsteht bei der Ausweitung vom Individuum zum Kollektiv, zum Staat, der N a­
tion, oder eben, am prägnantesten, zum Volk. Statt von Selbstbestimmung spricht
man vielerorts nur von Unabhängigkeit und betont damit das aktive Element
weit weniger als bei der Selbstbestimmung. Nachdem sich die Formel im
20. Jahrhundert einmal durchgesetzt hat, wird immer wieder versucht, ihre Be­
deutung einzuschränken, indem die Selbstbestimmung ganz oder teilweise durch
Fremdbestimmung ersetzt wird. Das ist, so sehr es dem Wortlaut widerspricht,
verständlich. Schon die Vorstellung eines Zustandes der Welt, in der jedes Indivi­
duum ganz und gar selbstbestimmt lebt, eines herrschaftsfreien Zustandes also,
ist utopisch, und noch mehr gilt das für einen Zustand, in dem jedes Kollektiv,
oder zumindest jedes Volk, sich ganz und gar selbst bestimmt. Und doch w ird ge­
nau dies mit der F’ormel vom Selbstbestimmungsrecht der Völker immer wieder
versprochen.
Im vorliegenden Band sollen die angedeuteten Schwierigkeiten und W idersprü­
che historisch und systematisch aus der Perspektive der hauptsächlich daran
beteiligten Disziplinen ausgeleuchtet werden. Wie ist die Formel vom Selbstbe­
VIII
J ö r g F is c h
stimmungsrecht entstanden? Handelt es sich um eine spezifisch moderne Erschei­
nung? Welchen Beitrag können die Geschichtswissenschaft, die Philosophie, die
Völkerrechts- und die Politikwissenschaft dazu leisten?
Die eigentliche Grundlage bildet eine systematische Frage: Wie ist ein Übergang
von der individuellen zur kollektiven Selbstbestimmung möglich? Dabei geht
G e o r g K ö h l e r von der Frage aus: Was kann „individuelle Autonomie unter den
Bedingungen der menschlichen sozialen N atur überhaupt sein?“ Es geht um das
Verhältnis zwischen individueller und kollektiver Selbstbestimmung. Der Autor
spricht von Rousseaus Problem, behandelt es aber in einem weiteren Rahmen als
Problem der modernen kontraktualistischen Staatstheorie überhaupt, die er w ie­
derum, am Beispiel des Aristoteles, mit der Antike kontrastiert. Während die A n­
tike von empirischer Ungleichheit ausgeht, ist für die Moderne der axiomatische
Ausgangspunkt die Gleichheit der Menschen. Die Theorie muß sich an der Frage
abarbeiten, wie der selbstbestimmte, autonome Mensch sich den Zwängen seiner
sozialen Natur, die ihn auf eine Gemeinschaft angewiesen sein lassen, entziehen
und doch überleben kann. Im M ittelpunkt steht der Autor, der die Frage am in­
tensivsten und mit der größten W irkung behandelt hat, Rousseau. Kohler zeigt,
daß das Konzept der v o l o n t e g e n e r a l e keineswegs totalitär, wohl aber totalitaris­
musanfällig ist. Dabei w ird deutlich, daß auch Rousseau „sein“ Problem nicht
w irklich zu lösen vermag. Die Konsequenzen, die sich daraus für das Konzept
einer kollektiven Selbstbestimmung und eines Selbstbestimmungsrechts der Völ­
ker ergeben, sind von größter Bedeutung. In dieser Sicht verhält sich die inter­
nationale Gemeinschaft durchaus konsequent, wenn sie (wenngleich aus anderen
Gründen) sich weigert, das Subjekt des Selbstbestimmungsrechts, das Volk, zu
definieren. Kohlers These ist, „daß die Fragen nach dem Wer und dem Was des
Volkes im Rahmen dieser Theorie der Volkssouveränität durchaus nicht klar und
ein für allemal zu beantworten sind“. An die Stelle systematischer Ableitungen
tritt der „Rekurs auf kontingente Umstände und bewußt handelnde Akteure und
deren Leistungen“.
So führen die Überlegungen zu den philosophisch-staatstheoretischen H inter­
gründen des Selbstbestimmungsrechts zu zurückhaltenden Antworten, die gerade
dadurch mit der Empirie vereinbar sind. Denn die Empirie besagt letztlich, daß
eine umfassende und abschließende Verwirklichung der Idee des Selbstbestim­
mungsrechts der Völker, eine vollständige Aufteilung der Welt in voneinander
abgegrenzte Völker nicht möglich ist. Dabei ist noch auf einen weiteren für die im
Sammelband behandelte Problematik wichtigen Aspekt hinzuweisen: Auf der
einen Seite steht die Frage nach dem Verhältnis von Individuum und Gemein­
schaft, von „Ich und W ir“, auf der anderen diejenige nach „Wir und Ihr“, nach der
Abgrenzung gleich(artig)er Einheiten, also, auf der Eibene der Kollektive, von
Völkern oder Staaten. Auf diese Weise bildet der Beitrag den Übergang von den
Grundlagen zur Empirie kollektiver Selbstbestimmung, und er zeigt zugleich
deren Grenzen.
E in le itu n g
IX
Damit ist der Übergang von der individuellen zur kollektiven Selbstbestimmung
erfolgt. O N U M A Yasuaki ordnet diese, und insbesondere das Selbstbestim­
mungsrecht, aus primär völkerrechtlicher Sicht in einen größeren weltgeschichtli­
chen Zusammenhang ein. In einer solchen Betrachtungsweise werden die Ausein­
andersetzungen am Ende des Ersten Weltkrieges, mit Wilson und Lenin als Prota­
gonisten, zu einer bloßen Episode. Den Ausgangspunkt bildet die Aufteilung der
Erde in unterschiedliche Rechtsräume. Meistens aus großen Imperien heraus ent­
stehen Systeme internationaler Rechtsbeziehungen, die - so scheint jedenfalls die
Annahme - einigermaßen friedlich koexistieren. Höhepunkt und Sündenfall zu­
gleich bildet die europäische Expansion seit dem 15./16. und speziell im 19. Jahr­
hundert. Der Eroberung der Welt entspricht ein arrogantes und exklusives Selbst­
bewußtsein auf der Grundlage einer beanspruchten Zivilisationsmission, die
schließlich dank machtmäßiger Überlegenheit weitgehend durchgesetzt wird.
Eine besondere Rolle kommt dabei Japan zu.
Nach dieser Vereinnahmung der Welt durch eine Zivilisation auf Kosten aller
anderen kündigt sich eine Gegenbewegung an. Sie vermag sich zuerst kaum
durchzusetzen, gewinnt dann aber immer größeren Schwung. Die von den Euro­
päern (auch den vor allem nach Am erika ausgewanderten) durchgesetzte inter­
nationale Ordnung wird von den außereuropäischen Zivilisationen zunehmend
auch für sich beansprucht, im Sinne der Gleichheit der Völker und Staaten. Der
Autor zeichnet den großen Bogen der Entkolonisierung. Am Ende des Ersten
Weltkrieges gelingt es den Europäern und Amerikanern noch, das Selbstbestim­
mungsrecht auf sich selbst zu begrenzen. Nach dem Zweiten W eltkrieg hingegen
gewinnt die Entkolonisierung ein unwiderstehliches Gewicht, zumal auch die
Supermächte sich nun, ob zu Recht oder zu Unrecht, als Anhänger des Selbstbestimmungsrechts und der Gleichheit der Staaten ausgeben. Die alte Vielfalt der
Zivilisationen ist über die europäische Vormachtstellung zur einheitlichen Welt­
ordnung geworden.
Der große Ü berblick schließt in einem ausgesprochen skeptischen Ton, der in
dieser Deutlichkeit zumindest in der Völkerrechtswissenschaft eher selten ist.
Nach der nahezu vollständigen Entkolonisierung, durch die die Kolonien zu un­
abhängigen, freien und gleichen Staaten geworden sind, führt das Selbstbestim­
mungsrecht tendenziell immer stärker zu Auseinandersetzungen. Die Berufung
auf das Selbstbestimmungsrecht dient der Zementierung der weltweiten territo­
rialen Besitzverteilung und der Verweigerung der Unabhängigkeit sowie der
Rechtfertigung ethnischer Säuberungen und anderer Formen der Gewaltanwen­
dung. Die Frage, ob das Selbstbestimmungsrecht mehr Vor- oder Nachteile mit
sich gebracht hat, bleibt offen. Ebenso bleibt offen, was genau die richtige und
welches die mißbräuchliche Verwendung des Begriffs ist. Sicher ist nur, daß eine
Rückkehr zu Verhältnissen, wie sie vor der europäischen Expansion herrschten,
nicht möglich ist.
Damit ist der Rahmen für die Einzeluntersuchungen gespannt.
X
J ö r g F is c h
H ein z D u ch h a r d t befaßt sich mit der Empirie an ihren Ursprüngen. Er arbeitet
die Mitte des 18. Jahrhunderts als Scharnier zwischen vormodernem und moder­
nem Umgang der Staaten mit Gebietsverschiebungen heraus, als eine Phase, in der
die Elemente der Selbstbestimmung und des Selbstbestimmungsrechts entstehen,
ohne daß der Ausdruck bereits vorhanden wäre. Er verdeutlicht den Sachverhalt
anhand zweier Beispiele. Das erste, die „Verschiebung“ des Herzogs von Lothrin­
gen in die Toskana 1736/37, steht paradigmatisch für die frühe Neuzeit. Die Be­
völkerung wurde nicht im geringsten konsultiert. Die Einstellung der Betroffenen
war irrelevant; entscheidend w ar der Konsens der europäischen Staaten und D y­
nastien. Daß die Zeit für eine andere Politik noch nicht reif war, zeigte sich in den
fehlenden Protesten. Das Beispiel bestätigt die Hypothese, „daß der vorrevolutio­
nären Zeit die Sache an sich fremd w ar“. Wenige Jahrzehnte später w ar die Sache
zu guten Teilen da, auch wenn der Begriff noch weitgehend fehlte. Als Genua
1768 Frankreich die Insel Korsika verkaufte, war das die Folge eines jahrzehnte­
langen Aufstands. Anders als im Falle Lothringens hatte das Volk seine Wünsche
und Vorlieben geäußert, sie aber noch nicht durchgesetzt. So stand das Konzept
am Vorabend der Revolution bereit, mußte aber noch aufgegriffen und verw irk­
licht werden. Einstweilen gingen der Ländertausch und der Länderschacher in der
Praxis weiter.
Es gehört zu den erstaunlichen Befunden der Begriffsgeschichte, daß die Selbstbe­
stimmung und das Selbstbestimmungsrecht da, wo man ihr frühestes Erscheinen
am ehesten erwarten würde, nämlich in den beiden großen Revolutionen am Ende
der Aufklärung, der amerikanischen und der französischen, nicht V orkom m en,
weder als A usdruck noch wenigstens der Sache nach. Die US-Unabhängigkeitserklärung konzentriert sich statt dessen auf das klassische Widerstandsrecht, die
Französische Revolution auf die Volkssouveränität. Das ist der Befund von H e in h a r d S te ig e r anhand der Debatten der großen französischen parlamentarischen
Versammlungen der Jahre 1789-1793. Im Zentrum steht dabei das Aufkommen
der Volkssouveränität, die konsequent nach zwei Richtungen hin eingesetzt wird;
nach innen zur Schwächung der alten Gewalten und nach außen zur Stärkung der
Nation im Sinne der Expansion. Steiger zeigt, wie die Berufung auf die Freiheit
und Souveränität des Volkes asymmetrisch erfolgt, zugunsten Frankreichs und
auf Kosten der Nachbarstaaten und -territorien, die sukzessive Frankreich einver­
leibt werden, aber nicht, oder zumindest nicht formell, durch Eroberung und A n­
nexion, sondern aufgrund des Wunsches der betroffenen Bevölkerung. Bei dieser
Gelegenheit entstand auch das moderne Gebietsplebiszit, doch wurde es in sol­
chem Ausmaß manipuliert, daß es seine G laubwürdigkeit gründlich und für lange
Zeit verlor. Steigers Beitrag verweist indessen auf einen wahrscheinlich w ichti­
geren Grund für das Nichtaufkommen von Selbstbestimmungsforderungen; Der
sich revolutionierende Staat stand als Staat nicht zur Disposition. Vielmehr han­
delte es sich um einen der gefestigtsten und homogensten Staaten Europas. Hier
zeigte sich, daß das Selbstbestimmungsrecht in der Regel eine Waffe der Schwa­
chen ist, für diejenigen, die sich von irgendeiner als fremd empfundenen H err­
E in l e i t u n g
XI
schaft befreien wollen. Das war auch bei der frühen Entkolonisierung in Amerika
der Fall, zuerst noch unter der Flagge des Widerstandsrechts im Norden, einige
Jahrzehnte später dann schon unter Berufung auf ein umfassendes Recht auf U n­
abhängigkeit (nicht auf Selbstbestimmung) im Süden.
Steigers Analyse der Debatten macht deutlich, wie die formell gleiche A nwen­
dung der Volkssouveränität für - idealiter befristete - Asymmetrien zugunsten
Frankreichs sorgt. Zwar haben alle Völker natürliche Freiheit und Souveränität.
Solange aber noch die alten Gewalten an der Macht sind, hilft das den Völkern w e­
nig. Sie können sich zwar theoretisch selbst befreien. In der Praxis aber müssen sie
häufig befreit werden, von denen, die schon frei sind, also dem revolutionären
Frankreich. Daraus ergibt sich eine zunehmende Präponderanz Frankreichs, die
freilich auch als Präponderanz der Freiheit gelesen werden kann. So steht die fran­
zösische Revolution in der Geschichte des Selbstbestimmungsrechts an einem
wichtigen Wendepunkt: Nach der Herausbildung der Volkssouveränität fehlen
noch die Völker, die Träger eines postulierten Selbstbestimmungsrechts werden
könnten. Zunächst aber wird Frankreich als Sieger statt zum Protagonisten eines
Selbstbestimmungsrechts zum entschiedenen und kategorischen Feind jeder Se­
zession. Die Republik ist „une et indivisible“, und zw ar bis heute. Ähnliches gilt
später für die USA mit ih r e r rigorosen Ablehnung der Sezession. Es blieb der drit­
ten großen neuzeitlichen Revolution, der russischen, Vorbehalten, das Selbstbe­
stimmungsrecht der Völker als Waffe zu propagieren, wodurch es allererst zum
universal verbreiteten Begriff werden konnte.
Ursprung und Herkunft des Begriffs des Selbstbestimmungsrechts der Völker
sind bislang wenig untersucht worden, und die Kodifizierung von 1966 hat dazu
geführt, daß der Begriff meistens als Einheit betrachtet worden ist. J ö r g Fisch ver­
sucht, Differenzierungen einzuführen. Er vertritt die These eines amerikanischen
Ursprungs des Konzepts. Das leuchtet deswegen nicht ohne weiteres ein, w eil die
Formel, die sich w eltweit, insbesondere in der Uno, durchgesetzt hat, nämlich das
Selbstbestimmungsrecht der Völker, eine europäische Schöpfung ist, während in
Amerika eine prägnante Wendung weder vor Ort entstanden noch von außen
übernommen worden ist. Vielmehr hat man sich dort mit dem weniger schlag­
wortartigen Recht auf Unabhängigkeit begnügt.
Der Grund für den Unterschied Hegt, so die These des Autors, im Kolonialis­
mus. Die Formel vom Selbstbestimmungsrecht der Völker, die jedem Volk, ja je­
der Gruppe, die sich selber als Volk versteht, das Recht auf Selbstbestimmung und
damit auf einen eigenen unabhängigen, souveränen Staat in Aussicht stellt, ist po­
tentiell anarchisch, indem sie zur Auflösung jedes staatlichen Gebildes führen
kann. Amerika hat hier eine Lösungsmöglichkeit geschaffen, die vielerorts aufge­
griffen wurde, die aber nicht auf Europa übertragbar war. Man reduzierte das
Selbstbestimmungsrecht auf Fälle von Entkolonisierung, indem es nur Völkern
zugesprochen wurde, die unter Kolonialherrschaft standen. Das w ar eine Ein­
schränkung, die gewiß nichts mit Selbstbestimmung zu tun hatte, die aber eine
endlose Aufgliederung der bestehenden Staaten verhinderte. Außerdem wurden
XII
J ö r g Fisch
die kolonialen Grenzziehungen als unveränderlich festgeschrieben, und schließ­
lich wurde ein rigoroses Verbot der Sezession erzwungen: Ein Kollektiv, das nicht
unter Kolonialherrschaft stand, durfte sich nicht von der Gebietseinheit, zu der es
gehörte, lösen.
H ielt man sich an diese Einschränkungen und Auflagen, so w ar in Europa gar
kein Selbstbestimmungsrecht möglich. Wollte sich ein Volk dennoch verselbstän­
digen, so mußten die Einschränkungen weniger streng gefaßt werden. Das gelang
nicht w irklich. W ährend die Entkolonisierung in den von ihr betroffenen Gebie­
ten zu einer vergleichsweise stabilen internationalen Ordnung geführt hat, zuerst
in Amerika und dann in den übrigen Kolonialgebieten, scheiterte der Versuch,
innerhalb Europas eine vergleichbare Ordnung aufzubauen. Zuerst nach dem Er­
sten Weltkrieg. Während und nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Selbstbe­
stimmungsrecht teilweise sogar durch ein klares Prinzip der Fremdbestimmung in
der Form von Zwangsmigrationen ersetzt. Erst beim Versuch, ab 1989 Föderatio­
nen aufzulösen, griff man erneut auf das Selbstbestimmungsrecht zurück, doch
ohne Erfolg, ließ sich doch, anders als bei der Entkolonisierung, nicht begründen,
weshalb Föderationen grundsätzlich kein Existenzrecht haben sollten.
Auf diese Weise blieb die Differenz zwischen europäischem und am erikani­
schem Umgang mit dem Selbstbestimmungsrecht bestehen.
Das Konzept der Selbstbestimmung ist schon in der zweiten Hälfte des 18. Jah r­
hunderts entstanden, und die Formel vorn Selbstbestimmungsrecht der Völker
scheint spätestens in der M itte des 19. Jahrhunderts gebildet worden zu sein. Zum
politischen Schlagwort aber ist die Formel erst gegen Ende des Ersten Weltkrieges
geworden. Im Umkreis der damaligen Friedensschlüsse fand die agitatorische
Funktion des Schlagworts ihren Höhepunkt, und sie w irkte über den Zweiten
W eltkrieg hinaus nach. J o s t D ü lf fe r zeigt diesen Wandel bis in den Kalten Krieg
hinein. Was aus juristischer Sicht primär als Entwicklung erscheinen mag, wird in
der historischen Perspektive zur permanenten Auseinandersetzung, die zu immer
w ieder neuen Lernprozessen führt. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker
wurde am Ende des Ersten Weltkrieges zuerst zum agitatorischen Allerweltsbegriff. Doch schaffte die Formel es nie, zur allseitig anerkannten Grundlage der ge­
samten Friedensordnung zu werden. Sie blieb parteiisch und diente der Rechtfer­
tigung segmentierter Lösungen. Innerhalb dieser Grenzen aber war ihr politisches
Gewicht enorm. Schon die Zwischenkriegszeit brachte ihre Folgelasten ans Licht,
als die Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht zunehmend zum Instrument des
Revisionismus wurde. Die Konsequenz daraus war, daß die Formel des Selbstbe­
stimmungsrechts im Zweiten W eltkrieg kaum noch gebraucht wurde, schon gar
nicht von Seiten der Sieger. Zwar nahm d i e Atlantikcharta den G edan k en auf. Das
wurde erwartet. Aber der Ausdruck Selbstbestim m ung' wurde darin sorgfältig
vermieden, und die Formulierung w ar so vage wie möglich. M ittlerweile hatte die
Formel so zahlreiche Probleme hervorgebracht, auch in der Gestalt höchst unter­
schiedlicher Interpretationen in Ost und West, daß der Anreiz, auf sie zu verzich­
ten, um keine Schwierigkeiten zu provozieren, stärker w ar als die Hoffnung auf
E inleitun g
XIII
Propagandaerfolge. Schließlich aber erzielte die Formel doch noch einen großen
Erfolg, als sie, auf Initiative der Sowjetunion, an prominenter Stelle in die UnoCharta aufgenommen wurde. Dülffers Beitrag zeigt damit die Verselbständigung
und die Eigengesetzlichkeiten eines Begriffs und läßt dessen Geschichte als Resul­
tat wie als Faktor vielfältiger politischer Auseinandersetzungen erscheinen. 1945
wird zum Tiefpunkt, von dem aus später eine neue Bewegung, die (zweite) Ent­
kolonisierung ausgeht.
Das Selbstbestimmungsrecht ist zw ar schon vor dem Ersten Weltkrieg konzi­
piert und diskutiert worden, mit einiger W irkungsmacht aber nur in der sozialde­
mokratischen Bewegung. In Österreich entwarfen u.a. Bruno Bauer und Karl
Renner neue Verfassungsmodelle, während Lenin das Selbstbestimmungsrecht
schon 1903 in das Parteiprogramm der Bolschewiki einbrachte. Niemand aber
dachte daran, ein Selbstbestimmungsrecht oder -prinzip zur Grundlage für eine
Friedensordnung nach einem großen Krieg zu machen. Man hätte sonst, statt die
Waffen entscheiden zu lassen, im Frieden die Grenzen nach Selbstbestimmungs­
gesichtspunkten neu ziehen müssen. Als Lenin unmittelbar nach dem Ausbruch
der O ktoberrevolution dennoch das Selbstbestimmungsrecht als zentrales Prinzip
für den Friedensschluß proklamierte, diente es nicht der Suche nach Gerechtigkeit,
sondern als Waffe. Die gleiche Funktion erhielt es, vor allem im Sinne der Abwehr
des Bolschewismus, wenige Wochen später bei Wilson, der, anders als Lenin, die
Formel vom Selbstbestimmungsrecht der Völker bislang nicht gebraucht hatte.
Damit w ar die schwierige Ausgangssituation für den Friedensschluß gegeben, mit
dem sich M arina Cattarwzza und Sacha Zala beschäftigen. Ihr Beitrag verdeut­
licht am Beispiel des Verhältnisses zwischen Italien und der Habsburgermonar­
chie die Schwierigkeiten, die dadurch entstanden, daß die Pferde während des
Rennens gewechselt wurden. Die Kategorien von Bundesgenosse und Feind gin­
gen durcheinander. Die Profiteure und die Opfer des Selbstbestimmungsrechts
wechselten. Die Probleme wurden im Falle Italiens besonders deutlich. Sein Ver­
trag mit den Alliierten vom April 1915, in dem in aller Unbedenklichkeit die Ver­
teilung der zu erwartenden Beute geregelt wurde, war durchaus traditionell,
wurde aber im Lichte des Selbstbestimmungsrechts zu einer Monstrosität. Die
Differenzierung zwischen Siegern und Besiegten w ar nicht mehr plausibel. Italien
geriet in die unangenehme Situation, einen Teil seiner Beute nicht von Kriegsfein­
den, sondern von Mitsiegern einfordern zu müssen, in diesem Falle vom entste­
henden Jugoslawien, mit dem ein langanhaltender Streit um Fiume/Rijeka ent­
brannte. Um so hartnäckiger insistierte Italien auf dem Wortlaut der 1915 in Aus­
sicht gestellten Grenzregelung mit Österreich. Doch der damalige Vertrag, noch
unter ganz anderen Prämissen ohne den Gedanken an Selbstbestimmung ge­
schlossen, widersprach dem neuen Prinzip in Bezug auf Südtirol. So erhielt Italien
schließlich die Gebiete, die ihm nach neuer Legitimitätsauffassung nicht zustan­
den, während es diejenigen, die nach dem Kriterium der ethnischen Homogenität
eher ihm zugestanden hätten, bei einem ebenfalls unter Berufung auf das Selbstbe­
stimmungsrecht entstandenen Staat, nämlich dem neuen Jugoslawien, verblieben.
XIV
J ö r g F isc h
Nachträglich wurde deutlich, wie das Selbstbestimmungsrecht in der Großen Po­
litik noch 1915 nicht die geringste Rolle gespielt hatte. Wilson, und mit ihm die
Pariser Friedenskonferenz, versuchte, diese Widersprüche aufzulösen. Das gelang
bestenfalls in Ansätzen.
Der Name, der seit 1918 und bis heute sowohl von Spezialisten als auch von Laien
am häufigsten mit ,Selbstbestimmung' und ,Selbstbestimmungsrecht‘ in Verbin­
dung gebracht wird, ist sicherlich Woodrow Wilson, US-Präsident 1913-1921.
Diese Tatsache ist der Ausgangspunkt für ein Paradox, mit dem sich M a rc F rey
beschäftigt: Die amerikanische Diplomatie, und generell die US-Außenpolitik
benutzt den Begriff bis zum heutigen Tage so gut wie gar nicht. Erst recht gilt das
für die Zeit vor Wilson, obwohl die USA ja immerhin durch einen A kt der Entko­
lonisierung und der Selbstbestimmung entstanden sind.
Frey findet mögliche Gründe zunächst hauptsächlich in Wilsons Verständnis
von Selbstbestimmung und Selbstbestimmungsrecht. Wilson war alles andere als
ein konsequenter Verfechter eines universalen Selbstbestimmungsrechts. Er
knüpfte ein solches an drei Bedingungen. Vor allem mußte die Eignung und Be­
fähigung zur Selbstbestimmung da sein, und die sprach Wilson den Farbigen in
guter südstaatlicher Tradition ab, wenn auch nicht für alle Zeit, hielt er sie doch
immerhin für lernfähig. Aber er w ar alles andere als ein Befürworter eines univer­
salen Selbstbestimmungsrechts und p lä d i e r t e k e i n e s w e g s f ü r e i n e baldige Befrei­
ung der Kolonialvölker. Die zweite Bedingung, „good governance“, w irkte eben­
falls restriktiv, und noch mehr galt das für die dritte, die Demokratie. So erscheint
die Selbstbestimmung nicht etwa als universales Prinzip des Friedensschlusses,
sondern als M ittel zum Zweck, das sich in der spezifischen Situation von Kriegs­
ende und Friedensschluß anbot. Der inneramerikanische Kampf um die R atifizie­
rung des Friedens und den Beitritt zum Völkerbund verstärkte die Skepsis weiter.
Besonders auffällig ist die nahezu konsequente Nichtverwendung des Ausdrucks
durch Präsident Roosevelt. Selbst in der Atlantikcharta kam das Wort Selbstbe­
stimmung1 nicht vor, und auch der Sache nach war nicht w irklich davon die Rede.
Nach dem Zweiten W eltkrieg verzichteten die USA darauf, zum Wortführer in
Sachen Selbstbestimmung zu werden. Die Aufnahme des Begriffs in die UnoCharta und die verbale Unterstützung der Unabhängigkeitsforderungen der Ko­
lonialvölker blieb dem Sowjetblock überlassen. Einzig im Kalten Krieg, als der
Ostblock zum direkten Ziel amerikanischer Polemik wurde, wurde der Begriff
gelegentlich verwendet.
Die Frage, inwieweit dies eine insgesamt geplante Politik war, muß offen blei­
ben. Immerhin läßt sich eine Ergänzung einbringen. Die USA waren im 20. Jahr­
hundert fast immer die stärkste Macht. Hätten sie das Selbstbestimmungsrecht als
zentrales Element ihrer Außenpolitik propagiert, dann hätten sie einen Teil ihrer
Flandlungsfreiheit verloren, hätten sie doch in manchen Gebieten, in denen sie
sonst freie Hand hatten, Plebiszite durchführen müssen. Dieses Problem besteht
bis heute, und es fällt auf, daß die USA weder in Afghanistan noch im Irak Politik
mit dem Selbstbestimmungsrecht betreiben.
E in le itu n g
XV
Wie der Titel seines Beitrages andeutet, ist der Zugang von P e t e r H ilp old zum
Thema des Selbstbestimmungsrechts vermittelt. Er fragt nach dem Einfluß, den
ciie - höchst aktuelle - tendenzielle Ausweitung der humanitären Intervention
auf das Selbstbestimmungsrecht hat und noch haben könnte. Im Zentrum steht
die Geschichte der humanitären Intervention seit dem 19. Jahrhundert, die der
Autor auf der Grundlage des Gewaltverbots der U no-Charta darstellt und kri­
tisch analysiert. Er stellt insgesamt eine deutliche Zurückhaltung bei den Staaten
fest, verbunden aber mit der Tendenz, zumindest die M öglichkeit von Inter­
ventionen zu erleichtern, und sei es auch nur durch stillschweigende Duldung,
wie sie etwa in Kosovo erfolgte. Wegweisend erscheint ein einstimmig angenom­
menes Dokument der Uno-Generalversammlung von 2005, das dem Sicherheits­
rat die Kompetenz zu solchen Interventionen gibt, ihn aber nicht dazu ver­
pflichtet.
Dieser Wandel in der Sicht der humanitären Intervention findet nun sein Kor­
relat im Wandel der Auffassung vom Selbstbestimmungsrecht, an dem der Autor
einen äußeren und einen inneren Aspekt unterscheidet. Ging es traditionell pri­
mär um den äußeren, um die Unabhängigkeit und Selbständigkeit souveräner
Staaten, so geht es im Zusammenhang der humanitären Intervention um das Indi­
viduum, dessen Menschenrechte zu schützen sind. An die Stelle des Interesses der
Staaten tritt das Interesse der Individuen und letztlich der Menschheit.
Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist, wie schon der Name sagt, ein Kollek­
tivrecht par excellence. Andererseits ist die Selbstbestimmung zugleich ein indivi­
duelles Recht. Davon ist in den Menschenrechtspakten von 1966, in denen das
Selbstbestimmungsrecht der Völker an prominenter Stelle verankert ist, nicht die
Rede, obwohl beide Pakte, nicht nur derjenige über bürgerliche und politische,
sondern auch derjenige über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, Indi­
vidualrechte enthalten. Der Versuch, dem Selbstbestimmungsrecht maximales Ge­
wicht zu verleihen, hat vor dieser Schranke nicht halt gemacht, wie R a m o n L eem a n n s Beitrag zeigt. Der Pakt über bürgerliche und politische Rechte kennt einen
Mechanismus zur Durchsetzung, mit Staatenberichts- und Staatenbeschwerde­
verfahren, vor allem aber mit Individualbeschwerdeverfahren, letzteres vor einem
speziell für diesen Zweck eingesetzten Menschenrechtsausschuß. Allerdings gel­
ten diese Mechanismen nur für Staaten, die ein Zusatzprotokoll unterzeichnet ha­
ben, dem bis zum 24. November 2009 immerhin 113 Staaten beigetreten waren.
Aufgrund der Spagatstellung des Selbstbestimmungsrechts zwischen den bei­
den Pakten stellt sich die Frage, ob das Selbstbestimmungsrecht nur als kollektives
oder zumindest a u c h als individuelles Recht zu betrachten und damit dem Be­
schwerdeverfahren zugänglich zu machen ist. Weder die Pakte noch das Zusatz­
protokoll sagen dazu etwas aus. Um eine Antwort zu erhalten, untersucht Leemann die Praxis des Ausschusses. Grundsätzlich ist A rtikel 1, über das Selbst­
bestimmungsrecht der Völker, keineswegs von der Zuständigkeit des Ausschusses
ausgenommen. Seine Praxis aber hat sich zunehmend davon entfernt, und seit
etwa 1987 akzeptiert er keine Individualbeschwerden mehr zu A rtikel 1 des Pak­
XVI
J ö r g F is c h
tes und damit zum Selbstbestimmungsrecht. Darin liegt, formal gesehen, ein
unnötiger Verzicht auf Kompetenzen. Der Ausschuß könnte durch seine Praxis
das Selbstbestimmungsrecht genauer ausarbeiten und sogar ausweiten. Doch der
Autor vertritt die These, daß letztlich die Staaten selber gefordert sind angesichts
einer Selbstbestimmungsformel, die nicht definiert, was ein Volk ist. So wird vor­
derhand auch offen bleiben müssen, was die Bedeutung des Rechts aller Völker
auf Selbstbestimmung bezogen auf das Individuum ist. Der Aufsatz wird auf diese
Weise zu einem Beitrag zur K ritik des Begriffs des Selbstbestimmungsrechts der
Völker, wie sie seit Wilsons Zeit immer wieder formuliert worden ist: Wer mit
Hilfe der Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht ein bestimmtes Ziel erreichen
will, beruft sich auf ein solches Recht; wer hingegen den Status quo sichern will,
ordnet das Selbstbestimmungsrecht dem Recht der Staaten auf territoriale Unver­
sehrtheit unter.
Der Begriff des Selbstbestimmungsrechts hat im Verlauf des 20. Jahrhunderts im ­
mer mehr Prestige gewonnen. Um daran in möglichst großem Umfang teilhaben
zu können, nehmen die Interessierten auch Widersprüche und Absurditäten in
Kauf, wie H a n s-J o a ch im H e in tz e teils explizit, teils im plizit zeigt. Das Gerechtig­
keitsgefühl legt es nahe, das Selbstbestimmungsrecht gerade denjenigen zu gewäh­
ren, denen die Selbstbestimmung im Zuge der Eroberung der Welt durch die
Europäer, aber auch nach der Unterwerfung von Ureinwohnern in sich verselb­
ständigenden Siedlungskolonien wie den USA, Argentinien oder Australien und
selbst in Staaten mit zu unterschiedlichen Zeiten eingewanderter nichteuropäi­
scher Bevölkerungsmehrheit wie Indien oder China vorenthalten oder entzogen
worden ist. Auf der anderen Seite ist gerade diese Situation besonders konflikt­
trächtig, wenn man die potenziell weitreichenden Ansprüche der indigenen Völ­
ker mit deren tatsächlicher Macht vergleicht. Sie wurden zunächst nicht als Völ­
ker, sondern als M inderheiten behandelt. In einer langen Auseinandersetzung
aber setzten sich die indigenen Völker mit ihrem Anspruch auf das Selbstbestimmungsrecht schrittweise durch, zuerst in der Internationalen Arbeitsorganisation
(ILO) und schließlich in der Uno, 2007 mit der Erklärung über die Rechte indigener Völker. Die Erklärung gewährt den indigenen Völkern in A rtikel 3 ein vom
Wortlaut her gesehen uneingeschränktes Selbstbestimmungsrecht, wird doch die
gleich umfassende Formel verwendet wie in den Menschenrechtspakten von 1966.
Damit aber sind die indigenen Völker in eine Falle geraten, die eine Folge des Pre­
stiges des Selbstbestimmungsrechts ist. Im Grunde wissen alle Beteiligten, ohne es
zu sagen, daß ein Selbstbestimmungsrecht im Sinne eines umfassenden Sezessi­
onsrechts für die allermeisten indigenen Völker vollkommen illusorisch ist. Trotz­
dem wollen sie nicht darauf verzichten.
Man hat zwar 2007 eine uneingeschränkte Formel in die Erklärung aufgenom­
men. Dafür aber hat man es unterlassen, dem Selbstbestimmungsrecht eine halb­
wegs realistische Gestalt zu geben. Freilich haben die Staaten bereits dafür ge­
sorgt, daß die Bäume des Selbstbestimmungsrechts der indigenen Völker nicht in
den Himmel wachsen, indem die Selbstbestimmung stillschweigend auf Autono­
E in leitun g
XVII
mie reduziert worden ist. Dies wiederum verstärkt den fiktiven Charakter solcher
Rechte. Der Wortlaut der Menschenrechtspakte, in die Erklärung von 2007 über­
nommen, läßt keine Zweifel am umfassenden Charakter des Selbstbestimmungs­
rechts. Ebensowenig aber lassen die beteiligten Staaten einen Zweifel daran, daß
sie das Versprochene nicht gewähren wollen. Indern die indigenen Völker sich auf
diese unrealistische Ebene ziehen ließen, haben sie es verpaßt, realisierbare Forde­
rungen durchzusetzen. Statt dessen ist man kaum über den Rahmen der traditio­
nellen Minderheitsrechte hinausgelangt. Selbstverständlich wissen auch die be­
treffenden Führer, daß die Vorstellung, sie könnten unabhängige Staaten gründen,
ob für die Indianer in den USA oder für die Uiguren in China, die Ainu in Japan
oder die Sami in Skandinavien, unrealistisch ist. Wenn sie trotzdem auf der M ög­
lichkeit dazu insistieren, so muß das mit Vorstellungen über Prestige und Selbstwertgefiihl Zusammenhängen. Solange die Formel vom Selbstbestimmungsrecht
der Völker (auch der indigenen) benutzt wird, läßt sich ihr umfassender Anspruch
nicht einfach zum Verschwinden bringen.
Das Selbstbestimmungsrecht ist der Feind des Status quo, ob es nun zur A uflö­
sung oder zum Zusammenschluß bestehender Staaten oder gar zu einer völligen
staatlichen Neuordnung führt. Das hat, im Interesse der Selbsterhaltung des Staa­
tensystems, immer wieder zu Versuchen geführt, Konflikte antizipierend zu lösen
oder wenigstens abzuschwächen. S tefa n Wolffs Beitrag ist der A nalyse und Eva­
luation solcher Anstrengungen gewidmet. Er geht von der klassischen Differen­
zierung zwischen innerer und äußerer Souveränität aus, gemäß der oft zwischen
innerer und äußerer Selbstbestimmung unterschieden wird. Außere Selbstbestim­
mung bedeutet in der Regel, daß ein Gebiet zum souveränen Staat wird, während
innere Selbstbestimmung mehr oder weniger weitreichende Autonomie für Ge­
bietseinheiten innerhalb eines Staates im pliziert. Anhand dieser Differenzierung
entwickelt Wolff ein elaboriertes System von Institutionen und Mechanismen, die
zur Lösung von Konflikten beitragen können, die aus Selbstbestimmungswün­
schen entstehen. Die Prämisse liegt also in der Annahme, daß das Selbstbestim­
mungsrecht den Status quo verändert. Ziel ist es, diesen Charakter zu neutralisie­
ren oder wenigstens abzuschwächen. Wolff spricht von ,komplexer M achtteilung“
(„complex power sharing“). Er untersucht zehn Fälle aus den letzten Jahren und
Jahrzehnten, von den Philippinen bis Gagausien. Im M ittelpunkt der Betrachtung
stehen aktuelle Versuche, die Dichotomie von Status quo und vollständiger Sezes­
sion zu überwinden, indem immer neue Bereiche möglicher Partizipation er­
schlossen werden. Insofern ist der Ansatz ausgesprochen konstruktiv, in einem
realistisch-konservativen Rahmen: Ziel ist nicht die volle Verwirklichung des
Selbstbestimmungsrechts aller Völker, die eine Aufsplitterung der Staatenwelt
nicht nur in Kauf nimmt, sondern sogar durchsetzt, solange dies der W ille der
Völker ist; es ist vielmehr die Suche nach einem M ittelweg, der so viele Konfliktregelungsmaßnahmen einführt, wie nötig sind, um Ruhe und Stabilität zu sichern.
Die Kernfrage des Selbstbestimmungsrechts ist, ob die beiden Ziele miteinander
XVIII
J ö r g F is c h
vereinbar sind. Von Plebisziten ist nicht die Rede. Sie würden die durch komplexe
Machtteilung erreichte Stabilität nur gefährden.
Aus der Sicht des H istorikers wäre es reizvoll, dieses Modell komplexer M acht­
teilung mit den verschiedenen Vorschlägen zur weiterreichenden föderalistischen
Aufgliederung der Donaumonarchie vor 1919 zu vergleichen, insbesondere von
Karl Renner, Bruno Bauer und Aurel Popovici.
In der Praxis ist das Selbstbestimmungsrecht konfliktträchtig, da sich die Ansprü­
che der Beteiligten oft überschneiden: Wenn diejenigen, die Selbstbestimmung für
sich beanspruchen, sie auch zu erlangen vermögen, dann wird die Selbstbestim­
mung derer, die sie bereits hatten, eingeschränkt.
Diesen Sachverhalt nimmt K ristina R o e p s t o r f f zum Ausgangspunkt, von dem
aus sie einen wenn nicht geradezu konfliktfreien so doch konfliktärmeren Selbstbestimniungsbegriff entwickelt. Sie sieht das derzeitige Verständnis von kollekti­
ver Selbstbestimmung als durch das Souveränitätsparadigma geprägt: Selbstbe­
stimmung hat, wer die Souveränität ausübt. Wenn aber beliebige Kollektive die
Souveränität für sich beanspruchen, werden Konflikte unvermeidbar, auch wenn
Selbstbestimmung als Nichteinmischung definiert wird. Hier gewinnt der Ü ber­
gang vom negativen zum positiven Begriff entscheidende Bedeutung. Als N icht­
einmischung ist Selbstbestimmung lediglich negativ. Sollen Konflikte vermieden
oder gar gelöst werden können, so ist Kooperation, sind Beziehungen erforder­
lich. Dafür entwickelt die Autorin ein abstraktes Modell. Es reicht nicht, wenn die
unterschiedlichen Subjekte des Selbstbestimmungsrechts nichts miteinander zu
tun haben. Sie müssen, soweit sie aufeinander angewiesen sind, friedliche Bezie­
hungen pflegen. Selbstbestimmung ist kein absolutes Recht, sondern sie muß ge­
gen andere Rechte - etwa dasjenige auf territoriale Unversehrtheit - gewisserm a­
ßen verrechnet und den Umständen gemäß angewendet werden. Daraus entsteht
ein flexibles, kontextabhängiges Recht. Selbstbestimmung wird zur N icht-H err­
schaft. Die Autorin sucht so einen Ausweg aus der K onfliktträchtigkeit der
Selbstbestimmungspraxis. Sie bietet einen einleuchtenden Vergleich. Dieser geht
aus von der in der Politikwissenschaft sich ausbreitenden Differenzierung zw i­
schen g o v e r n m e n t und g o v e r n a n c e , von formeller staatlicher Regierung und in­
formellen, die Zivilgesellschaft einbeziehenden Regelungen, durch die Konflikte
schon im Vorfeld verhindert werden können. So wie der Staat seine Rechte teil­
weise an die Zivilgesellschaft abtritt, so muß in diesem Modell der Staat auf Ele­
mente der Herrschaft verzichten, im Interesse herrschaftsfreier Beziehungen zu
anderen Staaten. Besonders hervorzuheben ist die These, daß gänzliche Unabhän­
gigkeit (und damit Selbstbestimmung) nicht möglich ist, weshalb es wesentlich
darum geht, die ohnehin unvermeidlichen Beziehungen möglichst friedlich und
kooperativ zu gestalten. Hier liegt jedenfalls eine Herausforderung für die tradi­
tionelle Sicht.
W o lfga n g D a n s p e ck g r u b e r stellt in seinem abschließenden Ü berblick die Selbstbe­
stimmung in den Rahmen des globalen internationalen Systems und analysiert die
E in le itu n g
XIX
Zusammenhänge zwischen dem Wandel dieses Systems seit etwa 1989 und den
Veränderungen, die die Selbstbestimmung dabei erfahren hat. Er betrachtet die
Selbstbestimmung konsequent als Funktion der W eltpolitik, systematisch, aber in
historischer Perspektive. Im M ittelpunkt stehen die beiden Zeitenwenden von
1989 und - noch mehr - des 11. September 2001. Die Rolle der Selbstbestimmung
in der Politik hängt von der Politik selber ab, wie der Autor vor allem am Beispiel
der Folgen des 11. September deutlich macht - Bewegungen, die Selbstbestim­
mung fordern, sind eine Funktion der jeweiligen Machtverhältnisse. Die Kritik
des Autors konzentriert sich auf den Umgang vor allem der großen Staaten mit
dem Kosovo-Problem. Man war sich einig darüber, daß hier ein Pulverfaß lag und
wollte es so schnell wie möglich entschärfen. Das geschah mit Erfolg. Doch der
Preis war hoch. Auch wenn die H auptakteure beteuerten, es handle sich um einen
Fall sui generis, der nicht zum Präzedenzfall werden könne, so trat doch genau
dies ein.
Von der Kosovo-Frage weitet der Beitrag den Blick auf die weltgeschichtlichen
Fluchtlinien vor und nach dem 11. September, und weiter auf die Funktion der
Selbstbestimmung, jeweils verkörpert durch selbstbestimmungsbedingte Kon­
flikte. Die Terroranschläge führten zum Krieg gegen den Terror, mit zunehmend
brutaleren Methoden, und seitdem werden auch die Selbstbestimmungskonflikte
mit größerer Härte ausgetragen. Die Selbstbestimmung wird zum Werkzeug für
die Erreichung geostrategischer Ziele. Danspeckgruber zeichnet zwei extreme
Möglichkeiten, in denen die Selbstbestimmung wieder als abhängige Variable er­
scheint. Gelingt es, das Globalisierungsprojekt erfolgreich zu Ende zu führen,
dann werden die Selbstbestimmungskonflikte an Bedeutung verlieren, ja überflüs­
sig werden, da die Menschen ihre Ziele unabhängig von ihrem ethnischen, sprach­
lichen, religiösen etc. Hintergrund erreichen können. Scheitert das Projekt, so
droht eine Verschärfung der Konflikte.
Der Aufsatz macht deutlich, daß Selbstbestimmungskonflikte stets in einem
größeren Zusammenhang stehen, daß lokal begrenzte Phänomene global analy­
siert werden müssen. Dabei legt der Autor Wert auf die Herausarbeitung der Be­
sonderheiten des sogenannten GWOT (Global War on Terrorism), der Gefahr
läuft, Freiheitskämpfer ohne zureichenden Grund in Terroristen zu verwandeln.
Er wird zum „self-fulfilling mechanism“. Im Endeffekt steht die Selbstbestim­
mung zwischen einem echten Ideal und einem Werkzeug von Interessen. Schließ­
lich berücksichtigt der Autor auch die Auswirkungen des technischen Wandels,
insbesondere des Internets, der zu einer zunehmenden Individualisierung und da­
mit zum Rückgang der Bedeutung der (kollektiven) Selbstbestimmung führe.
Das regulative Prinzip der Selbstbestimmung ist die Herrschaftsfreiheit: Jeder be­
stimmt sich selbst, bestimmt über sich selbst. Also kann keiner über andere be­
stimmen. Die W irklichkeit sieht freilich anders aus. Immer wieder haben sich die
Selbstbestimmung und das Selbstbestimmungsrecht als Waffen, als Mittel des po­
litischen Kampfes erwiesen, von der Entkolonisierung in Amerika und den Ple­
bisziten der frühen französischen Republik bis zur Auflösung der Kolonialreiche,
XX
J ö r g F is c h
Jugoslawiens und der Sowjetunion. Die Unfähigkeit, eine stabile Aufteilung der
Welt in Staaten vorzunehmen, braucht nicht zu erstaunen. Das Selbstbestim­
mungsrecht der Völker ist ein zum Scheitern verurteilter Versuch, D ynam ik und
Statik miteinander vereinbar zu machen. Die Formel verspricht jedem Volk einen
eigenen souveränen Staat, oder jedenfalls das Recht auf einen solchen. Die Wahr­
nehmung dieses Rechts aber ist eine Funktion individueller W illensentscheidun­
gen. Letztlich geht es darum, daß jedes Individuum im Staat seiner Wahl leben
kann. Daß ein solcher Zustand der Welt eine Utopie ist, braucht nicht betont zu
werden.
Das Selbstbestimmungsrecht führt von seiner Intention her zu einer stabilen,
abschließenden Verteilung der Welt unter die Völker. Doch besteht keine Garan­
tie, daß die Völker so siedeln, daß sich aus ihren Siedlungsgebieten funktionie­
rende Staaten bilden lassen. Außerdem können sich die Zugehörigkeitswünsche
ständig ändern. Sollen sie berücksichtigt werden, so muß die Verteilung der Welt
unter Staaten immer wieder revidiert werden. Dafür fehlt ein Instrument. Tradi­
tionell ist die Gebietsverteilung der Welt in erster Linie durch Gewalt den verän­
derten Verhältnissen angepaßt worden, nicht durch Feststellung der Wünsche der
Betroffenen. Ziel muß es sein, die Statik der Gebietsverteilung, die zugleich die
Statik des internationalen Systems ist, in eine D ynam ik überzuführen, also die in­
ternationale Ordnung aus einem starren Rahmen, der den Menschen ihre staatli­
che Zugehörigkeit vorgibt, zu einer Funktion ihrer Wünsche und Absichten zu
machen. Freilich wird sich ein solches Ziel nie in vollem Umfang verwirklichen
lassen. Einerseits ist eine alle Wünsche berücksichtigende Aufteilung der Welt
ebenso ausgeschlossen w ie ein alle individuellen Wünsche erfüllendes Wetter, und
andererseits läßt sich Herrschaftsfreiheit bestenfalls in Ansätzen verwirklichen.
Dennoch ist die Anpassung der internationalen Ordnung an die Dynamik der
Wünsche der Betroffenen heute angesichts des bestehenden Kriegsverbots beson­
ders dringlich. Wenngleich die Entkolonisierung abgeschlossen ist, dürfte das
Selbstbestimmungsrecht seine Bedeutung doch noch lange nicht verloren haben.
Verzeichnis der Tagungsteilnehmer
Prof. Dr. Marina Cattaruzza, Bern; [email protected]
Prof. Dr. Wolfgang Danspeekgruber; Princeton, [email protected]
Prof. Dr. Heinz Duchhardt, M ainz; [email protected]
Prof. Dr. Jost Dülffer, Köln; [email protected]
Prof. Dr. Jörg Fisch, Zürich (Stipendiat des Historischen Kollegs 2007/2008);
[email protected]
Prof. Dr. Marc Frey, Bremen; [email protected]
PD Dr. Hans-Joachim Heintze, Bochum; [email protected]
Prof. Dr. Peter Hilpold, Innsbruck; [email protected]
Prof. Dr. Georg Kohler, Zürich; [email protected]
Ramon Leemann, Zürich; [email protected]
Prof. Dr. Onuma Yasuaki, Tokyo; onuma@ j.u-tokyo.ac.jp
Dr. des. Kristina Roepstorff, Erfurt/Dublin; [email protected]
Prof. Dr. Bruno Simma, München/Den Haag; [email protected]
Prof. em. Dr. Heinhard Steiger, Gießen; [email protected]
Prof. Dr. Dietmar W illoweit, W ürzburg; willoweit@ jura.uni-wuerzburg.de
Prof. Dr. Stefan Wolff, Birmingham, [email protected]
I. Grundlagen
Georg Kohler
Selbstbestimmung, individuell und kollektiv
Oder: Rousseaus Problem
„Selbstbestimmung“ bedeutet, daß jemand die Freiheit besitzt, das zu tun, was er
oder sie w ill, und ebenso die Freiheit - genauer gesagt: die größtmögliche
Chance - , das nicht tun zu müssen, was er oder sie nicht tun w ill. Positive und ne­
gative persönliche Autonomie bilden die Leitkonzeption und den normativen
Pfeiler der wichtigsten Vorstellung der praktischen und politischen Philosophie
der Neuzeit, nämlich der Annahme, daß Menschen sowohl grundsätzlich in der
Lage sind, ihr Leben nach eigenen Zielsetzungen zu führen, als auch, daß sie das
tun können sollen. - Im Kontext der normativen politischen Philosophie ist es also
die Idee der individuellen Selbstbestimmung, die den außerordentlich vieldeuti­
gen, von manchen metaphysischen Voraussetzungen belasteten Begriff der Frei­
heit einigermaßen verläßlich definiert.
Weil Menschen aber von N atur aus soziale Wesen sind und als solitäre Einzel­
gänger kaum zu überleben und jedenfalls kein gutes Leben zu leben imstande
sind, und weil - wie Aristoteles feststellt - derjenige gar kein Mensch mehr ist, der
es nicht vermag, im Rahmen einer Gesellschaft zu existieren, und statt dessen ent­
weder bloß ein wildes Tier oder G ott1 sein muß, ist es unumgänglich, daß auf der
Humanstufe der Evolution soziale Gruppen und Verbände entstehen. Deshalb ist
allemal zu klären, was individuelle Autonomie unter den Bedingungen der
menschlichen Sozialnatur überhaupt sein kann, sowie zu überlegen, wie die Ideen
der individuellen und der kollektiven Selbstbestimmung aufeinander zu beziehen
sind; wie sie einander voraussetzen und wie sie miteinander kollidieren.
Ergo eröffnet der Begriff der Selbstbestimmung sogleich drei Problemfelder erstens das Problemfeld der politischen Anthropologie und ihrer basalen Struktu­
ren; zweitens das Problemfeld der faktischen, sozialgeschichtlich wirksam en Po­
tentiale normativer Konzepte und Vorstellungen; drittens das Thema der Vermitt­
lung von individuellen mit kollektiven Handlungsbedingungen, d.h. die Frage
nach dem Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft, von „Ich“ und von
„Wir“, sowie das Thema der sozialen Inklusion bzw. Exklusion: das Problemfeld
von „W ir“ und „Ihr“.
1 Vgl. A ristoteles, Politik; Erstes Buch, Z w eites Kapitel (1.2.) (Stuttgart 1993, deutsche Ü ber­
setzung von Franz F. Schw arz) 78.
4
G eo rg K ohler
Was ich in diesem Aufsatz plausibel machen möchte, ist der Sachverhalt, daß
der Anspruch auf kollektive Selbstbestimmung - diese bis zum Rand mit Dynamit
geladene Programmatik des Selbstbestimmungsrechtes der Völker - einer norma­
tiven Logik entstammt, die zw ar nicht auf zwingenden, aber auf guten Gründen
beruht, auf Argumenten, die in vielerlei Hinsicht als kohärent zu rekonstruieren
sind und die zugleich erkennen lassen, daß eben auch Ideen und ideelle Zusam­
menhänge geschichtemachende Kräfte sein können. Es mag ja stimmen, daß das
(kollektive) Selbstbestimmungsrecht in erster Linie ein „Begriff“ und keine reale
„Sache“ ist2, und daß deswegen überall dort, wo es um die faktische Implementie­
rung dieses Rechts in politische W irklichkeiten geht, unter dem Etikett des einen
Begriffs sachlich sehr verschiedene Figuren kollektiver Selbstbestimmung ausge­
bildet worden sind (die, wie der „formale“ oder „remediale“ Modus von Selbstbe­
stimmung, geradezu als eine Weise von Fremdbestimmung betrachtet werden
können3), doch es ist eben keineswegs zufällig, daß sich diese Differenzen unter
dem einen Gedanken und Anspruch der persönlichen bzw. gruppenzentrierten
Autonomie versammelt haben. Noch in den extremsten Unterschieden behauptet
sich ein und dasselbe Ideal: daß Ich und W ir das freie Subjekt unserer individuel­
len und kollektiven Existenz sein sollen.
Im folgenden werde ich zuerst einige Bemerkungen zur politischen Anthropo­
logie machen, wie sie charakteristisch ist für die Lehre vom Gesellschaftsvertrag,
die in der Neuzeit die eigentliche Legitimationstheorie staatlicher Souveränität
und politischer Gesellschaftsordnung bildet, um auf dieser Basis die inhaltliche
Spannung zu markieren, die notwendigerweise zwischen dem basalen Prinzip der
persönlichen Autonomie und dem gleichermaßen grundlegenden Konzept durch­
setzungsfähiger staatlicher Souveränität auftauchen muß.
Am Beispiel von Rousseaus politischer Theorie des co n tr a t so cia l soll daraufhin
ein Vorschlag diskutiert werden, wie diese Spannung zu vermitteln wäre, und zu­
gleich soll an Rousseau sichtbar werden, daß die aus den beiden Fundamentalkon­
zepten der neuzeitlichen politischen Philosophie - dem Gedanken der Menschen­
gleichheit und dem Gedanken der Volkssouveränität - resultierenden Schwierig­
keiten sich zw ar unausweichlich aufdrängen, aber nie ein für allemal, sondern
allenfalls situativ und kontextabhängig lösbar sind: Das ist das Strukturproblem,
welches mit der Idee der kollektiven Selbstbestimmung bzw. des „Selbstbestim­
mungsrechts der Völker“ verknüpft ist.
Die Idee der Gleichheit der Menschen
Positive und negative Autonomie als Merkmale menschlicher Subjektivität und
Lebendigkeit, d. h. als essentielle Eigenschaften des a n im a l p o liticu m , sind der
Kern einer zentralen Konzeption der praktischen und politischen Philosophie der
~ Vgl. in diesem Band J ö r g Fisch, Selbstbestim m ung vor der Selbstbestim m ung 87 ff.
3 Vgl. in diesem Band J ö r g Fisch, E inleitung VII.
Selb stb estim m u n g , in d iv id u ell u n d k o llek tiv
5
Neuzeit, nämlich der gleichermaßen normativen wie empirischen Voraussetzung,
daß Menschen - prinzipiell betrachtet - zu freier, eigenständiger und selbstverant­
wortlicher Lebensführung kompetent sind. Diese Auffassung vom Wesen des
Menschen als dem seinesgleichen ursprünglich ebenbürtigen und je sich selber be­
stimmenden Subjekt bildet den Nukleus der im Grundsinn „liberalen“ politischen
Philosophie des Gesellschaftsvertrages - von Hobbes über Locke zu Rousseau
und Kant - , die die für die Ausformung moderner Staatlichkeit im 19. und
20. Jahrhundert prägenden Überzeugungen vorbereitet hat4.
Wenn beispielsweise Kant 1797 in seiner berühmten Definition des vernünfti­
gen Rechtsbegriffs5 ganz selbstverständlich davon ausgeht, daß alle Menschen als Vernunftwesen definiert - gleich und zum gleichen Gebrauch ihrer Freiheit be­
rechtigt sind, die Menschengleichheit und die ihr zugehörige Berechtigung also
das primäre, „jedem Menschen kraft seiner Menschheit zustehende Recht6“ ist,
folgt er einer mächtigen Tradition. Was bei Kant sozusagen a priori klar ist, ist bei
den zwei wichtigsten Vertretern der politischen Philosophie im 17. Jahrhundert,
bei Thomas Hobbes und bei John Locke, noch als solches begründungsbedürftig;
freilich je gestützt auf eine unterschiedliche Argumentation.
Fundamental „gleiche“ sind die Menschen für Hobbes in doppelter Hinsicht,
nämlich sowohl, was ihre faktische Macht anbelangt, wie was ihre ursprüngliche
Rechtsstellung betrifft. Die N atur hat die Menschen „hinsichtlich ihrer körper­
lichen und geistigen Fähigkeiten so gleich geschaffen (...), daß trotz der Tatsache,
daß bisweilen der eine einen offensichtlich stärkeren Körper oder gewandteren
Geist als der andere besitzt, der Unterschied zwischen den Menschen alles in
allem doch nicht so beträchtlich ist“7. Zumindest unter der Voraussetzung, daß
der „Krieg aller gegen alle“ herrscht, vermag sich niemand so sicher zu fühlen, daß
er nicht von einem anderen in einem Moment der Schwäche überrascht werden
könnte. Die Macht keines Menschen ist fähig, sich derart dauerhaft zu etablieren,
daß sie sich nicht immer wieder vor ihrem Niedergang fürchten müßte.
„In jenem Naturzustand daher, in dem alle Menschen gleich sind und jeder sein
eigener Richter sein darf, ist auch die Furcht, welche sie voreinander haben, gleich
(...).“8 Die ursprüngliche fa k tis c h e G le ich h eit der Menschen zeigt sich in deren
gegenseitiger Furcht; davon zu unterscheiden ist die ursprüngliche n o r m a t i v e
G leichheit. Sie realisiert sich im „Recht aller auf alles (was sie für sich selber als
nützlich erachten)“. Dieses Recht folgt aus dem Recht auf Selbsterhaltung, welche
4 Vgl. dazu W o lf g a n g K e r s t i n g , D ie politische Philosophie des G esellschaftsvertrages
(D arm stadt 1994).
5 Vgl. die D efinition in der „M etaphysik der Sitten“ (E inleitung in die R echtslehre, § B):
Recht ist „Inbegriff der Bedingungen, un ter denen die W illk ü r des einen m it der W illk ü r des
anderen nach einem allgem einen Gesetz der Freiheit zusam m en vereinigt w erden kann“.
6 I m m a n u e l K a n t , D ie M etaphysik der Sitten; R echtslehre 6 ,23 7 (zitiert nach d er A kadem ieA usgabe der Gesam m elten Schriften Kants; die Zahl vor dem Komma bezeichnet den Band).
7 T h o m a s H o b b e s , Leviathan oder Stoff, Form und G estalt eines bürgerlichen und kirch ­
lichen Staates (Frankfurt a. M. 1984, deutsche Ü bersetzung von W alter E uchner) 94.
s T h o m a s H o b b e s , N aturrecht und allgem eines Staatsrecht in den A nfangsgründen (D arm ­
stadt 1976, deutsche Ü bersetzung von Ferdinand Tönnies) 125.
6
G e o rg K ohler
im Zustand des b e llu m o m n i u m co n tr a o m n e s notwendigerweise mit allen zur
Verfügung stehenden Mitteln verfolgt wird. Freilich: „Dies Recht aller Menschen
auf alles ist in der W irkung nicht mehr wert als wenn ein Mensch ein Recht auf
nichts hätte. Denn ein Mensch kann wenig Gebrauch von seinem Rechte machen
und Nutzen davon haben, wenn ein anderer (...) ein Recht auf dasselbe hat.“9
Wie für Thomas Hobbes ist auch für John Locke (und typisch für die gesamte
politische Philosophie des Gesellschaftsvertrages) der maßgebliche Ausgangsbe­
fund im vorstaatlichen Naturzustand zu finden: „Nichts ist einleuchtender, als
daß Geschöpfe von gleicher Gattung und von gleichem Rang, die ohne U nter­
schied zum Genuß derselben Vorteile der N atur und zum Gebrauch derselben Fä­
higkeiten geboren sind, ohne Unterordnung und Unterwerfung einander gleich­
gestellt leben sollen.“ 10 Der Grund dieser Gleichstellung ist aber weder die kon­
stitutive Schwäche sterblicher Wesen noch das natürliche Recht auf Selbsterhal­
tung wie bei Hobbes, sondern eine theologisch-christliche Hintergrundannahme:
die Geschöpflichkeit und G ottesk in d sch a ft des Menschen.
Im § 6 der „Zweiten Abhandlung“ wird das von Locke sehr deutlich markiert:
„(...) alle Menschen sind das Werk eines einzigen und allmächtigen und unendlich
weisen Schöpfers, die Diener eines einzigen souveränen Herrn, auf dessen Befehl
und in dessen Auftrag sie in die Welt gesandt wurden. Sie sin d se in E igen tu m , da
sie sein Werk sind, und er hat sie geschaffen, so lange zu bestehen, wie es ihm,
nicht aber wie es ihnen untereinander gefällt. Und da sie alle zur Gemeinschaft der
N atur gehören, so kann unter uns auch keine R a n g o r d n u n g angenommen werden,
die uns dazu ermächtigt, einander zu v e r n i c h t e n , als w ä r en w i r einzig zum Nutzen
des anderen geschaffen, so wie die untergeordneten Lebewesen zu unserem N ut­
zen geschaffen sind.“51
Im Licht von Lockes christlicher Hintergrundm etaphysik ist die N aturzustandsbestimmung der menschlichen Gleichheit und Freiheit kein deskriptiver
Befund, sondern ein gottgewollter, initialer Rechtszustand, den w ir als solchen zu
akzeptieren und zu respektieren haben. Und die Voraussetzung, daß es gültiges
Recht a priori und darum auch bestimmte überpositive Rechte der einzelnen
Menschen - neben dem Recht auf Gleichheit und Freiheit noch ein umfassendes
Recht auf Eigentum - immer schon gibt, ist nicht bloß die Wurzel unserer moder­
nen, individualistischen Lehre von den angeborenen, d.h. jedem Menschen zu­
kommenden Grundrechten geworden12, sondern zugleich die folgenreiche Bedin­
gung für Lockes liberale Staatsbegründungs- und -begrenzungsdoktrin.
9 H o b b e s , (Anm . 8) 99.
10 J o h n L ocke, Z wei A bhandlungen über die R egierung (Frankfurt a.M . 1977, deutsche
Ü bersetzung von H ans Jö rn H offm ann) 201 f.
11 L ocke, (Anm. 10)203.
12 M an vergleiche m it der zuletzt zitierten Form ulierung Lockes nur etw a die v o n J e f f e r s o n
form ulierte am erikanische U n abhängigkeitserklärung vom 4. Ju li 1776: „W ir halten diese
W ahrheiten für selbstverständlich, daß alle M enschen gleich geschaffen w orden sind; und daß
sie von ihren Schöpfer m it bestim m ten unveräußcrlichten Rechten ausgestattet sind.“ O der
diejenige von A rt. 1 des ältesten M enschenrechtskatalogs der W elt, der „Bill of R igh ts“ des
Staates Virginia vom 12. Ju n i 1776: „A lle M enschen sind von N atur aus in gleicher W eise frei
Selb stb estim m u n g , in d ivid u ell u n d kollektiv
7
Für die historisch gesehen entscheidende neuzeitliche Rechts- und Staatsphilo­
sophie ist die Idee der Menschengleichheit absolut zentral. Sie bildet gewisserma­
ßen den archimedischen Punkt, an dem - in dann sehr unterschiedlicher Kon­
struktion - alles weitere hängt. Untersucht man die Herkunft und Erläuterung
dieser Ideen näher, dann zeigt sich rasch deren eigene Relativität und Voraussetzungshaftigkeit. Sowohl Hobbes’ wie Lockes Argumente sind ja nicht zwingend
und spiegeln in ihrer Plausibilität zeittypische Denkweisen, jedoch nicht unbezweifelbare logische Wahrheiten. Das heißt: Sie registrieren einen fundamentalen
inhaltlichen Konsens über das, was „der M ensch“ ist und sein soll, der bis heute
verbindlich geblieben ist, in seiner anerkannten Geltung aber nie als unumstößlich
gegeben betrachtet werden darf. Denn in ihm ist eine erste Wertentscheidung voll­
zogen, die in ihrer Geltung und in ihren Implikationen stets wieder von Neuem
zu bestätigen und zu befestigen ist.
Die für die neuzeitliche Natur- und Vernunftrechtslehre des Politischen ent­
scheidenden Prämissen über die natürliche bzw. „gottgewollte“ Gleichheit der
Menschen sind sehr viel mehr gewesen als lediglich theorieleitende Voraussetzun­
gen im Rahmen einer staatsphilosophischen Argumentationskette. Sie sind kultu­
relle Tatsachen mit mentalitätsbestimmendem Effekt und darum auch ernstzu­
nehmende Faktoren im nicht-normativen, sondern tatsachenbezogenen Blickfeld
des Historikers.
Hobbes vs. Aristoteles
Daß die neuzeittypischen Grundannahmen über die Natur des Menschen als eines
individuell-autonomen W illens- und Handlungssubjekts den Charakter einer epistemischen Weichenstellung haben, darüber hinaus eine argumentationslogische
Gerichtetheit besitzen und so schließlich dieser Tendenz entsprechende soziale
Dynamiken fördern, läßt sich an Hobbes Philosophie und deren Konsequenzen
gut zeigen. Zum einen am dezidierten Anti-Aristotelismus dieser Formation, zum
anderen an der mit Hobbes beginnenden Entwicklung der Doktrin von der Sou­
veränität des „Leviathan“ bis hin zur rousseauistischen und kantischen Rechts­
und Staatstheorie bzw. zu der mit diesen Lehren verknüpften normativen Forde­
rung nach Volkssouveränität. Und es ist offensichtlich, daß damit nicht lediglich
eine in ihrer inneren Folgerichtigkeit rekonstruierbare argumentationslogische
Gedankenreihe von Hobbes zu Rousseau und zu Kant bezeichnet wird, sondern
gleichzeitig eine den historischen Prozeß tiefreichend beeinflussende Strömung,
und unabhängig und besitzen bestim m te angeborene Rechte, w elche sie ihrer N achkom m en­
schaft durch keinen Vertrag rauben oder entziehen können, w enn sie eine staatliche Verbin­
dung eingehen, und zw ar den Genuß des Lebens und der Freiheit, die M ittel zum E rwerb
und Besitz von Eigentum und das Erstreben und E rlangen von G lück und Sicherheit.“ Zi­
tiert nach: E b e r h a r d B r a u n , Felix H e i n e , U w e O p o lk a , Politische Philosophie. Ein Lesebuch
(H am burg 1984) 184 f.
8
G eo rg K ohler
die vom absolutistischen Staat bis hin zur rechtsstaatlich verfaßten Herrschaft des
Demos führt, zur Etablierung des „Volkes“ als dem primären Inhaber der politi­
schen (Selbst)Bestimmungsmacht.
Im zweiten Kapitel des ersten Buches seiner „Politik“ definiert Aristoteles den
Menschen nicht bloß als das z o o n l o g o n e c h o n , als a n im a l ra tio n a le, sondern zu ­
gleich als a n i m a lp o li ti c u m , als z o o n p o litico n . Dabei wird einiges von elementarer
Bedeutung für die politische Philosophie des Westens über den systematischen
Zusammenhang zwischen diesen zwei Wesensbestimmungen form uliert13, u.a.
die berühmte Unterscheidung zwischen Bienen- und Menschenstaat. Diese bei­
den Sozialformen sind von „N atur aus“, und darum gelte, daß auch „der Mensch
von Natur aus ein staatsbezogenes Lebewesen“ sei, aber ebenso sei in Betracht zu
ziehen, „daß der Mensch in höherem Grade ein staatsbezogenes Lebewesen ist als
jede Biene und jedes H erdentier“. Das ergibt sich aus der Tatsache, daß Menschen
anim a lia rationalia sind, d. h. über „Logos“, also über Sprache und Vernunft, ver­
fügen. „(...) der Logos ist da, um das Nützliche und das Schädliche klar zu legen
und in der Folge davon das Gerechte und das Ungerechte. Denn das ist im Gegen­
satz zu den anderen Lebewesen dem Menschen eigentümlich, daß nur er allein
über die Wahrnehmung des Guten und des Schlechten, des Gerechten und des
Ungerechten und anderer solcher Begriffe verfügt. Und die Gemeinschaft mit die­
sen Begriffen schafft (den) Staat (die Polis).“ 14
Der Mensch als dasjenige z o o n p o litico n , welches essentiell Sprach- und Ver­
nunftwesen ist, fügt sich aus natürlicher Notwendigkeit in eine auf Gerechtigkeit
und Gesetz gebaute kollektive Ordnung, die als Polis um Willen des guten ge­
meinsamen Lebens in A utarkie und Autonomie zustande kommt und besteht.
Die Polis ist das Ergebnis eines folgerichtigen und natürlichen Prozesses, und in
ihrem Wie und Warum verdankt sie sich zuallererst der menschlichen Rationalität
bzw. Vernunft und der diesem Vermögen immanenten kommunikativen Struktur.
- Gewiß, sieht man genauer hin, w ird der genannte einfache Befund von A ristote­
les erheblich differenziert, beispielsweise durch die wichtige Abstufung zwischen
der „vollkommenen Gemeinschaft“, die eben die Polis ist, und dem „O ikos“, dem
„Haus“, also der hierarchisch gegliederten, nicht im eigentlichen Sinn „politi­
schen“ Sozialform, die gemäß Aristoteles „bei den Barbarenvölkern“ bis zur
Großgestalt des von einer Spitze her beherrschten Königtums ausgedehnt worden
sei. Allein die (griechische) Polis entspricht nach Aristoteles auf hinreichende
Weise dem „natürlichen Ziel“ eines gemeinsamen Lebens in A utarkie und A uto­
nomie.
Trotz solcher Einschränkungen bleibt es aber unstrittig, daß für die aristoteli­
sche „Politik“ die Polis als Zielgestalt kollektiver Selbstorganisation auf „N atur­
notwendigkeiten“ zurückgeführt werden kann, und daß ihre eigene Gestalt mit
13 Vgl. etwa D o m i n i c O ’M ea r a , D er M ensch als politisches Lebewesen. Zum Verhältnis z w i­
schen Platon und A ristoteles, in: D er M ensch - ein politisches Tier? E ssays zu r politischen
A nthropologie, herausgegeben von O t f r i e d H ö f f e (Stuttgart 1992) 14-25.
14 A ristoteles, (Anm . 1) 78.
Selb stb estim m u n g , in d iv id u ell u n d k o llek tiv
9
und durch die besonderen Ansprüche der menschlichen Rationalität zu begrün­
den ist.
. Das zuletzt Gesagte erlaubt den Übergang zur hobbistischen Gegenposition.
Denn deren für die neuzeitliche politische Philosophie paradigmatische A nthro­
pologie und die von ihr formulierte normative Staatsbildungstheorie w iderspre­
chen den aristotelischen Annahmen so radikal wie überhaupt möglich: Nicht
„N atur“ produziert den Staat, sondern „Kunst“, d.h. bewußte Reflexion und das
abwägende Kalkül bewirken ihn. Nicht Kooperation und gemeinsinnige Rationa­
lität sind die ersten Effekte menschlicher Koexistenz, sondern der Konflikt und
die rational zwingend ableitbare Selbsterhaltungskonkurrenz sind es. Und nicht
die gemäß Aristoteles funktional erklärbare und insofern auch nutzbare U n­
gleichheit der Menschen liefert das Fundament für die gute Ordnung des Politi­
schen, sondern gerade umgekehrt sind es die faktische Gleichheit und normative
Ebenbürtigkeit der Menschen, die zur Einsicht in die Notwendigkeit der gesell­
schaftsvertraglichen Konstruktion des „Leviathan“ bewegen.
M it Hobbes stellt die politische Philosophie also um, von der kooperations­
theoretischen auf die konflikttheoretische Argumentation, zugunsten staatlicher
Institutionen - womit sogleich das je einzelne Subjekt, dessen individuelle Selbsterhaltungsrationalität und die Probleme, die damit verknüpft sind, ins Zentrum
der Überlegungen rücken: Wie können die vielen gleichen und freien Einzelnen
überhaupt eine entscheidungsfähige kollektive Einheit bilden? Und wie sollen
diese einander immer schon Gleichberechtigten ihr primäres Recht auf je indivi­
duelle Selbstbestimmung im Rahmen der (mit Hilfe institutioneller Konstruktio­
nen) entscheidungsfähig gemachten politischen Einheit bewahren?
„Gar nicht!“, sagt Hobbes, wenn er auf die an zweiter Stelle formulierte Frage
eingeht, exakter ausgedrückt: Individuelle Rechtswahrung kann es nur noch in
Anerkennung gewisser fundamentaler Restriktionen geben. Denn der durch den
grundlegenden Gesellschafts- und Herrschaftsvertrag, den die Freien und Glei­
chen miteinander schließen, zum Leben erweckte „Leviathan" sorgt zw ar für
Spielräume privater Autonomie, aber allein unter der Bedingung, daß der Souve­
rän, der legitime Inhaber der letzten Dezisionsmacht, auf dem Feld der öffentli­
chen Angelegenheiten nach seinem eigenen Gutdünken festlegen darf und kann,
was gelten soll, und was nicht; a u cto rita s n o n v e r ita s f a c i t l e g e m .
Die Begründung einer entscheidungsfähigen politischen Einheit auf der Basis je
individuell vollzogener rationaler Einsicht in die Notwendigkeit einer obersten,
unanfechtbaren Autorität, die im herrschaftsfundierenden Kontrakt der freien
Bürger untereinander ratifiziert und verwirklicht wird, ist darum bloß um den
Preis eines radikalen inneren Widerspruchs zu haben; nämlich um den Preis der
Antinomie, die zwischen der eigentlichen Legitimationsbasis der Herrschaftsord­
nung, dem autonomen Vertragsschluß gleicher und freier Subjekte, und dessen
Ergebnis, dem le g ib u s solu tu s dezisionsmächtigen Souverän, besteht. „Hobbes
konstruiert die Souveränität naturrechtlich“, mit den Mitteln der neuzeitlichen
Idee der Menschengleichheit und der individuellen Autonomie, „weil es die R ai­
son des Staates ist, eine liberale Gesellschaft zu ermöglichen. Das ist aber nur die
10
G eo rg K o h le r
eine Seite. Denn um Willen der Handlungsfähigkeit und Souveränität wird „die
liberale Raison des Staates von dessen Absolutismus verschlungen“, kurz: die Be­
gründung des „Leviathan“ erfüllt sich in der „Aufopferung der liberalen Inhalte
an die absolutistische Form ihrer Sanktionierung“15.
Rousseau und Locke vs. Hobbes
Dem Widerspruch zwischen der liberalen Intention und der absolutistischen A us­
stattung der Staatsgewalt, zwischen ursprünglich fundierender persönlicher Frei­
heit und durchsetzungskräftiger Souveränität, entspringt das Folgeproblem, Sou­
veränität in Volkssouveränität zu überführen und private mit öffentlicher A uto­
nomie so zu verklammern, daß der demokratische Grundgedanke - kollektive
Selbstbestimmung, Identität der Regierenden und der Regierten - nicht gänzlich
verloren geht. Denn dieser Grundgedanke ist kein arbiträrer Wunsch, der mehr
oder weniger rasch auftauchen mag, wenn es um das normative Programm des
Staates unter der Voraussetzung der neuzeitlichen Menschengleichheitsidee geht,
sondern eine aus guten Gründen auftretende Forderung von beträchtlicher intel­
lektueller Kraft.
Volkssouveränität, Demokratie und kollektive Selbstbestimmung sind zwar
nicht geradezu logisch zwingend aus der politischen Anthropologie der Neuzeit
ableitbar, aber sie ergeben sich doch recht mühelos aus den Annahmen, die der
kontraktualistischen Staatslegitimation zugrunde liegen; eben darum muß ja de­
ren Antinomie zwischen liberaler Staatsraison und absolutistischer Institutionali­
sierung so auffällig werden und provokativ wirken, w ie das im Fall von Hobbes’
Doktrin geschehen ist.
Diese Doktrin beginnt mit der Setzung der Menschengleichheit, darin vorbe­
haltlos der griechischen Klassik widersprechend, die - in der platonischen „Politeia“ wie in der aristotelischen „Politik“ - umgekehrt verfährt: Wer über das Poli­
tische nachdenkt, so behauptet sie, hat bei der humanen Ungleichheit anzufangen,
bei der Weise, wie sie die Menschen aufeinander bezieht. Und von diesem A us­
gangspunkt gelangt sie rasch zur funktional sinnvollen Verschränkung natürlicher
Lebensverhältnisse - zur Kooperation, nicht zum Konflikt - , während der neu­
zeitliche Hobbes, basierend auf seinem analytischen und normativen Egalitaris­
mus, den „N aturzustand“ als b e llu m o m n i u m co n tr a o m n e s denkt und denken
muß. Den Naturzustand als auf die Gestalt der Polis entelechisch ausgerichtet zu
verstehen, ist ihm grundsätzlich versagt. Staatliche Ordnung ist daher für ihn ein
rationales Konstrukt und kein natürliches Geschehen, und der normative U r­
sprung solcher Konstruktion kann nirgendwo sonst als im autonom geschlosse­
nen Vertrag der sich je selbst und zugleich gemeinsam bestimmenden Subjekte zu
finden sein.
J5 Vgl. J ü r g e n H a b e r m a s , Die klassische Lehre von der P o litik in ihrem Verhältnis zur
Sozialphilosophie, in: d ers., Theorie und Praxis (F rankfurt a.M . 41971) Zitat 731.
S elb stb estim m u n g, in d ivid u ell u n d ko llek tiv
11
Doch die wegen der als gleich gesetzten Anspruchsberechtigung eines jeden auf
die Durchsetzung seiner individuellen Interessen fortdauernde Gefahr der A nar­
chie bzw. des Rückfalls in den ewigen Krieg des Naturzustandes - der hinter „Le­
viathan“ stets lauernde „Behemoth“ des Bürgerkrieges verlangen zugleich mit
dem politischen A kt persönlicher und kollektiver Freiheit deren Aufhebung: die
rückhaltlose Übertragung der vollen Herrschaftsmacht an den absoluten Souve­
rän, wobei W illkür einzig durch dessen eigene Selbsterhaltungsrationalität verhin­
dert werden soll. Nicht die Postulate der Demokratie, sondern ein ganz und gar
absolutistisches M odell von l a w a n d o r d e r also sind, geistesgeschichtlich betrach­
tet, die erste Folgerung, die aus dem Prinzip des Menschen als des autonomen
Individuums gezogen worden ist. Aber dadurch wird die Spannung - wenn man
w ill: die D ialektik oder die Entzweiung - zwischen subjektiver Autonomie und
kollektiver Ordnung erst recht bis zum Punkt des Umschlags gesteigert.
Es ist Jean-Jacques Rousseau gewesen, der Philosoph der Volkssouveränität,
der auf den inneren Widerspruch der hobbes’schen Lösung am heftigsten reagiert
hat. Im „Contrat social“ nimmt er ihre W idersprüchlichkeit zum Anlaß, den Ver­
fasser des „Leviathan“ empört zu attackieren, wobei er ihn und seine Theorie auch
noch gleich mit der naturrechtlich-aristotelischen Rechtfertigung der U ngleich­
heit, ja des Sklaventums identifiziert: „Wie ein H irt von Natur höher steht als
seine Herde, so stehen die H irten der Menschen, ihre Oberhäupter ebenfalls von
N atur höher als ihre Völker. So folgert der Kaiser Caligula nach dem Zeugnis PhiIons; er schloß aus diesem Vergleich ziemlich richtig, daß die Könige Götter seien,
bzw. die Völker Tiere. - Die Überlegung jenes C aligula kommt der von Flobbes
(...) gleich. Vor (ihm) hatte Aristoteles ebenfalls gesagt, daß die Menschen von
Natur keineswegs gleich sind, sondern daß die einen für die Sklaverei und die
anderen zur Herrschaft geboren werden.“ 16
Rousseau fährt weiter: „Aristoteles hatte recht, aber er nahm die W irkung für
die Ursache. Jeder in der Sklaverei Geborene w ird für die Sklaverei geboren,
nichts ist sicherer. Die Sklaven verlieren in ihren Ketten alles bis hin zu dem
Wunsch, ihnen zu entrinnen; (...) wenn es also Sklaven von der Natur gibt, dann
deshalb, weil es Sklaven wider die N atur gegeben hat. Gewalt hat die ersten Skla­
ven geschaffen, ihre Feigheit hat diesen Zustand verewigt.“17
Mit den letzten zwei Sätzen erklärt und variiert Rousseau den berühmten A n­
fang des „Contrat“: „Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ket­
ten“ 18; und obschon Rousseaus Charakterisierung von Hobbes in der einen H in­
sicht so falsch wie ungerecht ist, erscheint sie doch einleuchtend: Denn w er um
der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit der öffentlichen Ordnung und ihres
Hüters bereit ist, seine Autonomie und eigene Souveränität und damit seine na­
türliche Freiheit zu opfern, der hat sich selber versklavt, indem er sich versklaven
16 J e a n - J a c q u e s R o u s s e a u , Vom G esellschaftsvertrag, oder G rundsätze des Staatsrechts
(Stuttgart 1977, deutsche Ü bersetzung von H ans Brockard) 7, (Buch I, Kap. 2).
17 R o u s se a u , (Anm . 16) 8, (I, 2).
18 R o u s se a u , (A nm . 16) 5, (I, 1).
12
G e o r g K o h le r
ließ. Um dieser Konsequenz zu entgehen, muß daher ein Weg gefunden werden,
der persönliche und kollektive Autonomie so synthetisiert, daß weder die eine
noch die andere Seite zum Verschwinden gebracht wird, sondern beide in- und
miteinander zur Deckung kommen. Wie das möglich ist, ist Rousseaus Problem,
das er mit seiner Konstruktion der Volkssouveränität auf dem ideellen Boden der
v o l o n t e g e n e r a l e zu beheben versucht.
Schon vor diesem Versuch hat John Locke die H obbes’sche Souveränitätsvor­
stellung zurückgewiesen und dagegen seine besondere Vertragstheorie formuliert.
Wolfgang Kersting markiert Lockes Rettung der Autonomie des Einzelnen bzw.
deren Fortdauer in der politischen Körperschaft, indem er den Unterschied zw i­
schen der ursprünglichen Vertragsgemeinschaft bei Hobbes und bei Locke her­
ausarbeitet: „Um eine politische Einheit zu erreichen, muß eine Menge, so sieht es
Hobbes, im Rahmen einer vertraglichen Übereinstimmung eine Instanz zu ihrer
Vertretung und Verkörperung autorisieren; die Vertragsgemeinschaft ist nicht
schon selbst der politische Körper, das Volk, die politische Einheit, sondern be­
darf der Realpräsentation durch eine vertragsexterne Instanz. Metaphorisch ge­
sprochen: Die Vertragsgemeinschaft w ird erst dann ein politischer Körper, eine
politische Einheit, wenn sie sich rückhaltlos einem sie leitenden und lenkenden
Kopf unterwirft. Durch den Autorisierungsakt wird die natürliche Gewalt auf
den Vertreter übertragen und dessen Handlungen haben als die eigenen zu gelten.
Bei Locke hingegen wird bereits durch die interindividuellen Verträge eine p oliti­
sche Gemeinschaft konstituiert, die als vertraglich begründetes Flerrschaftssubjekt über die ihr von den Individuen vertraglich überantworteten Gewalten ver­
fügt und die selbst im Besitz uneingeschränkter Souveränität ist.“19
Allerdings stößt auch Locke auf die gleiche Schwierigkeit, die Hobbes mit sei­
ner absolutistischen Staatskonstruktion bewältigen wollte; auf die Frage, wie und ob überhaupt - die Handlungsfähigkeit eines Kollektivsubjekts gesichert
werden kann, wenn zugleich gilt, daß dieses Subjekt ein Kompositum aus autono­
men Individuen sein soll. Lockes antihobbesianische Antwort ist bekanntlich die
Annahme einer stillschweigenden Im plikation im Gehalt des gemeinsamen Ver­
trages, nämlich die Annahme, daß man sich zugleich mit dem Unionspakt auf die
Einführung des M ajoritätsprinzips geeinigt hat. Darum heißt es im § 97 des „Se­
cond Treatise“: „Jeder Mensch, der mit anderen übereinkommt, einen einzigen
politischen Körper unter einer Regierung zu bilden, verpflichtet sich gegenüber
jedem einzelnen dieser Gesellschaft, sich dem Beschluß der Mehrheit zu unter­
werfen und sich ihm zu fügen. Denn sonst würde dieser ursprüngliche Vertrag,
durch den er sich mit anderen zu einer Gesellschaft vereinigt, keinerlei Bedeutung
haben und kein Vertrag sein.“
Zwar schafft es Locke, der Flobbes’schen Antinomie zu entgehen, indem er die
Regierung und deren Handlungskompetenz zurückbindet an den Souverän der
Bürgerschaft, die R e g i e r u n g also z u r Treunehmerin und Treuhänderin der Inter­
essen, der Treugeberin, der (Staatsbürger)Gemeinschaft, macht, aber die simultane
19 K e r s tin g , (Anm . 4) 128 f.
S e lb stb estim m u n g, in d iv id u ell u n d k o llek tiv
13
Einführung der Mehrheitsregel im Namen kollektiver Handlungs- und Entschei­
dungsfähigkeit läßt deutlich werden, daß die Integration von privater Autonomie
bzw. Selbstbestimmung und der Autonomie des Kollektivsubjektes, der Selbstbe­
stimmung durch „Wir, das Volk“, nur partiell gelingen.
Wer sich der Mehrheitsregel zu fügen hat, weiß nach Locke einerseits, daß er
gegen die Regierung über den Trumpf seines vorstaatlichen Grundrechts verfügt,
andererseits sticht dieser Trumpf nicht gegen die Mehrheit der Unionsgenossen.
Gegen die M ajorität gibt es eben kein eigentliches Widerstandsrec/?? mehr, son­
dern allein die individuelle Meinung, es in der konkreten Situation und Streitsache
zu besitzen.
Im Widerspruch zu Hobbes beharrt Locke auf der N otwendigkeit, die A uto­
nomie des Individuums in der Souveränität des Volkes, des politischen „W ir“, zu
vollenden, doch seine eigene Lösung des Problems von „Ich“ und „Wir“ im H o­
rizont der N otwendigkeit politisch-gemeinschaftlicher Dezisionskompetenz,
krankt an der impliziten Entmündigung der M inderheit durch eine besondere In­
terpretation des fundamentalen Gesellschaftspaktes - was jenen erneuten Entwurf
der Synthese von „Ich“ und „Wir“, privater und öffentlicher Autonomie, plausi­
bel macht, den schließlich Rousseau unter dem ausdrücklichen Titel „Du contrat
social ou principes du droit politique“ vorlegt.
Rousseaus Problem und der Gemeinwille
Für die systematische Analyse der Probleme, die im Zusammenhang der Verbin­
dung von individueller und kollektiver Autonomie auftauchen, ist die Beachtung
des Axioms der Menschengleichheit grundlegend. Daß „alle Menschen gleich und
frei sind“, wird von Hobbes, Locke, Rousseau, Kant, usw. zw ar je anders begrün­
det, aber stets als gültig gesetzt. Der Idee der Menschengleichheit entspringen
dann aber Problematisierungsweisen, die tief hineinreichen in die normlogische
Verknüpfung von individueller und kollektiver Autonomie; erstens das Verhältnis
von menschlicher Freiheit und politischer Gleichheit bzw. Gleichberechtigung,
von privater und politischer Autonomie; zweitens das Verhältnis zwischen „Ich“
und „Wir“, von Individuum und Gemeinschaft.
Diese Beziehungen sind spannungsvoll ineinander verschränkt, und sie zw in­
gen die politische Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts immer wieder zur Be­
schäftigung mit der Frage, wie persönliche Selbsterhaltungsrationalität und kommunitäre Selbstbestimmung koexistieren können; neben den norm ativ-konstruk­
tiven Entwürfen der Gesellschaftsvertragstheorie finden sich im übrigen auch ge­
schichtsphilosophische Auseinandersetzungen mit dem Thema der Vereinbarkeit
der menschlichen Konfliktneigung mit der ihr widerstrebenden Kooperations­
notwendigkeit; ein Komplex, den zum Beispiel die kantische Schrift „Idee zu ei­
ner allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“ auf den Begriff der „un­
geselligen Geselligkeit" der Humannatur bringt.
14
G e o rg K ohler
Wie bleibt man selbstverantwortlich und autonom und kann dennoch ein integratives Moment des gemeinschaftlichen Ganzen sein und werden? Wie kommt
überhaupt ein Kollektiv von Freien als politiktaugliches Großsubjekt zustande?
Wie gehören „Ich“ und „Wir“ zusammen? Und: Was macht aus einer Menge eine
handlungsfähige Einheit als ein sich selber bestimmendes, souveränes „Volk“ ?
Rousseau nennt es das Fundamentalproblem, le p r ob l'em e f o n d a m e n t a l . Im
6. Kapitel des ersten Buches des „Contrat“ bringt er es auf den Punkt, nachdem er
dessen zweistufige V oraussetzung-die natürliche Freiheit des Menschen (Kap. 1.2.)
und die kategorische Unverzichtbarkeit (Kap. 1.4.) dieser Freiheit - bezeichnet
hat.
In Kapitel 1.2. heißt es bezüglich der menschlichen Freiheit und Gleichheit:
„Die allen gemeinsame Freiheit ist eine Folge der Natur des Menschen. Dessen
oberstes Gesetz ist es, über seine Selbsterhaltung zu wachen, seine erste Sorge ist
diejenige, die er sich selber schuldet, und sobald der Mensch erwachsen ist, wird er
so sein eigener Herr, da er der einzige Richter über die geeigneten M ittel seiner Er­
haltung ist."20 Im vorstaatlichen Zustand ist jeder Richter in eigener Sache. Ein
natürliches Recht der einen, die anderen zu leiten, gibt es nicht. Es gibt aber auch
keine sinnvoll und vernünftig denkbare M öglichkeit freiw illiger Abtretung oder
Übertragung des Rechts auf Selbstbestimmung an einen anderen bzw. Dritten;
davon handelt das für die Gesamtargumentation wichtige vierte Kapitel, das den
Titel „Von der Sklaverei“ trägt:
„Auf seine Freiheit verzichten heißt auf seine Eigenschaft als Mensch, auf seine
Menschenrechte, sogar auf seine Pflichten verzichten. (...) Ein solcher Verzicht ist
unvereinbar mit der Natur des Menschen; seinem Willen jegliche Freiheit neh­
men, heißt seinen Handlungen jegliche Sittlichkeit nehmen."21 Damit ist der Kno­
ten geschürzt. Das Wesen des Menschen liegt a priori in seiner Freiheit bzw.
Selbstbestimmung. Wie können dann aber diese Freiheitswesen in naher und kon­
tinuierlicher Weise Zusammenleben, wenn Zusammenleben doch unweigerlich,
massiv und nachhaltig, die Beschränkung der je individuellen Freiheit bedeutet?
Und vor allem: Wie können sie das, wenn aus verschiedenen, prinzipiell externen
(d.h. nicht schon von Anfang an in der Menschennatur wirksamen) Ursachen der
Zwang zur sozialen Organisation und Kooperation übermächtig geworden ist?
Aus dieser Überlegung erwächst das sechste Kapitel des ersten Buches des
„Contrat“, welches das Fundamentalproblem zugleich mit der methodischen A n­
weisung zu seiner Lösung formuliert: „Ich unterstelle, daß die Menschen jenen
Punkt erreicht haben, an dem die Hindernisse, die ihrem Fortbestand schaden, in
ihrem Widerstand den Sieg davontragen über die Kräfte, die jedes Individuum
einsetzen kann, um sich in diesem Zustand zu halten. Dann kann dieser ursprüng­
liche Zustand nicht w eiter bestehen, und das Menschengeschlecht würde zu­
grunde gehen, wenn es die Art seines Daseins nicht änderte.“22
20 R o u s s e a u , (Anm . 16) 6, (I, 2).
- 1 R o u s s e a u , (Anm . 16) 11, (I, 4).
22 R o u s s e a u , (Anm . 16) 16, (I, 6).
S e lb stb estim m u n g, in d iv id u ell und k o llek tiv
15
Daraus folgert Rousseau erstens die N otwendigkeit von (absichtlich gewollter)
Vergemeinschaftung und zweitens die grundsätzliche Schwierigkeit, die mit dem
Zusammenschluß verbunden ist: „Da die Menschen keine neuen Kräfte hervor­
bringen, sondern nur die vorhandenen vereinen und lenken können, haben sie
kein anderes M ittel, sich zu erhalten, als durch Zusammenschluß eine Summe von
Kräften zu bilden, stärker als jener Widerstand, und diese aus einem einzigen A n­
trieb einzusetzen und gemeinsam wirken zu lassen.“23 Das ist allerdings ein Vor­
gang, wodurch unausweichlich der Konflikt zwischen dem Recht und der Pflicht
zur Selbstbestimmung und dem Zwang zur freiheitsbeschränkenden gesellschaft­
lichen Koordination der Individuen entsteht; Rousseau registriert das, um zu­
gleich anzudeuten, wie dem Dilemma zu entkommen ist: „Diese Summe von
Kräften kann nur durch das Zusammenwirken mehrerer entstehen: da aber Kraft
und Freiheit jedes Menschen die ersten Werkzeuge für seine Erhaltung sind - wie
kann er sie verpfänden, ohne sich zu schaden und ohne die Pflicht gegen sich
selbst zu vernachlässigen? Diese Schwierigkeit läßt sich (...) so ausdrücken:,Finde
eine Form des Zusammenschlusses, die mit ihrer ganzen gemeinsamen Kraft die
Person und das Vermögen jedes einzelnen Mitgliedes verteidigt und schützt und
d u r ch d ie d o c h j e d e r , i n d e m e r sich m it a llen v e r e in i g t , n u r sich seihst g e h o r c h t u n d
g e n a u s o f r e i b le ib t w i e zuvor.'' (Kursivsetzung von mir. G.K.) Das ist das grund­
legende Problem, dessen Lösung der Gesellschaftsvertrag darstellt.“24
Rousseau löst das Problem, das einerseits durch die bestimmte Konzeption der
Autonomie des Individuums, andererseits durch eine besondere (natur)geschichtliche Situation erzeugt wird, mit Hilfe seiner spezifischen Variante der Theorie des
Gesellschaftsvertrages, nämlich mit Hilfe der unter gewissen Bedingungen mit gu­
ten Gründen erwartbaren Harmonie von (Einzel)W ille und (allgemeiner, gemein­
schaftlicher) Vernunft bzw. Rationalität, die als beides zugleich gedacht werden
kann: als W irkung einer Einsicht und als handlungsbestimmende Absicht - als
jener „A llgem einwille“, jene v o l o n t e g e n e r a l e , die im Einklang ist sowohl mit der
je persönlichen Freiheit der Einzelnen wie mit der koordinierend-einschränkenden Regelungsnotwendigkeit der Allgemeinheit.
Diese Kongruenz bzw. Identität von persönlicher und gemeinschaftlicher
Selbsterhaltung und -bestimmung ergibt sich nach Rousseau ohne weiteres auf
der Basis des einfachen Gedankens, daß sich die v o l o n t e g e n e r a l e - lediglich, aber
immerhin - in und bei der Findung und Formulierung generell-abstrakter, für alle
verbindlicher Normen oder Gesetze geltend macht. (N ur) in der prozedural und
formal definierten Vollzugsform der praktischen Vernunft überdauert die Freiheit
des Individuums. Sie verwirklicht sich in der gemeinsamen, sich selber bestim­
menden civitas; der Einzelne wird zum c i t o y e n , und die c ito y e n s bilden in ihrer
Integration durch den „Gesamtwillen“ das Volk im eigentlichen Sinn, das Volk
der Volkssouveränität.
23 R o u s se a u , (Anm . 16) 17, (I, 6).
24 R o u s se a u , (Anm . 16) 17, (1,6).
16
G e o r g K o h le r
Die Zweideutigkeit der volonte generale
Noch einmal: G e s e t z g e b u n g ist Inhalt und Aufgabe von v o l o n t e g e n e r a l e und
Volkssouveränität; und solange es um Gesetze (= generell-abstrakte Normen)
geht, kann nichts Falsches passieren. „So kann die souveräne Gewalt selbst verin­
nerlicht, aus einer äußerlich zwingenden Fürstensouveränität in die innerlich ge­
genwärtige Volkssouveränität zurückgenommen werden.“23 Mit den Worten des
„Contrat social“: „Da nun der Souverän nur aus den Einzelnen besteht, aus denen
er sich zusammensetzt, hat er kein und kann auch kein dem ihren widersprechen­
des Interesse haben; folglich braucht sich die souveräne Macht gegenüber den U n­
tertanen nicht zu verbürgen, weil es unmöglich ist, daß die Körperschaft allen
ihren Gliedern schaden w ill, und w ir (schnell erkennen), daß sie auch niemanden
im Besonderen schaden kann. Der Souverän ist, allein weil er ist, immer alles, was
er sein soll.“26
Der letzte Satz, der Rousseau - zu Unrecht27 - den Vorwurf des Totalitarismus
eingetragen hat, ist argumentationslogisch durchaus folgerichtig, und er ratifiziert
im Grunde lediglich die M öglichkeit des Notwendigen: Die Ideen der M enschen­
gleichheit und der natürlichen Freiheit der Einzelnen m ü ssen im Verein mit der
Unabwendbarkeit von sozialer Kooperation und Gewaltkontrolle - deren Gegen­
läufigkeit bei Flobbes noch in die Paradoxie der „Aufopferung der liberalen Ge­
halte an die absolutistische Form ihrer Sanktionierung" (Habermas) führte - ins
Prinzip der Volkssouveränität münden. Das ist die zur politischen Philosophie der
N euzeit gehörige Folgerichtigkeit, die sich in der kantischen Rechtsphilosophie
bestätigt28 und die sich als geschichtemachendes Potential in die Realitäten der
Verfassungskämpfe des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts fortgesetzt hat.
Indes, und das ist der große Nachteil von Rousseaus Ansatz: Der „Contrat so­
cial“ kann sein Problem bloß scheinbar vertragstheorieintern lösen. In Wahrheit
gelingt das lediglich unter Zuhilfenahme von externen, geschichtlich-kontingen­
ten Faktoren. Sie sind es auch, die schließlich erklärbar machen, weshalb der Be­
griff des „Selbstbestimmungsrechtes der V ölker“ geradezu notwendigerweise so
opak wie politisch konfliktträchtig sein muß.
Die W irkung und Unentbehrlichkeit dieser Faktoren für Rousseau zeigt sich
sofort, wenn man den „Contrat“ mit den Fragen konfrontiert: Wer ist nun „das
Volk“ ? Wie ist das „W ir“ der kollektiv-individuellen Autonomie zustande ge­
kommen? Dann wird deutlich, daß es das Volk und seine Souveränität in der von
Rousseau gewünschten Form lediglich gibt, wenn entweder bereits eine sehr spe­
25 J ü r g e n H a b e r m a s , N aturrecht und R evolution, in: ders., Theorie und Praxis (F rankfurt
a .M .41971) 103.
26 R o u s s e a u , (Anm . (6) 20 f., (I, 7).
17 Freilich ist Rousseaus Konzeption totalitarismusrt«/d7/zg; sie ist es nur nicht a b initio.
28 Vgl. dazu insbesondere I n g e b o r g M a us, Z ur A ufklärung der D em okratietheorie. R echts­
und dem okratietheoretische Ü berlegungen im A nschluß an Kant (Frankfurt a.M . 1992);
sow ie: W o l f g a n g K e r s t i n g , W ohlgeordnete Freiheit. Im m anuel Kants Rechts- und Staatsphi­
losophie (Frankfurt a.M . 1993).
S elb stb estim m u n g , in d ivid u ell u nd k o llek tiv
17
zielle, sozialgeschichtlich kontingente Ausgangsbedingung29 vorliegt oder die für
die Bildung der v o l o n t e g e n e r a l e grundlegende Gemeinschaftsorientierung der
Bürger künstlich - mit Absicht und Bedacht - hergestellt werden kann bzw. hergestellt worden ist.
Dementsprechend läßt sich die v o l o n t e g e n e r a l e auf zwei unterschiedliche In­
teressenkonstellationen der Beteiligten zurückführen: entweder auf die Gleichheit
der Interessen rationaler Egoisten, die erkannt haben, daß ihre optimale individu­
elle Selbsterhaltung auf die gemeinsame Bedienung der verallgemeinerungsfähi­
gen unter ihren Bedürfnissen angewiesen ist, oder auf ein eigentliches Gemeinsinnsinteresse, das einer explizit bürgerschaftlichen, „republikanischen“ Gesin­
nung entstammt, die als gemeinsinnige gerade auf der Verabschiedung individuel­
ler rational-egoistischer Ziele basiert.
Wer sich genauer mit Rousseaus Begründung der vernünftigerweise erwartba­
ren W irklichkeit des Gemeinwillens befaßt, stößt daher auf eine elementare, im
„Contrat“ jedoch latent bleibende Zweideutigkeit: einmal auf die v o l o n t e g e n e ­
rale, gedacht als „Durchschnittswille, der aus der Summierung aller Selbstinteres­
sen sich ergibt, zum anderen (auf die v o l o n t e g e n e r a l e gedacht) als gemeinschaft­
liches Wollen jener Bürger, die die Privatinteressen abgestreift haben und vom
Interesse am Allgemeinen, am co rp s p o li ti q u e beseelt sind“30.
Charakteristisch für die stillschweigende Beanspruchung der ersten Ausgangs­
bedingung ist z.B. die auf die Logik der prozecluralen Form setzende Argum enta­
tion im dritten Kapitel des zweiten Buches („Ob der Gemeinwille irren kann“),
während für die z w e i t e Voraussetzung das berühmte Kapitel „Vom Gesetzgeber“
im zweiten Buch des „Contrat“ bezeichnend ist, das auf den schon im ersten Buch
formulierten Gedanken der nicht e o ipso gegebenen Konstitution des Volkes als
Volk3i Bezug nimmt:
„Wer sich daran wagt, ein Volk zu errichten, muß sich imstande fühlen, sozusa­
gen die menschliche N atur zu ändern; jedes Individuum, das von sich aus ein voll­
endetes und für sich bestehendes Ganzes ist, ist in den Teil eines größeren Ganzen
zu verwandeln, von dem dieses Individuum in gewissem Sinne sein Leben emp­
fängt; (...) so daß man behaupten kann, wenn kein Bürger mehr etwas ist oder ver­
mag außer durch alle anderen, und wenn die durch die Gesamtheit erworbene
Kraft der Summe der natürlichen Kräfte aller Individuen gleichkommt oder sie
übersteigt, dann ist die Gesetzgebung auf dem höchsten Punkt der ihr möglichen
Vollkommenheit angelangt.“32 Der Gesetzgeber, le le g isla te u r Rousseaus ist sehr
viel mehr als ein im Recht bewanderter Experte, der (Verfassungs)Vorschläge aus­
arbeitet, um sie von den Bürgern gutheißen (oder auch ablehnen) zu lassen; er ist
Ä Zum Beispiel die für eine arme H irtengeseilschaft typische Situation wie im K orsika des
18. Jahrhunderts.
30 M a x im ilia n F o r sc h n er , Rousseau (M ünchen 1977) 132.
-51 Vgl. R o u s s e a u , (Anm . 16) 16, (I, 5): „Es w äre deshalb gut, bevor man den A kt untersucht,
durch den ein Volk einen König erw ählt, denjenigen zu untersuchen, durch welchen ein Volk
zum Volk w ird .“.
R o u s se a u , (Anm . 16) 431., (II, 7).
18
G eo rg K ohler
Gesetzgeber im antiken Sinn; ein Solon oder Lykurg, der durch seine Kraft und
sein Charisma aus einer Menge oder einem Haufen Einzelner zu allererst jenes
Volk formt, das durch seine Gesetzgebung autonom wird und souverän ist33.
Die Analyse von Rousseaus verschiedenartigen Varianten, das Realwerden der
v o l o n t e g e n e r a l e zu erklären, macht sichtbar, daß die Fragen nach dem Wer und
dem Was des Volkes im Rahmen dieser Theorie der Volkssouveränität durchaus
nicht klar und ein für allemal zu beantworten sind. Anders gesagt: Rousseaus Pro­
blem, wie man „Ich“ und „W ir“ vermittelt, so daß individuelle in kollektive A u­
tonomie übergeht, ohne in ihrem Gehalt wesentlich verkürzt zu werden, ist nie­
mals grundsätzlich, sondern - wenn überhaupt - immer bloß von Fall zu Fall zu
bewältigen: im Rekurs auf kontingente Umstände und bewußt handelnde Akteure
und deren Leistungen. Das bedeutet, daß Rousseaus Ziel, das „Wir“ zu erfassen,
das den politisch-staatsbürgerlichen Sinn des „volkssouveränen“ Volkes definiert,
rein theoretisch und abstrakt gar nicht zu erreichen ist.
M it unabweisbarem Anspruch w ird das sich selber bestimmende Volk zwar
zum Gegenstand der politikphilosophischen Reflexion, doch seine Bearbeitung
führt nicht zu der in sich stimmigen Definition der Sache, sondern eröffnet eine
Reihe von im Kern unterschiedlichen Konzeptionen von „Volk".
Wer ist das Volk? Und w er sind die anderen?
Wer ist das Volk der Selbstbestimmung? - Die Frage kann, wie sich an der prinzi­
piell zweideutigen Genese der v o l o n t e g e n e r a l e darstellen läßt, stets nur im kon­
kreten Fall, d. h. mit Bezug auf historisch zufällige, umstrittene, rechtsmoralisch
bzw. ethisch oft hoch ambivalente Voraussetzungen beantwortet werden. Rousse-
33 Vgl. I r i n g F e t s c b e r , Rousseaus politische Philosophie. Z ur Geschichte des dem okratischen
Freiheitsbegriffs (Frankfurt a.M . 1975) 146-151. Ü ber das gefährlich U topische dieses Vor­
schlags scheint sich Rousseau aber einigerm aßen im K laren gew esen zu sein. R obert Spaemann hat im übrigen eindringlich darauf hingew iesen, daß es die Erfahrung der m odernen
E ntzw eiung ist - die Erfahrung der Selbstentfrem dung des M enschen in eien Strukturen und
Verhängnissen der sich entw ickelnden, arbeitsteilig-fortschrittlichen Z ivilisation die R o us­
seau zu seiner radikalen, m ithin totalitär anm utenden Philosophie des Bürgerseins m otiviert
hat. Da die R ückkehr in den N aturzustand unm öglich gew orden ist, bleibt bloß noch die
H offnung auf die H eilung der inneren Z errissenheit des M enschen m it H ilfe der O rien tie­
rung am Ideal der antiken Polis, in w elcher das Individuum seine Individualität zugleich in
und durch seine G em einschaftlichkeit verw irklicht. Vgl. dazu: R o b e r t S p a e m a n n , R ousseau B ürger ohne Vaterland. Von der Polis zur N atur (M ünchen 1980): „Und so ist R ousseau zum
Vater aller m o d e r n e n M o d e r n i s m e n und A ntim odernism en gew orden: der R evolution und
der R estauration, des liberalen Rechtsstaates und der populistischen D iktatur, der an tiauto ­
ritären Pädagogik und des Totalitarism us, des rom antischen C hristentum s und der strukturalistischen Ethnologie. A ller Streit um den ,w ahren R ousseau“ ist vergeblich. F ür jede rousseauistische V erirrung gibt es auch eine rousseauistische K ritik. Die moderne Subjektivität,
die in ihm ihre unvergleichliche D arstellung findet, findet durch ihn auch ihre unnachsichtige
E ntlarvung.“ 14.
S e l b s t b e s t i m m u n g , I n d iv id u e ll u n d k o l l e k t i v
19
aus exemplarisches Problem - le p r o b l e m e f o n d a m e n t a l
wie individuelle und
kollektive Selbstbestimmung im klaren und definitionskräftigen Allgemeinbegriff
des souveränen, die v o l o n t e g e n e r a l e verwirklichenden „Volkes“ zur Deckung zu
bringen sind, führt zu keiner Lösung, die die von der neuzeitlichen politischen
Anthropologie (= alle Menschen sollen als freie und gleiche Wesen autonom leben
können) aufgegebene Suche zum Abschluß bringt. Man stößt durch es und mit
ihm im Gegenteil auf ein Bündel von M öglichkeiten, diesem, im Florizont der
modernen Konzeption der Menschennatur sich zwar notwendigerweise aufdrän­
genden, aber nur situativ, im Zusammenhang geschichtlich-kontextueiler U m ­
stände behandelbaren Thema der kollektiven Selbstbestimmung zu begegnen. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, wenn die realhistorisch so wirksam e und
konfliktive, scheinbar einheitliche Programmatik des „Selbstbestimmungsrechts
der V ölker“ sich in die Vielfalt und U nübersichtlichkeit von Implementierungs­
formen ausbreitet, die für Jörg Fisch die gewissermaßen ontologische H infällig­
keit der Selbstbestimmungsidee demonstrieren34.
Zum Schluß will ich knapp skizzieren, warum sich die Anwendungsvarietät des
Selbstbestimmungsrechts(-begriffs) noch einmal steigert, wenn ein weiterer bei
Rousseau unthematisierter Aspekt der Fragestellung in den Blick rückt; nämlich
nicht das Binnenverhältnis zwischen den Bürgern und ihrem Staat, sondern die
In/Out-Differenz der externen Dimension, d.h. neben dem Verhältnis von „Ich
und W ir“ auch dasjenige von „Wir und Ihr“.
Am Thema der Exklusion wird vollends sichtbar, was beim Thema der Inklu­
sion, d.h. bei der Vermittlung von einzelnem Subjekt und Gemeinschaft, noch
halbwegs verborgen bleiben konnte. Denn das Zentralproblem im Kontext des
normativen Prinzips „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ ist ja nicht die Idee
der Volkssouveränität und auch nicht die H erkunft dieser Idee aus dem modernen
Grundgedanken der individuellen Autonomie, sondern die triftige Definition des
realen Inhabers dieser Souveränität bzw. des Trägers der kollektiven Selbstbestim­
mung im konkreten, von Traditionen, gesellschaftlichen Mächtekonstellationen
und vielfältigen Gruppeninteressen durchzogenen Raum des Politischen.
Erst im M edium des faktischen, geschichtlich-gesellschaftlich zerklüfteten po­
litischen Raumes w ird offensichtlich, daß in der Begriffsreihe „Selbstbestimmung
des mündigen Subjekts - Volkssouveränität als Basis einer gemeinsamen politi­
schen Ordnung - Selbstbestimmungsrecht des Volkes bzw. der Völker“ der M it­
telbegriff, die Volkssouveränität, von einer Analogie beherrscht wird, die je nach­
dem zu einigermaßen schwierigen, aber doch lösbaren oder aber zu generell gar
nicht beantwortbaren Fragen führt.
Die Analogie, um die es hier geht, ist die Analogie von Individuum und Volk
bzw. Staat: Ohne Zweifel darf man Völker oder Staaten auch in der Weise als
selbstständige Einheiten denken, wie es in erster Linie die menschlichen Subjekte
sind. Doch diese Analogie ist in doppelter Hinsicht gebrochen; erstens durch die
34 V g!. in diesem Band J ö r g Fisch, E inleitung V II-X X und ders., Selbstbestim m ung vor der
Selbstbestim m ung 87-110.
20
G eo rg K ohler
Tatsache, daß zwar die Teile eines Staates oder eines Volkes, nämlich die mensch­
lichen Individuen, eigenständig sind35, die (Körper)Teile eines Individuums diese
Eigenschaft aber gerade nicht mehr haben, und zweitens durch die Tatsache, daß
menschliche Individuen eine Selbstbestimmungsfähigkeit besitzen und besitzen
können, die ziemlich einfach als gegeben identifizierbar ist, was bei Völkern ganz
und gar nicht selbstverständlich der Fall ist36.
Die Autonomie kollektiver Einheiten, wie es Völker oder auch Staaten sind,
und die Autonomie des einzelnen menschlichen Subjekts sind - hinsichtlich ihrer
jeweiligen Inhaber oder Träger betrachtet - kategorial sehr unterschiedlich. Die
W irkung dieser kategorialen Differenz vergrößert sich, je nachdem, ob man das
Volk-der-Volkssouveränität oder das Volk-des-Selbstbestimmungsrechts-derVölker in den Blick nimmt.
Der Begriff des Voikes-der-Volkssouveränität, jener kollektiven Autonomie,
die die Konsequenz der Axiome der neuzeitlichen politischen Philosophie ist, ba­
siert auf der stillschweigenden Voraussetzung, daß unbestritten ist, wer zu diesem
Volk gehört und wer nicht. Zugunsten der Auseinandersetzung mit dem Problem
der richtigen Integration von „Ich und W ir“ wird daher die Frage nach den Gren­
zen des „W ir“ ausgeblendet. Nicht „Wer ist W ir?“ ist Hobbes, Lockes, Rousseaus
etc. Problem, sondern die Frage, wie der Einzel- und der Gesamtwille aufeinander
zu beziehen sind.
Das ist, wie erläutert, zw ar ein Problem, das über kurz oder lang auch auf spe­
zifische Umstände und historisch-kulturelle Voraussetzungen verweist, doch in
die radikale Konfrontation mit der Schwierigkeit zu sagen, was im Raum des Po­
litischen und auf dem Boden geschichtlich-kultureller Vorgaben ein Volk (als das
Trägersubjekt staatlicher Souveränität) überhaupt ausmacht, zu dieser Fragestel­
lung zw ingt erst derjenige Argumentationskontext, in welchem dem Gegensatz
von „Ihr“ und „W ir“, der Notwendigkeit der Abgrenzung der einen von den an­
deren, nicht mehr ausgewichen werden kann.
Daß eine sachliche N otwendigkeit vom Verhältnis „Ich und W ir“ zum Problem
„Wir und Ihr bzw. die anderen“ hinführt, ist klar (man kann das etwa am Konzept
von Rousseaus „Religion des Bürgers“ und an seinem Lob der Vaterlandsliebe de­
monstrieren37), aber w irklich scharf wird das Thema der Exklusion, der Separa­
tion und der Sezession erst dann, wenn die auf dem normativen Feld der Idee der
Volkssouveränität entstandene Forderung nach dem „Selbstbestimmungsrecht
35 Zum Selbstbestim m ungsrccht der Völker, insbesondere zum Z usam m enhang der R ech ts­
philosophie m it völkerrechtlicher A rgum entation vgl.: O t f r i e d H ö f f e , D em okratie im Z eit­
alter der G lobalisierung: Selbstbestim m ung, Sezession und Intervention (M ünchen 1999)
376-398.
36 Eine Person als solche zu identifizieren, ist ein elem entarer A kt, den w ir n ur schon da­
durch vollziehen, daß w ir jem anden anredcn und nach den Gründen seines Tuns fragen.
Beim K ollektivsubjekt „Volk“ gibt es für die F igur des Subjekts, das sich in kom m unikativen
Verhältnissen als solches betätigt und bew ährt, natürlich kein Ä quivalent, sondern nur
Substitute: die von einer expliziten oder im pliziten Verfassung bezeichneten „O rgane“ des
Volksw illens,
37 Vgl. F or sch n er , (Anm . 30) 168-184.
S elb stb estim m u n g , in d iv id u ell u n d ko llek tiv
21
des Volkes“ auf sprachlich-kulturell heterogene Gemengelagen von Bevölkerun­
gen trifft, wie sie etwa das Habsburgerreich am Ende des 19. und die kolonialen
Imperien im 20. Jahrhundert charakterisierten. Dann steigert sich das A nwen­
dungsproblem der Idee der kollektiven Autonomie in einem Maße, daß abstrakt
und generell gar nicht mehr zu definieren ist, wer ihr Inhaber - „das Volk“ - ist;
was dann erstens zu einer Vielzahl von kontextbezogen mehr oder weniger plau­
siblen Modellen führt, das Verhältnis von Staat (= übergeordneter Herrschafts­
form) und Volk (und dessen jeweiligem „Selbstbestimmungsrecht“) zu denken38,
und zweitens zur Konsequenz hat, daß „das“ Selbstbestimmungsrecht der Völker
in der Tat zu einem Etikett werden kann, unter dem ganz verschiedene und nicht
selten offen widersprüchliche politische Ideen und Ordnungsvorstellungen zu
versammeln sind. Und spätestens an dieser Stelle muß sich die politische Philoso­
phie zunächst von der M annigfaltigkeit empirischer Befunde belehren lassen, be­
vor sie - im Rahmen völkerrechtlicher Grundlagenreflexion - sich erneut trauen
darf, das Wort zu ergreifen39.
Sum m ary
“Self-determ ination”, understood as the right of the individual to live his or her
own life as freely as possible, is the central concept of modern Western political
philosophy. Thanks to a logic immanent to this concept, an idea that originally
pertained to a single subject capable of action developed historically into the no­
tion of the sovereignty of people and of the democratic form of government. In
addition, it became linked to the concept of a “nation” and to the claim to particu­
lar f o r m s of collective autonomy that correspond to the pre-political unity of a
“people”.
Self-determination of the individual; democracy or collective autonomy insti­
tuted by a state; self-determination of nations: the sequence of these concepts
seems to be governed by an inner necessity, which, however, is n o t the case. While
the inner connection between individual and collective autonomy, which leads to
the idea of democratic sovereignty, may be reconstructed almost seamlessly, the
quasi-natural notion of “nation” represents a new concept. Though this concept
can serve as the focal point for the utopian energy of the principle of autonomy, it
feeds on a short-circuit: on m istakenly equating personal or individual identity
with a historically grown collective-commumtarian identity. In other words: from
the point of view of normative logic, no direct line can be drawn from the prin­
ciple of the autonomous individual to the self-determination of nations. On this
path, “Rousseau’s problem” occupies an instructive conciliatory position.
Vgl. H ö f f e , (Anm . 35) 383 f.
y> Vgl. als aktuelles Beispiel: O t f r i e d H ö f f e , Gibt es ein Recht auf Sezession? Einige rechts­
philosophische Ü berlegungen aus gegebenem A nlaß, in: N eue Zürcher Zeitung (29. 8. 2008)
Nr. 201,41.
Onuma Yasuaki
Self-Determination and the Right
of Self-Determination
An Overview from a Trans-Civilizational Perspective
Introduction
The purpose of this introductory chapter is to locate self-determination and the
right of self-determination in human history in a trans-civilizational perspective,
thereby contributing to a deeper and multi-faceted understanding and overall as­
sessment of the notion of self-determination and its actual functions. In particular,
by consciously adopting a trans-civilizational perspective, I will seek to shed a
light on some of the neglected or overlooked aspects of the problem by predom i­
nant perspectives, which have focused on international (or interstate) and trans­
national aspects of the problem1.
The problem of self-determination has been discussed mainly as to what kind of
political entities are considered to be legitimate units or subjects for self-determination. Also discussed is the problem of the concrete form of self-determination:
whether independence should be the only legitimate and feasible w ay of self-determination. Further, the problem of democracy (and human rights) was discussed
in relation with self-determination. After World War I, European nations alone,
excluding the Afro-Asian peoples in colonies, were considered to be the legitimate
subjects of self-determination by the Allied and Associated Powers, which de­
signed and created the postwar global regime. Thus only a limited number of Euro­
pean nations attained or regained independence. After World War II, peoples in
the colonies alone, excluding ethnic minorities and indigenous peoples in various
countries, were generally considered to be legitimate subjects of self-determination. Although the terminology in major instruments on self-determination
gradually changed so as to include indigenous peoples as subjects of self-determination, practice did not change substantially.
1 For a trans-civilizational perspective, see O n u m a Yasuaki, A Transcivilizational Perspec­
tive on International Law 2010; ibid., in: R ecueil des cours C G C X L II (2009). Because the
content of these tw o publications is the same, only the form er w ill be referred to hereinafter.
24
O n u m a Yasuaki
As a matter of the concrete form of self-determination, granting independence
has generally been considered to be a solution to the problems of self-determi­
nation. However, practical solutions were often impossible if the parties con­
cerned stuck to independence as the only legitimate w ay of self-determination.
Granting a certain degree of self-government or autonomy and the protection of
minority rights has been discussed as a feasible and realistic w ay of self-determi­
nation, or as a practical solution of the problems associated with self-determi­
nation of some human groups. Especially after the end of the Cold War, when the
idea of human rights and democracy came to be accepted as constituting the most
legitimate basis for any settlement involving the problem of self-determination,
the tendency to combine the idea of self-determination with the idea of the pro­
tection of various types of minorities has become more and more visible.
These problems are certainly important practical issues. However, this essay
does not address such concrete contemporary issues. Rather, as an international
law yer who has been engaged in the study of the history of international law and
international or trans-civilizational relations from a trans-civilizational perspec­
tive, I w ill identify problems of a longer-lasting historical nature relating to the
significance and actual functions of the notion of self-determination. I w ill thus
seek to locate and assess the notion of self-determination and of the problems it
has produced in global history. I w ill further consider the significance and prob­
lems which the legalization of the notion of self-determination in terms of a right
has brought about.
I. From the Co-existence of Regional Civilizations
to the West-centric World of the 20th Century:
A View from a Trans-civilizational Perspective
As I h a v e a lr e a d y written on t h e subject eJsewhere2,1 will not repeat m y argument
on human history as seen from a trans-civilizational perspective in a detailed
manner, but only provide a very brief sum mary of this perspective, thereby show ­
ing my basic theoretical framework in dealing with the problem of self-determ i­
nation.
2 O n u m a Yasuaki, W hen was the Law of International Society Born? In: Jo urnal of the H is­
tory of International Law II, no. 2 (2000). This Jo urn al in volum e 4 no. 1 published a sym p o ­
sium on that article. Five leading international law yers and one leading international relations
scholar review ed this article. A revised version of this article is in O n u m a , supra note 1,
chapter 4.
Self-D e te rm in atio n and the R igh t of S elf-D e te rm in atio n
25
1.1. C oex isten ce o f R e g i o n a l C ivilizations
It has been well established that the basic tenet and structure of today’s global in­
ternational society is a result of the globalization of European (and US) inter­
national society. The modern European w ay of world ordering came to be global
because the European states aggressively colonized non-European regions and
imposed their w ay of world ordering on non-Europeans that barely maintained
independence. At the same time, the European w ay of world ordering became
global because non-Europeans gradually accepted it, however reluctantly.
The pre-modern world which existed before this Euro- or West-centric world
could be characterized as one of coexistence of regional civilizations. In Eurasia,
there was a vast region where generally M uslims reigned. Islam constituted a basis
of common world images for them. People generally regulated human and societal
relations including what we today call international relations according to Islamic
norms, which were called Sharia. The Sharia included norms regulating the rela­
tionship among Muslims themselves and regulating their relationships w ith nonMuslims. The latter was called Siyar.
In East Asia, the Sino-centric tribute system prevailed. In most of human his­
tory, Chinese dynasties were the largest centralized powers, which were prosper­
ous and culturally highly developed. Political entities around China were more or
less influenced by China in almost all aspects of their life. A relatively stable re­
gional system centered on China lasted for a long period of time. The Sino-centric
was one of the most important orderings of the world among regional normative
systems which lasted till the 19th century.
In other regions such as the Indian sub-continent and various parts of the
American and African continents, sim ilar regional civilizations with shared cogni­
tive and normative frameworks existed, although the degree of shared frameworks
differed from region to region and from time to time. The boundaries and actual
spheres of these regional civilizations were not rigidly fixed. They changed ac­
cording to concrete human or societal relations, and according to the rise and fall
of political, economic, cultural and m ilitary powers within (sometimes transcen­
ding) civilizational boundaries, which were loosely and flexibly fixed.
The European world was, after the collapse of the Roman Empire in the West,
generally characterized by decentralized political structures and Christianity.
Until the 16th century, the European sphere of civilization was not as prosperous
as other major regional civilizations such as the Sino-centric and Islamo-centric
ones. Even after European states aggressively expanded their domination and in­
fluence after the IS1*1century, their power and prosperity was not so impressive, if
compared w ith such leading empires as the Ottoman Empire and the Ming or
Qing dynasty. However, after the Industrial Revolution, their power increased
rapidly. They succeeded in colonizing other regions and imposing their ordering
of the world on non-Europeans including the massive peoples in China and India
by the end of the 19th century.
26
O n u m a Y asuaki
1.2. G lob alization o f th e E u rocen tric O r d e r i n g o f th e W orld in t h e 19t!> C e n tu r y
The world characterized by the coexistence of regional civilizations without a
globally uniform cognitive and evaluative framework as well as shared norms
regulating relations between various political entities or peoples ended, when the
European powers overwhelmed competing powers in other regions such as the
Ottoman Empire, the M ogul Empire and the Qing Dynasty. The globalization of
the European ordering of the world was realized around the end of the 19th cen­
tury as far as its geographical coverage is concerned. The Partition of Africa by the
European colonial powers, sym bolized by the Berlin Conference and its General
Act of 1885, and the collapse of the Sino-centric system of world ordering, sym ­
bolized in Article 1 of the Sino-Japanese Peace Treaty of 1895, are the most con­
spicuous events of this globalization of the Euro-centric ordering of the world in
the geographical sense.
1.2.a. The Partition of Africa and the Notion of “mission civilisatrice”
In his opening speech at the Berlin Conference, Bismarck stated that “le Gouver­
nement Imperial a ete guide par la conviction que tous les Gouvernements invites
panagent le desir d’associer les indigenes d ’Afrique ä la civilisation en ouvrant
l’interieur de ce continent au commerce”3. Other leaders generally shared this
psychology. In the Berlin Conference and in its General Act, the term “civili­
zation” meant European civilization. Non-Europeans were regarded as either
barbarians or savages, outside the pale of civilization. International law was char­
acterized by the Europeans as the law of civilized nations. According to the preva­
lent interpretation of the time, non-European nations, especially African “tribes”
or “natives”, could not be subjects of international law4. The Europeans had a
sacred mission to educate, cultivate, lead and rule non-Europeans so that the latter
could enjoy the fruits of this glorious European civilization. Such were the as­
sumptions, ideas and images commonly held by the European leaders and major
international lawyers at this time.
Article 6 of the General Act of the Berlin Conference embodied such an arro­
gantly self-confident view held by the Europeans. It reads:
“Toutes les Puissances exergant des droits de souverainete ou une influence
dans les dits territoires s’engagent ä veiller ä la conservation des populations indi­
genes et ä Tamelioration de leurs conditions morales et materielles d’existence et ä
c o n c o u r i r ä la s u p p r e s s io n d e l ’esclavage et surtout de la traite des noirs; elles protegeront et favoriseront, ..., toutes les institutions et entreprises religieuses,
3 J u l e s H opf (ed.), N ouveau R ecueil G eneral de Traites, 2*mc serie, X, 2emc livraison (G ottingue 1885) 201.
4 See the view s of the leading international law yers of the time such as H e n r y W h e a t o n ,
Elements of International Law (Boston 1836) 18, and subsequent editions;/. C. B lu n tsc h li,
Das m oderne V ölkerrecht der civilisirten Staten als Rechtsbuch dargestellt (N ördlingen
31878) 61 \J a m e s L o r im e r, The Institutes of the L aw of N ations, I (E dinburgh 1883, reprint
Aalen 1980) 93-103; J o h n W estlake, C hapters on the Principles of International Law (C am ­
bridge 1894) 1-7, 129-89.
S e l f - D e t e r m i n a t i o n a n d the R i g h t o f S e l f - D e t e r m i n a t i o n
27
scientifiques ou charitables creees et organisees ä ces fins ou tendant ä instruire les
indigenes et ä leur faire comprendre et apprecier les a vantages de la civilisation.”5
. In the eyes of the Europeans of the time, Africans were a kind of children who
should be supervised and led by Europeans to partake in civilization, i.e., Euro­
pean civilization. It was regarded only natural for the Europeans in those days to
decide the fate of African peoples without the representation of Africans. It was
again only natural that the instrument by which they decided the future of Afri­
cans was “international law ”, i.e., common law for Europeans, or European inter­
national law. Although the European or non-universal nature of international law
was emphasized by European international lawyers and governments at the time,
the very act of deciding the fate of Africans by such a non-universal European law
was not questioned. Africans had no choice but to accept it. It was the power of
the Europeans that was crucial.
1.2.b. The Collapse of the Sino-centric System in East Asia and the Globalization
of the Eurocentric Ordering of the World
In East Asia, the Sino-centric ordering of the world ended around the time of the
Partition of Africa by the European powers. From the 1860s Japan began to w est­
ernize itself. It sought to reorganize its relations with neighbors in accordance
with the European w ay of world ordering6. In this process, Japan had a series of
conflicts with China, which sought to maintain the Sino-centric w ay of world
ordering among East Asian nations. In 1894, Japan and China fought a war over
Korea. Japan won the war, and imposed a peace treaty on China in 1895 (Treaty of
Shimonoseki), Article 1 of the Treaty provided for the international status of
Korea. It reads:
“China recognizes definitely the full and complete independence and auton­
omy of Corea, and, in consequence, the payment of tribute and the performance
of ceremonies and formalities by Corea to China in derogation of such indepen­
dence and autonomy shall w holly cease for the future.”7
This provision had a tremendous significance in world history. China did not
only lose the war with Japan, a traditional qu a si member of the Sino-centric
tribute system. More importantly, China had to recognize that Korea would defi­
nitely secede from the tribute system, a system of long established Sino-centric
universalistic world ordering. This fact had a critical importance in the globaliz­
ation of European international society in the geographical sense of the term.
Korea had been C hina’s most faithful tributary. It was w illing to maintain suzerain-vassal relations with China even after other Asian nations successively se­
ceded from the Sino-centric tribute system in the 19th century. However, China
5 H o p f ( e d . ) , supra note 3, 418.
f> This was the beginning of the glo ry and guilt of modern Japan, characterized by rapid
econom ic developm ent and im perialistic policies during the p re -1945 period, and peaceful and
prosperous policies during the post-1945 period. See O n u m a Yasuaki, Japanese International
Law in the Prew ar Period, in: Japanese A nnual of International Law X XIX (1986) 23-24.
7 C l i v e P a r r y (ed.), C onsolidated Treaty Series, C V L X X X I (N ew York 1979) 217.
28
O n u m a Yasuaki
now had to recognize that Korea was an independent and autonomous nation.
China had to abandon the long established custom of receiving a tribute from
Korea in accordance with the Sino-centric ceremonies and formalities. To China,
Korea was now merely one of many nations whose status must be defined by
European international law. The tribute system based on a universalistic Sino-centrism ceased to be a system of world ordering competing with the Euro-centric one.
It was natural that the Europeans became self-confident and even arrogant by
the end of the 19th century. Britain had already destroyed the once powerful and
prosperous Mogul Empire in India. The European powers had weakened the O t­
toman flmpire, once an unbeatable foe, and beaten the Qing dynasty, whose rules
of world ordering they had had to obey in order to maintain the trade relations
which they had desperately needed. All these powers were no longer European
rivals, let alone superiors.
Colonialism and racism were now the authentic and legitimate ideologies of the
European powers. Even when Japan, an Asian nation, became one of the Great
Powers after World War I, the situation did not change. Its proposal to insert a
racial equality clause into the League of Nations Covenant was flatly rejected by
the Western powers. Japan itself did not deny the ideology of colonialism and rac­
ism. It followed the example of the Western powers and sought to acquire a
powerful colonial empire, and it succeeded, albeit only during a short period of
time, from 1895 to 1945. The world in which the Euro-centric ordering became
global was a world of modern sovereign states, which were characterized as equal
under international law, but it was also a world of colonialism and racism.
II. The Place and Function of Self-determination and of the
Right of Self-determination
11.1. G ra d u a l D eclin e o f R acism a n d C olonialism
Whereas the system of sovereign states was consolidated over the course of the
20th century, both colonialism and racism gradually declined. The idea of self-determination, together with other ideas such as socialism, communism, egalitarian­
ism, democracy, human rights, humanism, and humanitarianism, greatly con­
tributed to this decline. M any of these ideas were born or at least emphasized in
Europe. However, it were not only Europeans but also non-Europeans who made
full use of these ideas, particularly that of national self-determination. They re­
sorted to these ideas to fight against European colonialism and racism. This fact
demonstrates the power of universal normative ideas such as that of self-determination.
W hile non-European nations could not attain independence after the end of
World War I, they were heavily engaged in independence movements in their
respective countries. One of the most important ideas which supported their
S e l f - D e t e r m i n a t i o n a n d the R i g h t o f S e l f - D e t e r m i n a t i o n
29
struggle against colonial rule was the idea of national self-determination. A
number of Afro-Asian leaders of independence movements studied in Europe, the
United States and Japan, and acquired this charming notion of national self-deter­
mination. They were also attracted by socialism and communism, which encour­
aged their struggles against capitalist-colonialist states. The three ideas were often
closely connected with each other.
The governments of the colonial states brutally suppressed the independence
movements. Elowever, the idea of national self-determination appealed not only
to the peoples who suffered from colonial rule. People in the colonial states grad­
ually came to regard the idea of national self-determination as just. Some of them
assisted or supported the independence movements of the peoples in their colo­
nies. Moreover, Japan, Italy and Germany, which possessed relatively few colo­
nies, sometimes assisted the independence movements of the peoples of the Brit­
ish, French and Dutch colonies. Japan resorted to the idea of “liberating Asia from
Western dominance” when it fought with the US, the UK, the Netherlands and
other Allied Powers in World War II. It was basically a convenient ideology for
Japan, which itself possessed colonies in Taiwan and Korea, and was engaged in an
aggressive w ar against China, an Asian nation. Yet, the ideology of “liberation
from Western colonialism ” sounded attractive to a number of leaders of indepen­
dence movements in Asia.
When World War II ended, the major Western colonial powers took for granted
that their status of colonial power would be maintained or restored. However,
they could not maintain or regain it. A number of factors worked against them.
First, the national movements for independence in Asia and Africa were already
too strong for European powers to suppress them. European colonial powers had
to be prepared for great sacrifices in terms of the victims involved in the m ilitary
activities suppressing the independence movements and of the economic costs in
carrying out such m ilitary activities. At first, peoples in the European colonial
powers seemed to be prepared for such sacrifices. However, as the armed conflicts
with the independence movements went on, and the number of victims of the co­
lonial powers increased, the latter changed their attitude. They gradually realized
that the cause - the legitim acy of the claim - was on the side of the independence
movements and gave up the idea of suppressing them.
Second, both the US and the Soviet Union, the two superpowers after the War,
were generally against the suppression of independence movements. The Soviet
Union in particular supported strongly the national self-determination movement
of Afro-Asian nations, thereby seeking to gain their support for the socialist camp
in return. This policy was on the whole successful. The US exerted pressure on the
West European allies to recognize the independence of their colonies so as not to
lose the support from Afro-Asian nations in the power struggle w ith the Soviet
Union for global hegemony8.
8 In some cases, the US sought to suppress a national liberation m ovement m ain ly from fear
that it was closely linked to socialism or com m unism . The Viet-N am W ar was a typical
30
O n u m a Yasuaki
Third, the Japanese m ilitary actions during World War II had caused serious da­
mages to the Western colonial powers in Asia. The UK, France and the Nether­
lands suffered seriously in fighting World War II. They no longer had enough
power to suppress the national self-determination movements after the end of
World War II. As referred to earlier, Afro-Asian nations held not only enough
power and morale to fight against the colonial powers. They also held the power
of legitimacy, which was appealing not only to their own people but also to people
in the colonial states. The West European states finally found it impossible to
maintain their colonies.
11.2. P o s tw a r R ejec tio n o f C olonialism B a sed on t h e I d e o l o g y o f th e
mission civilisatrice
After World War II, the victorious A llied Powers created the United Nations as a
postwar global regime. One of the purposes of the U N was “to develop friendly
relations among nations based on respect for the principle of equal rights and selfdetermination of peoples, and to take other appropriate measures to strengthen
universal peace” (U N Charter Article 1). From the end of World War II, AfroAsian nations successively attained independence. People witnessed the decline of
colonial rule on a global scale. It was the era of decolonization. In 1955, AfroAsian nations held a monumental conference in Bandung, Indonesia (the AsianAfrican Conference), and adopted the Declaration on Promotion of World Peace
and Cooperation. Leaders of new ly independent nations such as Soekarno of In­
donesia, Nehru of India and Nasser of Egypt were some of the most conspicuous
figures of the time.
From the late 1950s to the 60s, decolonization featured the spirit of the time.
The Afro-Asian nations pursued to adopt resolutions in every forum, especially in
the U N General Assembly, that would encourage and legitimate the independence
movement in the colonies. The year 1960 marked an epoch in the history of colo­
nialism and decolonization. In this year, 17 new ly independent nations joined the
UN. Yet, the most significant event of 1960 was the U N General A ssem bly’s
adoption of the Declaration on the Granting of Independence to Colonial Coun­
tries and Peoples9. This declaration has b o t h a s u b s t a n t iv e and a s y m b o l i c m e a n in g
in human history, rejecting the global colonial system, which had lasted nearly five
centuries.
In a substantive sense, the Declaration provided a practical tool to accelerate the
independence of colonies by means of UN organizational involvement. This was
the Special Committee on Colonialism , which the UN created in 1961 to imple­
ment the provisions of Resolution 1514. The Special Committee played a major
role in encouraging and accelerating the decolonization process.
exam ple. H ow ever, the US too could not suppress the national liberation movement, w hich
was basically a quest and m ovement for self-determ ination of the Vietnamese people reject­
ing foreign rule.
9 U N G A R e s 1514 (XV).
Self-D e te rm in atio n and the R ig h t of S elf-D e te rm in atio n
31
In a symbolic sense, the Declaration gave a decisive blow to the ideology of co­
lonialism by explicitly denying the paternalistic ideology of the “mission civilisat­
rice”. In paragraph 3 the Declaration explicitly provides that “[ijnadequacy of
political, economic, social or educational preparedness should never serve as a
pretext for delaying independence”. The crucial significance of this provision lies
in the following.
When Europeans expanded their colonial rule on a global scale in the 191'1 cen­
tury, they resorted to a paternalistic ideology, pretending that they had a sacred
mission to civilize non-Europeans, who were either barbarians or savages. Terms
such as “la mission civilisatrice”, “white man’s burden” or “manifest destiny”,
which were popular from the 191*1to the early 20t!l centuries in Europe and North
America, exemplified this ideology. It constituted the theoretical and psychologi­
cal foundation for the worldwide colonization by the European powers. North
Americans and “w hites” in European colonies shared this ideology.
The paternalistic sense of superiority over non-European people had long
existed in Europe even before the days of wholesale colonization of the 19th cen­
tury. This was in a sense natural, because it was quite common for peoples belong­
ing to different civilizations to hold an ego-centric universalistic idea with a sense
of superiority over the others. Sino-centrism, which was shared till the 19th cen­
tury not only by Chinese but by East Asians in general, was a typical example.
Muslims held similar ego-centric universalistic ideas with a sense of superiority
over non-Muslims, and sought to proselytize. Europeans held similar ego-centric
universalistic ideas, based on their belief in the superiority of C hristianity over
other belief systems. The famous lectures given by Francisco de Vitoria in 1539,
which rejected seven titles for the Spanish colonization of the Amerindians such
as donation by the Pope, yet finally justified the Spanish colonization in America,
revealed this logical and psychological structure. Although Vitoria did not resort
to the concept of the “mission civilisatrice”, the logical structure of his lectures
was basically the same10.
The paternalistic ideology of bringing civilization to non-Europeans, whose
political, economic, social or educational system was not adequate for indepen­
dence, constituted the core of the ideology of colonization. Therefore, the Euro­
peans and North Americans could believe that they were engaged in a sacred
mission of civilization. They could deceive themselves into believing that brutal
behaviour in their colonies was a necessary means of education. The Japanese,
who joined in this “sacred mission” as a latecoming imperial power, held the same
ideology when they colonized Taiwan and Korea.
By explicitly providing that “[i]nadequacy of political, economic, social or edu­
cational preparedness should never serve as a pretext for delaying independence”,
the Declaration on the Granting of Independence to Colonial Countries and
10 See O n u m a Yasuaki, Eurocentrism in the H isto ry of International Law, in: id. (ed.), A
N orm ative A pproach to W ar - Peace, W ar and Justice in H ugo G rotius (O xford 1993) 382386.
32
O n u m a Yasuaki
Peoples of 1960 rejected this ideology without any doubt. Thus it shattered the
core idea of colonialism, which had lasted for more than four centuries since the
days of Francisco de Vitoria. In this sense, the Declaration had a tremendously
great significance in human history.
II.3. T he S anctification o f t h e N otion o f S elf-d e ter m in a tio n
From 1960, the notion of self-determination came to be more and more sanctified.
The Internationa] Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (ICESCR),
and the International Covenant on Civil and Political Rights (ICCPR), adopted in
1966 provided in common Article 1 that:
“ 1. All peoples have the right of self-determination. By virtue of that right they
freely determine their political status and freely pursue their economic, social and
cultural development.
2. All peoples may, for their own ends, freely dispose of their natural wealth and
resources without prejudice to any obligations arising out of international econ­
omic co-operation, based upon the principle of mutual benefit, and international
law. In no case m ay a people be deprived of its own means of subsistence.
3. The States Parties to the present Covenant, including those having responsi­
bility for the administration of Non-Self-Governing and Trust Territories, shall
promote the realization of the right of self-determination, and shall respect that
right, in conformity with the provisions of the Charter of the United N ations.”
The legalization and sanctification of the notion of self-determination went on
and on. In the initial period after World War II, self-determination was asserted by
Western nations as a political or moral principle, which should be respected
within states, but not necessarily in international affairs. The non-Western nations
were not satisfied. They sought to characterize self-determination as a matter of
international concern, and argued energetically that self-determination was not
only a political or moral principle but also a legal right. From the 1960s, the latter
claim came to be more and more influential. The very fact that the ICESCR and
the ICCPR, generally regarded as the most important human rights treaties,
explicitly provided in the common article 1 that the provision that “[a]ll peoples
have the right of self-determination” reflected the fact that the latter claim was be­
coming prevalent. It had a tremendous impact on the legalization and sanctifi­
cation of the notion of self-determination.
In 1970, the U N General Assem bly adopted the Declaration on Principles of
International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States
in accordance with the Charter of the United Nations. This Declaration provided,
under “the principle of equal rights and self-determination of peoples” for the
right of self-determination in an even more explicit and detailed manner. Its reads
B y v i r t u e o f the p rinciple of . . . self-determ ination of peoples ..., all peoples have the right
freely to determ ine, w ithout external interference, their political status and to pursue their
econom ic, social and cultural developm ent, and every State has the d u ty to respect this right
in accordance w ith the provisions of the Charter.
Self-D e te rm in atio n and the R ig h t of Self-D e te rm in atio n
33
Every State has the d u ty to prom ote, through jo in t and separate action, realization of the
principle of . .. self-determ ination of peoples, ... , and to render assistance to the United
N ations in carrying out the responsibilities entrusted to it b y the C harter regarding the
im plem entation of the principle, in order:
... (b) To bring a speedy end to colonialism , having due regard to the freely expressed w ill
of the peoples concerned;
and bearing in mind that subjection of peoples to alien subjugation, dom ination and exploi­
tation constitutes a violation of the principle, as w ell as a denial of fundam ental human rights,
and is contrary to the Charter.
... Every State has the d u ty to refrain from an y forcible action w hich deprives peoples re­
ferred to above in the elaboration of the present principle of their right to self-determ ination
and freedom and independence. In their actions against, and resistance to, such forcible ac­
tion in pursuit of the exercise of their right to self-determ ination, such peoples are entitled to
seek and to receive support in accordance w ith the purposes and principles of the Charter.
The territo ry of a colony or other N on-Self-G overning T errito ry has, ..., a status separate
and distinct from the territo ry of the State adm inistering it; and such separate and distinct
status . .. shall exist until the people of the colony or N on-Self-G overning T erritory have
exercised their right of self-determ ination . . . u
This Declaration is generally construed as embodying fundamental norms of gen­
eral international law, which every state must abide by. Although Western nations
were at first bitterly against the idea that self-determination is a legal right under
international law, it now came to be difficult for them to maintain their original
position. They reluctantly came to admit that self-determination is not only a
political or moral principle but also a legal right under international law.
As suggested above, during the period from the end of World War II to the
1970s, the notion of self-determination played a tremendously significant role in
human history, delegitim izing colonial rule on a global scale. The European colo­
nial system now collapsed.
At first, national self-determination, especially when it was associated with in­
dependence and national liberation movements of Afro-Asian peoples, was
closely linked to socialism and communism. However, throughout its history, it
has been most closely related to the idea of the modern nation state: the nation
should be sovereign and the basic unit of world ordering. The idea of self-deter­
mination is also closely related to the idea of democracy, in which individuals
should be entitled to determine their own fate. Here lie the universal power of
legitim acy and the charm of the notion of self-determination. Not only people in
colonies but also those in colonial states are attracted and can be persuaded. This is
the key to the notion’s success.
Up to World War II, the colonial system was an inseparable companion of the
sovereign states system. Birth, formation and development of the modern sover­
eign states system was inseparably accompanied by the birth, formation and devel­
opment of the European colonial system on a global scale. This close link was cut
off during the post-World War II period. Because the colonial system was solid
and long lasting, it took several decades to be dissociated from the sovereign states
11 Resolution 2625 (X X V ), paragraph on the principle of equal rights and self-determ ination
of peoples.
34
O n u m a Yasuaki
system. Yet, the dissociation of the two was now done. The notion of self-deter­
mination constituted a crucial part of this monumental change in human history.
II .4. P r o b le m s A c c o m p a n y in g t h e R e c o u r s e to a n d Application o f t h e N otion o f
S elf-d e te r m in a t io n
If we could finish narrating the story of self-determination in the 1970’s, it would
be a great success story. I wish I could do so. Yet, I cannot. The story does not end
there. Even during the period when the notion of self-determination played a cru­
cial role in ending the colonial system, its negative aspects were already apparent.
The critical problem of “W ho is the people being entitled to self-determine?” was
never answered in an unequivocal manner. Brutal civil wars and large scale viol­
ence in the course of independence were already visible in the Indian sub-conti­
nent, Congo and many other places.
Gradually, it became apparent that the notion of self-determination of peoples
was not only a sacred notion for liberation but also a convenient tool for those
who won the power struggle for independence to justify the existing power struc­
ture within national boundaries. It was a weapon of those who gained the power
to suppress national or ethnic minorities or indigenous peoples under the name of
“people”, national unity or territorial integrity. Whenever states included clauses
on s e lf - d e t e r m in a t i o n i n t o international instruments, they carefully drafted them
so that they would not entitle the various types of minorities and/or indigenous
peoples in their territories to the right of self-determination. For example, the
Declaration on Principles of Friendly Relations provides: “Nothing in the fore­
going paragraphs shall be construed as authorizing or encouraging any action
which would dismember or impair, totally or in part, the territorial integrity or
political unity of sovereign and independent States conducting themselves in com­
pliance with the principle of ... self-determination of peoples as described above
and thus possessed of a government representing the whole people belonging to
the territory w ithout distinction as to race, creed or colour. Every State shall re­
frain from any action aimed at the partial or total disruption of the national unity
and territorial integrity of any other State or country.”12
This tendency has slightly changed in recent years as to the instruments on
indigenous people. However, the overall policy of the national governments
remains the same. Combined with the notion of u ti possidetis, the notion of selfdetermination played a crucial role in legitim ating the status quo of the existing
nations.
After the end of the Cold War in 1989, the problematic features of self-determi­
nation came to be even more apparent. In Yugoslavia, Ruanda, Somalia and many
other places where “nations” and “states” were at issue, the notion of self-determination played an abominable role. It was often abused to justify xenophobic
and violent nationalism or ethno-centrism and to negate the legitim acy or even the
12 Ibid.
S e l f - D e t e r m i n a t i o n a n d the R i g h t o f S e l f - D e t e r m i n a t i o n
35
existence of other groups. In processes in which concerned parties sought to settle
the complicated problems involving various kinds of human entities including
national and/or ethnic groups w ith or without territorial bases, the role of the no­
tion of self-determination was not constructive but rather destructive. In particu­
lar, the concept of the right of self-determination often functioned as a hindrance
to, rather than as a constructive tool of, a peaceful and harmonious settlement
among various parties struggling for independence, autonomy, economic prosper­
ity, human dignity, realization or restoration of justice and many other values.
From around the early 1990s, the problem of “ethnic cleansing” and other
abominable forms of behaviour accompanied by independence movements and
national or ethnic struggles in the region of Yugoslavia and in Africa became more
and more conspicuous. M any people began to cast serious doubts on the signifi­
cance and desirability of the idea of self-determination. In particular, the values of
its legalized and sanctified form came to be doubted, seriously questioned and
heatedly discussed.
To some people, it seems that the notion of self-determination of peoples has
already finished its historical role of bringing a global colonial system to an end. It
is no longer a useful conceptual tool to be utilized in politics. Rather, it is an
abominable notion doomed to be abused by the advocates of xenophobic
nationalism or ethno-centrism. In particular, the rigidly constructed legal notion
of the right of self-determination is of no use as long as it cannot identify the legit­
imate subject of this right and determine with an authoritative mechanism in a
concrete and precise manner who should be such a subject.
This argument sounds persuasive. We have witnessed large scale human tra­
gedies in Africa, former Yugoslavia, South and West Asia, and many other regions,
which seem to have been brought about by, or at least closely been associated
with, the righteous, maybe too righteous notion of self-determination. Today, we
cannot help but asking ourselves: Isn’t self-determination an incendiary vulgar
idea, essentially associated with xenophobic nationalism, ethno-centrism and
state-centrism, doomed to bring about insolvable conflicts among peoples, who
might be able to live and coexist in peace were this notion not used?
To others, the notion of self-determination of peoples is still valuable and use­
ful. Not only in terms of law, but in most political discourses, the right of self-de­
termination is regarded as something valuable, desirable, to be assessed favorably.
It is not the sin of the concept of self-determination to be abused. It is those who
abuse it that should be criticized. Reconstruction of the notion of self-determi­
nation, which should adapt itself to the new situation of the 21st century when de­
colonization in the traditional sense is over, is both possible and desirable.
Or, one might argue that while the idea of self-determination was not harmful,
its legalization, especially in terms of a right, has created a number of problems.
The rigidity of a legal term and a legalistic thinking associated with the notion of
the right of self-determination makes it difficult for parties in conflict to compro­
mise and to reach an agreement for coexistence and co-prosperity. One may, to the
contrary, argue that the lack of full legalization has produced serious problems. If
36
O n u m a Yasuaki
the concept of self-determination is expressed in terms of a legal right, its subject
and its scope must be determined in a precise and rigid manner so that its interpre­
tation can be unequivocal. I, as an international lawyer, tend to believe that such
an argument is crying for the moon. I do not personally believe that it is a feasible,
legitimate response.
Concluding Remarks
I must conclude my chapter with an utterance of uneasiness. How should we
evaluate the notion of self-determination in the 21st century world? How should
we assess its legalized form in terms of rights, i.e., the right of self-determination?
H ow should we characterize its actual functions?
To answer these questions is important and worth serious deliberation, for the
notion of self-determination w ill still be used in real politics, whether scholars and
intellectuals regard it desirable and useful or not. Without its proper understand­
ing and evaluation, the notion may continue to be abused and play an abominable
role, as it has actually played. Yet, answering these questions requires a tremen­
dous amount of scrupulous and multi-faceted deliberation from diverse perspec­
tives.
W hat I have sought here is merely to place self-determination in human history
from a trans-civilizational perspective in a most concise manner. I only hope that
even such a rough overview w ill help readers, who are accustomed to see things
including the problem of self-determination from (West-centric or Euro-America-centric) international and transnational perspectives, which are predominant
perspectives of our time, to grasp the problem from a slightly w ider perspective of
human history. I should be content if readers would read more detailed analyses,
evaluations and assertions by other contributors of this book with a sense of this
trans-civilizationality, which is required to understand any problems in the m ulti­
polar and m ulti-civilizational 2'lst century w o rld13.
Summary
Der Aufsatz skizziert die Globalgeschichte des Selbstbestimmungsrechts aus ei­
ner zivilisationsübergreifenden Perspektive. In der Vormoderne bildeten die isla­
mische und die chinesische Welt die wichtigsten regionalen Völkerrechtsordnun­
gen, während Europa klar nachgeordnet war. Die europäische Eroberung der
Welt und die Industrialisierung führten seit dem späten 19. Jahrhundert zu einer
diskriminierenden Ausweitung des europäischen Völkerrechts auf die ganze Welt.
Vollberechtigte Völkerrechtssubjekte waren nur die von Europäern dominierten
13 See further O n u m a , supra notes 1 and 2.
S e l f - D e t e r m i n a t i o n a n d th e R i g h t o f S e l f - D e t e r m i n a t i o n
37
Staaten. Zur wichtigsten Waffe der außereuropäischen Völker im Kampf um die
Gleichstellung wurde, insbesondere nach 1945, die Forderung nach dem Selbst­
bestimmungsrecht, zuerst als Prinzip und schließlich als förmliches Recht eines
jeden Volkes, bis der europäische Anspruch auf eine Sonderstellung beseitigt war.
Seither sind allerdings auch die Gefahren und Nachteile des Selbstbestimmungs­
rechts deutlich geworden. Wer dessen Subjekt ist, bleibt umstritten, und insbeson­
dere die ethnischen Säuberungen zeigen ein destruktives Potential, das noch nicht
gebändigt ist.
II.
Die Frühe Neuzeit,
die Französische Revolution und die Folg
Heinz Duchhardt
Fremdbestimmung statt Selbstbestimmung
Das Vorfeld von „Selbstbestimmung“ im 18. Jahrhundert
K arl O tm a r Frhr. von A retin zu m 2. J u li 2008
Es gibt in der Geschichte Phänomene, die der Sache nach existieren, ohne daß der
Name schon „erfunden“ gewesen wäre, also Phänomene „avant la lettre“. Das
Phänomen „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ - nur diese Variante des schil­
lernden Begriffs liegt im Fokus des vorliegenden Beitrags - zählt nicht zu dieser
Kategorie; nicht nur der Name ist in der Vormoderne noch nicht existent gewesen,
auch die Sache existierte in Alteuropa bis zum Vorabend der Revolution allem
Anschein nach noch nicht. Es ist deswegen wohl auch kein Zufall, daß nicht nur
ein zeitgenössisches Lexikon wie Zedlers Universal-Lexicon, sondern auch ein
zentrales modernes Referenzwerk, die Geschichtlichen Grundbegriffe, die die
politisch-soziale Sprache seit der Sattelzeit abbilden, das Lemma nicht kennen1.
Beide Befunde korrespondieren mit dem, wovon die begriffsgeschichtliche For­
schung bisher ausgeht: daß sich nämlich die frühesten Belege erst für die 1860er
Jahre nachweisen lassen.
Man könnte entgegenhalten, daß das Europa seit dem 14. Jahrhundert mit sei­
nen unendlich vielen Revolten, die Peter Blickle jüngst noch einmal in den Blick
genommen und bilanziert hat2, eine Region war, in der wenigstens im Kern mit
dem „Selbstbestimmungsrecht“ ständig operiert worden sein muß, um die bei­
nahe zahllosen regionalen und überregionalen Konflikte zu legitimieren. Das ist
aber nicht der Fall; als Begründungsfiguren tauchen, selbst wenn die Aufständi­
schen es bis zu einer embryonalen oder gar entwickelten Organisation brachten
wie die spanischen Comuneros von 15203, stattdessen Vergehen der Obrigkeiten
in Form von Forderungen nach vermehrten Leistungen, wachsender Steuerdruck,
defizitäre Rechtsstaatlichkeit oder ähnliches auf, aber niemals ein naturrechtlich,
römischrechtlich, biblisch oder wie auch immer hergeleitetes „Selbstbestim­
mungsrecht“ eines Volkes oder einer politisch-sozialen Gruppierung. Wenn man
1 L aut R e g iste r tau ch t d as S tich w o rt n u r ein m al im K o ntext des 1. W eltk riegs auf; G e­
sch ich tlich e G ru n d b egriffe. H isto risch es L ex ik o n z u r p o litisc h -so z ia le n S p rach e in D eu tsc h ­
lan d, Bd. 4 (S tu ttg a rt 1993) 782, A rt. P azifism u s.
’ Peter Blickle, D as A lte E u ro p a (M ü n ch en 2008).
3 Ebd. 193.
42
H e in z D u c h h a r d t
denn das Phänomen „Selbstbestimmungsrecht“ - avant la lettre - überhaupt aut
die Vormoderne applizieren will, dann allenfalls in der Variante eines konditiona­
len Rechts im Sinn eines Widerstandsrechts gegen tatsächliches oder vermeint­
liches Unrechtshandeln der Obrigkeit. Vom modernen Verständnis von „Selbst­
bestimmungsrecht“ im Sinn der Forderung nach Unabhängigkeit als einem Recht,
das in keiner Hinsicht vom Handeln der Gegenseite abhängt, trennen dieses vor­
moderne Verständnis Welten.
Kriterium, um das Gesagte - die Hypothese also, daß der vorrevolutionären
Zeit die Sache an sich fremd w ar - auf den Prüfstand zu stellen, sollen die territo­
rialen Verschiebungen im 18. Jahrhundert sein, die man unter den Begriff „Län­
dertausch“4 subsumiert hat - Ländertausch, dem nicht eine militärische O kkupa­
tion vorausgegangen war, der also, wenn man so will, dem Kriegsrecht unterlag,
sondern Ländertausch aus Gründen der dynastischen Raison, der unter dem Vor­
wand erfolgte, daß er die Kräftebalance wieder austariere und stabilisiere. Es sol­
len hier zwei Beispiele herausgegriffen werden, zum einen der völkerrechtliche
Übergang des Herzogtums Lothringen von seiner angestammten Dynastie an die
Krone Frankreich bzw. den Schwiegervater König Ludwigs XV. und den damit in
Verbindung stehenden Anfall der Toskana an den lothringischen Herzog, und
zum anderen der Verkauf Korsikas aus genuesischem Besitz an die Krone Frank­
reich.
Was das erste Fallbeispiel betrifft, den Ländertausch Lothringen/Toskana, so muß
man weiter ausgreifen, in die Erinnerung zurückholen, daß Lothringen seit Gene­
rationen auf der Liste der Zielobjekte der französischen Erwerbungspolitik ganz
obenan stand und schon mehrmals im 17. Jahrhundert, begünstigt durch diffizile
Lehensverhältnisse, in ein Abhängigkeitsverhältnis zu Frankreich geraten war, das
vor allem im Zeitraum 1633 bis 1661 von der Inkorporierung nicht gar so weit
entfernt schien5. Je mehr die Dynastie bei der Wiener Hofburg Rückhalt gesucht
hatte und sich ihr auch in bezug auf die Reichskirchenpolitik zur Verfügung ge­
stellt hatte6, desto mehr w ar dieser Abhängigkeitszustand von der Krone Frank­
reich freilich wieder gelockert worden; der Friede von R ijsw ijk 1697 markierte die
Rückkehr zur Souveränität der Dynastie. Daß Frankreich sich mit diesem R ück­
schlag jedoch nicht zufrieden geben würde, lag auf der Hand, und deswegen wa-
4 So z .B . K a rl O tm ar Frhr. von A retin, T au sch, T e ilu n g un d L än d ersch ach er als F o lgen des
G leich g ew ich tssystem s d er eu ro p äisch en G ro ß m äch te. D ie p o ln isch en T eilu n g en als e u ro ­
p äisch es S ch ic k sal, in: Ja h rb u c h fü r d ie G esch ich te M itte l- u n d O std eu tsch lan d s 1981, 5 3 -6 8 ;
W ie d e rab d ru c k in ders., D as R eich . F ried e n sg aran tie u n d eu ro p äisch es G leich g ew ich t 1648—
1806 (S tu ttg art 1986) 4 3 4 -4 4 8 .
5 V gl. R ainer Babel, Z w isch en H a b sb u rg u n d B o urb o n . A u ß e n p o litik u n d eu ro p äisc h e S tel­
lu n g H e rz o g K arls IV. vo n L o th rin g en u n d B ar vo m R eg ieru n g sa n tritt bis zu m E xil (1 6 2 4 1634) (S ig m arin g en 1989).
6 H ubert Wolf, D ie R e ic h sk irc h e n p o litik des H auses L o th rin g en (1 6 8 0 -1 7 1 5 ). E ine H ab s­
b u rg e r S ek u n d o g e n itu r im R eich ? (S tu ttg art 1994).
F r e m d b e st im m u n g statt S elb s tb e stim m u n g
43
reu auch bereits wenige Jahre später Bemühungen angelaufen, die Dynastie weg
zu komplimentieren und anderswohin zu transferieren, etwa nach Mailand. Um
diesem Ziel näher zu kommen, hatte sich die Krone Frankreich sogar bereit ge­
funden, der herzoglichen Familie den Titel „Altesse R oyale“ zuzugestehen! Die
angedachte bzw. anstehende Vermählung des jungen Herzogs Franz Stephan, der
bereits wenige Jahre nach seiner Regierungsübernahme (1729) aus der Ü berzeu­
gung heraus, daß die Dynastie in ihrem Stammland keine Zukunft mehr hatte, mit
dem Kapitel „Lothringen“ faktisch abgeschlossen hatte und auch kaum noch Re­
formen initiierte, mit der ältesten Kaisertochter in Wien schuf dann freilich eine
neue Situation, weil man in Versailles nun das Szenario zu entwickeln begann, daß
ein künftiger Römischer Kaiser - Karl VI. w ar söhnelos - dann unmittelbarer
Nachbar der Krone Frankreich werden könnte - und eine solche M öglichkeit w i­
dersprach allen Grundsätzen der europäischen Balance und der Convenance. Das
sah man nicht nur in Versailles so, sondern auch in den Hauptstädten der beiden
sog. Seemächte, also Großbritanniens und der niederländischen Republik, und
man wird sagen können, daß bis zu einem gewissen Grad sogar in Wien Verständ­
nis für Frankreichs geopolitische Sorgen vorhanden w ar - nicht zufällig folgte der
junge H erzog 1731 einem Ratschlag des Prinzen Eugen, sich auf eine ausgedehnte
Europareise zu begeben, von der er, um vorzugreifen, nie mehr in sein Stammland
zurückkehren sollte7. Bei der Liquidierung des Polnischen Thronfolgekrieges, der
aus einer strittigen Königswahl in der Rzeczpospolita erwachsen, eine weit über
den aktuellen Anlaß hinausgehende europäische Standortbestimmung darstellte
und auf seinen verschiedenen militärischen Schauplätzen am Oberrhein und in
Italien den alten bourbonisch-habsburgischen Antagonismus voll Wiederaufleben
ließ8, zeigte man deswegen auf seiten der Hofburg gar keine übergroße Zurück­
haltung, dem Übergang Lothringens an Frankreich oder einen von Versailles zu
bestimmenden Statthalter zuzustimmen - vorausgesetzt, es gelang, den abzugs­
willigen jungen Herzog anderswo adäquat zu entschädigen. Und so geschah das
Paradoxon, daß bereits zu einem Zeitpunkt, als über das weitere Schicksal Loth­
ringens noch überhaupt nicht entschieden w ar - das erfolgte erst 1735/1736 - , die
Wertgegenstände in den lothringischen Schlössern inventarisiert und für den ra­
schen Abtransport verpackt wurden - der Herzog hatte sein Stammland bereits
1733 faktisch aufgegeben. Was die dynastische „Weiterverwendung“ des jungen
Herzogs betraf, so hatte der preußische König im August 1735 eine Lösung vor­
geschlagen, die sich als tragfähig erweisen sollte: Übergang des Herzogtums zu­
nächst an den (polnischen) Schwiegervater des französischen Königs, den Exkö­
nig Stanislaw Leszczynski, Transfer des Herzogs in das Großherzogtum Toskana,
7 Renate Zedinger, L o th rin g en - T o skana - M itteleu ro p a . K u ltu rtra n sfe r als F o lie eines L än d ertau sch s (1 7 3 7 -1 7 6 5 ), in: Ö sterreich isch es Italien - italien isch es Ö sterre ich ? In te rk u ltu ­
relle G em ein sam k eiten u n d n atio n ale D ifferen zen vom 18. Ja h rh u n d e rt bis zu m E nde des
E rsten W eltk rie g es, hrsg. v. Brigitte M azohl-W allnig un d M arco Meriggi (W ien 1999) 5 4 9 569, h ier 5531.
8 John L. Sutton, T h e K in g ’s H o n o r and th e K in g’s C a rd in a l. T h e W ar o f the P o lish S u cces­
sion (L ex in g to n 1980).
44
H e in z D u c h h a r d t
dessen M edici-D ynastie vor dem Erlöschen zu stehen schien (und 1737 dann auch
tatsächlich erlosch).
H erzog Franz III. von Lothringen verzichtete durch zwei zweiseitige U rkun­
den, den Acte de la Cession du Dttche de Bar (1 73 6) und den Acte de la Cession de
la Lorraine (1737)9 auf sein Stammland. Selbstredend dachte niemand daran, die
Bevölkerung in Gestalt der beiden Landtage von diesem Herrschafts- und D yna­
stiewechsel in Kenntnis zu setzen oder gar um ihren Konsens nachzusuchen - das
war ein A kt der großen Politik, und dem kollektiven Gedächtnis zumindest der
älteren Generation w ar die Zugehörigkeit zu einer Fremddynastie ja auch keines­
wegs fremd. Die früheren Phasen der Zugehörigkeit zu Frankreich hatten aber
immer noch unter dem Vorbehalt gestanden, daß sie ohne Konsens des Fürsten
und auch der Stände erfolgt waren und reversibel erschienen. Das, was jetzt ge­
schah, war irreversibel: Der Herzog hatte für alle Zeiten durch eine einseitige W il­
lensbekundung sein Stammland aufgegeben. Da machte es dann wenig aus - ist
gleichwohl aber festhaltenswert - , daß der lothringische Herzog in der Proklama­
tion, mit der er dem vorangegangenen kaiserlich-französischen Vertrag beitrat,
sein Zögern betonte, „des sujets qui nous ont donne et aux dues, nos predecesseurs, des preuves si marquees de leur zele et de leur affection“, aufzugeben; recht­
lich relevanter war es da schon, daß er sie förmlich aus ihrem Treueband entließ „releverons et absoudrons nos sujets dudit duche de Lorraine du serment de fidelite auquel ils sont lies envers nous et nos successeurs“ 10.
Es blieb einer kleinen, etwa vierhundertfünfzig Personen umfassenden Gruppe
von Intellektuellen, Spezialisten und Künstlern Vorbehalten, dem oktroyierten
Herrschafts- und Dynastiewechsel zu entgehen: die M itglieder der herzoglichen
Kabinette, Architekten und Gärtner, Ingenieure, Wissenschaftler, Medailleure,
Maler, also all jene Menschen, die den Fiof von Luneville in den ersten drei Jahr­
zehnten zu einem der aufgeklärtesten Europas gemacht hatten. Die Träger dieses
Kulturtransfers stießen in Florenz zwar keineswegs immer auf offene Ohren der
Autochthonen, aber sie belebten auf jeden Fall das dortige Wissenschafts- und
Kunstleben nachhaltig und auf ihre W eise11. Aber auch ihr Uberwechseln auf die
Apenninenhalbinsel hatte selbstredend weniger etwas mit einer bewußten Reklamierung eines Selbstbestimmungsrechts einer Elite zu tun, die im übrigen natür­
lich auch keine Legitim ation hatte, sich als Repräsentation des lothringischen Vol­
kes darzustellen, als daß sie eine Folge der Anziehungskraft einer bekannten und
offenbar auch gut zahlen könnenden Persönlichkeit war.
Während die lothringische Territorialveränderung letztlich im europäischen Kon­
sens über die Bühne ging und von negativen Reaktionen der Bevölkerung, die in
9 In C o n so lid a ted T re a ty S eries 34, 4 0 7 -4 3 1 , n ur die k aise rlic h -fra n z ö sisc h e K o n ven tio n
zu m Ü b ergan g L o th rin g en s an K ö n ig S tan isla w L e sz c z y risk i vo n 28. A u g u st 1736.
10 D er Z essio n sak t vom 28. S ep tem b er 1736 in: C o n so lid a ted T re aty S eries 34, 4 0 9 -4 3 1 , d ie
Z itate 429 f.
11 D azu d er oben in A n m . 7 gen an n te A u fsatz von Renate Zedinger.
F re m d b e st im m u n g statt S elb s tb e stim m u n g
45
Richtung Selbstbestimmungsanspruch zielten, zumindest nichts überliefert ist,
verhält es sich beim zweiten Fallbeispiel völlig anders. Die Insel Korsika w ar seit
M itte des 14. Jahrhunderts Teil der Republik Genua, zog wegen ihrer exponierten
geostrategischen Lage aber auch seit langem die Blicke dritter Mächte auf sich,
namentlich die der Krone Frankreich, die in der Insel - um es zuzuspitzen - einen
idealen Vorposten ihres wichtigsten Kriegshafens am Mittelmeer, Toulon, sah.
Der Gedanke, die Franzosen könnten vor dem Hintergrund eines 1729 ausgebro­
chenen Aufstands, mit dem das M utterland12 allem Anschein nach nicht allein fer­
tig wurde, Genua Korsika abkaufen, machten unter den Diplomaten Alteuropas
bereits seit den 1730er Jahren die Runde13, verwob sich aber rasch mit der Ü ber­
legung und Befürchtung, daß das für andere Akteure im mittelmeerischen Kräfte­
spiel, insbesondere Großbritannien und Savoyen, einen casus belli darstellen
könnte. So unterstützten zunächst der Kaiserhof14 und dann Frankreich zw ar die
Republik bei der U nterdrückung einer breiten und langlebigen Aufstandsbewe­
gung, die sich die korsische Selbständigkeit auf ihre Fahnen geschrieben hatte.
Versailles hatte aber immer wieder - so insbesondere im 1. Vertrag von Compiegne (August 1756), formal einem Subsidienvertrag - zugesichert, die genuesi­
sche Souveränität zu respektieren, wenn die Republik die Briten aus dem Spiel
lassen w ürde15. Selbst im Siebenjährigen Krieg, als französische Truppen überall
sonst händeringend benötigt wurden, behielt die Choiseul-Adm inistration ihr mi­
litärisches Engagement bei, wobei ihr angesichts der D ynam ik des korsischen
Aufstands der Gedanke des Erwerbs der Insel immer bizarrer zu werden schien.
Die Überlegungen im Schoß der Regierung in Paris gingen eher in die Richtung,
auf eine Teilung der Insel zwischen Genua und der Selbständigkeitsbewegung
Pasquale Paolis hinzuarbeiten, wobei sie davon ausging, daß Paoli dann mit
Frankreich Z usam m enarbeiten und ihm die Kontrolle ü b er Häfen und Festungen
überlassen würde. Offiziell freilich bestätigte der dirigierende französische M ini­
ster Choiseul im August 1764 den ersten Vertrag von Compiegne durch einen
zweiten, dessen Laufzeit auf vier Jahre begrenzt war und der die Souveränität Ge­
nuas, ungeachtet der im Land befindlichen französischen Hilfstruppen, bejahte16
- er fand eine breite europäische Resonanz und rief auch eine Reaktion Rousseaus
hervor.
Es w ar dann die Republik selbst, die angesichts der Wucht der wiederaufflam­
menden Erhebung der Separatisten und angesichts der Bedrohung ihrer eigenen
Schiffahrtsrouten an die Choiseul-Adm inistration mit dem Vorschlag herantrat,
12 Z ur G esch ich te G en uas in d er F rü h en N e u z e it vgl. g en erell M atthias Schnettger, „ P rin ­
cipe so v ran o “ o d er „civitas im p e ria lis “ ? : D ie R e p u b lik G en ua un d d as A lte R eich in d e r F rü ­
hen N eu z eit (1 5 5 6 -1 7 9 7 ) (M a in z 2006).
13 G eoffrey W. Rice, D eceit and D istrac tio n : B ritain , F ran ce, and the C o rsic a n C risis of 1768,
in: T h e In tern atio n al H is to ry R ev iew 28 (2006) 2 8 7 -3 1 5 , h ie r 292.
14 V gl. M ax Braubacb, P rin z E ugen von S av o ye n . E ine B io g rap h ie, B d. IV (W ien 1965)
386 ff.
13 C o n so lid a ted T re a ty S eries 40, 399 (G e h e im artik e l).
16 C o n so lid ated T re aty S eries 43, 79 -83.
46
H e in z D u c h h a rd t
auf die Souveränität über Korsika gegen eine finanzielle Abstandssumme zu ver­
zichten. Die französische Regierung verhandelte eine Zeitlang noch weiter mit
Paoli, trieb dann aber die Geheimgespräche mit der Republik energisch voran
und hatte das Glück, die gesamte Staatenwelt mit der Vereinbarung über den
A nkauf der Insel zu überraschen, die in einer Versailler Konvention am 15. Mai
1768 vereinbart w urde17. Und was seit Jahrzehnten über all diesen Verhandlun­
gen wie ein Damoklesschwert geschwebt hatte, Reaktionen anderer Mächte, die
von dieser Verschiebung des strategischen Gleichgewichts im westlichen M ittel­
meerraum negativ berührt wurden - und dazu zählten im Prinzip nicht nur
London, sondern auch Turin, M adrid und sogar Wien - , blieb aus; auch Groß­
britannien nahm diese Entwicklung letztlich hin, weil es wegen verschiedener
innenpolitischer Probleme und solcher in Amerika und Irland und wegen eines
in sich gespaltenen Kabinetts, das zu einer kräftigen Politik kaum fähig war, die
frühen Warnungen seiner Diplomaten ignorierte18. Aber insgesamt war Korsika,
obwohl sein Übergang an Frankreich Großbritanniens wichtigsten M ittelmeerhafen Livorno elementar gefährdete, für London und den zuständigen Secretary
of State Shelburne dann doch nicht wichtig genug, um einen neuen Krieg zu ris­
kieren. So nahm auch W hitehall unter dem Eindruck der Macht des Faktischen
einen Vorgang als „fait accompli“ hin, der ganz offenkundig gegen den Aachener
Frieden von 1748 verstieß, dessen A rtikel XV die territorialen Verhältnisse in
Italien auf Dauer festgeschrieben hatte19, seiner Reputation abträglich w ar und
nicht zu Unrecht als „the diplomatic coup of the decade“ bezeichnet worden
ist20.
Es versteht sich, daß ein solcher Vorgang der versuchten Emanzipation eines
Volkes von seinem Souverän die europäischen Intellektuellen in Aufregung ver­
setzte. Die um Korsika kreisende Publizistik kann hier zwar nicht zur Gänze auf­
gearbeitet werden, aber immerhin muß auf Jean-Jacques Rousseaus Verfassungs­
entwurf aus dem Jahr 176521 hingewiesen werden, der gar keinen Zweifel daran
läßt, daß das korsische Volk volle Freiheit haben müsse und habe, seine Zukunft
selbst zu bestimmen. Der Herold des Prinzips der Volkssouveränität, der sich w e­
nige Jahre später dann auch in ähnlichem Sinn zu Polen äußern sollte, sprach den
Korsen sogar eine besondere Disposition zu, sich als freie Nation zu etablieren
und ihren Staat mit den nötigen administrativen Strukturen zu versehen.
Der Fall Korsika dürfte eins der wenigen Beispiele in der Vormoderne sein, daß
es einer auf Selbstbestimmung zielenden Bewegung gelang, eine wirkliche politi­
sche Veränderung zu bewirken. Das Aufregende an dem korsischen Beispiel ist
freilich nicht nur, daß sich hier eine Unabhängigkeitsbewegung über einen sehr
langen Zeitraum hinweg von ihrem M utterland zu emanzipieren suchte, sondern
17 C o n so lid a ted T re aty S eries 44, 179-185.
,s D azu d er o ben in A nm . 13 gen an n te d etailreich e A u fsatz vo n Rice.
19 C o n so lid a ted T re a ty S eries 33, 321.
20 So Rice, 302.
21 Jean-Jacques Rousseau, P ro jet de co n stitu tio n p o u r la C o rse; b en u tzte A u sgab e: P aris
2000, h rsg. v. Robert Cbesnais.
F r e m d b e st im m u n g statt S elb stb e stim m u n g
47
daß sie quasi-staatliche Strukturen schuf, um sofort an die Stelle des bisherigen
Souveräns treten zu können: mit einer sich aus den eigenen alten Verfassungstra­
ditionen speisenden, geradezu demokratisch zu nennenden Repräsentation von
unten nach oben, mit einem nationalen Parlament an der Spitze, mit einem nicht
nominellen, aber faktisch von der Amtsgewalt eines Monarchen22 nicht weit ent­
fernten Staatsoberhaupt, mit einem Rechtssystem, einer Universität, quasi-völkerrechtlichen, wenigstens theoretisch vom Parlament kontrollierten Beziehun­
gen, etwa zur Kurie usw. In Schlüsseldokumenten der Paoli-Ära wird offen von
der Glückseligkeit der Nation als Ziel der Regierung gesprochen, von der Volks­
souveränität - Rousseau stand hier selbstredend Pate! die explizit oder im plizit
nur auf eins hinauslaufen könne: die Selbstbestimmung des nationalen Schicksals.
Das System der lokalen und regionalen consulte als einer A rt Verkörperung des
Volkswillens - und damit der Selbstbestimmung -, die felicita della Nazione als
Ziel der neuen Verfassung und Verfasstheit der Korsen, die Stilisierung des popolo
di Corsica als unico patrone di se medesimo - all dies verweist darauf, daß man
sprachlich auf der Suche nach etwas war, für das man noch keinen Begriff gefun­
den hatte, daß man aber den Rekurs auf das Widerstandsrecht nicht mehr für aus­
reichend hielt, den korsischen Vorgang zu unterlegen23. Es wäre eine reizvolle,
hier nicht zu leistende Aufgabe, den sprachlichen Begründungen anderer Emanzi­
pationsvorgänge - etwa dem niederländischen Aufstand oder auch der böhmi­
schen Revolte im beginnenden 17. Jahrhundert - nachzugehen und sprachliche
„Stammbäume“ zu rekonstruieren. Dabei w ird man freilich nicht von einer gerad­
linigen Entwicklung vom bloßen Widerstandsrecht hin zum modernen „Selbstbe­
stimmungsrecht“ ausgehen dürfen - noch in den Schlüsseldokumenten der sich
formierenden Vereinigten Staaten von A m erika wurden durchaus „altmodisch“
Elemente des Widerstandsrechts gegen den widerrechtlich handelnden englischen
König bemüht!
Daß die Bewegung mit ihren protostaatlichen Strukturen am Ende nicht in die
von ihr verfolgte völlige Selbständigkeit oder wenigstens doch Autonomie der In­
sel einmündete, sondern „nur“ ein Tausch der Staatszugehörigkeit stattfand, die
Paoli-Bewegung also ihr eigentliches Ziel nicht erreichte, steht auf einem anderen
Blatt. Daß wenige Jahre später sich in den Niederlanden eine Bewegung aufbaute,
die die Selbstbestimmung für sich reklamierte, deutet an, daß das Prinzip in den
politischen Raum Eingang fand, noch bevor die Revolutionäre in Frankreich es als
ihre neue, eben revolutionäre Parole ausgaben und zumindest in den Teilen M it­
teleuropas, die sie dem eigenen Staatsgebiet einzuverleiben suchten, auch prakti­
22 Im A p ril 1736 h atten die K o rsen so g a r a u sd rü c k lic h einen K ö n ig g e w ä h lt u n d ge k rö n t,
den deu tsch en A b e n te u re r T h eo d o r von N eu h o f, d er a llerd in g s nach w en ig en M o n aten w ie ­
der versch w an d un d au f d er Insel n ie m eh r g esich tet w u rd e . Schon vo rh e r w a r dem P rin zen
Eugen a n g eb o ten w o rd en , d ie S o u v e rän itä t ü b e r d ie In sel zu ü b ern eh m en ; vgl. Braubach,
(w ie A n m . 14) 387.
23 Zu den V erfassu n gsd isk u ssio n en u n d d e r V erfassun gsp rax is in K o rsik a vgl. D orothy
Carrington, T h e C o riscan co n stitu tio n o f P a sq u a le P a o li (1 7 5 5 -1 7 6 9 ), in : E n glish H isto ric a l
R ev iew 138 (1973) 48 1 -5 0 3 .
48
H e in z D u c h h a r d t
zierten - durch Wahlen, wie sie etwa auf dem linken Rheinufer durchgeführt w ur­
den und ihren spektakulären Höhepunkt in der M ainzer Republik erreichten.
Daß später nach dem Wiener Kongreß wieder zum Prinzip territorialer Verände­
rungen per Entscheidung am grünen Tisch zurückgekehrt wurde, war keine
Selbstverständlichkeit mehr, und die heftigen Reaktionen in manchen Gegenden,
die fremden Staatswesen zugeschlagen wurden - etwa in Sachsen -, belegen schla­
gend, daß die Zeit inzwischen ein Gespür dafür entwickelt hatte, daß territoriale
Verschiebungen aus bloß arithmetischen oder dynastischen Gründen sich alles in
allem überlebt hatten. Rücksichtnahmen auf die Wünsche, die Phobien und A nti­
pathien von Bevölkerungen waren seitdem in Rechnung zu stellen; die Eingliede­
rung des Elsaß und Lothringens in den Verbund des neugeschaffenen Deutschen
Reiches w ar 1871 eben kein Selbstläufer mehr, so wenig wie das die eher europä­
isch unterfütterte Annexion Schleswig-Holsteins durch die beiden deutschen
Großmächte 1864 gewesen war.
Kehren w ir zur Frühen Neuzeit zurück. Das Beispiel Lothringen stellt gewis­
sermaßen den Normalfall territorialer Veränderungen in der Frühen Neuzeit dar:
Es wird aus Gründen einer „höheren“ Politik, eines angenommenen geostrategischen Gleichgewichts oder des Mächtegleichgewichts generell oder der Convenance wegen als sinnvoll erachtet, bestimmte Länder neu zuzuordnen - die Spani­
schen Niederlande an Österreich (1713/1714), die polnischen Teilungsgebiete an
die drei Anrainerstaaten, um nur noch zwei weitere Beispiele zu nennen, von de­
nen das letztere dem Autor des einschlägigen Artikels im Strupp-Schlochauerschen „Wörterbuch des Völkerrechts“ besonders signifikant für die breiterwer­
dende Anerkennung erscheint, die die Freiheit der Völker inzwischen gefunden
habe24. Wünsche, Emotionen, Loyalitäten der Bevölkerung, also all das, was den
Begriff des Selbstbestimmungsrechts ausmacht, blieben unberücksichtigt, und
auch die Möglichkeiten, post festum Unzufriedenheit mit dieser Entwicklung zu
artikulieren, waren sehr begrenzt. Das Beispiel Korsika verweist in eine neue
Richtung: Selbständigkeitsbewegungen, letztlich also Selbstbestimmungsbewe­
gungen können politische Veränderungen bewirken, vor allem wenn sie ihre eige­
nen politischen Strukturen schaffen, obgleich die Paoli-Bewegung es unter dem
Strich „nur“ zum Austausch des Souveräns brachte (und selbst die Autonomie
rasch der völligen Integration der Insel in den französischen Staatsverband Platz
machte, auch wenn sie ein unruhiger Bestandteil blieb und sich beispielsweise den
Revolutionierungsmaßnahmen konsequent widersetzte25). Auch vor diesem H in­
tergrund ist die Episode von Interesse, daß das Revolutionsregime 1790 den
Rückfall Korsikas anbot, wobei auch Momente des schlechten Gewissens, sich
seinerseits über die Wunschvorstellungen der Korsen hinweggesetzt zu haben, vor
allem aber dann doch wohl finanzielle Gesichtspunkte die Hauptrolle gespielt ha24 W ö rte rb u ch des V ö lk erre ch ts, h rsg. v. K a rl Strupp u n d H ans-Jürgen Schlocbauer, Bd. 3,
(B erlin 1962) 2 5 0 -2 5 5 , A rt. S elb stb e stim m u n g srec h t vo n H ubert Arm bruster.
25 Leonard A. Maealuso, A n to in e C h risto p h e S alic eti and the L oss o f C o rsic a , in: Selected
P ap ers (T allahassee, Fla. 1994) 2 ) - 3 0 .
F r e m d b e stiin m u n g statt S elb s tb e stim m u n g
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ben dürften26. Insbesondere die Erfahrungen „Amerika“ und Französische Revo­
lution mit ihrer Umsetzung von Positionen der Aufklärungsphilosophie ein­
schließlich des Grundsatzes der Volkssouveränität scheinen dann aber das Gefühl
wenigstens in den Kreisen der jeweiligen politischen Eliten entscheidend verstärkt
zu haben, daß nicht jede w illkürliche Wendung der grofk'n Politik einfach nur
erduldend hinzunehmen sei.
Summary
The results of lexicographical research are definite: For pre-modern times the phe­
nomenon of the right of peoples to self-determination was unknown. This is con­
firmed by an analysis of the numberless revolts in the late M iddle Ages and in
early modern times when it was never argued with a maintained right of self-de­
termination of any people or regional group. The example of Lorraine’s abandon­
ment by its prince in favour of the Kingdom of France mirrors that in the 1730 s
the idea of self-determination did not play a role at all and the transfer of rule was
notified to the Estates as representation of the people, but was not negotiated. The
case of Corsica differs from that example considerably. The Corsican upheaval
against the Republic of Genoa, the mother country, was underlaid clearly with
elements of people’s sovereignty and self-determination. This is seemingly one of
the rare examples of a movement arguing with the notion of self-determination
which succeeded and ended in a real political change. It was not by coincidence
that Rousseau dealt with that process of emancipation in great detail. It was only
the French Revolution which opened the door to the career of the principle of
peoples’ self-determination.
26 R. Emmanuelli, Le g o u v eru em en t de L o u is X V I o ffre a la R e p u b liq u e de G enes la re tro ­
cession de la C o rse (1790), in: A n n ales H isto riq u e s de la R ev o lu tio n F ran caise 46 (1974) 6 2 3 640.
Heinhard Steiger
Das natürliche Recht der Souveränität der Völker
Die Debatten der Französischen Revolution 1789-1793
I. Einleitung
a. Selbstbestimmungsrecht der Völker und souverainete des peuples
„Selbstbestimmung der V ölker“ ist in der Gegenwart ein im internationalen Recht
verankertes positives Recht1. Es ist jedoch in seiner politischen Funktion wie auch
in seinem rechtlichen Inhalt umstritten. In der politischen Praxis der vergangenen
sechzig Jahre wurde es vor allem fremdbeherrschten Völkern, insbesondere Kolonialvölkern gegen die Herrschaft der Kolonialmächte zugebilligt und in Anspruch
genommen, um sich von der Fremdherrschaft zu befreien, einen eigenen, unab­
hängigen souveränen Staat zu bilden, sich eine eigene Verfassung zu geben und
ausschließlich über die kulturelle, wirtschaftliche und soziale Ordnung und Ent­
w icklung zu entscheiden. Es wurde aber auch vor der Wiedervereinigung
Deutschlands von (west-)deutscher Seite für eine Vereinigung der in zwei Staaten
geteilten deutschen Nation in einem Staat in Anspruch genommen2. Heute be­
gründen damit Völker oder Volksgruppen in bestehenden Staaten Ansprüche auf
Lossagung von diesen und Organisation in einem eigenen souveränen Staat, Ko­
sovaren, Tschetschenen, Abchasen, Basken u.a. Rechtlich umstritten ist vor allem,
wer nach welchen Kriterien als ein „Volk“ zu bestimmen, also Träger des Rechtes
ist, sowie worauf das Recht gerichtet ist, Autonomie, Gründung eines eigenen
Staates, Anschluß an einen anderen.
In der politischen Philosophie der Aufklärung des 18. Jahrhunderts und in der
Argumentation der französischen Revolution werden die Begriffe „Selbstbestim­
mung“, „Selbstbestimmungsrecht“ und ihre - heutige - französische Entspre­
1 A rt. 1 A bs. 1 Int. P ak t ü b er b ü rg e rlic h e un d p o litisch e R ech te, B G B l. (1973) II, 1534 und
A rt. 1 In t. P a k t ü b er w irtsch a ftlich e, so z ia le u n d k u ltu re lle R ech te, ebd. 1570: „ A lle V ö lk er
haben das R ec h t a u f S elb stb e stim m u n g .“
2 Z .B . B u n d e sk a n z le r K o n rad A d en a u er in ein em A p p ell an die S o w jetu n io n vom 17. Ju n i
1961, in: Boris M eißner (H rsg .), D ie d eu tsc h e O s tp o litik 19 61-19 70, K o n tin u ität u n d W an ­
del, D o k u m en ta tio n (K öln 1970) 19. B u n d e stag sp räsid en t E ugen G ersten m aier in e in e r E r­
k läru n g vo m 30. J u n i 1961, ebd. 23; w eite re N a ch w eise im d o rtig en Sach register.
52
H e in h a r d Steiger
chung „auto-determination“ der Völker oder „droit des peuples de disposer
d’eux-memes“ nicht verwendet.
b. Souverainete dupeuple
Jedoch könnte das Prinzip der „souverainete du peuple“ oder „de la nation“ einen
Anknüpfungspunkt für das moderne Selbstbestimmungsrecht bilden. In den ver­
fassungsrechtlichen Debatten um die Gesetzgebungsgewalt und das Vetorecht des
Königs 1789/90 sowie die Kompetenz zur Entscheidung über Krieg und Frieden
1790 bildet die „souverainete du peuple“ oder „de la nation“ die Grundlage für die
Zuordnung der von der Nation oder dem Volk delegierten Gewalten an die Legis­
lative einerseits und den König andererseits. In der erstgenannten Debatte wurde
mehrfach die Formulierung J a puissance souveraine/la souverainete reside dans
le leuple/la nation“ verwendet3. In Titre III Art. 1 der Verfassung von 1791 heißt
es „La souverainete est une, indivisible, inalienable et imprescriptible. Elle appartient ä Ja Nation“4. Diese wird ohne weitere Begründung oder inhaltliche Bestim­
mung als naturrechtlich gegeben vorausgesetzt. Das war in der politischen Philo­
sophie der Auf klärung hinreichend vorbereitet worden. Nunmehr wurde es prak­
tisch. Verschiedentlich wird das französische Volk auch als „peuple libre“ oder
„nation libre“, mit und ohne Verbindung mit „souveraine“, bezeichnet, d.h. als
ein Volk, das die Menschenrechte verankert und sich von der königlichen H err­
schaft, ihrem Despotismus befreit hat5.
Ab 1790 treten außenpolitische Herausforderungen hinzu und allmählich in
den Vordergrund. Vor allem in den Debatten um einen Krieg 1791/92 zur Vertei­
digung der eigenen Freiheit und Souveränität sowie 1792/93 nach dessen Aus­
bruch in eien Debatten zum Umgang mit den „befreiten V ölkern“ wird mit universalisierenden Formulierungen „souverainete des peuples“, „droits sacres des
nations“ u.a. allen Völkern Souveränität und Freiheit als vorgebenes Recht zuge­
sprochen, das sie, wenn es gefährdet ist, verteidigen dürfen und, wenn sie es noch
nicht verwirklicht haben, verwirklichen sollen. So ergibt sich die Frage, ob und
inwieweit von dorther ein Zusammenhang der souverainete des peuples mit dem
heutigen Selbstbestimmungsrecht konstruiert w e rd e n kann. Ihr soll an Hand der
öffentlichen Debatten in den drei Repräsentativversammlungen zwischen 1789
Z u erst w o h l Rhedon, M o n ite u r 1, 296; C reniere, 1, 414; Mounier, 1, 420; Malouet, 1, 442;
Robespierre, 2, 81; Dubois de Crance, 2, 495; M irabeau, la n atio n etan t so u v e rain e , n’ est liee
q u e p ar ses p ro p res actes, 1, 320, ders., la so u v e rain e te du p eu p le, 1, 404. O ffen b ar w erd e n
„ p e u p le “ u n d „ n a tio n “ n ich t k la r u n tersch ie d en , so n d ern eh er gleic h g esetzt.
4 Im ersten E n tw u rf des V erfassu n gsau ssch u sses, d en der E rz b isc h o f von B o rd eau x und
C lerm o n t-T o n n e rre am 27. J u li 1789 p rä se n tie rt h atten , w a r d iese F o rm el noch n ich t e n th a l­
ten, M o n ite u r 1, 211, 216, 221. S tan islas G raf de C lerm o n t-T o n n e rre, O ffizier, 1789 M itg lied
d er etats gen erau x u n d d er N a tio n a lv e rsam m lu n g , erm o rd et 10. A u g u st 1792.
5 fa lle t, M o n ite u r 4, 386 Q u e tou tes les n atio n s so ien t lib re s co m m e nous v o u lo n s i ’etre; De
Sillery, La n atio n est lib re et so u v e rain e , 388; Condorcet, L a n atio n fran gaise est lib re , et ce
q u e est p lu s q u e d ’etre lib re, eile a le sen tim en t de la lib erte, 10, 755 -Jacques fa lle t, P farrer,
1789 M itg lie d der etats gen erau x u n d d er N a tio n a lv e rsam m lu n g .
D as n atü rliche R ec ht d er S o u ve ränität der V ö lk er
53
und 1793 zu drei außenpolitischen Handlungskomplexen nachgegangen werden:
Krieg, Gültigkeit der von den Königen abgeschlossenen Verträge und die soge­
nannten reunions6.
c. Die Bedeutung politischer Rede
Diese Debatten bildeten ein neues Element der Politik, da die Versammlungen
nicht nur berieten, sondern entschieden. Sie wurden im Druck, u.a. in der Gazette
Nationale ou Le Moniteur universel verbreitet7. Zwar bildeten öffentliche Dis­
kurse über Politik, Gestaltung des Staates und der Gesellschaft zentrale Bestand­
teile der Aufklärung. Aber sie liefen bis zur Revolution parallel zur Politik, waren
politische Philosophie, nicht selbst Politik. Mit dem Übergang der Entschei­
dungsgewalt auf die Repräsentativversammlungen bedurfte politisches Handeln
der öffentlichen Begründung durch die Repräsentanten, um ihr Handeln gegen­
über dem Volk als neuem Träger der Souveränität zu legitimieren, um innerhalb,
aber auch außerhalb der Versammlung U nterstützung zu gewinnen, um, bis 1792,
gegenüber dem König den eigenen Anspruch durchzusetzen und schließlich, um,
idealiter, gegenüber der Welt, praktisch gegenüber den europäischen Monarchen
und Völkern die neuen Ordnungsprinzipien zu behaupten und, ab 1792, zu ver­
breiten. So wurde das Wort selbst nach innen wie nach außen zu einer entschei­
denden Waffe der Politik. Zwar hatten viele führende Abgeordnete vor 1789 als
Philosophen die neue Zeit vorbereitet, wie der Mathematiker und Philosoph M ar­
quis Antoine de Condorcet, M itautor der Encyclopedic, 1791 Abgeordneter der
Zweiten Nationalversammlung und 1792 des Konvents, oder der vor 1789 als Pu­
blizist tätige Honore Gabriel de Riquetti, Graf von Mirabeau, ab 1789 Abgeord­
neter zunächst des Dritten Standes der etats generaux und danach der N ational­
versammlung. Beide waren sehr einflußreich. Nunmehr redeten sie und andere als
Politiker, die entscheiden und die Entscheidungen verantworten mußten, einige
6 A u s d e r u m fan greich en L iteratu r: Alphonse Lam artine, H isto ire des G iro n d in s (B rü ssel
1847); Francois Laurent, H isto ire du d ro it des gens et des relatio n s in tern atio n ales/ E tu d es su r
l’ h isto ire de l’h u m an ite , T om e XV', L’em p ire (P aris 1869); A lbert Sorel, L’E u ro p e et la re v o lu ­
tio n fran ^aisc, 2 B de. (P aris B d. 1/3 1893, B d, 2/2 1889), im fo lgen d en Sorel, L’E u ro p e 1/2;
Ernest Nys, L a re v o lu tio n fran^alse et le d ro it in tern a tio n a l, in: den ., E tudes de d ro it in tern a­
tio n al et de d ro it p o litiq u e (P aris 1896) 3 1 8 -4 0 6 ; Robert Redslob, V ö lk erre c h tlic h e Ideen der
fran zö sisch en R ev o lu tio n , in: F estgab e fü r O tto M a y e r d a rg e b rac h t von F reu n d en , V ereh­
rern, S ch ü lern (T ü b in g en 1916) 2 7 3 -3 0 1 , im fo lg e n d e n , Redslob, Ideen; Wolfgang Martens,
V ö lk erre ch tsv o rstellu n g en d er fra n zö sisch en R ev o lu tio n in den Ja h ren vo n 17 89-17 93, in:
D er S taat 3 (1964) 2 9 5 -3 1 4 ; Roman Schnur, W eltfn e d en sid ee un d W eltb ü rg e rk rie g , in: ders.,
R ev o lu tio n un d W eltb ü rg erk rieg , S tu d ie n z u r O u v ertü re nach 1789 (S ch riften z u r V erfas­
su n gsgesch ich te 35) (B erlin 1983) 11-32, im fo lgen d en : Schnur, W eltfried en sid ee; M arc Belissa, F rate rn ite u n iv erselle et in teret n atio n al (1 7 1 3 -1 7 9 5 ), L es c o sm o p o litiq u es du d ro it des
gens (P aris 1998), im fo lgenden: Belissa, F rate rn ite ; Fleinhard Steiger, D as V ö lk erre ch t und
d er W andel d e r in tern atio n a le n B e zieh u n gen um 1800, in: Andreas Klinger, H ans-W erner
H ahn, Georg Schmidt (H rsg .), D as J a h r 1806 im eu ro p äisch en K ontext. B alan ce, H egem o n ie
un d p o litisch e K u ltu ren (K ö ln 2008) 2 3 -5 2 , im fo lgen d en : Steiger, V ö lk errech t.
' A us ih m sin d d ie Z itate z itie rt nach B an d u n d S eite en tno m m en.
54
H e in h a r d Steig er
sogar auf dem Schafot. Dieser Rollenwechsel veränderte ihre Redeweise. Dem
kann jedoch nicht nachgegangen werden.
II. Krieg und Volkssouveränität
a. Entscheidung über Krieg und Frieden
Als sich im Frühjahr 1790 aus verschiedenen Ursachen die Spannungen zwischen
Großbritannien und Spanien verschärften, drohte Krieg auch für Frankreich.
Denn dieses w ar durch den Pacte de fam ille der vier bourbonischen Häuser von
1761 mit Spanien, Neapel und Bourbon-Parma verbündet und damit u.U . zum
Beistand für Spanien verpflichtet8. Der König beantragte Geld für die Bewaffnung
von 14 Schiffen9. Die Nationalversammlung, die sich mitten in den Beratungen
über die Verfassung befand, nutzte diesen Anlaß sofort, um die verfassungsrecht­
liche Frage zu diskutieren und zu entscheiden , wem die Entscheidung über Krieg
und Frieden zustehen solle, dem König, der Versammlung oder beiden im Zusam­
menwirken. Innerhalb dieser Debatte wurden aber auch die, später zu erörternde,
völkerrechtliche Gültigkeit des bourbonischen Fam ilienpaktes10 sowie die grund­
sätzliche Frage nach den Voraussetzungen eines gerechtfertigten Krieges erör­
tert11.
Bereits der vierte Redner, Alexandre de Lameth, stellte die zentrale Frage, „si la
nation souveraine doit deleguer au roi le droit de faire la paix ou la guerre“ 12.
Ausgangspunkt war die Übereinstimmung, daß „Le droit de la paix et de la
guerre appartient ä la nation“13.
Denn es gehörte zu den Souveränitätsrechten der N ation14. Die Frage war, wem
die Ausübung dieser Rechte zustehen solle. Die Versammlung entschied nach z.T.
sehr kontroversen Debatten auf Grund eines Kompromißvorschlags Mirabeaus,
daß der Beschluß über einen Krieg von der Nationalversammlung auf Vorschlag
des Königs gefaßt und von diesem „De la part du Roi des Frangais et au nom de la
N ation“ erklärt werden sollte15.
s Georg Friedrich Martens (H rs g .), R e c u e il des P rin c ip a u x T raites d ’A llia n c e, de P aix, de
T reve, de N e u tra lite etc, co n clu s p ar les P u issan ces de l ’E u ro p e, 6 B än de (G ö ttin g e n ab 1791
etc.) 1, 3. Im fo lgen d en z itiert: M artens, R ec u e il.
9 M o n ite u r 4, D azu Sorel, L’ E u ro p e 2, 84 ff.
10 D a zu u n ten S. 66.
11 D ie D eb atten b egan nen am 15. M ai 1790, M o n ite u r 4, 371, u n d en deten am 22. M a i, 444.
D o rt d e r T ext des D ekretes u n d d ie R e a k tio n e n d er „ L in k e n “ .
12 M o n ite u r 4, 372; A lex a n d re C o m te de L am eth , O ffizier, 1789 M itg lie d d er etats gen erau x
u n d d e r N atio n alv e rsam m lu n g , 1792 z u r A rm ee.
13 A rt. i S atz I des A b sch lu ß d ek re tes, M o n ite u r 4, 432 und 444.
14 Jallet, M o n ite u r 4, 386. C e s d ro its so n t u n e p o rtio n de la so u v erain ete. Ils re sid en t essen tie lle m e n dans la nation .
15 E b d.; d ie e n d g ü ltig e R eg e lu n g in d er V erfassun g vom 3. S ep tem b er 1791 in T itre III,
Das n atürliche R ec h t d er S ou ve rä n itä t d er V ö lk e r
55
Die Debatte über die Zulässigkeit eines Krieges führte von philosophischen,
politischen, praktischen, historischen, rechtlichen Argumenten zu grundlegenden
Vorstellungen über die allgemeinen Prinzipien der Gestaltung und Ordnung der
Beziehungen der Völker. Bereits zu Beginn der Debatte am 16. Mai 1790 erklärte
der Herzog von Levis, Verteidigungskriege gegen einen Angriff des Feindes seien
nach dem Naturrecht gerecht und legitim, Angriffskriege hingegen naturrechts­
widrig.
„Je cro is p o u v o ir en tire r un e co n seq u en ce q u i co n siste ä d ec lare r q u e ja m ais la n atio n n ’cntrep en d ra rien co n tre la lib e rte d ’au cu n p eu p le, m ais q u ’clle re p o u ssera avec to u te l ’en ergie
p ro p re ä un e n atio n lib re et p u issan te les attaq u es de ses en n em ies. Q u e lle re so lu tio n rassu ran te p o u r l’h u m a n ite .“ 16
Jallet erhoffte sich von diesen Prinzipien, daß, wenn alle freien Nationen ihnen
folgten, es keine Kriege mehr geben werde. Es sei eine würdige Aufgabe für die
Nationalversammlung, diesen Grundsatz zu erklären und ihn allen Nationen zu
lehren, die gelernt hätten, frei zu sein17.
Die Ambivalenz dieses missionarisch-universalisierenden Arguments erwies
sich im Frühjahr 17931s. Doch zunächst sollten diese auf das Naturrecht gegrün­
deten kosmopolitischen Ideen eine umfassende Friedenspolitik tragen. Volney
forderte die Nationalversammlung auf:
„Vous ch a n g ere z, M e ssie u rs, u n etat de ch o ses d ep lo ra b les; v o u s ne so u ffrirez p lu s q u e des
m illio n s d ’hom m es so ien t le jo u e t de q u e lq u e s-u n s q u i ne son t q u e leu rs sem b lab les, et vous
re n d rez le u r d ig n ite et leu rs d ro its aux n atio n s. . . . A u jo u rd ’ h ui v o u s a llez faire vo tre en tree
dans le m on de p o litiq u e . A u jo u rd ’h ui vo us a lle z d e lib e re r p o u r l ’u n iv ers et d ans l’un iv ers.
Vous allez , je l’ose d ire , co n v o q u er P assem b lee des n atio n s.“ 19
Er schlug ein Dekret vor, in dem die Versammlung u.a. erklären sollte:
„1. Q u ’elle re g ard e l ’u n iv ersah te du gen re h u m ain co m m e ne fo rm an t q u ’un e seu le et m eine
so ciete, d o n t l’o b jet est la p aix et le b o n h e u r de tou s et de ch acu n de ses m em bres.
2. Q u e dans cette gran d e so ciete ge n e rale, les p eup les et les etats co n sid eres co m m e in d iv id u s
jo u isse n t des m ein es d ro its n atu rels et so n t so u m is au x niem es regies de ju stice q u e les in d i­
vid u s des so cietes p artielles et sec o n d aire s.“
Es folgten Verbote von Kriegen gegen die Beeinträchtigung der Freiheit, des Ei­
gentums und der natürlichen Vorteile anderer Völker. Am Schluß stand der Ver-
C h ap . I ll, Sect. I, A rt. 2 un d C h ap . IV, Sect. I ll , A rt. 2 w ich d avo n in sofern ab, als d ie a ll­
gem ein e F e ststellu n g fehlte.
16 M o n ite u r 4, 383. Er w an d te sich a u sd rü c k lic h gegen M o n tesq u ie u , d er E ro b eru n gen in
einem V erte id ig u n g sk rie g fü r n atu rrec h tlich zu lä ssig e rk lä rt habe. P ie rre -M a rie -G a sto n H e r­
zo g von L ev is, S ch riftsteller, 1789 M itg lie d d er etats g en erau x , 1792 E m ig ratio n .
,/- M o n ite u r 4, 386.
18 U n ten S. 77 ff.
19 M o n ite u r 4, 403. C o n stan tin E rangois V olney, 1804 C o m te de C h asebcef, P h ilo so p h und
Sch n fsteller, M itg lie d d er etats gen erau x u n d d er N atio n a lv e rsam m lu n g , P ro fe sso r an der
ecole n o rm ale, S en ato r u n te r N ap o leo n .
56
H e in h a r d Steig er
zieht der französischen Nation auf jeden Eroberungskrieg, der in Art. 4 Satz 2 des
endgültigen Dekretes vom 22. Mai 1790 auf genommen wurde:
„ l’A ssem b lec n atio n ale d ec la ra n t ä cet effet q u e la n atio n fra n ja ise rcno nce ä to u te espece de
co n q u e te, et q u ’elle n‘ em p lo iera jam ais ses fo rces co n tre la lib e rte d ’aucun p e u p le .“-0
Diese erste Versammlung war pazifistisch gesonnen. Robespierre hatte den
Grundton angeschlagen:
„Je su p p o se q u ’au lieu de vo us en g ag e r d ans une gu erre d o n t vo us ne co n n aissez pas les m o ­
tifs, vo us v o u liez m a in te n ir la p aix ; q u ’au lie u d ’acc o rd e r des su b sid es, d ’a u to rise r les arm em en ts, vous c r o y ie z d ev o ir faire u n e g ran d e d em arch e et m o n tre r une g ran d e lo y a u te . P ar
ex em p le, si vous m an ifestie z aux n atio n s, qu e, su iv an t des p in cip es b ien d ifferen ts de ceux q u i
ont fait les m alh eu rs des p eu p les, la n atio n fran gaise, co n ten te d ’etre lib re, ne v eu t s ’en gager
dan s au c u n e g u erre, et veut vivre avec to u tes les n atio n s dans cette frate rn ite q u ’avait co m m an d ee la n atu re. 11 est de l’ in teret des n atio n s de p ro teg e r la n atio n fran gaise, p a rc e ’q u e c’ est
de la F ran ce q u e d o it p a rtir la lib e rte et le b o n h e u r du m o n d c.“21
Der universelle Charakter des Freiheitsprinzips hat noch friedlichen Charakter.
Ab 1792 öffnet sich jedoch eine neue, aktiv missionarisch-befreiende Dimension.
b. Begründungen fü r den Kriegsbeschluß gegen Franz II. vom 21. April 1792
Diese auf Frieden ausgerichtete Grundstimmung änderte sich grundlegend, als
sich im Laufe des Jahres 1791 die unmittelbare Konfrontation Frankreichs mit den
anderen europäischen Mächten, insbesondere Kaiser Leopold II. und dem preußi­
schen König Friedrich Wilhelm II., immer mehr verdichtete. Diese beiden H err­
scher stellten in den Augen Frankreichs durch verschiedene Erklärungen und
schließlich die Erklärung von Pillnitz, in der sie sich für die Wahrung der Rechte
des französischen Königs und damit gegen die liberte de la nation einsetzten sowie
durch ihr Bündnis vom 7. Februar 1792 die neue verfassungsrechtliche Ordnung
Frankreichs, die Freiheit und Souveränität des Volkes oder der Nation in Frage22.
So konzentrierten sich die Debatten für oder gegen einen Krieg in der 2. N ational­
versammlung auf eben diese Grundbedrohung, mochte sie w irklich bestehen oder
nur befürchtet werden23.
Es bestand, aus der Sicht beider Seiten, ein Grundkonflikt zwischen der alten,
überkommenen, positivrechtlich verankerten, monarchischen Ordnung und der
neuen, auf der naturrechtlichen Souveränität und Freiheit des Volkes und seine
volonte generale gegründeten Ordnung. Dieser Konflikt, der in seiner Grundsätz­
lichkeit und Absolutheit den früheren Religionskonflikten nicht unähnlich war,
schien, wie diese, nur noch kriegerisch entscheidbar.
20 D iese r S atz w u rd e w ö rtlic h in T itel V I S atz 1 d er V erfassun g vom 3. S ep tem b er 1791 ü b e r­
n om m en.
21 S itz u n g vom 15. M ai 1790, M o n ite u r 4, 373. M a x im ilie n R o b esp ierre , A n w a lt, A b g e o rd ­
n eter d er etats gen e rau x un d d er N a tio n alv e rsam m lu n g , ab 1792 des K o nvents, 1793 M itg lie d
des W o h lfah rtsau ssch u sses, 1794 h in g eric h te t.
22 T ext der E rk lä ru n g : Martens, R ec u e il 5, 35; V ertrag ebd. 77.
23 D eb atten v. 25., 29 ., 30. D ezem b er 1791, M o n ite u r 10, 728, 753, 11, 3 u n d andere.
Das n atürliche Recht der S o u veränität d er V ö lk er
57
Die Rechtfertigung eines Krieges, den Brissot, einer seiner heftigsten Befürwor­
ter, ein „bienfait national“ nannte24, wurde auf zwei Ebenen gesucht. Da der na­
turrechtlich-verfassungsrechtliche Verzicht einen Angriffskrieg verbot, versuch­
ten Brissot und andere Redner nachzuweisen, daß seitens des Kaisers und seiner
Verbündeten in der wiederholten Ablehnung der neuen Verfassung, insbesondere
in der Erklärung von Pillnitz, der U nterstützung der Emigranten, dem Festhalten
an den Ansprüchen der elsässischen Reichsstände, etc. ein Bruch des Einmi­
schungsverbotes des positiven Völkerrechts, aber auch des bourbonisch-habsburgischen Freundschaftsvertrages vom 1. Mai 1756 und sogar „des hostilites immi­
nentes“ i.S. der Verfassung vorlägen. Dies rechtfertige selbst einen Krieg Frank­
reichs durch einen eigenen Angriff zur Verteidigung der Freiheit der französi­
schen Nation und der Menschen25. Denn die Freiheit und Souveränität des fran­
zösischen Volkes gebe diesem das Recht, sich eine Verfassung zu geben und sie zu
ändern, ohne daß es der Zustimmung irgendjemandes, weder des Königs noch gar
der anderen europäischen Mächte, bedürfe26. Er berief sich mehrfach auf „les
principes du droit des gens ... les plus sacres“ gegenüber Leopold II. und dessen
Vorgehen gegen das freie Frankreich27.
Auch der Antrag des Königs auf einen Kriegsbeschluß vom 20 April 1792 gegen
Leopolds Nachfolger, Franz II., aber nicht als Kaiser, sondern als „König von U n­
garn und Böhmen“, beruhte auf dem Nachweis eines Bruchs des Vertrages von
1756, weiterer Verstöße gegen das positive Völkerrecht sowie einer von dem Kö­
nig von Ungan und Böhmen ausgehenden Bedrohung der neuen Verfassung. Die
Regierung wandte so das positiv geltende völkerrechtliche Gebot, sich nicht in die
Verfassunggebung eines anderen Staates einzumischen, auch auf die neue Verfas­
sungslage Frankreichs an28.
Andererseits erklärte Brissot Leopold II. ganz grundsätzlich zum eigentlichen
Feind der Nation; denn er fürchte um seinen Thron: „Votre constitution est un
anatheme eternel aux trones absolus ... C ’est son tröne qu’il cherche ä maintenir,
par une vaine ligue, contre le torrent de l’esprit de liberte.“
Seine Aktionen gegen Frankreich stellten einen Angriff gegen die unaufgebbare
Freiheit der französischen Nation dar: „II s’agit de notre independance, et nous ne
pouvons la conserver qu’en prevenant nos ennemies."29
Independance meint nicht nur eine äußere Unabhängigkeit, sondern Freiheit
der eigenen Verfassung und damit der Volkssouveränität. Daher war sie auch nicht
24 M o n ite u r 10, 759. Ja cq u e s P ierre B risso t, P u b liz ist, 1791 A b g e o rd n ete r d er 2. N a tio n a l­
v ersam m lu n g, h in g eric h te t 1793.
25 M o n ite u r 10,753, 11, 147; G en so nn e im N am en des C o m ite d ip lo m a tiq u e , M o n ite u r 11,
117 ff.; A rm an d G en so nn e, J u r is t, R ich ter, 1791 M itg lie d d er 2. N atio n alv e rsam m lu n g , 1792
des K o nvents, 1793 h in g eric h te t.
26 M o n ite u r 1 1 ,5 9 9 .
27 M o n ite u r 10, 753, 759; 11, 149, 217, 536 un d 597.
28 M o n ite u r 12, 174 ff. D em en tsp rach d er B esch lu ß d er N atio n a lv e rsam m lu n g vom
20. A p ril 1792, ebd. 188.
29 M o n ite u r U , 147, 149.
58
R e i n h a r d Steig er
auf einem von Leopold II. vorgeschlagenen europäischen Kongreß verhandelbar,
sondern mußte notfalls durch Krieg bis zum Tode - la constitution ou la mort verteidigt werden30.
Stand zunächst nur die Verfassung Frankreichs, d. h. die Souveränität und Frei­
heit des französischen Volkes, zur Verteidigung, so trat nach und nach die univer­
selle Dimension der souverainete des peuples als mitbestimmendes Argument für
einen Krieg deutlicher hervor. Am 25. Dezember 1791 empfing, wie es häufig ge­
schah, die 2. Nationalversammlung während der Debatte um das Vorgehen gegen
die Emigranten eine Deputation. Ihr Sprecher Louvet rief zum Krieg gegen die
Emigranten und die sie unterstützende „Koalition der Tyrannen“ auf,
„N o u s vous d em an d ero n s q u ’en tre nous et les ro is D ieu so it ap p ele p o u r ju g e , et q u ’il d ecid e
irre v o cab le m e n t, s ’il fit le m o n d e p o u r q u elq u es h om m es, ou si p lu to t il ne v o u lu t p as q u e
q u elq u es h om m es ap p artin ssen t au m o n d e.“31
Durch den Krieg solle die Welt von der Knechtschaft befreit, die Erklärung der
Menschenrechte in alle Hütten getragen, den Menschen die ursprüngliche Würde
wiedergegeben werden, das Menschengeschlecht sich erheben und frei atmen
können. Die Abgesandten der zu einer Einheit und großen brüderlichen Familie
verschmolzenen Nationen sollten gemeinsam die Gleichheit der Rechte, die Frei­
heit der Religionen, die ewige Philosophie, die allgemeine Souveränität und so den
Frieden beschwören. Louvet erhielt großen Beifall. H ier erscheint der säkulari­
sierte Religionskrieg mit Gottesurteil zur allgemeinen Verwirklichung der natur­
rechtlich begründeten universellen W ürde, Freiheit und Gleichheit aller M en­
schen gegen die überkommene, als tyrannisch gebrandmarkte Ordnung. 1789
sollte, so Guadet, nicht nur das erste Jahr der Freiheit Frankreichs, sondern der
liberte universelle werden32. Vergniaud, der ähnlich argumentierte wie Brissot,
rief aus: „En meritant le titre de bienfaiteurs de votre patrie, vous meriterez aussi
celui de bienfaiteurs du genre humain.“33
Auch Brissot rief nicht nur zur Verteidigung des Respekts vor der französi­
schen Freiheit und der neuen Verfassung, sondern auch „de la liberte universelle
dont vous etes les depositeurs“ auf. Die eigene Freiheit und Souveränität und die
der anderen Völker gehörten zusammen, wie Robespierre schon früher gesagt
hatte, und bedingten sich gegenseitig. Das wurde besonders in einer Erklärung
hervorgehoben, die Condorcet der Nationalversammlung am 21. April gewisser­
maßen als Kommentar zum Kriegsbeschluß vorlegte. Jede Nation habe das Recht,
sich selbst die Gesetze zu geben und sie auch zu ändern. Es gehöre jeder oder kei­
30 Gnadet, M o n ite u r 11,119, D ek re t d er N atio n a lv e rsam m lu n g ; ebd. 120.
31 M o n ite u r 10, 728. Je an -B a p tiste L o u v e t de C o u v ray , S ch riftsteller, R edn er, 1792 M itg lie d
des K onvents.
32 M o n ite u r 10, 729, M a rg u e rite -E lie G u ad et, A n w alt, 1791 M itg lied d e r 2. N a tio n a lv e r­
sam m lu n g , 1792 des K o nventes, 1793 fü r k u rz e Z eit des W o h lfah rtsau ssch u sses, 1794 h in g e ­
rich tet.
33 M o n ite u r 11, 157, 159. P ierre -V icto rin V ergn iau d , A n w a lt, 1791 M itg lie d d er 2. N a tio n a l­
ve rsam m lu n g , 1792 des K o nvents, 1793 h in g erich tet.
Das n atü rliche Recht d e r S o u veränität der V ö lk er
59
ner: „L’attaquer dans une seule c’est declarer qu’on ne le reconnait dans aucune
autre.“34
• Was sollte aus' der Universalität dieser Freiheit der Völker und den Grundsät­
zen der eigenen Verfassung für das Verhalten gegenüber anderen Völkern folgen?
Zwar hatte die Versammlung am 2 9 . Dezember 1791, ebenfalls auf Vorschlag
Condorcets, die N otwendigkeit und Berechtigung zu einem Krieg gegen die Emi­
granten und deren Unterstützer um der Würde und Freiheit der französischen
Nation willen bejaht. Aber gemäß dem verfassungsrechtlich festgeschriebenen
Verzicht auf Eroberungskriege und Kriege gegen die Freiheit anderer Völker fährt
die Erklärung fort
„F iere d ’a v o ir re c o n q u is les d ro its de la n atu re, eile (la n atio n fran gaise d.V.) les o u tra g e ra p as
p o in t dans les au tres h om m es; jalo u se de son in d ep en d an ce . . . eile ne p o rtera p o in t a tte in te ä
P in d ep en d an ce des au tres n atio n s.“33
Aber wenig später formulierte Raymond aggressiv
„N ou s arriv o n s ä la seco n de ep o q u e de n o tre re v o lu tio n . A m esure q u ’elle s ’ach eve dan s Pinterieu r, et q u e nous to u rn o n s nos regard s su r ce q u e nous en viro n n e, nous som m es avertis
q u ’elle est ä faire ä P ex terieu r.“36
Nach dem Kriegsbeschluß versuchte M erlin noch zu unterscheiden: „II faut decla­
rer la guerre aux rois, mais la paix aux nations.“-37
Der in der Rolle des „Orateur du genre hum ain“ auftretende Anarchis Cloots,
der als Gastredner zugelassen wurde, rief unter starkem Beifall den Abgeordneten
zu:
„ C ’est ici la crise de l ’u n iv ers: le so rt du gen re h u m ain est en tre les m ains de la F ran ce. N ou s
co m b atto n s p o u r les d ro its de l’h om m e et nos v icto ires a jo u te ro n t tin n o u vel eclat ä la d ig n ite
h u m am e, nous frap p ero n s les desp o tes et nous d eliv rero n s les h o m m es.“
Des weiteren verglich er das Handeln Gottes, der das ursprüngliche Chaos besei­
tigt habe, mit dem der Franzosen, die das feudale Chaos bereinigten und fuhr fort:
„on nous fait une guerre impie ... nous faisons une guerre sainte.“38
Allmählich machte sich anscheinend die Vorstellung breit, die französische N a­
tion habe die naturrechtliche Freiheit und Souveränität der Völker nicht nur für
sich zu schützen, sondern sie als naturrechtlich-universelle bei anderen Völkern
zu verbreiten, wiederum mit Begriffen, die der religiösen Sprache entlehnt waren.
Das wurde im Flerbst und Winter 1792/1793 konkrete Politik.
34 M o n ite u r 12, 187.
35 M o n ite u r 10, 755.
36 M o n ite u r 11, 159.
37 M o n ite u r 12, 186.
-,s M o n ite u r 12, 192; auch B riefe d er B ü rg er von N an cy, ebd. 260 un d 261. Je an B ap tiste
(A n ach arsis) C lo o ts, n ied e rlä n d isch -p re u ß isc h e r A d eliger, b ereits v o r 1789 w o h n h aft in P a­
ris, R ed n er un d P u b liz ist, 1792 M itg lie d des K o nvents, 1794 h in g erich tet.
60
H e in h a r d Steig er
c.
D ie R epublik u n d d ie B e f r e iu n g d e r u n ter d rü ck te n Völker
Der Übergang zur Republik, den der neu gewählte Nationalkonvent am 22. Sep­
tember 1792 vollzog39, begriffen als die eigentliche Vollendung der geheiligten,
unveräußerlichen und unverjährbaren Freiheit und Souveränität des Volkes, der
nachfolgende Prozeß gegen Ludwig XVI. und dessen Hinrichtung führten den
Konflikt mit den alten Mächten in einen fundamentalen Antagonismus. Der
äußere Krieg wurde zum existentiellen Kampf um die Republik. Er konnte nicht
nur militärisch, er mußte nach innen wie nach außen in der auf Öffentlichkeit
gegründeten Republik notwendig auch rethorisch-argumentativ geführt werden.
Dabei kam der Rede von der U niversalität des Prinzips der natürlichen Freiheit
der Völker gegen die Despotie der Monarchen zentrale Bedeutung zu.
Ihre militärischen Erfolge im Herbst und W inter 1792/93 eröffneten der Repu­
blik auch reale M öglichkeiten, diese theoretische Universalität militärisch und po­
litisch in den besetzten Gebieten der Gegner umzusetzen. Nach der Eroberung
Brüssels im November 1792 erklärte Gregoire, zu diesem Zeitpunkt Präsident des
Konvents:
„ C ’est le m o u vem en t re v o lu tio n n a ire im p rim e p ar lu i (le p eu p le fran gais, d.V.) dan s P E uro pe,
dan s l ’u n iv ers, et q u i ne laisse p lus d e term e aux co n q u etes de la lib e rte .“‘,0
Noch waren es die conquetes de la liberte, aber sie wurden zu als freiw illige reuni­
ons verschleierten Eroberungen Frankreichs.
In der Sitzung des Konvents vom 19. November 1792 wurde die konkrete
Frage diskutiert, wie in den besetzten Gebieten vorzugehen sei41. Anlaß war ein
Schreiben des Club des Amis de la liberte et de l ’egalite in M ainz, in dem dieser um
den Schutz Frankreichs gegen die „Tyrannen“ bat. Lepeaux schlug vor, den Völ­
kern, peuples, die sich mit Frankreich verbrüdern wollten, den Schutz Frankreichs
zu gewähren. Zwar wurde zunächst das Comite diplomatique beauftragt, einen
Bericht dazu vorzulegen. Aber es wurde bereits ein vorläufiges Dekret verab­
schiedet, in dem der Nationalkonvent im Namen der französischen Nation allen
Völkern, die ihre Freiheit erlangen wollten, „fraternite et secours“ versprach. Er
beauftragte die Exekutive, die Generäle entsprechend zu instruieren42. Das natur­
rechtliche Universalitätsprinzip der Freiheit und Souveränität der Völker gegen
die als Tyrannen oder Despoten bezeichneten Fürsten wurde endgültig über die
Grenzen Frankreichs hinausgetragen. Die Abgeordneten beriefen sich darauf, daß
die Armeen der Republik „marchent pour assurer la liberte des peuples voisins“
und daß die französische Nation, indem sie ihre eigene Souveränität erklärt habe,
auch allen anderen Nationen ihre Souveränität zuerkannt habe.
39 M o n ite u r 14, 8 A u f V o rsch lag G rego ires „L a C o n v en tio n N a tio n ale d ecrete q u e la ro v au te est ab o lie en F ran ce“ . H en ri G reg o ire , k ath o lisc h e r P riester, 1789 M itg lie d d er etats
g en erau x u n d d er N atio n a lv e rsam m lu n g , 1791 B isch o f vo n B lo is, 1792 M itg lie d des K o n ­
vents.
40 M o n ite u r 14, 501.
41 M o n ite u r 14, 517.
42 T ext M artens, R ec u e il (A n m . 8) 6, 741.
Das n atü rliche R ec ht d e r S o u veränität der V ö lk e r
61
Die Konsequenzen wurden erst nach und nach sichtbar. Als am 4. Dezember
eine Deputation der Repräsentanten Brüssels und des peuple souveram de l ’Hainaut, das alle staatsrechtlichen Bindungen zum Hause Habsburg und die alte ari­
stokratische Ordnung abgebrochen und aufgehoben hatte, im Konvent erschien
und um eine Garantie für die neu gewonnene Unabhängigkeit in einem zukünfti­
gen Friedensvertrag bat, zögerte der Konvent jedoch, seinerseits neue verbindli­
che Verträge zu schließen43. Aber die Fortschritte bei der Besetzung Belgiens
zwangen den Konvent, allmählich eine kohärente Politik zu entwickeln, wie man
sich dort verhalten solle44. Cambon denunzierte die „principes de philosphie et de
generosite“ als zunehmend ruinös für die Republik. Zwar sage man, sie bringe
diesen Völkern die Freiheit. Aber man trage das Geld und die Lebensmittel dort­
hin.
Die Debatten führten schließlich zu einem zweiten Dekret vom 15. Dezember
1792, in dem der Konvent erheblich über das erste Dekret vom 19. November
hinausging45. Cambon, der für die drei Ausschüsse für Finanzen, M ilitär und D i­
plomatie dem Konvent Bericht erstattete, benannte als Ziel des Krieges
„ C ’est sans d o u te l ’an ean tissem en t de tou s les p riv ileg es. G u erre aux ch ateau x, p aix aux ch au m ieres; v o ila les p rin cip es q u e vous avez poses en la (d en K rieg, d.V.) d eclaran t: to u t ce q u i est
p riv ile g ie , to u t ce q u i est ty ra n , d o it do ne etre traite en en n em i dans les p ay s ou nous en tron s.
T elle est la co n seq u en ce n atu relle de nos p rin c ip e s.“46
Der Berichterstatter beklagte, daß man bisher die alte Ordnung weithin aufrecht
erhalten, den Adel, den Klerus, die Privilegierten weithin ungeschoren in ihren
wirtschaftlichen, politischen und amtlichen Positionen belassen, ihnen keine Son­
derlasten auferlegt habe und so im Grunde den Versprechungen und schönen Pa­
rolen von der Freiheit des Volkes keine Taten habe folgen lassen. Die Ausschüsse
schlugen daher vor, daß mit dem Eintritt in die feindlichen Gebiete die Generäle
die bestehende feudale und tyrannische Ordnung der Privilegien etc. aufheben
und beseitigen, die alten Autoritäten absetzen und eine freiheitliche Ordnung auf
der Grundlage der Prinzipien der französischen Revolution tind Republik, der
Souveränität des Volkes mit neuen Organen errichten sollten. Dafür sollten Pri­
märversammlungen einberufen, Wahlen veranstaltet und provisorische Behörden
eingesetzt werden. So hieß es in der Präambel des zweiten Dekretes
„La C o n v en tio n n atio n ale fid ele au p rin c ip e de la so u v e rain e te des p eu p les q u i ne lu i p erm et
pas de re co n n a itre au cu n e in s titu tio n q u i y p o rte atte in te . . . “
43 M o n ite u r 14, 652. D azu u n ten S. 7 2 f.
44 M o n ite u r 14, 703. Jo se p h C a m b o n , K aufm an n , 1791 A b g e o rd n ete r d er 2. N a tio n a lv e r­
sam m lu n g, 1792 des K o nvents, 1793 M itg lie d des W o h lfah rtsau ssch u sses, G egn er R ob esp ierres, D ep o rtatio n u n ter dem D ire k to riu m , b eg n a d ig t, 1815 V erb ann un g.
4:1 M o n ite u r 14, 755; M artens, R ecu eil 6, 741. D azu u .a . Laurent, L’E m p ire 179; Sorel, L’ E u­
rope 3, 197 ff.; Redslob, Ideen 288; W. Martens, V ö lk erre ch tsv o rstellu n g en 307; Belissa,
F ratern ite 333 ff., m it seh r u n tersch ie d lic h e n , ja g e g en sätzlich en W ertun gen.
46 M o n ite u r 14, 758. Jo se p h C am b o n , K aufm an n , 1791 A b g e o rd n ete r d er 2. N a tio n a lv e r­
sam m lu n g, 1792 des K o nvents, 1793 M itg lie d des W o h lfah rtsau ssch u sses, G egn er R o b esp ierres, D ep o rtatio n u n ter dem D ire k to riu m , b eg n a d ig t, 1815 V erb ann un g.
62
H e in h a r d Steig er
Absätze 1 und 2 stipulierten:
„D ans les p ay s q u i son t ou q u i sero n t o ccu p es p ar les arm ees de la re p u b liq u e fran gaise, les
gen erau x p ro c lam en t su r-lc -ch am p au nom de la n atio n franchise, l ’ab o litio n des im p o ts ou
co n trib u tio n s ex istan ts . . . et g en eralem en t to u s les p riv ileg es. Ils d ec lare ro n t au p eu p le q u ’ ils
lui a p p o rte n t p aix , seco u rs, fratern ite, lib e rte et eg alite.
Ils p ro c lam ero n t la so u v e rain te du p eup le et la su p p re ssio n de to u tes les a u to rites ex istan tes;
ils co n v o q u e ro n t de su ite le p eu p le en a s se m b lie s p rim aires ou co m m u n ales, p o u r creer et
o rg a n ise r une ad m in istratio n p ro v iso ire ; ils fcro n t p u b lier, affich er et executer d an s k lan g u e
ou l’ id iö m e du p ay s d ans ch aq u e co m m u n e, la p ro c lam atio n an n exee au p resen t d e c re t.“
In der Proklamation stand u. a.
„D es ce m om en t, la re p u b liq u e fran gaise p ro c lam e la su p p ressio n de tous vos m a g istra ts civ ils
et m ilita ire s, de to u tes les au to rites q u i vous o nt go u vern es . . . “
Auch alle Steuern, Abgaben, Privilegien, Korporationen von Adeligen und Prie­
stern und deren Vorrechte wurden von der französischen Republik aufgeho­
ben.
„V ous etes , des ce m o m en t, freres et am is, to u s c ito y e n s, tous egaux en d ro it, et tou s appeles
eg alem en t a d efen d re, ä go u v e rn er et ä serv ir vo tre p a tr ie .“
A rtikel 3 des Dekretes schloß jedoch Adel, Geistliche und andere Privilegierte
von der Teilnahme an der Verwaltung und der Gerichtsbarkeit und damit aus dem
„Volk“ aus. Einwände, dieses Vorgehen sei gerade nicht revolutionär, da es die
Völker eines Teiles ihrer Souveränität beraube, fanden kein Gehör47. Außerdem
wurde festgelegt, welche Gesetze die Volksvertretung zu erlassen habe, daß den
neu eingerichteten Verwaltungen französische Kommissare vom Konvent als Be­
rater zugeordnet werden sollten und zur Sicherung der „Befreiungskosten“ das
Vermögen der privilegierten Klassen unter französische Sequester zu stellen sei
u. a. mehr.
Die Reaktionen der Betroffenen, vor allem in Belgien, waren geteilt. Abge­
sandte der Versammlung des Hennegau baten den Konvent, das Dekret zu w ider­
rufen.
„G en ereu x F ran cais, n atio n fie re et ju ste , rap p e lez vo tre d ecret d u 15 d eeem b re, ou vo us nous
p arlez en v a in q u e u rs, en m aitres, en so u v e rain s, lo rs-q u e de v o u s-m em es, vo us d ec rete z la
cessatio n de nos im p o ts et de nos reven us p u b lic s; q u e vo us m ettez sous vo tre m ain , et q u e
vo us o rd o n n ez la re g ie de nos b ien s n atio n au x ; q u e vous p ro n o n cc z au trem en t q u e p ar notrc
o rgan e l ’ex tin ctio n de nos agre g atio n s ou c o rp o ra tio n s p o litiq u e s; q u e vo us p rescriv ez m em e
co n fiscatio n des p ro p riete s p artic ilie re s, ce q u e nos anciens d esp o tes n’o saien t pas faire, lo rsq u ’ils nous d ec la ra ien t reb elles, q u ’ils nous traita ie n t en reb elles.
R ep resen tan ts de la n atio n fran gaise, nous vo us d em an d o n s, nous vous co n ju ro n s, au nom
sacrc de la lib e rte , de rev en ir de vos p reten tio n s su r la n atio n b elg iq u e ." 48
47 M o n ite u r 14, 761. C la u d e B azire (B asire), A n w a lt, 1791 M itg lie d d er 2, N a tio n a lv e rsam m ­
lu n g , 1792 des K o nvents, 1794 h in g eric h te t.
48 M o n ite u r 14, 818; ebenso le p eu p le lib re et so u v e rain de la v ille d ’A nvers, so w ie ein von
C am b o n v e rlesen er B rief aus B rü ssel 15, 297, 322.
Das n atürliche R ec ht d e r S o u ve ränität der V ö lk e r
63
Der amtierende Präsident des Konventes, Barere, warf ihnen jedoch vor, dem
Adel und dem Klerus, den Feinden der Rechte der Völker überall noch zuviele
Rechte einzuräumen49.
Hingegen begrüßte eine Delegation der Societe des Amis de la liberte et de
l’egalite aus Mons das Dekret und beschuldigte den Adel, dem belgischen Volk die
Bitte um seine Aufhebung entrissen zu haben. Auch Abgesandte der Societe des
Amis aus Brüssel, die offenbar den Adel und die Geistlichkeit in der dortigen ge­
wählten Versammlung verdrängt hatte, unterstützten das Dekret50.
Auch das Ausland erhob Einwände. Großbritannien sah in dem Dekret vom
19. November einen Aufruf zum Aufruhr in anderen Staaten. Dazu erklärte der
französische Außenminister Lebrun-Tondu:
„II est d eu x cas b ien d istin cts oü ce decret p eu t et d o it tro u v e r son ap p licatio n , so it en vers les
p eu p les q u i son t sou s la d o m in an ce des p u issan ces avec le sq u e lles nous som m es en g u erre,
so it p a r rap p o rt aux p ay s go u vern es p a r des p u issan ces ab so lu m en t n eutres; il ne p e u t y av o ir
de d iffic u lte .“51
Für den ersten Fall stützte sich der Außenminister offenbar auf das damals gel­
tende Völkerrecht, das der Besatzungsmacht das Recht zur völligen Neuordnung
auch der Verfassung einräumte52. Für den zweiten Fall komme französische Hilfe
hingegen nur in Betracht, wenn ein Volk seine Fesseln zerbrochen, die Despoten
verjagt, seine Freiheit hergestellt, seine volonte generale organisiert und klar zum
Ausdruck gebracht habe und dann den Beistand Frankreichs anrufe.
„ C ’est alo rs q u e le d ecret du 19 n ovem bre tro u v e u n e ap p licatio n n atu relle, et nous d o uto n s
q u ’elle p u isse p araitre etran ge ä p erso n n e .“
Man gebe nur eine Hilfe, die man selber gerne von anderen freien Nationen ge­
habt hätte, wohl eine Spitze gegen Großbritannien53.
49 M o n ite u r 15, 297; B e rtra n d B arere de V ieu zac, R ec h tsa n w a lt, 1789 M itg lie d d er etats
gen erau x u n d d e r N atio n alv e rsam m lu n g , 1792 des K o nventes, P räsid e n t im P ro ze ß gegen
L u d w ig X V I., M itg lie d des W o h lfah rtsau ssch u sses, n ach 1815 V erb ann un g.
50 M o n ite u r 14, 855; ebd. 15, 376. D iese V ersam m lu n g h atte sich zu n äch st a u sd rü c k lic h ge­
gen das D ek re t gew an d t.
51 M o n ite u r 14, 792. P ie rre -M a rie -H e le n c -M a rie L eb ru n -T o n d u , G eistlich er, P u b liz ist, 1792
M itg lied des E x e k u tiv au ssch u sses fü r A u s w ä rtig e A n g e le g en h e iten , 1793 h in g eric h te t. D iese
A u sein an d ersetz u n g habe ich in m ein er frü h eren D arste llu n g , Steiger, V ö lk erre ch t 33, ü b e r­
sehen.
52 H einhard Steiger, „ O ccu p atio b e llic a “ in d er L ite ra tu r des V ö lk errech ts d er C h riste n h e it
(S p ä tm itte lalte r b is 18. Ja h rh u n d e rt), in: D ie b esetzte res p u b lic a, h rsg. v. Markus M eumann,
Jörg Rogge (B erlin 2006) 2 0 1 -2 4 0 , h ier 2 1 9 ff., w ie d e r a b g e d ru c k t in: den., Von d er S taate n ­
gesellsch aft z u r W e ltre p u b lik ? A u fsätze z u r G esch ich te des V ö lk erre ch ts aus v ie rz ig Ja h ren ,
in: Wolfgang G ra f Vitzthum u .a . (H rsg .), S tu d ie n z u r G esch ich te des V ö lk errech ts 22 (B a­
d en -B ad en 2009) 6 2 7 -6 6 6 , 645 ff.
53 Z ur w eitere n D isk u ssio n das S ch reib en des b ritisch en A u ß e n m in iste rs L o rd G ren v ille
und die A n tw o rtn o te des fran zö sisc h e n E x e k u tiv rates, M o n ite u r 15, 121 u n d 123. L ord
G ren ville w ies in seinem S ch reib en vom 31. D eze m b er 1792 die fran zö sisch en E rk läru n g e n
zu rü c k un d sah in den D ek reten eine A u ffo rd e ru n g zu U m stu rz un d R ev o lte in an d eren ,
auch n eu tralen S taaten , zu m al d er K onvent b ritisch e R e v o lu tio n ä re em p fan gen un d geeh rt
hatte. D er E x e k u tiv ra t hob in sein er A n tw o rtn o te vom 7. Ja n u a r 1793 noch ein m al hervor,
64
H e in h a r d Steig er
Auf der Linie dieser Dekrete schlug Condorcet im Februar 1793 namens des Comite constitutionnel für den Entwurf einer neuen Verfassung Teil XIII Art. 3 vor,
„D ans les p ay s o ccu p es p ar les arm es de la re p u b liq u e fran<;aise les g en erau x son t ten us de
m a in te n ir . . . la su rete des p crson nes et des p ro p riete s, et d ’a ssu rer aux cito y en s de ces p ay s la
jouissunce entiere d e le u rs droits nature Is, c; vils et p o liriq u es. Us ne p o u r ro n t sou s au cu n p retex te et en au cu n cas, p ro teger, sous l’a u to rite d o n t ils son t revetus, le m ain tien des usages
c o n traires ä la lib e rte et P egalite n atu relles, et la so u v e rain e te des p eu p le s.“54
Der Text wurde aber infolge der weiteren Entwicklungen nicht angenommen. Als
sich das Kriegsglück im Frühjahr wendete und die Republik von innen wie von
außen in existentielle Gefahr geriet, nutzte Danton in der Debatte über den Verrat
des Generals Dumouriez am 13. April die Gelegenheit zu beantragen
„II est tem ps, c ito y e n s, q u e la C o n v en tio n n atio n ale fasse c o n n a itre ä l’E u rop e q u ’elle sait al~
lier la p o litiq u e aux vertu s re p u b licain es. V ous avez ren d u , dan s un m om en t d ’en th o u siasm e,
un d ec ret d o n t le m o tif etait b eau sans d o u te, p u isq u e vo us vo us o b lig ie z de d o n n er p ro te c ­
tio n au x p eup les q u i v o u d ra ien t re sister ä l’o p p ressio n de le u rs tyra n s. C e d ecret sem b lerait
vous en g ag e r ä s e c o u rir q u elq u es p atrio tes q u i v o u d raien t faire un e re v o lu tio n en C h in e. II
fau t, avan t to u t, so n g er a la co n serv atio n de n o trc co rp s p o litiq u e et fo n d er la g ra n d e u r fra n ­
chise. Q u e la re p u b liq u e s ’afferm isse, et la F ran ce, p ar ses lu m iere s et son en ergie, fera a ttra c ­
tio n s u r tou s les p e u p le s .. . . D ecreto n s q u e nous ne nous m elero n s pas de ce q u e se passe ch ez
nos vo isin s .. .“53
Der Konvent beschloß daraufhin, ohne das Dekret vom 15. Dezember ausdrück­
lich aufzuheben,
„L a C o n v en tio n n atio n a le d eclare, au n o in du p eu p le fran $ais, q u ’elle se n’jfm m iscera pas en
au c u n c m an iere d ans le go u vern em en t des au tres p u issan ces; m ais eile d eclare en m ein e tem ps
q u ’elle s ’en v e lira p lu to t sou s ses p ro p res ru in es q u e de so u ffrir q u ’aucun e p u issan ce s ’im m isce dans le regim e in te rie u r de la re p u b liq u e , et in flu en ce la creatio n de la co n stitu tio n
q u ’elle veut se d o n n er.“36
d aß das D e k re t n u r A n w e n d u n g fin d e, w en n „la v o lo n te g e n erale d ’un e n atio n , ex p rim ee
c laire m e n t et sans eq u iv o q u e ap e llera it l ’assistan ce et la frate rn ite de la n atio n fran g a ise“. A u f­
ru h r u n d A u s d ru c k d er vo lo n te ge n e rale sch lö ssen sich g e g en seitig aus. D as erste sei d ie B e­
w e g u n g ein er k lein e n G rup p e. W enn d iese ab e r zu m allg em ein e n W illen w erd e , d ie R e g ie ­
ru n g sfo rm o d er gan z allgem ein d ie V erfassun g zu re fo rm ieren o d er zu än d ern , sei sie k e in
A u fru h r m ehr, ebd. 123. Ernest Nys, La re v o lu tio n fra n ?a ise et le d ro it in te rn a tio n a l, in : ders.,
E tu d es de d ro it in te rn a tio n a l et de d ro it p o litiq u e (P aris 1896) 3 1 8 -4 0 6 , h ier 391 h at versu ch t,
das D ek re t vom 19. N o v em b e r a u f d ie se r G ru n d lag e als v e rein b a r m it dem d am als gelten d en
V ö lk e rre c h t zu re ch tfertigen . A b e r er ü b ersieh t den p o litisch en un d m ilitärisc h e n G esa m tz u ­
sam m en h an g, in d em b ereits das erste D e k re t stan d . D as z w e ite b ild ete gerad e im G esam t­
v erstän d n is des K o nvents selb st le d ig lic h d essen k o n se q u en te W eite re n tw ic k lu n g , k e in e neue
S tu fe. Laurent, H isto ire (A n m . 6) 183 in te rp re tie rte d ie b eid en D ek rete vom 19. N o v em b er
u n d 15. D ezem b er h in g egen als P ro k lam atio n e n „ d ’u n n o u veau d ro it des gens, fo n d e su r la
s o lid a rite h u m a in e “ un d d e r B rü d e rlic h k e it. Ih ren G ru n d h ätten die S o lid a ritä t d er V ö lk e r
u n d d ie sich aus ih r ergeb en d en b rü d e rlic h e n P flich ten in den A u ge n d er fran zö sisc h e n R e ­
v o lu tio n in d er F re ih e it d er V ö lk e r geh ab t. Je d o c h seien d ie an d eren V ö lk er d ie ser h o c h h er­
z ig en W o h ltat F ran k re ic h s n ich t w ü rd ig gew esen .
54 Text: M o n ite u r 15, 488.
55 M o n ite u r 16, 143.
56 Laurent, L’E m p ire 184 u n d Martens, V ö lk e rre c h tsv o rste llu n g e n 312 sehen d a rin den E in ­
tr itt d e r R e p u b lik in das „co n cert eu ro p e e n “.
D as n atürliche Recht d er S o u ve rä n itä t der V ö lk e r
65
Ein Vorschlag Robespierres für eine Ergänzung der Erklärung der Menschen­
rechte in der neuen Verfassung, der noch der universalistisch-interventionisti­
schen Idee verhaftet war, wurde wie Condorcets Vorschlag nicht aufgenommen
„I. L es h om m es de tous les p ay s sont frcres, et les d ifferen ts p eup les d o iven t s ’e n tr’aid e r selon
le u r p o u v o ir, co m m e les cito y en s du m em e erat.
II. C e lu i q u i o p p rim e un e n atio n se d eclare i ’en n m i de tous.
III. C c u x q u i fo nt la gu erre ä un p eu p le p o u r arrc te r les p ro gres de la lib erte, et an e a n tir les
d ro its de l ’h o m m e, d o iv e n t etre p o u su iv is p a r to u s, non co m m e des en n m ies o rd in a ire s, m ais
co m m e des assasin s et des b rigan d s reb elles.
IV. L es ro is, les a risto c rate s, les ty ra n s, q u els q u ’ ils so ien t, son t des esclaves rev o k es co n tre le
so u v e rain de la terre, q u i est le g e n re -h u m a in , et co n tre le le g is la te u r de P univers, q u i est la
n atu re .“57
Kapitel XXV der - zunächst suspendierten - Verfassung vom 18. Juni 1793 lautete
nur noch sehr knapp
„A rt.I Le p eu p le fran gais se d eclare Pam i et l ’allie n atu rel des p eup les libres.
A rt. II. II ne s ’ im m isce p o in t d ans le go u v e rn em en t des au tre s n atio n s; il ne souffre pas q u e les
a utres n atio n s s ’im m isce n t dans le s ic n ." 58
d. Krieg gegen Großbritannien, den Statthalter der Niederlande und Spanien
Zwar wurden in den Kriegserklärungen vom 1. Februar 1793 an Großbritannien
und die Niederlande und am 7. März 1793 an Spanien eher herkömmliche Kriegs­
gründe genannt59. Aber deren durchschimmernde Folie bildete die Grundthese,
diese drei Mächte achteten die neuen Verhältnisse in Frankreich und die Rechte
der freien Nation nicht.
Die französischen Generale hoben auch in den Niederlanden nach der Erobe­
rung die bestehende Verfassung und die Statthalterschaft auf und schufen unter
ihrer Kontrolle republikanische Strukturen, um, wie es hieß, die Niederländer von
ihrem despotisch-tyrannischen System zu befreien60.
e. Fazit
Die Universalisierung des naturrechtlichen Prinzips der souverainete du peuple
zur souverainete des peuples hatte den Krieg von einem Verteidigungskrieg der ei­
genen Freiheit zum Interventionskrieg zur Befreiung anderer Völker vom monar­
57 M o n ite u r 16, 213, en d g ü ltig e r Text: 228.
3 8 M o n ite u r 16, 688. Es h an d elt sich, w ie sch on b ei den B estim m u n gen vo n 1791, u m a llg e ­
m eine G ru n d sätze des au ß e n p o litisch en H an d eln s g e g en ü b er an d eren N atio n en o d er V ö l­
kern im F ried en , also g e w isserm aß en um ein ve rfassu n g sre ch tlic h e s In terv en tio n sv erb o t.
59 M o n ite u r 15, 332, 335, 639; dazu auch d er vo rh e rg e h e n d e B erich t von Brissot, 127. D azu
Belissa, F ra te rn ite 348 ff.
60 D ekret ü b er d as V orgehen d er fran zö sisch en G en erale in den N ied e rlan d en vom 2. M ärz
1793 u n d B rief De la Convention nationale de France aux ßataves, M o n ite u r 15, 608 und
610.
66
H e in h a rd Steig er
chisch-feudalen Despotismus verwandelt. Er wurde alsbald zu einem dissim ulier­
ten Eroberungskrieg61.
III. Alte Verträge und neue Freiheit
Wie erwähne, wurde 17 90 im H inblick auf denpacte de fam ille der bourbonischen
Häuser von 1761 in der Nationalversammlung diskutiert, ob durch einen Vertrag
des Königs auch die freie Nation als neue Trägerin der Souveränität und des Rech­
tes des Krieges und des Friedens an diesen gebunden sei62. Diese Frage war von
grundsätzlicher Bedeutung und stellte sich mehrfach.
a. Der bourbonische Pacte de fam ille von 1761
Da es sich bei dem pacte de fam ille um einen Bündnisvertrag handelte, wurde die
Bindung im H inblick auf die praktisch-politische Bündnistreue einerseits und auf
die naturrechtlichen Grenzen der Zulässigkeit eines Krieges andererseits disku­
tiert. Hatte der H erzog de Biron zur Eröffnung der Debatte im Namen der Ehre
d ’un peuple libre, ja der revolution et de la liberte für die Vertragstreue gegenüber
Spanien plädiert63, so ging die Debatte in der Folge in die andere Richtung.
Petion de Villeneuve erklärte am 16. Mai 1790 u.a.
„Les traites d ’allian c es son t des in ju stices q u an d ils p ro teg e n t des p uissan ces in ju ste s. Ils son t
un e so u rce in tarissa b le de gu erres tant q u e P allian ce n ’cst pas gen erale. C ’est un jeu tro m p eu r,
d o n t les ch an ces so n t tan tö t b on nes, tan tö t m au v aises, et to u jo u rs in ju ste s.“64
Robespierre frug
„U n P acte de fa m ille , est-il un p acte n atio n a l? C o m m e si les q u ere lies des ro is p o u v aie n t en ­
co re etre celles des p eu p le s.“65
Mirabeau stellte hingegen differenzierend und vermittelnd einerseits auf die Ver­
pflichtungen aus der Allianz, d.h. nach bestehendem positiven Recht, andererseits
auf die Prinzipien der neuen Verfassung, d. h. die Erklärung der Menschenrechte
und den Verzicht auf Angriffs- und Eroberungskriege, ab, die beide naturrechtlich
begründet waren66.
61 Belissa, F rate rn ite 3 2 8 ff.
62 O b en S. 54; D a zu Sorel, L’ E urope 2, 84 ff.
63 M o n ite u r 4, 371. A rm an d -L o u is de G o u to n , H e rz o g von B iro n , O ffiz ie r im a m e rik a n i­
sch en U n a b h ä n g ig k e its k rie g , 1789 M itg lie d d er etats gen e rau x un d d er N a tio n a lv e rsam m ­
lu n g , 1792 O b erb efeh lsh ab er der R h e in arm e e un d an d e re r T ru pp en , 1793 h in g eric h te t,
64 M o n ite u r 4 ,3 9 0 . Je ro m e P etio n de V illen eu ve, A n w a lt, 1789 M itg lie d d er etats g en erau x u n d
d e r N a tio n a lv e rsam m lu n g , 1791 P rä sid e n t des P arises K rim in a ltrib u n als, 1791 B ü rg erm eiste r
vo n P aris, 1792 M itg lie d des K onventes, a u f d er F lu c h t v o r V erh altu n g 1794 gesto rb en .
65 M o n ite u r 4, 397.
66 M o n ite u r 5, 4 8 0 ff. A u ssc h u ß b e ric h t b ei d er W ie d erau fn ah m e d er D eb atte am 25. A u g u st
1790.
D as n atü rliche Recht der S ou ve rä n itä t der V ö lk er
67
„N ou s avo ns du d is tin g u e r le system e q u ’avait em b rasse ju s q u ’icl le go u vern em en t fran gais,
de la th e o rie q u i co n v ie n t ä un n o u vel o rd re des ch o ses. . . . La n ation fran gaise, en ch an g ean t
ses lo is et ses m cers, d o it sans d o u te ch an g er sa p o litiq u e .“
Jedoch dürfe man um der eigenen Sicherheit willen das alte System nicht einfach
über den Haufen werfen. Ein Interregnum der Verträge sei in außenpolitischen
Angelegenheiten höchst gefährlich. Zwar würden die Ideen der Freiheit und der
Gleichheit, gerade auch durch das Gewicht Frankreichs, Europa erobern. Aber
das gehe nicht von einem Tag auf den anderen. Jedoch habe die Versammlung das
Recht, die Verträge zu annullieren, oder über ihre Änderung zu verhandeln67. So­
lange sollten sie zw ar gültig bleiben, jedoch solle der König gebeten werden, allen
verbündeten Mächten mitzuteilen,
„q ue le d esir in a lte ra b le de la p aix, et la re n o n c iatio n ä to u te co n q u ete etan t la base de n otre
co n d u itc , la n atio n fran gaise ne regard e co m m e ex istan tes et co m m e o b lig ato ires dan s tous les
tra ites, q u e les stip u la tio n s p u rem en t d efen siv e s“.
Schließlich beschloß die Konstituante einerseits, reine Defensiv- und Handelsver­
träge zu respektieren und andererseits, den König zu beauftragen, einen neuen
Vertrag mit Spanien auszuhandeln,
„et de fix er avec p rec isio n et clarte to u te stip u la tio n q u i ne serait pas en tierem en t co n fo rm e
aux vues de p aix ge n e rale et aux p rin cip es de ju stice q u i sero n t ä jam ais la p o litiq u e des F ra n ­
gais“68.
So sollte einerseits dem Partner deutlich gemacht werden, daß nunmehr die sou­
veräne Nation Träger der außenpolitischen Rechte sei und die Entscheidungen
treffe. Andererseits wurde auf diese Weise versucht, mittelbar das naturrechtlich
begründete Eroberungsverbot in das bestehende positive europäische VölkerRecht einzufugen und dieses dadurch an einem ganz entscheidenen Punkt, dem
souveränen Kriegsrecht, zu verändern69. Robespierre befürchtete jedoch, daß alle
alten, vor allem unbekannten Verträge mit ihren Bindungen auf diese Weise von
der Nationalversammlung bestätigt werden könnten70.
b. Die Rechte deutscher Stände im Elsaß
Da durch die Dekrete vom 4. August und 2. November 1789 auch die überkom ­
menen Rechte der Reichsstände im Elsaß, die Art. 89 des Vertrages von Münster
vom 24. O ktober 1648 Vorbehalten hatte, aufgehoben worden waren, kam es zu
einem Konflikt mit dem Kaiser und dem Reichstag. Dieser forderte in einem conclusum von Frankreich, die völkervertragsrechtlich garantierten Rechte aufrechtM irab eau sah die G efahr, d aß F ran k reich d u rc h alte A llia n z v e rträ g e w ie den p acte de
fam ille in K riege g ezo gen w erd en k ö n n te, M o n ite u r 4, 449.
68 M o n ite u r 5, 490.
69 D azu C a rl Schmitt, D er N o m o s der E rde im V ö lk erre ch t des Ius P u b licu m E u ro p aeu m ,
(K öln 1950) 123 ff.
'° M o n ite u r 5, 483.
68
H e in h a rd Steig er
zuerhalten oder doch eine Entschädigung zu zahlen71. Wiederum wurde auf den
beiden Ebenen des positiven Rechtes und der naturrechtlichen souverainete du
peuple argumentiert.
Mirabeau erklärte zu Beginn der Debatte in der Nationalversammlung am
11. Februar 1790 :
„L a q u estio n p eu t etre ex am in ee sous rap p o rts du d ro it n atu re) et sous ceux du d ro it p u b lic ,
j ’au rais d it v o lo n tie rs du d ro it p u b lic n atu rel et du d ro it p u b lic g erm an iq u e. Vos p rin cip es ne
son t pas d ’ accord avec les p rin cip es du d ro it p u b lic g e rm a n iq u e , m ais b ien avec la n atu re;
ain si, sou s ce p rem ie r rap p o rt, la q u estio n se rait b ien to t d ecid ce. M ats il fau t l’ex a m in er en
d ro it p u b lic g e rm a n iq u e ; . . . C o m m e le d ro it p u b lic g e rm an iq u e se tro u ve p arm i les choses
in u tiles q u e j ’ai ap p rises dan s m a vie, je d em an d e ä p ro u v er q u e, d ’apres ies p rin cip es germ an iq u es, les re clam atio n s ne son t pas fondces.
Je ne vo is pas co m m en t la n ation p o u rra it etre ten u e d ’un e in d em n ite p o u r av o ir agi su iv an t
les p rin c ip e s du d ro it n atu rel, q u i d o iv e n t etre les p rin c ip es d e to u tes les n atio n s; to u t ce
q u ’on p o u rra it faire p o u r l’a u te u r du co n clu su m ce serait de lu i e n v o ye r la co p ie de nos
d ecrets, car il les a m al lus.
Si la q u estio n d o it etre ju g e e en d ro it n atu rel, in n ’va p as lie u de d elib ere r; si elle d o it l ’etre en
d ro it p u b lic g e rm an iq u e , il fau t l ’a jo u rn e r au p lu s p ro c h ain jo u r.“72
M it dem Vertrag von Nimwegen von 1679 sei, so Merlin als Berichterstatter des
Ausschusses bei der Wiederaufnahme der Debatte im Oktober 1790, die volle
Souveränität über das Elsaß auf die französischen Könige übergegangen; damit
habe sich die 1648 noch garantierte Territorialgewalt der deutschen Reichsstände
in Privatrechte verwandelt73. Diese unterlägen jedoch nach den Wandlungen des
Jahres 1789 der volonte generale der Nation, die sie, wenn es das öffentliche Inter­
esse verlange, aufheben könne. Es sei keine Entschädigung zu zahlen, da der Ver­
trag von Münster durch die Dekrete der volonte generale des französischen Vol­
kes überlagert worden sei, an dessen Beschluß die Eigentümer der Rechte, „qui
sont nos concitoyens“, durch ihre Vertreter m itgewirkt hätten. Denn das Elsaß
gehöre durch den Willen des elsässischen Volkes zu Frankreich:
„ Q u ’im p o rte au p eu p le d ’A lsace, q tF im p o rte au p eu p le fr a n ja is les co n ven tio n s, q u i, d an s les
tem p s du d esp o tism e, o nt eu p o u r o b jet d ’ u n ir le p rem ie r au seco n d ? Le p eu p le alsacien s ’est
u n i au p eu p le fran ijais, p arc e q u ’il l ’a v o u lu ; c ’ est do n e sa seu le vo lo n te, et n on le traite de
M ü n ste r q u i a le g itim e l ’u n io n “74.
Da dieser W ille keine Vorbehalte hinsichtlich der Lehen erklärt habe, gäbe es auch
kein Recht auf Entschädigung.
„D es traites faits sans le co n co urs d u p eu p le fran ^ais, n ’o n t pas pu le so u m e ttre ä des in d em n ites p o u r raiso n d esq u e lle s il n ’a p ris au cu n en gagem en t. En d eu x m ots, ce n ’est p o in t p ar les
traites des p rin ces, q u e se rcglen t les d ro its des n a tio n s.“
71 Belissa, F ra te rn ite 219 ff.; Sorel, L’E u ro p e 2, 77 ff.
72 M o n ite u r 3, 348.
73 B erich t des C o m ite feo d al, M o n ite u r 6, 239, A n to in e M e rlin de T h io n v ille, R ec h tsan w alt,
A b g e o rd n ete r des D ritte n Standes d er etats gen e rau x u n d d er N atio n a lv e rsam m lu n g , 1792
des K o nvents, 1795 M itg lie d des R ates der F ü n fh u n d e rt. T ext des D ek retes 6, 241.
74 M o n ite u r 6, 241.
Das n atürliche Recht der S o u v e rä n itä t d er V ö lk e r
69
Die Bezeichnung der Elsässer als ein eigenes Volk neben dem französischen Volk,
dem eine eigene volonte generale zur Vereinigung mit diesem zugestanden wird,
läßt einen Ansatz zur Selbstbestimmung über den politischen Status erkennen.
Zwar scheint dies zu diesem Zeitpunkt überraschend, da zuvor behauptet wird,
das Elsaß gehöre spätestens seit dem Vertrag von Nimwegen zu Frankreich. M er­
lin verwies auf den „pacte social forme l’annee derniere entre tous les francais anciens et modernes dans cette Assemblee“, also auf die Vorgänge des Jahres 1789,
die offenbar als der eigentlich konstituierende Akt der Einheit der Nation verstan­
den wurden. Zwar wird nicht auf die souverainete du peuple, sondern auf dessen
volonte generale abgestellt. Aber die Souveränität manifestiert sich in dieser vo­
lonte generale.
Allmählich wurde der Streit grundsätzlicher75. Brissot erklärte 1791, wesentlich
vorbehaltloser und radikaler als ein Jahr zuvor Mirabeau,
„II fa lla it lu i (L eo p o ld II.) d ir e ,. . . q u e la so u v e rain e te des p eup les n ’est pas liec p ar les traites
des ty r a n s .“76
Vertragsrechtliche Privilegien durften keinen Vorrang gegenüber der Souveränität
und Freiheit der französischen Nation haben, die ewige und unabänderliche
Rechte aller Völker seien.
„L e b eso in de l ’u n ifo rm ite et l’eq u ite n atu relle p rescriv a ie n t la su p p ressio n des d ro its fcod aux de l’A lsa ce et la L o rrain e co m m e de to u s les a u tre s.“
Das Beharren von Kaiser und Reich auf den Rechten aus den alten Verträgen
rechtfertigte, w ie gezeigt, für Brissot den Krieg, da es einen Angriff auf die Souve­
ränität der französischen Nation in eigenen Angelegenheiten darstelle.
c. Vereinigung Avignons und des Venaissin mit Frankreich
Im Sommer 1790 stellten die päpstlichen Gebiete Avignon und Grafschaft Venais­
sin einen Antrag auf Aufnahme in das französische Königreich. Dem Antrag w a­
ren seit 1789 Unruhen, bürgerkriegsähnliche Verhältnisse, Interventionen franzö­
sischer Truppen, eine Vereinigung beider Gebiete und Wahl einer eigenen Reprä­
sentation vorausgegangen. Die Vereinigung mit Frankreich wurde erst am
14. September 1791 nach langwierigen, kontroversen Debatten beschlossen77.
Petion de Vileneuve stellte als Berichterstatter am 16. November 1790 sechs
Fragen: 1. Hängt Avignon von Rom ab, oder ist es in Wahrheit Teil Frankreichs;
2. Konnten sich die Avignoneser im ersten Fall für frei und unabhängig erklären;
3. Ist diese Erklärung ein allgemeiner, authentischer W ille des Volkes oder nur der
einiger einzelner; 4. Konnten sie eine solche Erklärung der Unabhängigkeit und
des Angebots zum Anschluß an oder Vereinigung mit Frankreich abgeben;
75 M o n ite u r 11, 478, 521, 535, 536.
76 M o n ite u r 10, 760.
/7 M o n ite u r 9, 662. E in zelh eiten Belissa, F ra te rn ite 233 ff.
70
H e in h a r d Steig er
5. Kann ein Teil einer Nation eine solche Erklärung beschließen; 6. Welche Reak­
tion ist gerecht und vernünftig?
„A in si ce d isc o u rs se d iv ise en d eu x p arties p rin c ip a le s, l ’u n e tra ite du d ro it p o sitif, l’ au trc des
d ro its n atu rels et im p rescip tib lcs des p eu p le s“7S.
Für das positive Recht kam es auf die fortdauernde G ültigkeit vertraglicher Rege­
lungen aus dem 13. bzw 14. Jahrhundert, durch die die beiden Gebiete unter
päpstliche Herrschaft gekommen waren, und die weitere historische Entwicklung
der Stellung der beiden Gebiete zu Frankreich an. Petion legte ausführlich verfas­
sungsrechtliche wie völkerrechtliche Gründe für die U ngültigkeit der Verträge
dar. Außerdem versuchte er, die fortdauernde und auch immer wieder demon­
strierte grundsätzliche Souveränität Frankreichs über diese Gebiete bis in die Zeit
Ludwigs XV. nachzuweisen. Darüber hinaus machte er das naturrechtliche Recht
der jedem Volk zustehenden und stets verbleibenden Souveränität und Freiheit
geltend. Das Volk von Avignon und des Venaissin habe sich wegen der despoti­
schen Zustände der päpstlichen Herrschaft, denen nicht abgeholfen worden sei, in
Wahrnehmung dieser Souveränität und Freiheit von der päpstlichen Herrschaft
lossagen und den Antrag auf Vereinigung mit Frankreich stellen können. Er prüfte
daher nur, ob die volonte generale des Volkes auf sichere und legale Weise erklärt
worden sei; denn die Mehrheit mache das Gesetz,
„ lo rsq u ’clle est p o u r l’in d ep en d an ce, to u tes les clam e u rs des m econ tents d o iven t se taire;
to u tes ces gran d s m ots d ’in su b o rd in a tio n , de re v o k e, ne p eu v en t pas etre ec o u tes“ .
Zur Frage 5 hieß es „Le peuple d ’Avignon a toujours ete un peuple ä part"; dort
hätten nicht die allgemeinen Gesetze des Kirchenstaates, sondern die eigenen Ge­
wohnheiten, Gesetze und partikularen Statuten gegolten. Eine Union setze jedoch
Übereinstimmung der Teile voraus :
„O n ne p eu t d ’a ille u rs co n cevo ir de v e ritab le u n io n p o litiq u e , d ’u n io n q u i en gage tou s les
m em b res d ’u n e so ciete, q u e lo rq u ’elle a ete lib re m e n t co n sen ti, q u e lo rsq u e les co n d itio n s en
o nt ete reglees p ar les in d iv id u s q u i la co m p o sen t. U n en gagem en t sans vo lo n te est n u l.“
Diese fehle für eine Union zwischen Avignon und dem Kirchenstaat, sei aber für
die Zugehörigkeit zu Frankreich gegeben.
„Si vo us co n sid ere z les d ro its sacres et im p rescrip tib le s des p eu p les, A vign on a p p artie n t
en co re ä la F ran ce, p arceq u e les A vign o n ais v e u len t etre F ran gais. II est de vo tre d ig n ite , il est
de vo tre g ra n d eu r de reco n n attre h au tem en t cette so u v e rain e te des p eu p les, o u tra g ee d ep u is
tant des sie c le s.“
Diese naturrechtlichen Rechte der Völker gingen dem positiven Recht der Ver­
träge jedenfalls dann vor, wenn letztere, wie die des 14. Jahrhunderts, despoti­
schen Ursprungs seien. Auch Robespierre bediente sich beider Ebenen79. Wenn
die Avignonesen ein peuple etranger wären, hätten sie die Rechte der Völker.
78 M o n ite u r 6, 398 ff.
79 M o n ite u r 6, 419. F ü r ihn w aren d ie A vign o n esen jed o ch F ran zo sen u n d h atten d a h e r ein
n atü rlic h e s R echt a u f „ W ie d erv ere in ig u n g “.
Das n atü rliche Recht der S ou ve rä n itä t d er V ö lk er
71
Allein der gleiche Souverän mache aus den Völkern von Avignon und Rom eben­
sowenig ein Volk wie im Falle Hannovers und Englands. Die von zwei Völkern
frei beschlossene Vereinigung sei zudem keine Eroberung, d.h. keine U nterdrükkung des einen Volkes durch das andere. Die Angelegenheit wurde an die A us­
schüsse verwiesen.
In der am 30. April 1791 wiederaufgenomme Debatte80 breitete Menou als Be­
richterstatter der Ausschüsse einerseits noch einmal die Besitztitel Frankreichs
aus Verfassungsrecht und positivem Völkerrecht aus, hob jedoch andererseits
ausdrücklich hervor, daß das Volk von Avignon frei und unabhängig sei und sich
daher von den Verträgen mit seinen Verwaltern, administrateurs, lösen und seine
Regierung ändern könne.
„Je cro is q u e ces verites sont des p rin cip es in co n te stab les, q u i ne sau raie n t ch o q u e r q u e les
en n em is de la lib e rte et des d ro its des n atio n s.“
Die Vermischung beider Ebenen der Argumentation wurde aber auch kritisiert.
Malouet erklärte, daß sie sich gegenseitig ausschlössen. Er machte deutlich, daß
das überkommene positive Recht der Fürsten die Nation nicht zur Vereinigung
berechtige, sondern nur die - naturrechtlich begründeten - Prinzipien der Verfas­
sung: „Brülons done les publicistes, arrivons aux droits des peuples“.81
Daher stützte er eine Vereinigung nur auf diese
„Tout p eu p le rassem b le a le d ro it de se d ec la re r lib re , in d ep en d an t et de ch an g er son g o u v e rnem en t avec cette co n d itio n p realab le q u e la v o lo n te de tous sera lib re m e n t m an ifestee p ar
des fo rm es legales et so lc n n e lle s.“
Malouet bestritt jedoch, daß diese formelle Bedingung im Falle Avignons w irklich
hinreichend erfüllt sei; denn der Aufstand eines Volksteiles reiche nicht aus. Graf
Clermont-Tonnerre erklärte, daß die Suche nach positivrechtlichen Gründen für
die Rechte Frankreichs auf Avignon und die Union genau dem Verhalten der Kö­
nige entspräche, wenn sie irgendwelche Eingliederungen begründen wollten, ohne
„Eroberungen“ zu machen. Das sei aber in Wahrheit ein Widerspruch zu dem
eigenen Verzicht auf Eroberungen. Diese A rt von Begründung sei aus Prinzip
absurd. Man müsse daher auf diese und damit auf die Vereinigung verzichten, „si
le veeu du peuple, bien librement, bien clairement exprime, ne nous donne pas un
meilleur droit“.
Da die Versammlung entgegen Malouet diese Bedingung erfüllt sah, fußte das
Vereinigungsdekret auf beiden Strängen der Begründung,
„L’A ssem b lee n atio n ale d eclare q u ’en vertu des d ro its de la F ran ce su r les Etats reun is d ’A vi­
gn on et du co m tat V en aissin , et co n fo rm em en t au voeu lib re m e n t et so len n ellem en t em is p ar
la m ajo ritc des co m m u n es et des cito y en s de ces d eu x p a y s p o u r etre in co rp o re ä la F ran ce,
80 M o n ite u r 8, 264, 303.
81 M o n ite u r 8, 279. P ierre -V icto r B aron de M alo u e t, S ch riftsteller, v ersch ied en e P o sten im
S taatsd ien st, 1789 M itg lie d d er etats gen erau x un d d er N a tio n a lv e rsam m lu n g , 1792 E m ig ra­
tio n , sp äter R ü c k k e h r nach F ran kreich .
H e in h a r d Steig er
72
lesd its d eu x E tats re u n is d ’A vign on et du co m tat V en aissin fo n t, des ce m om en t, p artie in te ­
gran te de l ’em p ire fran ^ ais“.82
Die Vereinigung erscheint in dieser Formulierung zwar als W iederherstellung al­
ter französischer Rechte, die sich jedoch auf den Willen der citoyens zur Vereini­
gung stützte. Beides wirkt zusammen, um die Vereinigung, die sich so als reunion
im Wortsinn darstellt, zu legitimieren.
Dieser Vorgang enthält ein Element einer Selbstbestimmung der Bürger Avi­
gnons und des Comtat über ihren politischen Status, kann aber nur mit Vorbehalt
dem Selbstbestimmungsrecht moderner Prägung zugeordnet werden83. Condorcet erklärte allerdings später, sie hätten sich auch für unabhängig erklären können,
hätten jedoch die Vereinigung mit Frankreich vorgezogenS4
d. D er bourbonisch-habsburgische Vertrag von 1756
Wie dargelegt, wurde in den Debatten um einen möglichen Krieg gegen Leopold II.
bzw. seinen Nachfolger Franz II. auch der bourbonisch-habsburgische Freund­
schafts-Vertrag vom 1. Mai 1756 einbezogen85. Zwar berief man sich sowohl in
den Debatten wie im Kriegsbeschluß auf den Bruch des Vertrages von 1756 durch
Franz II. Brissot argumentierte aber weitergehend, der Vertrag widerspreche
demVerbot der Verfassung, Krieg gegen die - naturrechtlich begründete - Freiheit
anderer Völker und Eroberungskriege zu führen, da ein solcher Vertrag mit einem
Volk sich u.U. gegen andere Völker richten könne.
„ C ’est v io le r le p rin c ip e de la frate rn ite u n iv e rs e lle .“86
Condorcet erkärte
„L a lib e rte et l’ eg alite son t les bases de la c o n stitu tio n , q u ’elles so ien t aussi celles de nos tr a i­
tes, et q u ’en tre les p eu p le s et n ous, eiles d ev ie n n en t le lien d ’un e etern elle fra te rn ite .“87
Fauchet wandte sich radikal gegen alle alten Verträge, „en declarant franchement
que les alliances faites par les despotes ne peuvent pas subsister sous le regne de la
liberte“88.
e. Neue Verträge ?
M it der bereits erwähnten Bitte Acs peuple souverain de l ’Hainaut Ende 1792 um
eine Garantie der Unabhängigkeit bei künftigen Friedensverhandlungen tauchte
82 M o n ite u r 9, 662.
83 G an z ab leh n en d Belissa, F ra te rn ite 322.
84 M o n ite u r 12, 187.
85 Clive Parry, C o n so lid a ted T re aty Series 40, 335. O b en S. 57.
S6 M o n ite u r 11, 150.
87 M o n ite u r 1 1 ,2 1 4 .
88 M o n ite u r 11, 177. C la u d e F au ch et, G eistlich er, F reim au rer, T eiln ah m e am S tu rm au f die
B a stille, 1791 B isch o f des C alv a d o s, 1791 M itg lie d d er 2. N atio n a lv e rsam m lu n g , 1792 des
K o n ven ts, 1793 h in g erich tet.
Das n atürliche R ec ht d e r S o u ve ränität der V ö lk e r
73
zum ersten Mal die Frage auf, ob die Republik einen völkerrechtlichen Vertrag abschließcn solle. Die Antwort des Präsidenten des Konvents Barere war ambivalent
und ausweichend. Da Frankreich seine Schätze geopfert habe, um anderen N atio­
nen die Freiheit zu bringen, werde es diese nicht wieder durch Verträge fesseln. Er
verwies auf die Erklärung vom 19. November, versprach zwar, über die Bitte zu
beraten, erklärte jedoch
„L a lo y a u te fran gaise, l’ in teret de la rc p u b liq u e et la m ajcste des d eu x p eup les son t de p lus
sürs garan ts q u e des d ec laratio n s ecrites. II est tem p s de ch an g er les fo rm es m en so n geres de la
d ip lo m atic des desp o tes; leu rs tt'aites ne son t q u e d es tran sactio n s m om en tan ees, ecrites p ar la
faib lesse et d ech ires p ar la force. L es traites des n atio n s, co m m e le u r lib erte, son t etern els.
N o tre d ip lo m e d ’a llian c e et de defen se re cip ro q u e est ec rit de la m ain de la n atu re. N o s p rin cipes et n o tre h ain e co n tre les ty ra n s, v o ilä nos m in istres p len ip o te n tia ire s. C h o isisse z le go u vern em en t lib re q u i vo us p arait le p lus co n ven ab le. Vous avez ic i des am is, des freres et des
c o n c ito y e n s .“89
Offenbar scheute man vertragliche Bindungen. Die reunion des Hennegaus über­
holte die Bitte und damit das Problem.
f. Fazit
Es wird ein deutlicher Bruch in den Argumentationen zwischen der N ationalver­
sammlung von 1789 einerseits und der Nationalversammlung von 1791 deutlich.
M irabeau, M erlin und andere wollten die bestehende Ordnung nicht grundsätz­
lich aufheben, sondern ihr mit dem Prinzip der natürlichen Freiheit und Souverä­
nität der Völker eine neue Grundlage geben und neue Wege innerhalb derselben
eröffnen, mochte es auch in Europa anders aufgenommen werden90. Es war, wie
nach innen die Beibehaltung der Monarchie, der Versuch, Revolution und Konti­
nuität aus dem Herkommen auch nach außen zu verbinden. Jedoch zeigte sich be­
reits in den Avignon-Debatten die rechtstheoretische wie rechtspolitische Schwie­
rigkeit, das alte droit public mit den neuen Prinzipien der Volkssouveränität und
Freiheit zu verbinden. Am Ende scheinen in der Argumentation die letztgenann­
ten dominant zu sein.
Brissot und andere Abgeordnete der Gironde setzten diese Linie dann konse­
quent fort und nutzten die naturrechtlichen Argumente, um die alten vertragli­
chen Bindungen als durch diese überholt beiseite zu schieben und die positiv­
rechtliche Frage ihrer Gültigkeit gar nicht mehr zu erörtern91. Zwar war in der
konkreten Situation der Nachweis, der Vertrag von 1756 sei vom Gegner gebro­
chen worden, nach außen wie gegenüber der eigenen Verfassung, die einen A n­
griffs- und Eroberungskrieg verbot, politisch-argumentativ bedeutsam. Aber erst
das naturrechtliche Element der Verteidigung der Freiheit der Nation stellte die
grundlegende Legitimation für den - von der Gironde wohl gewollten - Krieg her.
89 M o n ite u r 14, 654.
90 Belissa, F rate rn ite 222 sp rich t vo n einem „exercice p erille u x de co m p ro m is en tre d ro it
p u b lic et d ro it des ge n s“ .
91 Z .B . Beugnot, M o n ite u r 11, 176.
74
H c in h a rd Steig er
IV. Der Konvent und die Reunionen
Die Linie naturrechtlicher Argumentation gegen das positive Recht trug nach den
beiden Befreiungsdekreten von 1792 in einem weiteren Schritt auch die „reuni­
ons“ der „befreiten“ Gebiete mit der französischen Republik im Frühjahr 1793.
Anders als bei der Vereinigung mit Avignon und dem Comtat Venaissin konnten
hier keine alten Rechte Frankreichs geltend gemacht werden. Da der Konvent zu­
dem das verfassungsrechtliche Verbot der dem N aturrecht widersprechenden An­
nexionen beachten mußte, beruhten alle reunions, zumindest formell, auf freien
Beschlüssen beider Seiten, mochten die Anträge auch unter französischem Druck
zustande gekommen sein92. Sie können daher völkerrechtlich als „Vereinigungen“
durch die volonte generale und die aufeinander bezogenen Rechtsakte beider Sei­
ten, Antrag und Annahme des Antrages93, verfassungsrechtlich als „Aufnahme“
durch Frankreich in die oder als „Beitritt“ zur Republik angesehen werden94.
a. Savoyen
Im September/Oktober 1792 hatten französische Truppen das zum Königreich
Sardinien gehörende nördliche Savoyen, das zudem altes Reichslehen war, besetzt.
In der Sitzung des Konvents vom 11. November 1792, also noch vor dem Dekret
vom 19. November, bat eine Deputation der in Paris ansässigen Savoyarden im
Namen Savoyens um die Aufnahme des unterdrückten Volkes in die freie franzö­
sische Republik.
„ M ais n o u s vo us diro n s, n ous, q u e ce n ’est p as c o n q u e rir q u e d ’ ad o p ter p o u r freres des p e u ­
p les q u i v e u len t etre fib res.“95
Abgeordnete, die im Auftrag des Konvents Savoyen besucht hatten, erklärten, die
Savoyarden seien würdige Brüder Frankreichs. Die Bitte wurde an den Gesetzge­
bungsausschuß verwiesen.
In der Sitzung vom 21. November 1792 wurde ein Beschluß der Versammlung
der Abgeordneten der Gemeinden Savoyens durch deren Beauftragte vorgelegt.
Diese Versammlung hatte nach der Befreiung durch die französischen Truppen
unter Berufung auf die neu gewonnene Souveränität Savoyens den Wunsch ausge­
drückt und den Antrag angenommen, mit Frankreich vereinigt zu werden96. Der
92 D as V ö lk e rre c h t sah b is d ah in D erartig e s n ich t vor, auch nich t d ie V erfassun g d er R e p u ­
b lik .
93 Zu A n n ex io n e n s c h ritt erst N ap o leo n , Steiger, V ö lk erre ch t 45.
94 B ild en „V ere in ig u n g “ o d er „ B e itritt“ E u p h em ism en fü r ein en „A n sch lu ß “ ? D as m ag fü r
M a in z d er F all sein. In d en F ällen A vign on u n d V en aissin hat d ie N a tio n alv e rsam m lu n g un d
in den b elg isch en F ällen h at selb st d e r K o nvent z u n äc h st g e zö g e rt, die V erein igu n g o d er A u f­
n ah m e zu e rk lä re n . A n d e rerseits gin gen diese G eb iete dann v ö llig im fran zö sisch en S taat auf,
so d aß kein e eigen en R ech te b lieb en . Es ze ig t sich , daß die F älle je fü r sich a n a ly s ie rt u n d b e­
w erte t w erd e n m üssen un d m o d ern e B egriffe n ich t o hn e w eitere s ü b e rtra g b ar sin d.
95 M o n ite u r 14, 457.
96 M o n ite u r 14, 540.
Das n atü rliche R ec ht d er S o u ve ränität d er V ö lk er
75
Bericht betont, daß sich die französischen Truppen vorher nach Genf zurückge­
zogen hätten. König Victor-Amadee war abgesetzt und seiner Rechte auf Savoyen
für enthoben und verlustig erklärt worden. Es wurde die nation savoisenne erho­
ben, die als solche souverän sei.
Gregoire, der zu diesem Zeitpunkt als Präsident des Konventes amtierte, an­
erkannte die „Allobrogen“ als ein Volk und Träger der Souveränität und Frei­
heit, indem er die Abgesandten als „representants d ’un peuple souverain“ anre­
dete97. Eine Diskussion und eine positiv-rechtliche Begründung wie bei Avignon
und dem Venaissin fanden nicht mehr statt. Im Verlauf der Rede sagte Gregoire
u.a.
„L a raiso n , q u i re sp le n d it de tou s les p arts, revele d ’ete rn e lle s verites; eile d ero u le la gran d e
ch arte des d ro its de l ’h om m e, l’ep o u van tail des d esp o tes.“98
Er beschwor wiederum die Universalität der Freiheit, die in beiden Welten, ge­
meint sind Europa und Amerika, die Throne Umstürzen werde, „qui s’abimeront
dans la souverainete des peuples“. Bald würden die Wunden der Nationen heilen,
das Menschengeschlecht wiederhergestellt und das Schicksal der großen Familie
verbessert werden. Die Trikolore der Freiheit flattere bereits über Mecheln,
Ostende, M ainz, N izza und Chambery. Die Vorbereitung der Entscheidung
wurde an das Comite diplomatique verwiesen.
Souveränität und Freiheit der Völker haben nunmehr zwei Dimensionen, nach
innen die Könige als Despoten und Tyrannen zu vertreiben und sich zur Republik
zu erklären, nach außen, sich von einem despotischen Monarchen und damit dem
bisherigen Staat zu trennen und sich mit anderen freien Völkern in einem Ge­
meinwesen der Republik zu verbinden.
In einer weiteren Adresse einer savoyardischen Gesandtschaft, die am 26. N o­
vember verlesen wurde, wurde wiederum um Vereinigung mit Frankreich gebe­
ten. Es hieß
„la n atio n fran gaise . . . m agn an im e et gen ereu se .. a ju r e P an ean tissem en t de tou s les desp otes;
eile a ju re la lib e rte de tou s les p eu p les, et dejii, d ’un p o le ä l ’au tre, les tron es ch an celen t, et
b ien tö t ils d isp a ra itro n t p o u r faire p lace ä la so u v e rain e te u n iv erselle , la seu le id o le d ev an t q u i
les m o rtels cp ars vo nt d eso rm ais se p ro stern er.“99
Die Grenzen und Ausdehnung einer auf diese Prinzipien gegründeten Republik
Frankreich seien, so die Adresse, nie zu weit, weil diese Prinzipien universell
seien. Die Union mit diesem nunmehr freien Frankreich wurde stilisiert zur Ret­
tung der Savoyer, aber auch des Glückes der ganzen Menschheit, für das die repu­
blique universelle gedacht wird.
In der weiteren Debatte brachte Gregoire die Frage auf den zentralen Punkt
und beantwortete sie eben dadurch.
97 Ebd.
98 D er K o nvent b esch lo ß , d ie R ed e G rego ires in alle S p rach en ü b ersetz en zu lassen , „car
c’est le m an ifeste de tou s les p eup les co n tre les ro is “ .
99 M o n ite u r 14, 573.
76
H e in h a rd Steig er
„D es n atio n s div erses o n t-elles le d ro it de se re u n ir en un seu l co rp s p o litiq u e ? C e tte q u estio n
p o rte avec soi la rep o n se; c ’est dem ander, en d ’au tres term es, si elles son t so u v erain es. En
s ’id e n tifia n t elles n ’alien en t pas la so u v erain ete, elles co n sen ten t seu lem en t ä au g m e n ter le
n o m b re des in d iv id u s q u i l’ex ercen t d ’u n e m an iere c o lle c tiv e .“ 100
Der „republique universelle“ erteilte er jedoch aus theoretischen wie aus prakti­
schen Gründen eine deutliche Absage, obwohl auch für ihn galt, „les principes de
la nature et la declaration des droits soient de tous les lieux comme de tous les
temps“.
Ihre Anwendung hänge jedoch von den jeweiligen konkreten, stets verschiede­
nen Umständen ab. Zwar erweitere sich die Domäne der Freiheit in Europa und
Asien, aber viele Völker blieben noch für lange Zeit den wahren Prinzipien gegen­
über fremd. Zudem wendet er das im 18. Jahrhundert immer stärker aufkom­
mende zivilisatorische Argument gegen die „ecumeurs barbaresques, les voleurs
d’Arabie et les antropophages de la mer du sud“. So nennt er die republique uni­
verselle eine Chim äre und ein universelles föderatives System „l’arret de mort de
la republique frangaise“101.
Da dem peuple de Savoie wie jedem Volke unabhängig von Größe und Reich­
tum die volle Souveränität zukomme, untersucht Gregoire zunächst, ob es w irk­
lich frei seinen Willen zur Vereinigung mit Frankreich erklärt habe. Zum zweiten
erörtert er, ob eine Verbindung im politischen Interesse Frankreichs liege. Größe
allein sei kein Garant, das Ziel und den Zweck eines Staates zu gewährleisten, das
Glück seiner Bürger und ihre Bedürfnisse zu erfüllen. Oft bedinge eine zu aus­
gedehnte Größe sogar eine Gefährdung dieses Zweckes. Von der Größe und den
Ressourcen her gesehen, sei eine Vergrößerung Frankreichs und die Aufnahme
der von den Tyrannen befreiten Völker nicht notwendig. Aber Savoyen liege in­
nerhalb der von der Natur gegebenen Grenzen der französischen Republik. Die
Savoyarden seien eng mit dem französischen Volk durch Zuneigung, physische,
moralische und politische Beziehungen verbunden, „tout les rapelle dans le sein
d ’un peuple qui est leur ancienne fam ille“. Gegenüber dem anderen Teil des Kö­
nigreiches, Piemont, bestehe hingegen eine tiefe Abneigung. Es ist ein ähnliches
Argument, wie es schon für die Aufnahme Avignons verwendet wurde, aber nun
nicht mehr rechtlich, sondern natürlich und moralisch gewendet. Es folgten prak­
tische Argumente, u.a. militärischer und wirtschaftlicher A rt sowohl zugunsten
Frankreichs als auch zugunsten Savoyens, wenn beide unter denselben Gesetzen
und einer Regierung der Freiheit vereint sein würden. Das Dekret über die Verei­
nigung wurde nach zwei Wortmeldungen mit einer einzigen Gegenstimme be­
schlossen. Man habe, so wiederum Gregoire, einer durch die Natur vorgegebenen
Vereinigung gehorcht
„et ce ne sera pas le d ern ie r h om m age q u e la C o n v en tio n se g lo rifie ra de ren d re au x in sp ira ­
tio n s de la n atu re. . . . L e seu l tro n e q u i restera sera celu i de la lib e rte “ .
100 M o n ite u r 14, 585.
101 Zu V o rsch lägen fü r eine „ W e ltrep u b lik “ in d e r G eg e n w art H einhard Steiger, B rau ch en
w ir ein e W e ltre p u b lik ?, in: D er Staat 42 (2003) 2 4 9 -2 6 6 , w ie d e r a b g ed ru ck t in: ders., S ta ate n ­
gesellsch aft 72 9 -7 4 8 .
Das n atürliche Recht d er S o u ve ränität d er V ö lk er
77
Zwar bedurfte die Aufnahme noch der Ratifikation des französischen Volkes.
Aber das war wohl mehr eine Frage des Prinzips als der Realität.
Die Republik hatte mit den beiden neuen Argumenten der Freiheit des savoyardischen Volkes und seiner grundsätzlichen natürlichen Zugehörigkeit zu
Frankreich erreicht, was die königliche Politik nach den alten Prinzipien er­
strebte, aber nicht hatte verwirklichen können.
b. Die Vereinigungen des Jahres 1793
Es folgte eine Welle der Anträge auf Vereinigungen eroberter Gebiete in der
„Nachbarschaft“ Frankreichs. Ihnen wurde stattgegeben, sobald ein nach Auffas­
sung des Comite diplomatique klares und formell gültiges, freies und rechtlich
ordnungsgemäßes Votum des jeweiligen peuple, sei es in den assemblies primaires, sei es durch seine gewählten Repräsentanten vorlag102.
1. Belgien
Besonders zahlreich und „systematisch“ kamen derartige Anträge aus Belgien.
Zwar hatte Barere trotz des Dekrets vom 19. November noch am 3. Dezember
1792 gegenüber der Gesandtschaft aus Brüssel und dem Hennegau e rk lärt:
„C e fut la fo lie des co n q u e ran ts de d o n n er leu rs lo is et leu rs co u tu m es ä tous les p eu p les. ...
L a F ran ce n ’a rien co n q u is p o u r eile dan s la B e lg iq u e q u e vos coeurs“. 103
Aber Anfang M ärz 1793 wurden Brüssel, der Flennegau, Tournai, Löwen, Namur,
Ostende, Brügge, Lüttich auf deren Anträge hin mit der französischen Republik
vereinigt104.
Die Debatten um eine Aufnahme begannen mit dem Antrag Lüttichs, der in der
Sitzung des Konvents vom 31. Januar 1793 verlesen wurde. In einem Brief an den
französischen General Dumouriez teilte der Präsident der M unicipalite de Liege
mit, daß die überwältigende Mehrheit der Abstimmenden, 9660 von 9700, und
wohl auch die Mehrheit der 61 Sektionen der Stadt für eine Vereinigung mit der
Republik gestimmt hätten105.
Danton, der sich intensiv für die Reunionen Belgiens einsetzte, gab dafür eine
zweifache Begründung:
„Je ne d em an d e rien ä vo tre en th o u siasm e, m ais to u t ä vo tre raiso n , n iais to u t aux in tere ts de
la rc p u b liq u e fran g a ise “. 106
Zwar sei die Vereinigung die notwendige Folge des Dekrets vom 15. Dezember.
Erst durch dieses würde die belgische Opposition aus Aristokraten, Klerus und
102 u .a . N iz z a 31. Ja n u a r 1793; M o naco 14. F eb ru ar 1793; B istu m B asel 23. M ärz 1793;
M ain z 30. M ä rz 1793; D ek rete Martens, R ec u e il 6, 416 ff.
103 M o n ite u r 14, 654.
104 M o n ite u r 15, 606, 611, 613, 616, 642; D ek re te Martens, R ec u e il 6, 432 ff.; Belissa, F raternite 328 ff.
103 M o n ite u r 15, 322.
106 M o n ite u r 15, 323. Ä h n lic h Ducos un d Cam bon, M o n ite u r 15, 322.
78
M ein h a rd Steig er
Feinden des Volkes ihre Macht verlieren und das Land der Freiheit von ihnen ge­
reinigt werden. Aber er verwies auch, wie schon Gregoire in Bezug auf Savoyen,
darauf, daß damit die natürlichen Grenzen Frankreichs an Rhein, Alpen, P yre­
näen und Ozean erreicht würden und nahm so auch ältere Argumente zu den
natürlichen Grenzen von Cloots auf, die dieser bereits in der Kriegsdebatte 1791
vorgetragen hatte. Die Interessen Fankreichs drängten in der Argumentaion deut­
lich nach vorne, „cette purgation operee, nous aurons des hommes et des armes en
plus“.
Das universelle Argument der Freiheit und Souveränität der Völker wird hin­
gegen „enthusiastisch“.
2. Randgebiete
Auch in der Diskussion am 15. Februar über die Vereinigung Monacos, der Bailliage de Schaumbourg und anderer Randgebiete mit der Republik berief sich C ar­
not zunächst auf das Dekret vom 15. Dezember 1792, nannte dann aber zudem
auch zwei weitere für eine Vereinigung maßgebende Prinzipien:
„l’ in tere t et la ju stice . Il co m p o sen t to u t le d ro it des gens et to u t le fo n d em en t de la m orale
p riv ee co m m e de celles des n atio n s. En effet, les n atio n s son t en tre elles, dan s l ’o rd re p o liti­
q u e, ce q u e so n t en tre etix les In dividus d an s l ’o rd re s o c ia l.“ 107
Die Grundrechte der Nationen seien Unabhängigkeit, Sicherheit nach außen, Ein­
heit nach innen, die nationale Ehre. Freiheit und Souveränität werden nicht ge­
nannt.
„O r la lo i n atu relle veut q u e l ’on resp ecte ces d ro its, q u ’on s’ aid e raem e m u tu e lle m en t ä les
d efen d re . . . S ans d o u te cette ju stic e in n ee, q u i n ’est au tre ch o se q u e la co n fo rm ite de l ’acte a
la lo i n atu relle, n ’ o b lig ea jam ais ä sacrifie r sa p ro p re sü re te p o u r celle de son v o is in .“
Die Formulierung steht der von Vattel als unvollkommene naturrechtliche Pflicht
formulierten Solidarität der Staaten in der societe des nations nahe108. Zwar dehnt
Carnot sie inhaltlich weit über Vattels Solidarität hinaus auf die Hilfe für die an­
deren Völker „contre l’ambition, le despotisme et la depravation de ces principes“
aus, zieht aber, wie Vattel, die Grenze der Hilfe bei den eigenen Interessen oder
N otwendigkeiten
„ le r , to u te m esure p o litiq u e est le g itim e des q u ’elle est co m m an d ee p ar le salu t de l’etat;
2e, to u t acte q u i b lesse les in terets d ’au tre s, sans n eccssite in d isp e n sab le p o u r-so i m em e, est
in ju ste .“
Daraus folge, daß Vereinigungen, Vergrößerungen, Verringerungen oder sonstige
Veränderungen eines gegebenen Territoriums einer Republik in keiner Weise ge­
107 M o n ite u r 15, 455. L azare N ico las C a rn o t, M ath e m atik er, 1792 M itg lied des K onventes,
1793 M itg lie d des W o h lfah rtsau ssch u sses fü r das K riegsw esen , 1795 M itg lie d des D ire cto ire,
1800 K riegsm in ister, w äh ren d der „ H u n d e rt T age“ In n en m in siter, 1815 V erb ann un g.
108 H einhard Steiger, S o lid arität u n d S o u v e rän ität o d er V attel reco n sid ered , in: Ekkehart
Stein u .a . (H rsg .) A u f einem D ritten W eg, F estsch rift fü r H e lm u t R id d e r zu m sie b zigste n
G eb u rtstag (N e u w ie d 1989) 9 7 -1 0 4 , w ie d e r a b g ed ru ck t in: ders., S taaten gesellsch aft 133-141.
D as n atü rliche R ec ht d er S o u ve ränität der V ö lk e r
79
gen deren Interessen verstoßen dürften. Das gilt positiv für Aufnahmen, wie ne­
gativ für Loslösungen, so daß diese für französische Gebietsteile oder Volksteile
ausgeschlossen sind,
„S’il en e tait au tre m e n t, s ’il etait vrai q u ’un e co m m u n e q u elco n q u e , en em ettan t son vceu
d ’in d ep en d an ce, p ü t de ce m om en t s ’iso ler de la g ran d e m asse, b ien tö t ch aqu e sectio n de la
rc p u b liq u e, reclam an t P exercice de la so u v erain ete in d iv id u e lle , p o u rra it fo rm er un code ä
p art, system c q u i m en erait d ro it au fcd eralism e et ä P an arch ie la p lu s co m p lete. “
Für die französische Republik wird damit, in Ubereisntimmung mit der Verfas­
sung von 1791, jeder Austritt etc. einer Gemeinde auf Grund der Freiheit und
Souveränität eines, wenn auch rudimentär organisierten Volksteiles, als Verstoß
gegen die U nteilbarkeit der Republik - bis heute - ausgeschlossen. Kommunen
und Departements sind lediglich Verwaltungseinheiten.
Hinsichtlich der zu vereinigenden Gebiete hielt Carnot es jedoch für einen
Mangel der französischen Politik, das Dekret vom 15. Dezember 1792 über die
Befreiung von den alten Herrschafststrukturen in den besetzten Gebieten nicht
richtig angewendet und durchgesetzt zu haben109. Man solle im Krieg zwar
menschlich, großm ütig sein, aber keine diplomatischen Feinheiten kultivieren,
sondern stets den großen Interessen der Republik folgen. Da das Gesetz des salus
populi zum N aturrecht gehöre, es aber keinen Richter über das Naturrecht gebe,
müsse und dürfe die eigene Entscheidung getroffen werden. Frankreich aber sei in
einem gefährlichen Krieg, in dem die Axt über seinem Haupte schwebe. Zunächst
beruft sich auch Carnot auf die genannten natürlichen Grenzen. Aber er will sich
nicht auf alte Rechte auf verlorene Gebiete innerhalb dieser Grenzen stützen. Er
betont noch einmal das Recht jeder Nation, allein, isoliert zu leben, wenn sie es
will, oder sich mit anderen zu vereinigen. „Nous Frangais ne connaissons de souverains que les peuples eux-memes.“ Im Ergebnis bejaht er für alle, nicht nur für
das ehemalige Fürstentum Monaco, sondern auch für die kleineren Enklaven und
Randgebiete, die zu größeren Staaten gehörten, die Voraussetzungen für eine Ver­
einigung mit Frankreich. Es galt im Krieg offenbar zweierlei Maß für das relevante
„Volk“, das Träger der Freiheit war.
Die Realisierung des natürlichen Rechts der Souveränität und Freiheit der Völ­
ker in den belgischen und anderen Gebieten wurde von Danton wie von Carnot
argumentativ eingebunden in die Verfolgung der ebenfalls naturrechtlich begrün­
deten und wohl vorgeordneten Interessen Frankreichs an der Sicherung seiner
Freiheit und Souveränität durch Sicherung seiner Grenzen und seiner m ilitäri­
schen und ökonomischen Ressourcen und Fähigkeiten110.
™ O b en S. 61.
1,0 Zu sp äteren E n tw ic k lu n g e n Steiger, V ö lk erre ch t 3 4 ff.
80
H e in h a r d Steig er
V. Fazit
a. Strukturelle Ambivalenz
Das universelle Recht der Freiheit und Souveränität des Volkes wurde zw ar als
unverrückbarer Eckstein aller Debatten durchgängig in allen drei Versammlungen
festgehalten, paßte sich aber argumentativ den konkreten politischen Verhältnis­
sen und Fragestellungen an und hatte in den jeweiligen inneren wie äußeren Kon­
texten durchaus verschiedene, ja gegensätzliche praktische Folgen.
In der ersten Phase bis zum Sturz des Königtums wurde regelmäßig neben den
naturrechtlichen Argumenten auf das positive Recht des droit, public de l ’Europe
abgestellt. Es war offenbar der Versuch, die neuen Prinzipien mit diesem zu ver­
binden, es nicht aufzuheben, sondern ihm eine neue Grundlage zu geben. Unter
der Republik setzte man im Konvent die neuen Prinzipien gegen die alte O rd­
nung. Man argumentierte und handelte nunmehr außenpolitisch aus dem Geist
einer missionarischen Aufgabe, eines Kreuzzuges für die universelle natürliche
Freiheit der Völker.
M it dieser Entwicklung tritt eine strukturelle Spannung zutage, die in der ab­
strakt-theoretischen Universalität des naturrechtlichen Prinzips der Freiheit und
Souveränität aller Völker für seine konkrete politisch-praktische Anwendung
liegt. Der Konvent legte anders als die naturrechtliche Völkerrechtslehre111, die
die innere Souveränität der Nationen d.h. des Staates als formelles Prinzip der Be­
stimmung über die politische Ordnung begriff, die liberte des peuples inhaltlich
fest und identifizierte die constitution, wie in Art. 16 der Erklärung der M en­
schenrechte, mit den Menschenrechten der Freiheit und Gleichheit und mit der
Republik. Indem dieses Konzept mit dem des einen genre humain und der helfen­
den Brüderlichkeit der Nationen untereinander gegen Despotismus und U nter­
drückungen verbunden wurde, wurde die souverainete des peuples in der konkre­
ten Anwendung selbst zur Rechtfertigung verschleierter Eroberungen112.
b. Volksbegriff
Der Volksbegriff wurde entsprechend gehandhabt. Zwar gab es, wie die Zitate zei­
gen, keinen eindeutigen Sprachgebrauch. Für das französische Volk wurde sowohl
,nation' als auch ,peuple' gebraucht. Für andere Völker wurde überwiegend ,peu­
ple' verwendet, nur in einigen Fällen .nation'. Aber für die französische Nation
galt, daß sie nur als Ganze und ungeteilt Träger dieser Freiheit und Souveränität
war gegenüber dem König nach innen und gegenüber den anderen Mächten nach
außen, wie es auch 1791 ausdrücklich sowohl territorial wie inhaltlich verfas­
111 Emer de Vattel, Le d ro it des gens ou p rin cip es de la lo i n atu relle, 3 B ü ch er in 2 B de. (L o n ­
do n 1758) N D (W ash in gto n 1916) un d (G e n f 1983) P re lim in a ire s § 15, 9; d ie U n a b h ä n g ig k e it
fü h rt zu m E in m isch u n gsv erb o t II, IV, § 54, 297.
112 V attel h atte ein e so lch e S o lid arität als ein e u n v o llk o m m en e P flic h t, die n ich t ein g efo rd ert
w erd en kö nn e, b eg rü n d e t, Steiger, S o lid a rität.
Das n atü rliche Recht der S o u veränität der V ölk er
81
sungsrechtlich festgelegt w urde113.Wie die Ausführungen Carnots zeigen, wurde
an dieser Einheit strikt festgehalten. Da somit den Gliedern die Eigenschaft, Volk
zu sein, nicht 'zugestanden wurde, war ihnen ein Recht auf Selbstbestimmung in
Richtung Autonomie oder gar Loslösung versagt114.
Aber die Bevölkerungen von Avignon und dem Venaissin, Savoyen, dem Hen­
negau, N izza, M ainz, Brüssel, Lüttich oder der sonstigen vereinigten oder aufge­
nommenen Gebiete, denen diese liberte et souverainete du peuple und das Recht
zur eigenen Verfassung zugesprochen wurde, waren rechtlich Teilbevölkerungen
der jeweiligen Gesamtbevölkerung ihres Staates115. Maßgebliches Kriterium war
der Ausdruck einer gemeinsamen auf Freiheit gerichteten volonte generale als
Verwirklichung der Souveränität, sei es des französischen Gesamtvolkes oder sei
es eines Teilvolkes, das so zum peuple separe wird. Da jedoch auf eine gewisse
korporierte autonome Eigenorganisation als Grafschaft, Stadt oder dergleichen
abgestellt wurde, war das sich selbst bestimmende peuple separe politisch-reehtlich vorgeformt. Darüber hinaus ging der Vorschlag des Verfassungsausschusses
des Konvents, den Condorcet am 15. Februar 1793 im Konvent für Teil XIII Art. 2
vorlegte,
„E lle (die fran zö sisc h e R e p u b lik d. V.) reno nce so len n e lle m e n t ä re u n ir ä son te rrito ire des
co n trees etran gere s, sin o n d ’apres le voeu lib re m e n t em is de la m ajo rite des h ab itan ts, et dans
le cas seu lem en t oü les co n trees q u i so llic ite ro n t cette re u n io n ne sero n t pas in co rp o rees et
un ies ä un e au tre n atio n , en vertu d ’u n p acte so cial, ex p rim e dans un e c o n stitu tio n an te rie u rc
et lib re m e n t co n se n tie .“ 116
Durch die sehr offenen und weit interpretierbaren Begriffe contrees , d.h. Land­
striche, und habitants, d.h. Bewohner wurden alle materiellen und formellen Kri­
terien des Volksbegriffs und der Einheit als Trägerin der Souveränität für die
reunion aufgelöst. Erst durch den Antrag einer bestimmten Menge hätte sich die
politisch-inhaltliche Einheit hergestellt. Der Vorschlag wurde nicht debattiert und
auch nicht Verfassungsrecht.
Andererseits wurde der Volksbegriff durch die Zuspitzung des Prinzips der na­
türlichen Freiheit des Volkes auf die Republik inhaltlich zeitweise erheblich ver­
engt. Denn nicht nur der König, auch die Aristokratie, gemeint ist wohl die hohe
Aristokratie, alle Adeligen überhaupt, der Klerus, alle Privilegierten wurden mehr
oder weniger deutlich aus dem Volksbegriff durch eine radikale gesellschaftliche
113 V erfassun g vom 3. S ep tem b er 1791: T itre II A rt. 1 „L e R o y a u m e est un et in d iv isib le “
und l i t r e III A r t.l „L a so u v erain ete est un e, in d iv isib le , in a lien ab le et im p rescrip tib le . E lle
ap p artien t ä la N a tio n ; au cu n e sectio n du p eu p le, ni au cu n in d iv id u , ne p eu t s ’en attrib u e r
P exercice“ . D ie V erfassun g vorn 24. J u n i 1793 A rt. 1 fo rm u lierte „L a R ep u b liq u e est un e et
in d iv isib le “ u n d in A rt. 7 „L e p eu p le so u v e rain est l ’u n iv e rs a lite des cito y en s tran ^ ais“.
114 Im N o v em b e r 1789 h atten die Stän d e des C a m b re sis sich gegen das G esetz zu r S ä k u la ri­
sieru n g des K irch en v erm ö g en s ge w an d t. D arin sah d ie N a tio n a lv e rsam m lu n g einen V erstoß
gegen die S o u v e rä n ität d er N a tio n , M o n ite u r 2, 2 0 6 ff.
11;> D ie staa tsrec h tlich e K o n stru k tio n w u rd e z w a r fü r A v ign o n ein geh en d d is k u tie rt und fü r
S avo yen an g esp ro ch en , ab er n ich t m eh r fü r die b elg isch en G eb iete. Sie sp ielte letzten Endes
kein e en tsch eid en d e R o lle.
116 M o n ite u r 15, 456.
82
H e in h a r d Steig er
Gleichheit ausgeschlossen, sowohl in den Reden, wie auch z.B. durch das Dekret
vom 15. Dezember 1792, was zur „purgation“ von „feindlichen“ Bevölkerungs­
teilen, bis hin zur physischen Vernichtung führte117.
c. Entbousiasme versus raison
Die naturrechtlich-universalistischen Argumentationen zum Prinzip der natürli­
chen Freiheit und Souveränität der Völker gehören zur Inszenierung des Dramas
der französischen Revolution und ihrer inneren Entwicklung118. Es spielte vor
dem inneren wie dem äußeren Forum der Versammlungen, dem in der Salle de
Manege real anwesenden französischen Volk und den umgebenden Völkern Euro­
pas, den Freunden wie den Feinden der französischen Revolution.
„II est tem ps q u e le m o u vem en t de cette A ssem b lee ch an g e; il fau t q u ’elle se d resse en m ajeste
aux y e u x des p eu p les q u i la re g a rd en t“,
rief Isnard am 5. Januar 1792 in der Nationalversammlung aus119. Die Reden müs­
sen auch als Ausdruck und Träger des allgemeinen revolutionären Enthusiasmus
begriffen und interpretiert w erden120. Sie haben daher sprachlich ein starkes thea­
tralisches Moment an sich121.
M it dem Drama spitzte sich 1792/93 auch die Sprache zu. Die Republik war
nach innen wie nach außen keineswegs gesichert. Die Gleichzeitigkeit der Ver­
abschiedung der beiden Dekrete vom November und Dezember 1792 mit dem
Prozeß gegen Ludw ig XVI., seiner Verurteilung durch denselben Konvent, in
demselben Saal, vor demselben Publikum und seiner Hinrichtung zeigt die beiden
Bühnen, auf denen das Schauspiel der republikanischen souverainete du peuple
gespielt wurde. Die innere wie die äußere Zerstörung der bisherigen Grundlagen
der Ordnung Europas bedurfte der rhetorischen, dramatischen und appellativen
Überbietung, um der neuen Ordnung nach innen wie nach außen universelle Le­
gitim ität zu verleihen und um die Einstellung der Abgeordneten wie der citoyens
hervorzurufen, die notwendig war, um die Schwierigkeiten des Übergangs zu be­
wältigen. Es schien eines republikanisch-universellen enthousiasme zu bedürfen,
um die Realisierung der U niversalität des Prinzips der natürlichen Freiheit und
117 Z .B . D anton, Z um V o lk sb egriff C o n d o rce ts, Isabelle Vissiere, L e p eu p le d ’ap res C o n d o rcet, in: W issen sc h aftlic h e Z eitsch rift der M artin L u th e r U n iv e rsität H a lle W itten b e rg
(X IX /1970) H e ft 3/4, 11 1-117 .
118 D azu u. a. G erh ard K urz, D ie F ran zö sisch e R ev o lu tio n als S ch au sp iel d er G esch ich te, in:
D ie F ran zö sisc h e R e v o lu tio n , V o rlesun gen erster T eil, H elm ut Berding, G ünter Oesterle
(H rsg .), G ieß e n e r D isk u rse (G ieß en 1989) 155-171.
119 M o n ite u r 11, 47. M ax im in Isn ard , 1791 M itg lie d d e r 2. N atio n a lv e rsam m lu n g , 1792 des
K o nvents, z e itw e is e des W o h lfah rtsau ssch u sses, 1796 des R ates d e r F ü n fh u n d ert.
120 Z u r S p rach e in d er fran zö sisch en R ev o lu tio n Jacques G uilhaum ou, S p rach e un d P o litik
in d er fra n zö sisc h e n R ev o lu tio n (F ra n k fu rt a .M . 1989); Hans Ulrich Gum brecht, F u n k tio ­
n en p arla m e n ta risc h e r R h e to rik in d er F ran zö sisch en R ev o lu tio n (M ü n ch en 1978).
121 G eorg Forster. „D er E n th u siasm u s hat im m er etw as T h e a tralisc h e s“, zit. bei Kurz, R ev o ­
lu tio n 162.
Das n atü rliche Recht d er S o u veränität d e r V ö lk e r
83
Souveränität der Völker zu tragen, von dem man sich zudem einen dauerhaften
Frieden erhoffte, wenn die eigensüchtigen Despoten und ihre Helfershelfer erst
einmal vertrieben wären. Aber dieser enthousiasme erwies sich als flüchtig. Zwar
zog Danton im M ärz 1793 noch das Dekret vom 15. Dezember 1792 für den A n­
schluß Belgiens heran, schüttete aber wenige Tage später seinen Spott über den
enthousiasme des Konvents als Weltbeglückung in China aus. Er, Ducos u. a. setz­
ten dem erfolgreich die auf die Probleme und Interessen Frankreichs bezogene
politische raison entgegen.
Der Begriff enthousiasme schwankt im 18. Jahrhundert in seiner A kzeptanz122.
Vor allem Voltaire stand ihm kritisch gegenüber, wohingegen Diderot und Rous­
seau ihn positiv besetzten. Holbach verwandte ihn offenbar bewußt widersprüch­
lich. Einerseits heißt es „Si Penthousiasme est louable, c’est sans doute quand il a le
bien-etre du genre humain pour objet“. Das könnte eine Grundlage des Dekrets
vom 15. Dezember 1792 sein. Andererseits fordert er „II est temps de puiser dans
la nature des remedes contre les maux que l’enthousiasme nous a fait“123. H ier ist
zwar wohl ein religiöser enthousiasme gemeint. Aber das läßt sich auf den quasi­
religiösen republikanischen Enthusiasmus übertragen. Danton scheint dieser ne­
gativen Beurteilung des enthousiasme durch Voltaire und Holbach zu folgen,
wenn er die durch die Vernunft zu bestimmenden Interessen der Republik gegen
den republikanischen enthousiasme setzt. Mochten die Revolution und der Krieg
weitergehen, der Enthusiasmus w ar erschöpft. Spätere Versuche, ihn wieder zu
beleben, u. a. durch den Vorschlag Gregoires für eine declaration des droits des
gens hatten keinen Erfolg124. An die Stelle der reunions traten die offenen Anne­
xionen.
d. Selbstbestimmung der Völker?
Handelt es sich bei dem Prinzip der ab 1790 zur souverainete des peuples universalisierten souverainete du peuple um eine Frühform des Rechts auf Selbstbestim­
mung? Belissa hat das verneint125. Die zentrale Frage sei nicht der unabhängige
Staat gewesen, sondern die Volkssouveränität im Verhältnis zur Souveränität des
Königs.
Es ging ab 1789 in der Tat zunächst darum, die eigene Freiheit und Volkssouve­
ränität nach innen zu verwirklichen und dann ab 1791 nach außen zu verteidigen.
122 Ich fo lge W erner K raus, U b e r fran zö sisch „ e n th o u siasm e“ im 18. J a h rh u n d e rt, in: W is­
sen sch aftlich e Z eitsch rift d er M a rtin -L u th e r-U n iv e rs itä t H a lle -W itte n b e rg (X IX /1970) H eft
3/4, 9 1 -1 0 0 . Z u E n th u siasm u s allg em ein A. M üller, A rt. E n th u siasm u s, in: H isto risch es
W ö rte rb u ch d er P h ilo so p h ie, Joachim R itter u . a. (H rs g .) 2, 5 2 5 -5 2 8 ; Wolfgang H. Schrader,
A rt. E n th u siasm u s, in: Ä sth etisch e G ru n d b egriffe, H isto risc h e s W ö rte rb u ch in sieben B än ­
den (A G B ), K arbeinz Barck (H rsg .), 2 (S tu ttg a rt, W eim ar 20 01) 2 2 3 -2 4 0 .
123 Z itate bei Kraus, ebd. 98 f.
124 M o n ite u r 16, 688. Georg Friedrich Martens, E in leitu n g in das p o sitiv e E u ro p äisch e V ö l­
k errech t au f V erträge u n d H e rk o m m en g e g rü n d et (G ö ttin g e n 1796) V ff. u n terz o g sie ein er
scharfen K ritik .
123 Belissa, F ra te rn ite 222.
84
H e in h a rd Steig er
Auch in der Universalisierung des Prinzips in der Theorie und seiner Umsetzung
in der politischen Praxis der Befreiungen und Vereinigungen ging es für die Bevöl­
kerungen dieser Gebiete darum, die Herrschaft der Despoten und Tyrannen abzu­
werfen und sich als freie Völker zu konstituieren. Aber der zweite Schritt schloß
sich mit einer gewissen inneren Notwendigkeit an, auf dieser Legitimation über
den eigenen politischen Status durch Loslösung von ihrem bisherigen Staat und
Beitritt zu Frankreich zu bestimmen, wenn auch schließlich nur in die eine Rich­
tung der Vereinigung mit Frankreich. Dieser innere Zusammenhang kam in den
Anträgen wie in den Debatten um die Reunionen sehr deutlich zum Ausdruck.
Mit dem Beitritt wollte der zum freien und souveränen Volk gewordene Volksteil
endgültig das Königtum und seinen Despotismus abschütteln, was durch Verblei­
ben im alten Gesamtstaat nicht möglich war. Insofern unterschied sich diese
„Selbstbestimmung“ über den politisch-staatlichen Status vom modernen gegen
eine Fremdherrschaft gerichteten Selbstbestimmungsrecht, aber auch von dem
Widerstandsrecht der vorhergehenden Epochen, das u.a. die niederländischen
Provinzen zur Verteidigung ihrer alten - ständischen - Rechte, Freiheiten, Privi­
legien als Grundlage der Lösung von der Herrschaft Philipps II. als Landesherrn
geltend machten. Aus dem Reich traten sie - zunächst - ausdrücklich nicht aus126.
Dennoch kann das Prinzip der souverainete du peuple als „U rgrund“ des
Selbstbestimmungsrechts bezeichnet werden. Denn das moderne Selbstbestim­
mungsrecht gründet seine Legitimation theoretisch in der vorausgesetzten, in der
Konzeption der französischen Politiker der Revolution naturrechtlichen, Freiheit
eines Volkes, sich selbst politisch-rechtlich zu organisieren und sich eine eigene
Verfassung der Freiheit zu geben, und begründet eben darin in letzter Konse­
quenz auch den Anspruch auf einen eigenen Staat. Moderne, nach innen gerichtete
Volkssouveränität und modernes nach außen gerichtetes Selbstbestimmungsrecht
können als historisch gewachsene Ausfächerungen des universellen Prinzips der
souverainete des peuples oder des nations angesehen werden, wie es in den Reden
der Abgeordneten der drei Repräsentativversammlungen der französischen Revo­
lution politisch eingesetzt wurde.
Summary
The paper analyses the debates of the three French parliam entary assemblies of
the French Revolution between 1789 and 1793, Assemblee Nationale, Assemblee
Legislative, Convention, on the topic of the sovereignty and liberty of the people
as the basic political principle of the French revolution founded by natural law.
B y these debates the political discourse left the purely academic and theoretical
level it had had within the ancien regime and became itself politically relevant ac­
1 2 6 V ertrag ü b er die U n io n von U tre ch t 1579, P räam b el u.E., Jean Dum ont, C o rp s u n iv ersel
d ip lo m atiq u e du D ro it des G en s, IV (A m ste rd am 1728) Nr. C L V III, 322.
Das n atü rliche Recht der S o u veränität d er V ö lk er
85
tion. The topic was used as well as a foundation of the interior revolution against
the absolute king and for the establishment of the Declaration des droits de
L’homme and of the Constitution of 1791 as for the shaping and active formation
of the external politics. This paper concentrates on the latter.
During a first phase from 1789 till 1791 the Assemblee Nationale had a more
pacifist tendency against wars, especially wars of conquest running against the
sovereignty and liberty of other peoples. O nly wars of defence should be allowed.
This became a rule of the new Constitution.
But in a second phase from the end of 1791, the leading group of the represen­
tatives of the new ly elected Assemblee representative got the feeling that the re­
sults of the Revolution were endangered by the activities of the noble emigrants
and their patrons, the Kings of Bohemia, who was at the same time Emperor, and
Prussia. They pleaded actively for war against the old European “tyrants” and
“despots” to defend the newly acquired sovereignty and liberty of the people,
which led to the French declaration of w ar on the 21st A pril 1792.
With the transformation of the kingdom of France into the first French Repub­
lic in 1792, the third phase began. The principle of the sovereignty and liberty of
the people was, as principle of natural law, established as a universal principle of
all peoples. The w ar was understood as a w ay and even a “d u ty” of the first liber­
ated people to liberate the other peoples from the yoke of tyranny and oppression
by the kings or “tyrants” and the feudal system. The occupation of parts of Bel­
gium, Savoy and the German Empire, gave the Convention the opportunity to
transform this “m ission” into an active policy and by decree of 15th December
1792 it ordered the French generals to initiate revisions of the existing feudal sys­
tem into a republican constitution for the occupied territories in order to liberate
the peoples in those territories from the tyranny of the monarchs, even against the
will of the population.
A second step followed. A lready in 1790/91 the Assemblee Nationale had dis­
cussed and finally accepted the application expressed by their representatives of
the papal dependencies Avignon and Venaissin in the name of the principle of the
sovereignty and liberty of the peoples, to be incorporated into the revolutionary
French state. Now the newly occupied territories were incorporated into the
French Republic, if their representatives applied freely and in due form for an
incorporation, which then was not considered as a conquest, forbidden by the
constitution. But when in 1793 the fortune of w ar changed, the debates in the
Convention became more realistic and interest oriented. Other criteria became
important, the political and especially economic interests of France, its natural
boundaries or frontiers etc.
A special issue of the debates on the sovereignty and liberty of the - French people, but related to the questions of war, peace and incorporation of foreign ter­
ritories concerned the binding force of the old treaties the kings had concluded
with the Pope in the 14th century concerning Avignon, with the Emperor in the
17(h century concerning Alsace and the alliance with the other Bourbon monarchs
concerning their mutual defence of the 18tl’ century. It was generally accepted in
86
H e in h a r d Steig er
the debates that the principle of the sovereignty and liberty of the - French people gave the right to the Assembly to renounce treaties concluded before the
Revolution by the kings, if they were no longer in the interest of the people.
Jörg Fisch
Selbstbestimmung vor der Selbstbestimmung
Die Herausbildung des modernen Begriffs des
Selbstbestimmungsrechts der Völker in Am erika
1.
Die Entstehung des Begriffs ,Selbstbestimmungsrecht
der Völker'
Begriffe haben, paradox gesprochen, in der Regel eine vorbegriffliche Phase. In ihr
ist der Sachverhalt, der durch einen Begriffsausdruck zusammengefaßt wird, be­
reits als Einheit bewußt, während die prägnante sprachliche Bezeichnung noch
fehlt*. Zuweilen ist aber auch der Ausdruck zuerst, und er wird nur langsam in­
haltlich ausgefüllt, also terminologisch gestaltet.
Einen besonders ausgeprägten Fall einer späten Entstehung und noch späteren
Ausbreitung eines Begriffswortes im Vergleich zu dem mit ihm gedachten Sach­
verhalt bildet der Begriff der (kollektiven) Selbstbestimmung eines Volkes, prä­
gnant dann als Selbstbestimmungsrecht der Völker. Der Ausdruck ist vermutlich
erst in den frühen 1850er Jahren mehr beiläufig entstanden. So sprach der ungari­
sche Politiker Lajos Kossuth am 3. November 1851 in London vom „souveränen
Recht jeder Nation, über sich selbst zu bestimmen“ („sovereign right of every
nation to dispose of itself“). Das sei ein „allgemeines Gesetz der Menschheit“
(„common law of mankind"), meinte er am 11. Dezember des gleichen Jahres in
New York2. Geläufiger wurde die Wendung erst seit den 1860er Jahren. J. H. Guigne sprach 1862 vorn „Recht der Völker, über sich selbst zu bestimmen“ („droit
des peuples de disposer d’eux-memes“)3, und 1865 beschäftigte sich die Erste In­
ternationale in London mit dem „Recht jedes Volkes, über sich selbst zu bestim1 Zu d ie ser un d w e ite re n im fo lgen d en v erw en d eten U n tersch eid u n g en s. Jörg Fisch: Z u sam ­
m en gesetzte B egriffe, in: A rc h iv fü r B egriffsgesch ich te 17 (197 3) 93—118.
2 Lajos Kossuth: S elected speeches. C o n d en sed and a b rid g ed , w ith K o ssu th ’s exp ress san c­
tio n, b y Frances W. N ewm an (N e w Y o rk 1854) 15, 50 u .ö . K o ssuth h ielt seine V orträge au f
E n glisch . O b er u rsp rü n g lic h en glisch o d er u n garisch fo rm u lie rte , ließ sich n ich t k lären . V gl.
noch die äh n lich e F o rm u lie ru n g von 1852 in: K ossuth in N e w E n glan d. A fu ll acco u n t o f the
H u n g arian g o v e rn o r’s v isit to M assach u setts (C le v e lan d 1852) 157. F rü h ere B elege, in sb e­
so n d ere auch fü r die R ev o lu tio n e n 1848/1849, sin d b islan g n ich t b eig eb rach t w o rd en .
3 J. H. Guigne, C o n sid e ra tio n s su r l ’Italie (P aris 1862) 67.
88
J ö r g Fisch
men“ („right of every people to dispose of itself“)4. Auch im Deutschen kam der
Ausdruck ab den frühen 1860er Jahren auf; die eigentliche Formel findet sich be­
sonders prägnant 1870 beim Philosophiehistoriker Eduard Zeller als „Selbstbe­
stimmungsrecht der V ölker“5.
Die Rede von einer vorbegrifflichen Phase eines Begriffs ist insofern problema­
tisch, als ein klares Kriterium fehlt, mit dessen Hilfe der Zeitpunkt der Entstehung
eines Begriffs bestimmt werden kann. Das gilt auch und besonders für ,Selbstbe­
stimmung' und ,Selbstbestimmungsrecht'. Die Suche nach einzelnen Elementen
eines Begriffs führt leicht zum Postulat eines Universalbegriffs, daß also etwa
(kollektive, auf Völker oder Staaten bezogene) Selbstbestimmung zu allen Zeiten
und an allen Orten vorkommt, im Sinne der in Bürger- und Sezessionskriegen
geforderten und erkämpften Unabhängigkeit, vom jüdischen Kampf gegen die
Römer über den Abfall der Niederlande von Spanien, den Aufstand von Tupac
Amaru in Peru und den U S-Bürgerkrieg bis zu den Auseinandersetzungen zw i­
schen Serben und Kosovaren am Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhun­
derts. Die Antwort auf die Frage, ob man von einem weltgeschichtlichen U ni­
versal oder einem spezifischen, beispielsweise nur für die europäische Neuzeit
geltenden Epochenbegriff sprechen w ill, hängt letztlich von der gewählten De­
finition ab. H ier soll die (stets kollektiv verstandene) Selbstbestimmung als histo­
rischer, erst seit dem späten 18. Jahrhundert aufkommender Begriff betrachtet
werden, wobei besonderes Augenmerk auf eine vorbegriffliche Phase gelegt wird.
Diese Phase zeigt, wenn eine entsprechende Definition verwendet wird, einige Ei­
gentümlichkeiten, die sonst bei der Entstehung eines Begriffs zumindest nicht in
dieser Deutlichkeit sichtbar werden. Selbstbestimmung und Selbstbestimmungs­
recht finden sich in Am erika im späten 18. und im frühen 19. Jahrhundert von der
Sache her gesehen in voller Ausprägung, ohne daß der entsprechende Ausdruck
auch nur in Ansätzen gebildet wird. Wohl aber ist eine A rt Vorläuferbezeichnung
weit verbreitet: U nabhängigkeit'. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ent­
steht dann der Ausdruck ,Selbstbestimmung(srecht)' - aber nicht etwa in Ame­
rika, wo die Sache schon lange existiert, sondern in Europa. Er wird zunächst nur
selten gebraucht, gegen Ende des Ersten Weltkrieges aber plötzlich zu einem zen­
tralen, exklusiv positiv verstandenen politischen Schlagwort. Ein solches ist er
seither geblieben. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts ist er darüber hinaus zu ei­
nem der wichtigsten Begriffe des Völkerrechts geworden, indem ein kollektiv auf­
gefaßtes Recht aller Völker auf Selbstbestimmung kodifiziert worden ist6. Doch
4 M in u te s o f L o n d o n C o n feren ce o f the F irst In te rn atio n a l, S ep tem b er 1865, in : D o cu m en ts
o f the F irst In te rn a tio n a l, h rsg. v. In stitu te o f M a rx ism -L e n in ism o f the C C , C P S U 1 (M o s­
kau o .J .) 246.
5 Eduard 'Zeller, D as R ech t d er N a tio n a litä t u n d die freie S elb stb e stim m u n g d er V ö lk er, in:
P reu ssisch e Ja h rb ü c h e r 26 (1870) 6 2 7 -6 5 0 , h ier 628. V gl. Luigi Emery, „ S elb stb estim m u n gs­
re c h t“ (p er la sto ria di un a fo rm u la), in: R iv ista in te rn a z io n a le d i filo so fia d el d iritto 18 (1938)
31 2 -3 2 3 .
6 19. D ezem b er 1966: In te rn a tio n aler P ak t ü b er b ü rg e rlic h e u n d p o litisch e R ech te un d In ­
te rn a tio n a le r P a k t ü b er w irtsch a ftlich e, so zia le u n d k u ltu re lle R ech te, in: M en sch en rech te.
Ih r in te rn a tio n a le r S ch u tz, h rsg. v. Bruno Sirnrna (M ü n ch en 21985) 2 2 -3 8 un d 6 0 -6 8 . In bei-
S e lb s tb e stim m u n g vor d er S elb s tb e stim m u n g
89
bis heute wird die vorbegriffliche Phase, die sich wesentlich in Amerika abgespielt
hat, nicht als Teil der Geschichte des Begriffs (die weitgehend auf Europa, Afrika
and Teile Asiens reduziert worden ist) erkannt oder gar anerkannt. Die Termino­
logie von ,Selbstbestimmung“und ,Selbstbestimmungsrecht' wird nach wie vor so
gut wie gar nicht auf die Loslösung Amerikas von Europa bezogen. Es ist die
These der folgenden Ausführungen, daß ,Selbstbestimmung' und ,Selbstbestim­
mungsrecht“ seit dem späten 18. Jahrhundert begriffsprägende Kraft gehabt ha­
ben, obwohl sie im terminologischen Sinne zunächst gar nicht vorhanden waren
und, als sie dann ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Verfügung stan­
den, auch noch nachträglich konsequent vom Bezug auf ihre Entstehungsphase
ferngehalten wurden. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker hat also eine ent­
scheidende amerikanische Entstehungsphase, die bislang weitgehend ignoriert
worden ist. Am Schluß ist zu fragen, weshalb der Begriff nach seiner Entstehung
nicht auf diese Phase zurückprojiziert worden ist.
2. Definitionen: absolute und konditionale Rechte
Die hier verwendete Definition der Selbstbestimmung und des Selbstbestim­
mungsrechts geht von zwei Elementen aus, die sich gegenseitig ergänzen und ver­
stärken, einem faktischen und einem rechtlichen. N ur wenn beide gegeben sind,
soll von Selbstbestimmung und Selbstbestimmungsrecht die Rede sein.
1.
Das faktische Element bezieht sich auf die Entkolonisierung. Von Selbstbe­
stimmung, auch wenn der Ausdruck nicht vorkommt, soll hier nur dann die Rede
sein, wenn ein Gebiet, das von einem anderen Gebiet aus beherrscht wird, von
dem es entweder durch ein Meer oder durch eine größere Landmasse (oder auch
durch beides), klar abgetrennt ist, die politische Selbständigkeit oder das Recht
darauf erlangt. Dieses Kriterium ist restriktiver als der moderne Selbstbestim­
mungsbegriff, bei dem man auch dann von Selbstbestimmung spricht, wenn ein
Gebiet sich selbständig macht oder in die Unabhängigkeit entlassen wird, das vor­
her mit einem oder mehreren anderen auf einer zusammenhängenden Landmasse
einen Staat bildete. Das gilt bis zur Gegenwart und ist bei der Auflösung der
Sowjetunion und Jugoslawiens, aber auch etwa der Tschechoslowakei, deutlich
geworden. Andererseits ist nicht erst heute, sondern mindestens seit dem USamerikanischen Bürgerkrieg heftig umstritten, ob eine Sezession als zulässig zu
gelten hat. Jedenfalls verliert der Selbstbestimmungsbegriff seine historische Tie­
fenschärfe, wenn jegliche politische Loslösung eines Gebietsteils, die in der Ge­
schichte vorgekommen ist, als Resultat von oder als A kt der Selbstbestimmung
betrachtet wird. Solange eine solche Verselbständigung nicht in den Quellen aus­
drücklich als Selbstbestimmung bezeichnet wird, gilt im folgenden nur die Entden P ak ten lau te t A rt. 1,1 id en tisch : „A lle V ö lk e r h ab en das R ech t au f S elb stb estim m u n g.
K räh dieses R ech ts en tsch eid en sie frei ü b er ih ren p o litisch en S tatu s un d gestalten in F reih eit
ih re w irtsch a ftlich e, s o z ia le un d k u ltu re lle E n tw ic k lu n g “ (ebd. 22; 60).
90
J ö r g Fisch
kolonisierung über eine größere Distanz hinweg als A usw irkung von oder als Akt
der Selbstbestimmung.
2. W ichtiger ist das rechtliche Kriterium. Von Selbstbestimmung soll hier nur
dann die Rede sein, wenn sie als Ausübung eines absoluten und nicht nur eines
konditionalen Rechts eines Volkes oder einer Gruppe, die sich selbst als Volk oder
als Teil eines Volkes versteht, auf Unabhängigkeit erscheint. Ein absolutes Recht
steht einem Berechtigten kraft dessen bloßer Existenz zu, solange er es nicht
durch eigenes Unrecht verwirkt hat und es nicht am gleichen Recht Anderer seine
Grenzen findet. Im Falle des Selbstbestimmungsrechts der Völker heißt das, daß
ein Volk, in Übereinstimmung mit den Internationalen Menschenrechtspakten
von 1966, einfach aufgrund seiner Eigenschaft, ein Volk zu sein, oder sich als ein
solches zu verstehen, das Recht auf Selbstbestimmung und damit auf die Bildung
eines eigenen, unabhängigen Staates hat. Weitere Bedingungen müssen nicht er­
füllt sein. Der Grund für ein solches Recht liegt ausschließlich in dessen Inhaber,
nicht in demjenigen, auf dessen Kosten es gewährt wird. Der Gewährende kann
sich verhalten, wie er w ill - er hat keinen Einfluß auf das Recht des Begünstigten.
Ein konditionales Recht hingegen ist an zusätzliche Bedingungen geknüpft, die
nicht vom Berechtigten, sondern vom Verpflichteten erfüllt werden müssen. Im
vorliegenden Falle bedeutet das in der Regel: N ur wenn ein Staat ein Volk oder ei­
nen Volksteil oder eine Minderheit schlecht behandelt, erhält der schlecht Behan­
delte ein Recht auf Unabhängigkeit, und selbst in diesem Falle nur dann, wenn
jener sich weigert, Genugtuung zu leisten, als ein M ittel zur Abhilfe bei schlechter
Behandlung des Berechtigten durch den Verpflichteten, also bei Tyrannei, Despo­
tismus oder ungerechter Regierung. Es handelt sich um ein Notrecht, das den Be­
rechtigten vor Unrecht schützen soll. Man kann auch von einem remedialen Recht
sprechen7.
3. Die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten
Ab welchem Zeitpunkt kann und muß gemäß diesen Kriterien von Selbstbestim­
mung und einem Selbstbestimmungsrecht gesprochen werden? Beim faktischen
Kriterium liegt die Sache klar: Die erste Entkolonisierung von weltgeschichtlicher
Bedeutung ist die Unabhängigkeit der USA, eingeleitet durch die Unabhängig­
keitserklärung von 1776 und die Anerkennung dieser Unabhängigkeit durch
Frankreich 1778 und durch Großbritannien 1783.
Schwieriger fällt die Entscheidung beim rechtlichen Kriterium. Hier erfolgt ein
allmählicher Übergang, kann nicht von einer scharfen Grenze die Rede sein. Im­
7 D as K o nzept eines rem e d iale n R ech ts im Z u sam m en h an g d er S ezessio n ist in sb eso n d ere
von A lle n B u ch an an e n tw ic k e lt w o rd en . V gl. vo r allem Allen Buchanan, S ecessio n. T he
m o ra lity o f p o litic a l d iv o rc e fro m F o rt S u m ter to L ith u a n ia and Q u eb ec (B o u ld e r 1991) un d
ders., Ju stic e , le g itim acy , and self-d ete rm in a tio n . M o ral fo u n d atio n s fo r in tern a tio n al law
(O x fo rd 2004).
S e lb s tb e stim m u n g vor d er S elb s tb e stim m u n g
91
merhin ist gemäß diesem Kriterium die US-Unabhängigkeitserklärung noch keine
Ausübung eines Selbstbestimmungsrechts. Auch wenn in der W irkungsgeschichte
dgr Anfang der U nabhängigkeitserklärung mit seiner Berufung auf ewige Wahr­
heiten und unveräußerliche Rechte am wichtigsten gewesen ist, so ist die Stoß­
richtung des Texts insgesamt eine andere, ausgesprochen traditionalistische. Im
M ittelpunkt steht die ausführliche Aufzählung des vom englischen König Georg
III. begangenen Unrechts. Die Liste enthält auch vergleichsweise harmlose Vor­
würfe, solche jedenfalls, die kaum einen Krieg zu rechtfertigen vermögen, etwa
die Erschwerung der Einwanderung oder die Einstellung zu vieler Beamten8.
Der Zweck der Anschuldigungen, die etwa die Hälfte des Texts ausmachen, ist
klar: Sie sollen den König ins Unrecht setzen und die amerikanischen Forderun­
gen rechtfertigen: „Ein Fürst, dessen Charakter auf solche Weise durch lauter
Handlungen gekennzeichnet ist, die einen Tyrannen ausmachen, ist nicht geeig­
net, über ein freies Volk zu herrschen.“9 Das heißt umgekehrt: Hätte sich der Kö­
nig korrekt verhalten, hätte er seine Pflichten erfüllt, so hätten die Amerikaner
keinen Grund zur Aufkündigung ihrer Gefolgschaft (allegiance). Erst die perma­
nenten Rechtsverletzungen, die den König zum Despoten und Tyrannen abstem­
peln, und seine Weigerung, Abhilfe zu schaffen, geben den Amerikanern das
Recht, die Unabhängigkeit zu proklamieren. Ihr Recht auf Unabhängigkeit ist
also lediglich konditional. Solange sie gut regiert wurden, hatten sie offenbar kein
Recht, sich ihrer Regierung zu entziehen oder zu entledigen. In dieser Hinsicht ist
das Vorgehen der Amerikaner durchaus traditionell. Sie berufen sich nicht auf
irgendein neues Recht, sondern auf das Recht des Widerstands gegen eine tyran­
nische Herrschaft, das innerhalb und außerhalb Europas Tradition hat, ein Recht,
das bei jedem Aufstand, jeder Rebellion und Revolution in Anspruch genommen
werden kann10. Es ist kein Recht, das nach Belieben, unabhängig vom Verhalten
der Gegenseite ausgeübt werden kann. Vielmehr muß es zuerst durch Unrecht der
Gegenseite aktiviert werden. Erst wenn die Herrschenden die Rechte der Be­
herrschten verletzt haben, haben diese ein Recht auf Widerstand.
Noch fehlt also das absolute Recht. Damit kann nach den hier verwendeten
Kriterien auch nicht im umfassenden Sinne von Selbstbestimmung und Selbstbe­
stimmungsrecht gesprochen werden. Die Erlangung der Unabhängigkeit ist die
Entschädigung für erlittenes Unrecht, nicht die Inanspruchnahme eines Rechts,
das dem Berechtigten unabhängig vom Verhalten des Verpflichteten zukommt.
s D ie U n a b h ä n g ig k e its e rk lä ru n g w ird h ier un d im fo lgen d en z itie rt nach H enry Steele Comrnager (H rsg .), D o cum en ts o f A m e ric an h is to ry (N e w Y o rk 9 1973) 1, 10 0ff. F ü r ein e E in ­
o rd n u n g in u n iv ersa lg e sch ich tlic h e Z u sam m en h än ge vgl. D avid A rm itage, T h e D eclaratio n
of In d ep en d en ce. A g lo b al h is to ry (C a m b rid g e , M ass. 2007).
9 „A Pnnce, w h o se ch aracte r is thu s m arked b y ev e ry act w h ich m a y defin e a T yran t, is u n fit
to be the ru le r of a free P e o p le .“ Commager, 1, 102.
10 Z um F o rsch u n gsstan d vgl. etw a Robert von Friedeburg (H rsg .), W id e rstan d sre ch t in der
frü h en N eu z eit. E rträge u n d P e rsp ek tiv e d er F o rsch u n g im d eu tsc h -b ritisch en V ergleich
(B erlin 20 01); ders, A rt. W id e rstan d sre ch t, in: H isto risc h e s W ö rte rb u ch d er P h ilo so p h ie 11
(D arm stad t 2004) 7 1 4 -7 2 0 ; Jean -C lau d e Zanearini (H rsg .), Le d ro it de resistan ce, X lle X X e siccle (L yo n 2001),
92
J ö r g Fisch
Immerhin finden sich in der Unabhängigkeitserklärung und in ihrem Umkreis
doch schon einige Ansätze, die zeigen, in welche Richtung die weitere Entwick­
lung verlaufen wird.
Gleich zu Beginn der U nabhängigkeitserklärung ist davon die Rede, es könne
für ein Volk nötig werden, die politischen Bande zu einem ändern Volk aufzulösen
und unter den Mächten der Welt „die getrennte und gleichberechtigte (separate
and equal) Stellung einzunehmen, zu der die Gesetze der Natur und des Gottes
dieser N atur sie ermächtigen“. Hier wird eine grundsätzliche Gleichheit nicht nur
der Staaten, sondern der Völker postuliert, und man könnte von einem Recht auf
eine solche gleichberechtigte Stellung sprechen. Doch davon ist nicht w irklich die
Rede. Denn schon ganz zu Beginn heißt es: „Wenn es im Lauf der menschlichen
Dinge nötig wird für ein Volk, die politischen Bande aufzulösen, die es mit einem
anderen verbunden haben“ und nicht etwa, wenn dieses Volk das Bedürfnis emp­
findet, das entsprechende Recht in Anspruch zu nehmen. Das gilt auch wieder am
Schluß, wenn es heißt, „daß diese Vereinigten Kolonien freie und unabhängige
Staaten sind und rechtmäßigerweise sein sollen“. Dieser Aussage liegt nicht ein
angenommenes uneingeschränktes Recht auf Unabhängigkeit zugrunde, sondern
es geht erneut um die Folgen der Rechtsverletzungen durch die Gegenseite. Die
Vorstellung, sich einfach auf ein absolutes Recht auf Unabhängigkeit zu berufen,
ohne zu begründen, weshalb ein so außerordentlicher Schritt getan wurde, lag den
Unterzeichnern der Erklärung fern. So sagen sie denn auch ausdrücklich, daß
Rücksicht auf die Meinungen der Menschen es gebiete, die Gründe für die Lossa­
gung vom bisherigen Herrn anzugeben. Ziel der Erklärung ist der Nachweis, daß
Rechte, die noch überwiegend feudaler Natur sind, indem der König als Lehns­
herr und die Kolonien als Vasallen gegenseitige, wenn auch ungleiche Rechte und
Pflichten haben, verletzt worden sind und nicht, daß die Kolonisten ein uneinge­
schränktes Recht auf Unabhängigkeit haben.
4. Thomas Paine und das Recht auf Unabhängigkeit
Nun wurde m einer solchen Erklärung sicherlich mit besonderer Vorsicht argu­
mentiert. Doch auch in anderen Zusammenhängen wurde kein uneingeschränk­
tes, nichtkonditionales Recht auf Unabhängigkeit postuliert11. Das wird beson­
ders deutlich im erfolgreichsten und wohl auch einflußreichsten Pamphlet im
Zusammenhang des nordamerikanischen Unabhängigkeitskampfes, dem Traktat
Common Sense von Thomas Paine, der im Januar 1776 erschien12. Paine trug die
Argumente zugunsten der Unabhängigkeit zusammen. Neben der Betonung des
11 V gl. zu m F o lgen d en Edwin G. Burrows, M ichael Wallace, T h e A m erican re v o lu tio n : the
id e o lo g y and p sy c h o lo g y of n atio n al lib e ra tio n , in: P ersp ectives in A m e ric an H is to ry 6
(1972) 16 5-306 .
12 Thomas Paine, C o m m o n Sense, in: M ichael Foot, Isaac Kram nick (H rsg .), T h o m as P ain e
R ea d e r (H a rm o n d sw o rth 1987) 65-1 15. Im fo lgen d en w ird n ach d ieser A u sg ab e zitiert.
S elb s tb e stim m u n g vor der S elb stb e stim m u n g
93
Unrechts der Gegenseite standen vor allem Hinweise auf die Unvcrmeidlichkeit
einer Emanzipation. Dazu diente etwa der Vergleich mit den menschlichen Le­
bensaltern: was Kindern gegenüber gerechtfertigt war, war es nicht mehr gegen­
über Erwachsenen13. Auch künftig wichtig wurde das geographische Argument,
daß sich ein Land nicht über tausende Kilometer Ozean hinweg regieren lasse und
daß es hochgradig absurd sei anzunehmen, ein Kontinent lasse sich auf ewig durch
eine Insel beherrschen14. Auch die Reifemetapher lag auf der Hand: Der Konti­
nent ist jetzt reif für die Unabhängigkeit15. Weiter bemüht Paine das Naturrecht:
„Eine eigene Regierung ist unser natürliches Recht.“ 16 Hier kommt er dem abso­
luten Recht, dem Selbstbestimmungsrecht am nächsten. Aber ein Anspruch auf
Unabhängigkeit wird dann doch nicht daraus abgeleitet. Paine zieht keine w eite­
ren Konsequenzen - die Grundlage bleibt das Unrecht der Gegenseite. Offen­
sichtlich schreckt Paine vor dem letzten Schritt zum absoluten Recht zurück. So
gibt er sich überzeugt, Amerika hätte ohne Kolonialherrschaft ganz anders flo­
riert17. Hier läge die Forderung nach einem Recht auf Unabhängigkeit nahe - aber
es wird nicht postuliert. Das Argument bleibt empirisch: Eine unabhängige Kolo­
nie gedeiht besser als eine abhängige. Daraus werden keine rechtlichen Folgen ab­
geleitet. Wer die Unabhängigkeit gut zu nutzen versteht, hat deshalb noch lange
kein Recht auf Unabhängigkeit.
Das beste Argument gegen die Zurückhaltung, die selbst Paine in der Frage
eines absoluten Rechts auf Unabhängigkeit noch bestimmte, w ar die Unabhängig­
keitserklärung selber, und vor allem ihr Erfolg. Spätestens im Januar 1777 zog
Paine die Konsequenzen daraus, wobei er auch gleich umfassend kontinental ar­
gumentierte: Er sprach vom „natürlichen Recht des Kontinents auf Unabhängig­
keit“. Seine zögernde Haltung vom vorangegangenen Jahr vergessend, behauptete
er jetzt, dies sei „ein Punkt, der noch niemals in Frage gestellt wurde. Er erlaubt
keinerlei Diskussion. Ein solches Recht zu leugnen wäre eine Art Atheismus ge­
gen die N atur“ 18.
5. Die Konstruktion des Selbstbestimmungsrechts
in Hispanoamerika
Die U nabhängigkeitserklärung der USA war so erfolgreich, daß sie in der gleichen
Region kein zweites Mal eingesetzt zu werden brauchte. Nach dem Friedens­
schluß von 1783 stand das Existenzrecht des neuen Staates nicht mehr ernsthaft
13 Ebd. 80 f.; 89.
14 Ebd. 86.
15 Ebd. 94.
16 Ebd. 92.
17 Ebd. 81.
18 I'homas Paine, T h e A m erican crisis III (19. A p ril 1777), in: ders., C o lle c te d w ritin g s, hrsg.
v. Eric Foncr (N e w Y o rk 1995) 116-146, h ie r 121.
94
J ö r g Fisch
zur Debatte. So mußte auch die legitimatorische Grundlage der Erklärung von
1776 nicht erweitert werden. Es erstaunt infolgedessen nicht, daß die weitere Ent­
wicklung des Begriffs in einem anderen, aber doch verwandten Zusammenhang
erfolgte, in der Entkolonisierung Lateinamerikas, die überwiegend in die Jahre
zwischen 1808 und 1826 fiel19. Auch wenn heute angesichts der unterschiedlichen
Ergebnisse der beiden Unabhängigkeitsprozesse in Nord und Siid eher die - kei­
neswegs zu leugnenden - Differenzen betont werden, so war der Einfluß der
Emanzipation der nordamerikanischen Kolonien auf den Süden zeitgenössisch
außerordentlich groß. Die Vereinigten Staaten wurden in den meisten Punkten,
die die Loslösung vom europäischen Mutterland betrafen, zum bewunderten Vor­
bild. Auch das Konzept eines Rechts auf Selbstbestimmung scheint, wie Paine
zeigt, im Norden entstanden zu sein. Aber es gelangte erst im Süden in die ent­
scheidenden Dokumente, also die Unabhängigkeitserklärungen. Im Norden hatte
die Unabhängigkeitserklärung ja kein Selbstbestimmungsrecht gekannt, sondern
lediglich ein traditionelles Widerstandsrecht. Noch nicht einmal von .Unabhän­
gigkeit' w ar die Rede20, und das Dokument bezeichnete sich selbst lediglich als
„Declaration“, nicht als „Declaration of Independence“. In den hispanoamerikanischen Erklärungen hingegen war sehr oft von ,U nabhängigkeit“ die Rede21. Die
in der französischen Tradition stehende erste amerikanische U nabhängigkeitser­
klärung nach 1776, 1804 in Haiti, ist zw ar von extremem Haß auf die als Barbaren
denunzierten Franzosen geprägt. Sie stellt sich unter das Motto „Freiheit oder
Tod“; jeder Franzose, der ins Land kommt, soll umgebracht werden. Dazu ist
.Unabhängigkeit* zum zentralen Begriff geworden. Von einem Recht darauf aber
ist nicht die Rede22.
W ichtiger noch waren die staatsrechtlichen Unterschiede. Im Norden w ar der
eigene, englische König, der seine Macht unrechtmäßig vergrößern wollte oder
19 A ls Ü b e rb lic k Joh n Lynch: T h e S p an ish A m erican re v o lu tio n s 18 08-18 26 (L o n d o n 1973).
V gl. auch Inge Buisson, H erbert Schottelms, D ie U n a b h ä n g ig k e itsb e w e g u n g e n in L a te in a m e ­
rik a 17 88-18 26 (S tu ttg a rt 1980); Jo h n Lynch (H rsg .), L atin A m e ric an R ev o lu tio n s, 180S—
1826. O ld and n ew w o rld o rig in s (N o rm a n , O k l. 1994);/<*/me E. Rodriguez, L a in d ep en d en cia de la A m e ric a esp an o la (M ex ik o 20 05); M anuel Cbitst, Jose A. Serrano (H rsg .), D eb ates
so b re las in d ep en d en cias ib ero am eric an as (M ad rid 20 07). E ine Z w isc h e n stellu n g zw isch en
N o rd u n d S iid n eh m en d ie v ersch lu n gen en V orgänge a u f S ain t-D o m in g u e/ H aiti seit 1789
ein. Sie w erd e n h ier n ich t geso n d ert b etrach tet. Sie sin d z w a r vo n b eso n d erer B e d eu tu n g für
die G esch ich te d er S k lav ere i, zeigen ab er k e in e w irk lic h e S o n d e re n tw ic k lu n g in d er h ier
in teressieren d en F rage.
D ie U n a b h ä n g ig k e itsk ä m p fe in gan z A m e rik a 17 75 -1 8 2 6 w erd en h ier als erste E n tk o lo n isie ­
ru n g b ezeich n et, im G egen satz zu r z w e ite n , w e ltw e ite n im 20. Ja h rh u n d e rt.
20 N u r das A d je k tiv ersch ein t, im b erü h m ten S atz „that th ese U n ite d C o lo n ies are, and of
R igh t o u g h t to be F ree and In dep en den t S tates“ . A m E nde ist dann n o ch m als von „In d ep en ­
d en t S tate s“ die R ede. S elb st d ie U n a b h ä n g ig k e it ist also noch n ich t zu m B egriff gero n n en .
Commager, (s. A nm . 8) 1, 102.
21 E ine Z u sam m en ste llu n g d er m eisten am erik an isc h e n U n a b h ä n g ig k e itse rk lä ru n g e n des
18.-20. Ja h rh u n d e rts fin d et sich bei J a v ie r M alagon (H rsg .), L as aetas de in d ep en d en cia de
A m erica (W ash in gto n 21973).
22 1. Ja n u a r 1804 H aiti. Ebd. 75 -7 8 .
S e lb s tb e stim m u n g vor d er S elb s tb e stim m u n g
95
zumindest zu wollen schien, der Hauptfeind, gegen den das Widerstandsrecht
mobilisiert werden mußte und konnte. In Iberoamerika hieß der Hauptfeind bis
1814 Napoleon. Für die Kolonien ging es, als Napoleon 1807/1808 die Iberische
Halbinsel eroberte, zunächst nicht um den Abfall vom eigenen König, sondern
um dessen Unterstützung gegen den französischen Usurpator. Die 1807 erfolgte
französische Besetzung Portugals hatte zur Flucht der Königsfamilie und des H o­
fes nach Brasilien geführt, während Napoleon 1808 in Spanien den rechtmäßigen
Herrscher zur Abdankung gezwungen und seinen eigenen Bruder Joseph Bona­
parte an dessen Stelle gesetzt hatte. Die Kolonien stellten sich hinter die rechtmä­
ßigen Herrscher, und ihre seit 1809 einsetzenden Unabhängigkeitserklärungen
waren zunächst mehr eine A uswirkung des Machtvakuums als des Widerstands
gegen den König. Angesichts der britischen Seeherrschaft war Napoleon nicht im ­
stande, die spanischen Kolonien in Amerika zu beherrschen. Erst nach dem Ende
der napoleonischen Kriege, als die spanische Krone versuchte, ihre absolutistische
Stellung in den Kolonien zurückzugewinnen, wurde auch in Hispanoamerika der
Unabhängigkeitskam pf in erster Linie ein Kampf gegen die Krone. Jetzt bot sich,
wie schon in den USA und auf Haiti, die tyrannische Herrschaft des Königs als
Hauptargument für die Unabhängigkeit, die nun auch sehr häufig so bezeichnet
wurde, in Anknüpfung an die Vorgänge im Norden geradezu an. Doch in der
Zwischenzeit waren zusätzliche Begründungen aufgekommen. Die Stellung des
spanischen Königs Ferdinand VII. w ar auch nach 1814 infolge seiner Absetzung
und effektiven M achtlosigkeit unter Napoleon schwächer, als diejenige König Ge­
orgs III. 1775-1783 in Großbritannien und Nordamerika gewesen war. 1808-1814
war Ferdinand weder in Spanien noch in den Kolonien in der Lage gewesen, die
Souveränität auszuüben. Nach spanischer Auffassung fiel diese dadurch an die
lokalen Körperschaften, jedenfalls solange, bis wieder ein legitimer Herrscher an
der Macht w ar23. Wollte er mehr als eine Galionsfigur sein, mußte er von den Ko­
lonien anerkannt werden. Je mehr er versuchte, nach 1814 die alten Verhältnisse
wiederherzustellen, umso hartnäckiger verweigerten die Kolonien die A nerken­
nung und riefen statt dessen die Unabhängigkeit aus. Bei der Rechtfertigung die­
ses Schritts insbesondere in den Unabhängigkeitserklärungen nahm die Verurtei­
lung des Königs und seiner Regierung selbstverständlich einen zentralen Platz ein.
Praktisch jede der zahlreichen Unabhängigkeitserklärungen (die zuweilen, nach
Niederlagen, beim erneuten Versuch, die spanische Herrschaft abzuschütteln,
wiederholt und zugleich neu formuliert wurden) wandte sich gegen die schlechte,
tyrannische und ungerechte Herrschaft, die das Land während drei Jahrhunderten
hatte erdulden müssen.
Doch diese Bemühung von Flaß gegen den Herrscher und das Mutterland hielt
sich im allgemeinen in Grenzen. Sie erreichte nicht die schrillen Töne und die
‘ 3 V gl. C atalin Reyes, La am b ig ü cd ad en tre lo a n tig o y lo nuevo. D os m un d o s q u e se en trecru zan : N u ev a G ran ad a 18 08-18 10, in: M anuel Chust C alero (H rsg .), D o cean ism o s e in dep en den cias: L a co n stitu ciö n de 1812 y A m erica (M ad rid 2006) 9 9 -1 2 0 und Ines Q uintero,
L ealtad , soberam 'a y re p rc se n tativ id ad en H isp a n o a m e ric a (1 8 0 8 -1 8 1 1 ). Ebd. 121-139.
96
J ö r g Fisch
Haßtiraden von Haiti oder den Umtang des schon geradezu pedantisch geführten
Sündenregisters Georgs III. Meistens begnügte man sich mit einer pauschalen
Verurteilung von drei Jahrhunderten Tyrannei. So hieß es 1818 in der chilenischen
Erklärung: „Die Gewalt w ar die wichtigste Ursache dafür, daß sich die Neue Welt
für mehr als dreihundert Jahre gezwungen sah, die Usurpation ihrer Rechte als
Dogma zu betrachten und darin selber den U rsprung ihrer größten Aufgaben zu
suchen.“24 Sehr viel schärfer, und damit eher atypisch, fiel 1825 die Erklärung
Boliviens aus: Der „iberische Löwe“ habe „während vieler Jahrhunderte den
unglücklichen Körper Amerikas in Stücke gerissen und sich von seiner Substanz
genährt“; darin zeige sich „die Wildheit jenes Monsters“25.
Zu einer Art Standardfigur wurde die Berufung auf die Rechte, die die neuen
Staaten, nicht als Staaten, sondern als Völker, für sich zurück gewonnen hatten.
Welche Art von Rechten es waren, wurde nicht gesagt. Doch es konnten keine
vernünftigen Zweifel möglich sein, daß es um die Unabhängigkeit ging und damit
um das Recht, einen eigenen Staat zu bilden, letztlich also um ein Selbstbestim­
mungsrecht, obwohl der Ausdruck anscheinend nie fiel. Immerhin betonten man­
che Erklärungen, das betreffende Volk wolle nach eigenem Geschmack handeln.
Die Sache war klar; es fehlte nur der Begriff. 1816 meinten die Unterzeichner der
argentinischen Erklärung einfach, sie wollten „die Rechte, die ihnen gestohlen
wurden, zurückgewinnen“26. Immer wieder w ar von der „Zurückforderung der
Rechte“ die Rede27. Solche Rückforderungen konnten sich auch gegen am erikani­
sche Nachbarn richten, so etwa, als sich 1844 die Dominikanische Republik von
H aiti lossagte28, und noch 1903, wenn auch sehr vorsichtig, bei der Sezession
Panamas von Kolumbien29.
Andere Formeln sagten noch deutlicher, was gemeint war, indem sie die Frei­
heit betonten, letztlich die Freiheit, über sich selbst zu bestimmen. So sprach die
bolivianische Erklärung 1825 von der „vollen Freiheit, über unser Schicksal zu be­
stimmen“30. Paraguay möchte 1842 „sich selbst gehören“31, und Venezuela betont
schon 1811: „Wie alle Völker der Welt sind w ir frei und befugt, von keiner ande­
ren Autorität als unserer eigenen abzuhängen.“32
Die verschiedenen Typen von Argumenten werden am deutlichsten gebündelt
in der sehr kurz gehaltenen mexikanischen Erklärung von 1821, von der hier
etwas mehr als die Hälfte zitiert wird:
24 1. Ja n u a r 1818 C h ile . Malagon, 50.
25 6. A u g u st 1825 B o liv ien . Ebd. 22.
26 9. J u li 1816 A rg en tin ien . E bd. 6.
27 z. B. 5. J u li 1811 V en ezu ela. E bd. 159; 1. Ja n u a r 1818 C h ile . Ebd. 50; 26. A u g u st 1825 U r u ­
gu ay. Ebd. 147.
28 16. Ja n u a r 1844 D o m in ik an isch e R ep u b lik . Ebd. 126.
29 4. N o v em b er 1903 P an am a. Ebd. 100.
30 6. A u g u st 1825 B o liv ien . E bd. 22.
31 25, N o v em b e r 1842 P a ra g u ay. Ebd. 108.
32 5. J u li 1811 V en ezu ela. Ebd. 160.
S elb s tb e stim m u n g v o r d er S elb s tb e stim m u n g
97
„Das mexikanische Volk [nation], das für dreihundert Jahre weder einen eige­
nen Willen noch den freien Gebrauch seiner Stimme gehabt hat, verläßt heute die
Unterdrückung, in der es gelebt hat. ...
So ist dieser Teil des Nordens der Ausübung aller Rechte zurückgegeben, die
ihm der Schöpfer der Natur verliehen hat, und die zivilisierten Völker [naciones
cultas] des Landes erkennen diese Rolle als unveräußerbar und heilig an. Diese
Völker haben die Freiheit, sich auf die ihnen am meisten zusagende Weise der Er­
langung ihres Glücks zu konzentrieren, mit Vertretern, die ihren Willen und ihre
Absichten sichtbar machen können. Das mexikanische Volk beginnt diese w ert­
vollen Geschenke zu nutzen und erklärt feierlich, durch den Mund der obersten
Regierung {Junta Suprema] des Reiches, daß M exiko eine vom alten Spanien un­
abhängige und souveräne Nation [nation ] ist. Es wird mit Spanien in Zukunft
keine andere Verbindung pflegen als eine enge Freundschaft, gemäß den abge­
schlossenen Verträgen. Es wird freundschaftliche Beziehungen mit den übrigen
Mächten anknüpfen.“33
Vielleicht am nächsten kommt einer Forderung nach einem Selbstbestim­
mungsrecht ein Dekret der verfassunggebenden Nationalversammlung von N ica­
ragua, das 1823 von einem „unerschütterlichen und unverjährbaren Recht der
Völker, unserer Auftraggeber, auf ihre uneingeschränkte Freiheit und Unabhän­
gigkeit“ spricht34.
Außerhalb der Unabhängigkeitserklärungen wurden zusätzliche Argumente
ins Spiel gebracht. Laut dem Mexikaner Bärcena hat jede Kolonie ein Recht auf
Unabhängigkeit, das jederzeit verwirklicht werden darf: „Jede Kolonie bewahrt in
ihrem Busen die Saat der Unabhängigkeit.“ Das sei ein „Gesetz der N atur“ in
jedem Lebewesen. Verzichte eine Kolonie zunächst darauf, „dann bleibt jedoch
immer ihr Recht erhalten, davon Gebrauch zu machen, wenn es ihr gefällt“35.
Hier ist sicherlich von einem absoluten Recht auszugehen.
In dem Maße, in dem die Berufung auf ein uneingeschränktes Recht auf Eigen­
ständigkeit und Unabhängigkeit an Gewicht gewann, verlor der Verweis auf kö­
nigliches Unrecht an Bedeutung, denn letztlich war das Argument, ein Volk habe
einfach nur schon qua Volk ein uneingeschränktes Recht auf Unabhängigkeit,
stärker als die Berufung auf ein bloß konditionales, von Rechtsverletzungen des
Königs abhängiges Recht, selbst wenn diese Rechtsverletzungen in den dunkel­
sten Farben geschildert wurden. Auf diese Weise bildete sich im Verlauf des
19. Jahrhunderts in Hispanoamerika zumindest in der Theorie ein klar umschrie­
33 28. S ep tem b er 1821 M e x ik o . Ebd. 90.
34 2. Ju li 1823 N ic a ra g u a . Emilio A lv a rez Lejarza (H rsg .), L as co n stitu cio n e s de N ic a rag u a
(M a d rid 1958) 319.
35 M anuel de la Bärcena, M an ifiesto al m un do . L a ju s tic ia y la n ecesid ad de la in d ep en d en cia
de la N u eva E spana (1821), in : Jaim e O lveda (H rsg .), L os d iscu rso s o pu esto s sob re la in d e ­
p en d en cia de la N u ev a E sp ana (M ad rid 2006) 10 8 -1 2 7 , h ier 1 1 4 f.
Z ur D ifferen z zw isc h e n U S -a m e rik a n isc h e r un d h isp an o am erik an isch er, in sb eso n d ere a r­
ge n tin isch er U n a b h ä n g ig k e itse rk lä ru n g s. Bonifacio del C arril, La d ec larac iö n de la in d e p e n ­
d en cia (o. O . 1966).
98
J ö r g Fisch
benes, wenngleich nicht so bezeichnetes Selbstbestimmungsrecht heraus. Das
Recht auf Unabhängigkeit war nun nicht mehr negativ als Notrecht die Folge
schlechter Behandlung des betreffenden Volkes durch ein anderes oder durch des­
sen Regierung, sondern positiv die Folge der Eigenschaft, ein Volk zu sein. Im
Maße, als sich die Begründung für die Unabhängigkeit vom Unrecht der Gegen­
seite loslöst, kann auch von Selbstbestimmung gesprochen werden. Eine U nab­
hängigkeit hingegen, die zu gewähren dem Übeltäter als Strafe auferlegt wird und
die damit gleichzeitig zur erlaubten Sezession wird, ist kein Resultat von Selbstbe­
stimmung, sondern vielmehr von Fremdbestimmung, und hinter ihr steht auch
kein wirkliches Selbstbestimmungsrecht, denn ein solches ist nur als absolutes,
nicht als konditionales Recht denkbar.
Die Herausbildung des absoluten Rechts auf Unabhängigkeit ist Hispanoamerikas wichtigster Beitrag zur Entstehung des Konzepts des Selbstbestimmungs­
rechts der Völker. Das Konzept war damit Jahrzehnte vor dem einschlägigen A us­
druck entstanden, wobei dieser in Europa gebildet wurde und bis zum heutigen
Tage keine Anwendung auf Amerika gefunden hat. Die Auffassung von einem
uneingeschränkten Recht eines jeden Volkes (wie immer dieses definiert wird oder
sich selbst definiert) auf Unabhängigkeit stand, wenngleich nicht terminologisch,
so doch der Sache nach bereit. Und sie wurde nur in Amerika gebraucht - die Vor­
stellung, die Bevölkerung in anderen Kontinenten (auch in Europa) gelegener Ter­
ritorien könne ein nichtkonditionales Recht auf Unabhängigkeit haben, war noch
nicht denkbar.
6. Die Bändigung der Anarchie: u t i possidetis und
Sezessionsverbot
Das moderne Selbstbestimmungsrecht ist also nicht erst am Ende des Ersten Welt­
krieges oder gar in der Entkolonisierung nach 1945 konzipiert worden, sondern
zwischen 1776 und 1826, wobei das entscheidende Element, das nicht mehr kon­
ditionale, sondern uneingeschränkte Recht eines Volkes auf staatliche Eigenstän­
digkeit seine volle Ausprägung erstmals und bis zum 20. Jahrhundert auch aus­
schließlich in Hispanoamerika fand. Das war, ob sie nun positiv oder negativ be­
urteilt w ird, eine Pionierleistung ersten Ranges. Sie brachte indessen ein Element
der Anarchie in das Völkerrecht, das die Stabilität der internationalen Ordnung
gefährdete. Wenn jedes Volk, ja jede Gruppe, die sich selbst als Volk verstand, das
Recht auf einen eigenen souveränen Staat hatte, dann w ar mit einer zunehmenden
Zersplitterung der Staatenwelt zu rechnen. Ein erster wichtiger Vorbehalt wurde
nicht explizit gemacht, ergab sich aber aus der Praxis: Das Selbstbestimmungs­
recht blieb auf die Entkolonisierung begrenzt, und hier zunächst wieder auf euro­
päische Siedlungskolonien. Das Recht auf Unabhängigkeit stand nur Völkern,
oder Gesellschaften, oder sonstigen sich als zusammengehörig empfindenden
Gruppen zu, die ausschließlich oder wenigstens überwiegend europäischer A b­
S elb s tb e stim m u n g vor der S elb s tb e stim m u n g
99
stammung waren und zugleich lediglich außerhalb Europas siedelten oder Ge­
bietsherrschaft ausübten. Die Herrschaft in Ubersee ging somit von den in Eu­
ropa lebenden Europäern nicht an die schon vor ihnen außerhalb Europas siedeln­
den Völker, sondern an die europäischen oder europäischstämmigen, allenfalls
noch an gemischte Bevölkerungen in Ubersee.
Die Frage war, ob sich solche und ähnliche inhaltlich gesehen völlig w illkürli­
chen Einschränkungen würden halten können. Weshalb sollte ein Volk, das von
einem anderen durch einen Ozean oder durch einen oder mehrere andere Staaten
getrennt war, ein Recht auf staatliche Unabhängigkeit haben, nicht aber ein sol­
ches, das von einem anderen nur durch einen Fluß oder eine Bergkette, oder gar
nur durch eine gerade Linie im Gelände geschieden war? Und weshalb sollten eu­
ropäische oder europäischstämmige oder vielleicht auch noch gemischte Bevölke­
rungen ein solches Recht haben, nicht aber alteingesessene? Erneut wurden die
Probleme in Amerika gelöst, wobei diesmal Iberoamerika vorausging und N ord­
amerika lediglich einen kurzen Schlußstrich zog, der allerdings einem Pauken­
schlag gleichkam.
Selbst wenn man sich auf Entkolonisierung in Ubersee beschränkte - sobald ein
oder mehrere neue Staaten entstanden, stellte sich die Frage, wie die Grenzen
gezogen werden sollten. Was in der Theorie wenig problematisch schien, konnte,
ja mußte sich aber in der Praxis rasch als ausgesprochen verwickelt erweisen. Soll­
ten für die Grenzziehung objektive oder subjektive Kriterien gelten oder eine
M ischung aus beiden? Nahm man objektive Kriterien, etwa die Sprache oder die
Religion, so konnte jedes Kriterium zu einer anderen Einteilung führen, und Kon­
flikte waren programmiert. Dem stand das subjektive Kriterium der Wünsche der
Betroffenen gegenüber. Versuchte man sich daran zu halten, mittels Volksabstim­
mungen, so stand keineswegs fest, daß dabei handhabbare und halbwegs vernünf­
tig voneinander abgrenzbare Einheiten herauskamen. Dazu konnte sich der Wille
der Betroffenen im Ablauf der Zeit immer wieder ändern.
Die Schwierigkeiten, Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten lagen auf
der Hand. Je konsequenter man versuchte, das Prinzip der Selbstbestimmung zu
verwirklichen, desto inkonsequenter wurden die Ergebnisse. Lateinamerika war
zum Zauberlehrling geworden. Im Gegensatz zu diesem fand es aber das rettende
Wort, das zw ar keine vollständige, aber doch relativ wirkungsvolle Abhilfe
brachte, in der Form des sogenannten uti possidetis36. Es w ar eine ausgesprochen
vage Figur aus dem römischen Recht, die lediglich „so, wie ihr besitzt“ bedeutete.
36 Z um u ti possidetis vgl. Steven R. Rattier, D ra w in g a b etter lin e : u ti p o ssid etis and the b o r­
ders of n ew states, in: T h e A m e ric an Jo u rn a l o f In te rn atio n al L a w 90 (1996) 5 9 0 -6 2 4 . C h ri­
stiane Simmler, D as uti p o ssid e tis-P rin z ip : z u r G ren z z ie h u n g zw isc h e n neu en tstan den en
S taaten (B erlin 1999); M ichael Weher, Uti possidetis juris als allgem ein es R ec h tsp rin z ip im
V ö lk e rre c h t - Ü b erleg u n g e n zu m V erh ältn is von uti possidetis, S elb stb c stim m u n g srec h t der
V ö lk e r u n d E ffe k tiv itätsp rin z ip (G ö ttin gen 1999); Frank Wooldridge, U ti p o ssid etis d o c ­
trin e. In: E n cy clo p aed ia o f P u b lic In te rn atio n al L a w Bd. 4 (A m sterd am 2003) 1259-1262.
Ein b reite r Ü b e rb lic k vo r allem fü r die jü n g ste Z eit bei: O livier Corten u. a. (H rsg .), D em em b rem en ts d ’E tats et d elim ita tio n s territo ria le s: Vuti possidetis en q u estio n (s) (B rü ssel 1999).
E ine u m fassen d e h isto risch e S tu d ie fehlt.
100
J ö r g Fisch
Zu ergänzen ist die Formel durch ita possideatis, „so sollt ihr besitzen“. Gemeint
ist die Festschreibung des status quo. Dieser wird in zwei Versionen aulgespalten:
uti possidetis iuris und uti possidetis facto, den rechtlich (abgesicherten) und den
faktischen Besitzstand. In der Regel galt unter hispanoamerikanischen Staaten der
rechtliche Besitzstand, in ihrem Verkehr mit Portugal und später mit Brasilien der
faktische. Der zentrale Inhalt des Prinzips besagte, daß die Grenzen der größeren
spanischen Verwaltungseinheiten unverändert als Grenzen der unabhängigen
Staaten übernommen werden sollten, ungeachtet der Zusammensetzung der Be­
völkerung in der betreffenden Einheit. Die Abgrenzung der neuen Staaten von­
einander erfolgte also nur zufällig gemäß den Wünschen der Betroffenen, weil
auch die alten Verwaltungsgrenzen nur zufälligerweise mit den Wünschen der
betroffenen Bevölkerungen übereingestimmt hatten.
In der besonders einflußreich gewordenen Formulierung, die 1922 in einem
Schiedsspruch des Schweizer Bundesrats in einem Gebietskonflikt zwischen Ko­
lumbien und Venezuela erfolgte, wurde das Prinzip wie folgt umrissen: „Als die
spanischen Kolonien in M ittel- und Südamerika sich im zweiten Jahrzehnt des
19. Jahrhunderts unabhängig erklärten, nahmen sie ein staats- und völkerrechtli­
ches Prinzip an, das sie ,uti possidetis von 1810“ nannten. Damit stellten sie fest,
daß die Grenzen der neugegründeten Republiken die Grenzen der spanischen
Provinzen seien, an deren Stelle sie sich setzten. Dieses allgemeine Prinzip hatte
den Vorteil, daß es die uneingeschränkte Regel aufsteUte, daß es, rechtlich gesehen,
im ehemaligen Spanisch-Amerika keine herrenlosen Gebiete gibt. Obwohl zahl­
reiche Gegenden von den Spaniern nicht besetzt worden waren und zahlreiche
unerforschte oder von nicht zivilisierten Eingeborenen bewohnte Gegenden exi­
stierten, wurden diese Gegenden als rechtens zur jeweiligen Republik gehörend
betrachtet, die die Nachfolge derjenigen spanischen Provinz angetreten hatte, zu
der diese Gebiete aufgrund der alten königlichen Erlasse des spanischen M utter­
landes gehört hatten. Obwohl diese Gebiete de facto nicht okkupiert waren, w ur­
den sie im allgemeinen Einvernehmen als von der neuen Republik von der ersten
Stunde an de jure okkupiert betrachtet. Übergriffe und unzeitige Kolonisations­
versuche von der anderen Seite der Grenze, ebenso wie de facto-Okkupationen
wurden gegenstandslos oder hatten keine Rechtsfolgen. Man hoffte auch, daß die­
ses Prinzip den Vorteil haben würde, Grenzstreitigkeiten zwischen den neuen
Staaten zu unterbinden. Schließlich schloß dieses Prinzip mögliche Festsetzungs­
versuche europäischer Kolonialmächte in Gebieten aus, die sie herrenlos hätten
erklären können. Die völkerrechtliche Situation Spanisch-Amerikas war von A n­
fang an gänzlich anders als etwa die Afrikas. Dieses Prinzip erhielt später eine all­
gemeine Bestätigung unter dem Namen der Monroedoktrin, aber es war seit lan­
gem die Grundlage des südamerikanischen öffentlichen Rechts.“37
Die Umsetzung des Prinzips in durchsetzbare und früher oder später interna­
tional anerkannte Grenzen w ar oft umstritten. Davon zeugen zahlreiche Grenz­
37 24. M ä rz 1922 S ch ied ssp ru ch des S c h w e iz e r B u n d esrates z w isc h e n K o lu m b ien un d V ene­
z u ela , in: R ep o rts o f In te rn atio n al A rb itra l A w ard s B d. 1 (N e w Y o rk 1948) 2 2 7 -2 9 0 , h ie r 228.
S elb s tb e stim m u n g v o r d er S elb stb e stim m un g
101
konflikte, die teilweise bis in die Gegenwart hinein andauern38. Mit dem u tipossi­
detis w ar also kein Universalmittel für die Lösung von Grenzstreitigkeiten gefun­
den worden - deren Beilegung war letztlich eine Frage des politischen Willens, der
Bereitschaft zur Konfliktlösung. Die Grenzziehung in der Natur bereitete oft
große Schwierigkeiten, hatte die spanische Verwaltung doch viele Grenzen, insbe­
sondere zwischen den eigenen Besitzungen, oft nur auf dem Papier gezogen, zu­
mal dann, wenn sie die Gebiete ohnehin nicht wirklich beherrscht hatte.
Entscheidend aber w ar das Prinzip. Wie immer es im einzelnen gehandhabt
wurde, das uti possidetis bedeutete den Übergang von einem inhaltlichen zu einem
formalen Kriterium für die Grenzfestlegung. Inhaltlich war ein Kriterium, wenn
es vom subjektiven Zugehörigkeitswunsch der Betroffenen ausging oder von de­
ren objektiver Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion, Sprachgemeinschaft
oder Rasse oder von irgendeinem sonstigen Merkmal oder auch einer Gruppe von
M erkmalen - der Anspruch war stets, daß die getroffene Lösung objektiv oder
subjektiv etwas mit der Konstituierung einer sich selbst bestimmenden Einheit zu
tun hatte. Und diese Einheit war nicht einfach zufällig zustandegekommen, son­
dern ergab sich aus den aktuellen, konkreten Verhältnissen heraus, auch wenn
dabei noch so große Kompromisse zu schließen waren. Die Zuordnung zu einer
selbstbestimmten Einheit mußte in irgendeiner Weise inhaltlich begründet w er­
den, so unglaubwürdig die Begründung dann auch sein mochte. Ein formales Kri­
terium hatte demgegenüber mit der Frage, um die es ging, nämlich der Bildung
selbstbestimmter Einheiten, nichts zu tun. Als spanische Kolonialbeamte im 1 6 18. Jahrhundert interne Verwaltungsgrenzen gezogen hatten, hatten sie nicht die
Absicht gehabt, selbstbestimmte Einheiten voneinander abzuscheiden, sondern
nur an verwaltungstechnisch handhabbare Territorien gedacht. Ihre Grenzzie­
hungen erfolgten unabhängig von selbstbestimmungsrelevanten subjektiven
Wünschen und objektiven M erkmalen der betroffenen Individuen.
Genau darin lag der große Vorteil des uti possidetis, freilich nur, solange man es
nicht unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Selbstbestimmung betrachtete,
sondern unter demjenigen möglichst großer Stabilität. M it Selbstbestimmung
hatte es nicht das geringste zu tun; es widersprach ihr sogar entschieden. H ier lag
denn auch das Problem, ja der immanente Widerspruch der Methode. Die Einfüh­
rung des Selbstbestimmungsrechts, unabhängig von der Frage, ob der Ausdruck
schon existierte und verwendet wurde, drohte die Welt (vorläufig ging es freilich
nur um Am erika) ins Chaos zu stürzen. Wollte man dies verhindern, so mußte
eine Einschränkung von außerhalb erfolgen. Das w ar die Funktion des uti possi­
detis. Ihm haftete etwas von einer Entscheidung durch das Los an - eine inhalt­
liche Entscheidung hätte zu endlosem Streit geführt.
Philosophisch betrachtet bestand bei den spanischen Grenzziehungen in Ame­
rika (und später auch bei anderen kolonialen Grenzziehungen durch die Euro­
päer) eine Analogie zum vor allem von John Rawls eingeführten Konzept einer
38 V gl. etw a Jorge I. Dominguez, C o n flic to s territo ria les y d em o cracia en A m erica L atin a
(B ueno s A ires 2003).
102
J ö r g Fisch
„originären Situation“ ( original position), gekennzeichnet durch den für den Ent­
scheidenden bestehenden „Schleier der U nwissenheit“ (ve il of ignorance). Die Be­
amten konnten nicht wissen, zu wessen Gunsten sich ihre Grenzziehungen künf­
tig einmal auswirken würden. Und als häufig versetzte Funktionäre wußten sie
auch nicht, auf welcher Seite der von ihnen gezogenen Grenze sie einmal leben
und arbeiten w ürden 39.
Freilich waren damit noch nicht alle Probleme gelöst, die durch die Einführung
oder auch nur Postulierung des Selbstbestimmungsrechts entstanden waren. Das
uti possidetis entschied nur darüber, welche bestehenden (Verwaltungs- und
Staats-)Grenzen zu Grenzen unabhängiger Staaten werden konnten. Es be­
stimmte aber nicht, welche der möglichen Grenzen zu wirklichen wurden. D a­
durch blieb zunächst offen, wieviele Staaten mit welchen Grenzen in den Kolo­
nien entstehen würden und damit wiederum , wie groß sie würden. In N ord am e­
rika gelang es nicht nur, alle vormals britischen Besitzungen (mit Ausnahme des
Sonderfalles Kanada) zusammmenzuhalten, sondern auch, sie enorm auszuw ei­
ten. Dasselbe galt für die portugiesischen Besitzungen in Brasilien, nicht aber für
Hispanoamerika.
Das Problem ließ sich nicht einfach mit dem Federstrich des uti possidetis lösen.
Ging man davon aus, daß Selbstbestimmung nur als Entkolonisierung möglich
w ar (was eine willkürliche Setzung bedeutete), dann w ar zw ar die Sache in der Tat
mit der Festlegung der Kolonialgrenzen als neuen Staatsgrenzen gemäß uti possi­
detis erledigt. Die Tatsache aber, daß viele Kolonialgrenzen gerade nicht zu Staats­
grenzen wurden (sonst wäre es zu einer weitreichenden Zersplitterung des Konti­
nents gekommen), mußte Versuche begünstigen, die zunächst einmal geschaffe­
nen neuen Staaten weiter aufzugliedern, durch Sezession, ob diese nun erzwungen
oder durch gütliche Einigung erfolgen würde. Gruppen, die sich als Volk verstan­
den, bislang aber über keinen eigenen Staat verfügt hatten, würden einen solchen
für sich verlangen. Das Korrelat zu jeder uneingeschränkten A usübung von
Selbstbestimmung ist, zumindest der M öglichkeit nach, die Sezession. Wer einmal
ein bestimmtes Gebiet unter Berufung auf Selbstbestimmungskriterien oder auch
nur durch die A nw endung eines Form alkriterium s aufteilt, der signalisiert damit
die M öglichkeit einer weiteren Aufteilung. Inhaltlich gesehen kann man territo­
rialen Untereinheiten, die durch A usübung von Selbstbestimmung oder auch nur
durch A n w en d un g des uti possidetis entstanden sind, schlecht eine weitere A uf­
gliederung verbieten. Der Preis für die Selbstbestimmung kann eine weitere,
schließlich fast bis ins Unendliche fortschreitende Zersplitterung sein.
39 Joh n Rawls, A th e o ry o f ju stice (L o n d o n 1972) 17 -22; 13 6-142 un d p assim .
S elb s tb e stim m u n g vor der S elb s tb e stim m u n g
103
7. Die USA und das Sezessionsverbot
H ier schlugen die Verhältnisse innerhalb Amerikas in der Mitte des 19. Jah rh un ­
derts um. Zunächst waren die U SA im Vorteil, da es ihnen gelang, die ehemals bri­
tischen Territorien, die sich 1776 zusammengeschlossen hatten, nicht nur zusam ­
menzuhalten, sondern den entstandenen Staat auch sehr stark auszuweiten. Das
war zwar oft mit neuen Schwierigkeiten verbunden. Immer wieder bildeten sich
in den U SA Bewegungen, die die Sezession als Ziel verfolgten, insbesondere im
Zusammenhang der Beibehaltung wie auch der Abschaffung der Sklaverei40.
Doch zunächst hatten sie kaum ernsthafte Erfolgschancen - bis sich die Lage
1860/1861 zuspitzte und zur Sezession der Südstaaten führte. Dadurch w urde in
zunehmendem Maße die Sklaverei zum Streitgegenstand. Der entscheidende
Punkt aber war die Frage des Sezessionsrechts, das vom Süden beansprucht und
vom Norden bestritten wurde. Der Sezessionsversuch des Südens w urde im B ür­
gerkrieg 1861-1865 in Strömen von Blut erstickt. Allerdings nur in einem B ürger­
krieg, nicht in einem Staatenkrieg. M an konnte also nicht sagen, die U SA hätten
ein völkerrechtliches Sezessionsverbot durchgesetzt. Es w ar lediglich ein staats­
rechtliches Verbot. Dennoch war die W irkung weit über die U SA hinaus ange­
sichts von deren rasch wachsender weltpolitischen Bedeutung und angesichts der
globalen A usw irkungen des Bürgerkrieges groß. Das traf ganz besonders für
Am erika zu, w o fortan praktisch ein Sezessionsverbot galt. Bis 1860/1861 w a r es
in Iberoamerika durchaus hin und wieder zu Sezessionen oder zu einvernehmli­
chen Auflösungen von Staaten gekommen. So löste sich 1830 G roßkolum bien in
Kolumbien, Venezuela und Ecuador auf. Die Dominikanische Republik sagte sich
1844 erfolgreich von Haiti los. Die zentralamerikanischen Provinzen schlossen
sich 1821 M exiko an und lösten sich 1823 größtenteils wieder von ihm, unter dem
N amen der Vereinigten Provinzen von Zentralamerika, bis sich der neue Staat
nach einem Bürgerkrieg 1838-1841 in fünf selbständige Staaten auflöste. Die
Selbstbestimmung w ar damit wirksam er als bisher auf einen einmaligen A kt der
Entkolonisierung reduziert worden. Das gilt für die U SA bis heute, ist hingegen
nicht zu wirklich allgemein geltendem Völkerrecht geworden. Dazu trugen die
USA selber bei, als sie 1903 die Sezession Panamas von Kolumbien unterstützten
und teilweise inszenierten41. Unter dem Gesichtspunkt des von den U SA sonst
favorisierten Sezessionsverbots w ar die Lage klar: Panama hatte kein Recht, sieh
von Kolumbien zu lösen, auch wenn seit der U nabhängigkeit in Panama immer
wieder Sezessionspläne geschmiedet worden waren. Die Frage, ob die Bevölke40 V gl. M ark E. Brandon, F ree in the w o rld . A m e ric an s la v e ry and c o n stitu tio n a l failu re
(P rin ceto n 1998) u. ders., Secessio n, c o n stitu tio n a lism , and A m erican ex p erien ce, in: Stephen
Macedo, Allen Buchanan (H rsg .), S ecessio n and self-d ete rm in a tio n (N e w Y o rk 2003) 2 7 2 314.
41 Z ur reich en L ite ra tu r ü b er die S ezessio n von P an am a vgl. Thomas Fischer, P an am as „ U n ­
a b h ä n g ig k e it“ . Ein h isto rio g rap h isc h e r Ü b e rb lic k , in: R üdiger Zoller (H rsg .), Panam a:
100 Ja h re U n a b h ä n g ig k e it. H a n d lu n g ssp ie lrä u m e und T ra n sfo rm atio n sp ro zesse ein er K an al­
re p u b lik (E rlan gen 2004) 2 3 -5 0 .
104
J ö r g Fisch
rung von Panama eine Sezession wollte, w ar irrelevant - sie hatte für die Festle­
gung von Grenzen unabhängiger Staaten in ganz A m erika nie eine entscheidende
Rolle gespielt. Für die U SA aber bedeutete eine Sezession Panamas die M öglich­
keit einer stärkeren Einflußnahme auf den Kanalbau, letztlich sogar die Kontrolle
des Kanals, die dann auch auf Jahrzehnte hinaus erlangt wurde. Es w ar indessen
vor wie nach dieser Episode völlig undenkbar, daß die U SA ein Recht der Glied­
staaten auf Austritt aus der U nion in ihre Verfassung aufgenommen hätten.
Der U S-B ürgerkrieg machte besonders deutlich, daß sich die Beschränkung des
Selbstbestimmungsrechts auf die Entkolonisierung keineswegs zwingend aus dem
normalen Verständnis von Selbstbestimmung ergab. Der treibende Kopf bei der
rigorosen und blutigen Durchsetzung des Sezessionsverbots für die Vereinigten
Staaten w ar Präsident Lincoln. Noch wenige Jahre vor dem Krieg hatte er ein
freies Sezessionsrecht für die US-Einzelstaaten, ja für beliebige Bestandteile eines
Staates gerechtfertigt. Im Zusammenhang des Krieges gegen M exiko meinte er am
12. Januar 1848 im Repräsentantenhaus: „Jedes Volk an jedem Ort, das den
W unsch hat und über die nötige Macht verfügt, hat das Recht, sich zu erheben und
sich der bestehenden Regierung zu entledigen und eine neue zu bilden, die ihm
besser paßt. Das ist ein höchst wertvolles, ja ein höchst geheiligtes Recht, ein
Recht, vein dem w ir hoffen und glauben, daß es die Welt befreien wird. Dieses
Recht ist auch nicht auf Fälle beschränkt, in denen das ganze Volk eines bestehen­
den Staates [government] es ausüben möchte. Jeder Teil eines solchen Volkes, der
kann, darf sich befreien [revolutionize ] und aus dem von ihm bewohnten Gebiet
einen eigenen Staat bilden [and make their own]. M ehr noch: Jede M ehrheit ir­
gendeines Teils eines solchen Volkes kann eine Revolution durchführen, indem sie
eine M inderheit unterwirft, die mit ihr vermischt oder in ihrer Nähe lebt und sich
ihrer Bewegung widersetzt." Die U S-A m erikaner seien genau so mit den A n h än ­
gern des Königs in ihrer eigenen R evolution umgegangen42.
Radikaler kann ein Sezessionsrecht kaum formuliert werden, und es ist wenig
wahrscheinlich, daß Lincoln diese Rede schon 1861 oder auch 1865 vergessen
hatte. Er w ar von der Sache her dem umfassenden Begriff des Selbstbestimmungs­
rechts, ohne den A usdruck zu kennen, schon sehr viel näher gekommen als die
Europäer.
8. Amerikanisches und europäisches
Selbstbestimmungsrecht
Damit waren bis zum Jahr 1865 in A m erika die entscheidenden Grundlagen für
das moderne Selbstbestimmungsrecht gelegt worden, im positiven w ie im negati­
ven, im einschränkenden wie im erweiternden Sinne. Nach wie vor existierte dafür
42 Abraham Lincoln, T h e co llected w o rk s, B d. 1, h rsg. v. Roy P. Basler (N e w B ru n sw ic k
1 9 5 3 )4 3 1 -4 4 2 , h ier 438.
S elb s tb e stim m u n g v o r d er S elb stb e stim m un g
105
unter den Akteuren kein das ganze Phänomen erfassender Begriff. In Europa hin­
gegen w ar inzwischen von Selbstbestimmung und Selbstbestimmungsrecht der
Völker die Rede. Auffällig ist, daß Europa in der Sache (nicht aber in der Termi­
nologie) viel, ja das meiste von A m erika übernommen hat, während Am erika
seine eigene Tradition beibehalten und den A usdruck wohl deshalb bewußt nicht
übernommen hat.
Die entscheidenden Elemente für das in Am erika herausgebildete Selbstbestim­
mungsrecht und vor allem für dessen Begrenzung waren, in der Abfolge ihres
Aufkommens: Beschränkung auf Entkolonisierung, Grenzziehung mittels For­
malkriterium (u tipossidetis) statt durch Plebiszit, oder anhand objektiver Krite­
rien, sowie Sezessionsverbot außerhalb des Rahmens der Entkolonisierung. Die
ersten beiden Elemente konnten seit 1865 als Bestandteile des amerikanischen
Völkerrechts betrachtet werden, nicht jedoch das Sezessionsverbot, das in Panama
1903 ostentativ durchbrochen wurde.
Bei systematischer statt chronologischer Betrachtung gehören das erste und das
dritte Element zusammen. Durch die Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts
auf die Entkolonisierung w ird seine Ausübung zu einem einmaligen Akt. G rund­
prinzip ist dabei das Sezessionsverbot. W ürde ein solches uneingeschränkt und zu
jeder Zeit gelten, so könnte gar nicht von Selbstbestimmung und Selbstbestim­
mungsrecht gesprochen werden, solange beides nicht einfach als Festschreibung
des status quo definiert würde. Indem Entkolonisierung erlaubt (und zuweilen
sogar geboten) wird, w ird das Sezessionsverbot durchbrochen, aber nur einmalig,
sofern davon ausgegangen werden kann, daß Entkolonisierung nicht zu einer
neuen kolonialen Situation führt, daß also die Entkolonisierung nicht Staaten ent­
stehen läßt, die noch immer oder erneut aus Teilen bestehen, die durch einen
Ozean oder eine Landmasse oder beides voneinander getrennt sind.
Die genannten Einschränkungen und Spezifizierungen bezogen sich im
19. Jahrhundert nur auf Amerika. Genauer betrachtet galten sie sogar, mit der
A usnahme von Saint Domingue/Haiti, nur für europäische Siedlungskolonien in
Am erika; auf keinen Fall galten sie für von europäischen Staaten beherrschte Ge­
biete in anderen Erdteilen, insbesondere in Afrika, sofern es sich dabei nicht um
Siedlungskolonien von Europäischstämmigen oder Mischlingen handelte. Für
eine W eiterentwicklung des Selbstbestimmungsrechts oder auch nur für seine er­
neute A nw endung nach der Unabhängigkeit der amerikanischen Staaten bestand
also keine Gelegenheit. Das galt, für das so definierte Selbstbestimmungsrecht,
mit kleineren Ausnahmen bis nach dem Zweiten Weltkrieg. Freilich nur, wenn
man sich genau an das amerikanische Vorbild hielt. Das w ar nicht der Fall und
zeigte sich nicht zuletzt in der Entstehung des Begriffs ,Selbstbestim mungsrecht‘
nach der Mitte des 19. Jahrhunderts innerhalb Europas. Dabei wird ein Grund da­
für sichtbar, daß die Vorgänge in Europa eine andere Bezeichnung erhielten als in
A m erika und daß Am erika, selbst nachdem der prägnante A usdruck des Selbst­
bestimmungsrechts der Völker geläufig geworden war, ihn nicht aufgriff für die
Bezeichnung der eigenen Tradition. In Europa war nirgends eine Entkolonisierung
im hier definierten Sinne möglich, weil die Herrschaftsgebiete eines Staates in aller
106
J ö r g Fisch
Regel miteinander zusammenhingen oder wenigstens nur geringe Zwischenräume
aufwiesen. Also konnten die Selbstbestimmung und das Selbstbestimmungsrecht
auch nicht auf Entkolonisierung beschränkt werden, wenn man denn überhaupt
von solchen Vorgängen sprechen wollte. Sonst waren die beiden Begriffe gar nicht
anwendbar auf Europa. Das bedeutete für das Sezessionsverbot, daß es keine kla­
ren Grenzen kannte. Entweder es wurde strikt eingehalten - dann war jegliche
Sezession außerhalb des kolonialen Zusammenhangs ausgeschlossen, und von
Selbstbestimmung konnte nicht die Rede sein, oder aber die Sezession w urde
grundsätzlich erlaubt - dann m ußte mit beliebiger Aufspaltung bestehender Staa­
ten gerechnet werden. Ähnliches galt für das Form alkriterium für die Abgrenzung
neuer Staaten. Wenn nach Auffassung der Beteiligten eine Entkolonisierung er­
folgte, dann bot sich die Ü bernahm e der Kolonialgrenzen an. Konnte man nicht
von Kolonien sprechen, so fiel es schwer, ein anderes Formalkriterium zu finden.
Erst im späten 20. Jahrhundert w urde ein teilweiser Ersatz in der Gestalt von Ver­
waltungsgrenzen innerhalb europäischer Staaten gefunden.
Die Folgen der unterschiedlichen Voraussetzungen für das Selbstbestimmungs­
recht in A m erika einerseits und in den übrigen Kontinenten andererseits waren
beträchtlich. Das in A m erika entwickelte Selbstbestimmungsrecht hatte in Eu­
ropa andere, begrenztere W irkungen, weil nicht von Entkolonisierung die Rede
sein konnte - letztlich scheiterte es hier sogar. Es gelang nicht, mit seiner Hilfe in
Europa eine stabile Staatenordnung zu errichten, wie sich insbesondere nach den
beiden Weltkriegen zeigte. In A m erika w ar durch die drei Prinzipien ein realisti­
sches Ziel vorgegeben, auch, ja gerade weil sie einander widersprachen. Wenn es
zu Auseinandersetzungen und sogar zu Kämpfen kam, dann ging es um die Ver­
w irklichung der Entkolonisierung, des uti possidetis und, in der Regel jedenfalls,
des Sezessionsverbots. Umstritten w ar dabei die Durchführung, nicht das Prinzip,
also etwa der Verlauf einer Grenze oder die Modalitäten einer Entkolonisierung,
nicht das grundsätzliche Recht und später sogar die Pflicht dazu. In Europa hin­
gegen konnten die Neuordnungen nach beiden Weltkriegen nicht auf solche P rin­
zipien reduziert werden. Von Entkolonisierung konnte weder 1919 noch 1945 die
Rede sein; die Grenzziehungen hatten erst in den Jahren seit 1989 teilweise etwas
mit dem uti possidetis zu tun, und von einem generell geltenden Sezessions verbot
kann bis in die Gegenwart nicht die Rede sein. Besonders deutlich wird das etwa
in der Gegenüberstellung von Panama, das 1903 in A m erika einen Sonderfall bil­
dete, und Kosovo, das 2008 am Ende einer ganzen Reihe von Sezessionen in Eu­
ropa stand.
Das in Am erika entwickelte Selbstbestimmungskonzept mußte in Europa
scheitern, weil die in A m erika gegebenen Voraussetzungen nicht erfüllt waren:
Innerhalb Europas bestanden keine Kolonien im hier definierten Sinne; ein uti
possidetis w ar nicht anwendbar, weil die Grenzen nicht Resultat einmaliger Akte
einer Kolonialverwaltung waren, sondern in fast jedem Kilometer Resultat einer
komplizierten Geschichte, und weil schließlich die Zurückweisung eines Rechts
auf Sezession angesichts von Gruppen, die schon lange eine beträchtliche Eigen­
ständigkeit zeigten, sehr viel schwerer fiel als bei vergleichsweise jungen Völkern.
S e lb s tb e stim m u n g v o r d er S elb s tb e stim m u n g
10 7
All dies galt prim är für den Kontrast zwischen Europa und Am erika. Im Vergleich
Amerikas mit Afrika und Asien w ar der Kontrast weniger stark und bei der Ent­
kolonisierung sogar inexistent.
A m Ende des Zweiten Weltkrieges w urde das Selbstbestimmungsrecht als m ög­
liches Prinzip der europäischen Staatenordnung sogar bewußt aufgegeben und
teilweise durch ein ganz anderes Prinzip ersetzt: Die Staaten wurden dabei nicht
der Bevölkerung angepaßt, sondern man paßte die Bevölkerung den Staaten be­
ziehungsweise deren Grenzen an. M an zog also zunächst die Grenzen, die sich als
Folgen des Krieges und damit der Machtverhältnisse ergeben hatten und nahm d a­
nach Umsiedlungen vor, um die (in der Regel von der Sprache ausgehende) Eintei­
lung der Bevölkerung dem anzupassen. N un konnte man auch von den in A m e­
rika entwickelten drei Kriterien nicht behaupten, sie stellten die Verwirklichung
der Selbstbestimmung dar. Sie ließen sich vielm ehr nur deshalb handhaben, weil
sie gerade nichts mit Selbstbestimmung zu tun hatten und statt dessen deren anar­
chische Konsequenzen eindämmten. In Europa aber hatte die neue Methode nicht
nur nichts mit Selbstbestimmung zu tun, sondern es handelte sich ganz klar um
deren Gegenteil, um Fremdbestimmung.
Der Zweite Weltkrieg führte also zum Ende dessen, was in Europa seit der
Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend als Selbstbestimmung und als Selbstbe­
stimmungsrecht bezeichnet wurde. Anders die amerikanische Tradition, die nun
mit der europäischen Terminologie verbunden w urde und mit ihr große Erfolge
feierte. A m erika stellte ein praktikables Verfahren zur Verfügung, das sich w eitge­
hend unverändert übernehmen ließ, während Europa mit dem Selbstbestim­
mungsrecht der V ölker das zündende Schlagwort lieferte, das schließlich 1966 so­
gar w eltw eit als oberstes Menschenrecht kodifiziert wurde.
In den zentralen Punkten bestand Ü bereinstim m ung zwischen der ersten und
der zweiten Entkolonisierung, auch wenn in einer nicht auf die Selbstbestimmung
bezogenen Frage ein wichtiger Unterschied bestand: Erst nach 1945 erfolgte eine
Universalisierung in dem Sinne, daß das Kriterium für die Entkolonisierung nur
noch die räumliche Distanz, nicht mehr die Flautfarbe, die Abstam m ung oder die
Sprache etc. war. Anspruch auf Entkolonisierung hatten also nicht mehr nur euro­
päische Siedlungskolonien, sondern alle über eine größere Distanz hinweg be­
herrschten Gebiete und Völker. Es kam sogar sehr rasch zu einer U m kehrung: als
illegitim und ohne Anspruch auf ein Selbstbestimmungsrecht galten nun europäi­
sche Siedlungskolonien in Übersee, während alle von Europäern in Übersee be­
herrschten Gesellschaften, die überwiegend aus Eingesessenen bestanden, nun ei­
nen zwingenden Anspruch auf Unabhängigkeit hatten.
Die Übereinstim mung der zweiten mit der ersten, amerikanischen Phase der
Entkolonisierung zeigte sich in allen drei zentralen Kriterien. A m deutlichsten
war sie in der Entkolonisierung. Diese war nach Auffassung vieler Führer der
Dritten Welt, und sie w ar vor allem faktisch ein einmaliger Akt. N ach diesem kam
eine weitere Aufsplitterung ebensowenig in Frage wie die Loslösung von US-Einzelstaaten von der U nion zur Debatte stand - das Sezessionsverbot war selbstver­
ständlich. Die A bgrenzung der neugebildeten Staaten erfolgte gemäß uti posside-
108
J ö r g Fisch
tis, wenngleich dieser Fachausdruck nur selten verwendet wurde. Insbesondere in
Afrika w urde die Heiligkeit der Kolonialgrenzen zur Grundlage der internationa­
len Beziehungen schlechthin, nicht etwa obwohl, sondern weil die ethnischen,
sprachlichen und sonstigen Verhältnisse so kom pliziert waren. Es ist bezeichnend,
daß gerade in Afrika im m er wieder der R uf nach gerechten oder angemessenen
Grenzen ertönt, daß aber niemand ernsthaft glaubt, daß es möglich sein könnte,
einen allgemein akzeptierbaren Vorschlag für eine N euordnung zu machen.
Natürlich setzte sich das amerikanische Vorbild nicht uneingeschränkt durch,
so w ie die herausgebildeten Grundsätze ja auch in A m erika verletzt wurden, ins­
besondere bei der Sezession Panamas. Dennoch konnte man von einer Universalisierung des amerikanischen Modells sprechen. Nach wie vor hatte hingegen
A m erika für die eigene Tradition die europäische Terminologie nicht übernom ­
men, obwohl sie ohne jeden Zweifel viel zugkräftiger war. ,U nabhängigkeit“
w urde nicht durch Selbstbestimmung und Selbstbestimmungsrecht ersetzt. A u f
der anderen Seite w ar die Durchsetzung der Selbstbestimmungs/wrazjp/e« in Eu­
ropa anders als in A m erika und später in der Dritten Welt gescheitert. Das mochte
zu Zurückhaltung bei der Übernahm e der Terminologie geführt haben. Durch die
Ü bernahm e der Selbstbestimmungsterminologie für ihre eigene Tradition hätten
die A m erikaner diese Tradition tendenziell entwertet.
Voraussetzung für die D urchführung dessen, was man als amerikanisches M o ­
dell des Selbstbestimmungsrechts bezeichnen könnte, war das Vorhandensein von
Gebieten mit kolonialer Situation. O hne Entkolonisierung keine Selbstbestim­
mung in amerikanischer Manier. Doch die Selbstbestimmung und das Selbstbe­
stimmungsrecht waren inzwischen in den Rang universaler Prinzipien erhoben
worden. Sie galten laut den Menschenrechtspakten von 1966 für alle Völker, nicht
nur für alle Kolonialvölker. M an konnte die Selbstbestimmungsformel nicht ein­
fach aus dem Verkehr ziehen. So setzte nach dem Ende der Entkolonisierung der
Versuch ein, das amerikanische Modell den neuen Gegebenheiten anzupassen.
A m leichtesten fiel die A npassung des uti possidetis : An die Stelle der übersee­
ischen Kolonialgrenzen bei der Auflösung der Kolonialreiche traten die internen
Verwaltungsgrenzen bei der Auflösung von Föderationen: in der Sowjetunion, in
Jugoslawien und in der Tschechoslowakei. A uch sonst lassen sich die G rundprin­
zipien des amerikanischen Modells relativ leicht anpassen, während bei der
Durchführung im einzelnen größere Schwierigkeiten entstehen. An die Stelle des
ersten Prinzips, der Entkolonisierung, ist die Auflösung von föderalistisch aufge­
bauten Staaten getreten. Welche Staaten aber gelten als föderalistisch aufgebaut
und damit, unter Verzicht auf das Sezessionsverbot, als rechtmäßigerweise auflös­
bar? Es fällt leichter zu bestimmen, welche Staatsteile geographisch deutlich von­
einander getrennt sind, als zwischen Föderationen und Nichtföderationen zu u n ­
terscheiden. Die Wahrscheinlichkeit, daß schließlich jeder Staat als seinen inneren
Verwaltungsgrenzen entlang auflösbar gilt, ist groß. Dasselbe gilt für die fort­
schreitende Auflösung eines Staates in immer kleinere Bestandteile. Das ist beson­
ders deutlich geworden in Kosovo, das keine jugoslawische R epublik war, son­
dern Teil einer solchen und trotzdem unabhängig wurde. Es gilt auch in der ehe­
S e lb s tb e stim m u n g v o r der S elb stb e stim m u n g
10 9
maligen Sowjetunion, in der Territorien, die lediglich Teile früherer Sowjetrepu­
bliken sind, U nabhängigkeit für sich beanspruchen, etwa Tschetschenien, Südossetien, Abchasien, Transnistrien oder Tatarstan.
Die Gefahren, die mit dieser Anpassung des in A m erika entwickelten Konzepts
verbunden sind, liegen auf der Hand. Das G rundproblem hat sich nicht verän­
dert: Selbstbestimmung und das Selbstbestimmungsrecht bilden ein anarchisches
Prinzip, das, soll es nicht die Staatenordnung zerstören, gebändigt werden muß.
A m erika hat für die B ewältigung des Problems, und damit für die Bändigung der
Anarchie, ein ungewöhnlich erfolgreiches M odell entwickelt. Es verbindet das
uneingeschränkte, absolute Recht auf Unabhängigkeit mit drei harten Einschrän­
kungen, die das Recht handhabbar machen: Entkolonisierung, uti possidetis und
Sezessionsverbot. Kernstück ist die Entkolonisierung, die aber seit den 1980er
Jahren abgeschlossen ist. Das hat eine Anpassung erforderlich gemacht, die ihrer­
seits keineswegs abgeschlossen ist. Feststehen dürfte aber, daß eine erfolgreiche
Lösung nur mit dem - wenn auch abgewandelten - amerikanischen M odell m ög­
lich ist; das europäische Modell ist spätestens im Zweiten Weltkrieg gescheitert.
Die Chancen für das amerikanische M odell, das primär ein hispanoamerikanisches ist, stehen wesentlich besser. Sie sind allerdings durch die Übernahme der
europäischen Tradition in der Form der Selbstbestimmungsterminologie wieder
gemindert worden. In der Kodifikation von 1966 hat sich die uneingeschränkte
Rede vom Selbstbestimmungsrecht aller Völker durchgesetzt. Die drei Einschrän­
kungen Entkolonisierung, uti possidetis und Sezessions verbot sind dabei nicht er­
wähnt worden. Sie nachträglich rechtsgültig einzuführen und durchzusetzen,
würde schwer fallen und wäre unpopulär.
Summary
T oday’s right of self-determination is based on the sovereignty of the people. The
first state to be built upon it was the United States. But its main foundation was
the traditional right of resistance against an unjust ruler. The right to self-determination, however, belongs to a people not because it has been maltreated but just
because it is a people. This doctrine was developed not b y the U S Declaration of
Independence but b y the H ispano-American declarations during the first decades
o f the 19th century. This far-reaching right threatens the international order by
allowing each group which considers itself as a people to found an independent,
sovereign state. In order to contain such anarchical consequences three mechan­
isms w ere developed in America:
1. The right to self-determination was reduced to cases of decolonisation and
restricted to European settlers and their offspring.
2 . The borders of new states were drawn neither along ethnic, linguistic or other
objective lines nor according to the results of plebiscites but strictly followed the
lines drawn in earlier times by European colonial powers. This was the doctrine of
uti possidetis, developed in Flispano-America.
110
J ö r g Fisch
3.
Once decolonisation had been achieved, there was a strict prohibition of
secession, especially after it had been entrenched b y the A merican Civil War.
The three principles were incompatible with the central idea of the people’s
right to self-determination, as they were much more restrictive. But they allowed
to maintain international stability, which was far greater in America than in Eu­
rope where there was neither decolonisation nor uti possidetis. O n ly in the late
20 th century an analogy was constructed between the dissolution of federations
(U SSR and Yugoslavia) and decolonisation.
III. Die Zeit der Weltkriege
Jost Dülffer
Die Diskussion um das Selbstbestimmungsrecht
und die Friedensregelungen nach den W eltkriegen
des 20. Jahrhunderts
W ir schreiben das Jahr 1944. Der bekannte britische H istoriker Alfred Cobban
veröffentlichte ein schmales Buch: „The Nation State and National Self-Determi­
nation“. Das bildet eine bis heute für unser Thema lesenswerte Materialsam m ­
lung, die zugleich anregende Reflexionen bietet. Sein Schluß1:
„Consciously or unconsciously, b y wrapping up national sovereignty in the
idealistic language of self-determination the peacemakers concealed from them­
selves the flaw in the system they had created. W hen the m any failures to apply
self-determination consistently and im partially were discovered, and perhaps
exaggerated, the idealism seemed to be torn aw ay from the peace settlement, and
the conflict between national sovereignty and the League assured its true place in
the fundamental issue presented to the world, the vital question that had not been
settled in 1919, and was to be still unsettled in 1939.“
Dieser Fundam entalkritik an der Gültigkeit von Selbstbestimmung in der Frie­
densregelung nach 1919 kann man auch heute noch zustimmen. Das gilt auch für
den Nachsatz über die daraus bis 1939 erwachsenen Probleme. Wenn man sich
verdeutlicht, daß Cobbans Kritik aus dem Verlauf des Zweiten Weltkriegs ent­
stand, gibt dies einen Anhaltspunkt dafür, daß der Begriff „self-determination“,
Selbstbestimmung, nach dem Zweiten Weltkrieg kaum oder gar nicht auftauchte:
Die Friedensmacher hatten aus der Geschichte gelernt und handelten anders als
nach 1918. W äre dies wirklich so einfach, dann könnte der Beitrag hier enden:
„Fehlanzeige“ wegen historisch erwiesener Unzulänglichkeit.
Wie zumeist: Es w ar so ähnlich, aber doch komplizierter. Der Begriff w urde aus
Ü berzeugung und aus taktischem Glauben im Ersten Weltkrieg fast inflationär
gebraucht. Daß er vieldeutig, situations- und interessengebunden war, hat er mit
allen politischen Begriffen gemein. Das w ird zunächst (I.) an einigen Beispielen
dargelegt. Sodann geht es II. exemplarisch um die A nwendung in der konkreten
1 A lfred C obban, T h e N atio n -S ta te and N a tio n a l S elf-D eterm in atio n (L o n d o n 1944), h ier
z itie rt nach d er am erik an isc h e n A u flag e (C h ic a g o 1947) 33; im fo lgen d en z itiert: Cobban,
N a tio n -S tate. D as Z itat b lieb erh alten in d er re v id ierten A u fla g e L o n do n 1969 (rev ised e d i­
tio n ) 83.
11 4
Jo s t D iilffer
Friedensregelung nach dem Ersten Weltkrieg. Ein III. Abschnitt wird zeigen, wie
der Begriff in der Zwischenkriegszeit vollends zum agitatorischen Passepartout
verkam, so daß ihn im Zweiten Weltkrieg kaum noch ein Politiker in der letztlich
siegreichen Kriegskoalition verwenden wollte. Stattdessen kamen (IV.) syno n ym e
Begriffe auf, die nicht zuletzt dem Kriegsverlauf und der im Vergleich zum Ersten
Weltkrieg ganz anders gearteten Kriegskoalition geschuldet waren.
I.
Einen guten Indikator gibt die geplante private Stockholmer Friedenskonferenz
von 1917 ab, die letztlich nicht zustande kam. Dennoch w urde von der gleichsam
neutralen skandinavisch-holländischen Zentrale der Internationalen Sozialisti­
schen Kommission eine A rt H earing veranstaltet2. Die Organisatoren hatten hier­
für am 15. M ai einen Fragenkatalog ausgegeben, in dem Selbstbestimmung als eine
A rt regulative Idee hoch angesiedelt war. Der N iederländer Pieter Troelstra kam
in den konkreten Gesprächen auch wiederholt darauf zu sprechen, daß dies zum
Program m gehöre:
„Friedensbedingungen a) Allgemeine Grundlagen des Friedens: Selbstbestim­
mungsrecht der Nationen, Autonom ie der Nationalitäten, Annexionen, KriegsEntschädigungen, Wiederherstellung, b) A nw endung dieser Prinzipien in den
konkreten Fällen? 1. Belgien, Serbien, andere Balkanstaaten, Polen, Finnland,
Elsaß-Lothringen, N ord-Schleswig, Armenien. 2. Lithauen, Ukraine, Tjechen
[Tschechen], Juden. 3. Die Kolonien.“
Das hieß zugleich, man werde mit den anreisenden Delegationen nicht das ab­
strakte Prinzip, sondern die konkrete A nw endung für strittige Fälle besprechen.
Der Franzose Albert Thomas, Sozialist und Rüstungsminister, ging bereits im
Vormonat selbstverständlich von der R ückkeh r Elsaß-Lothringens an Frankreich
aus, hatte aber schließlich nichts gegen consultations der Elsässer auf Grundlage
der Prinzipien der französischen Revolution - wobei offenblieb, was damit genau
gemeint gewesen sei. Die deutschen MSPD-Vertreter argumentierten dagegen,
daß sich die Elsässer, so auch die Sozialdemokraten, vor dem Krieg zum Reich be­
kannt hätten, 90% sprächen ja auch deutsch. Wenn man eine A bstim m ung for­
dere, sei das in Deutschland innenpolitisch kaum durchsetzbar; das werde den
Krieg verlängern. Gleich zu Beginn der Besprechungen meldete Philipp Scheide­
mann Bedenken an: „Der Begriff [Selbstbestimmung] scheint mir dehnbar. O rga­
nisiertes Staatswesen kann darunter verstanden werden. ,Völker* kann auch ge­
meint sein. Wie weit soll man dann gehen? Die ,Nationalitäten' und ihre A uton o ­
mie forderten auch eine Begriffsbestimmung. Versteht man kulturelle A utonom ie 2 D ie S to c k h o lm er F ried e n sk o n fere n z, o n lin e -E d itio n d u rc h M artin Grass', http://
w w w .g o o g le .co m / g w t/ n ?u = h ttp % 3 A % 2 F % 2 F la b o u rh isto ry .n e t % 2 F s to c k h o lm l 9 1 7 % 2 F d o cu m en ts% 2 F in d ex .p h p , N u m m e rie ru n g d e r ca. 150 D o k u m en te d o rtselb st au s la b o u rh isto ry.c o m . - D ie fo lgen d en Z itate h ierau s; fre u n d lic h e r H in w e is von G o ttfried N ied h a rt.
D ie D isku ssio n um das Selb stb e stim m u n gsrec h t nach den W eltk rie gen
115
z. B. bei den Tschechen - oder meint man eine Autonom ie im anderen Sinne?“ Bei
Elsaß-Lothringen fuhr sich die Debatte des Stockholmer Büros mit den D eut­
schen daran fest, daß die öffentliche Meinung auf beiden Seiten die Zugehörigkeit
der Elsässer verlangte. Sollte ein Schiedsgericht aus Neutralen entscheiden, ggf.
einen Gebietsaustausch mit Kolonien beschließen? Das schlug der Niederländer
H. van Kol schließlich vor. Scheidemann wehrte sich nachdrücklich: „Wenn die
Franzosen weiter die Stellung einnehmen, die sie bisher einnahmen, dann be­
fürchte ich fast, daß eine Verständigung nicht möglich ist. Die Franzosen haben
sich ihrer Regierung angeschlossen und diese will Els[ass]Lothringen wieder ha­
ben. W ir lassen uns nicht von nationalen Strömungen leiten. W ir haben Stellung
genommen gegen den Chauvinismus in unserem Lande. W ir wären als Partei erle­
digt, wenn w ir die Els[ass]Lothringer deutscher Kultur gegen N eger austausch­
ten.“ Fiermann M o lkenbuhr legte nach. N icht die Elsaß-Lothringer verlangten
eine Abstim m ung, sondern Briten und Franzosen. Im gleichen Monat kamen
auch Vertreter der USPD nach Stockholm. In ihrer vorbereiteten Erklärung vom
22. Jun i 1917 w urde klar, daß nationale Selbstbestimmung gegenüber der länger­
fristig angestrebten sozialistischen U m gestaltung sekundär war, aber eine nahe lie­
gende Frage im Krieg sein könnte:
„Die innere Politik eines Staates ist daher keineswegs eine gleichgültige Sache
für die anderen Staaten und schon gar nicht für die Internationale. Der inneren
Politik weisen w ir die Lösung der meisten Fragen zu, deren Lösung dem Welt­
krieg zugewiesen wurde. Sie hängt ab vom Fortschritt der Demokratie, von der
Machtentfaltung und inneren Selbständigkeit des Proletariats.“
So könne z.B . Rumänien zum Territorialstand vor den Balkankriegen von 1912
zurückkehren. A ber auch für die A rm enier müsse man aus Gründen der Gerech­
tigkeit nationale Selbstbestimmung und Selbstverteidigung fordern. Für Kolonien
komme derzeit wohl nur der Wechsel von einer fremden Souveränität zu einer an­
deren infrage:
„Es w äre sinnlos, dafür den Grundsatz der Selbstbestimmung der Nationen
und der Intrigität [Integrität] des nationalen Bodens anzurufen. U nd die Verlän­
gerung des Krieges um Kolonien Besitzes willen ist noch widersinniger als die, um
Grenzveränderungen im Sinne nationaler Befreiung in Europa herbeizuführen.
A uf diesem w ie auf jedem Gebiet verlangen wir, daß der Friede ein Friede der Ver­
ständigung ist.“
Das Stockholm er Büro seinerseits gestand den Finnen wegen kultureller und
sprachlicher Andersartigkeit gegenüber den Russen gern nationale Selbstbestim­
mung zu. Delegationen zahlreicher muslimischer Regionen traten auf und forder­
ten Autonom ie bzw. Selbstbestimmung, so auch explizit muslimische Inder. Eine
Variante legten die Zionisten von Poale Zion vor, gerade im Zeichen der Selbstbe­
stimmung forderten sie freie Betätigung für Zionisten. Ihr Vertreter führte aus:
„Wir verlangen daß die Erde d[er] M enschheit gehört. Deshalb verlangen wir
freie Kolonisation in allen Ländern. Wirksame Durchführung d[er] Pol[itik] d[er]
offfenen] T hür u.s.w. Die Kolonialpolfitik; gemeint: Kolonisationspolitik] ein
dem o kratisch es] Verlangen. Palästina kann auf Grund d[er] L an d w irtsch aft] 4
116
Jo s t D ülffe r
M illio n e n ] Menschen ernähren. N un giebt’s da nur 1 Million. W ir wollen nie­
mand verdrängen. W ir wollen nur Betätigungsfreiheit.“
M it diesen Positionen haben w ir bereits einen guten Überblick über die prakti­
sche Debatte nach dem Waffenstillstand gewonnen: 1. Selbstbestimmung chan­
gierte zwischen Autonomie, die je nachdem kulturell, politisch oder ökonomisch
gesehen werden konnte, und völliger staatlicher Unabhängigkeit. Im finnischen
Fall w urde die Andersartigkeit der Finnen als Kriterium für letztere angesehen.
2. Es gab in den Nationen - so im Deutschen Reich und Frankreich - öffentlich
sehr fest verankerte Vorstellungen, was denn mit einer bestimmten Bevölkerungs­
gruppe geschehen sollte - nämlich die bleibende oder geänderte Inkorporierung
in die eigene Nation. Für die Elsaß-Lothringer w urde u.a. deswegen kein Plebis­
zit im Frieden anberaumt (die W iedergutm achung „historischen“ Unrechts war
das andere). 3. A uch Sozialisten - hier die U SPD - sahen das relative Funktionie­
ren von Staatlichkeit gegenüber anderen und damit den Befriedungsakt als w ich ­
tiger an als Selbstbestimmung. Das lag am Vorrang der später zu schaffenden
internationalen proletarischen Solidarität. 4. O riginell w ar die zionistische Idee,
zur Selbstbestimmung durch freie Kolonisation in einem wenig besiedelten Lande
beitragen zu können. 5. Die eigentlichen Kolonien gerieten zw ar in den B lick­
punkt, aber hierfür gab es noch kaum europäische Ideen in Richtung auf Selbstbe­
stim mung; auf der Agenda waren sie allerdings. 6 . Von europäischen Minoritäten
- hier vor allem Österreich-Ungarns - bis zu M uslim en und dabei außereuropäi­
schen Ethnien gab es eine Vielfalt an Vorstellungen, daß die eigene wie auch immer
beschriebene U nterdrückung verringert werden oder aufhören müsse - Selbstbe­
stim m ung w ar hierfür ein noch unbekannter oder viel zu hoch gegriffener Begriff.
Das führte zu den Schwierigkeiten der Politik im Ersten Weltkrieg. Seit Beginn
kämpfte Großbritannien für die U nabhängigkeit kleiner, „vergewaltigter“ Staaten
~ Belgien und Serbien waren die ersten. J e länger der Krieg dauerte, desto mehr
wurde die Revolutionierung einzelner Gegner oder der Gegnerkoalition zu einem
Teil der Kriegführung, nicht nur der psychologischen, sondern auch der militäri­
schen. Das galt für die Versuche der M ittelmächte ab 1916 in der polnischen Frage,
dann ab 1917 gegenüber dem revolutionären R ußland, auch des zarischen R u ß ­
lands in der polnischen Frage, sodann der Entente gegenüber Ö sterreich-Ungarn
und seinen Nationen, Großbritanniens gegenüber den Arabern im Osmanischen
Reich. Exilpolitiker in Paris, London und Washington taten ein übriges, um ihre
Rechte zu fördern. Auf diese Lobby w iederum konnten die Regierungen setzen.
Kurz: Der säkulare Trend zur Bildung von Nationalstaaten kam im Weltkrieg, der
wie auch sonst als Beschleuniger von Entwicklungen gelten kann, voll zum Tragen
- und damit auch der Begriff der Selbstbestimmung.
W o odrow Wilson hatte 1917 in seiner Kriegsbotschaft erklärt, es gehe darum,
„the w orld must be made safe for d em o cracy“ und sprach in den beiden folgenden
Jahren immer wieder von Zielen w ie self-governm ent oder free governm ent.
Darin kam ein Strang seines Denkens zum A usdruck, den man als Ü bertragung
der inneramerikanischen Verfassung auf den Rest der Welt betrachten könnte. Das
w ar aber nur eine Seite des ja historisch bestens ausgewiesenen Präsidenten. Llo yd
D ie D is k u s s io n um das S elb stb e stim m u n gsrec h t nach den W eltk rie gen
117
Ambrosius hat gezeigt, daß Wilson bei der Selbstbestimmung, die oft mit dem
Prädikat „national“ versehen wurde, das amerikanische Beispiel vor Augen hatte.
Er ging von seiner Nation aus, für die er beobachtet hatte, welche Integrations­
kraft in ihr nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg gesteckt hatte. Diese Integrati­
onskraft glaubte er auch, wie naiv das immer gedacht war, nach außen hin zur Gel­
tung bringen zu können. N u r handelte es sich beim C iv il War um Selbstbestim­
m ung in einem existierenden Staat und nicht um die Staatsbildung, die anderswo
erst vollzogen werden müsse. Jedenfalls w ar Wilson nicht der Meinung, mit selfdeterm ination ein Passepartout für die Weltgeschichte gefunden zu haben. Bei den
Philippinen war er sich bereits um die Jahrhundertwende sicher, daß sie noch
nicht die nötige Reife zur Selbstbestimmung hätten und die US-Intervention ins
bolschewistische Rußland beruhte gerade auf der Idee, daß die neuen Machthaber
nicht die geeigneten Träger von Selbstbestimmung seien, so daß man deren Fin­
dung von außen befördern müsse3. Dieser in die Zukunft projizierte „historicist“
Ansatz des US-Präsidenten erklärt vieles, was man ihm sonst als Naivität, U n ­
kenntnis vorgeworfen hat. Vor allem wird damit das oft unterstellte „eigentliche“
Kriterium zur Unterscheidung von Nation, nämlich Sprache, deutlich relativiert,
wenn nicht falsifiziert.
Daß sich der Begriff Selbstbestimmungsrecht zu einem solchen Schlüsselbegriff
entwickelte, hatte zunächst nichts mit Wilson zu tun. In seiner Kongreßrede vom
8 . Januar 1918, in welcher er sein 14-Punkte-Program m darlegte, kam der Begriff
gar nicht vor4. Einige Territorien mußten nach diesen Punkten schlichtweg wieder
hergestellt werden; für die österreich-ungarische Monarchie hieß es geradezu ge­
genläufig, den Völkern „sollte die freieste Gelegenheit zu autonomer Entwicklung
gewährt w erd en “. Erst in seinen nachfolgenden Reden und Erklärungen ver­
wandte er den weiter gehenden Begriff Selbstbestimmungsrecht -■ in den vier
Grundsätzen vom 11. Februar, den vier Zielen vom 4. Juli, den fünf Punkten vom
27. September. „Herrschaft des Rechtes, gegründet auf die Zustimmung der R e­
gierten“ - so am 4. Juli ganz im A nklang an die US-U nabhängigkeitserklärung. In
dieser Rede führte er zugleich eine neue Berufungsinstanz ein, die Weltöffentlich­
keit: „und gestützt durch die organisierte M einung der M enschheit“5. W ider­
3 Lloyd Am brosius, D ilem m as of N a tio n a l S elf-D eterm in a tio n : W o o d ro w W ils o n s L eg acy,
in: L’e tab lissem en t des fro n tieres en E urope apres les d eu x gu erres m o n d iales / T h e E sta­
b lish m en t o f E u ro p ean F ro n tiers after the T w o W o rld W ars, h rsg. v. C arole Fink (B ern u .a .
1996) 2 1 -3 6 ; V gl. eb d.: William R. Keylor, T h e P rin c ip le o f N atio n a l S elf-D eterm in atio n as a
F acto r in the C re a tio n o f P o stw ar F ro n tiers in E u ro p e, 1919 and 1945, 3 7 -5 4 (hier: 3 7 -4 1 ),
im fo lgen d en z itie rt: Keylor, P rin c ip le; Derek Fleater, N a tio n a l S elf-D eterm in atio n . W o o ­
d ro w W ilso n and his L e g ac y (H o u n d sm ill 1994) bes. 2 8 -5 2 ; im fo lgen d en z itiert: Fleater,
S elf-D eterm in a tio n ; ü b erzeu g en d je tz t Frez M anela, T h e W ilso n ian M o m en t. S elf-D eterm in ation and the In te rn a tio n a l o rigin s of A n tic o lo n ia l N a tio n alism (O x fo rd 2007); Cobban,
N atio n -S ta te 6 2 -6 6 .
4 Jam es Brown Scott (H rsg .), O fficial S tatem en ts on W ar A im s and Peace P ro p o sals, 1 9 161918 (W ash in g to n 1921).
5 D ie R ed e ex z e rp te b eq u em au f deu tsch in: U rsach en un d F o lgen vom d eu tsch en Z u sam ­
m en b ru ch 1918 u n d 1945 bis zu r staatlich en N eu o rd n u n g D eu tsch lan d s in d er G egen w art.
118
Jo s t D iilffer
sprüchlich war dies alles - und es war vor allem nicht originell. Das waren aller­
dings die russischen Revolutionäre, die mit der Oktoberrevolution eine neue
Qualität von internationaler Politik begründen wollten. Schon Lenins D ekret
über den Frieden vom 25. 10./8. 11. 19176 enthielt die Forderung nach Selbstbe­
stimmung, und mehrere ähnliche Bekundungen liefen auf das Ziel „eines dem o­
kratischen Friedens ohne Annexionen und Kontributionen mit der Garantie des
nationalen Selbstbestimmungsrechts“ hinaus - so im Friedensangebot an die
kriegführenden Mächte vom 28. N ovem ber7. Demokratie, Frieden und Selbstbe­
stim mung als Schlüsselbegriffe hatten jedoch für den um Durchsetzung im eige­
nen Land ringenden Lenin und die Bolschewiki prim är taktischen Charakter als
Kampfmittel nach innen und nach außen. Der Appell an die arbeitenden Massen,
an das internationale Proletariat zielte nicht auf bürgerliche Demokratie, sondern
auf eine weltweite Revolution, welche auch die bisherigen Staaten abschaffen
würde. Dieser sowjetische Appell setzte mit hoher Suggestivkraft bei allen Kriegführenden emotionale Kräfte frei.
Vor W oodrow Wilson äußerte sich aber noch David L lo yd George in einer gro­
ßen Rede am 5. Januar 1918. Als er die wiederherzustellenden Länder aufzählte,
benutzte er den Begriff Selbstbestimmung nicht, erwog nur hier und da, daß be­
freite Länder - zumal im Osmanischen Reich - nicht unter ihre alte Herrschaft
zurückkehren könnten. Erst beim U m gan g mit den deutschen Kolonien hieß es,
„die allgemeinen Grundsätze der nationalen Selbstbestimmung sind daher in ih­
ren Fällen ebenso w ie in denen der besetzten europäischen Gebiete anwendbar“.
In drei H auptforderungen zugespitzt formulierte der britische Premierminister
nachdrücklich als 2 . Punkt: „Schlichtung von Gebietsfragen auf der Grundlage
des Selbstbestimmungsrechts oder der Zustimm ung der regierten V ö lker“8. Auch
das bildete nur eine regulative Idee, kein grundlegendes Prinzip.
Die C hronologie macht deutlich: Die Agenda setzte der sowjetische Führer,
L lo yd George und Wilson reagierten lediglich darauf. Ende 1917/Anfang 1918
w ar der Begriff Selbstbestimmung in aller M unde. G ewiß hatten manche Politiker
schon 1914 den Begriff gebraucht. A b er was bei dem Friedensangebot der M ittel­
mächte und bei Wilsons Vermittlungsaktion Ende 1916 erst vage Umrissen war,
hatte sich jetzt zum Allerweltsbegriff entwickelt. Wenn Wilson zuvor von der Be­
freiung der Nationalitäten und dem Recht der kleineren V ölker gesprochen hatte,
so konterten die Mittelm ächte mit der Erwähnung der irischen und finnischen
Frage und mahnten auch die U nabhängigkeit der Burenrepubliken an oder kriti­
sierten die U nterwerfung Afrikas durch Großbritannien, Frankreich und Italien.
E ine U rk u n d e n - u n d D o k u m en te n sam m lu n g z u r Z e itgesch ich te, 26 B de., h erau sgegeb en
un d b earb eitet von H erbert Michaelis u .a . (B e rlin 1958). Im fo lgen d en z itiert: U rsach en un d
F o lgen . H ie r: B an d II, 377.
6 T ext K urt O. R abl, D as S elb stb e stim m u n g srec h t d er V ö lk e r (M ü n ch en 1963) 5 1 6 -5 1 8 ; im
fo lgen d en z itie rt: R abl, S elb stb e stim m u n g srec h t; D isk u ssio n : Ebd. 66 -7 6 .
7 H einrich Schulthess (H rs g .), S ch u lth ess’ E u ro p äisch er G esch ic h tsk ale n d e r 1918 (M ü n ch en
1919) 769, im fo lgen d en z itiert: Schulthess, G esch ich tskalen d er.
8 Schulthess, G esch ic h tsk ale n d e r 147.
D ie D isku ssio n u m das Selb stb e stim m un gsrec h t nach den W eltkrie gen
119
Durch Lenins Friedensplan Ende 1917/Anfang 1918 bekam der Begriff zumal
für die Friedensverhandlungen der Mittelmächte mit Sowjetrußland taktische Be­
deutung. Die Regierung H erding stellte sich verbal auf dieses Prinzip ein und im
H auptausschuß des Reichstages fanden nachhaltige Debatten darüber statt. M at­
thias Erzberger (Zentrum) etwa am 3. Januar: „Das Selbstbestimmungsrecht der
Völker müsse klar, ehrlich und wahr durchgeführt w erden“9; Eduard David
(M SPD): „Dem Grundsatz des Selbstbestimmungsrechts der Völker liege der­
selbe ethische Gedanke zugrunde wie dem Selbstbestimmungsrecht des einzelnen.
Die Zeit sei vorbei, daß Völker wie Ham m elherden verteilt, auseinandergerissen
und zusammengeworfen werden könnten, wenn siegreiche Staaten über sie H err
geworden seien .“ 10 Allgemein kann man sagen, daß sich die Linke von der USPD
bis hin in die M itte des Zentrums verbal auf diese Basis zur Erreichung des Sepa­
ratfriedens stützte, während die Rechte den Begriff lieber nicht in den M und
nahm und vorn künftigen besseren Schutz der Grenzen sprach. Allerdings kam
auf der Linken sehr bald Skepsis auf, ob die Landesräte in Kurland, Litauen oder
Polen w irklich etwas mit demokratischer Basis und Volksmeinung zu tun hatten,
was sich auch nach Erklärung der jeweiligen Unabhängigkeit fortsetzte. W ährend
sich Paul von H indenburg „mit Entrüstung“ gegen die Unterstellung w an d te11,
jemals dem Prinzip der Selbstbestimmung etwas Positives abgewonnen zu haben,
suchte die Reichsregierung das Diktat des Friedens von Brest-Litowsk dennoch in
der Sprache von Selbstbestimmung zu rechtfertigen; der Begriff selbst tauchte im
Vertragswerk mit der U kraine und Rußland nicht auf.
Im Sommer 1918 entfaltete der Begriff Selbstbestimmung eine neue und allge­
meine D ynam ik. Ein Kongreß der unterdrückten Nationalitäten im April 1918 in
Rom griff das Stichwort auf12, Exilpolitiker in den westlichen Hauptstädten argu­
mentierten verstärkt mit diesem Anspruch. Erst nach dem deutschen Friedens­
ersuchen von Prinz Max von Baden vom 3. O kto b er an den amerikanischen Prä­
sidenten erhielten dessen Erklärungen des Jahres 1918 kanonische Bedeutung. Mit
Verzögerung gewannen die 14 Punkte und weitere Erklärungen den Status einer
scheinbar verbindlichen Basis, welche auch die Westmächte binden konnte. Das
Schlagwort vom pactum de contrahendo bekam so eine rechtliche, wenn auch
nicht unbedingt politisch relevante Basis. A uch wenn für die künftige politische
Ordnung des Reiches selbst nicht ausdrücklich von Selbstbestimmung die Rede
war, spielte doch der außenpolitische D ruck in den Lansing-Noten, ob die
Reichsregierung für die alten militärischen Gewalten spräche („Die deutsche N a ­
9 D er H a u p ta u ssch u ß des R eich tages, 191. S itz u n g vom 3. Ja n u a r 1918, ab g ed ru ck t in : D er
H a u p ta u ssch u ß des D eu tsch en R eich stags 19 15-1918. E in geleitet von Reinhard Schiffers,
b earb eitet vo n R einhard Schiffers, M anfred Koch in V erb in d u n g m it Hans Boldt, Bd. 4, 191 .275. S itz u n g , Q u e lle n z u r G esch ichte des P a rlam e n ta rism u s un d d er p o litisch en P arteien .
E rste R eih e: Von d er k o n stitu tio n ellen M o n arc h ie z u r p arlam e n tarisc h e n R ep u b lik , B an d 9,4
(D ü sse ld o rf 1981) 1831.
10 Ebd. 1833.
11 U rsach en un d F o lgen II, N o. 291, 170.
12 Cobban, N a tio n -S ta te 54 f.
120
j o s t D ülf fer
tion hat dies in der Hand zu ändern“, legte einen gründlichen Regimewechsel
nahe13) eine entscheidende Rolle in der Parlamentarisierung des Reiches. Für W il­
son bedeutete dies erneut, daß die freie Entscheidung einer Nation gegen eine autokratische Staatsform den entscheidenden Parameter für deren A kzeptanz in der
Staatenordnung darstellte. „Volksregierung“ und „Völkerfrieden“ gehörten daher
fortan zu den auch von einigen deutschen politischen Rechten im Selbstbild bean­
spruchten Begriffen.
Im gleichen Zuge gewann die Frage des Flabsburger Reiches erst im O ktober
1918 eine entscheidende Wendung. In den 14 Punkten war das Ziel formuliert
worden, ihren Völkern „sollte die freieste Gelegenheit zu autonomer Entw ick­
lung gewährt w erden “ (Punkt 10). Wilson hielt also nach w ie vor viel von der In­
tegrationskraft der Donaumonarchie, was bereits zur gleichen Zeit sein Staatsse­
kretär Robert Lansing für illusorisch hielt. Den Ansprüchen einzelner N ationali­
täten im Laufe der zweiten Kriegshälfte suchte Kaiser Karl mit dem „Völkerm ani­
fest“ vom 16. 10. 1918 eine letzte verzweifelte Bündelung zu geben14: „An die
Völker, auf deren Selbstbestimmungsrecht das neue Reich sich gründen wird, er­
geht M ein Ruf, an dem großen Werke durch Nationalräte m itzuwirken, die ... die
Interessen der Völker zueinander sowie im Verkehr mit M einer Regierung zur
Geltung bringen sollen.“ Wilson jedoch wandte sich in einer Note zwei Tage spä­
ter, am 18.10.1918, erstmals von der Leitidee künftiger Autonom ie ab und gab d a­
mit die Erhaltung Ö sterreich-Ungarns auf. Er stellte jetzt den Völker anheim, sie
müßten entscheiden, ob und wie sie mit der Wiener Regierung Z u s a m m e n a r b e it e n
wollten. Das geschah nicht zuletzt aufgrund der südslawischen und tschechoslo­
wakischen Bewegungen. Thomas M asaryk rief am gleichen Tage in Washington
die U nabhängigkeit seines Staates mit Berufung auf Wilson aus: „Kein Volk darf
gezwungen werden, unter einer Herrschaft zu le b e n , unter der es nicht leb e n
w i l l .“15
II.
D amit w ar der normative Gehalt des Begriffs Selbstbestimmung entscheidend ge­
worden. Er hatte bisher die M obilisierung gegen die M ittelmächte und deren Revolutionierung bedeutet. Das w ar mit Kriegsende obsolet geworden. N unm ehr
stießen sich im harten R aum der politischen U m setzung die ethischen Ansprüche
mit machtpolitischen Interessen und Kategorien. Anders gesagt: Selbstbestim­
13 U rsa ch en u n d F o lge II, 393 f. (394), Lansing 14. O k to b e r N o 415.
14 T ext R abl, S elb stb e stim m u n g srec h t 5 3 6 f.; M anfried Rauebensteiner, D er Tod des D o p ­
p ela d lers (G raz 1993) 60 1 -6 2 5 .
15 R abl, S elb stb e stim m u n g srec h t 82; K arl Renner, D as S elb stb estim m u n gsrech t d er N a tio ­
nen in b eso n d ere r A n w e n d u n g au f Ö sterre ich (L e ip z ig , W ien 1918) (N e u fassu n g ein er
S ch rift u n te r P se u d o n y m von 1902) setzte sich u n te r dem E tik ett S elb stb e stim m u n g n ac h ­
d rü c k lic h fü r re ch tlich g esich erte A u to n o m ie ein.
D ie D is k u s s io n u m das Selb stb e stim m un gsrec h t nach den W eltk riegen
121
mung spielte insgesamt eine wichtige Rolle, und insbesondere der US-Präsident
war grundsätzlich überzeugt, daß der freie Wille von Völkern festgestellt werden
könne und als Leitlinie gelten müsse. Das könnte umfassend nur in einer Gesamt­
darstellung gezeigt werden. Liier werden nur die unterschiedlichen Faktoren be­
nannt und erläutert, die konterkarierend hinzu kamen und eine je nach Einzelfall
unterschiedliche M ischung in der U m setzung hervorriefen. Da dies weitgehend
bekannt ist, bedarf es nur der pointierten Zusammenfassung16.
1 . Die Ententemächte hatten im Krieg eine Fülle geheim er Verträge geschlos­
sen, die u.a. den Zweck hatten, einen Staat w ie Italien mit Aussicht auf Beute in
den Krieg zu ziehen oder darin zu halten; ähnliches gilt für das zarische Rußland.
Das betraf vor allem italienische Ambitionen auf die Brennergrenze, aber auch auf
südslawische Gebiete, sodann das Osmanische Reich als solches, das weitgehend
in Annexions- und Interessenzonen aufgeteilt war. Auch wenn Lenin zusammen
mit dem D ekret über den Frieden die ihm bekannten A bkom m en anklagend ver­
öffentlicht hatte und sie durch sein Friedensprogramm ersetzte, waren die ande­
ren europäischen Mächte nicht bereit, diese A bkom m en gleichfalls für obsolet zu
halten. Wilson ließ in seinen 14 Punkten u.a. eine A n tw o rt darauf erkennen17.
2. Es stellte sich nach dem emotional geführten Krieg schnell heraus, daß eine
A nw endung des Selbstbestimmungsanspruches auf die unterlegenen Mächte nur
dann infrage kam, wenn es sich nicht um eine Vergrößerung von deren Territo­
rium oder Bevölkerung handelte. Dazu w aren die Ü berzeugungen vom expansi­
ven Charakter und der Schuld am Kriege zu w eit verbreitet. Das bezog sich zumal
auf die Sudetengebiete, die ja zu Österreich-U ngarn und nicht zum Deutschen
Reich gehört hatten, sodann aber auf den Beitritt Deutsch-Österreichs als sol­
chem.
3. Die siegreichen Friedensmacher hatten keine Chance, wie auf dem Reißbrett
neue Regelungen zu erfinden. Sie konnten zunächst einmal vielfach nur modifi­
zieren oder gar ratifizieren, was mit dem revolutionären und nationalen Umbruch
des Kriegsendes ohne ihr Zutun in Gang gekom men oder bereits vollzogen war.
Sodann hatten Emigranten in Paris, London und Washington eigene Vorstellun­
gen z.B. von einem polnischen, tschechoslowakischen oder südslawischen Staat,
die sie in ihren Gastländern schon länger durchzusetzen trachteten. Sie und viele
andere Vertreter neuer Nationsansprüche wirkten auch in Paris während der Frie­
denskonferenz als formell Beteiligte oder informelle pressure groups. Schließlich
bildeten sich vor O rt unterschiedliche regionale oder nationale Komitees, welche
unter dem Panier von Selbstbestimmung vollendete Tatsachen zu schaffen such­
ten. Das bedeutete jeweils nicht nur gegenüber der verbliebenen supranationalen
16 A u sfü h rlic h e r h ierz u : Jost D ülffer, S elb stb e stim m u n g , W irtsch aftsin teresse n un d G ro ß ­
m ach tp o litik . G ru n d p rin z ip ie n fü r die F ried e n sreg elu n g nach d em E rsten W eltk rieg, in : A u f
dem W eg zu m eth n isch rein en N atio n alsta a t?, h rsg. v. M athias Beer (T ü b in g en 22007) 41—67.
A uch in ders., F ried e n stiften . D ee sk alatio n s- u n d F rie d e n sp o litik im 20. Ja h rh u n d e rt (K öln
2008) 118-137.
17 A v ie l Rosbwald, E th nie n atio n alism and th e fall o f em p ires. C e n tra l E u ro p e, R u ssia and
the M id d le E ast, 1914-1923 (L o n d o n J993).
122
Jo s t D ülf fer
Macht konkurrierende Ansprüche, sondern daraus ergab sich vor Ort auch eine
Konkurrenz der nationalen Ansprüche, welche häufig gewaltförmig ausgetragen
wurde. Selbstbestimmung bildete hier ein zentrales politisches Argument. Die
bereits seit Generationen in Gang gesetzten Prozesse der Ausdifferenzierung in
ethnisch bestimmte Bevölkerungsgruppen erfuhren in den Auseinandersetzungen
vor O rt eine überstürzte Form der beschleunigten Aushandlung: In dieser H in ­
sicht bedeutete die Friedensregelung eine Fortsetzung der Balkankriege von 1912/
13 und der militärischen Auseinandersetzungen des Ersten Weltkrieges mit gele­
gentlich anderen Mitteln.
4. Zu diesen vor O rt laufenden Staats- oder Nationsbildungen kamen bei den
Friedensmachern andere Kriterien hinzu. Eine wichtige Überlegung bildete die
wirtschaftliche Leistungs- und Lebensfähigkeit neuer Staaten. Das markanteste
Beispiel ist Polen, das bereits in Wilsons 14 Punkten einen freien Zugang zum
M eer haben sollte - eben um dadurch über die Ostsee an den Welthandel ange­
schlossen zu werden. Das lief in diesem Fall allen Begriffen von Selbstbestimmung
- hier der Deutschen - diametral entgegen. Ähnliches läßt sich etwa für einen Staat
w ie Luxem burg sagen, w o vor allem verkehrstechnische Gründe (Eisenbahnen)
von Bedeutung waren. Aber auch die R ückkehr Lothringens an Frankreich hatte
sekundär wirtschaftliche Motive.
5. Zu den wirtschaftlichen kamen gelegentlich militärische oder m ilitärgeogra­
phische Begründungen von Grenzziehung. Das spielte ais Anspruch Frankreichs
an seiner Ostgrenze eine große Rolle, galt aber auch für entsprechende polnische
Ambitionen oder für die Grenzziehung zwischen dem neuen tschechoslowaki­
schen und polnischen Staat (Teschen).
6 . M it dem Ende des Ersten Weltkrieges waren je nach Rechnung drei oder vier
G roßreiche an ihr Ende gekommen. Jedenfalls wurden Österreich-Ungarn und
das Osmanische Reich in Einzelteile zerlegt, das Russische Reich erfuhr in Krieg,
Intervention und Bürgerkrieg eine sozialistische Umgründung. Sie hatte anfangs
mit Lenins Prinzipien von Selbstbestimmung zu tun, entwickelte sich dann aber
immer stärker in ein freies macht- und militärpolitisches Ringen um Revolution
und Konterrevolution. Zumal bei der letztlich im Frieden zu Riga 1921 festgeleg­
ten polnisch-russischen Grenze spielte der Waffenerfolg die entscheidende Rolle.
7. Zu den Vorbereitungen, ja zum Teil auch Vorentscheidungen vor der Frie­
denskonferenz gehörten auch die Expertenkommissionen, welche die künftigen
Siegermächte zur Entwicklung ihrer Kriegsziele (so im französischen Fall) und
ihrer Vorstellungen einer künftigen Friedensordnung (so vor allem im US-am erikanischen und britischen Fall) eingerichtet hatten. Hier hatte das britische Political
Intelligence D epartm ent bis Anfang 1919 71 sehr unterschiedliche Studien vorge­
legt, die US-am erikanische Inquiry beschäftigte bereits seit den Zeiten vor dem
Kriegseintritt der U SA über 100 Experten. Die Ausgangspunkte waren verschie­
den und bezogen neben verfügbaren Volkszählungen, sprachlichen, ethnischen,
religiösen, historischen, militärischen und wirtschaftlichen Elementen und A r g u ­
menten auch ganz traditionelle Vorstellungen von europäischem Gleichgewicht
ein. Sprache, Religion und volkliche Zuordnung mochten Kriterien für Selbstbe-
D ie D is kussio n u m das S elb stb e stim m u n gsrec h t nach den W eltkrie gen
123
Stim m un g abgeben, identisch m it einer U m s e t z u n g von S e lb stb e stim m u n g w are n
sie ab e r nicht.
- 8 . Wenn also die Pariser Konferenzen von unterschiedlichen Expertenansätzen
vorbereitet worden waren, dann setzte sich dies nach Kriegsende fort. N eue Kom­
missionen wurden gebildet, ja Untersuchungsgruppen wurden in viele der u m ­
strittenen Regionen geschickt, um vor Ort genaue Erkundigungen einzuziehen.
H ier wurde von Armenien und anderen Kaukasusgebieten bis zu den diversen
Grenzen in Europa außerordentlich viel Material nach etwa den gleichen Krite­
rien gesammelt. Das geschah unter großer Zeitnot; die Experten waren gelegent­
lich nicht nur von Lobbyisten der Region informiert, sondern stellten selbst na­
tionale Interessenvertreter, wenn auch unter anderer Staatsbürgerschaft dar. So
untersuchte etwa ein Tscheche in französischer Uniform die richtige Grenze z w i­
schen der C SR und Polen im Teschener Gebiet. Vor O rt konnte auch bei bestem
Bemühen um objektive Zusammenhänge jeweils nur ein kleiner Kreis von regio­
nalen Autoritäten oder Gewährspersonen befragt werden. In den so erarbeiteten
Empfehlungen, die kaum mehr als fundierte Eindrücke über nationale Zugehörig­
keiten sein konnten, w urde dennoch „Selbstbestimmung“ festgesetzt. Was sie ge­
wiß nicht konnten, w ar nationale Selbstbestimmung etwa in plebiszitärer Form
vor Ort ersetzen.
Die neuen Staaten entstanden somit in einem oft chaotischen militärisch-politi­
schen Aushandlungsprozeß. Volksabstimmungen oder Plebiszite waren hierbei
die von außen auferlegte Ausnahme, die in nur neun Fällen angewandt w u rd e18.
Sie fanden zumeist dann statt, wenn alle oder einige Alliierte überzogene oder u n ­
berechtigte Ansprüche anderer Alliierter abwehren wollten. Das galt zumal für
französische Ansichten hinsichtlich Schleswigs oder auch der Gebiete Allenstein
und Marienwerder, wo das Plebiszit die Bevölkerungswünsche feststellte. Das galt
im gleichem M aße für die erst im M ärz 1921 abgehaltene A bstim m ung in O b er­
schlesien, wo es eine Mehrheit von 59,43% für Deutschland gegenüber 40,57%
für Polen ergab und letztlich nicht in einem Zuschlag zum Deutschen Reich en­
dete, sondern zur Teilung des Gebiets führte.
Die Bedeutung von politischen Experten hatte sich schon vor den A bstim m un ­
gen in der Festsetzung der jeweiligen Abstim m ungsgebiete niedergeschlagen, die
naturgemäß nie objektiv festgestellt werden kann. Elier mußten politische Pro­
zesse vorausgehen. N ur gelegentlich w urde eine Volksabstimmung zur Schlich­
tung militant vorgetragener nationaler Ansprüche angesetzt, wie im Falle Kärn­
tens von den Siegermächten durchgeführt zwischen Österreich und dem SFISStaat sowie bilateral im Burgenland zwischen Österreich und Ungarn. In EupenM alm edy gab es eine in die Macht der belgischen Behörden gelegte Möglichkeit,
sich vor diesen zum Verbleib beim Deutschen Reich zu bekennen. Das bedeutete
18 Richard B reyer (H rsg .), D eu tsch lan d und das R ech t auf S e lb stb e stim m u n g nach dem E r­
sten W eltk rie g . P ro b lem e d e r V o lk sab stim m u n g im O sten 1918-1922 (B o n n 1985); m it F a ll­
stu d ien aus S ic h t d er deu tsch en M in d erh eiten ; u m fassen d er: Seamus Dunn, T. G. Fraser
(H rsg .), E u rop e and E th n icity. T h e F irst W o rld W ar and c o n te m p o rary eth n ic co n flict (L o n ­
do n, N ew Y o rk 1996); u. a. m it S tu d ien zu Irlan d o d er den arab isch en T errito rien .
124
Jo s t D ülf fer
eine parteiische Abstim mung. In der Regel wurden Abtretungen nicht mit der Be­
rufung auf ein vollzogenes Selbstbestimmungsrecht durchgeführt - etwa im Fall
Elsaß-Lothringens
aber auch politisch abgewehrt wie im Fall der von F ran k­
reich geforderten Rheingrenze (die Saarabstim mung nach 15 Jahren stellte einen
einmaligen Sonderfall dar). Wenn eine politische Einigung zwischen zwei oder
mehr Ansprüchen nicht erreicht werden konnte, dann wurde etwa im Fall Danzig
(bis 1939) oder Fiume (bis 1922) der Versuch einer „neutralen“ Lösung als Frei­
staat oder -republik versucht. Das stellte jeweils einen dilatorischen Kompromiß
oder auch eine revisionistische Zeitbombe dar.
Zusammenfassend: Komplexe Kompromisse bei den Friedensregelungen ließen
den A nspruch auf Selbstbestimmungsrecht zw ar zu einer regulativen Formel mit
hohem öffentlichen W irkungsgrad anwachsen. A ber zugleich wurde diese Forde­
rung zu einer politisch brisanten und mehrdeutigen Leerformel zur Aufladung
partieller Ansprüche.
Daß „Selbstbestimmung“ auch bei weitgehend interesselosem Bemühen in
konkreten Fällen problematisch werden mußte, war schon in den internen A u s­
schüssen der Großmächte während des Krieges deutlich geworden und so auch
den Experten in Paris. Daher entwarfen sie als Korrelat den Schutz von M in d er­
h eiten19. Das Them a wurde von jüdischen Lobbyisten aus Frankreich, G roßbri­
tannien und den U S A in die Verhandlungen eingebracht, zum Teil mit Berufung
auf Karl Renner. Was vor allem im H inblick auf die Juden in Rumänien und Polen
als Ziel der A utonom ie formuliert wurde, bedeutete, daß self-determ ination in
self-governm ent konkretisiert wurde. Eine A rt „Staat im Staate“ - so Llo yd
George - dürfe dies aber nicht werden, und auch Wilson sprach sich gegen so
weitreichende Lösungen aus20. Daher suchte die im M ai 1919 gebildete M in der­
heitenkommission des Obersten Rates nach anderen Lösungen. Das hatte mit den
vorangegangenen Expertenkommissionen vor O rt zu tun, bei denen sich etwa die
U S-H isto riker Archibald C. Coolidge und Robert Kerner als Experten für B ö h ­
men gegen die Selbstbestimmung der Sudetendeutschen ausgesprochen hatten. Sie
traten vielm ehr für deren Autonomie ein, konnten diese angesichts der Vorent­
scheidungen zugunsten des tschechoslowakischen Staates nicht durchsetzen. Die
C him äre eines aus sechs Sprachnationalitäten bestehenden Staates - analog zur
Schweiz - hatte unter den gegebenen chaotischen Verhältnissen vor O rt keine
Chance.
So w urde schließlich nicht für die Tschechoslowakei, sondern zwischen den
Siegermächten und Polen am 28. M ai 1919 der erste Minderheitenvertrag ge­
19 G ru n d le g en d auch fü r d ie „ge sch eite rte n “ P leb isz ite bis heute: Sarah Wambaugh, P leb is­
cites sin ce th e W o rld W ar. W ith a C o lle c tio n o f O ffic ia l D o cum en ts, 2 Bde. (W ash in gto n
1933) (E in B an d Text, ein B an d D o k u m en te); E rw in Viefhaus, D ie M in d erh eiten frag e u n d
die E n tsteh u n g d er M in d erh eiten sc h u tz v erträ g e au f d er P arise r F ried e n sk o n fere n z 1919
(W ü rz b u rg 1960); im fo lgen d en z itiert: Viefhaus, M in d erh eiten fra g e ; C arole Fmk, D efen d in g
th e R ig h ts o f O th ers. T h e G reat P o w ers, the Je w s , and In te rn atio n al M in o rity P ro tectio n ,
18 78-19 38 (C a m b rid g e 2004) vo r allem 13 3-170 , 2 0 9 -2 3 6 .
20 Viefhaus, M in d erh eiten fra g e 152 f.
D ie D is k u s s io n um das S elb stb e stim m u n gsrec h t nach den W eltkrie gen
125
schlossen21, mit dem die dortigen Minoritäten religiöse, sprachliche und rassische
(racial) Gleichberechtigung zugestanden erhielten, die sich auch auf das Schulwe­
sen bezog. Daneben wurde das Options- und Auswanderungsrecht zugunsten ei­
ner anderen N ation vereinbart. Inwieweit so ein Ausgleich im polnischen Sinne
mit der Bereitschaft zur Assimilation gegenüber der Forderung nach Autonomie
geschaffen war, blieb der Zukunft überlassen. Jedenfalls ließen die Großmächte
hier wie gegenüber anderen neuen kleineren Staaten keinen Zweifel daran, daß sie
ihnen ihre Existenz zu verdanken hätten und daher derartige Einschränkungen
ihrer Souveränität hinzunehmen hätten.
An sich hätte es Sinn gehabt, Minderheitenrechte in der neuen Weltorganisation
Völkerbund zu verankern. Das hatte der U S-Präsident ursprünglich vorgehabt, ja
er ging noch weiter: Wilson wollte den Völkerbund zu einem Instrument zur
Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts machen. Ende A ugust 1918 hatte er
im Entwurf für Artikel 3 der Satzung formuliert22, die Vertragsparteien garantier­
ten sich U nabhängigkeit und territoriale Souveränität, aber „territorial readjust­
ments“ durch Wechsel der „racial conditions“ oder „social relationship, pursuant
to the principle of self-determination“ sollte möglich sein, was auch durch die ent­
sprechenden Vorschläge einer Dreiviertel-Mehrheit der Delegierten geschehen
könne. Dennoch gelte grundsätzlich „that the peace of the world is superior in im ­
portance to every question of political jurisdiction or b o un d ary“. Ein solcher A r ­
tikel hätte die Minderheitenprobleme eingeschlossen und D yn am ik in eine Staa­
tengesellschaft nur scheinbar absoluter Souveränität gebracht. Damit lief der USPräsident jedoch bereits bei den anderen der Großen Fünf auf. R acial equality war
vor allem ein japanisches Anliegen, das aus innenpolitischen Gründen angesichts
der US-Rassenschranken unannehmbar war. A uch in der abgeschwächten Form
von „equality among nations and the just treatment of their nationals“ (April
1919) w ar es nicht akzeptabel. So entfielen auch US-Vorstellungen, religiöse Betä­
tigung solle in allen Staaten garantiert werden. Angesichts der Widerstände der
Europäer verankerte die Völkerbundsatzung schließlich nur ein System kollekti­
ver Sicherheit für souveräne Staaten (in Art 10 ff.). D yn am ik brachte lediglich auf
britischen Wunsch A rtikel 19 hinein: “The A ssem bly m ay from time to time ad­
vise the reconsideration by Members of the League of treaties which have become
inapplicable and the consideration of international conditions whose continuance
might endanger the peace of the w o rld.“ Damit war historischer Wandel in rechts­
förmige Bahnen gebracht - aber von Selbstbestimmung w ar nicht mehr die Rede.
Dazu hatte nicht zuletzt die mögliche A n w en dun g des Prinzips auf außereuro­
päische Gebiete beigetragen. U S-A ußenm inister Lansing notierte bereits zuvor
am 30. Dezember 1918 in kritischer A bgrenzung von seinem Präsidenten23:
21 A b g e d ru c k t in E n glisch u .a . bei Viefhaus, M in d erh eiten fra g e 23 1 -2 3 4 .
22 D avid H unter Miller, T h e D raftin g o f the C o n v en an t, B an d 2 (N e w Y ork, L o n d o n 1928)
12 f.
23 Robert Lansing, D ie V ersailler F ried e n s-V e rh an d lu n g e n . P ersö n lic h e E rin n eru n g en (B e r­
lin 1921). K ap itel V II: D as S elb stb estim m u n gsrech t 7 0 -7 8 , h ie r 75 (en glisch : Alan Sharp, T he
genius th at w o u ld n ot go b ack in to the b o ttle. N a tio n al self-d ete rm in a tio n and the le g a c y of
126
Jo s t D ülf fer
„Dieses Prinzip w ird der Ausgangspunkt unm öglicher Ansprüche an die Frie­
denskonferenz werden und viel U nruhe in vielen Ländern stiften. Welche W ir­
kung wird diese Phrase z.B . auf die Iren, die Inder, die Ä g yp ter und die B uren ­
nationalisten haben? Wird sie nicht Unzufriedenheit, Ruhestörung und A ufruhr
wecken.“
Er erwähnte Syrien, Palästina, M arokko, Tripolis und fuhr fort: „Das ganze
W o r t ,Selbstbestimmung“ ist mit D ynam it bis zum Rande geladen. Es w ird H off­
nungen erwecken, die sich nimmer erfüllen lassen. Ich fürchte, dass es tausende
Leben kosten wird ... Welch ein Verhängnis, dass dieses Wort je geprägt wurde!
Welches Elend wird es über die Menschen bringen!“
Was hier potenziell für Gebiete des auseinanderfallenden Osmanischen Reiches
(die nach den Teilungsverträgen des Weltkrieges von Briten und Franzosen nicht
für fähig zur Selbstbestimmung gehalten w urden) und für die eigentlichen Kolo­
nien formuliert wurde, fand schließlich in der Völkerbundssatzung im M andats­
artikel 22 Platz24. Es handelte sich dabei aber n ur um die kolonialen Gebiete der
ehemaligen Kriegsgegner. Sie wurden als „Völker, die noch nicht imstande sind,
sich unter den besonders schwierigen Bedingungen der heutigen Welt selbst zu
leiten“ benannt. H ier bekamen die künftigen Mandatsmächte die „Vormund­
schaft“ als „heilige Aufgabe der Zivilisation“ zugeteilt. In einem abgestuften S y ­
stem sollten sie diese Tutelgebiete zur Entwicklung führen und hatten dem V öl­
kerbund darüber zu berichten. Artikel 22 der V ölkerbundsatzung konnte tatsäch­
lich eine Berufungsklausel auch für die etablierten Kolonialgebiete werden. Für
die arabische Welt allerdings bildete das M andatsystem einen dünnen Firnis über
die neue Kolonisierung durch Frankreich und Großbritannien, um die sich dort
überlappenden Kriegsvereinbarungen vorerst durch U berw ölbung sowohl des
arabischen als auch zionistischen Nationsanspruchs in die Zukunft zu verschie­
ben. „Do we mean in the case of Syria to consult principally the wishes of the in ­
habitants? We mean nothing of the kin d “, diagnostizierte Lord Balfour 191925.
Im Kern w ar Selbstbestimmung im Frieden nach 1918 ein Element des U m ­
gangs mit den besiegten Staaten und nicht ein Universalrecht. „It was not within
the privilege of the conference of peace to act upon the right of self-determiniation
of any peoples except those which had been included in the territories of the de­
feated empires“, gab selbst Wilson nach seiner R ückkehr in die USA z u26.
Es kann nicht verwundern, daß überall dort, w o kein volonte generale eingeholt
worden war, die entsprechenden nationalen und regionalen Politiker Agitation
the F irst W o rld W ar and the Peace S ettlem en t, in: E u ro p e and E th n icity. T h e F irst W o rld W ar
and C o n tem p o rary eth n ic co n flict, h rsg. v. Seamus D unn, T. G. Fraser [L o n d o n , N ew Y ork
1996] 1 0 -29 [Z itat 19]; im fo lgen d en z itiert: D ü n n , Fraser, E th n icity ).
24 Erez M anela, T h e W ilso n ian M o m en t. S elf-D eterm in a tio n and the In te rn atio n al O rig in s
of A n tic o lo n ia l N a tio n a lism (O x fo rd 2007).
25 11. 8. 1919, zit. n. T. G. Fraser, T h e M id d le East. P artitio n and R efo rm atio n , in: Dünn,
Fraser, E th n ic ity 158-178 (170).
26 17. 9. 1919 in San F ran cisco , zit. n. Heater, S elf-D eterm in a tio n 99 (um so m eh r hoffte d er
P räsid e n t a u f den V ö lk erb u n d ).
Die D is k u s s io n u m das S elb s tb e stim m u n gs rec h t nach den W eltk riegen
127
mit dem vernachlässigten Selbstbestimmungsrecht betrieben. Auch die unter­
schiedlichsten separatistischen Strömungen im Deutschen Reich nach der N ieder­
lage beriefen sich gern auf das Selbstbestimmungsrecht. Oberschlesier, Wenden
oder rheinische Separatisten zielten mit oder ohne Benutzung des Begriffs darauf.
Der rheinische Separatist Dorten erklärte am 6 . M ärz 191927: „Wir verlangen, dass
unser Geschick lediglich durch unsere Selbstbestimmung entschieden w ir d “ und
zielte damit aut einen Westdeutschen Freistaat. W ährend sich schon der Rat der
Volksbeauftragten für das „Ziel der großen deutschen V olksbewegung“ gegen die
„Abtrennung und Selbstständigmachung“ aussprach, hatte sich gerade die dem o­
kratische Linke und M itte in ganz anderer Konstellation bis zum Kriegsende im ­
mer stärker für das Recht auf Selbstständigkeit kleinerer Nationen eingesetzt.
N unm ehr galt jedoch28: „Die deutsche Regierung wird sich jeder Veränderung der
deutschen Grenzen mit aller Hartnäckigkeit widersetzen, die nicht durch das von
ihr anerkannte Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerungen begründet werden
kann.“ Im diplomatischen Austausch w urde dies als Frieden des Rechtes über­
wölbt, wie es Wilsons M ount Vernon-Rede gefordert hatte. In den Vordergrund
trat der vermeintliche „Kriegsschuldartikel“ - aber die Verletzung des Selbstbe­
stimmungsrechts w urde von links bis zur Mitte immer wieder anklagend einbezo­
gen. H istoriker w ie J a y Winter schließen sich dem an29: Self-determination „shri­
veled from a ,minor utopia' to a minor diplomatic adjustment of the old order“.
Die Friedensregelung der Pariser Vorortverträge blieb ein Torso. Der Frieden
von Sevres mit der Türkei, der am stärksten den C harakter eines spätimperialisti­
schen Sieg- und Zerstückelungsfrieden trug, führte zu einem nationalen A ufbe­
gehren und zu einer Rekonstruktion der modernen T ürkei unter Mustafa Kemal,
bis schließlich in Lausanne 1923 ein neuer Frieden vereinbart wurde, der für den
nördlichen Teil des vormaligen Osmanischen Reiches eine völlig neue Gestalt
schuf. Die Berufung auf Selbstbestimmung spielte hier eine Rolle, w urde aber
doch im üblichen machtpolitischen Gerangel des Friedensschlusses vollzogen.
Als die kemalistische T ürkei bei den Friedensverhandlungen ein Plebiszit für
den Anschluß der Provinz M ossul an die Türkei verlangte, wehrte Lord C urzon
dies mit Verweis auf die früheren Schwierigkeiten um die entsprechenden Vor­
gänge in Teschen und Oberschlesien ab30. Voraus gegangen w ar und weiter lief der
Bevölkerungstransfer, mehr oder weniger gewaltsam, von über zwei Millionen
Menschen zwischen Griechenland und der Türkei. Immerhin gab es im Vertrag
von Lausanne weitergehende Minoritätenregelungen als in den vorangegangenen
europäischen Friedens Verträgen3!.
27 U rsach en u n d F o lgen III, N o . 628, 17.
28 S p ra c h an w eisu n g A A , A p ril 1919, U rsach en und F o lgen III, N o. 713, 3 4 4 -3 4 6 (345).
29 J a y Winter, D ream s o f Peace and F reedo m . U to p ian M o m en ts in the 2 0 th C e n tu r y (N ew
H aven, L o n d o n 20 06) 50.
30 Wambaugh, B d. I 5 4 0 f. - E ine U n tersu c h u n g sk o m m issio n des V ö lk erb u n d es m it O rts ­
term in en etc. b estä tig te sp äter gegen tü rk isch en W id e rsp ru c h d ie Z u g e h ö rig k e it M o ssuls
zum b ritisch en M an d at - ohne P leb iszit.
31 A v ie l Roshwald, E th nie N a tio n a lism and the Fall o f E m p ires. C e n tral E urop e, R u ssia &
128
Jo s t D ülf fcr
III.
Selbstbestimmung hatte sich als „Geist aus der Flasche“ (Alan Sharp) oder als
„Büchse der Pandora“ (Zara Steiner) heraus gestellt32. Weitere konkrete Defizite
der Friedensordnung von Paris kamen hinzu - w eder die U SA noch die Sowjet­
union trugen sie letztlich mit, das Deutsche Reich w ar nur von 1926 bis 1933 M it­
glied des Völkerbundes. Damit verlor und gewann die Forderung nach Selbstbe­
stim mung gleichermaßen: Die U SA als wichtigste Appellationsinstanz für einen
„Wilson-Frieden“ fielen machtpolitisch weitgehend aus. Die Forderung selbst
konnte sich verselbständigen und w urde zum Teil dessen, was man für das Deut­
sche Reich als „Weimarer Revisionssyndrom “ bezeichnen kann. U m gekehrt
w urde es gerade für die demokratischen Siegermächte schwer, mit dem Begriff
Selbstbestimmung positive Politik zu verbinden. Durch Wilson „ist das Selbstbe­
stimmungsrecht der V ölker zum ersten Grundrecht der Nationen gew orden“,
mahnte der U ng ar Geza Lukäcs schon 1919 an33. „Dreimal wehe aber dem Volke,
das im U eberm ute des Siegers die Ehre eines anderen zerbricht. Seine Enkel w e r ­
den Sturm ernten!“ Noch weiter und origineller ging Karl Haushofer mit dem
Begriff um, wenn er ihn geopolitisch auf Großräume ausweitete. Was er als Asienund zumal Ostasienspezialist ausführte, ließ sich leicht und analog auch auf
Europa ausdehnen34. Er stellte die Aufgabe, „den Wiederaufstieg vergewaltigter
Erdräume zur Selbstbestimmung als geographische Erscheinung am Vorgang der
M onsunländer Südostasiens zu untersuchen“. Dies „drängt sich uns geradezu auf,
weil w ir unseren eigenen Lebensraum als einen vergewaltigten, durch unnatürli­
che Bindungen seiner Selbstbestimmung beraubten erkennen müssen. Sie könnte
zum belebenden Sporn w erden“, fügte er hinzu. Selbstbestimmung w urde hier in
dieser extremen Form zum Syn o n ym für A utarkie - natürlich nur unter A nlei­
tung großer Mächte. G ewiß dominierte weiter der demokratisch-nationale Ge­
danke an Selbstbestimmung, aber spätestens mit dem Verfall der internationalen
O rdnung durch Weltwirtschaftkrise und kumulative deutsch-italienisch-japani­
sche Expansion w urde Selbstbestimmung zum propagandistischen Vehikel fried­
licher Erpressung zumal deutscher Kriegspolitik, während Appeasementpolitik
reaktiv in der britischen Version darauf setzte, legitime Revision der Friedensrege­
lung auch unter dem Versuch einer U m setzung von Selbstbestimmung zu beför­
dern. Llo yd George hatte einen längeren Weg durchgemacht, als er A dolf H itler
1937 besuchte, hatte er doch auf der Friedenskonferenz am Rande bemerkt35: „It
the M id d le East, 19 14 -1 9 2 3 (L o n d o n , N ew Y ork 2001) 18 3-197 ; Zara Steiner, T h e L igh ts
th at F ailed . E u ro p ean In te rn atio n al H is to ry 19 19-19 33 (O x fo rd 2005) 10 4-123 ; im fo lg e n ­
den z itie rt: Steiner, L igh ts.
32 Steinei-, L igh ts 4; Sharp (w ie A nm . 23).
33 Geza Lukäcs, S elb stb e stim m u n g , W irtsch aft, V ö lk erb u n d (B erlin 1919) 11, 29.
34 K a rl H aushofer, G e o p o litik d er S elb stb e stim m u n g in S iid -O st-A sie n (M ü n ch en 1923) 19,
vgl. 27.
35 N ach D a vid H unter Miller, M y D ia ry at the C o n fere n c e of P aris, 19 24-26 (N e w Y o rk
1928) X IX , 98; zit. n. Cobban, N a tio n -S tate 87.
D ie D is k u s s io n um das S elb stb e stim m u n gsrec h t nach den W eltk rie gen
129
fills me w ith despair the w a y in which I have seen small nations, before they have
hardly leapt into the light of freedom, beginning to oppress other races than their
own. They are more imperialistic than either England or France, certainly than the
United States.“
Die nationalsozialistischen Machthaber legten wenig Wert darauf, ihre Politik
durch den Begriff Selbstbestimmung zu legitimieren. Dennoch fanden gerade in
den Friedensjahren des Dritten Reiches A bstim m ungen und Wahlen zur plebiszitären Bekräftigung bereits vollzogener territorialer Revisionen statt. Neben
„Gleichberechtigung“ und Begriffen wie „geschlossene Volkskraft“ etc. fiel gele­
gentlich auch die Forderung nach Selbstbestimmung. „Allein zwei der an unseren
Grenzen liegenden Staaten umschließen eine Masse von über 10 Millionen D eut­
schen“, verkündete H itler am 20. Februar 193836. „Die staatsrechtliche Trennung
vom Reich kann nicht zu einer volkstumspolitischen Rechtlosmachung führen,
d. h. die allgemeinen Rechte einer völkischen Selbstbestimmung [...] können nicht
einfach missachtet w erden“, meinte er mit Berufung auf Wilsons 14 Punkte. In der
Proklamation zur Besetzung (noch nicht Anschluß) Österreichs hieß es37: „Wenn
heute schon koloniale Lösungen von Fragen des Selbstbestimmungsrechtes der
betroffenen niederen Völkerschaften abhängig gemacht werden, dann ist es uner­
träglich, dass 6'/2 M illionen Angehörige eines alten und großen Kulturvolkes
durch die A rt seines Regimes praktisch unter diese Rechte gestellt sind.“ Ähnlich
lautete die Rede zu den Sudetendeutschen auf dem Reichsparteitag38. „Politisch
werden hier 3'A M illionen Menschen im Namen des Selbstbestimmungsrechts
eines gewissen H errn Wilson um ihr Selbstbestimmungsrecht gebracht.“ Es war
ein zielgerichtetes Propagandaargument, das zusammen mit dem Begriff des fried­
lichen Modus der Revision zumal in London Eindruck machte - bis zum Sommer
1939, als es nur scheinbar um Danzig und die Volksdeutschen im polnischen Kor­
ridor ging.
Wenn also NS-Expansionspolitik den Begriff der Selbstbestimmung taktisch als
Vehikel zur Vorbereitung kriegerischer Expansion gebrauchte, dann machte auch
die Sowjetunion einen ähnlichen taktischen Gebrauch davon. Josef Stalin hatte
seine Karriere als Volkskommissar für die Nationalitäten begonnen und intern
1920 erklärt39: „Das Prinzip der Selbstbestimmung muss ein M ittel im Kampf für
den Sozialismus sein und den Prinzipien des Sozialismus untergeordnet werden.“
Dennoch hatte eine positive Erwähnung eines Selbstbestimmungsrechts der V öl­
ker einen hohen Stellenwert in den meisten Verträgen der Sowjetunion mit ihren
Nachbarstaaten. Der Begriff diente darüber hinaus auch als klassenkämpferisches
Kampfmittel gegen die Nichtbeachtung des Grundsatzes durch bürgerliche Staa36 M ax D om anis, H itler. R eden u n d P ro k la m a tio n e n (W ü rz b u rg 1962) B d. I, 2, 801; im
fo lgen d en z itiert: Dom anis, H itler.
37 Ebd. 816.
38 Ebd. 901 (13. 9. 1938). - Cobban, N atio n state 9 4 -9 7 b eh au p tete fälsch lich , es h abe kein e
B ezu gn ah m e H itle rs au f S elb stb e stim m u n g gegeben.
-’ 9 A u f d em III. A llru ssisc h e n K o ngress, 15. 1. 1918, zit. n. Rabl, 97, zu m fo lgen d en Z u sam ­
m en han g Rabl, 9 6 -1 0 2 , vgl. 140 f.
130
J o st D iilffer
ten und Machthaber. Zweifellos kam dennoch spätestens mit dem Hitler-StalinPakt und dem deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag vom A u ­
gust/September 1939 eine rein machtpolitisch-imperiale Politik in Gang, welche
die je friedlich oder im Krieg besetzten Gebiete zu Objekten rücksichtsloser A us­
beutung und N azifizierung bzw. Stabilisierung machte. Immerhin brachten die
Korrekturen der Interessengebiete im zweiten deutsch-sowjetischen Vertrag z u ­
gleich eine Korrektur ethnisch völlig unhaltbarer Abgrenzungen, indem die D e­
markationslinie in etwa der C urzon-Linie entsprach, die 1919 vom damaligen
britischen Außenm inister Lord C u rzo n als annähernd angemessene ethnische
Grenze vorgeschlagen worden war.
IV.
M it der A usw eitung des Zweiten Weltkrieges durch den deutschen Überfall auf
die Sowjetunion (sowie dem Beginn des pazifischen Krieges zwischen Japan und
den A n glo-A m erikanern) w ar absehbar, daß jede künftige Friedensregelung der
Anti-H itler-Koalition Demokratien und eine D iktatur wie die Stalins umfassen
würde. Daher w ar keine wirkliche Einigung auf eine einheitliche mentale oder
ideologische Basis möglich, wohl aber gab es diese in der öffentlichen Rhetorik.
Hierin schien es dennoch eine gemeinsame Basis zu geben. Die Atlantic Charter
vom 14. September 1941, vereinbart zwischen Winston Churchill und Franklin
Delano Roosevelt, erhielt durch ihre Erhebung des Kriegsbündnisses der U nited
Nations von 26 N ationen am 1. Januar 1942 eine breitere Grundlage, der sich u.a.
auch die Sowjetunion anschloß. Vor allem ihre ersten drei (von acht) Artikeln for­
mulieren die Basis für künftige Staatlichkeit40. Wenn bereits der erste Artikel die
Koalition als Status-quo-orientiert bezeichnete („keine Vergrößerung“), dann
40 „E rstens, ih re [C h u rc h ills un d R o o sev elts] L ä n d e r streb en nach k e in er V ergrö ß eru n g,
w ed e r au f te rrito ria le m G eb iet noch an d ersw o .
Z w eiten s, sie w ü n sch en kein e te rrito ria le n Ä n d e ru n g en , d ie n ich t m it dem frei zu m A u s ­
d ru c k geb rach ten W u n sch d er b etreffen d en V ö lk e r ü b erein stim m en .
D ritte n s, sie ach ten das R ech t alle r V ö lk er, sich d ie R e g ieru n g sfo rm zu w äh len , u n te r d er sie
leben w o lle n . Sie w ü n sch en die o b ersten R ech te u n d d ie S elb stre g ie ru n g d er V ö lk e r w ie d e r­
h erg e ste llt zu seh en , d en en sie m it G ew alt gen o m m en w u rd e n .“ Siehe: E rk lä ru n g C h u rc h h ills u n d R o o sev elts (A tla n tik -C h a rta ) vo m 14. A u g u st 1941, a b g ed ru ck t in: U rsach en un d
F o lgen X V I I , N o . 3192, 586.
Im en glisch en O rig in a l: „F irst, th e ir co u n tries seek no a g g ra n d iz e m e n t, te rrito ria l o r o th er;
seco n d , th e y d esire to see n ot te rrito ria l ch an ges that do not acco rd w ith the fre e ly exp ressed
w ish es o f the p eo p le co n cern ed ; th ird , th e y resp ect the rig h t o f all p eo ples to ch o ose the fo rm
of g o v ern m en t u n d e r w h ich th e y w ill live; and th e y w ish to see so v ereign rig h ts and self
go vern m en t resto red to tho se w h o have been fo rc ib ly d ep riv ed o f th e m .“ Siehe: D eclaratio n
of P rin c ip les k n o w n as the A tlan tic C h arter, b y the P re sid en t o f the U n ited States of A m erica
(R o o se v e lt) and the P rim e M in iste r o f the U n ited K in gd o m (C h u rc h ill), A u g u st 14, 1941,
a b g ed ru ck t in: D o cu m en ts on A m e ric an F o reign R e la tio n s, Vol. IV J u ly 1 9 41-19 42, h rsg. v.
Leland M. Goodrich (B o sto n 1942) 209 f.
D ie D is k u s s io n u m das S elbstbe stim m un gsrec ht nach den W eltk rie gen
131
enthielten die beiden folgenden Artikel ein Prinzip, das der Selbstbestimmung
nahe kam: Territoriale Änderungen müßten dem freien Willen der Völker entspre­
chen - das zielte auf die nationale Komponente. Sodann w urde weiter vereinbart:
ein Recht auf Wahl der eigenen Regierungsform und Selbst-Regierung, was z u ­
meist mit Autonom ie wiedergegeben wird. Nach US-Vorstellungen konnte die
Wahl der Regierungsform prim är auf Demokratie abzielen, während das andere
Prinzip eher vage die ungeklärten Nationalitätenfragen betreffen konnte.
Wenn sich Stalin durch diese Erklärung formal auf das Spannungsverhältnis
von Zielsetzungen einließ, dann übernahm er sicher nicht die westliche Deutung,
sondern suchte sie im sowjet-marxistischen Sinne auszulegen. Das hatte Folgen
auch für die N achkriegsregelung, als Sowjetisierung in die Sprache auch der A t­
lantikcharta formuliert wurde. Viel spricht dafür, daß Stalin sich persönlich nicht
von solchen rechtlich-moralischen Verpflichtungen beeindruckt zeigte41. Er hielt
so etwas gelegentlich gern für Algebra, bekannte sich selbst eher zum schlichten
praktischen Rechnen, das er besser verstehe - Mehrheiten, Grenzen und Einfluß­
zonen nämlich42. Dennoch sollte man den doppelten Sinn im Sprachgebrauch, als
eigenen Wert und als M ittel im internationalen Klassenkampf, ernst nehmen.
Darin lag der zweite Grund dafür, daß Selbstbestimmung nicht zu den Schlüssel­
begriffen der O rdnung nach 1945 gehörte.
Ein dritter Grund ergibt sich aus britisch-amerikanischen Differenzen43. Daß
in der Atlantikcharta der Begriff Selbstbestimmung nicht auftauchte, hing auch
damit zusammen, daß Churchill befürchten mußte, daß sich ein solcher Wert in
Roosevelts Sicht auch auf die Kolonien erstrecken konnte. Gerade die nationali­
stische Q uit-India-B ew egung machte das 1942 sehr deutlich: Das indische Verlan­
gen nach Selbständigkeit wurde von britischer Seite blutig unterdrückt. Churchill
als Empirepolitiker war wiederholt wütend über die Zumutungen seines am erika­
nischen Partners. H inzuzufügen ist, daß Japan 44 seine rassistische Kolonialherr­
schaft in Asien ab 1943 im Rahmen der Großostasiatischen Wohlstandssphäre mit
der Emanzipation der Asiaten, ja mit einer asiatischen M onroe-D oktrin propa­
gandistisch untermauerte. Auch daher w ar es gefährlich, die Terminologie der
Selbstbestimmung zu benutzen.
41 Vladislav Zubok, Constantin Plesbakov, Inside the K rem lin ’s C o ld W ar. F ro m S talin to
K h rushchev (N e w Y o rk 1996); Vojtech Mastny, R u s s ia ’s R o ad to the C o ld W ar. D ip lo m acy,
w arfare, and the p o litics o f C o m m u n ism , 19 41-19 45 (N e w Y o rk 1979); Vojtech Mastny, T he
C o ld W ar and S o v iet In se cu rity: T h e S talin Years (N e w Y o rk 1996); G eoffrey Roberts,
S ta lin ’s W ars. F ro m W o rld W ar to C o ld W ar, 1939-1953 (N e w H aven , L o n d o n 2006).
42 William Taubman, S ta lin ’s A m erican P o lic y (N e w Y o rk 1982) 49; F R U S 1944, Bd. 1, 733.
43 Wm. Roger Louis, Im p e rialism at Bay. T h e U n ited S tates and the D e c o lo n izatio n o f the
B ritish E m p ire, 19 41-19 45 (O x fo rd 1977); John D arw in, B rita in and D ec o lo n izatio n . T he
R etreat fro m E m p ire in the P o st-W ar W o rld (N e w Y ork 1988); R. J. Moore, C h u rc h ill,
C rip p s and In d ia, 19 39 -1 9 4 5 (O x fo rd 1979); Peter C larke, T h e last T h o u san d D ays o f the
B ritish E m p ire. C h u rc h ill, R o o sev e lt, and the B irth o f th e P ax A m e ric an a (L o n d o n 2008).
44 M ilan Planner, In d ia in A xis S trategy. G erm an y, Jap an , and In d ian N a tio n a lists in the
Second W orld W ar (S tu ttg a rt 1981); Bernd Martin, D eu tsch lan d un d Ja p an im Z w eiten W elt­
k rieg . Vom A n g riff au f P earl H a rb o r bis zu r d eu tsch en K a p itu latio n (G ö ttin g e n 1969).
132
Jo st D ülffer
So sehr britische Dekolonisierungspolitik den Weg zur Selbstregierung seit dem
Ersten Weltkrieg als Ziel verkündet hatte, so sehr dies durch den Zweiten Welt­
krieg noch einmal beschleunigt wurde, dennoch beharrte der britische Prime M i­
nister darauf, daß dies nach britischen Bedingungen geschehen müsse. Noch 1946
in der Opposition w ar er stolz, keinen britischen Boden im weitesten Sinn durch
den Weltkrieg verloren zu haben45. Es versteht sich, daß auch die wiederbelebte
französische G roßmacht 46 von der Erklärung de Gaulles von Brazzaville vom J a ­
nuar 1944 art davon ausging, daß die (zum Teil wieder zu erobernden) Kolonien
Autonom ie allein im französischen Staatsverband anstreben sollten - die G rund­
lage der formell 1946 begründeten Union Francjaise.
Einig waren sich die Alliierten der „strange coalition“ im Zweiten Weltkrieg
vor allem über eines: Die von den Gegnern besetzten Länder mußten wieder her­
gestellt werden. Das bildete das Äquivalent zur Zerschlagung supranationaler
Reiche nach dem Ersten Weltkrieg. N u r sollte diese Wiederherstellung zumindest
anfangs nicht für das Deutsche Reich und Japan gehen (die frühe Anerkennung
des Kurswechsels Italiens 1943 auf die alliierte Seite milderte die Behandlung die­
ses Staates). Gerade die U nconditional-Surrender-Formel von Casablanca vom J a ­
nuar 1943 sollte die Berufung NS-Deutschlands auf eigene Selbstbestimmung ver­
hindern, anders gesagt: Churchill und Roosevelt bauten einer ähnlichen N utzun g
der Forderung wie nach dem Ersten Weltkrieg und vor allem in den Friedensjah­
ren der N S-H errschaft vor; Stalin dürfte dies seinerseits mit vergnügter A ufm erk­
samkeit betrachtet haben. In der Tat hatte viel an internen Diskussionen bei B ri­
ten, A m erikanern 47 und bedingt auch Sowjets 48 mit dem gravierenden Problem zu
tun: Wie bekom m en w ir nach dem siegreichen Krieg langfristig ein friedensfähiges
Deutschland in eine neue Friedensordnung integriert? Vorstellungen vorn seit lan­
gem ausgebildeten deutschen Volkscharakter feierten zumindest bei den Großen
Drei fröhliche U rstände49. Unter den M öglichkeiten: Gebietsabtretungen am
Rande, Zerstückelung - beides mußte Ressentiments und neuen Revanchismus
wecken - oder aber: langwährende und kostspielige Besetzung und Durchsetzung
von Strukturreformen (Churchill: to make the Germans „fat but im potent“) war
nicht leicht zu wählen. Zwischen Teheran und Jalta w urde eher die erste M öglich­
keit favorisiert, dann aber stillschweigend mit dem Ende des europäischen Krieges
fallen gelassen. Darin lag der vierte Grund für die Vermeidung des Begriffs Selbst­
bestimmung.
45 D a v id Reynolds, B rita n n ia O v erru led . B ritish P o lic y & W o rld P o w er in the 20th C e n tu r y
(L o n d o n 1991) 164.
46 Rudolf von A lb ertin i, D ek o lo n isatio n . D ie D isk u ssio n ü b e r V erw a ltu n g un d Z u k u n ft d er
K o lo n ien , 1 9 1 9 -1 9 6 0 (K ö ln , O p lad en 1966) 41 2 -4 5 3 .
47 Lothar Kettenacker, K rieg zu r F ried e n ssich e ru n g . D ie D e u tsc h la n d p la n u n g d er b ritisch en
R eg ie ru n g w äh re n d des Z w eiten W eltk rieges (G ö ttin g e n 1989); D o k u m en te z u r D eu tsc h ­
la n d p o litik , h rsg. v. Klaus H ildebrand, H ans-Peter Schw arz z u r b ritisch en bzw . U S -a m e rik a ­
n isch en D eu tsc h lan d p lan u n g : I. R eih e (3. 9. 19 39-8. 5. 1945): b ish er Bde. 1 -5 . 1984-2002.
48 W ie A n m . 41.
49 A u sfü h rlic h e r h ierz u : Jost D ülffer, Ja lta , 4. F e b ru a r 1945. Z w e iter W eltk rie g u n d A nfän ge
d e r b ip o laren W elt (M ü n ch en 1998) 7 -3 4 ; im fo lgen d en z itie rt: D ülffer, Ja lta .
D ie D isku ssio n um das Selb stb e stim m un gsrec h t nach den W eltk rie gen
133
Ein Blick auf die Kriegskonferenzen der großen Drei zeigt diese Faktoren in je
unterschiedlicher M ischung in den Diskussionen. N ehm en w ir exemplarisch die
polnische Frage. N ach der deutschen Enthüllung der sowjetischen M orde von
Katyn im April 1943 und deren Anprangerung durch die Exilregierung in London
brach die Sowjetunion die Beziehungen zu dieser ab. M oskau mußte seine eigenen
Polen „erfinden“, was schließlich mit dem Lubliner Komitee geschah. In Teheran
hatte Churchill mit seinem Bild von den drei Streichhölzern Deutschland, Polen,
Sowjetunion, die nach Westen verschoben werden müßten, eine Richtung zum
politischen Kompromiß gewiesen50. Von ethnischen A rgumenten war dabei nicht
die Rede. Stalin weigerte sich fortan mit der Exilregierung zu sprechen - sie stehe
mit den Deutschen in Verbindung und ermorde Partisanen, log er in Jalta. Die Bri­
ten, die 1939 zur U nterstützung Polens in den Krieg eingetreten waren, übernah­
men mit Churchills A kzeptanz der Westverschiebung diese moralische Verpflich­
tung; Roosevelt hob auf die innenpolitische Bedeutung der Polen als W ähler in
den U SA ab. Die nach dem damaligen britischen A ußenm inister benannte Curzon-Linie war 1919 eine nach besten Kenntnissen gezogene Grenze zwischen Po­
len und seinem östlichen Nachbarn gewesen, die sich jedoch nicht durchsetzen
konnte. N unm ehr nahm die Sowjetunion diesen früheren westlichen Vorschlag
wieder auf. Jedoch waren diesmal Briten und A m erikaner nicht mehr ganz einver­
standen und plädierten für leichte M odifikationen - etwa für die Zugehörigkeit
Lembergs und Wilnas zu Polen. Auch hier sprach keiner der Großen Drei von
einem möglichen Votum der Bevölkerung.
In Jalta gelang es den Briten und Amerikanern, in die mittlerweile in Warschau
etablierte Provisorische Regierung zwei Minister der Londoner Exilregierung
aufnehmen zu lassen; der stellvertretende Exil-Ministerpräsident M ikotajczyk
konnte am Rande der Potsdamer Konferenz nur resignierend von seinem schw ä­
cher werdenden Einfluß berichten. „Freie Wahlen“, welche von den Westalliier­
ten seit 1944 zur Legitimation des neuen polnischen Regimes gefordert wurden,
konnten erst 1947 durchgeführt werden und brachten einem kommunistisch ge­
führten Block die eindeutige Mehrheit51. So w ar es überall in Ostmitteleuropa.
Die Befreiungs- und Besatzungsniacht bestimmte die vorläufigen Regierungen
und letztlich auch die Grenzen. Freie Wahlen gab es nur 1945 in Österreich und
Ungarn mit jeweils schwachen Ergebnissen für die Kommunisten. Zugespitzt
läßt sich sagen: Das Prinzip „freie Wahlen“ als A usdruck von Selbstbestimmung
konnte nach 1945 nur zur Legitimierung eines östlich oder westlich bestimmten
Regierungssystems dienen. Das geschah im Westen im Fall Italiens 1948 gleich­
falls mit nachdrücklicher externer antikommunistischer Wahlhilfe durch die
USA.
30 Alexander Fischer (H rsg .),
T eheran, Ja lta , P o tsd am . D ie so w jetisch en P ro to k o lle von den
K riegsk o n feren zen d e r „G roßen D re i“ (K öln 2 1973) 83; im fo lgen d en z itie rt: Fischer, T ehe­
ran, Ja lta , P o tsdam . Z um F o lgen d en etw a: Bernd M artin, Stanislawa Lewandowska (H rsg .),
D er W a rsch au er A u fstan d 1944 (W arschau 1999) (B eiträg e Bernd M artin b zw . Jost Diilffer),
51 1946 h atte es in h altlic h b estim m te P leb iszite gegeb en , d ie ab er n u r d azu ged ien t h atten die
B au ern p artei M ik o la jc z y k s zu sch w äch en .
134
J o st Dülffer
Dennoch w urde vor und in Jalta an einer wenig bekannten Stelle über O rd ­
nungsprinzipien diskutiert. In der US-A dm inistration kam Anfang Januar 1945
der Gedanke auf, in Europa eine Art vorläufigen Sicherheitsrat zu schaffen, der
einer Aufteilung Europas in Interessenzonen wie sie Stalin und Churchill vorge­
nommen hatten, etwas entgegenzustellen suchte52. A m besten hieße dieses Vierer­
gremium „Emergency European H igh C om m ission“ (Notstandskommission für
das befreite Europa). Sie solle Europa „helfen, volkstümliche und stabile R egie­
rungen einzusetzen und die Lösung von wirtschaftlichen Notstandsproblemen in
früher besetzten und Satellitenstaaten zu erleichtern“. Die deutsche Frage sollte
weiter bei der European A dvisory Com m ission angesiedelt bleiben. Dies A nlie­
gen w urde spezifiziert u. a. als Hilfe für die A ufstellung von Regierungsbehörden,
„die weitgehend alle demokratischen Elemente in der Bevölkerung vertreten und
die verpflichtet sind, zum frühsten möglichen Termin Regierungen, die dem W il­
len des Volkes entsprechen, durch freie Wahlen zu bilden“ . Eine solche, wohl in
Paris anzusiedelnde Organisation wäre also einem Instrument zur Selbstbestim­
mung nahe gekommen - aber wohl nur innerhalb bestehender Grenzen. Nach
dem Tagebuch von Außenm inister Edward Stettinius sollte dies ein Gremium zur
„Überwachung der R ückkeh r einer demokratischen R egierung“ sein. Sein briti­
scher Kollege A n th o n y Eden stimmte auf M alta am 1 . Februar 1945 gern einer
solchen Einrichtung zu.
Dann wurde der Gedanke jedoch fallen gelassen, um der neuen U N O keine
Konkurrenz zu machen. Es blieb die „Deklaration über das befreite Europa“ ü b ­
rig. Im Kern, da w aren sich die Am erikaner einig, ging es um die freien Wahlen in
Polen und die Zurückhaltung kommunistischer Partisanen in Griechenland. Sta­
lin beruhigte in Jalta seine Partner, er werde sich da heraus halten. Als Roosevelt
ein wenig frivol meinte, die freien Wahlen in Polen müßten wie Caesars Frau über
jeden Verdacht erhaben sein, konterte Stalin, das „habe man von der Gemahlin
Caesars nur so gesagt. In W irklichkeit habe sie ihre Sünden gehabt“53. M it ein w e­
nig A ugenzw inkern hatte sich das Problem auf freie Wählervoten verlagert, bei
dem Stalin ein w enig süffisant auf das Problem von „freien“ Wahlen in Ä gypten
hinwies, mit welchen die Briten doch wohl Schwierigkeiten hätten.
Bereits im internen amerikanischen Entwurf für die Erklärung hatte es gehei­
ßen, die (damals noch geplante) Kommission solle die Völker befähigen, „die letz­
ten Spuren des N azism us und Faschismus zu zerstören und demokratische Ein­
richtungen nach freier Wahl zu schaffen“54. Genau dieses Ziel des Antifaschismus
gefiel Stalin besonders gut, der anregte, die besondere U nterstützung antifaschi­
stischer Kräfte in die Deklaration aufzunehmen. Das geschah zw ar nicht in dieser
Form. A ber hiermit w ar ein Einfallstor geschaffen, das fortan im sowjetischen
52 D epartm ent o f State (H rsg .), D ie K o n feren zen von M a lta un d Ja lta . D o k u m en te vom
17. Ju li 1944 bis 3. Ju n i 1945 (D ü sse ld o rf 1957) 8 8 -1 0 2 ; Z itate: 91, 93, 414, 469 (d eu tsch e
Ü b e rse tz u n g von F R U S ); zu m K o ntext: D ülffer, Ja lta .
53 Sechste V o llsitzu n g , Fischer, T eheran, Jalta, P o tsd am 167; K o nferen zen M alta un d Jalta
7 8 7 f., b zw . 791 f.
54 K o n feren zen vo n M a lta un d Ja lta , 9 2 f., 903.
Die D isku ssio n um das S elbstbe stim m un gsrec ht nach den W eltk riegen
135
Machtbereich den Antifaschismus in eine Linie mit Demokratisierung brachte. In
der Endversion der Jalta-Erklärung figurierten die temporären Maßnahmen zur
Wiederherstellung von O rdnung vor den endgültigen, aber die Verfestigung von
vorläufigen Schritten zu Dauerlösungen (z.B. in der Deutschlandfrage) gehörte
zu den charakteristischen Zügen der Friedensregelungen. Immerhin: Es ging um
die „Wiederherstellung der souveränen Rechte und der Selbstregierung für jene
Völker, die ihrer gewaltsam durch die Aggressor-Staaten beraubt w urden .“
Beim Treffen der Großen Drei in Potsdam hatte sich die Umsetzung der Erklä­
rung bereits ganz auf freie Wahlen und Wahlbeobachter in den befreiten Ländern
verlagert: Italien, aber auch Bulgarien, Rumänien, Griechenland und Ungarn.
Liier prallten die unterschiedlichen Dem okratiebegriffe aufeinander; Stalin
konnte sich mit seiner Forderung, auch die spanischen Verhältnisse der FrancoD iktatur auf die Tagesordnung zu setzen, nicht durchsetzen. In der Potsdamer
„Mitteilung“ (nicht aber im „Protokoll“) wurde die Vorbereitung von Friedens­
verträgen mit „anerkannt demokratischen R egierungen“ bei den ehemaligen deut­
schen Satelliten als vorrangig bezeichnet. Die Qualität eines demokratischen R e­
gimes bedeutete jetzt nur noch: Aufnahme westlich gesinnter Vertreter in kom ­
munistisch beherrschte Regierungen55.
Die H ebelw irkung, die mit der Deklaration über das befreite Europa für eine
gesamteuropäische Kooperation möglich war, w urde auf den nachfolgenden A u ­
ßenministerkonferenzen nicht mit N achdruck ausgeübt. U m der Kooperation
willen insistierte US-A ußenm inister James Byrnes in London und Moskau 1945
zunächst nicht. Dann verhärtete sich die Konfrontation. W ährend sich die „Erklä­
rung über das befreite Europa“ potenziell an alle Staaten außer Deutschland ge­
richtet hatte, stand 1946 der Friedensschluß mit den kleineren Verbündeten des
Deutschen Reiches auf der Tagesordnung. Die Verträge mit Italien, Finnland, Bul­
garien, U ngarn und Rumänien wurden gleichzeitig am 10. Februar 1947 unter­
zeichnet. Erst nachdem sich die Großen Vier geeinigt hatten, wurden auch die
kleineren Alliierten beteiligt, dann durften - anders als nach 1918 - auch die Ver­
liererstaaten ihre M einung kund tun, ohne jedoch substanziell viel ändern zu kön­
nen - auch das nicht gerade ein Zeichen von Selbstbestimmung. Die Friedensver­
träge wurden vorab von den jeweiligen Außenministern in Washington, London
und M oskau unterzeichnet, dann erst am 10 . Februar 1947 in Paris von Frank­
reich und allen anderen Verbündeten. Die Verliererregierungen mußten zuvor
anerkannt werden und legten ihrerseits großen Wert auf die Darstellung ihres
Charakters als „demokratisch“ - vorab die U ngarn. Substanziell wurden Waffen­
stillstandsbedingungen, die aus militärischer Ratio eine vorübergehende Besat­
zung mit eingeschränkten demokratischen Rechten zum Thema gehabt hatten, im
Friedensvertrag fortgeschrieben. Der behauptete Antifaschismus ersetzte jetzt de
facto die verhinderte Demokratisierung im sowjetischen Machtbereich56.
55 D o k u m en te z u r D e u tsc h lan d p o litik , II. R eihe, B an d 1, d re i T eilb än d e (F ran k fu rt a.M .
1992) 2 1 2 5 -2 1 4 9 (M itte ilu n g ); 2 1 4 9 -2 2 0 2 (P ro to k o ll).
36 Stephen Kertesz, T h e L ast E urop ean Peace C o n feren ce: P aris 1946 - C o n flic t o f V alues
136
J o st D iilffer
Die Friedensverträge regelten die Grenzberichtigungen der Staaten, aber nach
alliiertem Gutdünken. Die davon betroffenen Staaten äußerten heftigen Protest,
nicht zuletzt aus ethnischen Gründen, weil Landsleute in großer Zahl jeweils jen­
seits der Grenzen blieben. Das führte im italienischen Fall besonders wegen der
von 1945 bis 1954 gefährlich schwelenden Triestfrage zur offenen Weigerung, den
Friedensvertrag zu unterzeichnen. Auch die Grenzen und Regelungen für die
Freie Stadt Triest waren zuvor von den Mächten - wenn auch z.T. nach Prüfung
ethnischer Argumente vor Ort - festgelegt worden; von einem Plebiszit w ar hier
so wenig wie sonst die Rede57.
Die Probleme von neuer oder alter Diaspora wurden in den Friedensverträgen
zumeist mit Optionsregeln zur Emigration angegangen. Viel wichtiger w ar jedoch
nach dem Zweiten Weltkrieg eine andere Erscheinung, welche mit Selbstbestim­
mung nur bedingt zu tun hatte: die Zwangsmigration von M illionen Menschen,
welche hunderttausendfachen Tod mit sich brachte. H ier kann nur die Dimension
benannt werden. Was vor und im Friedensvertrag von Lausanne 1923 begonnen
hatte, w urde ab 1939 zum Kernbestand nationalsozialistischer Kriegspolitik, aber
auch sowjetischer Maßnahmen. Das betraf Volksdeutsche, die oft auch erste O p ­
fer wurden, mehr aber noch Juden und dann vor allem Slawen vieler N ationali­
täten, die gerade dadurch vielfach in den Tod getrieben wurden. Bis zu einem ge­
wissen Grad als Reaktion darauf läßt sich die Zwangsmigration von Deutschen
aus großen Teilen Mittel- und Ostmitteleuropas begreifen. D arüber hinaus w u r ­
den hier traditionelle Ambitionen neuer Staaten systematisch umgesetzt. Dieses
„gründliche A ufräum en“ (Churchill 1944) fand als Vertreibung von Deutschen,
aber auch U m siedlung von Polen, U ngarn etc. statt. Es ging dabei auch darum
ethnisch homogenere Staaten als zuvor zu schaffen. A ber diese Vorgänge wurden
prim är von außen geleitet und nicht durch Bevölkerungswillen herbeigeführt oder
später mehr als formal sanktioniert58.
Wenn ein Recht auf Selbstbestimmung in der konkreten territorialen oder poli­
tischen Friedensordnung nach 1945 kaum einmal durchgesetzt wurde, so wurde
es dennoch als Prinzip nachhaltig in der Charta der Vereinten Nationen veran-
(L an h am 1985); D aniel Yergin, D er zerb ro ch en e F ried en . D er U rsp ru n g des K alten K rieges
un d d ie T e ilu n g E u ro p as (F ran k fu rt a .M . 1979) 10 9-262 ; Joh n W heeler-Bennett, A ntony
Nichols, T h e S em b lan ce o f P eace. T h e P o litica l S ettlem en t after the Secon d W o rld W ar (L o n ­
do n 1972).
57 Jean-B aptiste D urosdle, L e co n flit de T rieste, 19 43-19 54 (B rü ssel 1966); Glenda Sluga,
T h e P ro b lem o f T rieste and the Italo -Y u g o slav B o rd er: D ifferen ce, Id e n tity, and S o v ere ig n ty
in T w e n tie th -C e n tu ry E u ro p e (A lb an y, N e w Y o rk 2001).
58 M atthias Beer, U m sied lu n g , V ern ich tun g, V ertreib u n g. N a tio n a le P u rifiz ie ru n g , in: A u f
dem W eg zu m eth n isch rein e n N a tio n a lsta a t? E u ro p a in G esch ich te u n d G eg e n w art, h rsg. v.
Matthias Beer (T ü b in g en 22007) 119—144 (135 - „clean s w e e p “ C h u rc h ill); zu r D im en sio n :
Eugene M. Kulischer, E u ro p e on the M ove. W ar and P o p u la tio n C h an g e s, 19 17-19 47 (N e w
Y o rk 1948); Joseph B. Schechtman, P o stw a r P o p u la tio n T ran sfer in E u ro p e, 1945-1955 (P h il­
ad elp h ia 1962); N orm an Naim ark, Fires of H atred . E th nic C le a n sin g in 20th C e n tu ry
E u rop e (C a m b rid g e 2001) (dt. 2004).
Die D is k u s s io n u m das S elbstbe stim m un gsrec ht nach d en W eltk rie gen
137
kert59. H ier tauchte es prominent im Artikel 1 (2) auf und bildete eine der w ich ­
tigsten Ausformungen für die Wahrung von Weltfrieden und internationaler Si­
cherheit. Danach war das Ziel, „freundschaftliche, auf der Achtung vor dem
Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende
Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln und andere geeignete M aß ­
nahmen zur Festigung des Weltfriedens zu treffen“. Wenn Gleichberechtigung
nur auf der Grundlage von Souveränität denkbar war, dann stand mit Selbstbe­
stimmung, ein Begriff, der in Artikel 55 wiederholt wurde, ein dynam ischer Be­
griff dagegen. Er w urde auf sowjetisches Betreiben eingefügt. Bei dieser zweiten
Erwähnung folgte der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung eine Auflistung
von Kollektiv- und Individualrechten für wirtschaftliches und soziales Wohlerge­
hen. Letztlich w urde dies auch in Verbindung mit konkreten individuellen M en­
schenrechten und Grundfreiheiten im Zusammenhang mit Rasse, Sprache, Ge­
schlecht und Religion gebracht60.
Von sowjetischer Seite w urde demgegenüber immer wieder betont, es gehe
darum, die U nabhängigkeit von Völkern herzustellen, welche diese noch nicht be­
säßen. H ier fand sich eine indirekte Verbindung zu den an anderen Stellen gefun­
denen Regelungen für Treuhandgebiete und Kolonien61, welche die Kolonial­
mächte gerade aus der Agenda heraus zu halten versuchten. Was auf der Konfe­
renz von San Francisco erstmals formuliert wurde, stand also im Spannungsfeld
der Souveränität von Staaten und der Veränderbarkeit staatlicher Zugehörigkeit.
Insofern war es wichtig, daß hier auch nur ein Grundsatz (principle) als regulative
Größe, nicht ein (unmittelbares) Recht formuliert wurde. Der Plural von nations
und peoples signalisierte in ähnlicher Weise ein Spannungsverhältnis, das nur
durch künftige Politik aufzulösen war. Die Entwicklung zu einem „Recht auf
Selbstbestimmung“ war damit vorgezeichnet. Ebenso zeichneten sich daraus w ei­
tere Probleme ab, gerade im U m gang mit kommunistischen Staaten, in der deut­
schen Frage und vor allem in den Unabhängigkeitsbestrebungen dessen, was seit
den 1950er Jahren „Dritte Welt“ genannt wurde.
59 Rabl, S elb stb e stim m u n g srec h t 19 4-207 ; Evan Luard, A H is to r y o f the U n ited N atio n s,
Vol. 1. T h e Years o f W estern D o m in atio n , 1945-1955 (L o n d o n u .a . 1982) bes. 17 -92; H elm ut
Volger, G esch ich te d er V ereinten N atio n en (M ü n ch en 22008) 1-2 8; Wolfgang Heidelmeyer,
D as S elb stb e stim m u n g srec h t d er V ö lk er (P ad erb o rn 1973) 171-182.
60 Paul Kennedy, P arlam e n t d er M en sch h eit. D ie V ereinten N atio n en un d der W eg zu r W elt­
gesellsch aft (M ü n ch en 2007) 2 0 8 -2 3 9 .
61 M o lo to v in einem In te rv iew d er N Y T, 8. M ai 1945: „D ie S o w je td e le g a tio n ist sich k la r
d arüb er, dass w ir u n ter d em G esich tsp u n k t der In teressen d er in tern atio n a le n S ich erh eit
zu n äch st d afü r so rgen m üssen , dass den ab h än g igen L än d ern so rasch als m ö glich d er W eg in
d ie U n a b h ä n g ig k e it geö ffn et w e rd e .“ Zit. n. Rabl, S elb stb e stim m u n g srec h t 195, A .650.
138
J o s t D ülffer
V.
In der Bilanz der Friedensregelung nach dem Zweiten Weltkrieg wird deutlich,
daß der Grundsatz der Selbstbestimmung bereits zuvor eine solche innere D y n a ­
mik entwickelt hatte, daß er zum Kleingeld emanzipatorischer Berufung wurde.
Die meisten Regelungen hatten gerade im Krieg und in der Nachkriegszeit militä­
rische Eroberung, politische Interessenabsprache und ideologische Absicherung
als Grundlage. Das ließ dennoch einen Kern an Prinzipien, beginnend mit der A t­
lantik-Charta, immer wieder aufscheinen und als regulative Forderung nach freien
Wahlen, Regierungen in Übereinstim mung mit dem frei geäußerten Willen der
Bevölkerung und ähnlichen Formeln erscheinen. Voraus gegangen und parallel
lief weiter - anders als nach dem Ersten Weltkrieg - ein vielfältiger Prozeß an
Flucht und Umsiedlungen, die „Europe on the m ove“ (Kulischer) sah. Ob „popu­
lation redistribution“ aber die Lösung der Probleme darstellt, wie William R.
Keylor meint62, darf man bezweifeln. Der U S-H isto rik er schreibt: „The simple
and surgical solution to a previously intractable problem in Europe set an instruc­
tive precedent for the rest of the w o rld “, vor allem bei der indischen U nabhängig­
keit. Dieses Ä quivalent zu den Minoritätenregelungen nach dem Ersten Weltkrieg
habe an die Stelle der Bestrebungen nach Grenzziehungen zur Vermeidung von
Blutvergießen ein besseres Prinzip gesetzt: „Moving people might [w o rk ]“. Das
ist nachdrücklich zu bezweifeln.
Friedensregelungen nach Weltkriegen wie im 20. Jahrhundert schufen besten­
falls Angebote zur langfristigen Befriedung. Das hatte neben den rechtlichen Ver­
einbarungen vor allem soziale, ökonomische und kulturelle Folgen. Selbstbestim­
mung, Demokratie und freie Wahlen setzen an sich sympathische Werte um. Aber
ob sie nach den mentalen Verwüstungen von Kriegen nicht zuviel an Kompro­
mißfähigkeit, Toleranz und gemeinsamem Aufbauwillen voraussetzten, blieb für
jeden Einzelfall zu prüfen. „Institutionalisierung vor Liberalisierung“ (IBL) hat
der kanadische Politikwissenschaftler Roland Paris die Leitlinie für U N -F riedensmissionen seit den 1990er Jahren genannt - und nicht die simple U m setzung
von Selbstbestimmung63. Etwas könnte daran sein.
Summary
“B y wrapping up national sovereignty in the idealistic language of self-determi­
nation the peacemakers concealed from themselves the flaw in the system they
had created”, was Alfred C o b b an ’s judgm ent of the peace agreements after World
War I. This paper shows how the notion of self-determination was w idely and in62 Keylor, P rin c ip le 51 ff. (vgl. A n n i. 3),
63 Roland Paris, W enn die W affen sch w eigen . F rie d e n sk o n so lid ie ru n g nach in n e rstaatlich en
G e w a ltk o n flik te n (H a m b u rg 2007). V gl. m eine R ezen sio n vom 2 5 .0 1 . 2008: <http://
h so z k u lt.g esch ic h te.h u -b erlin .d e / rez e n sio n e n / 2 0 0 8 -l-0 7 2 >.
Die D is k u s s io n u m das Selb stb e stim m u n gsrec h t nach d en W eltk riegen
139
discrim inately used in various political circles within the Entente as well as within
the Central Powers during the Great War. The notion was connected with con­
flicting political intentions. Thus self-determination did not figure prominently
among other criteria in the concrete peace negotiations and treaties. In the inter­
w ar period, “self-determination” developed into a tool for agitation in the Central
powers countries, coupled with the intention of revision. As a consequence the
coalition of the U nited Nations developed alternative notions during World War
II such as the choice of free governments, democratic elections or the removal of
the remains of fascism. The notion of self-determination was therefore hardly
used in the concrete peace solutions, but, due m ainly to a Soviet initiative, in­
cluded in the U N Charter. After World War I m inority rights became a supple­
ment of self-determination, a function which after World War II according to
some historians changed to (forced) migration. This author w o uld disagree.
Marina Cattaruzza und Sacha Zala
W ider das Selbstbestimmungsrecht?
Wilsons Vierzehn Punkte und Italien in der europäischen
O rdnung am Ende des Ersten Weltkriegs
Konkurrierende Konzeptionen der Selbstbestimmung und
Wilsons Vierzehn Punkte
Die Vierzehn Punkte zur Nachkriegsordnung, die W oodrow Wilson in seiner be­
rühmten Rede vom 8 . Januar 1918 vor dem amerikanischen Kongreß darlegte1,
gelten zu Recht als eines der eindrucksvollsten Zeugnisse der politischen Vision
des amerikanischen Präsidenten. Darin kam der Gewährleistung von Sicherheit
und Freiheit für alle Nationen - jenseits ihrer Größe und machtpolitischen Posi­
tion - eine prominente Stellung zu.
Wilsons Vierzehn Punkte stellten eine Reaktion auf die diplomatische Offen­
sive Lenins dar, der schon in seiner Rede über den Frieden am 26. O ktober 1917
die Forderung verbreitete, den Weltkrieg sofort durch einen „gerechten, demo­
kratischen Frieden“ auf der Basis von drei Prinzipien zu beenden: keine Kriegs­
entschädigungen, keine Annexionen und die R egelung der territorialen Verhält­
nisse auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker2. A m 15. N o ­
vember 1917 verkündeten die Bolschewisten für alle Nationalitäten auf dem B o ­
den des alten Zarenreichs das volle Selbstbestimmungsrecht einschließlich des
Rechtes, aus dem Staatsverband auszuscheiden, und ersuchten zugleich die M it­
telmächte und die T ürkei um den Abschluß eines Waffenstillstandes zur Einlei­
tung von Friedensverhandlungen.
1 V gl. A d d ress o f th e P resid en t of the U n ited States D eliv ered at a jo in t Sessio n o f the Two
H o uses o f C o n g ress, J a n u a r y 8, 1918, in: P ap ers R elatin g to th e F o reign R elatio n s o f th e U n i­
ted States (= F R U S ) (1918) S u p p lem en t 1: T h e W orld W ar, B d, 1, (W ash in gto n 1933) 12-17.
V gl. auch A rth u r S. Link (H rsg .), T h e P ap ers o f W o o d ro w W ilso n , Bd. 45 (P rin ce to n 1984)
53 4 -5 3 9 .
2 V gl. W ladim ir Iljitsch Lenin, R ed e ü b er den F ried en 26. O k to b e r (8. N o v em b er) 1917, in:
W ladim ir Iljitsch Lenin, W erk e, Bd. 26, S ep tem b er 1 9 1 7 -F eb ru a r 1918 (B erlin , 1961) 2 3 9 243.
142
M a r in a C a t t a r u z z a un d Sacha Zala
Wilson konterte das radikale Programm Lenins mit der umfassenden Vision
einer „neuen Diplom atie“, der Etablierung des freien Zugangs zu den Meeren und
der Errichtung eines Völkerbundes. Die „Vierzehn Punkte“ behandelten ver­
schiedene Aspekte der zukünftigen Weltordnung und können thematisch folgen­
dermaßen gruppiert werden: Eine erste Gruppe der von Wilson verkündeten Ziele
betraf allgemeine Grundsätze für die Nachkriegsordnung wie freier Handel, freie
Schiffahrt, „New D ip lo m acy“, Abrüstung und beginnende Entkolonialisierung.
Eine Stellung für sich beanspruchte die Bildung eines Völkerbundes, der den
großen wie den kleinen Staaten politische U nabhängigkeit und territoriale Unver­
sehrtheit garantieren sollte. Eine dritte Gruppe von Programmpunkten betraf
schließlich die konkreten territorialen Regelungen. Sie wurden sehr stark von W il­
sons Expertenpool, der In q u iry 3, und von den britischen Verbündeten mitgestal­
tet und vor dem Hintergrund der bestehenden Machtverhältnisse zwischen den
Bündnissen formuliert.
A uf der Ebene der territorialen Regelung hören sich die Vierzehn Punkte ziem ­
lich moderat an, wobei sie sich stark an die „Friedenszielrede“ von Llo yd George
vom 5. Januar 1918 anlehnen4. Im Grunde ging es dabei um die Wiederherstellung
des europäischen Status quo der Vorkriegszeit, wobei Deutschland aufgefordert
wurde, sich aus den besetzten Gebieten zurückzuziehen (Belgien, Rußland, R u ­
mänien, Serbien, Montenegro). Als Korrekturen zur bloßen R ückkehr zur Vorkriegssituarion waren die Rückgabe Elsaß-Lothringens an Frankreich und die
Errichtung eines polnischen Staates vorgesehen. Im Fall des osmanischen Reichs
w urde die volle Souveränität nur für den türkischen Teil vorgesehen, wobei es
offen blieb, welchen Status die anderen Gebiete erhalten sollten3. ÖsterreichU ngarn sollte weiter bestehen bleiben und soweit reformiert werden, daß seinen
Völkern die freie Möglichkeit zustehen würde, eine autonome Entwicklung ein­
zuschlagen.
Die Akzentsetzung auf die „autonome Entwicklung" der Völker und nicht auf
ihre Abspaltung von den bestehenden Staatsgebilden befand sich durchaus in Ein­
klang mit den politischen Auffassungen W ilsons6. Es ging ihm in erster Linie um
3 V gl. Lawrence E. Gelfland, T h e In q u iry : A m e ric a n P re p aratio n s for Peace 1917-1919
(N e w H aven 1963); Liliana Riga u n d Jam es Kennedy, M itte le u ro p a as M id d le A m erica?
„The I n q u iry “and the M a p p in g of East C e n tra l E u rop e in 1919, in: ab Im p erio (2006/4) 2 7 1 300.
4 V gl. A d d ress o f th e B ritish P rim e M in ister (L lo y d G eo rge) b efo re the T rade U n io n C o n ­
feren ce at L o n d o n , J a n u a r y 5, 1918, in: F R U S (1918) S u p p lem en t 1: T h e W orld W ar, B d. 1,
4 -1 2 .
5 V gl. A ddress of the P resid en t o f the U n ited States D eliv ered at a J o in t S essio n of the Two
H o uses o f C o n g ress, J a n u a r y 8, 1918, in: ib id . 12.
6 V gl. auch fo lgen d e B e m e rk u n g e n von K laus S ch w ab e: „A is Z eitgen o sse des S eze ssio n s­
k rieges w e ig e rte er sich d em en tsp rech en d au ch , vom S elb stb e stim m u n g srec h t ein R ech t der
A b sp altu n g eines T eiles eines S taates von dem G esam tstaat a b z u le ite n .“ Klaus Schwabe,
W o o d ro w W ilso n und d as eu ro p äisch e M äch tesystem in V ersailles: F ried e n so rg an isatio n
un d n atio n ale S elb stb e stim m u n g , in: G abriele Clemens (H rs g .), N atio n un d E u rop a. S tu d ien
z u m in tern a tio n ale n S ta ate n system im 19. un d 20. J a h rh u n d e rt. F estsch rift fü r P eter K rü g er
zum 65. G eb u rtstag (S tu ttg a rt 2001) 8 9 -1 0 8 , h ie r 93.
W id e r das S elb stb e stim m un gsrec h t?
143
eine demokratische Reform der autoritären Vielvölkerreiche und nicht um ihre
Zerstückelung nach national-ethnischen Kriterien. Der Akzent lag also auf einer
Staatsbürgergemeinschaft, die sich aus selbstverantwortlichen Individuen zusam ­
mensetzte mit dem Ziel, die W ürde des Einzelnen zu gewährleisten und sein Ver­
langen nach Freiheit zu befriedigen. Wilson schwebte eine neue internationale
O rdnung vor, die von einem Bündnis freier Nationen hätte getragen werden sol­
len, unter Verwerfung von Geheimdiplomatie, Wettrüsten und Militärbündnissen.
Wie einer der besten Kenner der politischen Vision Wilsons, L lo yd E. A m b ro ­
sius, richtig betonte, war der amerikanische Präsident kein Befürworter einer
Neufragmentierung Europas auf der Basis ethnischer Trennungslinien. Er teilte
auch nicht die dem Ethnonationalismus eigene Auffassung, daß jede nationale
Gruppe in der Lage sei, einen eigenen souveränen Staat zu bilden und aufrechtzu­
erhalten7. In der Auffassung Wilsons bedeutete Selbstbestimmung in erster Linie
demokratische Entscheidungsmacht8. Für die Bolschewisten hingegen bezog sich
das Selbstbestimmungsrecht auf ein klar abgegrenztes Siedlungsgebiet und w ar
mit dem Recht eines jeden „Volkes“ auf Sezession verbunden. Eine solche Auffas­
sung w urde von Stalin in seinem bekannten Aufsatz zur Nationalitätenfrage 1913
bekräftigt und systematisiert und von Lenin 1914 bestätigt9. N ach dem Ausbruch
des Ersten Weltkriegs erklärte auch Leo Trotzki im Zim m erwalder Manifest, daß
das Selbstbestimmungsrecht der Völker „unerschütterlicher Grundsatz in der
O rdnung der nationalen Verhältnisse sein“ m üsse10.
Die Bescheidenheit der territorialen Ziele, die in den Vierzehn Punkten anvi­
siert wurden, entsprach der normativen Kraft des Faktischen der militärischen
Lage im Januar 1918. R ußland hatte angekündigt, aus dem Krieg austreten zu w o l­
len und entsprechende Verhandlungen mit Deutschland schon Ende November
1917 gesucht. A m 5. Dezember wurde der Waffenstillstand zwischen Rußland
und den Mittelmächten unterzeichnet. A m 9. Februar 1918 Unterzeichneten die
Mittelmächte und die Türkei einen Separatfrieden mit der U kraine, die sich unter
Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht von Rußland losgelöst hatte. Im März
verlor Rußland im Friedensvertrag von Brest-Litowsk Polen, das Baltikum und
Finnland. Im Kaukasus sah sich die in Entstehung begriffene Sowjetmacht ge­
zwungen, Gebiete an die Türkei abzutreten. In Polen hatten die Mittelmächte ei­
nen Regentschaftsrat eingesetzt, der sich im April 1918 zu einer polnischen Regie­
rung unter der Schirmherrschaft Deutschlands und Österreich-Ungarns w eiter­
entwickelte. Die A nkündigung der Errichtung eines polnischen Staates seitens
7 V gl. Lloyd E. Ambrosius, W ilso n ian ism : W o o d ro w W ilso n and H is L e g a c y in A m e ric an
F o reign R elatio n s (N e w Y o rk, B a sin g sto k e 2002) 22 f., 125-134.
s V gl. Klaus Schwabe, W o o d ro w W ilso n , R e v o iu tio n a rv G erm an y, and P eacem ak in g, 1918—
1919 (C h ap e l H ill, L o n d o n 1985) 19.
9 Jo s e f Stalin, M arx ism u s un d n atio n ale F rag e, in: ders., W erk e, Bd. 2 (B erlin 1950) 2 6 6 -3 3 3 .
Vladimir Iljitsch Lenin, U b e r das S elb stb e stim m u n g srec h t d er N atio n en , in: Id., A u s g e ­
w äh lte W erk e (B e rlin 1970) 687.
10 F ü r das Z im m e rw ald er M an ifest vom 15. S ep tem b er 1915 vgl. Angelica B alabanoff, D ie
Z im m e rw a ld er B e w eg u n g 19 14 -1 9 1 9 (L e ip z ig 1928) 20.
144
M a r in a C a t t a r u z z a u n d Sacha Zala
Wilsons diente dazu, der festen Position der Mittelm ächte in Polen etwas entge­
genzusetzen. Eine Umorientierung zu den westlichen Alliierten fand unter den
polnischen Politikern dann später auch tatsächlich statt, nachdem die deutsche
Reichsleitung sich für die U nabhängigkeit Litauens, für territoriale Zugeständ­
nisse an die U kraine und für die Angliederung von polnischem Grenzgebiet an
Deutschland (sog. Schutzstreifen) ausgesprochen hatte. Italien hatte ein paar M o ­
nate zuvor, im O ktober 1917, die ruinöse Niederlage von Caporetto erlitten,
wobei deutsche und österreichische Truppen tief in das italienische Gebiet einge­
drungen w a re n 11. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die Mittelmächte vorder­
gründig betrachtet in einer starken Position.
Einige Monate später sah das Kriegsszenario aber bereits völlig anders aus. Der
Angriff der deutschen Truppen auf Paris war im A pril gescheitert, und ab Juli
leisteten die Deutschen der Offensive der alliierten Truppen nur noch geringen
Widerstand. Im N am en der Obersten Heeresleitung forderte Erich Ludendorff
Ende September, aus Furcht vor einem Zusammenbruch der deutschen Westfront,
die sofortige Anbahnung von Verhandlungen für einen Waffenstillstand12. Im
Sommer w ar der tschechoslowakische N ationalrat in London zum Kern eines
tschechoslowakischen Staates erklärt worden, nachdem schon die tschechische
Legion als mitkämpfendes H eer auf der Seite der Alliierten anerkannt worden
w a r 13. D amit w urde das Konkursverfahren der Habsburger Monarchie eingelei­
tet, trotz des verzweifelten Versuches von Kaiser Karl I., das Reich, ebenfalls
durch Rückgriff auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker, noch zu retten.
In der N acht vom 15. auf den 16. O ktober w urde in einer Sitzung des österrei­
chischen Ministerrates in Wien die V erkündung eines „Allerhöchsten Manifests
betreffend die innere Umgestaltung Österreichs“ beschlossen. Das V ölkerm ani­
fest enthielt ein radikales föderalistisches Programm zur Reform der Habsburger
Monarchie. Die Reichsratsabgeordneten wurden aufgefordert, Nationalräte zu
bilden, die das Selbstbestimmungsrecht der V ölker wahrnehmen sollten. Dadurch
hätte die Habsburger Monarchie durch den Volkswillen legitimiert werden sollen,
um von einer stärkeren Position aus an den Friedensverhandlungen teilnehmen zu
k önnen14. Allerdings führte die A nkündigung des Selbstbestimmungsrechts als
Grundlage des neuen H absburger Reichs dazu, daß die N ationalräte entgegen der
" V gl. fü r ein en Ü b e rb lic k z u r E reign isgesch ich te un d fü r eine w eiterfü h re n d e B ib lio g ra ­
p h ie G erhard Hirschfeld, G erd Km m eich, Irm a Renz (H rsg .), E n z y k lo p ä d ie E rster W elt­
k rie g (P ad erb o rn 2003).
12 Wolfgang j . Mommsen, D eu tsch lan d , in: Hirschfeld, Kmmeich, Renz (H rsg .), E n z y k lo p ä ­
d ie E rster W eltk rie g , 15-30, in sb. 2 7 ff.
13 Frangois Fejtö, R eq u iem fü r ein e M o n arch ie. D ie Z e rsch lagu n g Ö ste rre ic h -U n g a rn s
(W ien 1991) 363. Frank Hadler, T sch ech o slo w ak ei, in: Hirschfeld, Krumeich, Renz (H rsg .),
E n z y k lo p ä d ie E rster W eltk rie g 929{.
14 „A n die V ö lk er, au f d eren S elb stb e stim m u n g srec h t das neue R eich sich grü n d e n w ird , e r ­
geht M ein R u f, an dem gro ß en W erk e d u rch N atio n a lrä te m itz u w irk e n , die - g e b ild et aus
d en R e ich sratsab g e o rd n ete n je d e r N atio n - d ie In teressen d er V ö lk e r m it M e in e r R eg ieru n g
z u r G eltu n g b rin g en s o lle n .“ Helmut. Rumpler, D as V ö lk erm a n ife st K aiser K arls vom
16. O k to b e r 1 9 1 8 - le tz te r V ersuch z u r R ettu n g des H a b sb u rg e rreich es (M ü n ch en 1966) 90 f.
W id e r das S elb stb e stim m un gsrec h t?
14 5
Absicht Kaiser Karls I. die Sezession der jeweiligen Länder einleiteten: Zusammen
mit den Exilregierungen bildeten sie das Gerüst der Nachfolgestaaten der H abs­
burger Monarchie.
Diese kursorische Rekonstruktion dient dazu zu verdeutlichen, w ie stark seit
der Friedensoffensive der Bolschewisten die Vorstellung des Rechts auf Selbstbe­
stim mung zu einer Leitidee der verschiedenen Entwürfe zur Nachkriegsordnung
wurde. In seiner Rede vor dem Kongreß am 11 . Februar 1918 - also etwa einen
Monat nach der A nkündigung der Vierzehn Punkte - hatte auch Präsident Wilson
feierlich erklärt: .„Self-determination* is not a mere phrase. It is an imperative
principle of action, which statesmen will henceforth ignore at their peril .“ 15 Frei­
lich wohnte diesem Begriff stets eine gewisse M ehrdeutigkeit inne, die hauptsäch­
lich darin begründet lag, daß nicht leicht festzustellen ist, unter welchen Bedin­
gungen eine Gruppe von Menschen als „Volk“ deklariert werden kann.
Selbstbestimmung, verstanden als Recht auf Sezession, geht zweifellos auf Le­
nin und nicht auf Wilson zurück. Das Hauptanliegen des amerikanischen Präsi­
denten bestand eher darin, eine demokratische Entwicklung zu fördern, die sich
auch in der A ußenpolitik und in den internationalen Beziehungen hätte niederschlagen sollen. Im Grunde hätte die A ußenpolitik von denselben demokratischen
Prinzipien geleitet werden sollen, die der Innenpolitik der modernen D em okra­
tien als Basis dienten16. In jedem Fall w urde Selbstbestimmung seit der Friedens­
rede Lenins zu einer mächtigen argumentativen Ressource bei außenpolitischen
Verhandlungen. Wie ein italienischer H istoriker vor einiger Zeit bemerkt hat, öff­
nete die bolschewistische Revolution eine Bresche in der institutioneilen Tren­
nung zwischen Innen- und A ußenpolitik, wobei die aus dem 19. Jahrhundert
übernommenen diplomatischen Prozeduren (darunter die Geheim haltung der in­
ternationalen Verträge) aus den Angeln gehoben wurden. Dadurch w urde der
Ideologisierung der internationalen Beziehungen Tür und Tor geöffnet17.
15 V gl. A d d ress of the P resid en t o f the U n ited States D elivered at a Jo in t sessio n o f the Two
H o uses o f C o n g ress, F e b ru a ry 11, 1918, in: F R U S (1918) S u p p lem en t 1: T h e W orld War,
Bd. 1 (W ash in gto n 1933) 10 8-113 , h ier 110.
16 D ie stark e B eto n u n g ein er d em o k ratisch en E rn eu eru n g der A u ß e n p o litik in d er V ision
W ilso n s k o m m t in fo lgen d er P assage aus d er R ed e am 4. J u li 1918 zu den Z ielen des K rieges
b eso n d ers d eu tlic h zu m A u sd ru c k : „The co n sen t of all n atio n s to be go vern ed in th e ir co n ­
duct to w a rd s each o th er b y the sam e p rin c ip le s o f h o n o u r and of resp ect for the co m m o n law
of civ iliz e d s o c ie ty th at go vern the in d iv id u a l citiz en s o f all m o d ern states in th e ir relatio n s
w ith one an o th er; to the end th at all p ro m ises and co ven an ts m ay be s a c re d ly o b serv ed , no
p riv ate p lo ts o r co n sp irac ies h atch ed , no selfish in ju rie s w ro u g h t w ith im p u n ity, and a m utual
tru st estab lish e d up o n the h an d so m e fo u n d atio n o f a m u tu al resp ect for rig h t.“ A d d ress of
P resid en t W ilso n D elivered at M o u n t V ern on , J u li 4, 1918, in: F R U S (1918) S u p p lem en t 1:
T h e W o rld W ar, B d. 1 (W ash in gto n 1933) 2 6 8 -2 7 1 , h ier 270.
17 V gl. Carlo M. Santoro, L a p o litica estera di un a m ed ia p o ten za. L T talia d a ll’ U n itä ad oggi
(B o lo g n a 1991) 146.
146
M a n n a C a t t a r u z z a un d Sacha Zala
Italiens territoriale Aspirationen
Bei Kriegsbeginn hatte sich Italien mit einem „Hasardspiel “ 18 eine günstige poli­
tische Ausgangslage für eine Reihe territorialer Ansprüche geschaffen. O bwohl
M itglied des Dreibundes, hatte es am 3. August 1914 seine Neutralität erklärt. Da
die italienische Regierung während der Julikrise nicht konsultiert worden w ar und
weil es sich nicht, w ie im Dreibund vereinbart, um einen Verteidigungskrieg han­
delte, anerkannte Italien keine Beistandsverpflichtung, was formaljuristisch den
Bündnisbestimmungen entsprach. Italien forderte vom Bündnispartner des öster­
reichischen Einmarsches in Serbien wegen sogar sofortige Verhandlungen über
territoriale Kompensationen, mit der durchaus realen Absicht, sich bei erhebli­
chen österreichischen Konzessionen weiterhin neutral zu halten. Dies scheiterte
allerdings an der österreichischen Weigerung, Konzessionen einzugehen, trotz des
gegenteiligen Rats der deutschen R egierun g19.
Nach der Konsultation beider Kriegsparteien über den Preis eines Kriegsein­
trittes bzw. der N eutralität stellte sich Italien auf die Seite der Ententemächte. Der
Preis w urde im so genannten „Londoner G eheim abkom m en“ verbrieft, welches
der italienische Botschafter zusammen mit den Vertretern Großbritanniens, R u ß ­
lands und Frankreichs am 26. April 1915 in London Unterzeichnete20. M it dem
Londoner A bkom m en verpflichtete sich Italien, binnen eines M onats an der Seite
der Entente in den Krieg einzutreten. Bei siegreichem A usgang sollte es als Ge­
genleistung mit umfangreichen territorialen Erwerbungen entschädigt werden.
Demzufolge sollten das Trentino und der südliche Teil Tirols bis zur „natürli­
chen“ Brennergrenze, Triest, Görz und Gradisca, Istrien (Art. 4 und note) und ein
großer Teil Dalmatiens (Art. 5 und note) an Italien fallen, dazu kamen u.a. noch
das Protektorat über Albanien (Art. 7) sowie die Anerkennung der italienischen
Souveränität über einige schon im Laufe des Libyschen Krieges 1911 besetzte In­
seln des Dodekanes (Art. 8 ). Des weiteren sollte Italien bei der G renzziehung in
den afrikanischen Kolonien bevorzugt behandelt werden (Art. 13)21. Der eigent­
liche Initiant des Londoner A bkom m ens w ar der italienische Außenminister Sid­
ney Sonnino. Neben der Vollendung der nationalen Einigung verfolgte er die
Schaffung einer strategischen Grenze am östlichen und nördlichen A lpenkam m
(Brennerpaß, Schneeberg) und die Etablierung einer italienischen Machtposition
18 Gian Enrico Rusconi, D as H a sa rd sp ie l des Ja h res 1915. W arum sich Italie n fü r d en E in tritt
in den E rsten W eltk rie g en tsch ied , in '.Johannes H ä rter u n d Gian Enrico Rusconi (H rsg .), D er
K rie g sein tritt Italien s im M ai 1915 (M ü n ch en 2007) 13 -4 4 .
19 V gl. Umberto Corsini u n d R u d o lf Lill, S ü d tiro l (B o z en 1988) 38 f.
2 ° p ü r e; ne ein g eh en d e R e k o n stru k tio n d er d ip lo m atisc h e n V erh an d lu n g en vgl. M ario Tos­
cano, R iv e la z io n i e n uo vi d o cu m e n t! su l n eg o z iato di L o n d ra p er l’in gresso d e ll’Ita lia n ella
P rim a G u erra M o n d iale, in: N u o v a a n to lo g ia , N r. 19 76-19 79 (196 5) 4 3 3 -4 5 7 , 15 -3 7 , 150—
165, 2 9 5 -3 1 2 ; William A. Renzi, I t a ly ’s N e u tra lity and E n trance in to the G reat W ar: A R e ­
ex am in atio n , in: T h e A m erican H isto ric a l R e v ie w 73 (1968/5) 1414-1432.
21 F ü r den T ext des L o n d o n e r G eh eim ab ko m m en s vom 26. A p ril 1915 vgl. D o cu m en ti D i­
p lo m a tic ! Ita lia n i, S erie 5, B d. 3, D ok. 470. D ie note z u m A rt. 5 sch lo ß d en H afen vo n F iu m e
e x p liz it von den Italie n versp ro ch en en B e sitz u n g en aus.
W id e r das Selb stb e stim m un gsrec h t?
147
im Adriagebiet. Solche Pläne gingen davon aus, daß Österreich-U ngarn aus dem
Krieg zwar geschwächt herauskommen, aber dennoch weiterhin existieren würde.
- A m 4. M ai 1915 kündigte Italien vertragsgemäß den Dreibund und trat zwanzig
Tage später in den Krieg gegen die einstigen Verbündeten, die Mittelmächte, ein.
Dies w ar das Ende einer schwierigen und nicht im mer konfliktfreien Allianz, w e l­
che seit 1882 bestanden hatte. Die Kriegserklärung Italiens an Ö sterreich-Ungarn
bedeutete für die Mittelmächte die Eröffnung einer dritten Kriegsfront.
Dem Kriegseintritt Italiens ging eine M assenmobilisierung der nationalistisch
gesinnten öffentlichen M einung voraus. Dabei taten sich die Emigranten aus den
„unerlösten Gebieten" (terre irredente) besonders hervor. In der nationalen R h e­
torik w urde der Krieg zum „Vierten Risorgim ento-Krieg“ verklärt, der die natio­
nale Einigung vollenden sollte. In der Tat diente die Präsenz von mehr oder w en i­
ger großen Gruppen italienischer Bevölkerung in den beanspruchten Gebieten als
mächtiges Legitimationsargument für die territorialen Forderungen. Laut dem
demokratischen Kriegsbefürworter Gaetano Salvemini konnte das junge König­
reich nicht darauf verzichten, die eigene nationale Einigung zu vollziehen, da „das
neue Italien in dem Glauben an das Recht der Nation auferstanden war, und nur in
diesem Recht konnte es seine ethische G rundlage finden“22. Die Entscheidung
zum Kriegseintritt w urde unter dem Druck der Straße und unter U m gehung einer
die Neutralität befürwortenden parlamentarischen Mehrheit getroffen23.
Die Pariser Friedenskonferenz w ider das
Selbstbestimmungsrecht
A m 18. Januar 1919 w urde im Außenm inisterium in Paris die Friedenskonferenz
eröffnet. A nw esend w aren siebzig Delegierte aus den 27 Siegerstaaten24. Der USamerikanische Präsident w ar auf dieser Friedenskonferenz die politische Schlüs­
selfigur, da er einerseits als einziges Staatsoberhaupt anwesend w ar und anderer-
G aetano Salvem ini, S critti di p o litic a estera, in: O p ere (M ilan o 1970) Bd. 4, 16 0f.
23 V gl. M arina C attaruzza, L’Ita lia e il co n fin e o rien tale (B o lo g n a 2007) 8 5 -9 6 .
24 V gl. aus z e itg en ö ssisch er S ich t: C e q u i se p assa reellem en t ä P aris en 19 18-19 19. H isto ire
de la C o n fere n c e de la p aix , p ar les delegu es am ericain s, p u b lie e p ar le co lo n el H o u se, co m m issaire p le n ip o te n tia ire des E tats-U n is, et C h arle s S ey m o u r, P aris, P a y o t, 1923; Rene
Albrecbt-C arrie, Ita ly at the P aris P eace C o n fere n c e (N e w Y o rk 1938) (T he P aris P eace C o n ­
ference. H is to ry and d o cu m en ts). E ine D a rste llu n g aus italie n isc h e r S ich t d e r ö ste rre ic h isc h ­
italien isch en B e z ie h u n g w äh ren d d er F ried e n sk o n fere n z b ietet Federico C urato, D ie ö ste r­
re ich isch -ita lien isch en B ezie h u n ge n au f d er P arise r F ried e n sk o n fere n z 1919, in: Adam
W andruszka u n d Ludwig Jedlicka (H rsg .), In n sb ru ck -V en ed ig. Ö sterre ich isc h -Ita lie n isc h e
H isto rik e rtre ffe n 1971 u n d 1972 (W ien 1975) 1 1 9-147 . E ine ein g eh en d e D a rste llu n g zu m
V ertrag von S ain t G erm ain b ietet R ichard Schober, D ie T iro le r F rage au f d er F ried e n sk o n fe­
ren z vo n S am t G erm ain , In n sb ru ck 1982 (S ch lern -S ch rifte n , B d. 270); Dennison /. Rusinow,
I t a ly ’s A u strian h eritage, 19 19-19 46 (O x fo rd 1969) 5 3 -7 6 .
148
M a rin a C a t t a r u z z a und Sacha Zala
seits in seine umfassende Weltfriedensstrategie das ganze Gewicht seines Amtes
und seiner Person gelegt hatte25.
Der Fall Italien verdeutlicht exemplarisch, vor welche Probleme das Selbstbe­
stimmungsrecht die Friedensmacher stellte. Von Wilsons Vierzehn Punkten, war
der Punkt über Italien der knappste und prägnanteste: „A re-adjustment of the
frontiers of Italy should be effected along clearly recognizable lines of nationa­
lity .“26 Nach Wilsons Auffassung hätte also Italien eine Berichtigung der Grenzen
nach klaren nationalen Kriterien erhalten sollen27. Dies bedeutete deutlich w e n i­
ger Gebiete als im Londoner A bkom m en vorgesehen, gemäß dem im Adriaraum
und an der nördlichen Grenze erhebliche Kontingente an deutscher und südslaw i­
scher Bevölkerung ins Italienische Königreich hätten einverleibt werden müssen.
Als Wilson zu den territorialen Gewinnen Italiens Stellung bezog, war das bis da­
hin geheime Londoner A bkom m en zwischen der Entente und Italien von den rus­
sischen Revolutionären mit großem internationalen Echo bekannt gegeben w o r­
den28. In den Augen des amerikanischen Präsidenten stellte das A bkom m en ein
Paradebeispiel für die ihm verhaßte „Geheim diplomatie“ dar, die vor dem H in ter­
grund von Machtkalkülen zynisch über V ölker und Gebiete verfugte. In der Tat
fügte sich das Londoner A bkom m en geradezu paradigmatisch in die von W oo­
drow Wilson in seiner Rede am 11. Februar 1918 gegeißelte Praxis ein, Menschen
und Gebiete beliebig der einen oder der anderen Herrschaft zu unterwerfen, als
ob sie bloße Güter oder seelenlose Schachfiguren w ären29.
Wilson und seine Experten der Inquiry empfanden die Forderungen Italiens in
territorialer Hinsicht stets als übertrieben30, wobei sie dazu tendierten, die poten­
tielle Sprengkraft der italienischen Frage massiv zu unterschätzen31. Wilson be­
klagte sich auch darüber, daß die Italiener in Versailles w ie keine andere D elega­
25 Zu d er fast re lig iö sen V ereh ru n g, d ie zu r Z eit d er E rö ffn u n g d er F ried e n sk o n fere n z W o o ­
d ro w W ilso n in d er gan zen W elt en tgeg en geb rach t w u rd e vgl. Erez M andela, T he W ilso n ian
M o m en t. S elf-D eterm in a tio n and the In te rn atio n a l O rig in s o f A n tic o lo n ia l N a tio n alism
(O x fo rd 2007) 3 -5 3 .
26 W ie A nm . 1.
27 Z u r G enese d ieses Punktes vgl. D aniela Rossini, W ilso n e il p atto di L o n d ra n cl 1 9 17 -1 8 ,
in: S to ria co n tem p o ran ea 22 (1991/3) 4 7 3 -5 1 2 , h ier 494.
28 Zu den re v o lu tio n ä re n E n th ü llu n g en vgl. Sacha 'Zala, G esch ich te u n te r d er S ch ere p o liti­
sch er Z en su r (M ü n ch en 2001) 4 7 f. B ereits im D ek re t ü b er d en F ried en h atte L en in d ie V er­
ö ffen tlich u n g a lle r G eh eim v erträge v e rk ü n d e t. V gl. D ek re t ü b er d en F ried e n , 26. 10. [8. 11.]
1917, in: Lenin, W erk e, Bd. 26: S ep tem b er 1 9 1 7 -F e b ru ar 1918 (B erlin 1961) 2 3 9 -2 4 3 , h ier
241.
29 V gl. A d d ress o f the P re sid en t o f th e U n ited S tates D eliv ered at a J o in t Sessio n o f the Two
H o u ses of C o n g ress, F e b ru a ry 11, 1918, in : F R U S (1918) S u p p lem en t 1: T h e W o rld W ar,
Bd. 1, 110.
30 V gl. zu r E in stellu n g W ilso n s zu den italien isch en A n sp rü ch en W oodrow Wilson, M e ­
m o iren u n d D o k u m en te ü b er den V ertrag zu V ersailles anno M C M X IX h erau sgegeb en von
R. St. Baker (L e ip z ig 1923) B d. 2, 9 7 -1 5 2 .
31 Daniela Rossini, L’A m e ric a risco p re P Italia. L’ In q u iry di W ilso n e le o rigim d e lla Q u e stio n e A d n a tic a 19 17-19 19 (R o m a 1992) 39 ff.
W id e r das Selb stb e stim m un gsrec h t?
14 9
tion versuchten, zugunsten ihrer Forderungen eine unermüdliche Lobby-A rbeit
zu betreiben32.
- A m italienischen Beispiel zeigen hauptsächlich zwei territoriale Fragen die
Komplexität der Verhandlungen: Südtirol, wo der Opponent der Verliererstaat
Österreich war, und Fiume, wo die italienischen Ansprüche gegenüber dem sieg­
reichen Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen hätten durchgesetzt w e r­
den müssen.
A m 4. N ovember 1918 hatte sich in Bozen ein provisorischer „Nationalrat für
D eutsch-Südtirol“ gebildet33, der mit der Ermächtigung des Tiroler Nationalrates
sämtliche Regierungsbefugnisse übernahm und am 16. N ovem ber gar die „Unteil­
bare R epublik Südtirol“ proklam ierte34. Bald nach der Besetzung Südtirols durch
italienische Truppen w urde diese politische Körperschaft der Deutsch-Südtiroler
aber aufgelöst. A m 7. Januar 1919 beschloß eine Generalversammlung aller Par­
teien eine Selbstständigkeitserklärung von Deutsch-Tirol, und unter Berufung auf
das Selbstbestimmungsrecht w urde anschließend in Südtirol eine breite U nter­
schriftensammlung organisiert. U ber die Berge geschmuggelt, erreichte der A p ­
pell Ende Februar über die Tiroler Landesregierung den US-Gesandten in Bern.
Darin baten sämtliche Gemeinden von Deutsch-Südtirol Präsident Wilson, sich
gegen die Annexion durch Italien zu stellen: „Sie haben das gewaltige Wort des
Selbstbestimmungsrechtes der Völker geprägt. [...] Seien Sie unserem Volk, unse­
rem Lande der gerechte Rich ter !“35 Die großen Hoffnungen, die in Tirol auf W il­
son gesetzt wurden, rührten wiederum von den Vierzehn Punkten her: Die Gren­
zen Italiens hätten nämlich - gemäß der Form ulierung in Punkt 9 - klar bei Salurn
und nicht auf dem Brenner liegen müssen, was den Verbleib des südlichen Teils
Tirols bei Deutsch-Ö sterreich bedeutet hätte.
Wilson aber hatte sich in Bezug auf Südtirol bereits für Italien entschieden, wie
er gegenüber dem italienischen Ministerpräsidenten Vittorio Emanuele Orlando
in einer seiner ersten Besprechungen bereits Ende Januar 1919 bemerkt hatte36.
Die Gründe für Wilsons rasche Übernahm e des italienischen Standpunkts von der
strategischen Grenze unter M ißachtung der eigenen Prinzipien werden in der
Forschung weiterhin kontrovers diskutiert, dürften aber sowohl mit der Suche
nach der Unterstützung Italiens in der Frage der Errichtung des Völkerbundes als
auch mit einer „präventiven Kompensation“ für die pro-jugoslawische H altung
Wilsons in der Adria-Frage Zusam m enhängen. Die Südtirolfrage w ar also zu Be­
32 Woodrow Wilson, M em o iren un d D o k u m en te, B d. 2, 106.
33 V gl. A m tsb latt des N a tio n a ls te s fü r D eu tsc h -S ü d tiro l, Nr. 1, Jg . 1 (17. 11. 1918); B o zen er
N a ch rich ten , N r. 255, 26. J g . (6. 11. 1918).
34 V gl. R olf Steininger, S ü d tiro l im 20. Jah rh u n d e rt. Vom L eb en un d Ü b erleb en ein er M in ­
d erh e it (In n sb ru c k 1997) 34.
35 Z it. nach K arl Springenscbmid, S ch icksal S ü d tiro l (G raz, S tu ttg art 1971) 194 f. V gl. auch
Felix Erm acora, S ü d tiro l. D ie verh in d e rte S elb stb e stim m u n g (W ien , M ü n ch en 1991) 28, 47.
36 Rossini, A m erica 106. V gl. auch C urato, D ie ö sterreic h isc h -ita lien isc h e n B ezieh u n gen
132 f.
150
M a r in a C a t t a r u z z a un d Sacha Zala
ginn der Verhandlungen der Friedenskonferenz bereits entschieden37, obschon
die Experten verschiedene Optionen in Betracht gezogen hatten, die vom Selbst­
bestimmungsrecht Südtirols über die U nabhängigkeit ganz Tirols bis zu einem
Zoll- und W ährungsverbund mit Deutsch-Österreich reichten. M it seinem Ent­
scheid hatte Wilson die Position der Einhaltung des Londoner A bkom m ens in
Bezug auf Südtirol voll übernommen und das Prinzip der Selbstbestimmung fal­
len gelassen.
Wenn Italiens nördliche Grenze in Paris relativ rasch geklärt werden konnte,
stellte seine östliche Grenze die Konferenz vor eine große Belastungsprobe: A m
24. April 1919 verließ die italienische Delegation, aus Protest gegenüber Wilsons
Beharren auf der Einhaltung einer ethnischen Demarkationslinie bei der G renz­
ziehung zwischen Italien und dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen,
die Konferenz. Die Italiener kamen aber dann am 7. Mai nach Paris zurück, nach­
dem Frankreich und Großbritannien mit der endgültigen Ignorierung des L o ndo­
ner A bkom m ens gedroht hatten. Bei den Verhandlungen mit der Entente im Jahre
1915, die zum Londoner Vertrag geführt hatten, w ar Italien, w ie erwähnt, von
Außenminister Sidney Sonnino vertreten gewesen. Sonnino war ein konservativer
Politiker, der von der „New D ip lo m acy“ nichts hielt. In seinen von R a y Stannard
Baker edierten M emoiren schildert W oodrow Wilson Sonnino als einen imperia­
listischen Diplomaten alter Schule. „Er w ar eigentlich kein Italiener. Sein Vater
war ein italienischer Jude, seine M utter eine Schottin. Ein einsamer Mann, mit fin­
sterem, unbeweglichem Gesicht, machte er direkt einen saturninischen Ein­
druck“38, sinnierte Wilson weiter. Gegenüber den Südslawen hegte Sonnino stets
ein tiefes Mißtrauen. Zur Einstellung Sonninos gegenüber den Südslawen, die d er­
jenigen der anderen Delegierten der Entente diametral entgegenstand, bemerkte
der britische Delegierte an der Friedenskonferenz, Harold Nicholson: „In Italian
eyes, the Croats and the Slovenes were the most pestilential of all our late enemies.
It was distressing for Baron Sonnino to discover on reaching Paris that the A m e ­
ricans, the British and the French, regarded these liberated Slavs as the lost sheep
over w hom there was much rejoicing“39. Nach dem Italienspezialisten James
B u rgw yn w urde die Stellung der italienischen Delegation in Paris erheblich durch
die Weigerung Sonninos geschwächt, vom Prinzip der Selbstbestimmung G e­
brauch zu machen: „Because he scorned and rejected the principle of national selfdetermination of peoples - one of the major weapons in the n ew dip lo m acy’s
arsenal - he was incapable of waging a ,w ar of Austrian succession “.“40
Ihrerseits waren die südslawischen Widersacher Italiens von Anfang an fähig,
gegen das Londoner A bkom m en öffentlich und wirkungsvoll zu opponieren und
z w ar stets mit Berufung auf das „Selbstbestimmungsrecht“, verstanden in seiner
37 F ü r ein e R e k o n stru k tio n vgl. M ario Toscano, S to ria d ip lo m a tic a d ella q u estio n e d e ll’A lto
A d ig e (B ari 1968).
38 W oodrow Wilson, M em o iren u n d D o k u m en te B d. 2, 105.
39 H arold Nicholson, P eacem ak in g 1919 (L o n d o n 1933) 165.
40 V gl. H. Jam es Burgwyn, T h e L eg en d of the M u tila te d V icto ry. Italy, the G reat W ar, and
the P aris P eace C o n feren ce, 19 15-19 19 (W estp o rt [C o n n .J, L o n d o n 1993) 142.
W id e r das S elb stb e stim m un gsrec h t?
151
territorialen Variante. Die erfolgreiche Durchsetzung des südslawischen Stand­
punktes w ar das Resultat der effektiven Lo b b y-A rb eit eines südslawisches Komi­
tees mit Sitz in London, das sich Ende April 1915 gebildet hatte und das während
des Krieges und in der Nachkriegszeit für die serbischen Forderungen und für die
Bildung eines südslawischen Staates eintrat. In seiner Zielsetzung w urde das Ko­
mitee von den einflußreichen britischen Publizisten und H istorikern Sir Arthur
Evans, Robert Seton Watson und Weekam Steed sekundiert. Schon im Juli 1917
hatten sich Delegierte des südslawischen Komitees mit dem serbischen M inister­
präsidenten N iko la Pasic in Korfu getroffen und erklärt, daß sie bereit seien, sich
einem jugoslawischen Staat unter der D ynastie Karageorgevich anzuschließen. Im
April 1918 sah sich sogar der italienische Ministerpräsident Vittorio Emanuele
O rlando gezwungen, am „Kongreß der unterdrückten Nationalitäten der H abs­
burger M onarchie“ in Rom die Bildung eines jugoslawischen Staates zu unter­
stützen. Der „Kongreß der unterdrückten N ationalitäten“ soll bei Wilson einen
großen Eindruck hinterlassen und ihn dazu bewogen haben, nicht mehr auf die
Weiterexistenz der Habsburger Monarchie Rücksicht zu nehmen41.
Nach der Bekanntgabe des Völkermanifests von Karl von Habsburg im O k to ­
ber 1918 hatte sich in Zagreb ein N ationalrat der Slawen der Monarchie gebildet,
der die Unabhängigkeit von Serben, Kroaten und Slowenen proklamierte und ihre
Absicht kundtat, sich Serbien anzuschließen. Der Nationalrat bildete umgehend
eine revolutionäre Regierung, verantwortlich für die südslawischen Gebiete der
H absburger Monarchie, die schnell das ganze Territorium voll unter Kontrolle
hatte. Die Vereinigung der habsburgischen Provinzen mit Serbien w urde von
jubelnden Massendemonstrationen in Zagreb und in den meisten südslawischen
Zentren begrüßt. Es folgten ähnliche Erklärungen in der Vojvodina, in BosnienH erzegowina und im Königreich Montenegro. A m 1. Dezember 1918 begaben
sich die Vertreter des Nationalrates nach Belgrad, um den Anschluß der ex-habsburgischen Provinzen an das serbische Königreich zu vereinbaren42. So wurden in
wenigen Wochen die ex-habsburgischen Länder zu Territorien des serbischen
Staates, der von Anfang an auf der Seite der Entente gekämpft und ungeheuere
Verluste an Menschenleben erlitten hatte. Die Aktionen des Nationalrats der Süd­
slawen, der die große Mehrheit der Bevölkerung vertrat, entsprachen eher den
Kriterien der demokratischen Selbstbestimmung als die machiavellischen M acht­
kalküle des konservativen Politikers Sidney Sonnino, der Italiens Einfluß an bei­
den Ufern der Adria festigen wollte. Die italienischen Forderungen in Dalmatien
waren unter dem Gesichtspunkt des Selbstbestimmungsrechts derart schwierig zu
legitimieren, daß selbst ein italienischgesinnter Dalm atiner schon Ende 1918 frei­
mütig zugegeben mußte, daß „wir keine demokratischen Argumente haben, die
w ir denjenigen der Jugoslawen entgegen setzen können“43.
41 V gl. M arina C attaru zza, L’ Italia e il co n fin e o rien tale 105 f.
42 V gl. Ivo J. Lederer, Y u go slavia at the P aris Peace C o n feren ce. A s tu d y in F ro n tierm a k in g
(N e w H av e n , L o n d o n 1963) 3 6 -5 3 .
43 V gl. Luca Riccardi, F ran cesco S alata tra sto ria, p o litica e d ip lo m a z ia (U d in e 20 01) 191.
152
M a r in a C a t t a r u z z a un d Sacha Zala
Etwas anders verhielt es sich mit der an Istrien grenzenden Stadt Fiume/Rijeka.
Bis zum Ersten Weltkrieg gehörte Fiume zu Ungarn und damit zum Flabsburgerreich und genoß auf Grund eines Diploms von M aria Theresia von 1779 eine „be­
sondere Provinzautonom ie“ . A m 29. O ktober 1918, als Ö sterreich-Ungarn in den
letzten Zügen lag44, verließen die ungarischen Behörden die Stadt Hals über Kopf,
und sie w urde in der Folge von Truppen der neu gegründeten provisorischen
kroatischen Regierung in Zagreb militärisch besetzt. Zwei Wochen vorher, am
16. O ktober 1918, hatte Karl I., wie oben erwähnt45, in seinem letzten verzweifel­
ten Versuch, die Monarchie zu retten, die Nationalitäten Österreichs aufgefordert,
Nationalräte als O rgane der Vertretung der V ölker zu schaffen. D er Zusam m en­
bruch der M acht der Habsburger führte auch im ungarischen Teil zur Bildung von
Nationalräten, die aus Persönlichkeiten je einer Nationalität zusammengesetzt
waren. So entstand in Fiume neben dem kroatischen N ationalrat auch ein italieni­
scher Nationalrat (Consiglio N azionale Italiano), der sich auf den von Präsident
Wilson verbreiteten Grundsatz der Selbstbestimmung der Völker berief und feier­
lich proklamierte, „daß kraft jenes Rechts, wonach die V ölker nationale U n ab ­
hängigkeit und Freiheit erlangt haben, die Stadt Fiume, bisher ein corpus separa­
tum, das eine Gemeinde italienischer Nationalität bildete, auch für sich das Recht
der Selbstbestimmung der Völker beansprucht. A uf Grund dieses Rechts erklärt
der N ationalrat die Vereinigung von Fiume mit seinem Mutterland, Italien. Der
italienische Nationalrat betrachtet den gegenwärtigen Zustand als provisorisch ...
[d. h. die militärische Besetzung durch Kroatien] und unterstellt seinen Beschluß
dem Schutz Amerikas, M utter der Freiheit, und erwartet dessen Sanktionierung
durch den Friedenskongress .“46
Die Begeisterung über die U S A sollte aber von kurzer D auer sein, denn gerade
Präsident Wilson wandte sich in der Folge in Paris unermüdlich gegen eine A n n e­
xion Fiumes durch Italien. Jedoch währte auch die kroatische Besetzung nicht
lange. In der allgemeinen Unordnung der letzten Kriegstage und am Tag nach dem
Waffenstillstand legten italienische Kriegsschiffe im Hafen von Fiume an, und am
17. N ovember 1918 marschierten italienische Truppen in die Stadt ein, w o sie en­
thusiastisch mit einem Fahnenmeer empfangen wurden, zumindest von der M eh r­
heit der Bevölkerung, die italienischer Sprache war. Gleichzeitig gingen in der
Stadt englische, US-am erikanische und französische Soldaten an Land, die, z u ­
sammen mit den weit zahlreicheren italienischen Einheiten, das interalliierte Be­
satzungskorps bildeten, das die faktische Kontrolle über Fiume übernahm47.
44 V gl. Leo Valiani, L a d isso lu z io n e d e ll’ A u s tr ia -U n g h e ria (M ila n o 1966).
45 V gl. A n m . 14.
46 P ro k la m a tio n vom 30. O k to b e r 1918, A rc h iv io F o n d azio n e V itto ria le d eg li Ita lia n i, G ardone, A rch iv io g e n e ra le fiu m an o , C o n s ig lio n az io n a le ita lia n o , C a rte g g io p o litic o e n se rv a to
19 18-1919, B d. 241.
47 V gl. Luigi Emilio Longo, II co m an d o del co rp o d ’o ccu p az io n e in te ra lle a to a F iu m e p rim a
d elP im p resa d ’an n u n zian a, in: U n cap ito lo d i sto ria: F iu m e e D ’A n n u n z io , h rsg. v. Elena
Ledda u n d Giiglielmo Salotti (R o m a 1991) 3 5 -4 7 .
W id e r das S elb stb e stim m u n gsrec h t?
153
M it der Eröffnung der Friedenskonferenz von Paris im Januar 1919 wuchs in
Italien (und in Fiume) die nationalistische Spannung in Bezug auf die adriatische
Frage48, eine Spannung, die vom M ythos des „verstümmelten Sieges “49 kräftig ge­
schürt wurde. Die Stadt Fiume gehörte allerdings nicht zu den Kriegsprämien, die
im Londoner Vertrag festgehalten waren, da sie zur Zeit seines Abschlusses (auch
von italienischer Seite) als lebenswichtiger Flafen für U ngarn angesehen worden
war. Nach der Implosion des Flabsburgerreiches und der Entstehung des König­
reichs der Serben, Kroaten und Slowenen war die ungarische Lösung jedoch ob­
solet geworden. Obschon der italienische Nationalrat von Fiume und die Delega­
tion von Fiume in Paris mehrmals den Wunsch nach Anschluß an Italien bekräf­
tigten, w urde sehr rasch klar, daß die Alliierten nicht bereit waren, diese zusätz­
liche Annexion zu akzeptieren, denn es galt nun, Italiens Einfluß in der Adria
einzuschränken. Parallel zu den diplomatischen Entwicklungen in Paris w urde die
Lage in Fiume immer angespannter und gipfelte in einer Reihe von schweren Z w i­
schenfällen zwischen der Bevölkerung von Fiume und (mehrheitlich farbigen)
französischen Soldaten, die neun Tote zu beklagen hatten. In der Folge beschloß
eine alliierte U ntersuchungskom m ission den R ückzug des italienischen M ilitär­
kontingents aus der Stadt.
In dieser sehr verworrenen internationalen Lage kam es zu einem Uberraschungscoup: A m 12. September 1919 unterstellte sich eine Legion von Freiw illi­
gen, Soldaten und Offizieren, die aus dem regulären königlichen Fleer Italiens
desertiert waren, dem Kommando des Dichters und Kriegshelden Gabriele D ’A n ­
nunzio und marschierte im Trium phzug in Fiume ein, ohne daß die regulären
italienischen Truppen Widerstand geleistet hätten50. N achdem D ’Annunzio die
Stadt besetzt hatte, erklärte er (erneut) feierlich den Anschluß an Italien, während
sich die alliierten Truppen aus Fiume zurückzogen. Von diesem A ugenblick an bis
Ende 1920, als das italienische Heer D ’A nnunzio und seine Legionäre unter Ka­
nonendonner davonjagte, befand sich die Stadt Fiume 15 Monate lang de facto in
der Hand eines irregulären Heeres italienischer Freiwilliger, unter dem Kom­
mando eines Dichter-Soldaten51, in offenem Konflikt mit dem italienischen Staat.
Diese Situation endete erst im N ovem ber 1920 mit der Unterzeichnung des R a­
pallo Vertrags zwischen Italien und dem Königreich der Serben, Kroaten und Slo48 U b e r Italie n an d e r F ried e n sk o n fere n z sieh e Francesco Caccarno, L’Italia e la „N uo va
E u ro p a “. II co n fro n to su lP E u ro p a o rien tale alia co n feren za di p ace di P arig i (1 9 1 9 -1 9 2 0 )
(M ilan o 2000); fe rn e r d ie S tu d ie von Paolo A latri, N itti, D ’A n n u n z io e la q u estio n e ad riatic a
(1 9 1 9 -1 9 2 0 ) (P ad o va 1960). F ü r den ju g o sla w isc h e n S tan d p u n k t vgl. Ivo J. Lederer, Y u go s­
lav ia at the P aris P eace C o n feren ce: A S tu d y in F ro n tie rm a k in g (N e w H aven [C o n n . ], L o n ­
do n 1963).
49 V gl. M aria G razia Melcbionni, L a v itto ria m u tilata : p ro b lem i ed in ce rtez z e d e lla p o litica
estera ita lia n a sul fin ire d ella gran d e g u e rra (o tto b re 1 9 1 8 -g e n n a io 1919) (R o m a 1981).
50 V gl. John Woodhouse, II gen erale e il co m an d an te. C e cc h e rin i e D ’A n n u n z io a F ium e
(B o lo g n a 2004).
51 E inen gu ten Ü b e rb lic k ü b er die am U n tern eh m en b eteilig te n K ü n stler g ib t Claudia
Salaris, A lla festa d ella riv o lu zio n e. A rtisti e lib e rta ri con D ’A n n u n zio a F ium e (B o lo g n a
2002 ) . '
154
M a rin a C a t t a r u z z a und Sach a Zala
wenen52. Bis dahin versuchten die involvierten nationalen Parteien, einen M assen­
konsens für die von ihnen bevorzugte nationale Lösung regelrecht zu inszenieren,
um dadurch die Entscheidungsträger in Paris in ihrem Sinne zu beeinflussen. Der
Rapallo Vertrag kam zustande, nachdem sowohl Wilson wie auch Sidney Sonnino
von der politischen Bühne abgetreten waren. Der Vertrag stellte einen vernünfti­
gen Kompromiß zwischen unterschiedlichen Interessen dar: Italien erhielt in Dal­
matien nur wenige Brückenköpfe, dafür w urde aber die Stadt Fiume, die sich
durch ihren Stadtrat wiederholt für einen Anschluß an Italien ausgesprochen
hatte, nicht Jugoslaw ien zugeschlagen, sondern unter ein Freistaatsstatut gestellt.
Als Folge der instabilen internationalen Lage, die aus den Pariser Vorortverträgen
hervorgegangen war, w ar der Kompromiß aber nur von kurzer Dauer. Fiume
w urde mit dem Vertrag von R om vom 27. Januar 1924 zwischen Italien und Ju g o ­
slawien dem faschistischen Italien angeschlossen.
Schlußbetrachtung
Die N euziehung der italienischen Ostgrenze gestaltete sich aufgrund zweier mit­
einander zusammenhängender Faktoren besonders schwierig: a.) Das Londoner
A bkom m en zwischen Italien und der Entente w urde in der Erwartung unter­
zeichnet, daß die territorialen Ansprüche Italiens im Adriaraum gegenüber einem
besiegten Ö sterreich-Ungarn geltend gemacht werden sollten; b.) am Ende des
Krieges sollten aber diese Ansprüche gegenüber dem Siegerstaat Königreich der
Serben, Kroaten und Slowenen durchgesetzt werden. Dieser unerwartete A us­
gang des Krieges führte auch dazu, daß sich die Frage der Souveränität der Hafenstadt Fiume neu stellte. Die Mehrheit der Bevölkerung Fiumes wäre bereit gew e­
sen, weiterhin unter ungarischer Herrschaft zu leben, sie wollte sich aber nicht
den verhaßten und verachteten Kroaten zuschlagen lassen.
Die Auflösung der Habsburger Monarchie konfrontierte auch W oodrow W il­
son mit einer neuen, unerwarteten Lage, in der sich seine ursprüngliche Auffas­
sung von Selbstbestimmung kaum mehr aufrechterhalten ließ. Wenn aufgrund des
Zusammenbruchs eines Staatsgebildes sich die Frage unmittelbar stellt, zu w e l­
chem Staat eine Bevölkerung neu gehören soll, w ird Selbstbestimmung unver­
meidlich in ihrer territorialen Variante verstanden. In den konkreten Friedens­
verhandlungen berief sich Wilson mehrmals ausdrücklich auf das Selbstbestim­
mungsrecht, verstanden in seiner ethnischen Variante. Laut Klaus Schwabe hatte
sich Wilson um die Zeit einen stark europäischen Blick auf das Problem der
Selbstbestimmung angeeignet53.
Insgesamt mußte sich Wilson in Paris vielen Kompromissen beugen. U m die
U nterstützung für die Errichtung des Völkerbundes zu erreichen, mußte er sogar
52 F ü r den Text des V ertrages vgl. Am edeo C iannini, D o cu m en ti p er la sto ria d ei rap p o rti tra
P lta lia e la Ju g o s la v ia (R o m a 1934) 3 6 -4 5 .
53 Klaus Schwabe, W o o d ro w W ilso n und das eu ro p ä isc h e M äch tesystem 9 7 f.
W id e r das S elb stb e stim m u n gsrec h t?
155
von seiner „N ew D ip lo m acy“ zugunsten der alten Geheimdiplomatie der „Big
F o ur“ abweichen. John M. Keynes, der an der Konferenz Mitglied der britischen
Delegation war, hat in seinem berühmten Buch The Economic Consequences of
the Peace, das im Dezember 1919 erschien, das Versailler Friedenswerk laut
Baumgart als „Mischung zweier unvereinbarer Friedenspläne“ bezeichnet, als
M ischung zwischen den Vierzehn Punkten Wilsons und den Vorstellungen des
französischen Ministerpräsidenten Clemenceau „von einem karthagischen Frie­
den“54. Mehrere Kommentatoren meinten, Wilson habe dem Völkerbund erlö­
sende Kräfte zugesprochen und hätte, auf die H eilsw irkung des Covenant ver­
trauend, manche krassen Verstöße gegen die Selbstbestimmung bei der N euzie­
hung der Grenzen hingenommen. N ach einem anderen britischen Delegierten an
der Pariser Friedenskonferenz, Flarold Nicholson, w ar Wilson „besessen von der
Ü berzeugung, dass die Idee des Völkerbundes seine eigenste Offenbarung und
das Heilmittel gegen alle Nöte der Menschheit sei. Er war tief überzeugt, dass,
wenn nur sein neues Grundgesetz eingefügt werden könnte, wenig darauf an­
käme, welche Ungereimtheiten, Ungerechtigkeiten und flagranten Verstöße gegen
seine eigenen Prinzipien diese Verträge auch immer enthalten mochten .“55 Es ist
eine Ironie der Geschichte, daß, nach all diesen Konzessionen gegenüber den
proklamierten Prinzipien, gerade der US-Senat durch die Nichtratifizierung der
Pariser Verträge den Völkerbund entscheidend schwächte.
Als Fazit läßt sich festhalten, daß dem Selbstbestimmungsrecht beim Zustande­
kommen der Nachkriegsordnung bloß eine subsidiäre Funktion zukam, obwohl
dieses Prinzip als übergeordnete Leitidee bei den öffentlichen und enorm öffent­
lichkeitswirksamen Stellungnahmen zum Frieden von Lenin, Wilson und sogar
Kaiser Karl I. fungierte. Das Beispiel Italiens zeigt dies exemplarisch: A uf der ei­
nen Seite w urde dem italienischen Nationalstaat die praktisch geschlossene
deutschsprachige Bevölkerung Südtirols einverleibt, auf der anderen Seite wurde
die mehrheitlich italienischsprachige Stadt Fiume an Italiens Ostgrenze nicht ins
Italienische Reich integriert. In beiden Fällen hatte sich eine M ehrheit der Bevöl­
kerung in A usübung des Selbstbestimmungsrechts für eine andere Lösung ausge­
sprochen. Es ist dem ungarischen Historiker Istvän Deäk zuzustim men, wenn er
zu dem Schluß kommt, daß die Nachfolgestaaten, die aus dem Ersten Weltkrieg
hervorgingen, vom Scheitern sowohl des Programms Lenins als auch desjenigen
Wilsons zeugen: Keiner dieser Staaten w ar sozialistisch, und keiner w irklich auf
dem Prinzip des Selbstbestimmungsrechts begründet56.
54 W infried Baum gart, Vom Europäischen K o n zert zu m V ö lk erb u n d . F ried e n ssch lü sse und
F ried e n ssich e ru n g von W ien bis V ersailles (D a r m s ta d t1 1987) 111.
^ H arold Nicholson, F ried en sm ach er 1919 (B erlin 1933) 56.
56 V gl. Istvän D eäk, D er K. (u.) K. O ffiz ie r 1848-1918 (W ien , K ö ln, W eim ar 1991) 248 f.
15 6
M a r in a C a t t a r u z z a u n d Sacha Zala
Summary
The principle of self-determination as developed respectively by Lenin and by
W oodrow Wilson was based on different ideological premises and had originally a
different meaning. Whereas in the case of Lenin the accent was on the right of
secession from a given territorial state, self-determination was for Wilson fairly
identical with “the government of the people”. Despite such differences self-determination became in the course of World War One a powerful rhetorical re­
source in the negotiations for the d raw ing of new European territorial assets.
Focussing on the diplomatic struggle about the draw ing of the new boundaries
between Italy and Yugoslavia and Italy and Austria, the article aims to illustrate
h ow and w ith what results “self-determination” was applied as a political tool by
states and national groups. The Yugoslavs succeeded in settling a new state thanks
to the appeal to self-determination and to the backing of the victorious Serbian
Kingdom. The German-speaking population of South Tyrol tried to appeal to
self-determination as well in order to avoid being incorporated into Italy, but they
failed. In this case the Peace Conference acknowledged the necessity for Italy to
obtain a “strategical border” at the Brenner Pass, fully disregarding the right of
self-determination of the populations involved. In the port town Fiume/Rijeka
both the Italian m ajority and the Croatian m inority appealed to self-determi­
nation, claiming the right to join Italy and Yugoslavia respectively. U nlike in the
case of South-Tyrol, Italy in this case supported the requests of the majority of the
inhabitants of Fiume, referring to the democratic principles propagated b y W il­
son. After a confused phase when the poet Gabriele D ’Annunzio occupied Fiume
w ith some thousand volunteers, the port town was declared a “ Free State” in the
Treaty of Rapallo in 1920. In conclusion, as these few examples illustrate, at the
end of World War One the principle of self-determination displayed on inter­
national public opinion a huge suggestive power which did not correspond to the
logic of the real assets handed over at the Peace Conference or in later arrange­
ments.
Marc Frey
Selbstbestimmung und Zivilisationsdiskurs in der
amerikanischen A ußenpolitik 1917-1950
T h ere sh all be no an n ex atio n s, no c o n trib u tio n s, no p u n itiv e dam age. P eop les are not to be
h an ded ab o u t fro m one so v e re ig n ty to an o th e r b y an in tern a tio n al co n feren ce o r an u n d e r­
stan d in g b etw een riv als and an tago n ists. N a tio n al a sp ira tio n s m ust be resp ected; p eo ples
m ay n o w be d o m in ated and go vern ed o n ly b y th e ir o w n co n sen t. ,S e lf-d e te rm in a tio n 1 is not
a m ere p h rase. It is an im p erativ e p rin c ip le o f actio n s w h ich statesm en w ill h en cefo rth ign o re
at th e ir p eril
(W o o d ro w W ilso n , A d d ress to C o n g ress, 11 F e b ru a ry 1 9 1 8 )1.
N e a rly fo rty ye a rs ago a P ro fesso r o f P o litica l S cien ce w h o w as also P re sid en t of the U n ited
States, W o o d ro w W ilso n , en u n ciated a d o ctrin e w h ich w as rid ic u lo u s, but w h ich w as w id e ly
accep ted as a sen sib le p ro p o sitio n , the d o ctrin e o f self-d ete rm in a tio n . O n the surface it
seem ed reaso n ab le: let the p eo p le decid e. It w as in fact rid icu lo u s b ecau se the p eo p le can no t
d ecid e u n til so m eb o d y decides w h o are the p eo ple
(Iv o r Je n n in g s)2.
Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich die Selbstbestimmung zu einem
völkerrechtlichen Prinzip, über dessen Charakter als N orm bis heute gestritten
w ird 3. So bilden nach Artikel 1 der Charta der Vereinten Nationen Selbstbestim­
mung und Gleichheit die Voraussetzung für die Entwicklung guter Beziehungen
zwischen den Staaten. Artikel 55 stellt sogar einen Zusammenhang her zwischen
dem Prinzip auf Selbstbestimmung und sozioökonomischem Wohlergehen4. In
politischer, sozialer und wirtschaftlicher H insicht betrachtet die U N Charta
Selbstbestimmung als eine wesentliche Voraussetzung für Frieden, Fortschritt
und Entwicklung. Diese hochgesteckten Erwartungen konnte das Selbstbestim­
1 A rth u r S. Link et a l (H rsg .), T h e P ap ers of W o o d ro w W ilso n , Vol. 46 (Ja n u a ry 1 6 -M arc h
12, 1918) (P rin ce to n 1984) 321.
2 Ivo r Jennings, T h e A p p ro ach to S elf-G o v ern m en t (C am b rid g e 1956) 55 f.
3 E in füh ren d sieh e A nthony Anghie, Im p erialism , S o v e re ig n ty and the M a k in g o f In te rn a­
tio n al L a w (C a m b rid g e 20 04); Robert J. Beck un d Thomas Am brosia (H rsg .), In te rn atio n al
L a w and the R ise of N atio n s. T h e S tate S ystem and the C h a lle n g e o f E thnic G rou ps (N e w
Y o rk 20 02); Joshua Castellino, In te rn atio n al L a w and S elf-D eterm in atio n . T h e In te rp la y of
the P o litics o f T e rrito ria l P o ssessio n w ith F o rm u la tio n s o f P o st-C o lo n ia l ,N a tio n a l' Id e n tity
(T h e H agu e 20 00); R obert M cCorquodale (H rsg .), S elf-D eterm in atio n in In tern atio n al L aw
(A ld ersh o t 20 00); Stephan Hobe un d Otto Kimminich, E in fü h ru n g in das V ö lk erre ch t. 8.,
v o llstän d ig neu b earb eite te u. e rw e ite rte A u fla g e (T ü b in g en s2004) 111-119.
4 w w w .u n .o rg / ab o utu n/charter/.
158
M a rc F r e y
mungsrecht kaum befriedigen, zumal es bis heute keine rechtlich verbindliche De­
finition von Volk gibt. Statt dessen diente es vornehmlich während der fünfziger
und sechziger Jahre dazu, die Forderungen antikolonialer Bewegungen in der
Dritten Welt zu untermauern, die ein Ende von Fremdherrschaft und Kolonialis­
mus verlangten. Führer antikolonialer Bewegungen knüpften an das Selbstbestim­
mungsrecht klar definierte Erwartungen: Für sie bedeutete es das Recht, unabhän­
gige, souveräne Staaten in den von Kolonialmächten beherrschten Gebieten zu
errichten. Dabei bezogen sie das Selbstbestimmungsrecht in aller Regel auf alle
sozialen Gruppen, die auf einem Territorium lebten, das zuvor von den Kolonial­
mächten als Einheit definiert worden war. Für nationalistische Führer und deren
Bewegungen w ar also die räumliche Dimension klar, auf die das Selbstbestim­
mungsrecht A n w en dun g finden sollte. Damit w ar gewissermaßen auch eine zeit­
liche Dimension benannt: Das Prinzip der Selbstbestimmung war mit dem Ende
des Kolonialismus weltweit durchgesetzt.
Diese recht einfache und vielfach pragmatische Definition w urde schon w ä h ­
rend des Prozesses der Dekolonisierung kritisiert. Separatisten verlangten für ihre
soziale Gruppe eigene Souveränität, Bürgerkriege stellten etablierte G renzziehun­
gen in Frage, und konkurrierende Ansprüche, die durch das Selbstbestimmungs­
recht legitimiert wurden, verschärften Spannungen und Konflikte. Völkerrechtler
diskutierten die Reichweite und Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts, und
manche fürchteten gar, daß angesichts mangelnder Definitionen und A usfüh­
rungsbestimmungen eine reductio ad absurdum denkbar war, bei der jedes ein­
zelne Individuum seinen eigenen souveränen Staat gründen könne5.
W ährend das Selbstbestimmungsrecht nach dem Ersten Weltkrieg international
Verbreitung fand und nach dem Zweiten Weltkrieg schließlich ein (wenn auch
umstrittener) Teil des Völkerrechts wurde, wurde es kaum, wenn überhaupt, von
Repräsentanten des Staates verwendet, der maßgeblich an der Popularisierung des
Prinzips beteiligt war: den Vereinigten Staaten. Tatsächlich ragt die von Erez Manela a l s ,Wilsonian Mom ent' bezeichnete Periode zwischen dem Kriegseintritt der
Vereinigten Staaten im April 1917 und der unmittelbaren Nachkriegszeit als eine
singuläre Phase heraus. Nachdem Wilson unbeabsichtigterweise eine „Büchse der
Pandora“ geöffnet hatte, zögerten nachfolgende Präsidenten, Außenminister und
Diplomaten, den Begriff zu verwenden6. Interessanterweise w urde (und wird) das
Selbstbestimmungsprinzip w eder in der internen diplomatischen Korrespondenz
noch in medialen Repräsentationen amerikanischer Außenpolitik verwendet.
Selbst Franklin Roosevelt, der sich öffentlich immer wieder für Menschenrechte,
Demokratie und Internationalismus aussprach, verwendete den Begriff äußerst
selten und niemals öffentlich. Die Zurückhaltung gegenüber dem Prinzip der
Selbstbestimmung w a r so groß, daß die amerikanische Delegation bei der G rün­
dungskonferenz der Vereinten Nationen in D um barton Oaks den Begriff nicht in
5 Clyde Eagleton, S elf-D eterm in atio n in the U n ite d N atio n s, in: T h e A m erican Jo u rn a l of
In te rn atio n al L aw 47.1 (1953) 88 -93.
6 Zara Steiner, T h e L ig h ts T h at F ailed , in: E u rop ean In te rn a tio n a l H is to ry (O x fo rd 2005) 4.
S elb s tb e stim m u n g in der a m erik a n isc h e n A u ß e n p o lit ik
15 9
die Verhandlungen einführte. Statt dessen war es die Sowjetunion, die auf einer
Aufnahme des Selbstbestimmungsrechts in die Charta der Vereinten Nationen be­
stand. Diese D iskrepanz zwischen der Popularisierung des Selbstbestimmungsprinzips durch W oodrow Wilson einerseits und seiner Nichtverwendung durch
die amerikanische Diplomatie bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ande­
rerseits bedarf einer Erklärung.
W oodrow W ilson und Selbstbestimmung
Die schillernde Bedeutung des Konzepts des Selbstbestimmungsprinzips war
schon W oodrow Wilson 1918/1919 bew ußt7. W ährend des Krieges von Wilson als
ein Instrument gedacht, um dauerhaften Frieden zu schaffen, w urde bei Kriegs­
ende auch ihm klar, daß es Fragen aufwarf, deren Komplexität er deutlich unter­
schätzt hatte. Angesichts der Auseinandersetzungen zwischen Wilson und den
Alliierten in Paris und den vielfältigen, zum Teil konkurrierenden Ansprüchen
von Politikern unterschiedlichster C ouleur und Nationalität konnte es kaum ver­
wundern, daß sich an das Prinzip der Selbstbestimmung große Erwartungen und
Enttäuschungen knüpften. Denn die Hoffnungen auf eine allgemeine U msetzung
des Selbstbestimmungsrechts manifestierten sich nicht nur in Europa, sondern
weltweit. Wilsons Ausführungen dessen, was er unter dem Selbstbestimmungs­
prinzips verstand, mußten im Rahmen eines Bündnisses mit den Alliierten und im
Kontext einer großen Friedenskonferenz notwendigerweise vage und verhandel­
bar bleiben. Auch seine eigene Auffassung des Selbstbestimmungsprinzips blieb
diffus. Wilson näherte sich dem Prinzip nicht als Jurist, sondern als Historiker
und Politiker, Im Grunde verstand Wilson unter dem Selbstbestimmungsrecht
unterschiedliche, in seiner politischen Philosophie miteinander in Beziehung ste­
hende Phänomene: Wilson knüpfte das Selbstbestimmungsprinzip an ein be­
stimmtes politisches System, die Demokratie. Für ihn w ar ,gutes Regieren“ (,go­
vernance') eine Voraussetzung. Schließlich folgte für Wilson das Selbstbestim­
mungsprinzip auf eine Befähigung, dieses verantwortlich und tatsächlich auszu­
üben. M it anderen Worten: Selbstbestimmung w ar an Konditionen gebunden.
Entgegen landläufiger Meinung verwendete Wilson den Begriff in seinen be­
rühmten 14 Punkten überhaupt nicht, und seine A usführungen über einen A us­
gleich der Interessen von Kolonisierten und Kolonialmächten oder von größt­
7 Zu W ilso n sieh e H. W. Brands, W o o d ro w W ilso n (N e w Y o rk 20 03); Kendrick A. Clements
& Eric A. Cheezum , W o o d ro w W ilso n (W ash in gto n , D C 20 03); Thomas J. Knock, To End
A ll W ars. W o o d ro w W ilso n and the Q u e st fo r a N e w W o rld O rd e r (P rin ceto n , N J 1992);
Georg Schild, B etw een Id e o lo g y and R e a lp o litik . W o o d ro w W ilso n and the R u ssian R e v o lu ­
tio n, 1917-1921 (W estp o rt, C T 1995); Klaus Schwabe, W o o d ro w W ilso n , R e v o lu tio n a ry
G erm an y, and P e ace m ak in g , 19 18-1919: M is s io n a ry D ip lo m a cy and the R ealities o f P o w er
(C h ap e l H ill 1985); Robert W. Tucker, W o o d ro w W ilso n and the G reat W ar. R ec o n sid erin g
A m e ric a ’s N e u tra lity 19 14 -1 9 1 7 (C h a rlo tte sv ille , VA 2007).
160
M a rc F rey
möglicher Autonom ie für die Völker Ö sterreich-Ungarns (für dessen Erhalt er
sich aussprach) schließen auch nicht zwingend auf das Prinzip der Selbstbestim­
mung. Erstmals bediente er sich des Begriffs in einer Rede vor dem Senat am
11. Februar 1918 (die sogenannte Vier-Punkte-Rede). In der künftigen Friedens­
ordnung, so der Präsident, müßten „nationale Aspirationen respektiert w erd en “,
Völker nur mit ihrer Zustimmung regiert werden („governed on ly b y their own
consent“). „Selbstbestimmung ist keine hohle Phrase“, fuhr er fort, sondern „ein
zwingendes H andlungsprinzip, das Staatsmänner nur noch auf eigene Gefahr
ignorieren können“ . Aus diesem „H andlungsprinzip“ leitete Wilson die Forde­
rung ab, daß „jede mit diesem Krieg zusammenhängende territoriale Regelung
nur im Interesse und zum Wohl der betroffenen Bevölkerungen" getroffen w e r­
den könne8. In seiner Rede vor dem Kongreß sprach er grundlegende Vorausset­
zungen an, die für ihn bei der A nw endung des Selbstbestimmungsprinzips m aß­
geblich waren. M it „government b y consent“ meinte er Demokratie; sein Verweis
auf die Staatsmänner, die das Selbstbestimmungsrecht nur noch auf eigene Gefahr
ignorieren könnten, bezog sich auf eine noch zu etablierende N orm der interna­
tionalen Gemeinschaft; und die ungeklärten territorialen Fragen waren für ihn ein
Problem der europäischen - nicht der globalen - O rdnung. Darüber hinaus
glaubte Wilson, daß Demokratien nicht gegeneinander Krieg führen würden, weil
informierte öffentliche Meinungen und das überragende Interesse an friedlichem
Austausch und Handel dies nicht zuließen. Vor diesem Hintergrund schält sich
die Bedeutung heraus, die Wilson dem Selbstbestimmungsprinzip beimaß. Es war
eine politische Vision, die er aus der Geschichte, insbesondere der anglo-amerikanischen Geschichte, ableitete, und die auf drei Grundsätzen ruhte: Eignung bezie­
hungsweise Befähigung, governance und Charakter des politischen Systems.
Eignung beziehungsweise Befähigung stand für Wilson in engem Zusammen­
hang mit seinen Vorstellungen und Vorurteilen über Individuen, Völker und N a ­
tionen. Als erster D em okrat aus dem Süden, der nach dem amerikanischen B ür­
gerkrieg ins Weiße Haus einzog, w ar Wilson von einer Hierarchie ethnischer
Gruppen und Kulturen überzeugt. Wie viele seiner Zeitgenossen beeinflußte ihn
sozialdarwinistisches Gedankengut, wenn auch eines, das von den Ideen des ame­
rikanischen Progressivismus durchdrungen war. Dieser postulierte die generelle
Entwicklungsfähigkeit aller Menschen durch Bildung, Wissenschaft und Technik.
Wilson war davon überzeugt, daß N ichtweißen grundlegende bildungsmäßige,
moralische und politische Voraussetzungen für die Selbstregierung fehlten. Schon
in seinen jüngeren Jahren als H istoriker und Politikwissenschaftler hatte er seiner
Ü berzeugung Ausdruck verliehen, daß A fro-A m erikaner in den Vereinigten Staa­
ten und N ichtweiße in der außereuropäischen Welt „zurückgeblieben“ waren und
einer A usbildung bedurften, um ,zivilisiert“ zu werden. Als Präsident setzte er
sich für den Ausbau der Rassentrennung bei Bundesangestellten aus. Damit för­
derte er die Institutionalisierung der rassistischen, zutiefst ungerechten und dis­
8 A rth u r S. Link et a l (H rsg .), T h e P ap ers o f W o o d ro w W ilso n , Vol. 46 (Ja n u a ry 1 6 -M arc h
12, 1918) (P rin ce to n 1984) 321.
S e lb s tb e stim m u n g in d er a m erik a n isc h e n A u ß e n p o lit ik
161
kriminierenden Segregation, des sogenannten „Jim C ro w -S ystem s“ im Süden, auf
Bundesebene. Als ,public intellectual' und politischer Kommentator begrüßte er
die amerikanische Kolonisierung der Philippinen im Jahre 1902. In Anlehnung an
R u dyard Kiplings „White M en ’s Bürden“ sah er in ihr eine Gelegenheit, den „un­
gestümen, heißblütigen jungen Männern unseres Landes“ die Möglichkeit zu ge­
ben, die Unzivilisierten zu zivilisieren9. Koloniale Verwaltung und graduelle A n ­
leitung von Afro-A m erikanern konnten noch ,unbefähigte Völker“ (,unfit races“)
über einen längeren Zeitraum hinweg in verantwortlich handelnde Bürger ver­
wandeln, die in der Lage waren, ihre demokratischen Rechte und Pflichten w ah r­
zunehmen. Dabei schwebte Wilson eine sich über mehrere Generationen erstrekkende Phase der Ausbildung vor. Nach heutigem Verständnis flössen hier herab­
würdigende, rassistische Vorstellungen über Menschen anderer Hautfarbe zusam ­
men mit Wilsons Glauben an die generelle Entwicklungsfähigkeit aller Menschen
und seine Ü berzeugung, diese Entwicklungsfähigkeit auch fördern zu müssen. In
diesem Sinn berief er einen liberalen Demokraten, Francis Burton Harrison, zum
Gouverneur der Philippinen, und er instruierte ihn, philippinischen A bgeordne­
ten in beiden Kammern des Parlaments eine M ehrheit einzuräumen und deren Be­
schlüsse anzuerkennen. Faktisch führte er damit eine weitreichende Autonomie
auf den Philippinen ein. Diese Selbstregierung erfolgte allerdings unter am erikani­
scher Aufsicht und Anleitung, die es Filipinos ermöglichen sollte, demokratische
Regeln zu verinnerlichen, die sie w iederum zur Erlangung der U nabhängigkeit
befähigten10. Das philippinische Experiment, so glaubte der Präsident, ließe sich
auch auf andere koloniale Konstellationen übertragen und damit gewissermaßen
internationalisieren. Das Treuhandprinzip und die Mandatsherrschaft des V ölker­
bundes, die der Präsident auf der Pariser Friedenskonferenz propagierte, ent­
sprach seiner Vorstellung guten kolonialen Regierens.
Z urückgeb lieben e V ö lker“ benötigten Anleitung. Deren Eliten und Führer
sollten bestimmten N orm en und Praktiken folgen. Bereits in seinem 1893 veröf­
fentlichten Buch „An Old Master and O ther Political Essays“ hatte Wilson ge­
schrieben, daß Souveränität nicht vom Volk, sondern von dessen Führern ausge­
übt w e rd e 11. Sie, die Eliten, waren die lokalen Vertreter von Verantwortlichkeit,
Wandel und Moderne, und damit standen sie in einer dialektischen Verpflichtung:
Führung - Regierung - erhielten ihre legitime M acht durch die Zustimmung der
Regierten; aber die Regierung hatte die Verpflichtung zu führen. Demokratische
Wahlen legitimierten die Führung; Führung bedeutete Erziehung des Wahlvolks.
Wilsons Schwager, Stockton Axson, gab die Vorstellungen des Präsidenten mit
9 Brett Bowden, In the N am e o f P ro gress and P eace: T h e ,S tan d ard o f C iv iliz a tio n “ and the
U n iv e rs a liz in g P ro je ct, in: A ltern ativ e s 29 (200 4) 4 3 -6 8 ; G errit W. Gong, T h e S tan d ard of
,C iv iliz a tio n “ in In te rn a tio n a l S o c ie ty (O x fo rd 1984).
10 W erner Brecht, S e lb stb e stim m u n g u n d im p eriale H e rrsc h aft. Z u r H a ltu n g W o o d ro w W il­
sons ge g en ü b er d er au ß e reu ro p äisch en W elt (M ü n ste r 1991); M ichael Dennis, L o o k in g B a c k ­
w ard : W o o d ro w W ilso n , the N ew So u th , and the Q u e stio n o f R ace, in: A m erican N in etee n th
C e n tu r y H is to r y 3.1 (2002) 7 7 -104.
11 Woodrow Wilson, A n O ld M aste r and O th e r P o litical E ssays (N e w Y o rk 1893) 80.
162
M a rc F re y
den Worten wieder, Führung habe die Aufgabe, „die Fähigkeit der Menschen zu
stärken, richtig von denjenigen geführt zu werden, die sie wählen und führen“ 12.
Heute würden w ir dies als ,gutes Regieren' oder ,good governance' bezeichnen.
Für Wilson w ar gutes Regieren nicht allein eine moralisch-theoretische Forde­
rung. In seiner Mexiko- und Zentralamerikapolitik machte er sie zur Grundlage
seiner Politik. Kein anderer Präsident zuvor intervenierte so häufig in die A ngele­
genheiten der südlichen Nachbarn. Diese Interventionen waren A usdruck seines
Willens, den dortigen Führungen gutes Regieren beizubringen. Im Grunde ge­
nommen waren die Interventionen in M exiko (1913-1916), Haiti (1915) und der
Dominikanischen R epublik (1916) Strafexpeditionen. Wilson wollte damit F üh ­
rungen ersetzen beziehungsweise bestrafen - bestrafen dafür, daß sie korrupt und
ineffizient regierten, Marktprinzipien verletzten, die Unverletzlichkeit privaten
Eigentums mißachteten, sich nicht um ausgeglichene Staatshaushalte kümmerten
und Kredite nicht bedienten. Kurzum, Wilson präsentierte sich als entschiedener
Verfechter ,guten Regierens' gemäß der von ihm selbst definierten Standards und
als Präsident, der in den ersten Jahren seiner Amtszeit Interventionen als ein pro­
bates Mittel für Regimewechsel betrachtete13.
Ebenso w a r Wilson von der Überlegenheit demokratischer Systeme über alle
anderen Regierungsformen überzeugt. In diesem Sinne glaubte er, die Vereinigten
Staaten hätten eine moralische Pflicht, Menschen vom Joch autokratischer H err­
schaft zu befreien, handelte es sich nun um Spanier auf C uba und den Philippinen,
um M exiko oder um das kaiserliche Deutschland. Befreiung und D em okratisie­
rung waren seine Argumente, mit denen er die Intervention in Mexiko und später
den Kriegseintritt der Vereinigten Staaten als assoziierte M acht der Alliierten im
Krieg gegen das ,autokratische‘ Kaiserreich begründete. Letztlich konnten nur
Demokratien ,gutes Regieren' im Innern und Frieden nach Außen gewährleisten.
Interessanterweise nehmen diese Vorstellungen die Grundannahmen der D em o­
cratic Peace T h eo ry vorweg, die nach dem Zweiten Weltkrieg von amerikanischen
Politologen entwickelt w urde und die davon ausgeht, daß ein globaler Frieden am
Besten durch die weltweite Etablierung demokratischer Prinzipien gewährleistet
sein w ü r d e 14.
E ig n u n g ,,gutes Regieren' und Demokratie waren also für Wilson die zentralen
Säulen, auf denen das Prinzip der Selbstbestimmung ruhte. Zugleich waren dies
12 Axson Stockton, ,B ro th e r W o o d ro w “: A M e m o ir o f W o o d ro w W ilso n (P rin ce to n 1993)
221, z itie rt in: Lloyd Ambrosius, W ilso n ian ism : W o o d ro w W ilso n and his L eg ac y in A m e ri­
can F o reig n R ela tio n s (N e w Y o rk 2002) 27.
13 Kendrick A. Clements and Eric A. Cheezum , W o o d ro w W ilso n (W ash in gto n 2003) 130—
134.
14 Z u r a k tu e lle n D isk u ssio n um die D em o cratic P eace T h e o ry sieh e Anna Geis, L othar
Brock u n d H arald M üller (H rsg .), D em o cratic w ars: L o o k in g at the D ark S ide o f D em o cratic
P eace (B a sin g sto k e 20 06); Joanne G ow a, B allo ts and B u lle ts: T h e F^lusive D em o cratic Peace
(P rin ce to n 1999); D an R eiter un d A llan C. Starn, D em o cracies at W ar (P rin ceto n 20 02); Jack
Snyder, F rom V otin g to V iolen ce: D em o c ra tizatio n and N a tio n a list C o n flic t (N e w Y ork
20 00); Stephen M. Walt, R ev o lu tio n and W ar (Ith aca 1996); Spencer R. Weart, N ev e r at W ar:
W h y D em o cracies W ill N o t F ig h t one A n o th e r (N e w H av en 1998).
S e l b s t b e s t i m m u n g in der a m e r i k a n i s c h e n A u ß e n p o l i t i k
163
hohe Hürden - und vage Hürden dazu
und Wilson hielt wenig von einer uni­
versalen Geltung des Prinzips. Wilsons Eintreten für das Prinzip der Selbstbe­
stimmung im Jahre 1918 hatte sowohl etwas mit den Notwendigkeiten des Krie­
ges als auch mit der bolschewistischen Herausforderung zu tun, die Selbstbestim­
mung als Schlachtruf verwandte, um die unterdrückten Völker (und Klassen) die­
ser Erde hinter ihre Fahnen zu scharen. Wilson betrachtete Selbstbestimmung vor
allem als prozessuales Prinzip - auch wenn er es ein einziges Mal als „Handlungs­
prinzip“ bezeichnet hatte. Doch Grundlage konkreten politischen Handelns
konnte das kaum bedeuten. Selbstbestimmung war gewissermaßen End- oder
Höhepunkt kultureller, sozialer und politischer Entwicklung, sie war eine zivili­
satorische Errungenschaft, die Umsicht und Vernunft voraussetzte. Als erster
Präsident, der seit dem Bürgerkrieg aus dem Süden kam, und als Sohn des Südens,
der die nach wie vor offenen Wunden der Vergangenheit heilen wollte, hegte W il­
son einen „enduring bias against localism and sectionalism in almost any concei­
vable form “ 15.
Die Umsetzung des Prinzips der Selbstbestimmung im Rahmen der Pariser
Friedenskonferenzen wird in diesem Band an anderer Stelle von Marina Cattaruzza und Jost Diilffer näher untersucht. Hier genügt es, auf den kontingenten
Charakter hinzuweisen, mit dem das Prinzip der Selbstbestimmung angewendet
wurde. Im Fall der territorialen Neuordnung, die auf den Zerfall des Habsburger­
reiches folgte (und ihn beschleunigte), waren disparate Gründe für die Haltung
des amerikanischen Präsidenten verantwortlich: gutes Lobbying (Tschechoslowa­
kei), mangelnde Kenntnis der lokalen Verhältnisse (Sudetenland), Einwilligung in
alliierte Forderungen (Südtirol, Österreich, Belgien), politische Zweckdienlich­
keit und mangelnde Alternativen (Jugoslawien), historische Legitimität (Polen,
Elsaß-Lothringen) sowie taktische Erwägungen (Rußland und das Baltikum). Von
einer generellen Anwendung des Prinzips der Selbstbestimmung waren der Präsi­
dent und die amerikanische Diplomatie weit entfernt. Nur in vereinzelten Fällen
gelang es, die vielstimmigen Widerstände der Alliierten und der Führer nationali­
stischer Gruppen zu überwinden und auch die eigenen Vorbehalte gegenüber dem
Prinzip der Selbstbestimmung hintanzustellen. Wilsons Haltung in der Frage des
Rheinlandes, des Saarlandes und einiger Volksabstimmungen in Europa wiesen in
die Richtung, die er gehen wollte. Letztlich sollten die vielen territorialen K on­
flikte auf kooperative Weise im Rahmen des Völkerbundes, der „Gemeinschaft zi­
vilisierter Völker“, gelöst werden. Er war der Zusammenschluß, die Organisation,
die über die Mechanismen und Instrumente verfügen sollte, um den Prozeß der
Selbstbestimmung langfristig steuern zu können.
Selbstbestimmung wurde aber nicht allein zwischen den Siegern und Verlierern
des Ersten Weltkrieges oder den Führern sich konstituierender Nationalstaaten
kontrovers diskutiert. Auch innerhalb der amerikanischen Administration war
das Prinzip höchst umstritten. Wilsons eigener (und relativ einflußloser) Außen­
minister, Robert Lansing, sah in dem Prinzip eine Gefahr für die internationale
15 Niels Aage Thorsen, T h e Political T h o u g h t o f W oodrow W ilson (Prin ceton 1988) 234.
164
M arc Frey
Gemeinschaft. Er formulierte Bedenken, die bis heute die Diskussion um das
Prinzip der Selbstbestimmung prägen: „When the President talks of ,self-deter­
mination' what unit has he in mind? Does he mean race, a territorial area or a
community? Without a definite unit which is practical, application of this princi­
ple is dangerous to peace and stability. ... The more I think about the President’s
declaration as to the right of ,self-determination' the more convinced I am of the
danger of putting such ideas into the minds of certain races. ... The phrase is sim­
ply loaded with dynamite.“16 Lansings Assoziierung von Selbstbestimmungs­
prinzip und Dynamit wurde offensichtlich von nachfolgenden Administrationen
geteilt. Denn anders läßt es sich kaum erklären, daß sich der Begriff im diplomati­
schen Vokabular des offiziellen Amerika in der Zwischenkriegszeit nicht nachweisen läßt. Mitverantwortlich dafür waren nicht nur eigene Bedenken und die
Forderungen von Europäern unterschiedlichster politischer, nationaler und kul­
tureller Couleur. Aufmerksam beobachtet von der amerikanischen Diplomatie,
machten sich Wilsons Forderungen diejenigen zu Eigen, die gemäß seiner E in­
schätzung über Eignung,,gutes Regieren' und politisches System überhaupt nicht
berechtigt waren, das Prinzip der Selbstbestimmung einzufordern: die Nationa­
listen in den Kolonien und in den Ländern, deren souveräne Rechte von Euro­
päern eingeschränkt wurden (etwa China oder Siam). Es waren nämlich zunächst
weniger Lenins Forderungen nach Selbstbestimmung, sondern Wilsons liberale
Variante, die den Nationalisten eine transnationale Sprache und eine klar ver­
ständliche Botschaft gab, mit der sie die Massen elektrisieren konnten. Sicherlich
muß dieser Befund angesichts des Auftretens etwa der indischen oder vietnamesi­
schen Kommunisten relativiert werden. Dennoch erscheint die These plausibel,
daß viele Nationalisten das Prinzip der Selbstbestimmung zunächst weniger mit
Lenin als mit Wilson assoziierten. Schließlich waren die meisten Nationalisten in
außereuropäischen Regionen ,bürgerlich' - sie waren Teil der Bildungseliten, in
der Regel westlich sozialisiert und mitnichten antikapitalistisch. Wilsons liberale
Agenda lag den antikolonialistischen Nationalisten in Korea, China, Indien und
Ägypten näher als die Forderung nach Revolution und fundamentalem sozialen,
politischen und wirtschaftlichen Wandel. Erst als sich im Jahresverlauf 1919 ab­
zeichnete, daß sich die liberale Variante des Prinzips der Selbstbestimmung nicht
durchsetzte und sich andererseits die kommunistische Position in Rußland kon­
solidieren konnte, wurde Lenin auch von breiteren nicht-kommunistischen Krei­
sen rezipiert. Nach dem Ersten Weltkrieg forderten Nationalisten in der außer­
europäischen Welt ein, was sie nach dem Zweiten Weltkrieg durchsetzen konn­
ten: das Prinzip der Selbstbestimmung als Instrument zur Erlangung staatlicher
Unabhängigkeit im kapitalistischen Weltsystem (China und Vietnam bilden die
Ausnahmen)17.
16 Michla Pomerance, T h e U nited States and Self-D eterm in atio n : Perspectives on the W ilso­
nian C o n cep tion , in: T h e A m erican Journal o f International Law 70.1 (1976) 1-27.
17 Erez M anela , T h e W ilsonian M om ent. Self-D eterm in atio n and the International O rigins
o f A nticolonial N ationalism (O xford 2007) 221.
S e l b s t b e s t i m m u n g in de r a m e r i k a n i s c h e n A u ß e n p o l i t i k
165
Zweifellos waren dies nicht beabsichtigte Wirkungen präsidentieller Rhetorik
und amerikanischer Kriegspropaganda. Jedenfalls verschwand nach Wilsons
Schlaganfall vom 2. O ktober 1919 der Begriff aus dem Vokabular der amerikani­
schen Außenpolitik. Es scheint fast so, als hätten sich die Akteure der amerikani­
schen Außenpolitik stillschweigend darauf verständigt, nie wieder vom Prinzip
der Selbstbestimmung zu sprechen. So finden sich in den Papers Relating to the
Foreign Relations of the United States, der offiziellen Aktenpublikation zur G e­
schichte der amerikanischen Außenpolitik, nur zwei Textstellen, die auf eine Ver­
wendung des Begriffs durch amerikanische Diplomaten hinweisen18. Die Gründe
für diese Zurückhaltung liegen zumindest für die Zwischenkriegszeit auf der
Hand.
Selbstbestimmung und amerikanische Außenpolitik
1920 bis 1943
Nach den erbitterten Auseinandersetzungen über den Versailler Vertrag in der
amerikanischen Öffentlichkeit und Politik sowie der Ablehnung des Vertragswer­
kes im Senat verfolgten die Vereinigten Staaten eine Außenpolitik des „selektiven
Unilateralismus“ (Jürgen Heideking). Das bedeutete nicht grundsätzlich die Zu­
rückweisung internationaler Verantwortlichkeiten, wohl aber eine Zurückhaltung
in Fragen, die nicht unmittelbar die Sicherheit und das nationale Interesse der Ver­
einigten Staaten berührten. Nach Ausbruch der großen Weltwirtschaftskrise
mündete dies schließlich im Isolationismus19. Während dieser Zeit wurde das
Prinzip der Selbstbestimmung von europäischen, lateinamerikanischen, asiati­
schen und afrikanischen Regierungen und Führern eingefordert, um staatliche
Souveränität über umstrittene Gebiete auszuweiten oder um territoriale Ansprü­
che zu untermauern. Dies gilt etwa für Japan, das seine Aggression in Nordchina
und die Gründung des von ihm abhängigen Mandschukuo damit begründete, der
legitimen Selbstbestimmung müsse eine Phase politischer ,Ausbildung“ unter
Führung Japans vorangehen. Jüdische Migranten aus Europa verlangten unter B e­
rufung auf das Selbstbestimmungsprinzip die Souveränität über Teile Palästinas,
und die Palästinenser forderten das Gleiche ebenfalls im Namen des Selbstbestim­
mungsprinzips. Schließlich nannte sogar Adolf Hitler das Prinzip als eine Legiti­
mationsgrundlage für die Annexion Österreichs im Jahre 1938.
Aus innen- und außenpolitischen Gründen war Selbstbestimmung daher für
die amerikanische Diplomatie kein vertretbares Prinzip. Völkerrechtlich war es
noch nicht fixiert. Daher orientierte sich die amerikanische Außenpolitik an eta­
blierten Normen, die prinzipiell nicht umstritten waren: die Unantastbarkeit der
Souveränität bestehender Staaten sowie, in der Frage der Anerkennung von R e­
18 http://digital.library.wisc.edu/171 l.dl/ FR U S.
19 Jürgen Fleideking, G esch ichte der U SA (Tü bingen 21999) 289 ff.
166
M a rc F r e y
gierungen, die passive oder aktive Legitimation der Regierenden durch die Bevöl­
kerung. Der Nachweis der aktiven Zustimmung von Bevölkerungen für ihre R e­
gierungen - eines der Kriterien Woodrow Wilsons - wurde unter den republika­
nischen Administrationen der zwanziger Jahre nicht mehr verlangt. Während der
dreißiger Jahre propagierte schließlich Präsident Franklin Roosevelt eine Politik
der Nichteinmischung und der gegenseitigen Konsultationen zwischen souveränen
Staaten, insbesondere im Hinblick auf Lateinamerika (,good neighbor policy').
Selbstbestimmung gehörte in diesem Kontext nicht zum Vokabular der Diploma­
tie und des Völkerrechts. Gleiches galt auch für die amerikanische Kolonialpoli­
tik. So wurde im Tydings-McDuffee Act von 1934 den Philippinen die „Unabhän­
gigkeit“ und die „Selbstregierung“ binnen zehn Jahren versprochen20.
Roosevelt war die Problematik des Prinzips der Selbstbestimmung durchaus
bewußt. N ur an einigen wenigen Gelegenheiten verwendete er den Begriff, so bei­
spielsweise auf der Konferenz von Teheran im November/Dezember 1943, als er
Stalins Forderungen nach einer Restitution russischer (sowjetischer) Souveränität
über die baltischen Staaten anerkannte. Stalin, so bat Roosevelt den sowjetischen
Diktator, möge doch eine Volksabstimmung über die Frage von baltischer Selbst­
bestimmung und russischer Souveränität abhalten, denn so könne er die Annexion
besser vor der amerikanischen Öffentlichkeit rechtfertigen. Bereits kurz zuvor
waren Roosevelt und Churchill übereingekommen, „that the Italian people will
be reconstituted into a nation in accordance with the principles of self-determina­
tion“21. Doch abgesehen von diesen beiden Gelegenheiten, an denen Roosevelt
den Begriff Selbstbestimmung in den Mund nahm, ließ er sich zu keinen expliziten
Verweisen auf das Prinzip hinreißen. In seinen zentralen Botschaften an die inter­
nationale Gemeinschaft, etwa die „Four Freedoms“-Rede vor dem amerikani­
schen Kongreß vom 6. Januar 1941, oder auch der Atlantik-Charta vom 14. Au­
gust 1941, taucht der Begriff nicht auf. Die „Four Freedoms“-Rede zählte vier in­
dividuelle Rechte auf, die Roosevelt als universale Prinzipien des Menschenrechts
verstanden wissen wollte. Die Atlantik-Charta dagegen benannte kollektive
Rechte, aus denen sich partiell und selektiv das Prinzip der Selbstbestimmung ab­
leiten ließ. So proklamierte sie den Wunsch „[to] see no territorial changes that do
not accord with the freely expressed wishes of the peoples concerned“, und sie
versprach, „[to] respect the right of all peoples to choose the form of government
under which they will live“. „Sovereign rights and self-government“ sollten wie­
derhergestellt werden, wo immer sie gewaltsam entzogen worden waren22. Doch
ließ sich daraus ein universales Recht auf Selbstbestimmung ableiten?
20 Paul Kramer , T h e B lood o f G overnm ent. R ace, E m pire, the U nited States, & the P h ilip ­
pines (C hapel H ill 2006).
21 R oosevelt-Stalin M eeting, D ecem ber 1, 1943, in: F R U S 1943, T h e C onferences at C airo
and Tehran (W ashington 1961) 5941.; R oosev elt-C h u rch ill M eeting, M ay 22, 1943, in: F R U S
1943, T h e C onferen ces at W ashington and Q u ebec (W ashington 1970) 3 3 0 f.
22 http://www.fdrlibrary.marist.edu/od4freed.html
und
http://www.udhr.org/history/
atlantic.htm .
S e lb s t b e s t i m m u n g in der a m e r i k a n i s c h e n A u ß e n p o l i t i k
167
Selbstbestimmung und Kolonialismus
Die Frage eines universalen Rechts auf Selbstbestimmung stellte sich zwingend im
Zusammenhang mit der Zukunft der Kolonialreiche. Während des Krieges äu­
ßerte sich Roosevelt viele Male zum Kolonialismus; insbesondere die französische
Variante kritisierte der Präsident heftig. Zwischen 1942 und 1944 meinte er ver­
schiedentlich, daß „Indochina den Franzosen nicht zurückgegeben werden
sollte“, weil sie das Land „ausgequetscht“ und „überhaupt nichts getan hätten, um
die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern". Dem sowjetischen Dikta­
to rjo s e f Stalin erklärte er, daß „es den Menschen nach einhundert Jahren franzö­
sischer Herrschaft in Indochina schlechter geht als vorher.“ Gegenüber besorgten
britischen Gesprächspartnern meinte er, Indochina solle den Franzosen „genom­
men werden“. Wiederholt bestätigte Roosevelt öffentlich die Prinzipien der Atlantik-Charta und brachte damit zum Ausdruck, daß die Vereinigten Staaten prin­
zipiell am Ziel der Selbstregierung aller Völker festhielten. Er brüskierte General
Charles de Gaulle, den Führer des Freien Frankreich, indem er ihm bis zum O k ­
tober 1944 die diplomatische Anerkennung verweigerte und den französischen
Kolonialismus öffentlich kritisierte. Aus ähnlichen Motiven heraus schickte er
1942 einen persönlichen Repräsentanten nach Indien, um die Gespräche zwischen
Briten und Kongreßpartei über einen Machttransfer zu beobachten. Und während
Roosevelt trotz drängender Bitten von Churchill einen Englandbesuch verwei­
gerte, bereiste er beträchtliche Teile der kolonialen Welt, unter anderem Gambia,
M arokko, Ägypten, Malta und den Iran.
Aber auch Roosevelt hegte stereotype und hierarchisierende Vorstellungen
über Völker in der kolonialen Welt. Bevormundend meinte er etwa mit Blick auf
die Vietnamesen - „Leute von kleiner Statur, wie die Javaner oder Burmesen“ - ,
diese seien „nicht kriegerisch“. Dahinter verbargen sich Vorstellungen vermeint­
lich kindlicher Qualitäten und von Unmündigkeit23. Zwei Jahre später teilte er ei­
ner Gruppe afro-amerikanischer Journalisten seine Eindrücke einer Reise nach
Gambia mit, einer kleinen britischen Kolonie an der Westküste Afrikas: „It’s the
most horrible thing I have ever seen in my life. The natives are five thousand years
back of us. They are completely incapable of self-governing“24. Ein weiteres Jahr
später, im Februar 1945, gab er ein Gespräch mit der niederländischen Königin
Wilhelmina mit den Worten wieder, in denen sich seine eigenen Gedanken spiegel­
ten:
„I said: ,What about New Guinea?' She threw up both hands and said: ,New
Guinea has the lowest form of human life in the world, their skulls have least
23 R oosev elt-Stalin M eeting, 8. Februar 1945, in: F R U S , T h e C onferences at Malta and Yalta,
1945 (W ashington 1955) 770. Ä hnlich auch „The In dochina P rob lem “, H. T. Jarrell (Naval
Attache, C h on g qing ) an D irector, Naval Intelligence (9 Septem ber 1944) N ational Archives
II, C ollege Park, M aryland (im folgenden NA), R ecord G ro u p 59 (im folgenden R G ),
8 5 1 G .00/ 1-3045.
’ 4 Samuel I. Rosenman (H rsg.), Public Papers and Addresses o f Franklin D elano R oosevelt,
1 9 4 4 -1 9 4 5 (N ew Y ork 1950) 68.
168
M arc F rey
developed, and they understand civilization probably less than any part of the
world“.“25
Die Ansichten des Präsidenten über außereuropäische Völker reflektierten
durchaus ein humanitäres Interesse und eine Abneigung gegen Kolonialismus. Sie
waren jedoch durchdrungen von Vorstellungen über rassisch-kulturelle Flierarchien, die Afrikaner am unteren Finde, Asiaten in der Mitte und Europäer und
weiße Amerikaner am oberen Ende einer Skala menschlicher Entwicklung verorteten. Dazu hieß es von berufener Seite, vom Institute of Pacific Affairs, die asia­
tischen Kolonien unterschieden sich von den afrikanischen und karibischen durch
ihre „weiter fortgeschrittene Kultur und ihre größere inhärente Fähigkeit zur
Selbstregierung“26.
Die wichtigsten Institutionen, die sich regierungsseitig mit dem Kolonialismus
und damit auch mit Selbstregierung befaßten, waren die interministeriellen Sub­
committees on Political Problems bzw. für Territorial Problems. Beide wurden
bereits drei Wochen nach Pearl Flarbor eingesetzt, um Pläne für die Nachkriegs­
zeit zu entwickeln. Ihnen gehörten neben Mitarbeitern des State Departments und
anderer Ministerien auch Mitglieder des Kongresses sowie Vertreter aus Medien
und Wissenschaft an. Die innerhalb der Gremien geführten Diskussionen über
Siidostasien, um ein Beispiel herauszugreifen, offenbarten eine weitverbreitete
Unkenntnis der Region und spiegelten die Abneigung des Präsidenten gegen den
französischen Kolonialismus wider. So hieß es in einer Studie, die Franzosen hät­
ten bewußt die indochinesische Bevölkerung ungebildet gelassen und die Lebens­
bedingungen nicht verbessert. In der entscheidenden Diskussion über Indochina
im Subcommittee on Territorial Problems wurde denn auch festgehalten, daß die
„französische Verwaltung nicht zufriedenstellend war“27. Doch Forderungen
nach Selbstregierung, ganz zu schweigen von Selbstbestimmung, wurden mellt er­
hoben. Zu keinem Zeitpunkt schlugen die Planer einen unmittelbaren oder baldi­
gen Machttransfer von kolonialer Verwaltung zu nationalistischen Führern vor.
Ungeachtet der schlechten Leistungen der Kolonialregime, insbesondere des fran­
zösischen, konnten sich nur sehr wenige weiße Amerikaner funktionierende und
effektive autochthone Verwaltungen vorstellen. Mitglieder der Planungsgremien
waren sich darin einig, daß kein koloniales Territorium „bereit“ war für die Unab­
hängigkeit. M it Blick auf Indochina wurde betont, daß „die Eingeborenen nicht
über die notwendigen Qualifikationen verfügen, um die Verantwortung der
Selbstregierung zu tragen“. Das Committee on Territorial Problems gelangte zu
dem Schluß, daß „aufgrund der allgemeinen Zurückgebliebenheit der Bevölke­
rung die Gewährung der Unabhängigkeit in Indochina keine praktikable Lösung
E bd. 563.
26 R eport o f the R esearch Secretary on the In stitute o f Pacific Affairs R esearch Program ,
1 9 4 0 -1 9 4 2 , E igh th C onferen ce Institute of P acific R elations (M on t Trom blant, Canada,
9. D ezem b er 1942) N A , R G 59, E n try 673, B o x 10.
27 T -3 9 8 Indochina: Political and E con om ic F actors, 2. N ovem ber 1943, N A , R G 59, E n try
673, B o x 9; T M inutes 56, 11. N ovem ber' 1943, ebd.
S e lb s t b e s t i m m u n g in der a m e r i k a n i s c h e n A u ß e n p o l i t i k
169
in der unmittelbaren Zukunft ist“28. Bezüglich Malayas war das Ergebnis der B e­
ratungen vergleichbar: „Es gibt so wenig Elemente der Einheit und Stabilität in
der Region. Unmittelbare Unabhängigkeit ist unmöglich.“29 In ähnlicher Weise
konstatierte Raymond Kennedy, ein Indonesien-Experte des Außenministeriums,
die „Unreife“ der indonesischen nationalistischen Bewegung, und ein anderer,
Kenneth Landon, meinte: „The time required to develop efficient self-govern­
ment in the Indies would be dependent, of course, upon the skill of planning and
the funds available. A start could be made in certain districts, mostly urban, imme­
diately. With liberal funds and able administration, a good half of the population
could be prepared for efficient self-government within perhaps 20 years. The hin­
terlands of Borneo, New Guinea, and other remote sections would require much
longer; indeed, for perhaps 30 years these areas would have to be governed on a
scheme similar to that operated in our ,Indian Territories1 during the 19th cen­
tury."30
Die Länderexperten im amerikanischen Außenministerium und auch der Präsi­
dent waren sich darin einig, daß jeder staatlichen Unabhängigkeit von Kolonien
eine Phase der Anleitung vorangehen müsse. Supervision im Rahmen einer Treu­
handschaft war am besten geeignet, Mündigkeit und damit die Fähigkeit zur
Selbstregierung herzustellen31. Während des Krieges wurden zahlreiche Vor­
schläge über die Ausgestaltung der Treuhandschaft erarbeitet. Doch bereits im
August 1942 lenkte Außenminister Cordell Hull mit Zustimmung Roosevelts die
Debatte in eine ganz bestimmte Richtung: konfrontiert mit der Frage, wer Treu­
händer abhängiger Territorien sein solle, schlug Hull die Kolonialmächte vor32.
Während eine Beteiligung der Vereinten Nationen oder auch eine von mehreren
Großmächten verantwortete Treuhandschaft diskutiert wurden, engte der Vor­
28 X-398 In d oC hin a: P olitical and E con om ic F actors, 2. N ovem ber 1943, N A , R G 59, E ntry
673, B o x 9; T M inutes 56: Future P olitical Status o f Fren ch In d o -C h in a, 11. N ovem ber 1943,
ebd.; M em orandum on Indochina, D ivision o f F ar Eastern A ffairs, D epartm ent o f State,
4. Septem ber 1942, ebd., 8 5 1 G .00/77; Views o f the President with R espect to Indochina,
Landon an G rew (10. Ju li 1944) ebd., L o t 53D 246, B o x 2; T h e Indochina Problem , H. T. Ja r ­
rell (Naval A ttach e, C hongqing) an D irector, Naval Intelligence (9. Septem ber 1944) ebd.,
8 5 1G .00/ 1-3045.
29 H -4 9 a B ritish Em pire: Southeastern Asia: T erritorial P roblem s: British Malaya, 29. F e ­
bruar 1944, ebd., E n try 673, B o x 10.
30 Kennedy an L ow A b b o t M offat (24. O k to b e r 1944) ebd., 856D .00/ 10-1024; Answ ers to
Q uestions co ncerning the N etherlands East Indies, K enn eth P. Landon, 19. Ju li 1944, ebd.,
8561).00/5-13-45.
31 Zum Treuhandkonzept siehe insbesondere William Roger Louis, Im perialism at Bay. T h e
U nited States and the D ecolon ization o f the B ritish E m pire (N ew York 1978) 8 8 -1 1 7 . Siehe
auch Ganeshwar Cband, T h e U nited States and the O rig ins o f the Trusteeship System , in:
Fernand Braudel C en te r Review 14 (1991) 1 7 1-229; Akira Iriye, Pow er and Culture. T he
Japanese-A m erican War, 1 941-1945 (Cam bridge M A 1981) 1 3 1-134; Victor Pungong, T he
U nited States and the International Trusteeship System , in: D avid Ryan, Victor Punqong
(H rsg.), T h e U nited States and D ecolon ization . P ow er and Freedom (N ew Y ork 2000) 8 5 101 .'
32 Gary R. Hess, T h e U nited States’ Em ergence as a Southeast Asian Power, 1 940-1950
(N ew Y ork 1987) 63 f.
170
M arc Frey
schlag Hulls die Optionen faktisch ein. Die Gutachten der Expertengremien be­
stätigten die frühe Festlegung auf eine Treuhandschaft, die von den Kolonial­
mächten ausgeübt werden sollte. Im Fall Frankreichs beispielsweise hieß es, daß
„die lange Erfahrung der Franzosen in der Kolonie zum allgemeinen Vorteil ge­
nutzt werden könnte“. Ähnlich lautete die Argumentation mit Blick auf Malaya:
„[AJfter almost 150 years of experience in the area, during which they have provi­
ded law and order, an honest administration, and social services, virtually unsur­
passed in any Far Eastern dependence, the British alone have the trained personnel
for governing the country in the post-war period.“33 Allerdings qualifizierten die
Experten ihre Aussagen, wenn sie vorschlugen, daß die Treuhandstaaten in Ü ber­
einstimmung mit einer „Kolonialcharta“ handeln und den Vereinten Nationen ge­
genüber rechenschaftspflichtig sein sollten. Dies jedoch war in der von den Ame­
rikanern gewünschten Form wegen des Widerstands der Kolonialmächte nicht
durchsetzbar. Selbstregierung für die koloniale Welt wurde also als ein langfristi­
ger Prozeß aufgefaßt, dem nicht unbedingt alle drei W ilson’schen Kriterien Mündigkeit, governance und Demokratie - vorausgehen mußten, wohl aber im­
plizit oder explizit die ersten beiden. Dabei war vom Prinzip der Selbstbestim­
mung in keinem einzigen Fall die Rede.
Auch gegenüber Osteuropa operierte die amerikanische Diplomatie nicht mit
dem Prinzip der Selbstbestimmung. Zwar hatte die Sowjetunion im Januar 1942
die Prinzipien der Atlantik-Charta anerkannt. Doch zwei Jahre später hatte sich
die Lage in Europa gewaltig verändert: die Rote Armee stieß mit Macht in die
Mitte Europas vor. Angesichts der damit verbundenen Kräfteveränderungen
hoffte Außenminister Hull nun darauf, Stalins Bedürfnis nach Sicherheit im Rah­
men einer starken internationalen Organisation befriedigen zu können, die kol­
lektiv für Frieden und Sicherheit sorgen würde. In ähnlicher Weise hoffte R oose­
velt in Jalta darauf, die unterschiedlichen Interessen von Sowjets und Westalliier­
ten in Osteuropa mit einer umfassenden Friedensordnung ausgleichen zu kön­
nen34. Insbesondere gegenüber Polen insistierte er auf einer repräsentativen R e­
gierung und demokratischen Strukturen. Das Prinzip der Selbstbestimmung
wurde in den Beratungen jedoch nicht thematisiert35. Zurecht weist daher Wilson
Miscamble darauf hin, daß „despite repeated public assurances regarding the aims
33 T -3 9 8 In d o -C h in a: P olitical and E con om ic F actors, 2. N ovem ber 1943, N A , R G 59, E n ­
try 673, B o x 9; T M inutes 56: Future P olitical Status o f Fren ch In d o -C h in a, 11. N ovem ber
1943, ebd.; H -4 9 a B ritish Em pire: Southeastern Asia: T erritorial Problem s: British M alaya,
29. Febru ar 1944, ebd. B ox 10. Siehe auch Pasvolsky an H ull, Trusteeship and C o lo nial P ro ­
blems (18. August 1943) in: F R U S , T h e C onferen ces at W ashington and Q uebec 1943 (W a­
shington 1970) 7 1 7 -7 2 8 ; Stettinius an R oosevelt (19. D ezem ber 1944) N A , R G 59, L ot
5 3 D 4 4 4 , B o x 1. Stettinius bezog sich auf seinen Vorgänger H ull. Siehe Kennedy an M offat
(14. N ovem ber 1944) ebd. 856D .00/ 11-1444.
34 Klaus Schwabe, W eltm acht und W eltordnung. A m erikanische A ußenpolitik von 1898 bis
zur G egenw art. Eine Jahrhundertgeschichte (Pad erborn 2006) 144.
35 Jost Dülffer, Jalta, 4. Februar 1945. D er Zw eite W eltkrieg und die Entstehung der b ip o la­
ren W elt (M ünchen 1998) 24 f.
S e l b s t b e s t i m m u n g in de r a m e r i k a n i s c h e n A u ß e n p o l i t i k
171
of extending freedoms and promoting democracy, the Roosevelt administration
gave little explicit attention to specific means to foster self-determination“36.
. Überraschenderweise spielte für die amerikanische Diplomatie das Prinzip der
Selbstbestimmung auch keine Rolle bei den Beratungen über die Formulierung
der Charta der Vereinten Nationen. Nicht die Vereinigten Staaten, sondern die
Sowjetunion bestand auf der Aufnahme des Prinzips in der Charta. Die ameri­
kanische Delegation dagegen bevorzugte die Begriffe „Selbstregierung“ und „Un­
abhängigkeit". Damit vermied sie bewußt eine Definition von Volk oder der für
eine Selbstbestimmung in Frage kommenden sozialen Gruppe37. In Verkürzung
der Kriterien, die Wilson der Durchsetzung des Prinzips der Selbstbestimmung
zugrunde gelegt hatte, definierte Hull: „Self-government meant independence for
those who had earned it and indicated the ability to use it.“38
Ausblick
Aufgrund seiner amorphen Bedeutung gewann das Prinzip der Selbstbestimmung
auch in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg für die amerikanische Außenpolitik
und Diplomatie nicht an Attraktivität. Wenn der Begriff überhaupt verwendet
wurde, dann in einer dezidiert antikommunistischen Bedeutung. Im Kontext des
heraufziehenden Kalten Krieges entwickelte sich der Begriff geradezu zu einem
Synonym für eine nicht-kommunistische Regierungsform. Beispielhaft kommt
dies in einer Unterredung zwischen dem amerikanischen Botschafter und dem
Diktator Stalin aus der Frühphase des Kalten Krieges zum Ausdruck. Darin er­
klärte der Botschafter Walther Bedell Smith: „It seemed to us that what the USSR
meant by a friendly government was a government which was under the complete
control of Moscow, and not one which was capable of self-determination.“39 Und
auch hier bezog sich Selbstbestimmung nicht auf ein Volk, sondern auf eine Regie­
rung. Vor allem Regierungen, die vom Kalten Krieg in besonderer Weise betroffen
waren, beriefen sich wiederholt auf das Prinzip der Selbstbestimmung. Das galt
etwa für Südkorea, Südvietnam oder die Bundesrepublik Deutschland, also Staa­
ten, die mit einer unmittelbaren kommunistischen Alternative konfrontiert wa­
ren. Karriere machte das Prinzip dann aber vor allem im Kontext der D ekoloni­
sierung, als nationalistische Führer unter Verweis auf die Selbstbestimmung, U n­
36 Wilson D. Miscamble, F ro m R oosevelt To Trum an: Potsdam , H iroshim a, and the Cold
W ar (C am bridge 2 007) 38.
37 M inutes o f the 13th F ive-P ow er Inform al C onsultative M eeting on Proposed A m end­
m ent, Field at San F ran cisco, 2. Ju n i 1945, in: F R U S (1945) Vol. 1: T h e U nited N ations (W a­
shington 1967) 1 1 0 6 -1 1 1 7 .
38 M inutes o f the 4 5 th m eeting o f the U S D elegation, San Fran cisco, M ay 18, 1945, in: F R U S
(1945) Vol. 1: T h e U nited N ation s (W ashington 1967) 797.
39 Bedell Sm ith -Stalin conversation, 5. April 1946, in: F R U S (1946) Vol. 6: Eastern Europe,
the Soviet U nion (W ashington 1969) 735.
172
M arc Frey
abhängigkeit und Selbstregicrung in den von den Kolonialmächten gezogenen ter­
ritorialen Ordnungen verlangten.
Die Bedeutung und der Geltungsbereich des Prinzips der Selbstbestimmung
sind bis heute politisch und völkerrechtlich umstritten. Die amerikanische D iplo­
matie bezieht sich nicht auf sie. Zu vage ist ihr Charakter, zu problematisch jede
Definition der sozialen Gruppe, für die das Prinzip gelten soll. Nach wie vor wird
es von denen eingefordert, die einen Status als marginalisierte oder diskriminierte
soziale Gruppe beanspruchen. Als Staat, der in der Auseinandersetzung um die
Rechte der first nations mit dem Problem der Selbstbestimmung konfrontiert ist,
können die Vereinigten Staaten auch kein Interesse daran haben, daß sich das
Prinzip zu einer völkerrechtlich allgemein akzeptierten Norm entwickelt. H isto­
risch betrachtet war es von Beginn an äußerst umstritten, und schon Woodrow
Wilson haderte sowohl mit der Bedeutung als auch mit seiner Anwendung. Theo­
retisch betrachtete Wilson Selbstbestimmung als ein allgemeingültiges, universales
Prinzip. Aber er knüpfte es an normative Vorstellungen von Eignung beziehungs­
weise Mündigkeit, von ,gutem Regieren' und demokratischer Regierungsform.
Dies waren selbst definierte und nicht ausgehandelte Bedingungen. Das Selbstbe­
stimmungsprinzip war somit Ausdruck eines bestimmten Diskurses über Zivilisa­
tion und Modernität. Im Verständnis des amerikanischen Präsidenten war es mehr
ein Versprechen als ein unmittelbares politisches Ziel.
Summary
This chapter tries to show that the principle of self-determination, as promoted by
Woodrow Wilson, was dependent on normative notions of eligibility, governance
and political systems. Theoretically, Wilson thought of it as a universal principle.
In practice, however, it was conditioned upon standards set by him and by what at
the time was called the “civilized nations”. Self-determination was not only a con­
tested issue among the victors of World War I, the defeated and the leaders of vari­
ous nascent nations in Eastern and Southeastern Europe. Within the U.S. admin­
istration itself, self-determination was a contested issue. After Wilson’s stroke of
O ctober 2, 1919, which left the President unable to perform, the principle of selfdetermination became, for all practical purposes, a taboo in American diplomacy.
A comprehensive analysis of the Foreign Relations of the United States, the offi­
cial US publication of diplomatic records, for the years between 1920 and 1950
shows that the term self-determination was not employed by American diplomats
in a single instance. The chapter looks at the reasons for this and argues that
American diplomats considered the principle a potentially explosive issue which
could divide the international community and could impact on the principle of
state sovereignty.
IV. U N O und Völkerrecht
Peter H ilpold
Hum anitäre Intervention:
N eue Perspektiven für ein geächtetes Instrum ent
der V ölkerrechtsgeschichte1?
1. Einführung
Das Institut der humanitären Intervention ist von seiner Funktion und seiner
Struktur her in vielerlei Hinsicht verbunden mit jenem der Selbstbestimmung,
dem Generalthema dieses Kolloquiums.
Unterscheidet man - wenn auch in starker Vereinfachung - zwei Seiten des
Selbstbestimmungsrechts, eine äußere und eine innere, so wird deutlich, daß die
Ausübung dieser Formen von Selbstbestimmung sehr rasch die Frage aufwerfen
kann, welche Funktion in diesem Zusammenhang dem Institut der humanitären
Intervention zukommt. Die äußere Selbstbestimmung ist eng verbunden mit dem
Souveränitätsgedanken, mit dem Recht auf Behauptung der Staatlichkeit gegen­
über anderen Völkerrechtssubjekten sowie mit dem Gewaltverbot. Grundsätzlich
muß ein solches Verständnis des Selbstbestimmungsrechts jedem Anspruch auf
Intervention, insbesondere militärischer Art, entgegenstehen.
Die innere oder interne Seite des Selbstbestimmungsrechts wiederum, die das
Recht der Bevölkerung eines jeden Staates auf Mitgestaltung der Regierungsform
bis hin zu demokratischer Partizipation betont, verlangt u.U . nach einem Korrek­
tiv von außen, wenn dieser Anspruch verletzt wird bzw. wenn Tyrannei und
schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen Platz greifen. Das Selbstbestim­
mungsrecht würde damit losgelöst von seiner servilen Rolle gegenüber der äuße­
ren Souveränität und in den Dienst des Menschenrechtsschutzes, des Individual­
rechtsschutzes gestellt. Nicht die Interessen der Staatengemeinschaft, die letztlich
1 D ieser Beitrag beruht auf folgenden A rbeiten dieses Autors'. Sezession und humanitäre
Intervention - völkerrechtliche Instrum ente zur Bew ältigung innerstaatlicher K on flik te?, in:
Zeitsch rift für Ö ffen tlich es R ech t 54 (4/1999) 5 2 9 -6 0 2 ; H um anitarian Intervention: Is There
a Need fo r a Legal Reappraisal?, in: E JIL (3/2001) 4 3 7 -4 6 7 ; T h e continuing m odernity of
A rticle 2(4) o f the U N Charter, in: Wolfgang Ingenbaeff, R oland Staudinger, Kurt Ebert
(H rsg.), F S R u d o lf Palm e (Inn sb ru ck 2002) 2 8 1 -2 9 5 und T h e D u ty to P rotect and the R e ­
form o f the U nited N ation s - A new Step in the D evelopm ent o f International Law ?, in: Max
Planck Y earbook o f U nited N ation s Law 10 (2006) 3 5 -6 9 .
176
Peter H ilpold
häufig wieder auf das Interesse der einzelnen Staaten rückgeführt werden, stehen
im Mittelpunkt, sondern das kosmopolitische Interesse der Menschheit2.
Die damit zusammenhängende Diskussion ist sehr breiter Natur. Sie ist z.T.
rechtlicher Natur, sie wird aber auch vielfach rechtsphilosophisch geführt, und die
vorgetragenen Lösungsmodelle sind de lege lata.
Gleich einführend dazu sollen Äußerungen von einem der führenden US-amerikanischen Völkerrechtler, Professor Michael Reisman, zitiert werden3, der für
eine Relativierung des Souveränitätsprinzips, gegen eine zu strenge Auslegung des
Gewaltverbots nach Art. 2 Abs. 4 der Satzung der Vereinten Nationen und für die
Zulässigkeit der humanitären Intervention eintritt. Zur Frage, inwieweit das G e­
waltverbot Selbsthilfe, gemeint sind Interventionen, untersagt, schreibt er4:
„Only in the most exceptional cases will the United Nations be capable of
functioning as an international enforcer, in the vast majority of cases, the conflict­
ing interests of diverse public order systems will block any action. A rational and
contemporary interpretation must conclude that Art. 2(4) suppresses self-help
insofar as the organization can assume the role of an enforcer. When it cannot,
self-help prerogatives revive.“
Nach Reisman hat also das absolute Gewaltverbot, das laut SVN nur die Aus­
nahmen nach Kapitel V II (kollektive Sicherheit) und gemäß Art. 51 (Selbstvertei­
digung) kennt, nur mehr historische Bedeutung. Die aktuellen Bedürfnisse der
Staatengemeinschaft seien andere, und deshalb sei auch eine Neuinterpretation
der einschlägigen Satzungsbestimmungen gerechtfertigt.
Schon auf den ersten Blick wird deutlich, daß eine solche Position rechtsdog­
matisch nicht haltbar ist. In erster Linie verstößt eine solche Auslegung gegen die
Wortlautschranke gemäß Wiener Vertragsrechtskonvention, und selbst wenn dies
nicht der Fall wäre, können wir aktuelle Bedürfnisse nicht als „Zusammenhang“
sehen, der laut den Auslegungsgrundsätzen in Art. 31 W VK bei der Interpretation
einer Norm mit zu berücksichtigen ist.
Bekanntlich können aber neue Bedürfnisse dazu führen, daß eine neue Norm
an die Stelle einer älteren tritt, die frühere N orm tritt völkergewohnheitsrecht­
lich außer Kraft (desuetudo). Eine solche Entwicklung ist hier aber nicht ersicht­
lich. Wie nachfolgend noch zu zeigen sein wird, werden Durchbrechungen des
Gewaltverbots stets von internationalem Protest (und u.U. von schärferen Sank­
tionen) begleitet. Selbst wenn der UN-Sicherheitsrat Maßnahmen der kollek­
tiven Sicherheit ergriffen hat, war er regelmäßig bemüht, den Eindruck zu ver­
meiden, damit ein generelles Interventionsrecht für humanitäre Belange zu
schaffen.
2 Vgl. Fernando R. Tesön, T h e Vexing P roblem o f A uthority in H um anitarian Intervention:
A Proposal, in: W isconsin International Law Jou rn al 24/3 (2007) 7 6 1 -7 7 2 (761) (H u m an itar­
ian Intervention).
3 Vgl. dazu ausführlich Peter Hilpold, Sezession und hum anitäre Intervention, in: Zeitsch rift
für Ö ffen tlich es R ech t 54 (1999) 5 2 9 -6 0 2 (5 7 6 ff.).
4 Vgl. Michael Reisman, N u llity and R evision (N ew H aven, L ond on 1971) 850.
H u m a n i t ä r e I n t e r v e n ti o n
177
In rechtspolitischer Hinsicht ist es auch zweifelhaft, ob eine solche Neuinter­
pretation des Gewaltverbots tatsächlich geboten erscheint, da hier eine erhebliche
Mißbrauchsgefahr besteht.
An einer anderen Stelle schreibt Michael Reisman Folgendes:
„The problem can be approached from the standpoint of the contemporary
meaning of Art. 2 (4), an apparently blanket proscription of the unilateral use of
force which had relevance at least in the paper world of the Charter, when read in
conjunction with the implementative programs of Chapter V II of that instrument.
Unfortunately, the programs of Charter V II were never realised. Hence, a con­
tinuing strict interpretation of Art. 2 (4) would be an invitation to lawbreakers
who could anticipate a paralysis in the Security Council’s decision dynamics,
which is by no means unrealistic. [...]
A more realistic policy formulation would recognize the present inability of the
world community to move to the implementation of Chapter V II and would
therefore accept the partial suspension of the full thrust of Art. 2 (4).“5
Wiederum bleibt Reisman die Angabe einer Rechtsgrundlage für diesen be­
haupteten Wandel des Völkerrechts schuldig. In rechtspolitischer Hinsicht ist
wiederum nicht einsichtig, warum eine Aufweichung des Gewaltverbots eine ab­
schreckende Wirkung gegenüber potentiellen Aggressoren zeitigen sollte. Weit
eher würde eine solche Maßnahme der Gewalteskalation Tür und Tor öffnen.
In einem weiteren Beitrag6 schreibt Reisman:
„Article 2(4), like so much in the Charter and in contemporary international
politics, rests on and must be interpreted in terms of this key postulate of political
legitimacy in the 20th century. Each application of Article 2(4) must enhance op­
portunities for ongoing self-determination. Though all interventions are lamen­
table, the fact is that some may serve, in terms of aggregate consequences, to
increase the probability of the free choice of peoples about their government and
political structure.“
„One should not seek point-for-point conformity to a rule without constant
regard for the policy or principle that animated its prescription, and with appro­
priate regard for the factual constellation in the minds of the drafters.“
„Coercion should not be glorified, but it is naive and indeed subversive of pub­
lic order to insist that it never be used, for coercion is a ubiquitous feature of all
social life and a characteristic and indispensable component of law. The critical
question in a decentralised system is not whether coercion has been applied, but
whether it has been applied in support of or against community order and basic
policies, and whether it was applied in ways whose net consequences include in­
creased congruence with community goals and minimum order.“7
3 Vgl. Michael Reisman, Sanctions and E nforcem en t, in: Cyril Black, Richard Falk (H rsg.),
T h e Future o f the International Legal O rd er (1971) III, 2 7 3 -3 3 5 (332).
6 Vgl. M ichael Reisman, C o ercio n and Self-D eterm in ation. C onstru ing C h arter A rticle 2(4),
in: A JIL (1984) 6 4 2 -6 4 5 (644).
7 Ibid. 645.
178
P e te r H i l p o l d
Ein anderer großer US-amerikanischer Völkerrechtler, der eher eine traditio­
nelle Position vertrat, Oscar Schächter, hat auf Reismans Thesen mit gewichtigen
Gegenargumenten geantwortet8:
- Die Überlegungen Reismans sind einmal auf der sachlichen Ebene nicht
zwingend, denn:
Selbst dann, wenn gegen einen Friedensbrecher keine Zwangsmaßnahmen
durch den Sicherheitsrat verhängt werden, kann eine Vielzahl anderer Sanktionen
aus dem diesbezüglichen reichen Arsenal des Völkerrechts zur Anwendung kom­
men.
- Sie sind weiters dogmatisch-methodisch nicht haltbar. Dazu führt Oscar
Schächter folgendes aus:
„In presenting this far-reaching thesis, Reisman regrettably does not adequately
explicate the grounds on which it is based. Fie does not tell us whether his asser­
tions rest on such empirical findings as the positions taken by governments (in
words or conduct) or on the ,expectations' of peoples derived from patterns of
conduct or on strongly felt popular demands. [...] The first doubt concerns the
assertion that ,the main purpose' of international law is the .enhancement ‘ of i n ­
going self-determination“. This is said to be obvious; no independent support is
given for the proposition.“9
„[...] from the very inception of the present Charter system, there has been
general agreement that the rule against unilateral recourse to force (except in selfdefense) is a fundamental tenet of international law. In recent years, it has been
widely characterized as jus cogens. To argue that it must now be ,reinterpreted' so
as to subordinate its prohibition to the right of states to overthrow despotic
governments by force is a radical departure from that principle.“10
Laut Schächter würde damit eine neue Rechtsgrundlage für einen gerechten
Krieg geschaffen, ohne daß damit für den Zweck der Friedenssicherung wirklich
etwas gewonnen wäre:
„That invasions may at times serve democratic values must be weighed against
the dangerous consequences of legitimizing armed attacks against peaceful gov­
ernments.“ 11
2. D efinitionen
Diese einführende Gegenüberstellung der Positionen von zwei führenden USamerikanischen Völkerrechtlern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sollte
aufzeigen, daß über das Institut der humanitären Intervention selbst im System
der Vereinten Nationen, das - wie gezeigt - von einem sehr strikten, weitreichen­
8 Vgl. Oscar Schächter, T h e legality o f pro-dem ocratic invasion, in: A JIL (1984) 6 4 5 -6 5 0 .
9 Ibid. 647.
10 Ibid . 648.
11 Ibid.
H u m a n i t ä r e I n t e r v e n ti o n
179
den Gewaltverbot geprägt ist, debattiert wird. Von einer rechtsdogmatischen,
„traditionellen“ Warte aus betrachtet, scheinen die Gegner dieses Instituts auf
jeden Fall die besseren Argumente zu haben. Für eine Aufweichung des Gewalt­
verbots dürfte in der Satzung der Vereinten Nationen schwerlich eine Grundlage
zu finden sein. Aber auch in rechtspolitischer Hinsicht vermögen die Argumente,
die in den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts zugunsten der Zulässig­
keit einer unilateralen Gewaltanwendung vorgebracht worden sind, nicht zu
überzeugen. Das Versagen des Systems der kollektiven Sicherheit rechtfertigt
nicht die Preisgabe einer zentralen Errungenschaft der internationalen Nachkriegsordnung. Eine brauchbare Alternative zum Gewaltverbot ist nicht in Sicht,
auch wenn das Gesamtsystem, dem das Gewaltverbot teilhaft ist, nicht in der
Form funktioniert, wie geplant.
In diesem einführenden Teil sollte unmittelbar ein Ausschnitt aus dem Kernbe­
reich der einschlägigen Diskussion geboten werden. Wesentliches ist damit schon
gesagt. Es ist aber ebenfalls sofort ersichtlich, daß Wesentliches auch noch unangesprochen geblieben ist. Wenn die Diskussion nach Maßgabe der vorherigen
Ausführungen schon abgeschlossen wäre, dann wäre das Ergebnis wohl ernüch­
ternd und enttäuschend. Vermag das geltende Recht der Komplexität der Realität
gerecht zu werden? Ist es plausibel, daß die Völkerrechtsordnung, die dem Men­
schenrechtsschutz eine derart zentrale Bedeutung beimißt, die Augen geradezu
verschließen geheißt, wenn ihr wichtigstes Rechtsgut12 in unmittelbarer Gefahr
ist? Will eine Völkerrechtsordnung, die nach einem schönen Bild eines bekannten
zeitgenössischen Völkerrechtlers13 auf dem Wege dazu ist, sich mit der Menschen­
rechtsordnung weitgehend zu vermengen, der Verteidigung der Souveränität ab­
solute Priorität einräumen, auch wenn das Gewissen der Menschheit die Gewäh­
rung einer Ausnahme angezeigt erscheinen lassen würde? Diese Frage muß mit
Sicherheit verneint werden, was dann aber sofort zur nächsten Frage führt, in wel­
cher Form nämlich diesem Anliegen Rechnung getragen werden kann.
Eine Antwort darauf setzt den Versuch einer Definition der humanitären Inter­
vention voraus. Es wird zu zeigen sein, daß die Lösungsansätze je nach Definition
unterschiedlich ausfallen.
Grundsätzlich wird zwischen einem weiten und einem engen Interventionsbe­
griff unterschieden. D er weite Interventionsbegriff umfaßt Formen der Einfluß­
nahme unterschiedlichster Art, auch politischer und wirtschaftlicher Natur. Diese
Interventionen sollen hier nicht weiter behandelt werden. Im Mittelpunkt steht
hier somit der enge Interventionsbegriff, der sich auf besonders schwerwiegende
Formen der Einflußnahme bezieht, nämlich auf die Anwendung von Waffenge­
walt zur Durchsetzung humanitärer Anliegen im Ausland.
Dieser Begriff ist wiederum weiter differenzierbar, nämlich in:
Interventionen zum Schutz bzw. zur Rettung eigener Staatsangehöriger im
Ausland.
12 Vgl. grundlegend dazu Louis H enkin, T h e age of rights (N ew Y ork et al. 1990).
13 Vgl. Theodor Meron , T h e H um anization o f International Law (Leiden, B o sto n 2006).
180
P e te r H i l p o l d
- Interventionen bei humanitären Notlagen in so genannten „failed states“.
- Interventionen bei schweren Menschenrechtsverletzungen in ansonsten funk­
tionierenden Staatswesen.
2.1 Interventionen zum Schutz bzw. zur Rettung eigener Staatsangehöriger
im Ausland 14
Es ist dies die älteste Form der humanitären Intervention im engeren Sinne. Ihr
liegt der Gedanke zugrunde, daß das Staatsvolk einen engen Personalverband und
eine Schicksalsgemeinschaft bildet. Sollte ein Mitglied dieser Gemeinschaft im
Ausland gefährdet sein, so würde sich dies auch auf die territoriale Integrität des
Heimatstaates auswirken. Gleichsam ist die äußere Selbstbestimmung des H ei­
matstaates aufgrund von Maßnahmen gegen das persönliche Element dieses Lan­
des - und sei es auch nur in seiner atomaren Grundeinheit, der Einzelperson - tan­
giert. Dem damit zusammenhängenden Schutzanspruch ist - nach dieser Auffas­
sung - die Souveränität des Staates unterzuordnen, dem die Menschenrechtsver­
letzungen anzulasten sind. Beispielsfälle sind die israelische Befreiungsaktion in
Uganda 1976 sowie die US-amerikanische Intervention im Iran im Jahr 1980. Die
erstgenannte Aktion ist nur auf gelinde Kritik gestoßen, die zweite dagegen auf
breite Verurteilung. Dies mag auch damit Zusammenhängen, daß die Beurteilung
einer Intervention ganz wesentlich von ihrem Erfolg abhängt. Hier spielt das im
Völkerrecht der Vergangenheit so zentrale Effektivitätsprinzip somit noch eine
ungemein wichtige Rolle. Es gibt hier eine durchaus breitere Meinung in der Lite­
ratur, wonach diese Form der humanitären Intervention, angesichts der Tatsache,
daß sie nur einen beschränkten Souveränitätseinschnitt bewirkt15 und vor allem in
Anbetracht des Umstandes, daß sie in der Regel zeitlich eng befristet ist, völker­
rechtlich toleriert werden kann. Einhellig ist diese Meinung jedoch nicht, und ins­
besondere im kontinentaleuropäischen Raum - aber auch weithin in der Dritten
Welt - wird sie abgelehnt16.
2.2 Interventionen bei humanitären Notlagen in sogenannten
„failed states“
Der Begriff des „failed state“, des Zusammenbruchs eines organisierten Staatswe­
sens, ist jüngeren Datums (wenngleich das Phänomen selbst freilich auch aus der
älteren Völkerrechtsgeschichte bekannt ist) und bezieht sich auf eine Situation, in
14 Vgl. dazu ausführlich Natalino Ronzitti, R escuing N ation als A broad T hrou g h M ilitary
C o ercion and In tervention on G rounds o f H um anity (D o rd rech t u .a. 1985).
15 D ies hängt auch damit zusam m en, daß die m oderne Technologie - insbesondere in der
A eronau tik - punktuelle E in griffe erlaubt, auf deren G rundlage Einzelpersonen ohne R ü ck ­
griff auf größere Truppenkontingente aus frem dem Territorium gebracht werden können.
Vgl. Thomas Franck, Nigel Rodley, A fter Bangladesh: T h e Law o f H um anitarian Interven­
tion by M ilitary F o rce, in: A JIL 67 (1973) 2 7 5 -3 0 5 (283).
16 Vgl. Ulrich Beyerlin, H um anitarian Intervention, in: E P IL II (1995) 9 2 6 -9 3 3 .
H u m a n i t ä r e I n t e r v e n ti o n
181
der die zentrale Staatsgewalt - in der Regel aufgrund von Bürgerkriegen - abhan­
den kommt. Eine Situation dieser Art war in den vergangenen Jahren verschie­
dentlich in Staaten der Dritten Welt festzustellen, wo nach einer relativ stabilen
Ubergangsphase nach der Entkolonialisierung Stammeskämpfe oder andere eth­
nische Konflikte ausbrachen und schließlich das Staatswesen in den von den frü­
heren Kolonialherren gezeichneten Grenzen auseinanderbrach. In der Folge kann
sich aber durchaus auch wieder eine Staatsgewalt innerhalb der ursprünglichen
Grenzen etablieren. Beispiele sind Somalia, Ruanda, Liberia, Kongo, aber auch
Jugoslawien. In Ermangelung einer zentralen Staatsgewalt ist hier auf der fakti­
schen Ebene die Interventionsschwelle niedriger. In rechtlicher Sicht werden Ein­
griffe aus humanitären Beweggründen in diesem Zusammenhang auch als weniger
schwerwiegend angesehen. Auch der UN -Sicherheitsrat hat sich in diesem K on­
text eher geneigt gezeigt, kollektive Maßnahmen zum Zwecke einer humanitären
Intervention zu genehmigen17. Trotz niedrigerer Eingriffsschwelle muß freilich
auch in diesem Zusammenhang davon ausgegangen werden, daß das Gewaltver­
bot weiter aufrecht bleibt.
2.3 Interventionen bei schweren Menschenrechtsverletzungen in ansonsten
funktionierenden Staatswesen
Dieser Fall wird gegenwärtig als typische Form humanitärer Intervention angese­
hen. Im Mittelpunkt steht also der Schutz der Menschenrechte in einem Drittstaat
mit militärischen Mitteln, wobei die Staatsangehörigkeit, Ethnie u.ä. der Betroffe­
nen sekundär ist. Unterschieden wird hier weiter zwischen einseitiger (unilatera­
ler) Intervention und kollektiven Maßnahmen. Unilaterale Interventionen kön­
nen auch von Staatengruppen vorgenommen werden; entscheidend ist, daß hier
die Legitimierung durch einen Beschluß des Sicherheitsrates fehlt. Bei kollektiven
Maßnahmen ist hingegen genau dieses Element vorhanden und sohin auch eine
Völkerrechtskonformität gegeben (wenngleich diesbezüglich in der Vergangen­
heit insoweit Zweifel bestanden, als die Frage aufgeworfen worden ist, ob der
Sicherheitsrat institutioneil überhaupt befugt ist, solche Maßnahmen anzuord­
nen).
3. D ie einseitige humanitäre Intervention - unter besonderer
Berücksichtigung historischer Erfahrungen
Fälle einseitiger humanitärer Intervention reichen weit in die Völkerrechtsge­
schichte zurück. Schon Hugo Grotius hat darauf Bezug genommen18. Das Menschenrechtsschutzanliegen bezog sich dabei lange Zeit primär auf religiöse Min17 Vgl. nur Res. 794 (v. 3. 12. 1992) in Bezug auf Somalia.
18 Vgl, Hugo Grotius, D e Ju re B elli A c Pacis L ibri Tres (1625) Lib. II, Cap. X X V , Para. V III.
182
P e te r H i l p o l d
derheiten, wobei von prägender rechtlicher Bedeutung die vom Wiener Kongreß
1815 etablierte Ordnung war19. Einzelne Anwendungsfälle waren die Interventi­
onen Großbritanniens, Frankreichs und Rußlands in Griechenland (1827-1830),
nachdem mehrere Massaker an den griechischen Christen verübt worden waren;
die Intervention Frankreichs in Syrien (1860-1861) nach der Ermordung tausender syrischer Christen durch die muslimische Bevölkerung; die Intervention R uß­
lands in Bosnien, Herzegowina und Bulgarien (1877-1878) und jene der Vereinig­
ten Staaten in Kuba (1898), nachdem die spanischen Besatzer versucht hatten, auf
grausame Weise Aufstände der Bevölkerung niederzuschlagen und ca. 200000
Kubaner in spanischen Konzentrationslagern verstarben20.
Diese Vorfälle wurden in der zeitgenössischen wissenschaftlichen Literatur de­
tailliert in Hinblick auf die Frage ihrer Zulässigkeit geprüft. Auch in späterer Zeit
wurden diese Interventionen rückblickend dahingehend geprüft, ob sich daraus
ein völkergewohnheitsrechtliches Prinzip ableiten lasse, das immer noch - neben
dem allgemeinen Gewaltverbot - fortbestehe. Diese Diskussion ist jedoch proble­
matisch: In einer Zeit, in welcher kein allgemeines Gewaltverbot galt und somit
ein generelles jus ad bellum zur Anwendung kam, konnte sich auch keine recht­
fertigende Ausnahme herausbilden. Aus der Perspektive der Selbstbestimmungs­
diskussion betrachtet: Schutz erfuhr im 19. Jahrhundert nur das äußere Selbstbe­
stimmungsrecht, eine interne Dimension wurde zum damaligen Zeitpunkt noch
nicht anerkannt. Dennoch ist die einschlägige Diskussion des 19. Jahrhunderts
auch für die Gegenwart nicht uninteressant, basiert sie doch auf Argumenten, auf
die auch noch in unseren Tagen immer wieder zurückgegriffen wird und die dann
doch wieder in die Nähe des internen Selbstbestimmungskonzepts rückt. So er­
scheint uns das, was Fiore 1885 zum Konzept der humanitären Intervention
schrieb, bemerkenswert vertraut:
„The violation of international law can also be a consequence of events occuring
inside a State, and which results in the direct violation of international law. Let us
assume, for instance, that a prince, in order to put down a revolution, violates all
the generally recognized laws of war, has prisoners executed, authorises destruc­
tion, looting, arson, and encourages his supporters to commit those odious
actions that it is the faction that [seized power] which engages in similar crimes.
Inaction and indifference of other States would constitute an egocentric policy
contrary to the rights of all; for whoever violates international law to the disad­
vantage of anybody, violates it not only to the detriment of the person directly
affected, but as against all civilized States.“21
19 Vgl. dazu und zum N achfolgenden Peter Hilpold, T h e continuing m odernity o f A rticle
2(4) o f the U N C harter, in: Wolfgang In g en h aeff et al. (H rsg .), F estsch rift R u d o lf Palm e
(Inn sbruck 2002) 2 8 1 -2 9 5 .
20 Vgl. M oham m ed Taghi Karoubi, U nilateral U se o f A rm ed F orce and the Challenge of
Flum anitarian In tervention in International Law, in: Asian Y earbo ok o f International Law 10
(2 0 0 5 )9 5 -1 2 4 .
21 Vgl. Pasqiiale Fiore, N ouveau D ro it International P ublic (A ntoine transl. 1885) zitiert
nach Jean-P ierre L. Fonteyne, T h e C u stom ary International law D o ctrin e o f H um anitarian
H u m a n i t ä r e I n t e r v e n ti o n
183
Diese Formulierung läßt das erga-omnes-Konzept anklingen, lange bevor es
vom IG H 1970 im Barcelona-Traction offiziell eingeführt worden ist. Dieses
Konzept weist enge Beziehungen zum Institut der humanitären Intervention auf:
Menschenrechtsverletzungen in einem Land verletzen ein Rechtsgut, an welchem
jeder Staat der Erde teilhat und die jeden Staat somit berechtigen, zu ihrem Schutz
tätig zu werden.
Bekanntlich wurde das Recht, zum Krieg zu schreiten, im 20. Jahrhundert suk­
zessive eingeschränkt (Drago-Porter-Konvention 1907: Verzicht auf Waffenge­
walt bei der Eintreibung von Vertragsschulden; Bryan-Verträge 1913/1914, bilate­
rale Verträge der USA: Verzicht auf Kriegserklärung bzw. andere Feindseligkeiten
bevor ein Bericht einer Vergleichskommission vorgelegt wurde; Völkerbund:
temporaler Verzicht auf Gewaltanwendung für drei Monate; Briand-Kellog-Ver­
trag 1928: genereller Kriegsverzicht); ein Prozeß der mit Art. 2 Abs. 4 Satzung der
Vereinten Nationen und dem darin verankerten generellen Gewaltverbot in den
internationalen Beziehungen seinen Höhepunkt erreichte.
Wie eingangs gezeigt, wurde die Diskussion über die Zulässigkeit von Maßnah­
men einseitiger humanitärer Intervention auch nach 1945 fortgeführt, wenngleich
Versuche einer Relativierung von Art. 2 Abs. 4 im Endergebnis wenig überzeu­
gend erscheinen.
Die Nachkriegszeit kennt zahlreiche Fälle humanitärer Intervention: Die Inter­
vention Indiens in Ostpakistan 1971, jene Vietnams in Kambodscha 1978/1979,
die Intervention Tansanias in Uganda im Jahr 1979, jene Frankreichs in Zentral­
afrika 1979, der USA in Grenada 1983 bzw. in Panama 1989/1990 und jene der
NATO-Staaten im Kosovo 1999. Alle diese Interventionen wurden von der Staa­
tengemeinschaft verurteilt, manche mehr (bspw. jene in Kambodscha), manche
weniger (bspw. jene in Uganda). Auf dieser Basis konnte sich keine völkerge­
wohnheitsrechtliche Regel herausbilden, auf deren Grundlage Interventionen die­
ser Art nun zulässig sein sollten. Dem einzelnen Staat (und auch einer Gruppe von
Staaten) steht es nicht zu, zum Zwecke des Schutzes grundlegender Menschen­
rechte den Panzer der Souveränität mit Waffengewalt zu durchbrechen. In vielen
Fällen, in welchen Akte humanitärer Intervention gesetzt worden sind, konnte
der Ausbruch einer schweren humanitären Katastrophe, zumindest aber ihre wei­
tere Eskalation verhindert werden. Die Staatengemeinschaft sah deshalb oft von
weiteren Sanktionen gegen den Rechtsverletzer ab. Sie handelte aber nicht immer
gerecht. Ein besonders eklatantes Beispiel ist jenes betreffend die Intervention Viet­
nams in Kambodscha: Obwohl diese Maßnahme möglicherweise hundertausenden von Menschen das Leben gerettet hat, reagierte die Staatengemeinschaft sehr
kritisch auf diese Intervention. Vietnam wurden in der Folge über viele Jahre hin
die Vorteile einer intensiveren internationalen Kooperation verweigert.
Intervention: Its C u rren t Validity under the U .N . Charter, in: C aliforn ia W estern In ternatio­
nal Law Journal 4 (1 9 7 4 ) 2 0 3 -2 7 0 (221).
184
P e te r H i l p o l d
4. Kollektive militärische Zwangsmaßnahmen
Hinsichtlich kollektiver militärischer Zwangsmaßnahmen bietet sich ein anderes
Bild: Da dem Sicherheitsrat die Hauptverantwortung für die Wahrung und W ie­
derherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zusteht22, kann
er gegebenenfalls auch Zwangsmaßnahmen beschließen.
Voraussetzung für eine solche Maßnahme nach Kapitel V II ist die Feststellung
einer Friedensbedrohung, eines Friedensbruchs oder einer Angriffshandlung23.
O b auch Menschenrechtsverletzungen als Bedrohung (oder gar Bruch) des in­
ternationalen Friedens qualifiziert werden können, war lange Zeit strittig. In
Frage kommen hierbei auf jeden Fall nur schwerwiegende Menschenrechtsverlet­
zungen, wobei der Sicherheitsrat häufig den Eindruck zu vermitteln bestrebt war,
daß es nicht die Menschenrechtsverletzung selbst sei, die ihn zum Erlaß von
Zwangsmaßnahmen bewog, sondern die damit verbundenen grenzüberschreiten­
den Konsequenzen, insbesondere die Fluchtbewegungen. Ein typischer Fall war
Res. 688/1991 v. 5. 4. 1991, mit welcher die Intervention im ersten Irak-Krieg ge­
rechtfertigt wurde. Hier wurde auf die Massenfluchtbewegung Bezug genommen.
Im Rahmen der Res. 794 v. 3. 12. 1992, mit welcher der Sicherheitsrat Maßnahmen
in Somalia beschloß, wurde explizit auf die durch den Bürgerkrieg bewirkte hu­
manitäre Katastrophe verwiesen, wobei dem Hinweis auf die grenzüberschreiten­
den Auswirkungen nur mehr Hilfscharakter zukam. Gleichzeitig wurde aber auch
die Einzigartigkeit dieser Situation betont, wodurch eine Verallgemeinerungsfä­
higkeit dieser Maßnahmen ausgeschlossen werden sollte. Mit Res. 940 v. 31. 7.
1994 schließlich beschloß der Sicherheitsrat militärische Zwangsmaßnahmen ge­
gen die Machthaber auf Haiti, wobei auf die schweren Menschenrechtsverletzun­
gen in diesem Land Bezug genommen worden ist - allerdings auch auf die Einla­
dung durch die rechtmäßige Regierung. Letztlich muß man zum Ergebnis kom­
men, daß der Sicherheitsrat über einen sehr weit reichenden Beurteilungsspiel­
raum verfügt. Andererseits ist aber auch festzuhalten, daß der Sicherheitsrat bis­
lang sehr behutsam mit dieser Kompetenz umgegangen ist. Befürchtungen, wo­
nach der Sicherheitsrat zu einer Art „Weltpolizei“ mutieren würde, und in dessen
Folge das interne Selbstbestimmungsrecht zu Lasten des äußeren Selbstbestimmungsrechts die Oberhand gewinnen würde, haben sich bislang nicht bewahrhei­
tet. Spiegelverkehrt wurden aber auch die Hoffnungen nicht Wirklichkeit, die mit
dem Ende des O st-W est-Konflikts aufgekommen sind. Der Sicherheitsrat ist in
vielen Fällen inaktiv geblieben bzw. er hat zu spät agiert, wenn eine Intervention
aus humanitären Gründen dringend nötig gewesen wäre. Beispiele sind Ruanda
oder gegenwärtig Sudan/Darfur.
22 Vgl. A rt. 2 4 SV N .
23 Vgl. A rt. 39 SV N : „The Security C o u n cil shall determ ine the existence o f any threat to the
peace, breach o f the peace, or act o f aggression and shall m ake recom m endations, or decide
w hat m easures shall be taken in accordance w ith articles 41 and 42, to maintain o r restore
international peace and security.“
H u m a n i t ä r e I n t e r v e n ti o n
185
5. Eine Zeitenwende?
Die umfassende weltweite Stärkung des Menschenrechtsschutzes, die allgemein
gefühlte Notwendigkeit, wirksamer gegen humanitäre Katastrophen einzuschrei­
ten und der Eindruck, daß auch das System der Vereinten Nationen einem tief­
greifenden Wandel unterliege, haben ein Gefühl der Zeitenwende aufkommen
lassen. Der Eindruck entstand, die Vereinten Nationen müßten wirksamer auf
diese Anliegen reagieren, und es entstand vielfach auch das Gefühl, die Bereit­
schaft dazu sei gegeben.
Folgende Statements wurden diesbezüglich von UN-Generalsekretären abge­
geben:
Javier Perez de Cuellar: „We are clearly witnessing what is probably an irresistible
shift in public attitudes towards the belief that defence of the oppressed in the name
of morality should probably prevail over frontiers and legal documents.“24
Javier Perez de Cuellar: „It is now increasingly felt that the principle of non-interference with the essential domestic jurisdiction of states cannot be regarded as a
protective barrier which human rights could be massively or systematically vio­
lated with impunity.“25
Kofi Annan: „State sovereignty, in its most basic sense, is being redefined by the
forces of globalisation and international cooperation. The state is now widely
understood to be the servant of its people, and not vice versa. At the same time,
individual sovereignty - and by this I mean the human rights and fundamental
freedoms of each and every individual as enshrined in our Charter - has been
enhanced by a renewed consciousness of the right of every individual to control
his or her own destiny.“26
Nun galt es, diese hehren Grundsätze mit Leben zu erfüllen.
Im Lichte der Erfahrungen rund um die Kosovo-Intervention, die als illegal,
wenngleich legitim qualifiziert worden war27, wurden politische Kräfte aktiv, die
diesen Zwiespalt überwinden wollten28. Die kanadische Regierung setzte eine
24 Vgl. R ep o rt o f the Secretary -G en eral, in: U N Y earbook 1991, A bs. 11, zitiert nach A dvi­
sory C o u n cil on International A ffairs, A dvisory C o m m ittee on Issues o f P ublic In ternation­
al Law, H um anitarian Intervention, R ep ort Nr. 13 (D en H aag, April 2000).
23 Vgl. R ep o rt o f the Secretary-G en eral on the W ork o f the O rg an ization , U N D ocum ent,
A/46/1, 1991.
26 Vgl. U nited N ation s P ress Release SG/SM /7136, GA/9596.
27 Vgl. Bruno Simma, N A T O , the U N and the U se o f F orce: Legal A spects, in: E JIL 10
(1999) 1—22. Vgl. auch H ouse o f C om m on s, „Foreign A ffairs Select C om m ittee R ep ort on
K oso v o“ (2000): „ [ ...] we conclude that N A T O ’s m ilitary action, of dubious legality in the
current state o f international law, was justified on m oral ground s.“ Ibid. A bs. 183.
Zum Zusam m enspiel von R ech t und M oral in diesem K on text vgl. Th. Franck, Legality and
L egitim acy in H um anitarian Intervention, in: Terry Nardin, Melissa S. Williams (H rsg.),
H um anitarian Intervention (N ew Y o rk , L ond on 2006) 143-157.
25 Vgl. Gareth Evans, F ro m H um anitarian Intervention to the R esp on sib ility to P rotect, in:
W isconsin International Law Jou rn al 24/3 (2006) 7 0 3 -7 2 2 (707) (R esp on sibility to Protect).
Vgl. zuvor schon den von U N -G en eralsek retär K ofi A nnan en tw ickelten A nsatz zur R elati-
186
P e te r H i l p o l d
internationale Kommission ein, die die entsprechenden Grundsätze ausarbeiten
sollte, die International Commission on Intervention and State Sovereignty
(ICISS). Der betreffende Endbericht, „The Responsibility to Protect“, wurde im
Jahr 2001 dem UN-Generalsekretär vorgelegt29. Dieser sollte die Schutzverant­
wortung (die „responsibility to protect“), eine Fortentwicklung des Rechts auf
humanitäre Intervention, konkretisieren. U .a. sollten die Voraussetzungen für die
Anordnung kollektiver Zwangsmaßnahmen durch den UN -Sicherheitsrat näher
präzisiert werden. Die einzelnen Bedingungen (just cause, right intention, last re­
sort, proportional measure, reasonable prospect) bilden einen Rahmen, der sicher­
stellen soll, daß der Sicherheitsrat bei Vorliegen der Voraussetzungen tatsächlich
handelt, und daß er andererseits aber auch nur unter diesen Voraussetzungen mi­
litärische Interventionen anordnet. Für unilaterale Interventionen sollte kein
Raum geschaffen werden.
UN-Generalsekretär Kofi Annan setzte daraufhin im September 2003 eine E x ­
pertenkommission („High-Level-Panel“; H L P ) ein, die im Dezember 2004 einen
Bericht vorlegte. Dieser baute auf dem IC ISS-Bericht auf. Die entscheidende Pas­
sage im H L P-Bericht lautet folgendermaßen:
„The principle of non-intervention in internal affairs cannot be used to protect
genocidal acts or other atrocities, such as large-scale violations of international
humanitarian law or large-scale ethnic cleansing, which can properly be conside­
red a threat to international security and as such provoke action by the Security
Council.“30
Kurze Zeit später, am 25. März 2005, legte der UN-Generalsekretär einen eige­
nen Bericht mit dem Titel „In Larger Freedom: Towards Development, Security
and Human Rights for AU“, der wiederum auf dem H LP-Bericht aufbaut, durch­
aus aber auch andere Nuancen aufweist. Die im vorliegenden Zusammenhang re­
levante Passage ist etwas vorsichtiger formuliert als die vorgenannte und lautet
folgendermaßen:
„Was Völkermord, ethnische Säuberungen und andere derartige Verbrechen ge­
gen die Menschlichkeit betrifft, sind diese nicht auch Bedrohungen des Weltfrie­
dens und der internationalen Sicherheit, bei denen sich die Menschheit um Schutz
an den Sicherheitsrat wenden können sollte?“31
Die Bestimmtheit, mit welcher eine unabhängige Expertenkommission Forde­
rungen aufstellen konnte (H LP-Bericht), weicht einer vorsichtigen Formulierung,
wie sie sich eines UN-Generalsekretärs in einem so heiklen Bereich geziemt. Die
Substanz ist dieselbe.
Die entscheidende Frage war jedoch, was würde von all diesen Entwürfen letzt­
lich in das Abschlußdokument der UN-Generalversammlung eingehen, mit welvierung des Souveränitätskonzepts über das K on stru k t der „zwei Souveränitäten“ . Vgl, Kofi
Annan, Tw o C o ncep ts o f Sovereignty, Address to the 54th Session of the G eneral A ssem bly,
abgedruckt in: T h e Q u estio n o f Intervention: Statem ents o f the Secretary-G en eral (1999) 39.
29 Vgl. Evans, R esp on sib ility to P rotect 712.
30 H L P B ericht, A bs. 200.
31 Vgl. A/59/2005 (v. 21. M ärz 2005) Abs. 125.
H u m a n i t ä r e I n t e r v e n ti o n
187
eher ein wichtiger Meilenstein zur Reform des UN -System s gesetzt werden sollte.
Dieses Dokument vom 24. O ktober 2005 war insgesamt enttäuschend. Insbeson­
dere hatte die Zivilgesellschaft große Hoffnungen an diesen Reformprozeß ge­
knüpft. Im Bereich der kollektiven Sicherheit konnte hingegen überraschend viel
von den ursprünglichen Ergebnissen in das Abschlußdokument gerettet werden.
Zwar verweist die GV für den Fall schwerwiegender Menschenrechtsverletzun­
gen primär auf diplomatische, humanitäre und andere friedvolle Maßnahmen ge­
mäß Kapitel VI und V III der Charta. Maßnahmen nach Kapitel V II finden jedoch,
vorsichtig abgewogen, ebenfalls Erwähnung. Die Zuständigkeit des Sicherheits­
rats, im Falle von schweren Menschenrechtsverletzungen Zwangsmaßnahmen
nach Kapitel V II zu beschließen, findet damit offizielle Bestätigung in einem ein­
stimmig angenommenen Dokument der Generalversammlung. Explizit aner­
kannt wird auch das Konzept der Schutzverantwortung („responsibility to pro­
tect“), wenngleich in einer sehr vorsichtigen und verklausulierten Form:
„138. je d e r einzelne Staat hat die Verantw ortung für den Schu tz seiner Bevölkerung vor V ö l­
kerm ord, K riegsverbrechen, ethnischer Säuberung und V erbrechen gegen die M enschlich­
keit. Zu dieser Verantw ortung gehört es, solche Verbrechen, einschließlich der Anstiftung
dazu, m ittels angem essener und notw endiger M aßnahm en zu verhüten. W ir akzeptieren
diese Verantw ortung und w erden im E inklang damit handeln. D ie internationale G em ein­
schaft sollte gegebenenfalls die Staaten erm utigen und ihnen dabei behilflich sein, diese Ver­
antw ortung w ahrzunehm en, und die Vereinten N ation en bei der Schaffung einer Frühw arnkapazität unterstützen.
139. D ie internationale G em einschaft hat durch die Vereinten N ation en auch die P flicht, ge­
eignete diplom atische, hum anitäre und andere friedliche M ittel nach den K apiteln V I und
V III der C harta einzusetzen, um beim Schutz der Bevölkerung vor V ölk erm ord , K riegsver­
brechen, ethnischer Säuberung und V erbrechen gegen die M en sch lichkeit behilflich zu sein.
In diesem Zusam m enhang sind w ir bereit, im Einzelfall und in Zusam m enarbeit m it den zu­
ständigen R egionalorganisationcn rechtzeitig und entschieden kollektive M aßnahm en über
den Sicherheitsrat im E inklang m it der C harta, nam entlich K apitel V II, zu ergreifen, falls
friedliche M ittel sich als unzureichend erw eisen und die nationalen B ehörden offenkundig
dabei versagen, ihre Bevölkerung vor V ölkerm ord, K riegsverbrechen, ethnischer Säuberung
und V erbrechen gegen die M en sch lichkeit zu schützen. W ir betonen die N otw endigkeit, daß
die G eneralversam m lung die Verantw ortung für den Schutz von Bevölkerungsgruppen vor
V ölkerm ord, K riegsverbrechen, ethnischer Säuberung und V erbrechen gegen die M ensch­
lichkeit und die sich daraus ergebenden A usw irkungen eingedenk der G rundsätze der
C harta und des V ölkerrechts w eiter prüft. W ir beabsichtigen außerdem , uns erforderlich en­
falls und sow eit angezeigt dazu zu verpflichten, den Staaten beim Aufbau von K apazitäten
zum Schutz ihrer B evölkerung vor V ölkerm ord, K riegsverbrechen, ethnischer Säuberung
und V erbrechen gegen die M enschlichkeit behilflich zu sein und besonders belasteten Staaten
beizustehen, bevor K risen und K on flikte ausbrechen.“
Die explizite Anerkennung des Umstandes, daß dem Sicherheitsrat ein Interven­
tionsrecht in humanitären Angelegenheiten zusteht, stellt sicherlich eine große
Errungenschaft dar - auch und gerade für eine idealistisch gesinnte Gemeinde von
Exponenten aus Politik, Internationalen Organisationen und Zivilgesellschaft, die
diesen Reformprozeß der letzten Jahre maßgeblich getragen hat32.
3- A u f faktischer E ben e wird damit freilich nur eine Praxis bestätigt, die schon länger Platz
gegriffen hat.
188
P e te r H i l p o l d
Das Konzept der Schutzverantwortung reicht aber weit darüber hinaus. G e­
genwärtig wird weltweit mit Spannung geschaut, ob und in welcher Form es der
Staatengemeinschaft gelingt, daraus ein wirksames präventives Instrument zu for­
men, das eine Notwendigkeit zur humanitären Intervention gar nicht erst entste­
hen läßt33.
6. Schlußbemerkungen
Das Institut der humanitären Intervention hat - so wie es insbesondere im
19. Jahrhundert Anwendung gefunden hat - keine Wiederauferstehung in der Zeit
nach 1989 erfahren. Zu groß war die Mißbrauchsgefahr, zu wertvoll waren die E r­
rungenschaften, die mit dem absoluten Gewaltverbot verbunden sind. Das System
der kollektiven Zwangsmaßnahmen, das eigentlich die natürliche Ergänzung zum
Gewaltverbot gemäß Art. 2 Abs. 4 Satzung der Vereinten Nationen darstellen
sollte, hat zwar seine ihm zugedachte Rolle nicht erfüllen können. Im Lichte der
Ergebnisse des letzten UN -Reformprozesses dürfte aber in Hinkunft die N o t­
wendigkeit einer komplizierten Rechtfertigung entfallen, wenn Zwangsmaßnah­
men nach Kapitel V II aus humanitären Erwägungen gesetzt werden.
Darüber hinaus verbleibt eine große Lücke34, die gegenwärtig nur partiell ge­
füllt werden kann. Was soll geschehen, wenn im Sicherheitsrat keine Einigung
über eine Intervention zu erreichen ist, ein Interventionsbedarf aber augenschein­
lich ist? Nach wie vor können Einzelstaaten oder Gruppen von Staaten das Risiko
auf sich nehmen, dennoch zu intervenieren. Sie begehen damit einen Bruch des
Völkerrechts, unterliegen aber möglicherweise keinen weiteren (bzw. keinen be­
sonders schwerwiegenden) Sanktionen, wenn die Staatengemeinschaft nachher
zum Ergebnis gelangen sollte, daß diese Maßnahme gerechtfertigt war. Anderer­
seits bietet aber auch eine überzeugende sachliche Rechtfertigung für eine Inter­
vention keine Garantie, daß Sanktionen gegen den Interventen tatsächlich unter­
bleiben. Eine gewisse Milderung der Problematik unzureichenden Interventions­
33 M it der neu gegründeten Z eitsch rift „G lobal R esp on sib ility to P ro tect“ (M artinus
N ijh o ff Publishers) ist im Ja h r 2009 eine Plattform gegründet w orden, die einen breit ange­
legten A ustausch von diesbezüglichen Ideen erm öglicht. Vgl. bspw. den Beitrag von Ramesh
Thakur und Thomas G. Weiss, R 2P : F ro m Idea to N orm - and A ctio n ?, in: G lobal R esp on ­
sibility to P rotect 2009, 2 2 -5 3 .
34 A u f rechtsphilosophischer Ebene gibt es freilich zahlreiche Versuche, mit innovativen
Vorschlägen diese L ücke zu schließen. F ür einen interessanten, auf absehbare Z eit aber w ohl
kaum realisierbaren Vorschlag vgl. bspw. Fernando Teson, H um anitarian Intervention 763:
„The Security C o u n cil is dysfunctional w ith respect o f hum anitarian intervention - d ys­
functional for the purpose o f protecting human freedom . A council of dem ocratic states,
while at first blush a b etter alternative, is also undesirable, and, paradoxically, it may be w orse
than w hat we presently have. I will propose here, as an ideal solution, a new body, the C o u rt
o f H um an Security. C om posed o f life-tenured independent judges, this body would be en tit­
led to oversee not only hum anitarian interventions, but also the w hole range o f responses,
forcible and no n -forcib le, to hum anitarian crises.“
H u m a n i t ä r e I n t e r v e n ti o n
189
willens der Staatengemeinschaft ist auch durch die Einführung bzw. Stärkung der
internationalen Strafgerichtsbarkeit erzielt worden. Verbrechen gegen die
Menschlichkeit werden letztlich nicht von Institutionen, sondern von Menschen
ausgeführt und angeordnet. Die Unmöglichkeit, sich nachträglich hinter der Insti­
tution zu verstecken, entfaltet - wie die jüngsten Entwicklungen zeigen - eine be­
eindruckende Abschreckungswirkung35.
Insgesamt deutet all dies auf eine nicht unerhebliche Relativierung der Souverä­
nität und auch auf eine Neufassung des Konzepts des Selbstbestimmungsrechts
hin. Das, was wir als äußere Selbstbestimmung definiert haben, verliert an Stärke
und an seiner Stelle gewinnt die interne Selbstbestimmung bzw. letztlich das Indi­
viduum an Kraft. D er Staat und die Staatengemeinschaft, einst Bezugspunkte und
Stützpfeiler des traditionellen Selbstbestimmungsrechts, werden zu Instrumenten
zur Förderung der Selbstbestimmung des Individuums.
Summary
In a colloquium dedicated to the right to self-determination it seems not only jus­
tified but outright necessary to treat also the so-called right to humanitarian inter­
vention. In fact, self-determination is a multi-faceted subject. Recourse to it is not
only made to defend the territorial sovereignty of states but also with the opposite
purpose, in particular if grave human rights violations take place. In this context,
humanitarian intervention can become instrumental for the implementation of a
right to self-determination that puts the interests of the individual before those of
the state. In this contribution it is pointed out, however, that measures of humani­
tarian intervention must be deliberated by the Security Council in order to corre­
spond to international law while unilateral interventions, be they carried out by
single states or groups of states, are illegal. The prohibition of the use of force has
been attributed such prominence that it did not seem appropriate to allow for a
more far-reaching exception.
This situation is, on the whole, surely unsatisfactory and therefore it has hap­
pened repeatedly in the past that single states or groups of states have intervened
when no other solution seemed to be at hand, accepting by this way the risk of
condemnation and sanctions by the community of states. Even the recent attempt
to reform U N law has not really changed this situation. While it is true that a
“responsibility to protect” has been introduced it does not seem that this concept
can be implemented unilaterally. For the time being it will therefore be necessary
to take recourse to any available instrument so that internal self-determination can
be strengthened preventing a deterioration of the human rights situation and
excluding by this way any need for a more far-reaching intervention.
33 Vgl. dazu das Interview m it Luis M oreno-Ocampo, in N ew sw eek (v. 17. 12. 2007) 74.
Ramon Leemann
Pathos und Pathologie des Selbstbestim m ungsrechts
der V ölker: Individualbeschwerden vor dem
U N O -M enschenrechtsausschuß
1. Einleitung
In den frühen 1950er Jahren wurde in den für die Menschenrechtssetzung verant­
wortlichen U N O -G rem ien heftig darüber gestritten, ob ein Artikel zum Selbstbe­
stimmungsrecht der Völker in die beiden damals noch in der Ausarbeitung be­
findlichen Internationalen Menschenrechtspakte aufzunehmen sei. Um den sich
anbahnenden Einschluß einer entsprechenden Bestimmung abzuwenden, melde­
ten einige Regierungsvertreter Zweifel an der Eignung des geplanten Menschen­
rechtsausschusses für Fragen kollektiver Selbstbestimmung an. Aus der Sicht T. P.
Davins, eines Vertreters Neuseelands, würde die Aufnahme des Selbstbestim­
mungsrechts in die Menschenrechtspakte zu folgendem Problem führen: „Either
the right [of self-determination] would be a mere assertion, without the means of
enforcement, or the implementation procedure would break down in practice
when the proposed committee on human rights realized that it was not the proper
agency to supervise the enforcement of that principle.“1
Der größere Teil der Regierungsvertretungen wischte diesen wie viele andere
Einwände beiseite: 1955 wurde die Aufnahme des Selbstbestimmungsrechts in die
beiden Pakte trotz erheblicher Sach- und Verfahrensprobleme durch einen Mehr­
heitsentscheid beschlossen. 1966 verabschiedete die UNO-Generalversammlung
die beiden Internationalen Menschenrechtspakte, die 1976 in Kraft traten2. Der
erste Paragraph des im Zivilpakt über bürgerliche und politische Rechte sowie im
Sozialpakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte identischen Arti­
kels 1 lautet: „Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses
Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit
ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.“ D er zweite Paragraph
des Artikels 1 formuliert das sogenannte wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht:
1 U N D o c. A /C.3/SR.400, § 25, 23. 1. 1952 (D avin, Neuseeland).
2 D eu tsche Ü bersetzungen der Pakte in: Bruno Simma, Ulrich Fastenrath (H rsg.), M en­
schenrechte (M ünchen 52 004) 4 4 -5 9 (Zivilpakt) u. 8 7 -9 5 (Sozialpakt).
192
R am on Leemann
„Alle Völker können für ihre eigenen Zwecke frei über ihre natürlichen Reichtiimer und Mittel verfügen, unbeschadet aller Verpflichtungen, die aus der inter­
nationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf der Grundlage des gegenseitigen
Wohles sowie aus dem Völkerrecht erwachsen. In keinem Falle darf ein Volk sei­
ner eigenen Existenzmittel beraubt werden.“3
Rückblickend kann man Davins Realitätssinn nur anerkennen. Seine Vorher­
sage bewahrheitete sich insofern, als daß sich der Menschenrechtsausschuß selbst
nicht für das richtige Organ zur Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts hält.
Der Ausschuß scheut davor zurück, sich substantiell zum Selbstbestimmungs­
recht der Völker zu äußern oder für die Durchsetzung dieses Rechts wegweisende
Entscheide zu fällen. Zu diesem Schluß gelangt, wer den Allgemeinen Kommentar
zu Artikel 1, den der Ausschuß 1984 veröffentlicht hat4, oder seine Jurisdiktion
(eigentlich: seine Nichtjurisdiktion) zu Individualbeschwerden über behauptete
Verletzungen des Artikels 1 einer genaueren Betrachtung unterzieht.
Individualbeschwerden zum Selbstbestimmungsrecht haben die Eigenheit, daß
zwei verschiedene Rechtssubjekte auftreten: das Volk als eigentlicher Rechtsträger
und die Einzelperson als Beschwerdeführerin. D er Menschenrechtsausschuß hat
sich seit 1987 auf den Standpunkt gestellt, daß Individuen keine Verletzung eines
Rechts von „peoples as such“ geltend machen können5. Freilich war weder bei der
Ausarbeitung der beiden Menschenrechtspakte noch bei der Ausarbeitung des
Allgemeinen Kommentars zu Artikel 1 klar, daß Individuen kategorisch die B e­
schwerdemöglichkeit im Falle einer Verletzung des Selbstbestimmungsrechts ab­
gesprochen würde. Im Gegenteil: Die Individualbeschwerde über Verletzungen
des Selbstbestimmungsrechts der Völker wurde als Möglichkeit stets mitgedacht,
ihr expliziter Ausschluß wäre kaum mehrheits-, sicher nicht konsensfähig gewe­
sen. Selbst die erste Individualbeschwerde betreffend Artikel 1 wurde 1984 nicht
mit der Begründung abgewiesen, daß Individuen keine Rechte von Kollektiven
einklagen können. Schließlich liegt es auf der Hand, daß Völker nicht für sich
selbst sprechen, geschweige denn Rechte einfordern können, sondern immer
durch Individuen vertreten werden müssen. Die grundsätzliche Unzulässigkeit
von Individualbeschwerden zum Selbstbestimmungsrecht der Völker hat der
Menschenrechtsausschuß erst beschlossen, als er sich in der Praxis wiederholt mit
solchen Beschwerden konfrontiert sah.
D er Aufsatz wird die Kluft zwischen der Hoffnungen und Erwartungen beflü­
gelnden Rhetorik vom subjektiven Selbstbestimmungs-Äec^i aller Völker einer­
seits und den kaum vorhandenen Möglichkeiten seiner rechtlichen Umsetzung
mittels Individualbeschwerden andererseits ausmessen. Dabei wird er zunächst
zeigen, daß Artikel 1 keine selbstevidente überzeitliche Bedeutung hat. Es ist vielJ Simma, M enschenrechte 44 f. D er dritte Paragraph des A rtikels 1 spielt für die A rgum en­
tation dieses A ufsatzes keine R olle.
4 Siehe: Office of the United Nations High Commissioner fo r Hum an Rights (H rsg.), G en e­
ral C om m ents <http:/A vw w .unhchr.ch/tbs/doc.nsf/(Sym bol)/f3c99406d528f37fcl2563ed0 0 4 9 6 0 b 4 ? 0 p e n d o cu m en t> [Stand: 30. 4. 2 0 0 8 ’].
5 U N D o c. C C P R / C / 33/ D 197/1985.
I n d i v i d u a l b e s c h w e r d e n v o r de in U N O - M e n s c h c n r c c h t s a u s s c h u ß
193
mehr von einer prekären Vieldeutigkeit des Artikels 1 auszugehen, die vor allem
dem Mangel eines gemeinsamen Nenners in der zerfahrenen politischen Debatte
um den Einschluß des Selbstbestimmungsrechts in die beiden Internationalen
Menschenrechtspakte geschuldet ist. Der Aufsatz wird dann auf die Aufgaben
und Befugnisse des Menschenrechtsausschusses eingehen, um im Anschluß daran
zu zeigen, wie der Ausschuß mit dem Vermächtnis der an politischen Zielen ori­
entierten Diplomaten, die Artikel 1 ausgearbeitet hatten, umgegangen ist: erst am
Allgemeinen Kommentar zu Artikel 1, dann an den Individualbeschwerden. B e­
vor der Menschenrechtsausschuß über eine Individualbeschwerde entscheidet,
muß er über deren Zulässigkeit befinden. Eine entscheidende Zulässigkeitsbedingung fordert, daß die sich beschwerende Einzelperson O pfer einer tatsächlichen
Verletzung eines der im Pakt garantierten Rechte geworden ist6. Wann aber ist ein
Mensch das O pfer einer Verletzung des Selbstbestimmungsrechts der Völker? Je
nach Auffassung vom Selbstbestimmungsrecht wird die Antwort auf diese Frage
anders ausfallen. Es ist nicht das Vorhaben dieses Aufsatzes, die wichtigsten
Selbstbestimmungsdoktrinen gegeneinander abzuwägen, um eine Antwort auf
jene Frage normativ festzuschreiben7. Stattdessen wird er eine Auswahl konkreter
Fälle beschreiben, die zeigen, wie Einzelpersonen Artikel 1 aufgefaßt und unter
welchen Bedingungen sie sich als Opfer einer Verletzung ,ihres“ Selbstbestim­
mungsrechts der Völker betrachtet haben. Abschließend wird die Jurisprudenz
des Ausschusses einer Beurteilung unterzogen.
2. D e r Einschluß des Selbstbestimmungsrechts
in die Menschenrechtspakte
Das Kernproblem des Artikels 1 ist, daß er zwar allen Völkern das Recht auf
Selbstbestimmung garantiert, es im Völkerrecht aber keine allgemein anerkannte
Definition von ,Volk‘ gibt. Wenn es keine festen Kriterien gibt, die darüber ent­
scheiden, welche Gruppe ein Volk ist, kann es auch keine festen Kriterien geben,
die darüber entscheiden, ob eine bestimmte Gruppe das Recht auf Selbstbestim­
mung besitzt. Als normatives Etikett, das Gruppen das besondere Recht auf
Selbstbestimmung in Aussicht stellt, erhält der unbestimmte Volksbegriff einen
6 Zu den Zulässigkeitsbedingungen siehe A rtikel 1-3 und 5 des F akultativprotokolls zum
Zivilpakt und insbesondere A rtikel 90 der Verfahrensordnung des M enschenrechtsausschus­
ses. D ie Verfahrensordnung ist auf D eu tsch abgedruckt in: Simma, M enschenrechte 6 6 -8 6 .
Außerdem m it ausführlichen A nalysen: Scott Davidson, Procedure under the O p tion al P ro ­
tocol, in: Alex Conte u.a. (H rsg.), D efining Civil and Political R ights. T h e Jurisp rud ence of
the U nited N ations H um an R ights C om m ittee (A ldershot, Burlington 2004) 1 7 -3 2 u. P. R.
Gandhi, T h e H um an Rights C om m ittee and the R ight o f Individual C om m un ication . Law
and P ractice (A ld ersh ot etc. 1998) 8 4 -1 8 0 .
7 D ie völkerrechtliche L iteratur zu dieser Frage füllt ganze B ib lioth ek en, Philosophische
Abhandlungen sind dagegen rar. Siehe insbesondere: Allen Buchanan, Ju stice, Legitimacy,
and Self-D eterm in atio n (O xfo rd 2004) 3 3 1 -4 2 4 .
194
R am on Leemann
zusätzlichen politischen Wert. Deshalb versuchen Staaten in aller Regel, eine in
ihrem Staatsgebiet lebende partikulare Gruppe, die sich als Volk begreift und als
solches begriffen werden möchte, damit abzuspeisen, daß sie sich als,Bevölkerung',
bestenfalls als ,Minderheit' imaginieren könne, keinesfalls aber als ,Volk‘ im Sinne
des Artikels 1 der Menschenrechtspakte8. Der Minderheitenbegriff ist, zumindest
auf der Ebene des Zivilpakts, bar jedweder politischer, geschweige territorialherr­
schaftlicher Implikation9.
Die eigentliche Bedeutung des Artikels 1 ist jedoch unklar. Wenn wir Artikel 1
wörtlich nehmen, muß er die unabhängige Staatlichkeit eines Volkes, also auch
dessen Sezession von einem bestehenden Staat, garantieren, sofern dieses Volk sie
wünscht. Nur hat gerade ein vom subjektiven Volkswillen abhängiger Begriff des
Selbstbestimmungsrechts in der gegenwärtigen internationalen Ordnung keinen
Platz, da er die Grundzüge ebendieser Ordnung angesichts der Unbestimmtheit
von ,Volk‘ jederzeit in Frage stellen kann. Die internationale Ordnung, in der ein
so verstandenes Selbstbestimmungsrecht eine wirkliche Grundnorm wäre, hätte
mit der heutigen, die auf die Integrität der Staaten abstellt, kaum etwas zu tun. Die
Verwirklichung des allgemein formulierten Selbstbestimmungsrechts muß dem­
nach irgendwelchen Bedingungen unterliegen, die allgemein zu fassen wären,
wenn weiter von einem Selbstbestimmungsrecht aller und nicht bloß von einem
Selbstbestimmungsvorrecht gewisser Völker die Rede sein soll. Welches diese B e­
dingungen sind, wenn es sie gibt, ist und war strittig. Werfen wir ein Schlaglicht
auf die Entstehungsgeschichte des Artikels l 10: Die Verrechtlichung der Selbstbe8 Im R ahm en von Individualklagen gegen Verletzungen des Selbstbestim m ungsrechts ver­
traten beispielsw eise Kanada in Bezug auf die L u bico n Lake Band (eine C ree-In dian ergem einschaft), Schw eden in Bezug auf die Sami und N euseeland in B ezug auf die M aori diesen
Standpunkt. U N D o c. CCPR/C/38/D /167/1984, § 6 .1 ; CCPR/C/33/D /197/1985, § 4 .1 ;
CCPR/C/70/D /547/1993, § 7.6.
9 A rtikel 27 des Zivilpakts: „In Staaten m it ethnischen, religiösen oder sprachlichen M inder­
heiten darf A ngehörigen solcher M inderheiten nicht das R ech t vorenthalten w erden, ge­
meinsam m it anderen A ngehörigen ihrer G ruppe ihr eigenes kulturelles L eben zu pflegen,
ihre eigene R eligion zu bekennen und auszuüben oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedie­
nen.“ Simma, M enschenrechte 52. D er A llgem eine K om m entar des M enschenrechtsaus­
schusses zu A rtikel 2 7 stellt klar: „The en joym en t o f the rights to w hich article 27 relates does
not prejudice the sovereignty and territorial integrity o f a State party.“ Office of the United
Nations High Commissioner fo r Hitman Rights (H rsg.), G eneral C om m ent N o . 23: T h e
R ig h t o f M inorities (A rt. 27), § 3 .2
< http://www.unhchr.ch/tbs/doc.nsf/(Symbol)/
fb 7 fb l2 c 2 fb 8 b b 2 1 c l2 5 6 3 e d 0 0 4 d fl 11 ?O pen docum en t> [Stand: 30. 4. 2008].
10 E in en kurzen und guten Ü berblick über die E ntstehungsgeschichte des A rtikels 1 bietet
M anfred N ow ak , U N O -P a k t über bürgerliche und politische R ech te und F ak u ltativp roto­
koll. C C P R -K o m m e n ta r (K eh l a .R . 1989) 1 0-13. D ie Ereignisse bis 1954 hat Günter Decker,
D as Selbstbestim m ungsrecht der N ationen (G ö tting en 1955) 2 0 0 -2 0 7 bereits 1955 etwas aus­
führlicher zusam m engefaßt. N euere aussagekräftige D arstellungen findet man in: Tony
Evans, U S H egem ony and the P ro ject o f U niversal H um an R ights (N ew Y ork etc. 1996)
1 3 2 -1 3 8 und Jam es Summers, Peoples and International Law. H o w N ationalism and SelfD eterm ination Shape a C ontem p orary Law o f N ation s (Leiden, B o sto n 2007) 1 6 2 -1 9 2 . F ü r
die w irtschaftliche K om ponente kann mit G ew inn auf Nico Schrijver, Sovereignty O ver N a ­
tural R esources. B alancing R ights and D uties (D en H aag 1997) 4 9 -5 6 zurückgegriffen w er-
I n d i v i d u a l b e s c h w e r d e n v o r de m U N O - M e n s c h e n r e c h t s a u s s c h u ß
195
Stimmung der Völker ist das Ergebnis einer zähen, vielleicht der zähesten und
kontroversesten Aushandlung im Rahmen der Internationalen Menschenrechts­
pakte11. Artikel 1 nahm die Menschenrechtskommission, welche die beiden Pakte
entwarf, von 1950 bis 1953 in Beschlag. 1954 leitete die Kommission die fertigen
Entwürfe dem Wirtschafts- und Sozialrat zu, der sie anschließend der U N O -G eneralversammlung weiterreichte12. Diese verabschiedete die Pakte erst 1966,
woran sich ermessen läßt, wie festgefahren die Debatte über die Menschenrechts­
pakte während des Kalten Krieges war13.
Für die Besprechung der von der Menschenrechtskommission angefertigten
Entwürfe war der 3. Ausschuß der Generalversammlung zuständig, der 1954 und
1955 heftig und ausgiebig über Artikel 1 stritt. 1955 wurde über den Selbstbestim­
mungsartikel in seinem endgültigen Wortlaut14 abgestimmt. Obwohl Artikel 1
letztlich durchaus mit Bedacht so vage formuliert worden war, daß ihn alle Betei­
ligten beinahe gemäß ihren Wünschen auslegen konnten15, stimmte die große
Mehrheit der westlichen Staaten gegen den Einschluß dieses A rtikels16.
Für die meisten U N O-Delegationen, die den Einschluß des Artikels 1 in die
Pakte befürworteten, war die Bedeutung von Selbstbestimmung jedoch ziemlich
den. D ie nachfolgenden Erläuterungen zur E ntstehungsgeschichte des A rtikels 1 basieren
hauptsächlich auf m einer eigenen A nalyse von Q uellen im Palais des N ation s in G enf.
11 Joh n P. Humphrey, H um an Rights and the U nited N ations: A G reat A dventure (N ew
Y ork 1984) 163. Louis H enkin schrieb A rtikel 1 einen großen Teil der Verantw ortung dafür
zu, daß die A usarbeitung der beiden Pakte beinahe zw anzig Jah re beanspruchte und erst
1966 beendet w erden konnte. Louis H enkin, Introd uction, in: d en . (H rsg.), T h e In ternatio­
nal B ill of R ights. T h e C ovenant on Civil and P olitical R ights (N ew Y ork 1981) 1—3; 10.
12 D ie fertigen Entw ü rfe der M enschenrechtskom m ission sind mit einer um fassenden A n ­
notation abgedruckt als: U N D o c. A/2929.
13 Vratislav Pechota, T h e D evelopm ent o f the C ovenant on C ivil and P olitical R ights, in:
H enkin, International B ill 3 2 -7 1 ; 35.
14 V orbehaltlich weniger unbedeutender gram m atikalischer Änderungen.
13 Z ur m it B edacht erzeugten Vagheit des A rtikels 1 siehe insbesondere die Erläuterungen
des Vorsitzenden der A rbeitsgruppe, die den endgültigen W ortlaut des ersten Paragraphen
des A rtikels 1 ausgearbeitet hat: G em äß dem Vorsitzenden sollte der W ortlaut des ersten Pa­
ragraphen die Schw ierigkeiten und E inschränkungen einer D efinition von Selbstbestim m ung
verm eiden, weil eine solche um stritten war. U N D o c. A /C.3/SR.668, § 2 f., 22. 11. 1955 (U rquia, E l Salvador). D e r brasilianische V ertreter in dieser A rbeitsgruppe w ollte den Träger des
Selbstbestim m ungsrechts definieren, fand aber kein G ehör. U N D oc. A /C.3/SR.668, § 9,
22. 11. 1955 (Ferreira de Souza, Brasilien).
16 D ie w ichtigste A bstim m ung über den endgültigen W ortlaut des A rtikels 1 fand am 29. 11.
1955 im 3. A usschuß der G eneralversam m lung statt. 33 D elegationen stim m ten dem W ort­
laut des A rtikels 1 zu, 13 enthielten sich und 12 stim m ten dagegen. D afü r waren: A fghani­
stan, Ägypten, A rgentinien, Bolivien, C h ile, C o sta R ica, Ecuador, E l Salvador, G riechenland,
G uatem ala, Flaiti, Indien, Indonesien, Irak, Jem en , Jugoslaw ien, K olum bien, L ibanon, L ib e­
ria, M exiko, Peru, Philippinen, Polen, Saudi-A rabien, Syrien, Sow jetu nion, U krainische SSR,
Thailand, T schechoslow akei, Uruguay, Venezuela, W eißrussische SSR , Dagegen waren: A u­
stralien, Belgien, Fran kreich, Kanada, Luxem burg, N iederlande, N euseeland, N orw egen,
Schw eden, T ü rkei, U SA , Vereinigtes K önigreich. E nthalten haben sich: Ä thiopien, Brasilien,
B urm a, C hina, D änem ark, D om in ikan ische R epublik, H onduras, Island, Iran, Israel, Kuba,
Panama, Paraguay. U N D o c. A/C.3/SR.676, § 27.
196
R am on Lcem ann
klar, wenigstens am Anfang der Debatte. Selbstbestimmung meinte für sie die B e­
kräftigung des bereits in der Charta anerkannten Grundsatzes der Nichteinmi­
schung in innere Angelegenheiten und die Unabhängigkeit der Kolonien. Die B e­
fürworter dieser antikolonialen Auffassung, die große Mehrheit afroasiatischer
und die sozialistischen Regierungen, standen vor dem Problem, wie sie im Namen
eines allgemeinen Selbstbestimmungsrechts die Sezession der Kolonialgebiete von
den Metropolen fordern konnten, ohne zugleich auch die territoriale Integrität
des eigenen oder der neu unabhängigen Staaten in Frage zu stellen. Es erwies sich
als schwierig, gegenüber den Westmächten zu begründen, warum das Selbstbe­
stimmungsrecht aller Völker in den Internationalen Pakten über allgem eine Men­
schenrechte nur das Recht der Bevölkerungen von Kolonialgebieten auf Eigen­
staatlichkeit vorsehen sollte, nicht aber das Recht ethnisch oder anders definierter
Völker.
Es gab verschiedene Strategien, diesen Widerspruch zu überbrücken: etwa die
so genannte Konsumtionstheorie, gemäß der ein Volk sein bloß einmal auszu­
übendes Selbstbestimmungsrecht aufzehrt, sobald es die Unabhängigkeit erlangt.
Eine andere Strategie bestand darin, gönnerhaft zu verkünden, daß alle Völker das
Selbstbestimmungsrecht besäßen, sich aber für effektive Durchsetzungsmaßnah­
men des Selbstbestimmungsrechts nur im Kolonialkontext einzusetzen. Diesen
Weg beschritten die ägyptische und die indische Delegation, als sie 1953 mit einem
gemeinsamen Vorschlag den Einschluß eines Umsetzungsartikels zum Selbstbe­
stimmungsrecht in den Entwurf des Zivilpakts erreichten17.
D ie westlichen Delegationen, für die die Selbstbestimmung der Völker nur ei­
nen allgemeinen Grundsatz des Völkerrechts darstellte und von Menschenrech­
ten, die nach dem Dafürhalten der allermeisten dieser Delegationen justiziabel zu
sein hatten, klar zu unterscheiden war, bekämpften erbittert den Einschluß des
Selbstbestimmungsrechts in die Menschenrechtspakte. Die Vereinigten Staaten
hätten sich mit einem antikolonial aufgefaßten Selbstbestimmungsrecht abfinden
können, lehnten Artikel 1 aber insbesondere wegen der ausdrücklichen Berück­
17 U N D o c. E /C N .4/ L.259, 30. 4. 1953. D er U m setzungsartikel w ar A rtikel 48 des E n t­
wurfs für den Zivilpakt. E r forderte von allen Vertragsstaaten einen jährlichen (P ro -fo rm a-)
B erich t über die M aßnahm en zur Verw irklichung der in A rtikel 1 form ulierten Pflichten.
W esentliche Pflichten bürdete er indes nur den K olonialm ächten auf. D ieser A rtikel wurde
1966 aus dem E n tw u rf für den Zivilpakt gestrichen. U N D o c. A/2929, § 132 u. U N D o c. A/
C.3/SR. 1435, § 39, 25. 11. 1966 (Saksena, Indien). Siehe auch den indischen Vorbehalt zu A r­
tikel 1: „ [...] the G overnm ent o f the R epublic of India declares that the w ords ,the right of
self-d eterm ination' appearing in [article 1] apply only to the peoples under foreign dom ina­
tion and that these w ords do not apply to sovereign independent States or to a section o f a
people or nation - w hich is the essence o f national integrity.“ CCPR/C/2/Rev,4, 24. 8. 1994.
Indonesien hat einen analogen V orbehalt form uliert. K aum verblüm t ist der Vorbehalt Bangladeshs zum Sozialpakt betreffend A rtikel 1: D as Selbstbestim m ungsrecht der V ö lk er gelte
im historischen K on text von K olon ialh errschaft und -Verwaltung, von Frem dherrschaft,
B esetzung und ähnlichen Situationen. Office of the United Nations High Commissioner fo r
Human Rights (H rsg.), International C ovenant on E con om ic, Social and Cultural Rights
< http://www2 .0 hchr.0 rg/english/b0 dies/ratificati0 n/3 .htm > [Stand: 30. 4. 2008].
In d i v i d u a l b e sc h w e rd e n v o r de m U N O - M e n s c h e n r e c h t s a u s s c h u ß
197
sichtigung der wirtschaftlichen Selbstbestimmungskomponente ab18. Diese war
von Chile in die Debatte eingebracht worden, das großen Rückhalt bei den latein­
amerikanischen, afroasiatischen und sozialistischen Delegationen fand19. Den B e­
fürwortern des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts ging es darum, ihre
wirtschaftliche Souveränität zu bekräftigen und eine rechtliche Grundlage für die
Umgestaltung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen internationalen ökonomi­
schen Akteuren und so genannten Entwicklungsländern zu schaffen.
Die Westmächte beharrten auf der Notwendigkeit einer universalen Formulie­
rung des Selbstbestimmungsrechts, um einer bloß antikolonialen bzw. ,anti-neo­
kolonialen1 vorzubeugen. Gewiß: Die antikoloniale Auffassung des Selbstbestim­
mungsrechts war in vielerlei Hinsicht problematisch, aber im großen und ganzen
doch klar und realistisch - ganz im Gegensatz zum Vorschlag der belgischen D e­
legation, die sich lauthals für ein umfassendes Verständnis von ,Volk‘ als Träger
des Selbstbestimmungsrechts einsetzte. Die so genannte „belgische These“ argu­
mentierte unumwunden, daß, wenn die kolonialen Völker dieses Recht hätten, es
auch allen anderen Völkern einschließlich indigener zukäme. Ein bloß antikolo­
nial aufgefasstes Selbstbestimmungsrecht diskriminiere hingegen die Kolonial­
mächte, die ihren durch die Völkerbundssatzung und die Charta der Vereinten
Nationen erteilten Zivilisationsauftrag zu erfüllen trachteten20. Die taktische
Pointe der belgischen These bestand natürlich darin, Artikel 1 für die zahlreichen
Staaten mit indigenen Bevölkerungsanteilen unannehmbar zu machen. Es sei ne­
benbei bemerkt, daß die ,diskriminierten' Belgier in der Generalversammlung auf
wenig Mitgefühl stießen.
1954, also gegen Ende der Debatte um den Einschluß des Selbstbestimmungs­
rechts in die Pakte, erkannten auch die westlichen Delegierten den politischen G e­
brauchswert des Selbstbestimmungsbegrills. Vor allem Delegationen kleinerer
europäischer Länder propagierten vermehrt die innere Selbstbestimmung. Damit
meinten sie das Recht eines bereits konstituierten Staatsvolkes, innerhalb unum­
stößlicher Grenzen in Freiheit die eigene Regierung zu wählen21. Diese heute
tonangebende22, eigentlich tautologische Auffassung, die das Selbstbestimmungs>8 U N D o c. A /C.3/SR.676, § 30, 29. 11. 1955 (L ord , U SA ).
19 U N D o c. E/C N .4/L.24, 16. 4. 1952.
20 Belgian Government Information Center (H rsg.), T h e Sacred M ission o f C ivilization. To
W hich Peoples Should the B enefits Be Extended? & T h e Belgian Thesis (N ew York 1953) 16.
21 U N D o c. A /C.3/SR.642, § 2 5 , 24. 10. 1955 (B eau fort, N iederlande), U N D o c. A/C.3/
SR .644, § 2, 26. 10. 1955 (Lannung, D änem ark).
22 A nton io Cassese hat das innere Selbstbestim m ungsrecht als „synthesis and sum m a“ aller
bürgerlichen und politischen R echte verschiedentlich hervorgehoben und sicher m aßgeblich
zu seiner Popularität im Selbstbestim m ungsdiskurs beigetragen. Antonio Cassese , T h e SelfD eterm ination o f Peoples, in: H en km , International B ill 9 2 -1 1 3 ; 102; Antonio Cassese, SelfD eterm ination o f Peoples. A Legal Reappraisal (C am bridge 1995) 53: „[IInternal self-determ ination is best explained as a m anifestation o f the totality of rights em bodied in the C o v e­
nant [of civil and political rights . . .] .“ Einen etwas anderen, auf die politische A utonom ie von
indigenen G ru ppen abstellenden B egriff der inneren Selbstbestim m ung vertritt dagegen u.a.
Allen Buchanan, T h e R ight to Self-D eterm in ation: A nalytical and M oral Fou nd ations, in:
A rizon a Jou rn al of International and Com parative Law 8/2 (1991) 4 1 -5 0 . E in B egriff von
198
R am o n Leem ann
recht der Völker in den für eine pluralistische demokratische Gesellschaftsord­
nung unabdingbaren politischen und bürgerlichen Menschenrechten aufgehen
läßt, war in erster Linie gegen die Sowjetunion gerichtet, die das Recht der „Na­
tionen“ auf Selbstbestimmung in die Debatten der Menschenrechtskommission
eingeführt hatte23. Die Sowjetunion, die das Selbstbestimmungsrecht der N atio­
nen im .realen“ Sozialismus dogmatisch als verwirklicht setzte, betrachtete dieses
ihrerseits als ihren Trumpf in der Menschenrechtsdebatte. M it der Forderung nach
Anerkennung dieses Rechts und von Minderheitenrechten verstand es die Sow jet­
union, den Finger auf die Heuchelei des von den westlichen Mächten gepflegten
Diskurses über Gleichheit und allgemeine Menschenrechte zu legen.
Der Wortlaut des Artikels 1 mußte also verschiedene, auch unversöhnliche An­
sichten versöhnen. Die Befürworter des Artikels 1 kamen den Westmächten bei
der Formulierung des Wortlauts recht weit entgegen, in der trügerischen H off­
nung, deren Zustimmung oder wenigstens Enthaltung bei der Abstimmung um
den definitiven Wortlaut zu erreichen24. Das Ergebnis dieser Kompromißversu­
che war eine noch gesteigerte Vagheit des Wortlauts, die die Westmächte wie­
derum als Grund für ihre Ablehnung des Artikels 1 vorbrachten25.
3. Aufgaben und K om petenzen des
Menschenrechtsausschusses
Der Menschenrechtsausschuß (nicht zu verwechseln mit der Menschenrechts­
kommission oder deren Nachfolger, dem Menschenrechtsrat) ist das zentrale in­
ternationale Aufsichtsorgan des Zivilpaktes und tagte 1977, im Jahr nach dessen
Inkrafttreten, zum ersten Mal. Der Ausschuß wird durch den Zivilpakt selbst er­
richtet26. Der Sozialpakt sieht hingegen kein Aufsichtsorgan vor, ein dem M en­
schenrechtsausschuß äußerlich vergleichbares Organ wurde erst nachträglich
(1985) gegründet. Da es kein Individualbeschwerdeverfahren für die wirtschaft­
lichen, sozialen und kulturellen Rechte gibt, beziehen sich die nachfolgenden E r­
läuterungen nur auf den Zivilpakt27.
Selbstbestim m ung als politischer A utonom ie von indigenen V ö lk ern wäre in den D ebatten
um den E in sch lu ß des Selbstbestim m ungsrechts in die beiden M enschenrechtspakte aller­
dings chancenlos gewesen.
23 U N D o c. E/1371, 47, 23. 6. 1949.
24 D er 3. A usschuß der G eneralversam m lung gründete beispielsweise eine A rbeitsgruppe,
damit diese einen K om prom ißtext ausarbeite, der für alle Staaten annehm bar wäre. Das Ver­
einigte K ön igreich hatte angekündigt, diese A rbeitsgruppe zu b o y k ottieren . U N D o c. A/
C.3/L.477/Rev. 1, 4. 11. 1955, U N D o c. A/3077, § 5 3 - § 56, U N D o c. A /C.3/SR.655, § 11,
7. 11. 1955 (H oare, V ereinigtes K önigreich).
25 Z ur K ritik an der Vagheit des A rtikels 1 siehe statt vieler: U N D o c. A /C.3/SR.670, § 18,
24. 1 i. 1955 (H o are, Vereinigtes K önigreich).
26 Siehe Teil IV des Zivilpakts. Simma, M enschenrechte 5 2 -5 8 .
27 D em Zivilpakt sind per 18. 4. 2008 161 Staaten beigetreten. Office o f the United Nations
I n d i v i d u a l b e s c h w e r d e n v o r de m U N O - M e n s c h e n r e c h t s a u s s c h u ß
199
Der Menschcnrechtsausschuß hat 18 Mitglieder, die von dem Vertragsstaat, dem
sie angehören, zur Wahl vorgeschlagen und von einer Versammlung der Vertrags­
staaten in einer geheimen Wahl für vier Jahre gewählt worden sind. Nach Ablauf
dieser Frist kann ein Mitglied auf erneuten Vorschlag wiedergewählt werden, was
eine beträchtliche personelle Kontinuität zur Folge hat28. Trotz mehrerer loser
Vorgaben für die nationale Zusammensetzung des Ausschusses29 sollen dessen M it­
glieder nicht als Regierungsvertreter, sondern in ihrer persönlichen Eigenschaft als
Experten gewählt werden und tätig sein. Ihre Unabhängigkeit wird dadurch her­
vorgehoben, daß sie „Bezüge“ aus den Mitteln der Vereinten Nationen erhalten30.
Der Zivilpakt und das FakultativprotokolP1 zum Zivilpakt sehen gemeinsam
drei Arten der internationalen Durchsetzung der darin anerkannten Rechte vor.
Das Staatenberichtsverfahren und das Staatenbeschwerdeverfahren werden direkt
durch den Pakt geregelt. Die dritte wesentliche Art der internationalen Durchset­
zung ist das Individualbeschwerdeverfahren. Beim Individualbeschwerdeverfah­
ren können Einzelpersonen Beschwerden (im Fachjargon auch: „Mitteilungen“)
über behauptete Verletzungen eines der im Pakt garantierten Rechte durch den
Staat, unter dessen Herrschaftsgewalt sie stehen, beim Menschenrechtsausschuß
hinterlegen. Die Voraussetzung ist, daß der entsprechende Staat dem Fakultativ­
protokoll zum Zivilpakt beigetreten ist und damit die Kompetenz des Menschen­
rechtsausschusses anerkannt hat, solche Beschwerden entgegenzunehmen und zu
erörtern.
Über den rechtlichen Charakter des Ausschusses gibt es Meinungsverschieden­
heiten32, die allerdings keine hohen Wellen schlagen. Mehrheitlich wird der Aus­
schuß nicht als gerichtliches Organ im strengen Sinne betrachtet33, wiewohl er
seine „Auffassungen“, „Abschließenden Bemerkungen“ und „Allgemeinen Kom ­
mentare“ jeweils in formaljuristischer Sprache verfaßt. Allgemein gesprochen
hängt sein rechtlicher Charakter von der Aufgabe ab, die er jeweils wahrnimmt,
und umfaßt gemäß M cGoldrick judizielle, quasi-judizielle, verwaltende, nachfor­
schende, untersuchende, beratende und schlichtende Aspekte34.
In beiden direkt durch den Pakt errichteten Verfahren erstrecken sich die Auf­
sichtsbefugnisse des Ausschusses auch auf Artikel 1. Im Rahmen des StaatenbeHigh Commissioner fo r Human Rights (H rsg.), < http://www2.ohchr.org/english/bodies/
ratification/4.htm > [Stand: 30. 4. 2008].
2S Torkel Opsahl, T h e H um an R ights C om m ittee, in: Philip Alston (H rsg .), T h e U nited
N ations and H um an R ights. A C ritical Appraisal (O xford 1992) 3 6 9 -4 4 4 ; 373.
29 Zum Beispiel A rt. 31(2) des Zivilpakts.
30 A rt. 35 des Zivilpakts.
31 Fü r die deutsche Ü bersetzun g des Fakultativprotokolls siehe: Simma, M enschenrechte
6 0 -6 2 .
32 Dominic M cGoldrick, T h e H um an Rights C om m ittee. Its R ole in the D evelopm ent o f the
International C ovenant on Civil and P olitical Rights (O xfo rd 1991) 52.
33 Scott Davidson, In trod uction, in: Conte, Rights 1—15; 6.
34 McGoldrick, C om m ittee 55. Siehe auch Christoph Pappa, D as Individualbeschw erdever­
fahren des Fakultativprotokolls zum Internationalen P akt über bürgerliche und politische
R echte (Bern 1996) 68 f.
200
R am o n Leemann
richtsverfahrens, dem wichtigsten Umsetzungsmechanismus der Pakte, haben die
Vertragsstaaten die Verpflichtung, dem Ausschuß periodisch (durchschnittlich
etwa alle vier Jahre)35 Berichte „über die Maßnahmen, die sie zur Verwirklichung
der in diesem Pakt anerkannten Rechte getroffen haben, und über die dabei erziel­
ten Fortschritte“ vorzulegen36. Der Ausschuß prüft diese Berichte und lädt Ver­
treter der jeweiligen Regierung zu einer oder allenfalls mehreren Fragerunden ein,
bei denen für die betreffende Regierung durchaus auch unbequeme Angelegenhei­
ten angesprochen werden37. Die Hoffnung ist, daß Regierungen, deren Gebaren
in menschenrechtlicher Hinsicht den Anforderungen des Paktes nicht genügt, die­
ses kontinuierlich verbessern, wenn sie sich auf einen Dialog mit dem Ausschuß
einlassen und ihre verfassungsmäßigen und politischen Bemühungen um die Ver­
wirklichung der Menschenrechte transparent machen.
Der Ausschuß beendet die Erörterung der Staatenberichte mit so genannten
concluding observations. O b diese Abschließenden Bemerkungen den allenfalls
zur Sprache kommenden Selbstbestimmungskonflikten auf den Grund gehen, ist
fraglich. Beispielsweise äußerte der Ausschuß 2004 in seinen Abschließenden B e­
merkungen zum fünften Bericht M arokkos Besorgnis über den mangelnden F ort­
schritt in der Frage der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts des Volkes
von Westsahara. Er forderte M arokko auf, jede Anstrengung zu unternehmen, um
den betroffenen Bevölkerungsgruppen die volle Verwirklichung der durch den
Pakt anerkannten R echte zu ermöglichen38. Wie diese konkreten Anstrengungen
auszusehen haben oder welches die betroffenen Bevölkerungsgruppen sind, deren
Selbstbestimmungsrecht verwirklicht werden soll, ist den diplomatischen Flos­
keln freilich nicht zu entnehmen39.
Das zweite direkt durch den Pakt etablierte internationale Durchsetzungsver­
fahren ist das fakultative, auf dem Reziprozitätsprinzip beruhende Staatenbe schwcrdeverfahren. Reziprok bedeutet hier, daß ein Staat beim Menschenrechts­
35 U N D oe. H RI/M C/2007/4, Tabelle 3, S. 10, 11. 6. 2007. D er E rstbericht ist nach einem
Ja h r fällig. Zu F ollow -u p s und außerterm inlichen Z u satzberichten siehe: Michael O ’Flaherty , H um an R ights and the U N : P ractice B efo re the Treaty Bodies (D en H aag 22002) 30.
36 A rt. 40 des Zivilpakts.
37 Im Zusam m enhang des Selbstbestim m ungsrechts richtete der A usschuß z. B. an die kana­
dische Regierung recht spezifische R ückfragen zu staatlichen R ich tlin ien im Um gang mit
L andrechten von Indigenen. Freilich ist die Voraussetzung für genaue R ückfragen ein ge­
nauer B ericht, was die W ichtigkeit staatlichen Entgegenkom m ens für die D u rchsetzung der
im Zivilpakt garantierten M enschenrechte unterstreicht. Siehe: U N D o c. CCPR/C/85/L/
C A N , 25. 07. 2005. W eitere Beispiele für Fragen des A usschusses an Staatsvertreter in: Cassese, Self-D eterm in ation (1981) 1 11-113 u. M cGoldrick, C o m m ittee 249 ff.
38 „T he C o m m ittee rem ains concerned about the lack o f progress on the question o f the
realization o f the right to self-determ ination fo r the people o f W estern Sahara (C ovenant,
art. 1). The State party should m ake every effort to perm it the population groups concerned to
enjoy fully the rights recognized by the Covenant [H ervorhebung im O rig in al].“ U N D o c.
A/60/40 (Vol. I), 36.
39 D abei wäre genau dies die zentrale Frage dieses K on fliktes, ob die kürzlich aus M arokko
zugew anderte Bevölkerungsgruppe auch zum Volk der W estsahara gehört und an einem all­
fälligen P lebiszit über den völkerrechtlichen Status der W estsahara teilnehm en dürfte.
Individualbeschw erden vor dem U N O -M e n sch e n re ch tsa u ssc h u ß
201
ausschuß nur dann eine Beschwerde darüber hinterlegen kann, daß ein anderer
Staat seinen Verpflichtungen aus dem Pakt nicht nachkomme, wenn beide Staaten
erklärt haben, daß sie die Zuständigkeit des Ausschusses zur Entgegennahme und
Prüfung allfälliger Staatenbeschwerden über sie selbst anerkennen40. Knapp fünf­
zig Staaten haben eine solche Erklärung abgegeben41, mit der sie sich aber keinem
greifbaren Risiko aussetzen. Denn offensichtlich herrscht eine stillschweigende
Übereinkunft der Staaten, von dieser Beschwerdemöglichkeit keinen Gebrauch
zu machen. Jedenfalls ist bis heute noch keine Staatenbeschwerde beim Men­
schenrechtsausschuß eingegangen42.
Staatenbeschwerden könnten gemäß dem Völkerrechtler Manfred Nowak auch
Artikel 1 zum Gegenstand haben43. Dieser Befund wird durch die Travaux Preparatoires, also die Vorbereitungsarbeiten, zum Pakt bekräftigt. 1953 hat die Men­
schenrechtskommission, die den Entwurf für den Zivilpakt ausarbeitete, darüber
beraten, ob sich das Staatenbeschwerdeverfahren auch auf Artikel 1 erstrecken
solle. Es war damals noch ungewiß, mit welchen Durchsetzungsmechanismen die
Pakte ausgestattet würden und welche Aufgaben und Befugnisse der zukünftige
Menschenrechtsausschuß letztlich haben würde. Die Mitglieder der Kommission
gingen indessen von einem nicht bloß fakultativen, sondern von einem obligatori­
schen Staatenbeschwerdeverfahren aus, dem sich alle Vertragsstaaten zu unter­
werfen gehabt hätten44. Die französische und die belgische Delegation präsentier­
ten je einen Vorschlag, der dem Menschenrechtsausschuß die Zuständigkeit für
Artikel 1 abgesprochen hätte45. Rene Cassin, einer der französischen Delegierten,
sagte, daß Frankreich den geplanten Ausschuß nicht als das beste Instrument er­
achte, über Klagen betreffend die Verletzung des Selbstbestimmungsrechts zu ent­
scheiden. Er plädierte für eine Dissoziation von Selbstbestimmungsrecht und
individuell formulierten bürgerlichen und politischen Rechten. Er äußerte Zwei­
fel, daß diejenigen Staaten, die über ein Vetorecht im Sicherheitsrat verfügten, wo
Fragen der Selbstbestimmung bisher erörtert worden seien, auf ihr Vetorecht mit
Rücksicht auf den zukünftigen Menschenrechtsausschuß verzichten würden46.
Abdel-Ghani, der ägyptische Delegierte in der Kommission, entgegnete, daß die
französische Haltung nur zu verständlich sei, da Frankreich jederzeit auf sein Ve­
torecht im Sicherheitsrat zurückgreifen könne. Das Selbstbestimmungsrecht
40 A rtikel 41 des Zivilpakts.
41 F ür die bisherigen Erklärungen siehe: Office of the United Nations High Commissioner
fo r Human Rights (H rsg.), D eclarations R ecognizing the C om petence o f the H um an Rights
C o m m ittee under A rticle 41 < http://www2.ohchr.org/english/bodies/ratification/docs/
D ecla ra tio n sA rt4 'lIC C P R .p d f> [Stand: 30. 4. 2008].
4- A rtikel 4 l ( l) e ) des Zivilpakts. D ie K om petenzen des Ausschusses sind bei Staatenbe­
schw erden ohnedies nur sehr schw ach ausgebildet. Siehe N ow ak, U N O -P a k t 628 f.
43 N ow ak , M inderheitenschutz 207.
44 Das Staatenbeschw erdeverfahren wurde erst in der Session der G eneralversam m lung von
1966 zu einem fakultativen Verfahren zurückgestuft. Siehe: N ow ak, U N O -P a k t 631.
45 U N D o c. E /C N .4/ L.235, Rev. 1, 20. 4. 1953 (Frankreich ) u. L .244, 20. 4. 1953 (Belgien).
46 U N D oc. E/C N .4/ SR .357,
(franz. Ausgabe), 22. 4. 1953 (C assin, F ran k reich). Siehe
auch: SR . 358, 1 5 f . 23. 4. 1953 (K aecken beeck, Belgien).
8-10
202
R am o n Leemann
bliebe ein toter Buchstabe, wenn sich die Durchsetzungsmechanismen der Pakte
nicht auch darauf erstrecken würden47. Nachdem sich der Ton der Debatte, wie
bei Erörterungen des Selbstbestimmungsrechts üblich, verschärft hatte, wies die
Kommission den französischen Vorschlag mit 10 gegen 5 Stimmen bei 3 Enthal­
tungen zurück48. Über den relevanten Satz des belgischen Vorschlags wurde hier­
auf nicht mehr abgestimmt.
4. D er Allgemeine K om m entar zum Selbstbestimmungsrecht:
D ie Kapitulation des Ausschusses vor der eigenen Befugnis
Der Ausschuß hat seinen Allgemeinen Kommentar zum Selbstbestimmungsrecht
im März 1984, vor seiner ersten Entscheidung über eine Individualbeschwerde zu
Artikel 1, veröffentlicht49. Der Kommentar ist aufschlußreich, weil er von der
Ratlosigkeit zeugt, mit der der Ausschuß seinen Befugnissen für das Selbstbestim­
mungsrecht gegenüberstand. Allgemeine Kommentare sollen als Hilfen und An­
leitungen für die Interpretation des Zivilpakts dienen50. Gemäß Dominic M cG ol­
drick ist der Kommentar zum Selbstbestimmungsrecht aber vage und dürftig. Es
handle sich eher um einen bloßen Aufruf zu mehr Angaben über das Selbstbe­
stimmungsrecht in den Staatsberichten als um einen wirklichen Auslegungsversuch51. Tatsächlich wurde der Ausschuß nur dort deutlich, wo er sich beschwerte,
daß viele Vertragsstaaten ihren Berichtspflichten bezüglich Artikel 1 nur schlecht
nachgekommen seien oder diese völlig ignoriert hätten52. Die brennendsten Fra­
gen zum Selbstbestimmungsrecht läßt der Kommentar unberührt. Er sagt nichts
darüber aus, wie sich der Rechtsträger, das Volk, konstituiert, wie dessen Verhält­
nis zum Staat ist, welches die Implikationen des Selbstbestimmungsrechts für die
territoriale Integrität von Staaten sind oder in welchem Verhältnis Artikel 1 zu an­
47 U N D o c. E/C N .4/ SR .357, 18 f. (franz. A usgabe), 22. 4. 1953 (A bd el-G h an i, Ä gypten).
48 Dagegen: Ä gypten, C h ile, Indien, Jugoslaw ien, L ibanon, Pakistan, Philippinen, Polen,
U krainische SS R , U d S SR ; dafür: A ustralien, B elgien, Fran kreich, Schw eden, Vereinigtes K ö ­
nigreich. Enthaltungen: C hina (Taiw an), U SA , Uruguay. D ie sozialistischen Staaten sperrten
sich zw ar gegen jeglich e A rt internationaler D urchsetzungsm aßnahm en, zum indest in Bezug
auf die bürgerlichen und politischen R echte, w enn aber solche M aßnahm en schon form uliert
würden, sollten sie auch für A rtikel 1 gelten. Z .B .: U N D o c. E / C N .4/ SR .357, S. 16, 22. 4.
1953; S R .3 5 8 , S. 20, 23. 4. 1953; S R .360, S. 10 u. S. 15, 24. 4. 1953 (jew eils franz. Ausgabe,
M orosov, Sow jetu nion). Siehe auch: P. R. Gandhi, C om m ittee 10.
49 Office of the United Nations High Commissioner fo r Human Rights (H rsg.), G eneral
C om m ent N o . 12: T h e R igh t o f Self-D eterm in atio n o f Peoples (A rt. I), 13. 3. 1984 < http://
w w w 2.ohchr.org/english/bodies/hrc/com m ents.htm > [Stand: 30. 4. 2008).
50 F ür einen Ü b erb lick über die A llgem einen K om m entare siehe: Office of the United N a­
tions High Commissioner fo r Human Rights (H rsg.), G eneral C om m ents < http://www2.
ohchr.org/english/bodies/hrc/com m ents.htm > [Stand: 30. 4. 2008],
-'’i McGoldrick, C o m m ittee 256.
52 A llgem einer K om m en tar N r. 12, § 3 .
In d i v i d u a l b e s c h w e r d e n v o r d e m U N O - M e n s c h e n r e c h t s a u s s c h u ß
203
deren Artikeln des Paktes steht, etwa zum Artikel 27 über die Rechte von Ange­
hörigen einer Minderheit53.
Allen Unklarheiten zum Trotz spricht der erste Paragraph des Kommentars
dem Selbstbestimmungsrecht eine besondere Wichtigkeit zu, da dessen Verwirkli­
chung eine wesentliche Bedingung für die effektive Gewähr und Einhaltung indi­
vidueller Menschenrechte sei54. Dies ist spätestens seit den frühen 60er Jahren55
eine der auffälligsten Grundzüge der U N O -internen Debatten um das Selbstbe­
stimmungsrecht: So uneinig man sich über dessen Inhalt ist, so einig ist man sich
mit vorschriftsmäßiger religiöser Ehrfurcht über dessen herausragende Bedeu­
tung56.
Lehrreicher als die Lektüre des Allgemeinen Kommentars ist der Blick auf seine
Entstehung anhand der Travaux Preparatoires57. Denn die oben erwähnten und
weitere wichtige Fragen wurden während dessen Ausarbeitung durchaus ange­
sprochen58. D er Bundesdeutsche Christian Tomuschat verwies beispielsweise
darauf, daß der Pakt das Selbstbestimmungsrecht allen Völkern garantiere, nicht
nur solchen unter kolonialer oder Fremdherrschaft59. Diesbezüglich habe die
Frage des Volksbegriffes, wie sie in Sri Lanka im Falle des tamilischen Volkes auf­
geworfen werde, zu Meinungsverschiedenheiten geführt. Es sei aber nicht die An­
gelegenheit des Ausschusses, sich mit diesem Problem auseinander zu setzen60.
Der Norweger Torkel Opsahl stimmte zu, daß es nicht die Aufgabe des Ausschus-
53 F ü r den W ortlaut des A rtikels 27 siehe Fu ß n ote 9.
54 A llgem einer K om m entar Nr. 12, § 1.
33 M it der Verabschiedung der „D eclaration on the G ranting o f Independence to C olonial
C oun tries and P eoples“ von 1960 wurde es zusehends schwieriger, das Selbstbestim m ungs­
recht in der U N O öffentlich zu hinterfragen. U N D o c. G A Res. 1514 (X V ).
56 E s gab wenige Stim m en im A usschuß, die diesbezügliche K ritik äußerten. D as A ussch uß­
mitglied C hristian Tom uschat w ollte die besondere Bedeutung des Selbstbestim m ungsrechts
im K om m entar nicht hervorheben, da alle M enschenrechte w ichtig seien. U N D o c. C C PR /
C /SR .478, § 25. D e r B rite V incent Evans hielt die Feststellung für falsch, daß die allgemeine
Verw irklichung des Selbstbestim m ungsrechts eine Vorbedingung für die anderen M enschen­
rechte darstelle. C C P R / C / SR .478, § 2 9 f.
57 D er A usschuß begann die eigentliche D eb atte um den Allgem einen K om m en tar mit der
Besprechung eines ersten E ntw urfs am 2. N ovem ber 1983. Sie dauerte m it U nterb rü chen bis
Ende Ju li 1984.
98 T hem en bei der A usarbeitung w aren unter anderem: die Legalität von Interventionen zu
G un sten von V ölk ern , deren Selbstbestim m ungsrecht verletzt w orden ist (z .B . U N D oc.
C C P R / C / SR .476, § 2 2 ; S R .503, § 4 - § 7; S R .513, § 3 2 - § 36); Sezession (z .B . C C PR /C /SR .
503, § 32; SR . 513, § 42; SIl. 514, § 13, § 31, § 36); das Verhältnis zw ischen dem Selbstbestim ­
m ungsrecht und der N euen W eltw irtschaftsordnung (C C P R / C / S R .476, § 17, § 3 1 ; SR .478,
§ 11, § 13; S R .5 0 3 , § 10); die Befugnisse des A usschusses in B ezug auf das Selbstbestim ­
m ungsrecht (C C P R / C / 478, § 1 f.).
59 Viele A usschußm itglieder fanden es nötig zu betonen, daß nicht nur V ö lk er un ter K o lo ­
nial- und Frem dherrschaft das R ech t auf Selbstbestim m ung hätten. Zum Beispiel G raefrath
(D D R ) als Vorsitzender des Ausschusses: U N D oc. C C P R / C / SR .478, § 4 3 . A ndere B ei­
spiele: C C P R / C / SR .478, § 33 (N diaye [Senegal]), C C P R / C / SR .503, § 1 8 (E rm aco ra [Ö ster­
reich]).
60 U N D o c. C C P R / C / SR .478, § 1 f.
204
R am on Leem ann
ses sei, den Volksbegriff zu definieren61. Der Schluß liegt nahe, daß der Kommen­
tar nicht trotz, sondern wegen des gerade in politischer Hinsicht ausgeprägten
Problembewußtseins der Ausschußmitglieder hohl ist.
Letztlich prägten unterschwellige Fragen den Allgemeinen Kommentar, die an­
dere als inhaltliche Aspekte des Selbstbestimmungsrechts zum Gegenstand hat­
ten: Wie konnte der Ausschuß verbergen, daß es keinen Konsens über das Selbst­
bestimmungsrecht gab? Wie konnte der Kommentar formuliert werden, ohne daß
sich der Ausschuß eine Blöße gab? Graefrath lobte den ersten Entwurf des All­
gemeinen Kommentars, weil er Gesichtspunkte heraushebe, die keine Meinungs­
verschiedenheiten verursachten, was die Aufgabe des Ausschusses vereinfache.
Trotzdem war Graefrath um Kritik an diesem Entwurf keineswegs verlegen. Der
Entw urf bezeichnete das Selbstbestimmungsrecht als ,kollektives R echt“. Diesen
Ausdruck hielt Graefrath für schlecht gewählt, da er den Eindruck vermittle, eine
Einzelperson könne eine Verletzung des Artikels 1 nicht geltend machen62. Der
Tunesier Nejib Bouziri, der der Arbeitsgruppe vorsaß, die den ersten Entwurf an­
gefertigt hatte, entgegnete, ,kollektives Recht“ „implied that a people could take
advantage of that right but did not thereby prevent an individual form invoking
it in a communication to the com mittee [Hervorhebung d.V,]“63. Ermacora hielt
dafür, ,kollektiv“ zu streichen, da die Frage umstritten sei und das Selbstbestim­
mungsecht für manche Juristen auch ein individuelles Recht sein könne64. Bouziri
hatte bereits zu bedenken gegeben, daß der Ausschuß eine Einigung aufs Spiel
setze, wenn er sich zu sehr in die Untersuchung des Artikels 1 vertiefe65. O ffen­
sichtlich beherzigte der Ausschuß diese Warnung. Denn schließlich wurde k o l­
lektives“ weggelassen, so wie andere Ausdrücke und Wendungen, die ein zu gro­
ßes Potential zur Kontroverse in sich bargen66. Zugunsten des Konsenses wurden
klare Aussagen vermieden, denn alles Aussagekräftige war zugleich umstritten. Es
ist kein Wunder, daß die meisten Wendungen, die ihren Weg in das bahnten, was
als Allgemeiner Kommentar zum Selbstbestimmungsrecht bekannt wurde, ge­
haltlos sind67.
61 U N D o c. C C P R / C / SR .478, § 3.
« U N D o c. C C P R / C / SR .476, § 35 f.
« U N D o c. C C P R / C / SR .478, § 7.
m U N D o c. C C P R / C / SR .503, § 20.
65 U N D o c. C C P R / C / SR .478, § 8.
66 i m vierten Paragraphen des ersten Entw u rfs hieß es etwa, daß Vertragsstaaten die Verfas­
sungsm echanism en beschreiben sollten, die ihren Völkern die A usübung des Selbstbestim m ungsrechts erlaubten. („4. W ith regard to paragraph 1 article 1, States parties should d e­
scribe the constitu tional processes w hich in practice allow their ow n peoples to exercise the
right freely to .determ ine their political status and freely pursue their econom ic, social and
culutural developm ent““. U N D o c. C C P R / C / SR .503. § 2). D er zypriotische V ertreter em p­
fand hier den Plural ,'V ö lk er' als problem atisch, da er Einw ände vieler Staaten, die die E in ­
h eitlichkeit ihres Volkes betonten, hervorrufen könnte. D eshalb solle der Singular ,V olk‘ statt
,Völker* verw endet werden. D a nicht alle A usschußm itglieder dieser A nsicht w aren, wurde
im vierten Paragraphen ganz auf den Volksbegriff verzichtet. U N D o c. C C P R / C / SR .503,
§ 32£
67 W er sich ein Bild davon verschaffen m öchte, wie brüchig der erzielte K onsens dennoch
In d i v i d u a l b e s c h w e rd e n v o r d e m U N O - M e n s c h e n r e c h t s a u s s c h u ß
205
Der Allgemeine Kommentar gab letztlich auch keinen Anhaltspunkt dafür, ob
Individuen eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts beim Menschenrechts­
ausschuß geltend machen konnten - obschon bei der Veröffentlichung des Kom ­
mentars bereits drei Individualbeschwerden zu Artikel 1 beim Ausschuß hinter­
legt worden waren. Die Frage lag in der Luft und wäre von praktischer Relevanz
gewesen68. Offensichtlich richtet sich der Allgemeine Kommentar zu Artikel 1
eher an Staatsbürokratien, um schüchtern anzudeuten, was in ihre Berichte ge­
höre, als an Individuen, um ihnen zu sagen, was ein Volk sei und wie ein solches
Volk sein subjektiv formuliertes Recht auf Selbstbestimmung verstehen dürfe
oder gar umsetzen könne. Es ist bezeichnend, daß der Ausschuß im Rahmen der
Allgemeinen Kommentare erst zehn Jahre später eine Stellungnahme zu Indivi­
dualbeschwerden über behauptete Verletzungen des Selbstbestimmungsrechts
nachgereicht hat, und zwar im Kommentar zu den Rechten der Angehörigen von
Minderheiten. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich seine Praxis, Individualbeschwer­
den zu Artikel 1 grundsätzlich abzuweisen, bereits etabliert. Entsprechend wie­
derholte der Ausschuß seinen inzwischen erprobten Standpunkt, daß das Selbst­
bestimmungsrecht unter dem Fakultativprotokoll nicht zur Kenntnis genommen
werde69.
5. Individualbeschwerden zum Selbstbestimmungsrecht:
Von der bedingten Zulässigkeit zur kategorischen
Unzulässigkeit
Individualbeschwerden werden wie gesagt vom Fakultativprotokoll70 geregelt,
das gleichzeitig mit dem Zivilpakt verabschiedet worden ist. Durch den Beitritt
zum Fakultativprotokoll erkennt jede Vertragspartei „die Zuständigkeit des Aus­
schusses für die Entgegennahme und Prüfung von Mitteilungen seiner Herr­
schaftsgewalt unterstehender Einzelpersonen an, die behaupten, Opfer einer Ver­
letzung eines in dem Pakt niedergelegten Rechts durch diesen Vertragsstaat zu
sein“71. Individualbeschwerden sind schriftlich beim Menschenrechtsausschuß in
Genf zu hinterlegen. Der Menschenrechtsausschuß wird nach Eingang einer Bewar, sei auf die D isku ssionen um die (R ü ck -)U b ersetzu n g ins Fran zösische verwiesen: U N
D o c. C C P R / C / SR .537, besonders: § 5, § 11, § 16, § 19, § 20, § 25, § 42, § 43.
68 Torkel O psahl hatte kritisch bem erkt, daß der E n tw u rf zum A llgem einen K om m entar
nicht sage, ob ein Individuum als O p fer einer Verletzung des Selbstbestim m ungsrechts b e­
trachtet werden könne. Sein eher verhaltenes P och en auf einen klaren Stellungsbezug des
Ausschusses zu dieser Frage verhallte indessen ungehört. U N D o c. C C PR /C / 478, § 4.
69 „Self-determ ination is not a right cognizable under the O ption al P ro to c o l.“ U N D oc.
CCPR/C /21/Rev.l/A dd.5, G eneral C om m ent N o . 23: T h e right of m inorities (A rt. 27), § 3.
70 Per 5. M ärz 2008 sind dem P ro to k o ll 1 11 Staaten beigetreten. Office o f the United Nations
High Commissioner fo r Human Rights (H rsg.) < http://www2.ohchr.org/english/bodies/
ratification/5.htm > [Stand: 30. 4. 2008],
71 A rtikel 1 des Fakultativprotokolls. Simma, M enschenrechte 60.
206
R am on Leemann
schwerde, die die formalen Voraussetzungen (wie beispielsweise die Angabe der
Identität des Beschwerdeführers)72 erfüllt, den entsprechenden Staat um eine Stel­
lungnahme angehen, die innerhalb von sechs Monaten einzureichen ist73. Ferner
kann er im Verlauf der Untersuchung von beiden Parteien präzisierende Angaben,
Beweismittel oder erneute Stellungnahmen zu frisch eingegangenen Materialien
anfordern74. Die Entscheidung, die so genannten Auffassungen („views“), wird
auf der Grundlage der eingesammelten Materialien verfaßt. Der Ausschuß strebt
einvernehmliche Entscheidungen an, es bleibt den Mitgliedern aber unbenom­
men, persönliche Meinungen (Sondervoten) zu verfassen. Einen eigentlichen M e­
chanismus für die effektive Durchsetzung der Auffassungen des Ausschusses gibt
es nicht75. O b die Ansprüche von jemandem, dessen Beschwerde der Ausschuß
als begründet anerkannt hat, erfüllt werden, hängt demnach von der tatsächlichen
Bereitschaft der jeweiligen Regierung ab, sich in der entsprechenden Angelegen­
heit der Autorität des Ausschusses zu unterwerfen76.
Bis 2006 hat der Ausschuß ein Dutzend Auffassungen über Individualbe­
schwerden betreffend einen angeblichen Verstoß gegen Artikel 1 verfaßt77. Leider
behält der Ausschuß die Protokolle seiner Beratungen über die Beschwerden un­
ter Verschluß. Immerhin veröffentlicht er seine Auffassungen in zuweilen recht
ausführlichen Dossiers, die Zusammenfassungen der eingereichten Unterlagen,
seiner Erwägungen und Begründungen sowie allfällige persönliche Meinungen
seiner Mitglieder enthalten. D ie unten erläuterten Beispiele von Individualbe­
schwerden werden verdeutlichen, daß der Ausschuß seine Haltung zum Selbstbe­
stimmungsrecht in diesen Dossiers nur oberflächlich begründet. Er hebt seine
diesbezüglichen Stellungnahmen vielmehr in den Rang von Selbstverständlichkei­
ten, die keiner ausführlichen Herleitung bedürfen. Umso mehr ist zu hoffen, daß
er wenigstens die älteren Protokolle bald zugänglich macht, damit seine D enk­
weise besser nachvollziehbar wird.
Die meisten Beschwerden zu Artikel 1 hatten eine perzipierte Bedrohung der
Identität oder der Lebensgrundlagen einer bestimmten Gruppe zum Gegenstand.
72 O b en habe ich schon erw ähnt, daß die Beschw erdeführenden der H errschaftsgew alt des
Staates unterliegen m üssen, der die behaupteten Verletzungen des Paktes begangen haben
soll, und daß der entsprechende Staat dem Fakultativprotokoll beigetreten sein muß.
73 Staatliche Stellungnahm en m üssen ebenfalls schriftlich erfolgen. M ündliche A nhörungen
w erden keine durchgeführt.
74 Pappa, Individualbeschw erden 273 u. 2 7 6 f.
75 Pappa , Individualbeschw erden 3 2 9 f.
76 D as Interesse der Ö ffen tlich keit am Individualbeschw erdeverfahren ist vorderhand w ohl
n och zu gering, um eine relevante G rö ß e im K alkül der Staaten darzustellen.
77 U N D o c. CCPR/C/22/D/78/1980; CCPR/C/34/D /164/1984; CCPR/C/38/D /167/1984;
C C PR /C / 33/D / i97/1985; CCPR/C/39/D /318/1988; CCPR/C/43/D /358/1989; C C PR /C /
40/D/413/1990; CCPR/C/70/D /547/1993; CCPR/C/69/D /760/1997; CCPR/C/83/D/
1134/2002; C C PR /C /78/D /1169/2003; C C PR/C /80/D /1239/2004. Fü r das Selbstbestim ­
m ungsrecht sind auch folgende Individualbeschw erden bedeutsam , die keinen B ru ch des
A rtikels 1 einklagen: CCPR/C/43/D /205/1986; CCPR/C/58/D /671/1995; CCPR/C/75/
D 932/2000. Es kann in diesem Aufsatz natürlich nur eine Auswahl besprochen werden.
I n d i v i d u a l b e s c h w e r d e n v o r de m U N O - M c n s c h e n r e c h t s a u s s c h u ß
207
In zwei Fällen wurde die Eigenstaatlichkeit ausdrücklich gefordert78. Ansonsten
zielten die Ansprüche der Beschwerdeführer, wohl auch aus Rücksicht auf das po­
tentiell zu Erreichende, weniger weit, etwa auf verbesserte Partizipation an öffent­
lichen Angelegenheiten oder auf größere Gruppenautonomie. In der Mehrheit der
Fälle wurde eine gleichzeitige Verletzung des Artikels 27 über die Rechte von An­
gehörigen einer Minderheit behauptet, was die Schwierigkeit einer objektiven und
eingängigen konzeptionellen Trennung von ,Minderheit“ und ,Volk‘ spiegelt.
Häufig betrafen Beschwerden über einen Verstoß gegen Artikel 1 zugleich Artikel
14 über die Gleichheit vor Gericht, Artikel 26 über die Gleichheit vor dem Gesetz
und/oder Artikel 25 über das Recht auf politische Teilnahme. In diesen Fällen
warfen die Beschwerdeführer den Tatbestand der Diskriminierung aufgrund der
Zugehörigkeit zu einer bestimmten, meist ethnisch definierten Kategorie mit der
behaupteten Verletzung des Selbstbestimmungsrechts in eine Waagschale.
Bis 2006 abgeschlossene Individualbeschw erdeverfahren betreffen d A rtikel l
Beschwerde/
Signatur
D aten:
A ngebliche Verletzung des A rtikels 1
Eingabe
(A ngeblich verletzte A rtikel des Zivilpakts)
(Entscheid über
Zulassung)
Entscheid
A .D . (N am e gelöscht)
gegen Kanada/
CCPR/C/22/D/78/1980
30. 09. 1980
2 9 .0 7 .1 9 8 4
Vorenthaltung der U nabhängigkeit der
iV Iik m aq (l, 1 8 ,2 3 )
G ilb erto Francois C roes
und E rben gegen die
Niederlande/
CCPR/C/34/D /164/1984
11. 01. 1984
(25. 10. 1985)
07. 11. 1988
V orenthaltung der U nabhängigkeit A rubas
(1, 6, 9 (1), 14, 19, 21, 25, 26)
Bernard O m in ayak gegen
Kanada/
CCPR/C /38/D /167/1984
1 4 .0 2 . 1984
(22. 07. 1987)
26. 03. 1990
Enteignung und industrielle E rschließung
der G ebiete der L u bico n Lake Band
(1 (2), 2, 6, 7, 14 (1), 17, 18 (1), 23 (1), 26)
Ivan K ito k gegen
Schweden/
CCPR/C/33/D /197/1985
02. 12. 1985
(25. 03. 1987)
27. 07. 1988
E ntzug angestam m ter L a n d -u n d Wassernutzungsrechte sam ischer R entierzüch ter
in Schw eden (1, 27)
E.P. et al. gegen Kolum bien/
CCPR/C/39/D/318/1988
10. 06. 1988
25. 07. 1990
Staatlich geförderte „K olum bianisierung“
der Inseln San Andres, Providence
und Catalina ( 1 ,2 , 25, 26, 27)
R .L . et al. (N am en
gelöscht) gegen Kanada/
CCPR/C/43/D/358/1989
01. 04. 1989
05. 11. 1991
Änderung der Rechtsgrundlagen zur
Bestim m ung des Indianerstatus
(1(1), 2(1), 17, 2 2 ,2 3 ,2 6 , 27)
78 U N D o c. CCPR/C/80/D /78/1980, CCPR/C/80/D /164/1984. In G o rji-D in k a gegen K a­
m erun wurde die A nerkennung des N ationalstatus und die A nerkennung w eitgehender so u ­
veräner Vollm achten A m bazoniens (ehem als B ritisch Südkam erun) innerhalb einer U nion
mit dem ehemaligen Fran zösischen K am erun gefordert. CC PR /C/83/D /1134/2002, § 2.3 u.
§3-1.
208
R am on Leem ann
Beschwerde/
Signatur
Daten:
A ngebliche Verletzung des A rtikels 1
(A ngeblich verletzte A rtikel des Zivilpakts)
Eingabe
(Entscheid über
Zulassung)
Entscheid
A .B . et al. (N am en gelöscht)
gegen Italien/
CCPR/C/40/D/413/1990
30. 04. 1990
02. 11. 1990
W iderrechtliche Aneignung regionaler
legislativer und exekutiver Vollm achten
der Provinz Südtirol durch die italienische
Regierung (1)
A pirana M ahuika et al.
gegen Neuseeland/
CCPR/C/70/D/547/1993
10. 12. 1992
27. 10. 2000
Q uotenregelu ng der Fischerei in
traditionellen M aori-Fischgrü nd en
( 1 ,2 , 16, 1 8 ,2 6 ,2 7 )
J .G .A . D iergaardt et al.
gegen Namibia/
CCPR/C/69/D /760/1997
17. 11. 1996
(07. 07. 1998)
25. 07. 2000
Enteignung der A llm ende und staatliche
E in griffe in die Selbstverw altung der
R eh o b o th B aster-G em eind e nach der
U nabhängigkeit Nam ibias
(1, 14, 1 7 ,2 5 , 26, 27)
A nton io H om gegen die
Philippinen/
C C PR /C /78/D /1169/2003
20. 07. 2003
20 . 12 . 2001
U ngesetzliche Besteuerung der A ltersrente
A nton io H om s (1(2), 14(1), 26)
Jo h n W ilson gegen
Australien/
CCPR/C/80/D /1239/2004
20. 03. 2003
0 1 .0 4 . 2004
Treueid der australischen R ich ter und
Parlam entäre für K önigin E lisabeth II.,
A utoritätsausübung dieser R ich ter und
Parlam entarier als Vertreter einer frem den
M acht ( 1 ,2 , 9, 14, 17)
Fongum G o rji-D in k a
gegen Kamerun/
C C PR/C /83/D /1134/2002
14. 03. 2002
17. 03. 2005
Illegale A nn exion „A m bazon iens“
(ehem aliges B ritisches Südkam erun) durch
K am erun (1(1), 7, 9(1), 10(1) u. (2), 12,
14(6), 1 9 ,2 5 (b))
Alle Beschwerden über behauptete Verletzungen des Selbstbestimmungsrechts
wurden, so unterschiedlich die Ausgangslagen und Inhalte waren, vom Ausschuß
als unzulässig erklärt, soweit sie Artikel 1 betrafen. Dabei ist die Tatsache auf­
schlußreich, daß der Ausschuß erst 1990, im Zusammenhang mit der Beschwerde
der Lubicon Lake Band, den bis dahin nie ganz zurückgewiesenen Anspruch auf
Einklagbarkeit von Verletzungen des Artikels 1 endgültig begrub. Vorher war der
Ausschuß eindeutigen Stellungnahmen ausgewichen.
Die früheste Individualbeschwerde über eine Verletzung des Artikels 1 wurde
1980 beim Menschenrechtsausschuß hinterlegt. Die Begründung des Ausschusses
für die Unzulässigkeit dieser Beschwerde ließ in Bezug auf die Beschwerdefähig­
keit des Selbstbestimmungsrechts unter dem Fakultativprotokoll noch alles offen.
A .D., ein Großhäuptling („Grand Captain“) der Mikmaq-Stammesgesellschaft,
erklärte im Namen des Volkes der Mikmaq, daß dieses diejenigen Ländereien als
sein Hoheitsgebiet beanspruche, die es gemäß einem Schutzvertrag mit G roßbri­
tannien von 1752 besessen und regiert habe. Die Beschwerde richtete sich gegen
I n d i v i d u a l b e s c h w e r d e n vo r d e m U N O - M e n s c h e n r e c h t s a u s s e h u ß
209
Kanada, das die Herrschaft über die beanspruchten Ländereien ausübte. Die kana­
dische Regierung verweigere dem Volk der Mikmaq Stammesgesellschaft („people
of the Mikmaq tribal society“) das Selbstbestimmungsrecht. Die Kanadische R e­
gierung habe die Mikmaq ihrer Existenzmittel beraubt und Gesetze in Kraft ge­
setzt, die das Familienleben der Mikmaq und die Erziehung ihrer Kinder beein­
trächtigten. Der Zweck der Beschwerde sei die Anerkennung der traditionellen
Regierung der Mikmaq Stammesgesellschaft und der M ikmaq-Nation („Mikmaq
nation“) als Staat. A.D. wies die Subsumtion der Beschwerde unter Artikel 27 des
Zivilpaktes entschieden zurück. Denn A.D. betrachtete die Mikmaq als Volk,
nicht als Minderheit79.
Kanada bestritt die Zulässigkeit der Beschwerde, da Artikel 1 nicht an die terri­
toriale Integrität eines Staates rühren könne. Ferner könne A.D. weder behaupten,
daß sein eigenes Recht verletzt worden sei, da das Selbstbestimmungsrecht gemäß
Artikel 1(1) des Zivilpakts ein kollektives Recht sei, noch, daß er befugt sei, na­
mens der M ikmaq-Nation zu handeln. Die in der Beschwerde angestrebte A b­
hilfe, nämlich die Anerkennung von Staatlichkeit, übersteige die Befugnisse des
Ausschusses. Die rechtlichen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich,
dem Mikmaq-Stamm („Mikmaq tribe“) und Kanada seien irrelevant, da die B e­
schwerde betreffend die Selbstbestimmung unzulässig sei80.
A.D. bestritt in zwei weiteren Briefen an den Ausschuß, daß das kanadische A r­
gument der territorialen Integrität im vorliegenden Fall greife. Denn dieses Argu­
ment gehe von der bestrittenen Annahme aus, daß das Gebiet der Mikmaq auf
rechtmäßige Weise zu einem Teil des kanadischen Hoheitsgebietes geworden sei.
Das fragliche Gebiet sei aber weder Großbritannien noch Kanada abgetreten wor­
den. Ferner bestritt A.D. die Behauptung Kanadas, daß das Selbstbestimmungs­
recht ein nur kollektives Recht sei. Als Beleg dafür, daß das Selbstbestimmungs­
recht nicht nur Kollektiven, sondern auch Einzelpersonen zukomme, führte er die
Studie der U N O über das Recht auf Selbstbestimmung von 1980 an, die Hector
Gros-Espiell in seiner Eigenschaft als Sonderberichterstatter der Unterkommis­
sion für die Verhinderung von Diskriminierungen und für den Schutz von Min­
derheiten erstellt hatte81. Die Studie weise nach, daß die Menschenrechtskommis­
sion das Selbstbestimmungsrecht wiederholt sowohl als ein Recht der Individuen
als auch als ein Recht von Völkern betrachtet habe. Tatsächlich verwies die Studie
Gros-Espiells auf einschlägige Passagen in den Sitzungsprotokollen der Men­
schenrechtskommission82. Darüber hinaus leitete Gros-Espiell aus verschiedenen
U N O -Resolutionen her: ,,[I]t is clear that the right of peoples under colonial and
alien domination to self-determination has been conceptualized as a right o f the
individual, as a condition or prerequisite for the genuine existence and the exercise
79 U N D o c. CCPR/C/33/D /78/1980, § l - § 3.
80 U N D o c. CCPR/C/33/D /78/1980, § 5 .1 -§ 5.5.
81 H ector Gros-Espiell, T h e R ight to Self-D eterm in atio n. Im plem entation o f U nited
N ations R esolu tion s (N ew Y ork 1980). U N D o c. E/CN .4/Sub.2/405/Rev.l.
82 Gros-Espiell, R ig h t § 54 u. Fu ß n ote 25 auf 17.
210
R am on Leem ann
of the other human rights and freedoms and as a right of peoples under colonial
and alien domination [..., Hervorhebung d.V.].“83
D er Ausschuß entschied Ende Juli 1984, daß die Beschwerde unzulässig sei,
weil A.D. erstens nicht habe nachweisen können, daß er als berechtigter Vertreter
im Namen der Mikmaq spreche, und weil er zweitens keine Belege dafür vorge­
bracht habe, daß er persönlich ein Opfer einer Verletzung eines der im Pakt ent­
haltenen Rechte geworden sei84. E contrario ließ sich demnach schließen, daß die
Beschwerde über die behauptete Verletzung des Artikels 1 zulässig gewesen wäre,
wenn A.D. die besagten Belege beigebracht hätte. D er Ausschuß äußerte sich erst
gar nicht zur Frage seiner grundsätzlichen Zuständigkeit für Individualbeschwer­
den über Verletzungen des Selbstbestimmungsrechts. Stattdessen schob er das
Problem vor sich her, was das französische Ausschußmitglied Roger Errera zur
Formulierung einer persönlichen Meinung veranlasste, die als Kritik an der vagen
Haltung des Ausschusses zu lesen ist. Die Untersuchung der Zulässigkeit der B e­
schwerde, so Errera, werfe drei wesentliche Fragen auf. Diese waren erstens: G e­
hört Artikel 1 ins Spektrum derjenigen Rechte, auf die sich das Fakultativproto­
koll bezieht? Zweitens: Falls ja, kann seine Verletzung durch einen Mitgliedstaat
der Gegenstand einer Beschwerde von Einzelpersonen sein? Drittens: Konstituie­
ren die Mikmaq ein Volk im Sinne des Artikels 1 des Zivilpakts? Da die Entschei­
dung des Ausschusses keine dieser Fragen beantworte, könne Errera sie nicht
unterstützten85.
1986 gelangten die Mikmaq erneut vor den Ausschuß. Drei Delegierte des
Großrates der Mikmaq-Stammesgesellschaft reichten nun sowohl als persönlich
betroffene O pfer als auch als ausgewiesene Treuhänder des Volkes der Mikmaq
eine Beschwerde gegen Kanada ein. Die Mikmaq pochten darauf, daß ihnen die
Selbstbestimmung vorenthalten worden sei. Ganz gemäß der Logik der oben
erläuterten belgischen These argumentierten sie, daß ihr Land „Mikmakik“ als
nichtselbstregiertes Gebiet im Sinne der Charta der Vereinten Nationen betrachtet
werden müsse. Das war die völkerrechtliche Formulierung dafür, daß die kanadi­
sche Regierung als klassische Kolonialherrin der Mikmaq zu betrachten sei und
den Mikmaq die Eigenstaatlichkeit ebenso zustehe wie den ehemaligen Kolonien.
Allerdings sahen die Mikmaq von einer neuerlichen Beschwerde über eine Verlet­
zung des Artikels 1 ab, womit sie sich als gute Kenner und Beobachter der für sie
entscheidenden völkerrechtlichen Entwicklungen auswiesen. Verletzt worden sei
hingegen Artikel 25 des Paktes über das Recht, an der „Gestaltung der öffentli­
chen Angelegenheiten unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter teilzuneh­
men“86. D er Stein des Anstoßes war, daß die Vertreter der Mikmaq offenbar nicht
83 Gros-Espiell, R igh t § 55. Zur Bedeutung von „colonial and alien d om in ation“ meinte
G ro s-E sp iell: .„colonial and alien d om in ation“ means any kind o f dom ination, whatever
form it may take, w hich the people concerned freely regards as su ch.“ Gros-Espiell, Right
§44.
84 U N D o c. CCPR/C/33/D/78/1980, § 7 -§ 9.
85 CCPR/C/33/D /78/1980, Anhang.
86 A rtikel 25(a) des Zivilpaktes.
In d i v i d u a l b e sc h w e rd e n vo r d e m U N O - M e n s c h e n r e c h t s a u s s c h u ß
211
zu einer von Kanada einberufenen Verfassungskonierenz der Ureinwohner einge­
laden worden waren. D er Ausschuß erklärte die Beschwerde als zulässig, sofern
sie Artikel 25 betraf, und, wohl um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen,
als unzulässig in Bezug auf Artikel 1, obwohl ein Verstoß gegen Artikel 1 gar nicht
geltend gemacht worden war. In Bezug auf Artikel 25 entschied der Ausschuß
1991 zugunsten Kanadas. Artikel 25 könne nicht bedeuten, daß jede direkt betrof­
fene Gruppe, ob klein oder groß, das bedingungslose Recht habe, die Modalitäten
der Teilnahme an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten zu bestimmen.
Es sei am rechtlichen und verfassungsmäßigen System des Staates, diese Modalitä­
ten festzulegen87.
Die Annahme einer generellen Zulässigkeit von Individualbeschwerden zu
Artikel 1, wie sie sich e contrario aus der Begründung für die Unzulässigkeit der
Beschwerde A.D.s ergibt, wurde von den Niederlanden übernommen. Gilberto
Francois Croes, der Führer einer politischen Partei, die sich für einen unabhängi­
gen Status der Insel Aruba einsetzte, reichte im Januar 1984 eine Individualbe­
schwerde gegen die Niederlande ein, in der er unter anderem einen Bruch seines
Rechtes auf Leben geltend machte, nachdem ihm ein Polizist während einer unbewilligten Demonstration in die Brust geschossen und ihn lebensgefährlich verletzt
hatte. Croes behauptete, daß das Selbstbestimmungsrecht des Volkes von Aruba
von den Behörden der niederländischen Antillen unter gröblicher Verletzung b e­
droht werde88. In einer Stellungnahme vom Mai 1985 erklärte die niederländische
Regierung, daß Croes Artikel 1 nicht anrufen könne, ohne wenigstens ansatz­
weise zu belegen, daß a) das Volk von Aruba den Opferstatus einer Verletzung des
Artikels 1 behaupte, b) dieses Volk Croes ermächtigt habe, in seinem Namen eine
Beschwerde betreffend Artikel 1 einzureichen und c) das Königreich der Nieder­
lande Artikel 1 verletzt habe. Was diesen letzten Punkt betrifft, verwies die nieder­
ländische Regierung darauf, daß Croes gemäß dem Wortlaut seiner Beschwerde
von keiner eigentlichen Verletzung, sondern bloß von einer Bedrohung des
Selbstbestimmungsrechts sprach89. Dieser Umstand werfe die Frage auf, ob eine
mögliche zukünftige Verletzung eines durch den Pakt geschützten Rechts der G e­
genstand einer Beschwerde unter dem Fakultativprotokoll sein könne, was die
niederländische Regierung selbstverständlich umgehend bestritt90. Am 25. O kto ­
ber 1985 erklärte der Ausschuß die Beschwerde zunächst für zulässig, sofern die
geschilderten Ereignisse Croes persönlich beträfen. Auch wenn es der Ausschuß
so nicht sagte, bedeutete die Auflage der persönlichen Betroffenheit, daß die Be-
87 U N D o c. CCPR/C/43/D /205/1986, § 2.1, § 5, § 5.4.
88 U N D o c. C C PR C/34/D /164/1984, 16. 11. 1988, § 2 .3 .
89 U N D o c. C C PR C / 34/ D / 164/1984, 16. 11. 1988, § 5.3.
90 U N D o c. C C PR C / 34/ D / 164/1984, 16. 11. 1988, § 5 .1 - § 5 .3 . E s gilt zu bedenken, daß
Selbstbestim m ungsansprüche von E inw ohnern Arubas als überseeischem , also im klassi­
schen Sinne kolonialem , G ebiet für die N iederlande außenpolitisch tendenziell heikler waren
als entsprechende A nsprüche indigener V ö lk er für Kanada. Denkbar, daß dies mit ein G rund
war, w eshalb die niederländische Regierung, im G egensatz zur kanadischen, die Zuständig­
keit des Ausschusses für A rtikel 1 nicht kategorisch abgelehnt hat.
212
R am on Leemann
schwerde in Bezug auf Artikel 1 als unzulässig erachtet wurde91. Die niederländi­
sche Regierung beharrte indessen auf der Unzulässigkeit der Beschwerde. Schließ­
lich revidierte der Ausschuß seine Entscheidung vom O ktober 1985 und erklärte
die Beschwerde im November 1988 für unzulässig. Er folgte dem Argument der
niederländischen Regierung, daß der inzwischen durch einen Autounfall verstor­
bene Croes nicht alle innerstaatlichen Rechtsbehelfe ausgeschöpft habe92.
Der Ausschuß gab sich bezüglich seiner Haltung zur Beschwerdefähigkeit des
Artikels 1 immer noch bedeckt. Das Dossier, das der Ausschuß über C roes’ Be­
schwerde veröffentlicht hat, schildert zwar die Argumentation der Niederlande
gegen die Zulässigkeit der Beschwerde in Bezug auf Artikel 1. Aber es ver­
schweigt, ob und inwiefern das Selbstbestimmungsrecht in den Überlegungen des
Ausschusses eine Rolle spielte und wie er sich zu den diesbezüglichen Argumen­
tationen der beiden Parteien stellte. Diejenigen Passagen des Dossiers, die die
Erörterungen des Ausschusses darlegen, nehmen überhaupt keinen Bezug auf das
Selbstbestimmungsrecht. So erweckt das Dossier den Eindruck, daß der Aus­
schuß die Argumentation der Niederlande in dieser Frage für so schlagend hielt,
daß sich jedes weitere eigenständige Wort über das Selbstbestimmungsrecht erüb­
rigte. Es liest sich geradezu, als ob der Ausschuß die Niederlande an seiner Statt
habe sprechen lassen.
Mehrere Beschwerden über eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts
pochten auf die Achtung behaupteter Land- oder Landnutzungsrechte, ohne be­
stehende internationale Grenzen in Frage zu stellen93. Diese Fälle sind für uns in
zweierlei Hinsicht interessant: Erstens hat der Ausschuß an ihnen die Ansicht
ausgearbeitet und verfestigt, daß Beschwerden über Verstöße gegen Artikel 1 ka­
tegorisch unzulässig seien. Trotzdem haben diese Fälle zweitens die Jurisprudenz
des Ausschusses beeinflußt, und zwar in Bezug auf Artikel 27. Insbesondere ha­
ben sie, vielleicht als Kompensation für die kategorische Abweisung jener B e­
schwerden, dazu beigetragen, daß traditionelle Wirtschaftsaktivitäten indigener
Völker unter den Minderheitenschutz gestellt werden können.
D er Rentierzüchter Ivan Kitok forderte in einer Beschwerde, die er im Dezem ­
ber 1985 eingab, im Namen sowohl des Selbstbestimmungsrechts aller schwedi­
schen (also nicht aller) Sami als auch des Rechts von Angehörigen einer M inder­
heit, ihr kulturelles Leben zu pflegen, daß für die Rentierzucht maßgebliche
Land- und Wassernutzungsrechte von allen (schwedischen) Sami ausgeübt wer­
den könnten. Er beanstandete, daß diese Rechte nur Mitgliedern einer bestimm­
ten, aus seiner Sicht privilegierten Samigemeinschaft Vorbehalten seien94. Die
schwedische Regierung stellte den Fall als inner(schwedisch-)samische Angele­
genheit dar, da die gemäß Kitok privilegierten Sami diesem den Eintritt in ihre G e­
91 D ie Beschw erde wurde als zulässig anerkannt, insofern sie A rtikel 6, 9(1), 19, 21, 25, 26
des Paktes betraf. U N D o c. C C P R C / 34/ D / 164/1984, § 7.
92 U N D o c. C C P R C / 34/ D / 164/1984, 16. 11. 1988, § 2 .1 -§ 2.3, § 7, § 8.1, § 11.
U N D o c. CCPR/C/80/D /167/1984, CC PR /C /39/D /318/1988, CCPR/C/69/D/760/
1997.
94 U N D o c. CCPR/C/33/D /197/1985, § 4.2.
I n d i v i d u a l b e s c h w e r d e n vo r d e m U N O - M e n s e h e n r e c h t s a u s s c h u ß
213
meinschaft offenbar verweigerten. Es handle sich nicht um einen Konflikt zwi­
schen Kitok als Sami und dem schwedischen Staat, sondern zwischen Kitok und
anderen Sami95. Im März 1 9 8 7 erklärte der Ausschuß die Beschwerde für unzuläs­
sig, sofern sie Artikel 1 betraf. Der Beschwerdeführer könne als Individuum nicht
geltend machen, daß er Opfer eines Verstoßes gegen Artikel 1 des Paktes gewor­
den sei. Das Fakultativprotokoll sehe ein Individualbeschwerdeverfahren vor,
Artikel 1 beschreibe dagegen Rechte von Völkern als solchen96. Sofern sich die
Beschwerde auf Artikel 2 7 bezog, wurde sie für zulässig erklärt. Der Ausschuß
entschied im Juli 1 9 8 8 gegen Kitok, zeigte aber Verständnis für das von Kitok auf­
geworfene Problem. Im Entscheid erklärt der Ausschuß, daß die Regulierung
einer bestimmten Wirtschaftstätigkeit, hier der Rentierzucht, normalerweise eine
Staatsangelegenheit sei. Wenn diese Tätigkeit allerdings ein wesentliches Element
der Kultur einer ethnischen Gemeinschaft („ethnic community“) sei, könne ihre
Ausübung durch eine Einzelperson durchaus unter den Schutz des Artikels 2 7 fal­
len97.
Damit wurde Artikel 2 7 um eine wirtschaftliche Dimension erweitert, die in
dessen bloßem Wortlaut nicht enthalten ist. D er Ausschuß bestätigte seine diesbe­
zügliche Haltung rund anderthalb Jahre später, in seinen Auffassungen vom März
1 9 9 0 über eine Beschwerde der Lubicon Lake Band, einer Cree-Indianergemeinschaft, die im Hoheitsgebiet Kanadas lebt. Die durch ihren Häuptling Ominayak
vertretene Lubicon Lake Band legte im Februar 1 9 8 4 eine Beschwerde gegen K a­
nada ein, da ihre Gebiete zu Gunsten von Ö l- und Gasförderungsfirmen enteignet
worden seien98. Gemäß Ominayak wurden die traditionellen Wirtschaftsaktivi­
täten der Lubicon Lake Band, insbesondere die Jagd und das Fallenstellen, durch
die Rohstofförderung massiv behindert oder verunmöglicht, was gegen Artikel 1,
namentlich gegen das im zweiten Paragraphen festgeschriebene Recht aller Völker
auf ihre Existenzmittel verstoße. Kanada verdeutlichte die Schwierigkeiten exklu­
siver territorialer Ansprüche von partikularen Gruppen, indem es in einer seiner
Repliken an den Ausschuß auf sechs andere indigene Gemeinschaften hinwies, die
ebenfalls Landansprüche erhoben hätten, die sich mit den Ansprüchen der Lubi­
con Lake Band teilweise überschnitten99. Ominayak präzisierte daraufhin die B e­
schwerde der Lubicon Lake Band in einem Brief an den Ausschuß. Es gehe der
Lubicon Lake Band nicht um eine Entscheidung über Gebietsrechte, sondern um
die industrielle Erschließung der entsprechenden Gebiete, die die Existenz der
Lubicon Lake Band ernsthaft gefährde. Außerdem gehe es darum, daß Kanada die
Verantwortung für diese Gefährdung anerkenne100. Die handfesten Streitpunkte
waren letztlich die Größe des Reservates für die Lubicon Lake Band sowie die Art
und die Höhe der Entschädigung, die die Angehörigen der Lubicon Lake Band
95 U N D o c. C C PR/C /33/D /197/1985, § 4.3.
96 U N D o c. CCPR/C/33/D /197/1985, § 6.3.
97 U N D o c. C C PR /C /33/D /197/1985, § 9.2.
98 U N D o c. CCPR/C/38/D /167/1984, § 2.3.
99 U N D o c. CCPR/C/38/D /167/1984, § 5.7.
100 U N D oc. CC PR/C /38/D /167/1984, § 12 u. § 29.1.
214
R am o n Leem ann
für das erhielten, was sie selbst als die irreparable Zerstörung ihrer wirtschaftli­
chen Grundlagen und den Zusammenbruch ihrer gesellschaftlichen Institutionen
bezeichneten, der die Folge des durch die beanstandeten Umstände erzwungenen
Übergangs zur Seßhaftigkeit sei101.
Im Juli 1987 erklärte der Menschenrechtsausschuß auch diese Klage als unzu­
lässig, soweit sie Artikel 1 betraf. Der Ausschuß versicherte, daß der Pakt in ent­
schiedensten Worten das Recht eines Volkes auf Selbstbestimmung und auf Ver­
fügung über seine natürlichen Ressourcen als wesentliche Voraussetzung für die
effektive Gewährleistung und Verwirklichung individueller Menschenrechte so­
wie für deren Förderung und Bekräftigung anerkenne und schütze102. Der B e­
schwerdeführer könne jedoch als Einzelperson unter dem Fakultativprotokoll
keine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts geltend machen. Allerdings könn­
ten die in der Beschwerde geschilderten Ereignisse Fragen aufwerfen, die Artikel
27 beträfen. Die Beschwerde müsse deshalb im Hinblick auf eine allfällige Verlet­
zung des Artikels 27 geprüft werden. Eine solche hatte Ominayak indessen gar
nicht moniert.
Im endgültigen Entscheid vom März 1990 präzisierte der Ausschuß seinen
Standpunkt bezüglich der Zulässigkeit von Beschwerden über Verletzungen des
Artikels 1. Ominayaks Beschwerde sei unzulässig in Bezug auf Artikel 1, da sich
der Ausschuß der Frage, ob die Lubicon Lake Band ein Volk sei, nicht zuwenden
könne. Außerdem legte der Ausschuß zum ersten Mal fest, daß unter dem Fakul­
tativprotokoll nur Verletzungen der individuell formulierten Menschenrechte in
Teil III des Zivilpaktes geltend gemacht werden können. Das Selbstbestimmungs­
recht der Völker, das einzige kollektiv formulierte Recht des Zivilpaktes, steht
dagegen im eigens für ihn erstellten Teil I des Paktes. Das war die punktgetreue
Kopie einer Argumentation, die die kanadische Regierung gegen die Zulässigkeit
der Beschwerde der Lubicon Lake Band vorgebracht hatte103. Damit schied das
Selbstbestimmungsrecht nicht mehr alleine aufgrund seiner umstrittenen Aus­
legung als kollektives Recht aus den unter dem Fakultativprotokoll beschwerde­
fähigen Rechten aus, sondern auch aufgrund seiner nicht hinterfragbaren syste­
matischen Sonderstellung im Zivilpakt.
Von dieser bis dahin klarsten Entscheidung zu Artikel 1 ist der Ausschuß in sei­
ner Spruchpraxis bis heute nicht mehr abgerückt. D er Ausschuß hatte zwar schon
im Zusammenhang mit der Klage Kitoks gegen Schweden erklärt, daß sich eine
Einzelperson unter dem Fakultativprotokoll nicht als O pfer einer Verletzung des
Selbstbestimmungsrechts der Völker betrachten könne. Aber Ominayak trat im
Gegensatz zu Kitok nicht als Außenseiter, sondern als rechtmäßiger Vertreter
einer bestimmten Gruppe auf, die sich offenbar als Volk und Träger des Selbst­
bestimmungsrechts begriff. Der Entscheid im Falle der Lubicon Lake Band war
101 U N D o c. CCPR/C /38/D /167/1984, § 1 7 ff., § 23.2, § 2 9 .1 -§ 29.11.
102 U N D o c. CCPR/C/38/D /167/1984, § 13.3.
i°3 U N D o c. C C PR /C /38/D /167/1984, § 32.1. Z u r kanadischen A rgum entation: C C PR /C /
38/D/167/1984, § 6 .3 .
In d i v i d u a l b e s c h w e rd e n v o r d e m U N O - M e n s c h e n r e c h t s a u s s c h u ß
215
restriktiver als die Absage an Kitok. Denn er verbaute unmißverständlich auch zu
einer Gruppe formierten Individuen den Individualbeschwerdeweg. Als ob es
darum ginge, nach Selbstbestimmung trachtende Völker vor den Kopf zu stoßen,
führte der Ausschuß in der Begründung seines Entscheides aus, es gebe trotz
dieser Unzulässigkeitserklärung keine Einwände dagegen, daß eine Gruppe von
Individuen, die gleichermaßen von einer Verletzung des Paktes betroffen seien,
kollektiv eine Beschwerde einreiche104. Aber eben: nur über Verletzungen der in­
dividuell formulierten Rechte in Teil III des Paktes und nicht über Verletzungen
des Selbstbestimmungsrechts, das in Teil I des Paktes steht.
Der Ausschuß erkannte hingegen auf eine Verletzung des Artikels 27. Dieser
Artikel, so der Bescheid des Ausschusses vom März 1990, schütze auch das Recht
von Personen, in Gemeinschaft mit anderen Personen wirtschaftliche und soziale
Tätigkeiten auszuüben, die Bestandteil der Kultur der betreffenden Gemeinschaft
seien105. Das japanische Ausschußmitglied Nisuke A N D O kritisierte in seiner
persönlichen Meinung diese Entscheidung: Das Recht auf den Genuß der eigenen
Kultur könne nicht bedeuten, daß die traditionelle Lebensweise der Lubicon Lake
Band um jeden Preis erhalten werden müsse. Die Weigerung einer Gruppe in einer
bestimmten Gesellschaft, ihre traditionelle Lebensweise zu ändern, könne näm­
lich die wirtschaftliche Entwicklung der ganzen Gemeinschaft behindern106.
Mit der expliziten Anerkennung, daß sich der Minderheitenschutz auch auf
wirtschaftliche Aktivitäten erstrecken könne, tat sich für Kollektive eine neue Art
der Argumentation auf107, unter der Voraussetzung, daß sie den Minderheiten­
status grundsätzlich akzeptierten. Wer das Recht auf eine bestimmte Wirtschafts­
tätigkeit ins Spiel brachte, mußte sich damit abfinden, auf einen allfälligen Selbst­
bestimmungsanspruch höchstens zur affektiven Akzentuierung seiner Forderun­
gen zurückzugreifen. Zum Beispiel sahen Vertreter einiger Maori-Stämme ihr
Selbstbestimmungsrecht durch ein Abkommen108 zwischen Neuseeland und der
Gesamtheit der Maori über eine Regelung von Fischereiquoten verletzt. Das Ab­
kommen, so die klagenden Maori, würde ihnen die Kontrolle über und den Zu­
gang zu ihren Fischgründen verbieten, was gegen das Selbstbestimmungsrecht der
Völker verstoße. Die Beschwerdeführer erklärten, daß Fischen eines der wichtig­
sten Elemente ihrer traditionellen Kultur sei und sie das starke Bedürfnis hätten,
ihre Kultur durch das Befischen der von ihren Ahnen geerbten Gebiete - ohne
Ansehen allfälliger Quoten - zu manifestieren109. Der Ausschuß hielt etwaige
Einschränkungen der Rechte der Beschwerdeführer für gerechtfertigt und ent­
104 U N D o c. C C PR /C /38/D /167/1984, § 32.1.
105 U N D o c. CCPR/C/38/D /167/1984, § 32.2.
106 U N D o c. CCPR/C/38/D /167/1984, Anhang I.
107 D ie Beschw erden U N D o c. CCPR/C/58/D /671/1995, § 3.1 u. CCPR/C/70/D/547/
1993, § 6.2 reku rrierten beispielsweise auf den Entscheid des Ausschusses über die B e ­
schw erde der L u bicon Lake Band.
108 Treaty o f W aitingi Settlem ent A ct von 1992, U N D o c, CCPR/C/70/D /547/1993, § 6.1.
109 U N D o c. CCPR/C/70/D /547/1993, § 6.2 u. § 6.3,
216
Ram on Leemann
schied zu ihren Ungunsten110. Trotzdem scheint das Selbstbestimmungsrecht der
Völker ausgerechnet in seiner wirtschaftlichen Dimension die Ansichten des Aus­
schusses über das, was zum schützenswerten kulturellen Leben von Minderheiten
gehört, beeinflußt zu haben.
6. Verneigung vor der M acht des Faktischen?
Zur rechtswissenschaftlichen K ritik am
Menschenrechtsausschuß
Der Menschenrechtsausschuß wurde oft und teilweise harsch für seinen zurück­
haltenden Umgang mit Artikel 1 kritisiert111. Beispielsweise halten Joseph et al.
die Jurisprudenz des Ausschusses zu Artikel 1 im Allgemeinen für knapp und ent­
täuschend112. Gemäß M cGoldrick hat der Ausschuß die Gelegenheit nicht ge­
nutzt, dem Selbstbestimmungsrecht mit dem Allgemeinen Kommentar einen
Gehalt zu geben113. Diese auf der Ikarushöhe eines übersteigerten legalistischen
Idealismus formulierten Anwürfe verblassen indes vor einem historischen, für die
politische Dimension der Fragestellung empfänglichen Hintergrund. Die Praxis
des Ausschusses reflektiert bloß die Aporien der Selbstbestimmung, wenn man sie
als universales Menschenrecht vorstellt. Das Selbstbestimmungsrecht ist bezüg­
lich Gehalt, Reichweite und Umsetzung derart unterbestimmt und nicht bloß
unter rechtlichen, sondern vor allem auch unter politischen Akteuren derart um­
stritten, daß es sich vorerst einer konsequenten rechtlichen Verwirklichung ver­
weigert114. Selbstbestimmungskonflikte lassen sich nicht angemessen als bloßes
Rechtslückenproblem begreifen115. Wer vom rechtlichen Gremium des Men­
schenrechtsausschusses erwartet, daß es politische Probleme einer derartigen
Sprengkraft löst, wird vorerst kaum zufrieden gestellt werden.
110 W o das R echt von Ein zelnen , ihr kulturelles L eben zu pflegen, mit dem gleichen R ech t
anderer M itglieder derselben M inderheitengruppe konfligiere, müsse der A usschuß erwägen,
ob die aufzuerlegenden E inschränkungen im Interesse aller M itglieder der M inderheit lägen
sow ie vernünftig und ob jek tiv seien. U N D o c. CCPR/C/70/D /547/1993, § 9.6.
111 F ür einen Ü b erb lick über die K ritik en siehe: Richard Burchill, Self-D eterm in ation, in:
Conte, R igh ts 3 3 -4 2 ; 40.
112 S. Joseph u .a., T h e International C ovenant on Civil and P olitical Rights: Cases, M aterials
and C o m m entary (O xfo rd 2000) 107.
n3 McGoldrick, C o m m ittee 256. G em äßigter: Cassese, Self-determ ination (1995) 6 2 ff. und
N ow ak, M inderheitenschutz 208.
114 D ies verdeutlicht dieser Tage die einseitige U nabhängigkeitserklärung K osovos, deren
Legalität verschiedene Regierungen in klarer A bhängigkeit von politischen Z w ecken ver­
schieden beurteilen.
115 G erald Fitzm aurice hat als ehem aliger R ich ter des In ternationalen G erich tshofes den B e ­
griff des Selbstbestim m ungsrechts vom juridischen Standpunkt aus gar als U nsin n bezeich ­
net. G erald Fitzmaurice, T h e Future o f Public International Law and of the International
Legal System in the C ircum stances o f Today: Special R ep ort, in: Institut de Droit internatio­
nal (Llrsg.), Livre du C entenaire (Basel 1973) 1 9 6 -3 2 8 ; 233.
Individualbeschw erden vor dem U N O -M e n sc h e n re c h tsa u ssc h u ß
217
Es bringt auch hinsichtlich des Verständnisses der Funktionsweise und der
Möglichkeiten des Ausschusses wenig, sich auf die Annahme zu versteifen, ein aus
unabhängigen Experten bestehendes rechtliches Gremium sei dem Bereich des
Politischen enthoben. Freilich, es ist schon richtig, daß die Mitglieder des Aus­
schusses in ihrer persönlichen Eigenschaft, nicht als Diplomaten, gewählt und
direkt von der U N O , also nicht (oder nicht alleine) von ihren Regierungen ent­
schädigt werden. Gleichwohl zielt das Argument an der Realität vorbei, daß Pro­
bleme, die Politiker und Diplomaten nicht lösen konnten oder, wie im Fall der
Ausformulierung des Artikels 1 der beiden Internationalen Menschenrechtspakte,
mithin erst kreierten, nicht die Probleme des Ausschusses seien, der ja bloß das
Recht zu interpretieren und anzuwenden habe. Die Unabhängigkeit der Aus­
schußmitglieder ist insofern beschränkt, als sie von ihrer eigenen Regierung nomi­
niert werden. Die Experten sollen gemäß Pakt ja auch ein bestimmtes Rechts­
system vertreten. Und dieses beschreibt seinerseits den ideologischen Horizont,
in welchem die besagten Experten ihre Karriere gemacht haben.
Entscheidender als die ideologische Einstellung der einzelnen Ausschußmit­
glieder ist aber der Umstand, daß der Ausschuß als Gremium auf die Zusammen­
arbeit und den guten Willen der Staaten angewiesen ist. Es ist fraglich, ob der
Durchsetzung von Menschenrechten gedient wäre, wenn der Ausschuß die terri­
toriale Unverletzlichkeit von Staaten im Rahmen einer Individualbeschwerde
über eine Verletzung von Artikel 1 gleichsam zur Disposition stellte. D er M en­
schenrechtsausschuß kann sich den Staaten nicht ungestüm entgegenstellen, ohne
deren für die nachhaltige Verwirklichung der Menschenrechte generell notwendi­
gen Rückhalt über kurz oder lang zu verlieren.
Insofern ist es vielleicht zu begrüßen, daß der Menschenrechtsavisschuß bei In­
dividualbeschwerden keine Entscheidungen zu Artikel 1 fällen mag. Die juristisch
begründete Zurückweisung judizieller Zuständigkeit für Selbstbestimmungskon­
flikte ist einer bloß scheinbar unabhängigen Jurisprudenz, die sich ganz dem Wil­
len der Staaten fügt, allemal vorzuziehen. Freilich ist die Jurisprudenz des Aus­
schusses nicht gänzlich frei von inhaltlichen Überlegungen zum Selbstbestim­
mungsrecht geblieben. So hat der Ausschuß erklärt, daß Artikel 1 zur Beurteilung
von Beschwerden über behauptete Verletzungen anderer Artikel herangezogen
werden könne116. Dieser so genannte „interdependence approach“ 117 unter­
streicht allerdings die Reduktion des Selbstbestimmungsrechts auf seine innere
Dimension, da die anderen Artikel des Zivilpaktes die territoriale Integrität eines
Staates nicht tangieren.
Es ist nicht leicht für den Ausschuß, seine Jurisprudenz auf Dauer zwischen pu­
rer Politikservilität und politischem Affront einzuregeln. Es gilt bei der Beurtei­
lung der Praxis des Ausschusses zu berücksichtigen, daß es Probleme gibt, für die
das Recht keine angemessenen Lösungen bereithält - zumal nicht das Menschen­
116 U N D oc. CCPR/C/70/D /547/1993, § 9.2; CCPR/C/69/D /760/1997, § 10.3; CCPR/C /
75/D932/2000, § 13.4.
117 Burchill, Self-D eterm in atio n 34.
218
R am on Leem ann
recht, selbst wenn diese Probleme im Versuch, die Menschenrechte als Mittel im
Kampf um politischen Wandel zu benutzen, menschenrechtlich formuliert wor­
den sind. Rechtlich gesehen mag die Jurisprudenz des Ausschusses zu Artikel 1
unbefriedigend sein. Von einem politischen Standpunkt betrachtet ist sie indessen
umsichtig.
7. Schluß
Ich habe exemplarisch zu zeigen versucht, daß und wie der Menschenrechtsaus­
schuß das Selbstbestimmungsrecht als Wechselbalg unter den Menschenrechten
gezähmt hat. Von einem eigentlichen subjektiven Recht auf Selbstbestimmung im
Sinne eines Trumpfes, der konfligierende Interessen aussticht, kann mit Bezug auf
die Jurisprudenz des Ausschusses keine Rede sein. Gewiß sind angesichts der
mangelnden Zwangsbefugnis des Ausschusses auch die übrigen, individuell for­
mulierten Menschenrechte des Zivilpaktes alles andere als stahlharte Rechte. Der
Punkt ist aber, daß diese unter dem Fakultativprotokoll immerhin zulässig, d.h.
einklagbar, sind. So können Individualbeschwerden zu individuell formulierten
Rechten Staaten durchaus unter Rechtfertigungs- und Handlungsdruck setzen118.
Individualbeschwerden zum Selbstbestimmungsrecht sind dagegen eher als recht­
lich eingekleidete moralische Forderung zu verstehen, die in Kombination mit
Beschwerden zu individuell formulierten Rechten vielleicht Zugeständnisse von
vorbildlich kooperativen Staaten wie Kanada oder Schweden erwirken können119,
vorausgesetzt, daß solche Individualbeschwerden die Unversehrtheit des staatli­
chen Hoheitsgebiets nicht in Frage stellen, die Reichweite des Selbstbestim­
mungsanspruchs also von vornherein einhegen.
D er Ausschuß stößt die Gebetsmühle immer wieder an, daß alle Völker das
Recht auf Selbstbestimmungsrecht hätten, beharrt aber gleichzeitig darauf, daß er
sich der Frage nicht zuwenden könne, ob eine bestimmte Gruppe ein Volk sei120.
Um einem substanziellen Stellungsbezug zum Selbstbestimmungsrecht auszuwei­
chen, hat der Ausschuß den einfachen Weg der strengen grammatikalischen Inter­
pretation des Artikels 1 eingeschlagen: Das Selbstbestimmungsrecht sei für Völker
als solche, was immer damit gemeint ist, das Fakultativprotokoll hingegen für
118 B ekannt ist die Beschw erde von Sandra Lovelace, die Kanada zu einer Gesetzesänderung
bew og, w elche aber ihrerseits zu einer Individualbeschw erde u.a. über eine Verletzung des
A rtikels 1 A nlaß gab. U N D o c. CCPR/C/13/D /24/1977 (Lovelace) u. CCPR/43/D/358/
1989, § 2.2 (R .L . et al. gegen Kanada).
119 Dagegen haben N am ibia und K am erun, gegen die jew eils eine Beschw erde betreffend
A rtikel 1 eingegangen ist, dem A usschuß keine oder nur unzureichende Angaben über die
entsprechenden Fälle eingesandt. U N D o c. CCPR/C/69/D /760/1997 und CCPR/C/83/D/
1134/2002, § 4 .1 .
'20 Zum Beispiel: U N D o c. CCPR/C /38/D /167/1984, § 3 2 .1 ; CCPR/C/43/D /358/1989,
§ 6.2; C C P R / C / 39/ D 318/1988, § 8.2; CCPR/C/40/D /413/1990, § 3.2; CCPR/C/69/D/760/
1997, § 10.3.
I n d i v i d u a l b e s c h w e r d e n vo r de m U N O - M e n s c h e n r e c h t s a u s s c h u ß
219
Individuen oder Gruppen von Individuen, folglich seien Individualbeschwerden
zu Artikel 1 unzulässig ratione materiae et personae.
. Diese prosaische Handhabung des Artikels 1 hat sich erst aus der Erörterung
konkreter Fälle herausgebildet. In den entscheidenden Debatten um die Ausge­
staltung der Durchsetzungsmaßnahmen der Pakte war eine derartige Zurückhal­
tung des künftigen Ausschusses nicht vorgesehen. Der Ausschuß selber wollte
sich lange nicht festlegen, ob eine Individualklage zu Artikel 1 zulässig sei. D es­
halb erklärte er auch erst im Allgemeinen Kommentar zu den Rechten von Ange­
hörigen einer Minderheit von 1994 und nicht schon im Allgemeinen Kommentar
zu Artikel 1 von 1984, daß Individualklagen nicht zulässig seien, sofern sie Arti­
kel 1 beträfen. Selbst in der ersten Individualbeschwerde zum Fall der Mikmaq
wollte sich der Ausschuß noch nicht generell aus der Verantwortung ziehen und
ließ die Frage seiner Zuständigkeit offen. Es zeigt sich, daß der Ausschuß, wie es
Davin, der eingangs zitierte neuseeländische Delegierte, vorausgesagt hatte, mit
der Zeit erkannte, daß er nicht das richtige Organ für Beschwerden betreffend
Selbstbestimmung ist: Seine Praxis hat die Theorie ausgenüchtert.
Wer anerkennt, daß das UNO-M enschenrechtssystem vielleicht geeignet ist,
den rhetorischen Wert des Selbstbestimmungsrechts für politische Zwecke zu
steigern, aber kaum dazu taugt, akute Selbstbestimmungskonflikte zu regulieren,
wird den Ausschuß für seine politisch insgesamt angemessene Jurisprudenz nicht
rügen wollen. Man könnte sich indessen daran stören, daß der Ausschuß über­
haupt auf das Selbstbestimmungsrecht Bezug nahm und nimmt. Warum verfaßte
er einen Allgemeinen Kommentar zu Artikel 1, wenn er inhaltlich nichts Konkre­
tes zu sagen hatte, anstatt sich um seine Aufgabe, die Verwirklichung der Men­
schenrechte, zu kümmern? Warum behält er sich vor, Artikel 1 trotz aller Unklar­
heiten bei der Auslegung anderer Rechte zu berücksichtigen? Diese Praxis, so
könnte man sagen, trage höchstens dazu bei, das Selbstbestimmungsrecht als Pro­
jektionsfolie aller Erwartungen zu reaktualisieren, und helfe gleichzeitig zu ver­
schleiern, daß Staaten keineswegs geneigt sind, das zu halten, was sie allen Völkern
und Individuen als Angehörigen von Völkern mit ihrem Beitritt zu den beiden In ­
ternationalen Menschenrechtspakten versprechen.
Zu schließen, daß Individualbeschwerden zum Selbstbestimmungsrecht nichts
bewegt hätten, ist indessen voreilig. Bevor man ein solches Urteil fällt, wären et­
waige Auswirkungen von Individualbeschwerden über Verletzungen des Artikels
1 auf andere Durchsetzungsmechanismen, in Sonderheit auf das Staatenberichts­
verfahren zu beleuchten. Es gälte also beispielsweise zu klären, ob die eingereich­
ten Individualbeschwerden zum Selbstbestimmungsrecht im Rahmen von Staatenberichtsprüfungen zu bestimmten Fragen des Ausschusses an die entsprechen­
den Staatsvertreter Anlaß gegeben oder Abschließende Bemerkungen beeinflußt
haben - und ob das Staatenberichtsverfahren spürbare Auswirkungen auf das
Staatsgebaren gezeitigt hat121.
*-* B ezüglich der A usw irkungen auf das Staatsgebaren eher pessim istisch: Linda Camp
Keith, T he U nited N ations International C ovenant on C ivil and Political R ights: D oes It
220
Ram on Leem ann
Es ist zudem bemerkenswert, daß die Erstreckung des Minderheitenschutzes
auf traditionelle Wirtschaftsweisen von Minderheiten im Zusammenhang mit B e­
schwerden betreffend das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht, das im zweiten
Paragraphen des Artikels 1 steht, erfolgte122. Vermutlich hat der so genannte In ­
terdependenzansatz, also das Einbeziehen des Artikels 1 in die Erwägungen von
Beschwerden über andere Artikel des Zivilpaktes, wenigstens das Bewußtsein des
Ausschusses für die Bedeutung von wirtschaftlichen Aspekten der kulturellen Le­
bensweise einer Minderheit geschärft. Trifft dies zu, hat die Jurisprudenz des Aus­
schusses das Selbstbestimmungsrecht nicht vollständig in den mit politischer Teil­
nahme verbundenen Menschenrechten aufgelöst. Das Selbstbestimmungsrecht
scheint demnach doch - wenn auch relativ geringe - Wirkungen zu zeitigen, die
über jene bloß tautologische Auffassung hinausgehen.
Wenn der Menschenrechtsausschuß das Selbstbestimmungsrecht in seine E rör­
terungen von Individualbeschwerden über individuell formulierte Rechte einbe­
zieht, dann also nur in seiner inneren Dimension. Gewiß: Die Verwirklichung der
inneren Selbstbestimmung, sowohl im Sinne von politischer Teilnahme als auch
von politischer Autonomie, kann oft eine substantielle Verbesserung der Lebens­
bedingungen einer bestimmten Gruppe (bzw. eines bestimmten Volkes) bedeuten.
Aber wer insbesondere die politische Partizipation an öffentlichen Angelegenhei­
ten, sei sie nun individuell oder kollektiv, nicht nur als notwendige, sondern als ge­
nerell hinreichende Voraussetzung für die Verwirklichung der Selbstbestimmung
behauptet, deutet die Selbstbestimmung eines Volkes zu dessen bloßer .Mitbestim­
mung um. Und die Modalitäten der Mitbestimmung sind, wie der Menschen­
rechtsausschuß mit Bezug auf die Mikmaq zu erkennen gab, durch den jeweiligen
Staat, nicht durch das betroffene Volk selbst zu bestimmen. Das Selbstbestim­
mungsrecht, das angeblich alle Völker haben, ist im Fall der Mikmaq so verwirk­
licht, daß diese ihre Teilnahme an einer verfassunggebenden Versammlung weder
vor innerstaatlichen noch internationalen Instanzen durchsetzen können. Die
Mikmaq haben sich von den vollmundigen Versprechungen des Artikels 1 mehr
erhofft. Indes verdeutlicht die Jurisprudenz des Ausschusses, daß die Erwartun­
gen an Artikel 1 nicht allzu hoch gesteckt werden dürfen.
Summary
The Covenant on Civil and Political Rights of 1966 states that all peoples have the
right to self-determination. Under the First Optional Protocol to the Covenant,
an individual who claims to have suffered a violation of any of the rights set forth
M ake a D ifferen ce in H um an Rights Behavior? In: Jo u rn al o f Peace Research 36 (1999) 9 5 118; 112 f. Siehe betreffend das Staatsberichtsverfahren auch Opsabl, C om m ittee 437.
122 W obei es natürlich nicht feststeht, daß die Ergänzung des M inderheitenschutzes um
w irtschaftliche A spekte eindeutig auf die A nerkennung des Selbstbestim m ungsrechts durch
den Zivilpakt zurückzuführen ist.
I n d i v i d u a l b e s c h w e r d e n v o r de m U N O - M e n s c h c n r e c h t s a u s s c h u ß
221
in the Covenant by a State Party, may submit a so-called communication to the
Human Rights Committee. This essay examines the Com m ittees treatment of
such communications from individuals who claim to have suffered a violation of
the right of peoples to self-determination.
The Committee has long been hesitant in coming to a final decision as to
whether or not individual communications on alleged breaches of the right to selfdetermination were admissible in principle under the Optional Protocol. It
reached its current position of categorical rejection only gradually, as it kept being
confronted with such communications, and it took the Committee several years
to openly denounce the original assumption of its function as an appropriate body
to deal with individual communications on the right to self-determination.
This essay contends that the Committee’s practice only reflects the predicament
that arises when self-determination is regarded as a universal right. Problems of
self-determination cannot be consistently resolved by human rights law, even
though these problems have been formulated in legal terms in an attempt to use
the notion of human rights to achieve political change. The Committee’s jurispru­
dence demonstrates that it is more accurate to see the right to self-determination
as a moral claim rather than as a legal right of all peoples.
H ans-Joachim H eintze
Indigene Völker und das Selbstbestimmungsrecht
Selbstbestimmungsforderung als Sackgasse?
Die rechtliche Stellung der indigenen Völker wird seit Jahren kontrovers disku­
tiert. Besonders intensiv ist die Auseinandersetzung bezüglich der Fragen, ob
diese Völker Träger des Selbstbestimmungsrechts sind und ob sie einen Rechtsan­
spruch auf Sezession haben. Damit werden sehr grundsätzliche Weltordnungsprobleme angesprochen, die die Fortentwicklung des Völkerrechts vor dem H in­
tergrund der enorm gewachsenen Bedeutung der individuellen und kollektiven
Menschenrechte betreffen. Mit der Kodifizierung des Selbstbestimmungsrechts
sieht sich das klassische, statische und souveränitätsorientierte Völkerrecht der
dynamischen Herausforderung gegenüber, die darin besteht, daß Völker der Sou­
veränität des Staates den Rechtstitel des Selbstbestimmungsrechts, der idealty­
pisch die Schaffung eigener Staaten einschließt, entgegensetzen können.
Im Rahmen des Entkolonisierungsprozesses war die Selbstbestimmung die
Rechtsgrundlage hundertfacher Bildung neuer Staaten. Seither kam es praktisch
nicht mehr zur Entstehung neuer Staaten unter Berufung auf das Selbstbestim­
mungsrecht. Dennoch spielt dieses Recht in der theoretischen Diskussion nach
wie vor eine erhebliche Rolle, und die Ansprüche indigener Völker auf Selbstbe­
stimmung haben die Debatten in den letzten Jahren erheblich beeinflußt. Sie kul­
minierten in der Frage, ob indigene Völker ähnlich wie Völker unter Kolonial­
herrschaft aus der Selbstbestimmung einen Rechtsanspruch auf Eigenstaatlichkeit
herleiten können. Die Auseinandersetzungen verdeutlichten einen tiefen Graben
zwischen den rechtstheoretischen Einschätzungen auf der einen Seite und der
Staatenpraxis auf der anderen1. Plastisch wird dies an einer jüngst erschienen M o­
nographie, die das Sezessionsrecht als ein Instrument zur Sicherung des Selbstbcstimmungsrechts bezeichnet2. Der Autor begründet diese Einschätzung damit,
daß das Selbstbestimmungsrecht dann zu einem Sezessionsrecht erstarke, wenn
ein Staat ein auf seinem Gebiet lebendes Volk in systematischer Weise schwersten
1 Deshalb wird verschiedentlich die Forderung erhoben, die Sezession zu verreehtlichen.
Vgl. Peter Hilpold, D ie Sezession - zum Versuch der V errechtlichung eines faktischen Phä­
nom ens, in: Zeitsch rift für öffentliches R ech t 63 (2008) 1 1 7 ff.
2 Martin Ott , D as R echt auf Sezession als Ausfluß des Selbstbestim m ungsrechts der V ölker
(Berlin 2008) 454.
224
H a n s - J o a c h im H e in t z e
M enschenrechtsverletzungen aussetzt und jegliche Form der inneren Selbstbe­
stim m ung unm öglich m acht. D am it folgt er der E inschätzung, die auch im Kom ­
m entar zur U N -C h arta vertreten w ird 3. Zw eifellos gibt der C hartakom m entar die
herrschende M einung wieder. G leichw ohl handelt es sich aber um eine Position,
die von W issenschaftlern durch die A uslegung des A rt. 1 des U N -M enschenrechtspakts erreicht w urde. In der Staatenpraxis läßt sich jedoch ein solcher B e­
fund nicht feststellen. N ich t einm al hinsichtlich des Kosovo, der im C h artako m ­
m entar als ein B eispiel für eine m ögliche „rem edial secession“ angeführt w ird , hat
sich die Staatengem einschaft - anders als W issenschaftler4 - dazu durchgerungen,
das Selbstbestim m ungsrecht als R echtsgrundlage der am 17. Februar 2008 erklär­
ten U nabh än gigkeit anzusehen5.
In einem eigentüm lichen G egensatz zur allgem einen V erw eigerung des Selbst­
bestim m ungsrechts gegenüber V ölkern, die E igenstaatlichkeit fordern, steht die
K odifikation der Rechte indigener Völker, die 2007 m it einer D eklaration der
U N -G eneralversam m lung abgeschlossen w urde. D ieses D okum ent gesteht in d i­
genen V ölkern ein Selbstbestim m ungsrecht zu. Wenn man allerdings die konkrete
A usgestaltung näher untersucht, w ird sehr schnell deutlich, daß die Staatenge­
m einschaft ein nicht durch den W ortlaut der N orm gedecktes V erständnis der
Selbstbestim m ung zugrunde legt. D ie nunm ehr vorgenom m ene Interpretation
schließt die Sezession ausdrücklich aus. D ie A utoren der D eklaration folgen einer
P o litik, die ein W issenschaftler plastisch um schrieb: M an hält den D eckel auf dem
„Sezessionskochtopf“6. Freilich hat dies den Preis, daß das Selbstbestim m ungs­
recht zu einer W orthülse w ird, denn der eigentliche Inhalt dieser N orm ist nach
der E ntkolonisierung abhanden gekom m en.
3 K arl D o e h r in g , Self-D eterm ination, in: B ru no S im m a (H rsg.), The C harter of the U nited
N ations - A C om m entary (O xford 2002) 58, Rn. 40.
4 So K erstin Wirth , R echtsgrundlagen und funktionale D ualität der U nited N ations Interim
A dm inistration M ission in Kosovo, in: Volker Epping, H a n s-Jo a ch im H ein tz e (H rsg.), W ie­
derherstellung staatlicher Strukturen in N ach-K onflikt-Situationen (Berlin 2007) 9 0 ff.
5 N icht einm al die W ertegem einschaft EU konnte sich auf eine gem einsam e H altung zur
U nabhängigkeit des Kosovo einigen. Sym ptom atisch sind die A usführungen des deutschen
A ußenm inisters Frank-W alter Steinm eier vor dem Bundestag, der anläßlich der A nerken­
nung mit „gem ischten G efühlen“ auf den neuen Staat blickt. Zur Begründung der deutschen
A nerkennungserklärung berief er sich nicht auf die V erw irklichung des Selbstbestim m ungs­
rechts des kosovarischen Volkes, sondern darauf, daß „w ir uns nicht in die Enthaltung flüch­
ten können, selbst w enn einige das m öchten“. Protokoll der 144. Plenardebatte vom 20. 2.
2008, abrufbar unter: http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/pp/2008/index.htm l
6 Markktt Suksi, Keeping the Lid on the Secession Kettle - a R eview of Legal Interpretations
concerning C laim s of Self-D eterm ination b y M in ority Populations, in: International Journal
on M in o rity and Group R ights 12 (2005) 189 ff.
In dig ene V ö lk e r un d das Selb stb e stim m u n gsrec h t
225
U N -D eklaration nach 25-jähriger Diskussion
N ach 25-jäh n ger kontroverser D iskussion über die Rechte indigener V ölker hat
die U N -G eneralversam m lung eine D eklaration zu diesem Them a verabschiedet7.
Eine D eklaration ist zw ar ein rechtlich unverbindliches D okum ent, hat aber eine
w esentlich größere politische B edeutung als eine „norm ale“ R esolution der U N G eneralversam m lung. Es handelt sich näm lich um eine besonders feierliche R eso­
lution, die sich zu grundlegenden Fragen der internationalen Beziehungen äußert
und daher über einen längeren Z eitraum Bestand hat. Da über die N o tw en digkeit
des Schutzes und der Förderung indigener V ölker E inigkeit besteht und das D o­
kum ent m it einer großen M ehrheit angenom m en w urde, rücken es einige A utoren
in die N ähe von „soft law “ . N ach dieser A uffassung sind die dort niedergelegten
B estim m ungen auf dem Wege, zu R echtsnorm en zu w erden 8.
D ieser A uffassung kann nur bedingt gefolgt w erden. A llein der im V ergleich zu
anderen m enschenrechtlichen K odifikationen lange A usarbeitungszeitraum der
D eklaration deutet darauf hin, daß das Them a außerordentlich um stritten ist. B e­
kräftigt w ird diese E inschätzung dadurch, daß es w iederum zw ö lf Jah re dauerte,
den bereits in der U N -M enschenrechtskom m ission angenom m enen E ntw urf zu
einer D eklaration der G eneralversam m lung w erden zu lassen. D er H auptgrund
für die Z ögerlichkeit der Staatengem einschaft w ar der U m stand, daß den in dige­
nen V ölkern in dem D okum ent das Selbstbestim m ungsrecht zugestanden w ird.
A usdrücklich w ied erh o lt nunm ehr der A rt. 3 der D eklaration die Form el, die sich
auch in den gleichlautenden A rtikeln 1 der beiden U N -M enschenrechtspakte9 dort allerdings bezüglich aller V ölker - findet:
„Indigenous peoples have the right to self-determ ination. B y virtue of that right
th ey freely determ ine their political status and freely pursue their econom ic, social
and cultural developm ent.“
D ie A ufnahm e eines uneingeschränkten R echts der indigenen V ö lker auf
Selbstbestim m ung ist als beeindruckender Sieg der nichtstaatlichen O rgan isatio ­
nen anzusehen, die seit jeher nicht w eniger als die A kzep tanz der Selbstbestim ­
m ung der indigenen V ö lker gefordert haben. B egründet w urde dieser A nspruch
dam it, daß die indigenen V ölker geradezu die originären Inhaber dieses Rechts
seien10 und nach w ie vor ko llektiv unter der U n terd rücku n g und ihren Folgen lei­
den 11.
7 U N Doc. A/RES/61/295 vom 13. 9. 2007.
8 So Snezana Trifunovska, O ne Theme in Two Variations - Self-D eterm ination for M in ori­
ties and Indigenous Peoples, in: International Journal on M in o rity and Group Rights 5
(1997) 191.
9 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, in: BGBL 1973 II, 1534 sowie
Internationaler P akt über w irtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, in: BG Bl. 1973 II,
S. 1570.
10 So beispielsw eise bereits niedergelegt in U N Doc. E/CN.4/Sub,2/1988/NGO/26 vom
1.9.1988.
11 helix M ukwiza N dahinda, V ictim ization of African Indigenous Peoples: A ppraisal of
226
H a n s-J o a c h im H e in t z e
Die m eisten Staaten bew erteten diese Forderung zurückhaltend, w enn nicht gar
ablehnend. Besonders anschaulich w ird dies an den N ein-Stim m en gegen die D e­
klaration , die von vier Staaten m it zahlenm äßig großen U reinw ohnervölkern
(A ustralien, K anada, N euseeland und die U SA ) in der U N -G eneralversam m lung
abgegeben w urden. Sym ptom atisch für die G ründe der A blehnung ist die E rklä­
rung A ustraliens:
„The A ustralian G overnm ent had long expressed its dissatisfaction w ith the
references to self-determ ination in the D eclaration. Self-determ ination applied to
situations of decolonization and the break-up of States into sm aller states w ith
clearly defined population groups. It also applied w here a p articular group w ith a
defined territo ry was disenfranchised and w as denied political or civil rights. The
G overnm ent supported and encouraged the full engagem ent of indigenous
peoples in the dem ocratic decision-m aking process, but did not support a concept
that could be construed as encouraging action that w o uld im pair, even in part, the
territo rial and political in tegrity of a State w ith a system of dem ocratic represen­
tative G overnm ent.“ 12
A uch die U SA sahen die Selbstbestim m ungsfrage in der D eklaration nicht auf
die richtige A rt und Weise behandelt13.
A ber auch die Staaten, die der D eklaration zugestim m t hatten, beeilten sich, Er­
klärungen zur Stim m abgabe nachzureichen. Sie bezogen sich in erster Linie auf
das in der D eklaration verankerte Selbstbestim m ungsrecht. D abei w urden aller­
dings keine B ekenntnisse zu diesem Recht abgegeben, sondern dessen Schranken
hervorgehoben, die in A rt. 46 ausdrücklich benannt w erden. D em nach darf die
D eklaration nicht so ausgelegt w erden, als begründe sie für ein Volk oder eine
G ruppe das R echt, die territo riale U nversehrtheit oder politische E inheit souverä­
ner Staaten zu zerstören oder zu beeinträchtigen. D arauf nahm Japan explizit
B ezug:
„The revised version of article 46 co rrectly clarified that the right of self-deter­
m ination did not give indigenous peoples the righ t to be separate and independent
from their countries of residence, and that that right should not be invoked for the
purpose of im pairing the sovereignty of a State, its national and p o litical unity, or
territo rial in tegrity.“ 14
W eitere staatliche E rklärungen nahm en ebenfalls auf A rt. 46 B ezug, so daß man
den E indruck hat, die Staaten billigten dieser B estim m ung größere B edeutung zu
als der eigentlichen V erankerung des Selbstbestim m ungsrechts. So wies A rgenti­
nien darauf hin, die ganze D eklaration sei für es erst durch die Schrankenklausel
annehm bar gew orden:
„A rgentina had also expressed its disappointm ent at not having more tim e to
w o rk on m aking the references to self-determ ination com patible w ith the princiViolation of C ollective R ights under Victim ological and International Law Lenses, in: Inter­
n atio n aljo u rn al on M in o rity and Group Rights 14 (2007) Iff.
12 http://www.un.org/News/Press/docs/2007/gal0612.doc.htm, 5.
13 Ebenda 8.
14 Ebenda 9.
In dig ene V ö lk e r un d das Selb stb e stim m un gsrec h t
227
pie of territo rial integrity, w ith national un ity and the other organizational struc­
ture of each State. F ortunately, the efforts undertaken to resolve the question
w ith ou t affecting the rights contained in the D eclaration had been successful.
T hanks to those efforts, A rgentin a was pleased to jo in the voting in favour of the
D eclaration.“
A uch N orw egen, Jo rdanien, Schw eden, T hailand, B rasilien, Paraguay, T ürkei,
Ä gyp ten , Philippinen und N am ibia verwiesen auf die E inbettung des Selbstbe­
stim m ungsrechts in das N etzw erk des V ölkerrechts. D ie In terp retatio n serklärun ­
gen eröffnen - anders als die expliziten A blehnungen der vier einleitend genann­
ten Staaten - zum indest die M ö glich keit eines konstruktiven U m gangs m it den
Selbstbestim m ungsforderungen der indigenen Völker. G leichw ohl m achen die
A bstim m ungserklärungen deutlich, daß die Staatengem einschaft das Selbstbe­
stim m ungsrecht ausschließlich auf seinen inneren A spekt red u ziert15. D am it setzt
sich ein Trend fort, der seit langem im V ölkerrecht zu beobachten ist. In ebendie­
sem inneren A spekt scheint die heutige B edeutung des Selbstbestim m ungsrechts
zu liegen 16. Im m er stärker stellt sich die Frage, in w iew eit aus dem Selbstbestim ­
m ungsrecht ein A nspruch auf eine dem okratische Staatsordnung und Selbstver­
w altung abzuleiten ist, und inw iefern dies die E n tw icklun g von V ölkern voran­
treib t17. A ngesichts dessen w äre zu erw arten gew esen, daß die D eklaration einen
B eitrag leisten w ürd e, um diesen A spekt spezifisch für die indigenen V ölker aus­
zulegen und auszugestalten. Es besteht kein Zweifel über die N o tw en digkeit einer
solchen Interpretation, da der konkrete Inhalt des inneren Selbstbestim m ungs­
rechts nach w ie vor schw am m ig is t18. L eider w urde diese Chance nicht genutzt.
Schlim m er noch, die V erankerung des Selbstbestim m ungsrechts erw ies sich gera­
dezu als eine Sackgasse für die w eitere A usgestaltung der Rechte indigener Völker.
N otw endigkeit des Schutzes indigener Völker
D er Schutz der indigenen V ö lker (auch autochthone V ö lker oder U reinw ohner
genannt) ist in den letzten Jahrzehnten zu einem Schw erpunkt der m enschen­
rechtlichen A ktivitäten internationaler O rganisationen gew orden 19. Dies ist auf
15 Hurst Ha n n u m , A utonom y, Sovereignty, and Self-D eterm ination - The Accom m odation
of C onflicting R ights, Revised Ed. (Philadelphia 1996) 2 7 ff.
16 Trifunovska, O ne Them e in two Variations - Self D eterm ination for M inorities and Indi­
genous Peoples, a.a.O ., 176ff.
17 So fordern M orton H. H alperin, J o s e p h T. Siegle, M ich a el M. Weinstein, The D em ocracy
Advantage: Flow D em ocracy Prom ote P rosperity and Peace (N ew York 2005) 203 unum ­
w unden: „Bringing D em ocracy to the C enter of D evelopm ent“.
ls Siehe die N achw eise in H a n s-Jo a ch im H eintze (H rsg.), Selbstbestim m ungsrecht der Völ­
k e r - H erausforderung der Staatenw elt (Bonn 1997).
19 D arren H awkins, Indigenous R ights and the Prom ise of a Lim ited A utonom y M odel, in:
Zelim A. Skurbaty (H rsg.), Beyond a O ne-D im ensional State: An E m erging R ight to A uto­
nom y (Leiden 2005) 337.
228
H a n s-J o a c h im H e in tze
den U m stand zurückzufüh ren , daß die K odifikation der M enschenrechte heut­
zutage eine außerordentliche R egelungsdichte aufw eist und der Schutz verw u nd­
barer G ruppen im Z entrum dieses R echtskörpers steht20. Daß Fortbestand der
indigenen V ö lker und Schutz ihrer K ulturen w eltw eit nur m öglich sind, w enn die
betroffenen Staaten und die Staatengem einschaft gem einsam A nstrengungen
unternehm en, dürfte im Lichte der historischen E rfahrungen un streitig sein.
K om pliziert w ird das V erhältnis der heutigen Staaten zu den indigenen V ölkern
dadurch, daß zur Zeit der K olonialisierung die A uffassung vorherrschte, eroberte
G ebiete der indigenen V ö lker seien terra nullius, die von den „zivilisierten “ Staa­
ten o kkup iert w erden konnten21. So argum entierte noch zu B eginn des vergange­
nen Jahrhunderts L indley : „To these territories the European colonial nations
applied the doctrines relating to acquisition of territo ry that was terra n ullius.“22
N ach dem m odernen V ölkerrecht ist eine solche B etrachtungsw eise unzulässig;
dennoch stellt sich das Problem , in w iew eit eine rück w irken d e W iderrechtlichkeit
angenom m en w erden kann.
U nabhängig von der B eantw ortung dieser G rundfrage besteht E inigkeit dar­
über, daß die rechtliche A bsicherung und Förderung indigener V ölker wesentlich
für das Ü berleben der indigenen V ö lker und die W iederherstellung ihrer W ürde
sind. D afür reicht der allgem eine völkerrechtliche M inderheitenschutz nicht aus,
denn die Rechte der Indigenen nehmen insofern eine Sonderstellung ein, w eil sie
rechtstechnisch anders als der vö lkerrechtliche M enschenrechts- und M in derh ei­
tenschutz nicht als Teil des Individualrechtsschutzes ausgestaltet w erden kön­
nen23. Bei den R egelungen zu den indigenen V ölkern handelt es sich som it um die
A bsicherung ko llektiver R echte, w odurch ein vieldiskutiertes Problem erneut
aufgew orfen w urde. B ezüglich der indigenen V ö lker w ird in der L iteratur von
„G ruppenrechten im W erden“ gesprochen24. D ie diesbezüglichen A ktivitäten
internationaler O rganisationen w erfen ein Schlaglicht auf die R echtsfortentw ick­
lung.
20 So C h arlotte Schoder, Vom M inderheitenschutz zum Schutz verw undbarer Gruppen
(Zürich 1999) 139 ff.
21 Vgl. dazu die E ntscheidung des H igh C ourt of A ustralia in M abo and O thers v. Q ueens­
land (N o. 2) [1992] H C A 23; (1992) 175 C L R 1 E C . 92/014. A brufbar unter: http://
w'ww.austlii. edu.au/au/cases/cth/EICA/1992/23.html.
22 Mark F. Lindley, The A cquisition and G overnment of B ackw ard T errito ry in Internatio­
nal Law (London 1926) 47. K ritisch dazu: J ö r g Fisch, Die europäische Expansion und das
V ölkerrecht - D ie A useinandersetzungen um den Status der überseeischen Gebiete vom
15. Jahrhundert bis zu r G egenw art (W iesbaden 1984).
23 P e te r Flilpold, M odernes M inderheitenrecht (W ien 2001) 366.
24 Nicola Wenzel, Das Spannungsverhältnis zw ischen G ruppenschutz und Individualschutz
im V ölkerrecht (Berlin 2008) 84 ff.
Indig ene V ö lk e r un d das S elbstbe stim m un gsrec ht
229
Fehlende Legaldefinitionen
Viele offene Fragen resultieren aus dem U m stand, daß das V ölkerrecht keine L e­
galdefinitionen seiner grundlegenden Subjekte kennt. Dies trifft sow ohl auf den
„Staat“ als auch auf das „Volk“ und die „M inderheit“ zu. So überrascht es nicht,
daß es auch keine allgem einverbindliche L egaldefinition des indigenen Volkes
gib t2-1. Letztlich entscheiden som it Staaten, w elche G ruppen unter ihrer Ju risd ik ­
tion den Status eines indigenen Volkes haben26. Des w eiteren legen sie auch die
konkrete A usgestaltung der Rechte fest. Dies hat zur Folge, daß die Q u alifizie­
rungen und die daraus abgeleiteten A nsprüche von Land zu Land unterschiedlich
sein können. In der Praxis zeigt sich beispielsw eise, daß die R echtsstellung der
Sam en in Finnland, N orw egen, Schw eden und R ußland unterschiedlich geregelt
ist27.
A llerdings w urden von der W issenschaft V orschläge zur Identifikation indige­
ner V ölker unterbreitet, die mehr oder w eniger in der Staatenpraxis auch ange­
w endet w erden. Zu verw eisen ist insbesondere auf die von U N -Sp ezialb erich terstatter M artinez Cobo vorgelegte B egriffsbestim m ung:
„Indigenous com m unities, peoples and nations are those w hich, having a histo­
rical co n tin uity w ith pre-invasion and pre-colonial societies that developed on
their territories, consider them selves distinct from other sectors of the societies
now prevailing in those territories, or parts of them . T h ey form at present non­
dom inant sectors of so ciety and are determ ined to preserve, develop and transm it
to future generations their ancestral territories, and their ethnic identity, as the
basis of their continued existence as peoples, in accordance w ith their ow n cultural
patterns, social institutions and legal system s.“28
L etztlich stellt diese w eithin akzeptierte D efinition auf objektive und sub jek­
tive K riterien ab. A ls objektive K riterien sind die Ethnie, Kultur, Geschichte,
Sprache und die historische K ontinuität anzusehen. G erade der letztgenannte
A spekt ist aber oftm als sehr problem atisch, da die G eschichten indigener V ölker
durch viele Brüche infolge der K olonialisierung gekennzeichnet sind. Ein weiteres
objektives K riterium ist das besondere Verhältnis zum Land und zur N atur. Den
indigenen V ölkern als den ursprünglichen E igentüm ern ist das Land zum eist von
den vorw iegend europäischen K olonisatoren entw eder durch G ew alt oder durch
Verträge w eggenom m en w orden. Dies hat zur Folge, daß sie oft nicht mehr in
23 Anja Tietze, Die Vereinten N ationen und indigene Völker, in: Vereinte N ationen 5/2007,
191.
26 Die nicht-anerkannten G ruppen haben sich in einer N G O , der U nrepresented N ations
and Peoples O rganization (U N P O ), zusam m engeschlossen u n d w ollen dam it die Staaten
und die Ö ffentlichkeit auf ihre Problem e aufm erksam m achen. W ebsite abrufbar unter http:/
/w w w .u n p o .o rg .
27 Kristian M yntti, The N ordic Sami Parliam ents, in: Aikio Pekka, Martin Scheinin (H rsg.),
O perationalizing the Right of Indigenous Peoples to Self-D eterm ination (A bo 2000) 203 ff.
28 M artinez C o b o , Study of the Problem of D iscrim ination against Indigenous Populations,
U N -D oc. E/CN.4/Sub.2/1986/7/Add.4 (1987).
230
H a n s-J o a c h im H e in tz e
ihren traditionellen Siedlungsgebieten leben, w as die A nw endung dieses D efiniti­
onsbestandteils ebenfalls schw ierig macht.
Den subjektiven A spekt der D efinition bildet das individuelle Z ugehörigkeits­
gefühl der indigenen M enschen zu ihrem Volk. H in zu kom m t nach der fun ktio ­
nalen B etrachtungsw eise auch die B erücksichtigung der konkreten Lebensbedin­
gungen29.
O bw ohl dam it eine R eihe von K riterien 'zur Identifizierung indigener V ölker
allgem ein akzep tiert zu sein scheinen, so läßt sich daraus dennoch keine allge­
m einverbindliche Legaldefinition ableiten, da die Staaten die verschiedenen K rite­
rien unterschiedlich gew ichten. A llgem ein akzeptierte indigene V ölker sind die
australischen A borigines, die nordam erikanischen Indianer, die Inuit, die neusee­
ländischen M aori und die skandinavischen Sam i. Trotz der generellen Z uerken­
nung des Status indigener G ruppen ist die konkrete A usgestaltung ihrer recht­
lichen Positionen gleichw ohl sehr differenziert30. Vielfach w eigern sich Staaten
aber auch, der Forderung bestim m ter tatsächlicher oder behaupteter indigener
G ruppen nach der A nerkennung eines speziellen Status nachzukom m en. Insge­
sam t schätzt man, daß 100 bis 200 M illionen M enschen in über 40 Staaten Indi­
gene sind. Da nicht alle G ruppen als indigene V ö lker anerkannt sind, kämpfen
viele um ihre A kzep tan z31.
E rschw ert w urd e die gesam te D efinitionsdebatte durch den U m stand, daß die
indigenen V ö lker vielfach als M inderheiten angesehen wurden. D ie U N -Subcom m ission on the Prom otion and Protection of H um an R ights sah sich deshalb im
Jahre 2000 veranlaßt, die U nterschiede zw ischen den beiden R echtskörpern her­
auszuarbeiten. A ls ein w ichtiges K riterium nannte Eide:
„W hat is n o rm ally held to distinguish indigenous peoples from other groups is
their p rio r settlem ent in the territo ry in w hich th ey live, com bined w ith their
m aintenance of a separate culture w hich is clo sely linked to their p articular w ays
of using land and natural resources.“32
A llerdings stellte Eide auch den Sinn einer klaren A b gren zun g infrage und
m einte, daß diesbezüglich vielfach eurozentrische Positionen vertreten werden.
D iesen zufolge handle es sich bei den M inderheitenrechten um R echte, die aus den
europäischen Erfahrungen resultierten, w ährend die indigenen Rechte von beiden
A m erikas und der Pazifischen R egion beeinflußt seien (die sog. „Blue W ater D oc­
trin e“)33. Die gesam te D arstellung der D ebatten zu den R echten indigener V ölker
w ies auf große U nklarh eiten zu r Bestim m ung des Inhabers dieser Rechte hin. A uf
29 G u d m u n d u r Alfredsson, Indigenous Populations, in: R u d o lf B er n h a rd t (H rsg.), E ncyclo­
pedia of Public International Law Vol. II (Am sterdam 1995) 946.
30 A uffällig ist die grundsätzlich unterschiedliche R egelung auch in Staaten, die w ie in N ord­
am erika dem selben K ulturkreis angehören. Vgl. dazu ausführlich Petra Williams-Vedder,
Die Rechtsstellung der eingeborenen V ölker in den U SA und Kanada nach nationalem Recht
und V ölkerrecht (Frankfurt a.M . 1995).
31 Vgl. beispielhaft zu deren Forderungen /. Atticus R y a n , C h risto p h er A. M ullen, U nrepre­
sented N ations and Peoples O rganization - Yearbook (997 (The H ague 1998) 1 ff.
32 U N -D oc. E/CN.4/Sub.2/2000/10, para. 24.
33 Ebenda, para. 25.
Indig ene V ö lk e r u n d das Selb stb e stim m un gsrec h t
23 1
den w esentlichsten juristischen U nterschied machte aber Da.es aufm erksam : „In
m y opinion, the prin cip al legal distinction between the rights of m inorities and
indigenous people in contem porary international law is w ith respect to internal
self-determ ination .. .“34
Insgesam t ist som it zu konstatieren, daß es keine generelle D efinition des Trä­
gers der Rechte indigener V ö lker gibt. G leichw ohl gelang es in den letzten 50 Jah ­
ren, die Rechte der Indigenen zum indest durch die K odifikationsarbeiten inter­
nationaler O rganisationen näher zu konkretisieren. Das Selbstbestim m ungsrecht
spielte dabei eine w esentliche Rolle.
Akzeptanz indigener Völker durch die Internationale
Arbeitsorganisation (ILO)
A usgangspunkt für die Befassung m it den indigenen V ölkern w ar die Einschät­
zung, daß diese durch die Z erstörung ihrer K ultur und Lebensw eise nicht mehr in
der Lage seien, sich selbst zu erhalten. Ihr rechtlicher Schutz w ar äußert gering
ausgeform t:
„In the past, if the indigenous peoples survived disease, econom ic exploitation
and som etim es genocide (and m any did not), th ey w ere consigned to a kind of
international legel shadow land. The international law of the newcom ers allow ed
them the w eakest of rights of title to the land th ey inhabited and even w eaker
rights to equal treatm ent under the law .“35
Vielfach w ürden sie unter staatlicher Verfolgung leiden und durch Ü bergriffe
von Privaten bedroht, w elche die H eim atstaaten nicht verhindern könnten oder
w ollten. Vor diesem H in tergrun d sahen sich internationale O rganisationen ange­
sichts der zunehm enden H inw endung zum M enschenrechtsschutz schon in den
fünfziger Jahren zum H andeln veranlaßt36.
Die ILO-Konvention 107 von 1957
Wegen V erfolgung, A usrottung, w eitverbreiteter G efährdung ihres Lebensstils
und des vielfachen A usbleibens nationalstaatlicher U nterstützun g bedürfen In di­
gene eines besonderen Schutzes durch die Staatengem einschaft. D a die Indigenen
notgedrungen unter den schlechtesten Bedingungen arbeiteten und am meisten
ausgebeutet w urden, w andte sich die ILO frühzeitig ihren Problem en zu. Das er-,4 Ebenda, para. 43.
M ich a el R eism an, Protection of Indigenous R ights in International A djudication, in:
Am erican Journal of Interntional L aw 89 (1995) 350.
36 Hurst Hannum, A utonom y, Sovereignty, and Self-D eterm ination, The A ccom odation of
C onflicting Rights (P hiladelphia 1990) 74 ff.
232
H a n s-J o a ch im H e in tze
klärte Ziel w ar es, die A rbeitsbedingungen indigener B evölkerungsgruppen durch
das Festsetzen von M inim alstandards zu verbessern. Bereits 1957 w urde mit dem
Ü bereinkom m en Nr. 107 über den Schutz und die E ingliederung eingeborener
B evölkerungsgruppen und anderer in Stäm m en lebender oder stam m esähnlicher
B evölkerungsgruppen in unabhängigen Ländern37 ein erster Vertrag zu ihrem
Schutz ausgearbeitet, der 1959 in Kraft trat und von 18 Staaten ratifiziert w urde38.
D ie K onvention enthält eine D efinition der schutzbedürftigen indigenen G rup­
pen, die dem nach solche sind, „whose social and econom ic conditions are at a less
advanced stage than the stage reached by the other sections of the national com ­
m unity, and w hose status is regulated w h o lly or p artially b y their own custom s or
traditions or b y special law or regulatio ns“ [A rt. 1 A bs. 1 (a)]. A ls w eiteres C h a­
rakteristikum w ird angeführt, daß sie „on account of their descent from the p o p u­
lations w hich inhabited the country, or a geographical region to w hich the coun­
try belongs, at the tim e of conquest or colonization and w hich, irrespective of
their legal status, live more in conform ity w ith the social, econom ic and cultural
institutions of that tim e than w ith the institutions of the nation to w hich th ey be­
long“ [A rt. 1 Abs. 1 (b)]. Z w eifellos ist diese B egriffsbestim m ung w en ig überzeu­
gend, denn sie stellt im w esentlichen auf den „E ntw icklungsstand“ ab. O ffenkun­
dig w ird der G rundgedanke des durch A ssim ilierun g zu erreichenden „höheren
E ntw icklungsstandes“ im folgenden A rtikel 2:
„G overnm ents shall have the p rim ary resp on sib ility for developing co-ordina­
ted and system atic action for the protection of the populations concerned and
their progressive integration into the life of their respective countries.“
Die Indigenen w urden dam it als eine B evölkerungsgruppe innerhalb eines
Staates angesehen, die solange eines Schutzes bedurfte, bis sie sich in die M ehrheitsbevöikerung in tegriert hatte. Integration hieß in diesem Zusam m enhang A s­
sim ilation, und zw ar ohne daß den indigenen G ruppen dabei ein M itspracherecht
eingeräum t w u rd e39. D ie Konvention w iderspiegelte dam it die seinerzeitige A uf­
fassung von den Indigenen als „un zivilisierte“ G ruppen, die auf ein höheres „K ul­
turniveau“ gebracht w erden m üßten40. Z ugrunde lag auch die am erikanische Idee
eines „M elting P o t“, w onach E inw anderer ihre Identität zugunsten einer neuen
einheitlichen U SA -N atio n aufgeben w ürden. So strebte die ILO an, auf diesem
W ege auch die nordam erikanischen Indianer zu „norm alen“ U S-B ürgern, die
M aori zu „norm alen“ N euseeländern usw. zu m achen. Z w ar ist die freiw illige
A ssim ilation, bei der sich eine Person bew ußt z u r A ufgabe ih rer Z ugehörigkeit zu
einer G ruppe entscheidet, an sich nicht rechtsw idrig oder m oralisch verw erflich.
Bedenken muß m an aber haben, w enn die A ssim ilierun g als Ziel eines Vertrages,
bei dem nicht m ehr von F reiw illig k eit gesprochen w erden kann, vorgegeben w ird.
37 D eutscher Text in: Christian T om uschat (H rsg.), M enschenrechte (Bonn 1992) D okum ent
Nr. 18, 173 ff.
38 A brufbar unter: http://www.ilo.org/ilolex/english/convdisp2.htm .
39 P e t e r H ilpold , Zum Jah r der indigenen V ölker - eine Bestandsaufnahm e zur Rechtslage,
in: Zeitschrift für vergleichende Rechtsw issenschaft 97 (1998) 38.
40 Vgl. dazu S. J a m e s Anaya, Indigenous peoples in international law (O xford 22004) 55.
In dige ne V ö lk e r und das Selb stb e stim m un gsrec h t
233
Dies ist m it dem m odernen M enschenrechtsverständnis, das dem Individuum
eine freie E ntscheidung über seine G ruppenzugehörigkeit überläßt, nicht verein­
bar41.
M ehr noch, heute geht das V ölkerrecht ausdrücklich vom „Recht, verschieden
zu sein, sich als verschieden zu betrachten und als verschieden angesehen zu w er­
den“42 aus, so daß das A ssim ilierun gsziel des IL O -Ü bereinkom m ens Nr. 107
aufgegeben w erden muß. D ie K onvention 107 steht som it nicht mehr im Ein­
klang m it den M enschenrechten und muß folglich überarbeitet w erden. H inzu
kam, daß das in der U N -C h arta zw ar als Prinzip enthaltene Selbstbestim m ungs­
recht der V ölker in den sechziger Jahren zum indest hinsichtlich der V ölker unter
K olonialherrschaft die Q ualität von V ölkergew ohnheitsrecht erlangt hatte. Dies
w arf die Frage auf, in w iew eit die Indigenen, die O pfer von K olonisierungen ge­
w orden w aren, ebenfalls einen A nspruch auf das Selbstbestim m ungsrecht geltend
m achen konnten. V oraussetzung dafür w ar allerdings, daß man die Indigenen
nicht nur als B evölkerungsgruppen oder Stam m esgesellschaften, sondern als V öl­
ker einstufte.
Die A bkehr vom A ssim ilierun gskon zep t und die A nerkennung des Volkscha­
rakters w aren die beiden zentralen Fragen bei der Ü berarbeitung der Konvention
107, die 1989 m it der V erabschiedung der „N achfolgekonvention“, die die N um ­
m er 169 bekam , abgeschlossen w urd e43. Als w eiterer K ritikp un kt gegenüber der
K onvention 107 ist A rt. 28 zu erw ähnen, der eine flexible K onventionsauslegung
gestattet, so daß die Staaten hinsichtlich der U m setzung einen unzulässig breiten
Spielraum hatten: „The nature and scope of the m easures to be taken to give effect
to this C onvention shall be determ ined in a flexible manner, having regard to the
conditions characteristic for each co un try.“44 F reilich w aren es nicht nur die M än ­
gel der K onvention 107, die die ILO zu deren Ü berarbeitung veranlaßten. A uch
die Befürchtung, gegenüber der U N O - die sich in den 80-Jahren verstärkt den
indigenen V ölkern zuw andte - ins H intertreffen zu geraten, zw an g die ILO zu
neuen A ktivitäten. D iese w urden so ku rzfristig angegangen, daß die m angelnde
E inbindung von V ertretern der indigenen V ö lker in der L iteratu r kritisiert
w urde45.
41 Vgl. Patrick T h ornberry, Indigenous peoples and human rights (M anchester 2002) 239.
42 Art. 1 Abs. 2 der U N E SC O -E rklärung über Rasse und R assenvorurteile vom 28. 11.
1978; D eutscher Text in: T om uschat (a.a.O ), D okum ent Nr. 21, 202 ff.
43 A llerdings bleibt die K onvention 107 für diejenigen Staaten in Kraft, die der neuen Kon­
vention nicht beigetreten sind.
44 Dieser A rtikel w urde in der ILO zutreffend als w eiterer G rund für die Ü berarbeitung an­
gegeben. Vgl. H o w a r d R. B erm a n , The International L abour O rganization and Indigenous
Peoples: Revision of the ILO C onvention N o. 107 at the 75th Session of the International
Labour Conference, 1988, in: International C om m ission of Ju rists 41 (1988) 48 ff.
45 Ebenda 51.
234
H a n s- J o a c h im H e in t z e
D ie K onvention 169 von 1989 und das
Selbstbestim m ungsrecht
D ie A bkehr vom K onzept der A ssim ilierung der U rein w oh n er erfolgte m it dem
ILO -Ü bereinkom m en Nr. 169 über eingeborene und in Stäm m en lebende V ölker
in unabhängigen Ländern vom 27. 6. 198946. Das Ü bereinkom m en spricht aus­
drücklich von „eingeborenen V ö lkern “ und nicht m ehr von „B evölkerungsgrup­
p en “, w ie dies noch 1957 der Fall war. D iese Ä nderung ist das Ergebnis eines lan­
gen D iskussionsprozesses und zeigt, daß die U rein w oh n er wegen ihrer Selbst­
identifikation und G eschichte als V ölker angesehen w erden47. Sie w erden in A rt. 1
Abs. 1(b) definiert als „peoples in independent countries w ho are regarded as in­
digenous on account of their descent from the populations w hich inhabited the
country, or a geographical region to w hich the co un try belongs, at the time of con­
quest or colonisation or the establishm ent of present state boundaries and who,
irrespective of their legal status, retain some or all of their own social, econom ic,
cultural and p o litical in stitutio n s“. Des w eiteren bezieht sich die K onvention in
A rt. 1 Abs. 1(a) auch auf Stam m esvölker, „whose social, cultural and econom ic
conditions distinguish them from other sections of the national com m unity, and
whose status is regulated w h o lly o r p artly b y their ow n custom s or traditions or
b y special laws or regulatio ns“.
U nabhängig von dieser definitorischen U nterscheidung zw ischen Stam m es­
und indigenen V ö lkern 48 ist bedeutsam , daß beide G ruppen ausdrücklich als V ö l­
ker bezeichnet w erden und ihnen bescheinigt w ird , daß sie einen beachtlichen
B eitrag zur kulturellen V ielfalt, zur sozialen und ökologischen H arm onie unter
den V ölkern und zum gegenseitigen V erständnis geleistet haben. Die Staaten w er­
den in A rt. 2 zum Schutz und zu r Förderung der indigenen V ölker verpflichtet.
A nders als in der paternalistisch ausgerichteten K onvention 107 sind die Schutz­
adressaten aber nunm ehr berechtigt, über ihr Schicksal m itzubestim m en. E indeu­
tig bestim m t A rt. 6: „In ap p lyin g the provisions of this C onvention, governm ents
shall: (a) consult the peoples concerned, through appropriate procedures and in
particular through their representative institutions, w henever consideration is
being given to legislative or adm inistrative m easures w hich m ay affect them d i­
rectly; (b) establish means b y w hich these peoples can freely participate, to at least
the same extent as other sectors of the population, at all levels of decision-m aking
in elective institutions and adm inistrative and other bodies responsible for policies
and program m es w hich concern them
46 D eutscher Text in: Tom uschat, a.a.O ., D okum ent Nr. 19, 184 ff.
47 Vgl. H a n s-Jo a ch im H eintze, The Protection of Indigenous Peoples U nder the ILO C o n ­
vention, in: M ich a el B oth e, T hom as K u rz id em , Christian S ch m id t (H rsg.), A m azonia and
Siberia (D ordrecht 1993) 310ff.
48 N ach der E inschätzung von T hornberry leben Stam m esvölker vor allem in Asien und
A frika, w ährend indigene V ölker eher in Lateinam erika zu finden sind. Vgl. Patrick Thorn­
berry, International L aw and the R ights of M inorities (O xford 1991) 338.
In dig ene V ö lk er un d das Selb stb e stim m un gsrec h t
235
A rt. 3 verbietet jede D iskrim in ierung von indigenen V ölkern und die A u s­
übung von Z w ang ihnen gegenüber. Ihre M enschenrechte sind zu achten, und ihre
Identität ist zu schützen. N ach A rt. 7 können die indigenen V ölker eigene P rio ri­
täten für ihre E ntw icklung festlegen. H insichtlich des Eigentum s und des Besitzes
spielt insbesondere die A n erkennung ihres Rechts auf ihr Land eine R olle, was die
A usübung von E rw erb stätigkeit und traditionellen A ktivitäten einschließt. N ach
A rt. 15 haben die indigenen V ölker ein B eteiligungsrecht an den natürlichen R es­
sourcen ihres Landes. Eine U m siedlung darf gemäß A rt. 16 nur bei unbedingter
N o tw en digkeit und m it freier Zustim m ung der Betroffenen erfolgen. N ach dem
Entfallen der G ründe für die U m siedlung sollen indigene V ö lker auf ihr u r­
sprüngliches Land zurückkeh ren können. N ach A rt. 20 sind Förderm aßnahm en
(sog. A ffirm ative A ction) bei der Beschäftigung und den A rbeitsbedingungen z u ­
lässig. Zu fördern sind auch die traditionellen w irtschaftlichen A ktivitäten, das
geistige W ohlbefinden und eigene B ildungseinrichtungen.
D ie K onvention 169 schreibt ko llektive Rechte fest und vollzieht dam it eine
deutliche A bkehr von den individualrechtlichen A nsprüchen des M enschen­
rechts- und auch des M inderheitenschutzes49. D ie kollektiven A nsprüche bezie­
hen sich vor allem auf das R echt auf traditionelles Land, auf das R echt, eigene
repräsentative Institutionen zu schaffen, die bei allen indigenen B elangen ko n sul­
tiert w erden m üssen und das R echt, die eigenen Institutionen und Bräuche b eizu­
behalten. D am it gehen die indigenen Rechte eindeutig über die M inderheiten­
rechte hinaus und stellen eine w esentliche Innovation des völkerrechtlichen M enschcnrechtsschutzes dar: „ ...th e focus of C onvention 169 is on indigenous
peoples as collectivities - w hen rights are recognized, as in case of land ow nership,
indigenous peoples as such are identified as the righ ts-h o ldin g en tities“50.
Insgesam t spricht die K onvention den indigenen V ölkern eine beschränkte Per­
sonalautonom ie als subjektives Recht zu51. D urch diese H erangehensw eise an die
Rechte der indigenen V ö lker stellt sich die Frage, in w iew eit ihnen auch das um fas­
sendste G ruppenrecht, näm lich das Selbstbestim m ungsrecht, zugestanden w ird.
Vor dieser K onsequenz schreckten die A utoren der K onvention 169 zurück. O b­
w ohl die Konvention ausdrücklich die V olksqualität der Indigenen bestätigt, ver­
w eigert sie ihnen in A rt. 1 Abs. 3 kategorisch die „Rechte, die nach dem V ö lker­
recht m it diesem A usd ruck verbunden werden können“. D iese K lausel trägt
K om prom ißcharakter und w urd e notw endig, w eil einige Staaten unter der Füh­
rung von Kanada versucht hatten, eine ausdrückliche V erw eigerung des A n ­
spruchs auf das Selbstbestim m ungsrecht für indigene V ö lker festzuschreiben.
Berman sieht A rt. I Abs. 3 zutreffend „as a Sta tem en t of abstention, based on the
49 S. J a m e s Anaya, The H um an R ights of Indigenous Peoples, in: Felipe G o m ez Isa, K o e n de
Fey ter (H rsg.), International Protection of H um an R ights: A chievem ents and C hallenges
(Bilbao 2006) 596.
30 H o w a r d Ii. B erm an , Indigenous Peoples and the R ight to Self-D eterm ination, in: A m eri­
can Society of International Law Proceedings (1993) (W ashington 1993) 193.
-, l Nicola Wenzel, Das Spannungsverhältnis zw ischen G ruppenschutz und Individualschutz
im V ölkerrecht (B erlin 2008) 130.
236
H a n s - Jo a c h im H e in tze
lim ited m andate of the ILO as a Specialized A gen cy w ithin the UN system , in
w hich the organizatio n sought to avoid broader p o litical im plications of its
language“52. In der Tat sind es wohl in erster Linie politische R ücksichten, die die
ILO Konvention 169 insgesam t w idersprüchlich erscheinen lassen. Die A n w en ­
dung des Rechts auf Selbstbestim m ung auf Indigene w ird ausgeschlossen und auf
ein R echt auf die eigene E ntw icklung eingeschränkt53.
Von den m eisten indigenen V ölkern w ird diese B eschränkung allerdings zu ­
rückgew iesen und ein uneingeschränktes Selbstbestim m ungsrecht gefordert54.
A us der Sicht der V ölkerrechtstheorie ändert der Streit um das Selbstbestim ­
m ungsrecht aber nichts an den kollektiven R echten der indigenen Völker. Die
Konvention 169 trat nach der R atifikatio n durch zw ei Staaten am 5 .9 . 1991 in
Kraft, und M itte 2008 gehörten ihr 19 Staaten an, darun ter solche m it großen in ­
digenen B evölkerungsgruppen w ie A rgentinien, B rasilien, M exiko und N o rw e­
gen53. A llerdings haben die U SA , K anada, A ustralien und N euseeland w eder
K onvention 107 noch K onvention 169 ratifiziert. H in zu kom m t, daß die P o litik
den Instrum enten m it einer gew issen G eringschätzung gegenübertritt. Kenn­
zeichnend dafür ist die Stellungnahm e der deutschen B undesregierung: „O hne die
teilw eise beträchtlichen V erbesserungen der ILO -K onvention Nr. 169 .. . schm ä­
lern zu w ollen, muß festgestellt w erden, daß es bisher kaum gelungen ist, die Ver­
folgung und U nterd rücku n g indigener V ölker m it H ilfe internationaler Instru­
mente zu unterb ind en .“56
Daß dies von den O rganisationen der indigenen V ö lker nicht so gesehen w ird,
zeigt die Praxis. D iese O rganisationen fordern die Staaten zur R atifikatio n der
Konvention 169 auf, da sie dam it zur K lärung p raktischer Fragen der indigenen
V ölker W esentliches beitragen könnten. So haben die U ’w a People in K olum bien
erreicht, daß eine von der R egierung ausgestellte L izen z über O lausbeutungsrechte der O ccidental P etroleum -G esellschaft im R eservat der U ’wa durch ein
G ericht nach einer K onsultation m it Vertretern der U ’w a, unter Verweis auf die
Konvention 169, für un gültig erklärt w urde. D anach stellte die R egierung eine
neue L izenz aus, die die O lförderung außerhalb des R eservates, aber auf dem von
den U ’w a noch im m er genutzten Land ihrer V orfahren, betraf. N ach dem Beginn
der Förderung reichte eine kolum bianische G ew erkschaft im N am en der U ’wa
eine B eschw erde nach A rt. 24 der ILO -V erfassung ein, in der behauptet w urde,
daß die R egierung ihren V erpflichtungen aus der K onvention 169 nicht nachkom m e. Der ILO -E xpertenausschuß kam 2001 zu dem Schluß, die R egierung
52 H o w a r d B. B erm a n , a.a.O ., 194.
53 Erhard Spiry, From ,Self-D eterm ination' to a R ight to ,Self-D evelopm ent' for Indigenous
Groups, in: Germ an Yearbook of International Law 38 (Berlin 1995) 140f.
54 Vgl. H elen Q u an e, The Rights of Indigenous Peoples and the D evelopm ent Process, in:
H um an Rights Q u arterly 27 (2005) 663.
55 Englischer Text des Ü bereinkom m ens und R atifikationsstand abrufbar unter: http://
w ww .ilo.org/ilolex/english/convdisp2.htm .
56 D eutscher Bundestag, 12. W ahlperiode, D rucksache 12/8231 vom 4. 7. 1994, 1.
In d ig ene V ö lk e r un d das Selb stb e stim m u n gsrec h t
237
habe ihre K onsultationspflichten hinsichtlich der A usbeutungsrechte verletzt und
em pfahl R echtsschutzm aßnahm en57.
Aktivitäten der Organisation Am erikanischer Staaten (OAS)
Da die meisten indigenen V ölker auf dem am erikanischen K ontinent leben, ver­
w undert es nicht, daß die O A S-G eneralversam m lung 1989 beschloß, ein eigenes
diesbezügliches Instrum ent zu schaffen. D ie Interam erikanische M enschenrechts­
kom m ission nahm 1996 den E ntw urf einer am erikanischen D eklaration über die
Rechte indigener V ö lker an58, der gegenw ärtig durch eine speziell dafür geschaf­
fene A rbeitsgruppe verbessert w ird 59. D ieser A rbeitsgruppe gehören O A S-Experten, V ertreter indigener V ölker und Staatenvertreter an. Inhaltlich orientiert
sich der O A S-E ntw urf stark an der U N -D eklaratio n und unterstreicht die G rup­
penrechte, insbesondere bezüglich des Landes und seiner R essourcen, der K ultur
und der A utonom ie der E ntscheidungskörperschaften.
H insichtlich des Selbstbestim m ungsrechts führt der E ntw urf in A rt. 3 aus:
„W ithin the States, the righ t to self-determ ination of the indigenous peoples is
recognized, pursuant to w hich th ey can define their forms of organization and
prom ote their econom ic, social, and cultural developm ent.“60
D er O A S-E ntw urf bezieht sich eindeutig auf die innerstaatliche D im ension des
Selbstbestim m ungsrechts, denn er gestattet den indigenen V ölkern lediglich,
„their forms of o rgan izatio n “ zu gestalten. A ngesichts dieser E inschränkung des
Selbstbestim m ungsrechts überrascht es, daß die A rt. IV und X X X V II des O A SEntwurfs nochm als unterstreichen, daß die territo riale Integrität der Staaten
unantastbar ist. D em gegenüber erscheint der Verweis auf den „respect for the
dom estic constitutional system “ in A rt. X X X V II durchaus angebracht, denn die
Form en der O rgansiation der indigenen V ölker m üssen sich an der innerstaat­
lichen R echtsordnung orientieren.
D ie langw ierige D iskussion des O A S-E ntw urfes w eist auf die Z urückhaltung
der Staaten m it großen indigenen V ölkern hin, V erpflichtungen gegenüber diesen
G ruppen zu übernehm en. Dies überrascht insofern, als die m eisten latein am erika­
nischen Staaten in der U N -G eneralversam m lung für die U N -D ek laratio n über
die Rechte indigener V ö lker gestim m t und einige auch die ILO -K onvention 169
ratifiziert haben. Vom Standpunkt der V ölkerrechtstheorie w äre die Verabschie­
dung einer O A S-D eklaratio n höchst w ünschensw ert, denn sie w äre ein Instru­
57 Vgl. Anaya, a.a.O ., 597.
.iS |9 9 7 Inter-A m erican H um an Rights C om m ission, A nnua! R eport, in: OEA/ser. L/V/
III.95.doc.7, re v. 1997, 654 ff.
59 Doc. OEA/Ser.G. CAJP-2638/08, 14 M ay 2008; A brufbar unter: http://scm.oas.org/
doc_public/EN G LISH /H IST_08/CP20518E07.DO C.
60 A brufbar
unter:
http://scm.oas.org/doc_public/ENGLISH/HIST_08/DAD IN 0 0 l9 9 E ll.d o c .
238
P la n s -Jo a c h im H e in tze
ment derjenigen Staatengruppe, die sich am stärksten m it der praktischen U m set­
zung des Selbstbestim m ungsrechts indigener G ruppen auseinandersetzen muß.
Insbesondere w äre interessant zu erfahren, w as die in der D eklaration 111 A rt. 3 ge­
brauchte Form el von „their forms of o rganizatio n “ in der Praxis bedeutet.
N eben der O A S hat das Inter-A m erikanische M enschenrechtssystem einen w e­
sentlichen B eitrag zur A ufarbeitung von M enschenrechtsverletzungen gegenüber
A ngehörigen indigener V ölker geleistet61. F reilich bezogen sich die m enschen­
rechtlichen Verfahren auf in dividuelle Fälle und nicht auf das Selbstbestim m ungs­
recht der indigenen Völker. D ennoch hat die Interam erikanische M enschenrechts­
kom m ission zw eifellos einen erheblichen Einfluß auf die M einungsbildung in
L ateinam erika ausgeübt und so das Problem der Rechte der Indigenen auf die
politische T agesordnung gesetzt.
Aktivitäten der Vereinten N ationen (UN O)
D ie Initiativen der ILO und das allgem ein gew achsene M enschenrechtsbew ußt­
sein veranlaßten die U N O , sich ebenfalls den R echten indigener V ölkern zu zu ­
w enden. E rm utigt w urd e die W eltorganisation auch durch die Erfolge, die sie im
R ahm en der E ntkolonisierung - eine der wenigen E rfolgsgeschichten der U N O erreicht hatte. A uf B eschluß des E C O SO C kam das T hem a 1971 auf den A rb eits­
plan der „U nterkom m ission zur V erhütung von D iskrim inierungen und zum
Schutz der M in d erh eiten “, einem Expertengrem ium der U N -M enschenrechtskom m ission. In diesem G rem ium erarbeitete ab 1982 eine spezielle „W orking
G roup on Indigenous P opulations“, unter m aßgeblicher Leitung der rührigen
griechischen V ö lkerrechtlerin Erica-Irene A. Daes, zu r V erhütung von D iskrim i­
nierung und für M inderheitenschutz eine „Draft D eclaration on the R ights of In­
digenous Peoples“, die 1992 der M enschenrechtskom m ission vorgelegt w urde62.
D ie Experten konnten sich bei der A usarbeitung auf m ehrere detaillierte Stu­
dien von Spezialberichterstattern stützen. Zu verw eisen ist insbesondere auf die
grundlegende und vielzitierte Studie von M artinez Cobo z u r D iskrim inierung der
U rbevölkerungen63 und der 1998 abgeschlossene B ericht von Alfonso M artinez
über Verträge zw ischen Staaten und autochthonen V ö lkern 64. W eitere Studien be­
61 Siehe die N achw eise bei J o M. P asq ualu cci , The Evolution of International Indigenous
Rights in the Inter-A m erican H um an Rights System , in: H um an R ights Law Review 6 (2006)
28! ff.
62 U N Doc. E/CN. 4/Sub. 2/1992/28. Vgl. zur Entstehungsgeschichte E rica-Iren e A. Daes,
The Spirit and Letter of the R ight to Self-D eterm ination of Indigenous Peoples: Reflections
on the M aking of the U nited N ations Draft D eclaration, in: Pekka Aikio, M artin Scheinin
(H rsg.), O perationalizing the Right of Indigenous Peoples to Self-D eterm ination (Abo 2000)
67 ff."
63 U N Doc. E/CN. 4/Sub. 2/1983/21/Add. 4.
64 U N Doc. E/CN. 4/Sub. 2/1998/17.
Indigene V ö lk e r un d das S elbstbe stim m un gsrec ht
239
ziehen sich auf das kulturelle und in tellektuelle Eigentum von autochthonen V öl­
kern65 und auf die B eziehung der U rein w oh n er zum Land66.
Schon die Them en und die Zahl der Berichte m achen deutlich, daß die U n ter­
kom m ission das Them a der Indigenen sehr ernst nahm. A llerdings ist auffällig,
daß die B erichterstatter das T hem a des Selbstbestim m ungsrechts um gingen. Die
dennoch sehr um fangreiche Befassung mit dem Selbstbestim m ungsrecht der in di­
genen V ölker w ar zw eifellos vor allem dem D ruck geschuldet, den die O rgan isa­
tionen der Indigenen, die an der A rbeit der U N -M enschenrechtskom m ission zu
diesem Them a m itw irkten, ausübten. D aher kann es nicht verw undern, daß der
bekannte Experte Rodolfo Stavenbagen 2001 zum Spezialberichterstatter zu dem
um fassenden Them a der Lage der M enschenrechte und G rundfreiheiten von in di­
genen V ölkern berufen w urd e67. Z w ischenzeitlich hatte sich auch die U N -G eneralversam m lung des Them as angenom m en und 1993 zum Jah r der indigenen V öl­
ker ausgerufen68, das schließlich sogar in eine D ekade der Rechte indigener V öl­
ker (1994-2003) m ündete69. A ngesichts einer derartig großen A ufm erksam keit
sah sich die G eneralversam m lung veranlaßt, sich m it der bereits von der M en­
schenrechtskom m ission angenom m enen D eklaration über die Rechte indigener
V ölker zu befassen.
D er H öhepunkt w ar die A nnahm e der D eklaration über die Rechte indigener
V ölker m it 143 gegen vier Stim m en bei elf E nthaltungen. D ies belegt eine breite
Z ustim m ung der Staatengem einschaft. A uch in der w issenschaftlichen L iteratur
w urde das D okum ent begrüßt und unterstrichen, daß das Selbstbestim m ungs­
recht der Indigenen als „M inim alstandard“ anzusehen sei70. Doch die A ufnahm e
des Selbstbestim m ungsrechts für indigene V ölker in die E rklärung ist lediglich ein
propagandistischer Erfolg, der m it einer m angelhaften A usgestaltung der A uto ­
nom ierechte erkauft w urde. Insofern kann man von der Selbstbestim m ungsforde­
rung als einer „Sackgasse“ sprechen.
Die Selbstbestimmungsforderung als Sackgasse
In der L iteratur w ird das Selbstbestim m ungsrecht verschiedentlich als eine
„Falle“ für solche V ö lker oder M inderheiten angesehen, die m einen, daraus einen
R echtsanspruch auf die Schaffung eines eigenen Staates ableiten zu können71. A r­
65 U N Doc. E/CN. 4/Sub. 2/1993/28.
66 U N Doc. E/CN. 4/Sub. 2/2001/21.
67 Sein bislang letzter Bericht befindet sich in U N -D oc. E/CN.4/2006/78.
68 U N -D oc. A/RES/45/164. Vgl. zur Bew ertung dieser M aßnahm e A lexander M. S tu y t , The
U N Year of Indigenous Peoples 1993 - som e Latin A m erican Perspectives, in: N etherlands
International Law R eview 15 (1993) 4 4 9ff.
69 U N -D oc. A/RES/49/214.
70 G e o r g Nolte, K ulturelle Vielfalt als H erausforderung für das V ölkerrecht, in: Berichte der
Deutschen Gesellschaft für V ölkerrecht 43 (H eidelberg 2008) 23.
71 M arc Weller, The Self-determ ination Trap, in: E thnopolitics 4 (2005) 3. Suksi, a.a.O . for-
240
H a n s- Jo a c h im H e in tze
gum entiert w ird , die Selbstbestim m ungsforderung verursache vielfach blutige
Sezessionskriege, die allesam t nicht zum Erfolg führten72. E inzig bei Bangladesh
führte die G ew altanw endung m it H ilfe des N achbarstaates Indien schließlich zur
Schaffung eines eigenen Staates73. V ö llig zutreffend w ird der B angladesh-F all als
N ach w irkun g einer E ntkolonisierung angesehen - B angladesh trennte sich vom
w eit entfernten W estpakistan ab - und in der L iteratur als die A usnahm e bezeich­
net, die die R egel des Verbotes der V erletzung der territo rialen Integrität bestätigt74.
In allen anderen Fällen bedurfte es anderer R echtstitel als des Selbstbestim ­
m ungsrechts zur B ildung neuer Staaten. Diese w aren bei den N achfolgestaaten
der Sow jetunion und Jugo slaw ien s die nationalen Verfassungen, bei der A uflö ­
sung der T schechoslow akei eine V ereinbarung, bei Eritrea die V erletzung der Ver­
pflichtungen der Treuhandm acht Ä thiopien, bei O sttim or die E ntkolonialisie­
rung etc. A uch die E ntstehung des Staates Kosovo ist kein Beispiel für eine ge­
w altsam e D urchsetzung eines Selbstbestim m ungsanspruchs, sondern eine R eak­
tion der Staatengem einschaft auf Verbrechen gegen die M enschlichkeit, die durch
den eigenen Staat gegenüber einer V olksgruppe begangen w urden.
Daß bislang außerhalb der E ntkolonisierung keine Staaten auf der G rundlage
des Selbstbestim m ungsrechts der V ölker entstanden sind, hat eine einfache U rsa­
che. D iese R echtsnorm steht näm lich im G egensatz zu der gleichrangigen vö lk er­
rechtlichen V erpflichtung zu r A ch tun g der territorialen Integrität der Staaten.
B islang gab die Staatengem einschaft letzterer eindeutig den Vorrang. W ie stark
der R espekt vor der territo rialen Integrität der Staaten ist, w ird anschaulich an
dem U m stand, daß auch die aus der E ntkolonisierung hervorgegangen Staaten
verpflichtet w aren, die G renzziehungen der K olonialm acht zu respektieren (uti
possidetis-Prinzip)75. D am it sollte verm ieden w erden, daß die A usübung des
Selbstbestim m ungsrechts zu neuem U nrecht gegenüber A ngehörigen anderer
V ölker füh rt76. A llerd ings bedeutet die V erpflichtung z u r A chtung bestehender
(w illkü rlich durch K olonialm ächte entsprechend ihrer Interessen festgelegter)
G renzen auch eine erhebliche E inschränkung der Befugnis von V ölkern, über ihr
Schicksal tatsächlich selbst zu bestim m en. In der L iteratu r w urde deshalb prä-
dert, den „Deckel auf dem Topf“ zu lassen und die Selbstbestim m ungsforderung nicht her­
auszulassen.
72 Cassese prägte deshalb den Begriff der „Janus-likc nature“ des Selbstbestim m ungsrechts.
Vgl. A ntonio Cassese, Self-D eterm ination of Peoples. A Legal R eappraisal (C am bridge 1995)
5.
73 Vgl. die N achw eise bei Ott, a.a.O ., 240.
74 So Patrick H ön ig, Der K aschm irkonflikt und das R echt der V ölker auf Selbstbestim m ung
(Berlin 2000) 241.
75 Vgl. Frank W ooldridge, U ti Possidetis Doctrine, in: R u d o lf B er n h a rd t (H rsg.), E ncyclo­
pedia of Public International Law Vol. 4 (Am sterdam 2000) 1259ff.
76 Vgl. H a n sp eter N eu h old , Selbstbestim m ungsrecht der Völker, M inderheitenschutz - D e­
m okratie - Integration: A usw ege aus einem D ilem m a?, in: Erich R eiter (H rsg.), M aßnahm en
zur internationalen Friedenssicherung (G raz 1998) 19.
Indig ene V ö lk e r un d das S elbstbe stim m un gsrec ht
241
gnant vom Selbstbestim m ungsrecht als dem „O pium für die V ö lker"77 oder von
einer „A ufputschdroge“78 gesprochen.
A llerdings kann daraus nicht abgeleitet w erden, die N orm des Selbstbestim ­
m ungsrechts sei bedeutungslos. V ielm ehr um faßt das Selbstbestim m ungsrecht
zw ei A spekte, einen äußeren und einen inneren. N ur der äußere ist auf die Verän­
derung des T erritorialstatus gerichtet und som it hinsichtlich der territorialen Inte­
grität von B elang79. D em gegenüber bezieht sich der innere A spekt auf die Verfaßtheit und die R echtsordnung des G ebiets. W ie die Staatenpraxis belegt, ist diese
Kom ponente von höchster W ichtigkeit. Sie berechtigt die V ölker, in dem jenigen
politischen System zu leben, das ihrem W illen entspricht. D am it w ohnt dem
Selbstbestim m ungsrecht ein zutiefst dem okratisches M om ent inne, das letztlich
zur Selbstverw altung und territo rialen A utonom ie führen kann. Ebendies ist für
indigene V ölker, die über Jah rh un derte ausgebeutet und un terdrückt w urden, ent­
scheidend. Zu fragen ist folglich, w ie dieser A spekt in der D eklaration um gesetzt
w urde.
Unbefriedigende Ausgestaltung des inneren
Selbstbestimmungsrechts
O ffensichtlich haben die A utoren der D eklaration ihr hauptsächliches A ugen ­
m erk darauf gerichtet, das Selbstbestim m ungsrecht unbedingt als term inus technicus aufzunehm en. H insichtlich der inhaltlichen A usgestaltung kam es dann al­
lerdings zu einigen W idersprüchlichkeiten und Schw ächen, die insbesondere an
dem U m stand offenkundig w erden, daß den indigenen V ölkern de facto nur ein
inneres Selbstbestim m ungsrecht zugeb illigt w ird 80. Das zeigt sich am deutlichsten
am V erhältnis von A rt. 3 und A rt. 4. A rt. 3 bescheinigt - w ie bereits dargestellt
w urde - den indigenen V ölkern das Selbstbestim m ungsrecht. A rt. 4 hingegen
schränkt es w ieder ein:
„Indigenous peoples, in exercising their right to self-determ ination, have the
right to autonom y or self-governm ent in m atters relating to their internal and
local affairs, as w ell as w ays and means for financing their autonom ous functions.“
W ährend in ersterem den indigenen V ölkern ein allum fassendes Selbstbestim m ungsrecht eingeräum t w ird, b illigt ihnen A rt. 4 „bei der A usübung ihres Selbst­
bestim m ungsrechts“ ein Recht auf A utonom ie oder Selbstverw altung bei Fragen
zu, die ihre inneren und lokalen A ngelegenheiten betreffen. Dies ist schlechteru J ö r g Fisch, Das Selbstbestim m ungsrecht - O pium für die Völker, in: Erich R eiter (H rsg.),
G renzen des Selbstbestim m ungsrechts (G raz 1996) 11 ff.
78 N eu hold, a.a.O., 19.
79 R ü d i g e r Wolfrum, The Protection of Indigenous Peoples in International Law, in: Z eit­
schrift für ausländisches öffentliches R echt und V ölkerrecht 59 (1999) 381.
80 Caroline E. Foster, A rticulatio n of Self-D eterm ination in the D raft D eclaration on the
Rights of Indigenous Peoples, in: European Jo urnal of International Law 12 (2001) 145.
242
H a n s - Jo a c h im H e in tze
dings w idersprüchlich, da das in A rt. 3 verankerte Selbstbestim m ungsrecht z w ei­
fellos ohnehin solche Rechtsansprüche beinhaltet. Rechtstechnisch betrachtet ist
A rt. 4 die lex specialis zu A rt. 3, bedeutet aber letztlich eine B egrenzung des um ­
fassenden Selbstbestim m ungsrechts auf seinen inneren A spekt. D am it bestätigt
sich die in der L iteratu r getroffene E inschätzung, w onach sich ein spezifisches
Selbstbestim m ungsrecht der indigenen V ölker herausbildet81. M ittlerw eile w ird
dies nicht mehr nur von W issenschaftlern so gesehen, denn G roßbritannien un ter­
stützte bei seiner Stim m abgabe zur D eklaration ausdrücklich diesen Standpunkt,
indem es ein neues und unterscheidbares Selbstbestim m ungsrecht für indigene
V ölker identifizierte, das nur innerhalb eines Staates ausgeübt w erden könne82.
Som it schließt das Selbstbestim m ungsrecht der indigenen V ölker die Sezession
aus und beinhaltet stattdessen einen subjektiven A nspruch indigener V ölker auf
A utonom ie83. Z w eifellos ist die erstm alige Festschreibung eines solchen R echts­
anspruchs ein D urchbruch, denn das Them a „A utonom ie“ ist im V ölkerrecht
nach w ie vor ein „heißes E isen“84. A llerdings ist das A utonom ieverständnis von
A rt. 4 im V ergleich zu anderen territorialen A utonom ieregelungen bezüglich eth­
nischer M inderheiten85 enger, denn es ist eingeschränkt auf die A ngelegenheiten
der indigenen Völker.
D ie D eklaration folgt einem anderen A nsatz als dem ausschließlich m enschen­
rechtlichen, denn es w erden neben den individuellen Freiheitsrechten auch k o l­
lektive Rechte der indigenen V ö lker aufgelistet. W orauf sich die kollektiven A u ­
tonom ierechte beziehen, m acht A rt. 5 deutlich. D em nach m üssen die politischen,
rechtlichen, w irtschaftlichen, sozialen und kulturellen Institutionen der Indige­
nen bew ahrt und gestärkt w erden. Zudem haben diese das Recht auf um fassende
Teilhabe an entsprechenden A ktivitäten in ihrem H eim atstaat, sofern sie das w ü n ­
schen:
„Indigenous peoples have the right to m aintain and strengthen their distinct po­
litical, legal, econom ic, social and cultural institutions, w h ile retaining their right
to participate fully, if th ey so choose, in the p o litical, econom ic, social and cultural
life of the State.“
81 So Patrick T h ornberry, Indigenous peoples and H um an R ights (M anchester 2002) 385.
S2 „as prom oting the developm ent of a new and distinct right of self-determ ination, specific
to indigenous peoples. She understood the ,righ t“ set out in article 3 of the D eclaration to be
separate and different from the existing right of all peoples to self-determ ination in interna­
tional law. Subsequent articles of the D eclaration sought to set out the content of that new
,right' w hich was to be exercised, w here it applied, w ithin the territo ry of a State and was not
intended to im pact in any w a y on the political un ity or territo rial in tegrity of existing States.“
83 Zutreffend hebt Sim on hervor, daß es den indigenen V ölkern vorrangig um die L andnut­
zung geht. G leichw ohl ist dies ein spezieller A spekt von A utonom ieregelungen, so daß hier
eine detaillierte A usform ung dieses A spekts des inneren Selbstbestim m ungsrechts notw en­
dig gewesen wäre. Siehe Stefan S im on , Autonom ie und V ölkerrecht (Baden-Baden 2000)
103
f.
84 Vgl. dazu ITans-Joachim H e in t z e , The Lund R ecom m endations on Effective Participation
of N ational M inorities in Public Life, in: O SCE Yearbook 6 (2000) (Baden-B aden 2001) 257.
85 Vgl. G u d m u n d u r A lfredsson, Indigenous Peoples and A utonom y, in: Markka Suksi, A u ­
tonom y: A pplications and Im plications (The H ague 1998) 132.
Indig ene V ö lk e r u n d das S elbstbe stim m un gsrec ht
243
D ie m it Art. 5 vorgenom m ene A usform ung der A utonom ierechte geht nicht
über klassische M inderheitenrechte hinaus, so daß die D eklaration das Selbstbestim m ungsrecht in einer sehr verengten A uslegung anwendet. A uch berechtigen
sonstige A utonom ieausform ungen grundsätzlich die betroffenen M inderheiten
zum eist zur Schaffung eigener Institutionen86; die vorliegende R egelung hingegen
gestattet lediglich die B ew ahrung bereits existierender Institutionen:
„A rticle 20
1.
Indigenous peoples have the right to m aintain and develop their political,
econom ic and social system s or institutions, to be secure in the enjoym ent of their
ow n means of subsistence and developm ent, and to engage freely in all their tradi­
tional and other econom ic a c tiv itie s...“
L eider trägt die D eklaration dam it nicht zu r K lärung p raktischer Fragen bei,
die beispielhaft im Fall Lovelace v. C anada auftraten87. D abei ging es darum , daß
der gebürtigen M aliseet-Indianerin Lovelace, die nach der H eirat mit einem nicht­
indianischen Ehem ann ihren Status als Stam m esangehörige verloren hatte, nach
der Scheidung die R ückkeh r in ihr H eim atreservat verw ehrt w urde. G rundlage
dafür w ar sow ohl die kanadische als auch die Stam m esgesetzgebung. G egen diese
R egelungen klagte Frau Lovelace auf der G rundlage des U N -M enschenrechtspaktes vor dem M enschenrechtsausschuß. D ieser entschied, bei der V erw eigerung
der R ückkeh r Lovelaces in ih r Iiein iatreserv at handle es sich um eine D iskrim i­
nierung und deshalb m üssten die einschlägigen R egelungen geändert w erden. Ka­
nada hob daraufhin 1985 das kritisierte G esetz auf88. D ennoch konnte Frau Love­
lace nicht in das R eservat zurückkehren, w eil sich die M aliseet un ter Verweis auf
ihre A utonom ie w eigerten, die diesbezügliche R egelung aufzuheben. In der L ite­
ratur w ird daher auf die G efahr verw iesen, daß sich der A utonom iestatus einer
G em einschaft gegen die E inzelnen dieser G em einschaft w enden kann. D eshalb
w ird gefordert, einem Staat Schutzpflichten zugunsten eines Einzelnen gegen die
autonom e Einheit aufzuerlegen89.
So überzeugend dieser A nspruch aus der Sicht des klassischen M enschenrechts­
schutzes zunächst auch klin gt, so tut sich dennoch ein W iderspruch zu der zuge­
sagten A utonom ie indigener V ö lker in ihren A ngelegenheiten auf. Von der D ekla­
ration hätte man eine K lärung derartiger U nstim m igkeiten im System der A u to ­
nom ieregelungen erw artet, um so m ehr R echtssicherheit zu schaffen. Leider
w urde die C hance nicht genutzt. Stattdessen w iederholt A rt. 33 lediglich eine
w ohlbekannte Form el:
„1. Indigenous peoples have the right to determ ine their ow n id en tity or m em ­
bership in accordance w ith their custom s and traditions [...]
86 Felix Ermacora, A utonom ie als innere Selbstbestim m ung, in: A rchiv des V ölkerrechts
(2000) 296.
87 N äheres bei M a n fr e d N owak, C C P R -K om m entar (Kehl 1999) 530.
88 N äheres bei H a rald Moll, First N ations, First Voices (Berlin 2006) 34 f.
89 So Eckart Klein, D iskussionsbeitrag, in: Berichte der D eutschen G esellschaft für V ö lk er­
recht 43 (2007) (H eidelberg 2008) 118/’
244
H a n s-J o a c h im H e in tz e
2. Indigenous peoples have the right to determ ine the structures and to select
the m em bership of their institutions in accordance w ith their own procedures.“
N och ko m p lizierter w ird die R echtslage dadurch, daß A rt. 34 den Fortbestand
der indigenen R echtsordnung garantiert, solange diese nicht den M enschenrech­
ten w iderspricht:
„Indigenous peoples have the right to prom ote, develop and m aintain theninstitutional structures and their distinctive custom s, spirituality, traditions, pro­
cedures, practices and, in the cases w here th ey exist, juridical system s or custom s,
in accordance w ith international hum an rights stan dards.“
D er Fall Lovelace v. C anada m acht schlaglichtartig die Problem e deutlich, die
daraus resultieren, daß zw ar die Staaten m enschenrechtlichen Verträgen angehö­
ren, nicht aber autonom e E inheiten, denen zudem der Fortbestand ihrer „juridical
system s“ zugesagt w urde. D ie im A rt. 34 niedergelegte Schranke, w onach diese
R echtssystem e internationalen M enschenrechtsstandards entsprechen m üssen, ist
w enig aussagekräftig. G erade hinsichtlich der G leichberechtigung der G eschlech­
ter und der K indererziehung tun sich in der R egel viele W idersprüche auf, so daß
die F orm ulierung in der D eklaration nicht hilfreich ist. Dies ist als erheblicher
M angel anzusehen.
Zu begrüßen ist das in A rt. 8 niedergelegte Verbot der Z w angsassim ilation, das
die Staaten auch verpflichtet, R echtsm ittel gegen V erletzungen dieses Verbots zur
V erfügung zu stellen. Verboten ist:
„(a) A n y action w hich has the aim or effect of depriving them [die indigenen
V ölker] of their in tegrity as distinct peoples, or of their cultural values or ethnic
identities;
(b) A n y action w hich has the aim or effect of dispossessing them of their lands,
territories or resources;
(c) A n y form of forced population transfer w hich has the aim or effect of vio la­
ting or underm ining an y of their rights;
(d) A n y form of forced assim ilation or integration;
(e) A n y form of propaganda designed to prom ote or incite racial or ethnic dis­
crim ination directed against them .“
D ie Forderungen sind w eitreichend und deshalb vielfach schw er um zusetzen.
Insbesondere das Verbot der R assenhetze, das bereits in A rt. 4 der U N -K onvention über die B eseitigung aller Form en der R assendiskrim inierung vom 7. 3.
196690 niedergelegt ist, bereitet in der Praxis w egen der K ollision m it der M ei­
nungsfreiheit im m er w ied er Problem e91. O bw ohl der U N -A n tirassism usausschuß schon 1993 die V ereinbarkeit des Verbots der R assenhetze m it der M ei­
90 BG Bl. 1969 II, 962.
91 Das w urde auf dem „Expert M eeting on the links between articles 19 and 20 of the
IC C P R : Freedom of expression and advocacy of religious hatred that constitutes incitem ent
to discrim ination, h o stility or violence, O ctober 2 -3 , 2008“, erneut deutlich. K onferenzdo­
kum entation abrufbar unter: http://www2.ohchr.org/english/issues/opinion/articlesl920_
iccpr/index.htm.
Indig ene V ö lk e r und das S elbstbestim m un gsrecht
245
nungsfreiheit festgestellt hat92, vertreten Staaten und G erichte im m er w ieder
andere A uffassungen. D aher ist die erneute B ekräftigung des Verbots der A uf­
hetzung zum Rassenhaß in der D eklaration durchaus notw endig.
Von großer praktischer R elevanz ist auch das V ertreibungsverbot in A rt. 10:
„Indigenous peoples shall not be fo rcib ly removed from their lands or territo ­
ries. N o relocation shall take place w ith o u t the free, prior and inform ed consent of
the indigenous peoples concerned and after agreem ent on just and fair com pensa­
tion and, w here possible, w ith the option of retu rn .“
Das V ertreibungsverbot ist als K ollektivrecht ausgestaltet und w eist dam it eine
enge V erbindung zum Selbstbestim m ungsrecht auf, speziell zum R echt auf die
H eim at93. A rt. 10 verbietet die zw angsw eise V ertreibung, eine B estim m ung, die in
dieser K larheit lediglich aus dem hum anitären V ölkerrecht bekannt ist und dam it
über den allgem einen M enschenrechtsschutz hinausgeht.
G eschützt sind w eiterhin die ku lturellen T raditionen, der G laube und die Spra­
chen der indigenen V ölker (A rt. 11 ff.). D ie in den folgenden A rtikeln aufgeliste­
ten bürgerlichen, sozialen und w irtschaftlichen Rechte w eisen keinen direkten Be­
zug zum Selbstbestim m ungsrecht auf. D am it unterscheiden sie sich grundsätzlich
von den detaillierten B estim m ungen zum Recht auf das Land und seine R esso ur­
cen. Das Recht auf das Land, die G ebiete und R essourcen, die die indigenen V öl­
ker trad ition ell besessen haben, ist in A rt. 26 verankert. D ie Staaten m üssen die­
sem Land rechtliche A n erkennung und R echtschutz gew ähren. D och bleibt offen,
wem die B odenschätze in diesen G ebieten eigentlich zustehen. W ährend der A us­
arbeitungsphase hatten sich die N G O s indigener V ölker noch 2006 erfolglos für
eine klarere Festschreibung des A nspruchs dieser V ölker auf die Bodenschätze
ausgesprochen94.
A us dem W ortlaut geht som it nicht hervor, daß sich „ein m odernes K onzept
des Selbstbestim m ungsrechts“ h erausgebildet hat, das das R echt über das Land
und seine Bodenschätze einschließt95. H ierbei ist zu berücksichtigen, daß das V öl­
kerrecht seit langem ein Recht der V ölker „auf den G enuß und die freie N utzung
ihrer natürlichen R eichtüm er und M ittel“ kennt. D ieses Prinzip w ar schon 1962
92 „4. In the opinion of the C om m ittee, the prohibition of the dissem ination of all ideas
based upon racial su perio rity or hatred is com patible w ith the right to freedom of opinion
and expression. This right is em bodied in article 19 of the U niversal D eclaration of H um an
Rights and is recalled in article 5 (d) (viii) o! the International C onvention on the E lim ination
of A ll Forms of Racial D iscrim ination. Its relevance to article 4 is noted in the article itself.
The citizen ’s exercise of this right carries special duties and responsibilities, specified in arti­
cle 29, paragraph 2, of the U niversal D eclaration, among w hich the obligation not to disse­
minate racist ideas is of particular im portance. The C om m ittee wishes, furtherm ore, to draw
to the attention of States parties article 20 of the International C ovenant on C ivil and P o liti­
cal Rights, according to w hich any advocacy of national, racial or religious hatred that con­
stitutes incitem ent to discrim ination, h o stility or violence shall be prohibited b y law .“
93 Vgl. zum territorialen A spekt des Selbstbestim m ungsrechts H a n s-Jo a ch im H ein tz e in:
K n u t Ipsen, Völkerrecht (M ünchen 52004) 395 ff.
94 U N -D oc. E/CN.4/2006/79, para. 24.
93 So behauptet von E rica-Iren e A. D aes, Special R apporteur, Indigenous Peoples’ Perm a­
nent Sovereignty over N atura] R esources, U N -D oc. E/CN.4/Sub.2/2004/30, para. 17.
246
H a n s - Jo a c h im H e in tz e
G egenstand der UN-R.es. A/1803 (X V II) und fand seine vertragsrechtlichen N ie­
derschlag bereits 1966 in A rt. 47 des U N -P aktes über bürgerliche und politische
Rechte. Freilich sind als Träger dieses Rechts die Staatsvölker bzw. die unter K o­
lonialherrschaft stehenden V ölker anzusehen. M it der Z uerkennung des Selbstbestim m ungsrechts an indigene V ö lker entsteht som it nun die K om plikation, daß
zw ei anspruchsberechtigte G ruppen einander gegenüberstehen (können).
Zusam m enfassend ist festzustellen, daß der Verweis auf das Selbstbestim ­
m ungsrecht in der neuen U N -D eklaratio n nicht zur H erausb ildun g eines eigenen
Inhalts dieses Rechts für indigene V ölker geführt hat. V ielm ehr handelt es sich bei
der D eklaration um eine A uflistun g und K onkretisierung von A nsprüchen, die
aus der A utonom ie und dem V erhältnis der indigenen V ölker zu ihrem Land und
ihren T raditionen resultieren. Bei der B ezugnahm e auf das Selbstbestim m ungs­
recht handelt es sich eher um eine H ülle, deren Inhalt aber nicht offenbart w ird.
Insbesondere verm ißt man detaillierte K larstellungen zum R echt auf politische
Teilhabe indigener Völker, einem A spekt, der im Zentrum des inneren Selbstbe­
stim m ungsrechts stehen sollte.
Durchsetzung der Rechte von indigenen Völkern
V ielfach w ird argum entiert, ein R echt sei „zahnlos“, w enn es keine R echtsm ittel
zu seiner D urchsetzung gibt. Eine solche B etrachtungsw eise ist für das V ö lker­
recht problem atisch, da die originären Subjekte des V ölkerrechts Staaten sind, die
über Souveränität verfügen. F olglich sind sie dem V ölkerrecht nicht unterw orfen,
sondern seine Schöpfer. Som it ist V ölkerrecht kein durch einen G esetzgeber erlas­
senes R echt, sondern V ereinbarungsrecht96. Staaten schaffen das V ölkerrecht frei­
w illig , und folglich halten sie es grundsätzlich auch freiw illig ein. G erade im M en­
schenrechtsbereich - hier sind die B egünstigten N icht-V ölkerrechtssubjekte, die
der Ju risd ik tio n eines Staates unterliegen - bedarf es aber einer Ü berprüfung, ob
die von den Staaten auf zw ischenstaatlicher Ebene versprochenen V ergünstigun­
gen auch bei den dem Staat unterw orfenen Individuen ankom m en. D eshalb fin­
den sich hinsichtlich der M enschenrechte eine ganze R eihe von D urchsetzungs­
m echanism en, die w iederum durch völkerrechtliche V ereinbarungen zustande
kom m en. Das trifft auch auf das Selbstbestim m ungsrecht der indigenen V ölker
zu.
Da es sich bei dem Selbstbestim m ungsrecht der V ölker um ein Recht handelt,
das im U N -M enschenrechtspakt verankert ist, stellt sich die Frage, in w iew eit die
m enschenrechtlichen D urchsetzungsverfahren für indigene V ö lker von N utzen
sein können. D iese Verfahren sind in den letzten Jahren erheblich verbessert w o r­
den und beziehen sich einerseits auf die D iskussion und B ew ertung von Staaten-
% W olfgan g G r a f Vitzthum, Die Rechtsquellen des V ölkerrechts, in: ders. (H rsg.), V ö lker­
recht (Berlin 22007) 56 f.
Indig ene V ö lk e r u n d das S elbstbe stim m un gsrec ht
247
berichten und andererseits auf Individualbeschw erden über M enschenrechtsver­
letzungen97.
Berichtsverfahren nach dem UN -M enschenrechtspakt
D ie 161 M itgliedsstaaten des U N -P aktes sind verpflichtet, in ihren Staatenberichten regelm äßig alle fünf Jah re auch über die U m setzung des Selbstbestim m ungs­
rechts zu referieren. A usdruck des B eharrens des M enschenrechtsausschusses auf
diesen Inform ationen ist die „A llgem eine B em erkung 12/21 “ 98. D arin w ird un ter­
strichen, daß die B erichtspflicht der Vertragsstaaten gem. A rt. 40 auch das in
A rt. 1 niedergelegte Selbstbestim m ungsrecht der V ö lker einschließt. D ie B ericht­
erstattung muß sich dem nach einerseits auf die innerstaatliche U m setzung des
Selbstbestim m ungsrechts des Staatsvolkes beziehen. A ndererseits verlangt der
A usschuß in dieser A llgem einen B em erkung auch, daß die V erpflichtungen aus
A rt. 1 in V erbindung m it den anderen A rtikeln des Paktes und den R egeln des
V ölkerrechts zu sehen sind. U nter B erücksichtigung der politischen Rechte und
Freiheiten, insbes. der A rt. 19, 21 , 22 und 25 , ergibt sich ein dem okratisches Ele­
ment des M enschenrechts auf Selbstbestim m ung. In der Praxis des M enschen­
rechtsausschusses zeigt sich, daß die Rechte indigener V ölker in einer engen Be­
ziehung zu den M inderheitenrechten gesehen w erden. Zutreffend w ird daher in
der L iteratur die M einung vertreten, daß nicht im m er klar ist, w elchem A rgum en­
tationsm uster - Selbstbestim m ungsrecht oder M inderheitenrecht der indigenen
V ölker - die Staatenberichte folgen99. D ennoch enthalten die B erichte grun dle­
gende Inform ationen über die Lage der U rein w oh n er in vielen Staaten der Erde.
Sie sind dam it eine w ich tige G rundlage für gezielte Verbesserungsvorschläge des
M enschenrechtsausschusses. D a die B erichterstattung regelm äßig erfolgt, kann
die U m setzung der A nregungen durch den A usschuß ko n trolliert und bew ertet
werden. Das betrifft auch so grundlegende Fragen w ie den Status der indigenen
V ölker und die W ahrnehm ung ihres Selbstbestim m ungsrechts, obw ohl die betrof­
fenen Staaten verschiedentlich versuchen, D iskussionen darüber zu verm eiden.
Ein Beispiel für das problem atische V erhältnis zw ischen Staaten und indigenen
V ölkern und deren Selbstbestim m ungsrecht ist Kanada, w o über eine M illio n „ab­
original peoples“ leben100. G leichw ohl verw ies der kanadische B ericht an den
M enschenrechtsausschuß von 2004 darauf, daß das Land seine Position zum
Selbstbestim m ungsrecht bereits gegenüber der W orking G roup zu r A usarbeitung
der D eklaration über die Rechte indigener V ölker dargestellt habe und im Ü b ri­
97 In der gebotenen Kürze überzeugend dargestellt bei M a n fre d N ow ak , E inführung in das
internationale M enschenrechtssystem (W ien 2002) 89 ff.
98 Vgl. dazu Sarah J o s ep h , J e n n y Schultz, Melissa Castan, The International C ovenant on
C ivil and Political Rights (O xford 2000) 99 ff.
99 Wenzel, a.a.O ., 172.
100 H arald Moll, First N ations, First Voices (Berlin 2006) 39.
248
H a n s- J o a c h im H e in tz e
gen Art. 27 des U N -M enschenrechtspaktes - der sich auf den M inderheitenschutz
bezieht - an w en d e101. D er A usschuß drückte in seiner E valuierung Kanadas die
B esorgnis darüber aus, daß das Land m it seiner „alternativen“ P o litik die in dige­
nen Rechte auslöschen könnte. H insichtlich der V erhandlungen m it den „Innu
people of Q uebec“ forderte der A usschuß w eitere Inform ationen an 102. A uch
w urd e bem ängelt, daß Kanada nicht hinreichend über die V erhandlungen über die
Landforderungen der „Lubicon Lake B and“ und die dort stattfindende A usb eu­
tung von O l- und G asvorkom m en berichtet habe103.
Das B eispiel Kanadas belegt, daß sich der M enschenrechtsausschuß detailliert
m it der U m setzung des Selbstbestim m ungsrechts indigener V ö lker beschäftigt.
G erade die V erfügung über die N aturreich tüm er der indigenen V ö lker ist eine
sehr w esentliche K om ponente der auf dem Selbstbestim m ungsrecht fußenden
A utonom ieregelungen. D ie B ehandlung dieser Fragen veranlaßte den A usschuß
auch bei anderen Staaten m it U rbevölkerungen zur Fo rm ulierun g m assiver B e­
so rgn is104. D ie E rörterungen zum Selbstbestim m ungsrecht haben in den letz­
ten Jah ren einen erheblichen B eitrag dazu geleistet, den Inhalt dieser N orm und
ihre praktischen K onsequenzen für indigene V ölker zu klären.
Individualbeschwerdeverfahren
Für die V ertragsparteien des F akultativp ro to ko lls zum U N -M enschenrechtsp a k t105 stellt sich die Frage, ob V erletzungen des Selbstbestim m ungsrechts im
W ege einer Individualbeschw erde geltend gem acht w erden können. D a es sich um
ein kollektives Recht handelt, kann es nicht durch eine n atürliche Person bean­
sprucht w erden, es sei denn, diese kann sich als rechtm äßiger V ertreter eines Vol­
kes legitim ieren.
D iese Position erarbeitete sich der M enschenrechtsausschuß anläßlich der
Klage eines „Grand C ap tain “ der M ikm aq-Stam m esgesellschaft gegen K anada106.
D arin m achte der K läger geltend, die kanadische R egierun g enthalte seinem Volk
das Selbstbestim m ungsrecht vor. Er forderte, Kanada m öge die traditionelle R e­
gierung der M ikm aq und die M ikm aq-N ation als Staat anerkennen. Kanada dage­
gen argum entierte, der B eschw erdeführer könne w eder geltend m achen, er sei in
seinen eigenen R echten verletzt w orden, noch könne er nachw eisen, im N am en
der M ikm aq-N ation zu handeln. E bendieser letzte Einw and führte den M en­
schenrechtsausschuß zu dem Schluß, die M itteilun g als un zulässig anzusehen.
101 U N -D oc. CCPR/C/CAN/2004/5, para 8 f. Genauso argum entierte N euseeland, das de­
taillierte A usführungen zum Selbstbestim m ungsrecht nur in Bezug auf Torkelau (ein nichtselbstregiertes G ebiet) machte. Siehe U N -D oc. CCPR/C/NZL/2001/4, para. 55.
102 U N -D oc. CCPR/C/CAN /CO /5, para 8.
103 Ebenda, para. 9.
104 So bei den USA. Vgl. U N -D oc. C CPR /C/U SA/C03/Rev. I, para. 37.
105 BG Bl. 1992 II, 1246.
106 M itteilung R. 19/78, Text in: E uropäische G rundrechte-Z eitschrift (1984) 388.
In dig ene V ö lk e r und das S elbstbe stim m un gsrec ht
249
Im Fall O m inayak and Lubicon Lake Band gegen K a n a d a 107 behauptete K a­
nada, die beschw erdeführenden Indianer seien kein Volk, und E inzelpersonen
könnten sich nicht auf A rt. 1 des Paktes berufen. M it dieser These setzt sich der
M enschenrechtsausschuß nicht auseinander, was in der K om m entierung der Ent­
scheidung als grundlegender M angel angesehen w erde, w eil dam it gegenüber Ein­
zelnen „eine A rt R ech tsverw eigerun g“ begangen w ü rd e108. D em entsprechend
berief sich der M enschenrechtsausschuß im Fall Südtirol gegen Italien 109 darauf,
daß „gemäß dem F akultativp ro to ko ll keine A nsprüche aus dem R echt auf Selbst­
bestim m ung geltend gem acht w erden können“ 110. Ä hnlich hatte der A usschuß
auch im Fall Whispering Pines Indian Band gegen K a n a d a 111 geurteilt. W eitere
Fälle, die die G renzen des Individualbeschw erdeverfahrens für die D urchsetzung
des Selbstbestim m ungsrechts von indigenen V ölkern belegen, sind bei Phillips/
Rosas112 w iedergegeben.
D er M enschenrechtsausschuß w urde in der L iteratur verschiedentlich k riti­
siert, w eil er sich aus politischen G ründen selbst beschränke und die M ö glich kei­
ten zur D urchsetzung des Selbstbestim m ungsrechts der V ölker nicht au sn u tze113.
M it der E ntscheidung A pirana M ahuika et al. gegen Neuseeland vom 27. 10.
2000114 deutet sich aber eine Ü b erw ind u ng der Z urückhaltung an. H ier argum en­
tierte der A usschuß, „the provisions of article 1 m ay be relevant in the interpreta­
tion of other rights protected b y the Covenant, in particular article 27“ 115. Die
A ussage belegt die zahlreichen Ü berschneidungen zw ischen den R echten von
V ölkern und M inderheiten in der Praxis. D ieser U m stand erm öglicht es, zum in ­
dest einzelne A nsprüche aus dem Selbstbestim m ungsrecht der V ö lker im Wege
der Individualbeschw erde durchzusetzen. Da das Selbstbestim m ungsrecht der
indigenen V ölker ohnehin auf seinen inneren A spekt beschränkt ist, sind die P ar­
allelen zum M inderheitenschutz offenkundig. Vor diesem H in tergrun d ist auch
die E ntscheidung Ms M arie-H elene G illot gegen Frankreich zu sehen 116. H ier
argum entierte der A usschuß, daß er seiner eigenen Praxis folge und nicht über die
V erw irklichung von Forderungen aus dem Selbstbestim m ungsrecht der V ölker
entscheide. G leichw ohl müsse er es dann heranziehen, w enn b eurteilt w erden
solle, ob im Pakt verankerte m aterielle M enschenrechte verletzt w orden seien. In
diesem Fall griff der A usschuß auf das Selbstbestim m ungsrecht zurück, um fest­
zustellen, ob die B eschränkung der Teilnahm eberechtigung an einem lokalen R e­
107 M itteilung 167/1984, Text in: H um an Rights Law Jo urnal (1990) 305.
l°s fg li x E rmacora, A nm erkung, in: E uropäische G rundrechte-Z eitschrift (1991) 159.
109 M itteilung 413/1990, Text: E uropäische G rundrechte-Z eitschrift (1991) 158.
110 Ebenda, para. 3.2.
111 M itteilung 318/1988, Text: U N Doc. A/45/40 II, 184.
112 Alan Phillips , Allan Rosas (H rsg.), U niversal M inority R ights (A bo, Turku 1995) 233 ff.
113 M a n fr e d N ow ak , The R ight of Self-D eterm ination and Protection of M inorities in C en ­
tral and Eastern Europe in the Light of the C ase-L aw of the H um an Rights C om m ittee, in:
International Journal of G roup R ights (1993) 11.
114 M itteilung 547/1993.
113 Ebenda, para. 9.2.
116 M itteilung 932/2000.
250
H a n s - J o a c h im H c in t z c
ferendum in N eu-K aledonien auf Personen, die eine enge B indung zum betref­
fenden G ebiet haben, im E inklang m it der V erpflichtung zur D urchführung von
gleichen und geheim en W ahlen (A rt. 25 des Paktes) steht.
Insgesam t ist auch das Individualbeschw erdeverfahren nützlich, um den ko n ­
kreten Inhalt des für die A ngehörigen indigener V ölker geltenden Selbstbestim ­
m ungsrechts auszuloten. U ngeklärt bleibt aber w eiterhin, in w iew eit dieser M e­
chanism us geeignet ist, das ko llektive M enschenrecht indigener V ö lker auf Selbst­
bestim m ung durchzusetzen.
D iesbezüglich besteht im V ölkerrecht eine D urchsetzungslücke, die durch die
D eklaration nicht geschlossen w urde, da sie nicht über einen eigenen Im plem en­
tierungsm echanism us verfugt. Sie ist dam it schw ächer ausgestattet als die ILO K onventionen, die zum indest das Berichtsverfahren und die B eschw erdem öglich­
keit kennen. A llerdings sind die ILO -V erfahren auf die D urchsetzung des Selbst­
bestim m ungsrechts für indigene V ö lker nicht anwendbar. G leichw ohl hat die Ver­
abschiedung der D eklaration insgesam t die R espektierung der Rechte indigener
V ö lker vorangetrieben, w ie der „Special R apporteur on the situation of human
rights and fundam ental freedom s of indigenous people“, Rodolfo Stavenhagen,
ausführt. D em nach ist die D eklaration „ ... a useful m echanism for the protection
and prom otion of hum an rights am ong indigenous people throughout the w orld
and a reflection of the em erging international consensus on the content of indige­
nous peoples’ righ ts“ 117. D aß dies auch die D urchsetzung des Selbstbestim ­
m ungsrechts einschließt, m achen frühere B erichte Stavenhagens d eu tlich 118.
Eine w eitere K örperschaft, die U nterstützun g bei der U m setzung des D o ku­
m ents leisten kann, ist das „Ständige Forum für indigene Fragen". A usdrücklich
bestim m t A rt. 42:
„The U nited N ations, its bodies, including the Perm anent Forum on Indige­
nous Issues, and specialized agencies, including at the co un try level, and States
shall prom ote respect for and full application of the provisions of this D eclaration
and follow up the effectiveness of this D eclaration.“
A uch der neu geschaffene „Expert M echanism on the R ights of Indigenous
Peoples“ w ird sicher auf die D eklaration zurückgreifen und ihre D urchsetzung
ein fo rd ern 119. A llerdings handelt es sich dabei nicht um ein D urchsetzungsverfah­
ren, das mit dem anderer V ertragsdurchsetzungsorgane vergleichbar w äre, so daß
nicht spezifisch auf die V erw irklichung des kollektiven M enschenrechts auf
Selbstbestim m ung E influß genom m en w erden kann.
117 U N -D oc. A/61/490 vom 3. 10. 2006, para. 34.
118 So „H um an Rights and Indigenous Issues“, in: U N -D oc. E/CN.4/2002/97, para. 87.
119 A brufbar unter: http://www.ohehr.org/EN/N ewsEvents/Pages/N ewExpertM echamsni
RightsIP.aspx.
In digene V ö lk e r un d das S elbstbe stim m un gsrec ht
251
Schlußbemerkung
D ie H erausbildung des Selbstbestim m ungsrechts der V ölker in den letzten fünf­
zig Jahren hat zw eifellos ein dynam isches M om ent in das ansonsten souveräni­
tätsorientierte und dam it statische V ölkerrecht eingebracht. D azu hat insbeson­
dere die E ntkolonisierung einen w esentlichen B eitrag geleistet. Das Selbstbestim ­
m ungsrecht w urde zu einem „Prinzip der L egitim ierung von V eränderungen“ 120.
D ie Rechte von indigenen V ölkern stehen völkerrechtssystem atisch zw ischen
den M inderheitenrechten und den R echten der V ö lker unter K olonialherrschaft.
D aß sich der Status und das Selbstbestim m ungsrecht der indigenen V ö lker heute
noch nicht exakter verorten lassen, liegt an der Z ögerlichkeit der Staatengem ein­
schaft, diesbezüglich klare V erhältnisse zu schaffen. D ie U rsachen dafür liegen
klar auf der H and: D ie A kzeptanz des um fassenden Selbstbestim m ungsrechts für
indigene Völker, so w ird befürchtet, könnte im schlim m sten Falle zu Sezessions­
forderungen oder aber zum indest zur G eltendm achung von Landrechten führen,
die die Integrität des Staatsterritorium s und seine bisherige N utzun g in Frage stel­
len könnten. D aher entschied man sich in der D eklaration, nur das innere Selbst­
bestim m ungsrecht indigener V ö lker festzuschreiben.
M it dieser A uslegung des Selbstbestim m ungsrechts setzt sich ein Trend fort,
der seit dem Ende der E ntkolonisierung in der Staatenpraxis und L iteratu r zu be­
obachten ist. Das Selbstbestim m ungsrecht ist nicht m ehr länger ein „Prinzip zur
L egitim ierung von V eränderungen“ auf der internationalen Ebene. Ihm w urde der
C h arakter einer „A ntinom ie“ im souveränitätsbedachten V ö lkerrech t121 genom ­
men, Stattdessen hat sich der C h arak ter der Souveränität gew andelt, denn der von
staatlicher Souveränität geschützte B ereich der inneren A ngelegenheiten des Staa­
tes w urde im m er stärker eingeschränkt. D abei w urde das Selbstbestim m ungsrecht
zunehm end auf seinen inneren A spekt eingegrenzt:
„N ach der E ntkolonisierung und der U nabh än gigkeit der letzten großen K olo­
nien in den sechziger und siebziger Jah ren ist der Kam pf um Selbstbestim m ung
und E igenstaatlichkeit heute w eitgehend abgeschlossen. Seitdem geht es m ehr um
die innere Stabilität der Staaten, w obei insbesondere Rechte auf A utonom ie von
M inderheiten oder indigenen V ö lker zur D ebatte stehen.“ 122
Vor diesem H intergrund w äre es w ünschensw ert gewesen, in der D eklaration
auf das zu r bloßen H ülle verkom m ene R eizw o rt der Selbstbestim m ung zu ver­
zichten. Stattdessen hätten die A utoren sich von vorneherein auf einen R echtsan­
spruch indigener V ölker auf das K ernstück des inneren Selbstbestim m ungsrechts,
auf A utonom ie, beschränken sollen. M it der F ixierung auf das Selbstbestim ­
120 Ulrich Scheuner, N ationalstaatsprinzip und Staatenordnung seit dem Beginn des
19. Jahrhunderts, in: T h e o d o r Schiedet' ( H rsg.), Staatsgründungen und N ationalitätsprinzip
(W ien 1974) 57.
121 Felix E rmacora, Die Selbstbestim m ungsidee, Ihre E ntw icklung von 1918-1974 (Wien
1974) 21.
122 Christian Tomuschat, M enschenrechte und Staatlichkeit, in: Zeitschrift für M enschen­
rechte 1 (2007) 2, 137.
252
H a n s - J o a c h im H e in tze
m ungsproblem w urde eine C hance verpaßt, clen nunm ehr erstm als anerkannten
A nspruch indigener V ölker auf A utonom ie detailliert auszugestalten. Stattdessen
bleiben die diesbezüglichen einzelnen B estim m ungen sehr allgem ein, und das
K onzept w ird inhaltlich nicht fortgeschrieben. Das ist vor allem insofern zu be­
dauern, als A utonom ieregelungen hinsichtlich ihrer dem okratischen Elemente
w eiterer K lärung bedürfen.
D ennoch ist nicht zu übersehen, daß die m it der D eklaration erfolgte breite A k ­
zeptanz des inneren Selbstbestim m ungsrechts der indigenen V ö lker geeignet sein
kann, den Staaten die Furcht vor dieser R echtsnorm zu nehmen, die allzu oft (und
unzutreffend) m it der Sezession verbunden w ird. D ie D eklaration trägt insofern
dazu bei, die „republikanischen W erte“ des Selbstbestim m ungsrechts in den Vor­
dergrund zu rü ck en 123.
Summary
The right of self-determ ination has become one of the m ost im portant norm s of
international law. It entitles peoples to decide freely on their political status and
th eir econom ic, social and cultural developm ent. H owever, the norm has a “Januslike n atu re”, being a d ynam ic and progressive and, at the same tim e, subversive
and threatening concept. Therefore, some scholars call it a “trap ” arousing un real­
istic hopes of peoples and other groups concerning secession.
Yet, states have been v ery reluctant to accept the self-determ ination claim of
indigenous peoples durin g the elaboration of the “D eclaration on the R ights of
Indigenous P eoples”. D uring the discussions it becam e clear that o n ly internal
self-determ ination is m eant b y article 3 of the D eclaration, and this is w h y the
docum ent w as accepted b y the U N -G en eral A ssem b ly in 2007. Even the reference
to self-determ ination, however, m et the dissatisfaction of four m ajor states w ith
indigenous peoples (U SA , C anada, A ustralia and N ew Zealand) w hich voted
against the D eclaration. It is regrettable that the battle on the issue of self-determ i­
nation overshadow s the questions regarding the content of the rights w hich are
granted to indigenous peoples. The righ t to autonom y w hich has been accepted
for the first tim e b y the international com m unity should become the centre of dis­
cussion because its m eaning is quite unclear. The consequences of the application
of the right to autonom y m ight be far-reaching. It means the developm ent of a
new and distinct right to self-determ ination, specific to indigenous peoples. Sub­
sequent articles of the declaration set out the content of this “n ew ” right to selfdeterm ination w hich is to be exercised w ith in the territo ry of a State.
123 H e len K eller , K ulturelle Vielfalt und Staatsvolk: G ilt es den Begriff des Volkes zu über­
denken?, in: Berichte der D eutschen G esellschaft für V ölkerrecht 43 (2007) (H eidelberg
2008) 60.
V. Neuere rechtlich-politikwissenschaftliche
Ansätze - und die Zukunft?
Stefan Wolff
Resolving Self-Determination Conflicts:
The Emerging Practice of Complex Power Sharing
I, Introduction
The dem ocratic governance of eth n ically divided societies poses p articular chal­
lenges especially in cases in w hich territo rially concentrated groups dem and to ex­
ercise their righ t to self-determ ination. The associated self-determ ination claim s,
as the concept is used in this chapter, refer to a grou p ’s expressed preference for
self-governm ent and can range from dem ands for independent statehood, un ifi­
cation w ith another state and territo rial self-governm ent w ith in an existing state
to n o n-territorial self-governm ent (or cultural autonom y). The form er tw o de­
m ands are also referred to as claim s for external self-determ ination, the latter two
as claim s for internal self-determ ination. W hile the international com m unity is
generally reluctant to accept changes to existing state boundaries, there is sign ifi­
can tly more enthusiasm to prom ote regim es of self-governance, that is, the legally
entrenched p o w er of territo rial entities to exercise public p o licy functions inde­
pendently of other sources of au th o rity in the state, but subject to the overall legal
order of the state1.
The prom otion of self-governance b y the international com m unity no rm ally
goes hand-in-hand w ith an endorsem ent of other m echanism s of conflict reso­
lution, including po w er sharing (the use of m echanism s that guarantee m eaningful
participation in decision-m aking for all significant segm ents in a divided society,
including those w ho dem and self-determ ination), hum an and m in o rity rights
legislation, etc. As such, recent conflict resolution practice has m anifested itself in
com plex institutional designs com bining a range of m echanism s that are treated
separately in m ost of the existing academ ic literature on the subject and some of
w hich are rejected as m o rally unacceptable b y some, or are considered unfeasible.
A situation, thus, exists in w hich conflict resolution practice is sub stan tially dif­
ferent from significant parts of tradition al conflict resolution theory. Exam ining
three main schools of conflict resolution - centripetalism , consociational pow er
sharing and po w er dividing - and contrasting their analysis and recom m endations
1 T h e definition of self-governance has been adapted from Wolff and Weller (2005).
256
Stefan Wolff
w ith current p o licy to resolve self-determ ination, this chapter argues that there is
an em erging practice of w hat can be referred to as com plex pow er sharing, i.e., a
h yb rid model of conflict resolution that has a regim e of self-governance at its
heart, com plem ented b y a range of other m echanism s advocated b y different
schools of conflict resolution. This argum ent is presented in several steps: I first
discuss the requirem ents of institutional design in divided societies and then
exam ine the approaches of the three m ain schools of conflict resolution to in stitu­
tional design. This is follow ed b y a conceptual note on the nature of com plex
po w er sharing and an em pirical an alysis of ten cases w hich can be classified as
m anifestations of this em erging conflict resolution practice. The chapter con­
cludes w ith a num ber of em pirical and an alytical insights from this com parative
analysis that sum m arise the m ain features of current com plex p o w er sharing re­
gim es, and m akes suggestions as to develop the concept itself further into its own
conflict resolution theory.
II. Institutional Design in Divided Societies
A dvocating the resolution of self-determ ination conflicts through institutional
design assumes that such conflicts can be resolved through an institutional bargain
that establishes m acro-level structures through w hich disputes am ong the conflict
parties can be addressed p o litically and w ith o u t recourse to violence. The ch al­
lenge that institutional design in divided societies thus faces is to craft m acro-level
structures that regulate three contrast areas (1) state construction, related p articu­
la rly to questions of territorial structure; (2) the institutions of governm ent, con­
cerning am ong others the com position and pow ers of the executive, legislative and
ju d icial branches of governm ent and the relationship betw een them ; and (3) rights
and identities of in dividual citizens and groups, i.e., the question if, and to w hat
extent, individuals or groups are privileged2. These three dim ensions are inter­
related and inter-dependent, but it is useful for an alytical purposes to keep them
separate w hen exploring their specific aspects in some degree of abstraction in the
rem ainder of this section and in their practical m anifestations in Section IV.
In Section III, I turn to existing theories of conflict resolution, w hich have, to
v aryin g degrees, engaged w ith institutional design in all three of the above dim en­
sions and have developed relatively coherent sets of recom m endations to achieve a
2 These different dim ensions of state construction have been covered across the conflict
resolution literature in different com binations and in varyin g degrees of breadth and depth.
A part from the principal w orks and authors covered below, see also Bastian and Luckham
(2003), B en ed ik ter (2007), C h o u d h r y (2008), D a rb y and M cG in ty (2003), G bai (2000),
H e c h t e r (2000), H e n r a rd (2000), Ja rs ta d t and Sisk (2008), L apidoth (1996), N oel (2005), N or­
ris (2008), O ’Flynn and R ussell (2005), O ’Leary, M cGarry, and Salih (2005), R e y n o ld s (2002),
S ch n eck en er and Wolff (2004), Taylor (2009), Weller and M e t z g e r (2008), Weller and Wolff
(2005), Wilford (2001), Woelk, P a lerm o and M arko (2008), and W olff (2003). The synthesis of
these and other sources is presented below.
R eso lvin g S elf-D eterm in a tio n C onflicts
257
settlem ent of self-determ ination conflicts in the sense defined above. L iberal consociationalism , centripetalism , and pow er dividing thus serve as the theoretical
foundation from w hich w e proceed. The short com parative an alysis of the main
features of these three theories is then follow ed by an em pirical an alysis of a
broader range of cases in an attem pt to establish em p irically the degree to w hich
current conflict resolution th eo ry and practice overlap. This w ill, in turn, offer
some an alytical insights into the failures and successes of conflict settlem ent to
date and enable me to draw some more general conclusions about the viab ility of
the concept of com plex p o w er sharing.
1. State Construction
The m ost im portant institutional design challenge in this area has to do w ith the
territo rial organisation of the state. W hile the principal choice is generally be­
tween u n itary and federal system s, there is a great deal of variation w ith in these
tw o m ain categories, and there are a num ber of h yb rid form s as w ell. The m ost im ­
portant institutional design decision is about the num ber of levels of governm ent
w ith substantive decision-m aking com petences and the extent of these com pe­
tences. Several further decisions follow from this. The first one relates to the struc­
tural and functional sym m etry of the p o litical-territo rial organisation of the over­
all state. O n the one end of the spectrum , a state m ay be organised territo rially in a
co m pletely sym m etric fashion w ith all territo rial entities en jo yin g the exact same
degree of functional com petences, exercising them through an identical set of local
political institutions. H ow ever, the nature of institutional design in divided so­
cieties m ay necessitate a different approach. Thus, even w here there is structural
sym m etry, fun ctio nally speaking the com petences enjoyed by different self-governing entities m ay differ, and/or th ey m ay exercise them through different sets of
political institutions. For exam ple, w here territo rial sub-state entities com prise
ethnic groups distinct from that of the m ajo rity population, th ey m ay be granted
additional com petences to address the p articular needs of their com m unities. In
cases in w hich these sub-state entities are eth n ically heterogeneous, executive
pow er sharing, reflecting local ethnic and political dem ographies, m ight be an ad­
ditional necessary feature of conflict resolution.
2.
'The Composition and Powers of the Executive, Legislative and
Judicial Branches of G overnm ent and the Relationship between Them
The key aspects of institutional design in this area relate, first, to the nature of the
governm ent system , i.e., w hether it is a parliam entary, presidential or sem i-p resi­
dential system . A second dim ension is the issue of w hether executive and/or legis­
lative pow er sharing are m andatory, and if so, w hat the extent of prescribed in ­
clusiveness is. Inclusiveness, at the same tim e, is also an im portant feature of legis­
lative design and is p rim arily realised through the choice of an electoral system .
Pow er sharing features and inclusiveness m ay also extend into the judicial branch,
258
Stefan Wolff
p rim arily in relation to provisions for the appointm ent of judges and prosecutors.
A final issue in this regard is the overall relationship betw een the three institutions
of governm ent, that is, the degree of separation of pow ers between them. W hile
this p artially relates to the choice of governm ent system , it is also about the degree
of independence of the jud icial branch. Institutional design thus not o n ly p re­
scribes certain outcom es in relation to the com position of the executive, legislative
and judicial branches of governm ent but also entrenches them in different w ays
from hard international law to dom estic legislation.
3. The Relationship between In d ivid u al Citizens, Identity Groups and the State3
Institutional design in this area is about the recognition and protection of different
identities b y the state. O n the one hand, this relates to hum an and m in o rity rights
legislation, that is, the degree to w hich every citizen ’s individual hum an rights are
protected, including civil and political rights, as w ell as the extent to w hich the
rights of different id en tity groups are recognised and protected. W hile there m ay
be a certain degree of tension betw een them, such as betw een a hum an rights
prerogative of eq u ality and non-discrim ination and a m in o rity rights approach
em phasising differential treatm ent and affirm ative action, the two are not contra­
d icto ry but need to com plem ent each other in w ays that reflect the d iv ersity of
divided societies and contribute to its peaceful accom m odation.
M oreover, the relationship betw een individuals, groups and the state is about
the degree to w hich institutional design favours p articular groups and excludes
others. This is related to w hether different groups are given different status (e.g.,
constituent nations vs. m inorities) and the p o litical, econom ic and resource im p li­
cations of this (e.g., m andatory inclusion in governm ent, participation in p ro p or­
tional public sector job allocation, reception of public funding, etc.). In other
w ords, the question here is about the degree to w hich specific group identities are
recognised and protected and how this manifests itself in the w ay in w hich the
boundaries of au th o rity are shaped b y territo ry or population groups.
III. Institutional Design in Existing Theories of
Conflict Resolution4
E xisting theories of conflict resolution generally acknow ledge the im portance and
usefulness of in stitutio nal design in conflict resolution, but offer rather different
prescriptions about w hat are the m ost appropriate m odels to achieve stable con­
flict settlem ents. The three dom inant theories in this respect are liberal consoci3 For reasons of space, subsequent em pirical analysis w ill not include a separate exam ination
of this dimension.
4 The follow in g section draw's on conceptual and em pirical m aterial presented in Wolff
(2008a, b, 2009a-d).
R es o lv in g S elf-D eterm in a tio n C o nflicts
259
ational pow er sharing, centripetalism , and pow er dividing. We discuss the main
tenets of these three schools of thought now in turn, focussing on their recom ­
m endations in each of the three areas.
/. L iberal Consodationalism
C onsociational pow er sharing is m ost clo sely associated w ith the w o rk of A rend
L ijphart, w ho identified four structural features shared b y consociational system s
- a grand coalition governm ent (betw een parties from different segm ents of so­
ciety), segm ental autonom y (in the cultural sector), p ro p o rtio n ality (in the voting
system and in public sector em ploym ent) and m in o rity veto (L ijp h art 1977: 2 5 52). C o n so d atio n alism has been developed further in the context of its use as a
m echanism of interethnic accom m odation in L ijp h art’s own later w ritin gs on the
subject (e.g., L ijphart 1995, 2002), but more especially b y John M cG arry and
Brendan O ’L eary (M cG arry 2006, M cG arry and O ’L eary 2004a and b, O ’L eary
2005a and b; see also W olff 2003, 2004 and W eller and W olff 2005). The m ost im ­
portant m odification of L ijp h art’s original th eo ry is O ’ L eary’s contention that
‘grand co alitio n ’ (in the sense of an executive encom passing all leaders of all sig ­
nificant parties of all significant com m unities) is not a necessary criterion. Rather,
O ’L eary dem onstrates that w h at m atters for a dem ocratic consociation ‘is m ean­
ingful cross-com m unity executive pow er sharing in w hich each significant seg­
ment is represented in the governm ent w ith at least p lu rality levels of support
w ithin its segm ent’ (O ’L eary 2005a: 13)5.
The scho larly literature on co n so d atio n alism distinguishes between corporate
and liberal consociational pow er sharing, the latter now the more com m on p o licy
prescription am ong consociationalists6. The m ain difference between the two is
that a ‘corporate consociation accom m odates groups according to ascriptive crite­
ria, and rests on the assum ption that group identities are fixed, and that groups are
both in tern ally hom ogeneous and extern ally bounded’, w hile ‘lib e r a l... consoci­
ation ... rew ards w hatever salient political identities em erge in dem ocratic elec­
tions, w hether these are based on ethnic groups, or on sub-group or trans-group
iden tities’ (M cG arry 2006: 3, see also Lijphart 1995 and O ’L eary 2005a).
T erritorial self-governance is a significant feature w ith in the liberal consoci­
ational approach w hich, in this context, em phasises that the self-governing terri­
to ry should define itself from the bottom up, rather than be prescribed top5 On this basis, O ’L eary (2005a) 12 f. distinguishes betw een three sub-types of dem ocratic
(i.e., com petitively elected) consociation: com plete (executive com posed of all leaders of all
significant segm ents), concurrent (all significant segments represented, and executive has at
least m ajority support in all of them ), and w eak (all significant segments represented, and
executive has at least one segm ental leadership w ith o n ly p lu rality support).
6 C orporate consodationalism , however, is still evident to some extent in political practice:
tor exam ple, Bosnia and H erzegovina under the original D ayton A ccords, N orthern Ireland
under the 1998 Agreem ent, Lebanon under the N ational Pact and under the 1989 Ta’if A c­
cord, C yp ru s under the 1960 constitution and the proposed (but rejected) Annan Plan d is­
play features of pre-dcterm ined arrangem ents based on ascriptive identities.
260
Stefan W olff
do w n 7. L iberal consociationalists consider arrangem ents in w hich there are more
than tw o, and id eally even more than three, self-governing entities w ith in a given
state, as conducive to the chances of state survival. L iberal consociationalists
eq u ally support the principle of asym m etric devolution of pow ers, i.e., the possi­
b ility for some self-governing entities to enjoy m ore (or few er) com petences than
others, depending on the preferences of their populations (cf. M cG arry 2007).
N aturally, self-governance is com plem ented w ith w hat liberal consociational­
ists term ‘shared ru le’, i.e., the exercise oi pow er at and b y the centre across the
state as a w hole. W hile the other three key features of Lijphartian consociationalism (apart from ‘segm ental auto no m y’) continue to be favoured b y liberal con­
sociationalists, such as grand coalitions, p ro p o rtio n ality and m in o rity veto rights,
the em phasis is on cooperation and consensus am ong dem o cratically legitim ised
elites, regardless w hether th ey em erge on the basis of group identities, ideo lo gy or
other com m on interest. L iberal consociationalists thus favour p arliam en tary s y s ­
tem s8, proportional (PR list) or proportional preferential (STV) electoral system s,
decision-m aking procedures that require qualified and/or concurrent m ajorities,
and have also advocated, at tim es, the application of the d ’H ondt rule for the
form ation of executives9 (cf. L ijphart 2004, O ’L eary 2005a, see also W olff 2003).
This means, lib eral consociationalists prefer w hat O ’L eary refers to as ‘p luralist
federations’ in w hich co-sovereign sub-state and central governm ents have clearly
defined exclusive com petences (albeit w ith the p o ssib ility of som e concurrent
com petences) w hose assignm ent to either level of au th o rity is co n stitu tio n ally
and, ideally, internationally, protected, in w hich decision-m aking at the centre is
consensual (betw een self-governing entities and the centre, and am ong elites rep­
resenting different interest groups), and w hich recognise, and protect the presence
of different self-determ ined identities (O ’L eary 2005b).
In order to protect in dividuals against the abuse of pow ers b y m ajorities at the
state level or the level of self-governing entities, liberal consociationalism offers
tw o rem edies - the replication of its core institutional prescriptions w ith in the
self-governing e n tity 10, and the establishm ent and enforcem ent of strong hum an
and m in o rity rights regim es both at the state and sub-state levels. In addition, the
rights of com m unities - m inorities and m ajorities alike - are best protected in a
liberal consociational system if its k ey provisions are enshrined in the constitution
7 In the context of Iraq, M cG arry (2006) 6f. explains how this process has been enshrined in
the Iraqi constitution: “K irkuk can choose to join K urdistan if its people w ant. G overnorates
in other parts of the country are perm itted to am algam ate, form ing regions, if there is dem o­
cratic support in each governorate. In this case, a twin dem ocratic threshold is proposed: a
vote w ithin a govern o rates assem bly and a referendum . ... It is also possible for Shi’a dom i­
nated governorates that do not accept S C IR I’s vision to rem ain separate, and, indeed for any
governorate that m ay be, or m ay become, dom inated by secularists to avoid inclusion in a
sharia-ruled Shiastan or Sunnistan.”
8 N ote, however, that, em pirically, collective presidential system s are as w idespread in exist­
ing functioning consociations as p arliam en tary ones. Cf. O'Leary.
9 For details on the d’H ondt rule, see O ’Leary, G rofm a n and Elklit (2005).
10 O n regional consociations see Wolff (2004).
R es o lv in g Self-D eterm in a tio n C onflicts
261
and if the interpretation and upholding of the constitution is left to an indepen­
dent and representative constitutional court w hose decisions are binding on
executive and legislature (cf. O ’L eary 2005b: 55-8).
2. Centripetalism
C entripetalisrn em phasises that rather than designing rigid institutions in w hich
elected representatives have to w o rk together after elections, ‘intergroup political
accom m odation’ is achieved by ‘electoral system s that provide incentives for p ar­
ties to form coalitions across group lines or in other w ays m oderate their ethno­
centric political behaviour’ (H o ro w itz 2004: 507-8). This school of thought is
most p ro m in ently associated w ith the w o rk of D onald H o ro w itz (1985, 1990,
1991,2002), as w ell as w ith that of T im othy D. Sisk (1996), w ho uses the term s ‘in ­
tegrative’ and ‘in tegratio n ’ when referring to centripetalism (as do R othchild and
R oeder 2005b: 35), M atthijs Bogaards (1998, 2000, 2003), who in itially criticized
consociationalism on conceptual and m ethodological grounds (Bogaards 1998,
2000), before offering a stro n gly centripetal alternative (Bogaards 2003), B enjam in
R eilly (1997, 2001, 2006), and A ndreas W im m er (2003). R eilly, for exam ple advo­
cates, am ong others, ‘(i) electoral incentives for cam paigning politicians to reach
out to and attract votes from a range of ethnic groups other than their ow n ...;
(ii) arenas o f bargaining, under w hich political actors from different groups have
an incentive to come together to negotiate and bargain in the search for cro ss-p ar­
tisan and cross-ethnic vote-pooling deals ...; and (iii) centrist, aggregative political
parties or coalitions w hich seek m ulti-ethnic s u p p o rt. . . ’ (R eilly 2001: 11; em pha­
sis in o riginal). This is p artially echoed b y W im m er in his proposals for the first
post-Saddam Iraqi constitution to introduce ‘an electoral system that fosters
m oderation and accom m odation across the ethnic divides’, including a require­
ment for the ‘m ost pow erful elected official ... to be the choice not o n ly of a m a­
jo rity of the population, but of states or provinces of the country, too’, the use of
the alternative vote procedure, and a po litical p arty law dem anding that ‘all parties
contesting elections ... be organised in a m inim um num ber of provinces’
(W im m er 2003). In addition, W im m er advocates non-ethnic federalism (ibid.:
123—5), at least in the sense that there should be more federal entities than ethnic
groups, even if a m ajo rity of those entities w o uld be more or less eth n ically hom o­
geneous or be dom inated b y one ethnic group. Furtherm ore, ‘a strong m in o rity
rights regim e at the central level, a pow erful independent ju d iciary system and
effective enforcem ent m echanism s are needed’, according to W im m er (2003: 125).
In w hat rem ains a classic w o rk in the field of ethnic conflict and conflict reso­
lution theories, D onald L. H o ro w itz (1985 [2000]) discusses a range of structural
techniques and preferential policies to reduce ethnic conflict. A m ong them , he
em phasises that ‘the m ost potent w a y to assure that federalism or autonom y w ill
not become just a step to secession is to reinforce those specific interests that
groups have in the undivided state’ (H o ro w itz 1985 [2000]: 628). H o ro w itz also
makes an explicit case for territo rial self-governance (i.e., federalism ) in his pro-
262
Stefan W olff
posals for constitutional design in post-apartheid South A frica (H o ro w itz 1991:
214-226) and argues, not dissim ilar to pow er dividing advocates, for federalism
based on eth n ically heterogeneous entities. In a later study, more explicitly
focused on federation as a m echanism for conflict reduction, H o ro w itz (2007)
accepts that hom ogeneous provinces, too, can prove useful for this purpose, but
argues that rather than the aim being to facilitate group autonom y (the consoci­
ational rationale), hom ogeneous provinces offer the p o ssib ility to foster in tra­
group com petition (2007: 960-1; see also H o ro w itz 2008: 1218). In an earlier con­
tribution to the debate, H o ro w itz had recognized the need for federal or auto­
nomous provisions, but cautioned that th ey could o n ly contribute to m itigating
secessionist dem ands if “ [c]om bined w ith policies that give regio n ally concen­
trated groups a strong stake in the cen ter” (H o ro w itz 1993: 36). Interestingly,
however, this need for centripetal elem ents in territo rial designs for conflict reso­
lution is also echoed in som e corners of the consociational school (cf. W eller and
W olff 2005). Sim ilar to W im m er (2003; see above), H o ro w itz, citing the N igerian
experience, sees u tility in splitting large ethnic groups into several provinces as
this p o ten tially encourages the proliferation of political parties w ith in one ethnic
group, resulting in intra-group com petition and a lessened im pact of relative n u­
m erical sup erio rity of one group over others (H o ro w itz 2007: 960-1; see also
2008: 1218).
W hile centripetalism is thus open to engaging with, among others, territorial
approaches to conflict settlem ent, “its principal tool is [ ...] the provision of incen­
tives, u su ally electoral incentives, that accord an advantage to eth n ically based p ar­
ties that are w illin g to appeal, at the m argin and u su ally through coalition partners
of other ethnic groups, to voters other than their o w n ” (H o ro w itz 2008: 1217, our
em phasis). In particular, H o ro w itz em phasizes the u tility of electoral system s that
are m ost lik e ly to produce a C ondorcet w inner, i.e. a candidate who w ould have
been victorious in a tw o -w ay contest w ith every other candidate in a given consti­
tuency. The m ost prom inent such electoral system is the alternative vote (AV), a
preferential m ajoritarian electoral system , that is said to induce m oderation
am ong parties and their candidates as th ey require electoral support from beyond
their ow n ethnic group in heterogeneous, single-seat constituencies (H o ro w itz
2003: 122-5).
3. P ow er D ividing
In the context of conflict resolution, the th eo ry of p o w er dividing has been put
forw ard m ost com prehensively by Philip G. R oeder and D onald R othchild in
their edited volum e Sustainable Peace: Pow er and Demoa-acy after C iv il Wars
(R oeder and R othchild 2005). Pow er dividing is seen as "an overlooked alter­
native to m ajoritarian dem ocracy and pow er sh arin g” as institutional options in
eth n ically divided societies (R othchild and R oeder 2005: 6). T hree strategies that
are said to be central to pow er-dividing - civil liberties, m ultiple m ajorities, and
checks and balances - in practice result in an allocation of pow er between govern­
R esolvin g S elf-D eterm in a tio n C onflicts
263
ment and civil so ciety such that “strong, enforceable civil liberties ... take m any
responsibilities out of the hands of governm ent”, w h ile those that are left there are
distributed “am ong separate, independent organs that represent alternative, cross­
cutting m ajo rities”, thus “balanc[ing] one decisionm aking centre against another
so as to check each m ajo rity ... [f]or the m ost im portant issues that divide ethnic
groups, but m ust be decided b y a governm ent com m on to all ethnic groups”
(R othchild and R oeder 2005: 15).
The k ey institutional instrum ents by w hich pow er dividing is m eant to be real­
ised are, first of all, extensive hum an rights bills that are meant to leave “k ey deci­
sions to the private sphere and civil so ciety ” (R othchild and R oeder 2005: 15). Sec­
ond, separation of pow ers between the branches of governm ent and a range of
specialised agencies dealing w ith specific, and clearly delim ited, p o licy areas are to
create m ultiple and changing m ajorities, thus “in c re a sin g ] the likelihood that
mem bers of ethnic m inorities w ill be parts of p o litical m ajorities on some issues
and m em bers of an y ethnic m ajo rity w ill be mem bers of political m inorities on
some issues” (R othchild and R oeder 2005: 17). T h ird, checks and balances are
needed “to keep each of these decisionm aking centres that represents a specific
m ajo rity from overreaching its au th o rity ” (ibid.). T hus, the po w er dividing ap­
proach favours presidential over p arliam en tary system s, bicam eral over unicam ­
eral legislatures, and independent judiciaries w ith pow ers of ju d icial review ex­
tending to acts of both legislative and executive branches. As a general rule, p o w er
dividing as a strategy to keep the peace in eth n ically divided societies requires
“decisions [that] can threaten the stab ility of the constitutional order, such as
am endm ents to peace settlem ents” be made b y “concurrent approval b y m ultiple
organs em pow ering different m ajo rities” (R othchild and R oeder 2005: 17).
The preceding overview of three m ain theories of conflict resolution illustrates
two im portant aspects of current academ ic and p o licy debates about how to estab­
lish sustainable institutional settlem ents in cases of self-determ ination conflicts:
w hile there are fundam ental differences in the u n d erlyin g assum ptions about how
such settlem ents can succeed, certain institutional arrangem ents that com plem ent
the basic prescriptions of each approach are largely sim ilar, if not identical. As the
follow ing em pirical analysis w ill dem onstrate, this has significant im plications for
the practice o f conflict resolution in that few, if any, real-w orld settlem ents con­
form to the predom inant theoretical prescriptions.
264
Stefan W olff
IV. Institutional Design in Practice: An Empirical A nalysis
w ith a Conceptual Preface
1. The Concept o f Complex P ow er Sharing
A strik in g feature of contem porary conflict resolution practice is that a large
num ber of actual and proposed settlem ents involve form s of territo rial self-gov­
ernance. This reflects the assum ption that such regim es can contribute to sub ­
state, state, regional and international stability. In ethnically, lin guistically and/or
relig io u sly heterogeneous societies in w hich corresponding group identities have
form ed and become salient, the degree of self-governance enjoyed b y the different
segm ents of society is often seen as m ore or less d irectly proportional to the level
of acceptance of an overall institutional fram ew o rk w ith in w hich these different
segm ents come together. Self-governance regim es are thus also meant to provide
in stitutio nal solutions that allow the different segm ents of diverse societies to real­
ise their aspirations for self-determ ination w h ile sim ultaneo usly preserving the
overall social and territo rial in tegrity of existing states. In doing so, self-governance regim es above all offer m echanism s for conflict parties to settle their disputes
b y peaceful means.
There is a large num ber of such settlem ents that provide evidence for this trend
in N orth A m erica (C anada), Central and South A m erica (Panam a, Colom bia,
M exico, E cuador and N icaragua), A frica (Sudan, Z an zib ar)11, A sia (Iraq, Indone­
sia, Papua N ew G uinea and P h ilip p in es)12, and Europe (B elgium , B osnia and
H erzegovina, M acedonia, M oldova, R ussia, Serbia and M ontenegro13, U krain e
and U nited K ingdom )14. In addition, proposals for self-governance regim es also
figure p ro m in ently in proposed peace agreem ents, including 111 the A nnan Plan
11 Proposals for decentralisation/federalisation also exist in Ethiopia, N igeria and the
D em ocratic R epublic of C ongo, but in all three cases lack serious im plem entation efforts.
I am grateful to Sandra Joirem an and D onald R othchild for providing me w ith this in­
form ation.
*- In India, one could include the so-called U nion Territories, such as Pondicherry (Puduchery).
13 The 2003 constitution of the U nion of Serbia & M ontenegro provided for a bi-national
federation betw een the tw o entities and included an option for M ontenegrin independence
after three years if at least 55% of people participating in a referendum w ould opt for it. The
referendum was held on 21 M ay 2006, and M ontenegro declared its independence on 3 June
after the co u n try’s referendum com m ission confirm ed as official the p relim in ary result w hich
had already been recognised b y all five perm anent members of the U N Security C ouncil on
M ay 23. For the text of the C onstitutional C harter of the State U nion of Serbia and M ontene­
gro, see http://www.lcgislationline.org/upload/legislations/41/97/29d53b4d7dabbfe0af7023
a6454a.htm.
14 T his is not m eant to be a com prehensive list of cases. For an analysis of some exam ples and
general trends in the spread of territorial self-governance regim es as part of conflict settle­
ments, see contributions in Weller and W olff (2005).
R es o lv in g S elf-D eterm in a tio n C onflicts
265
for C y p ru s 15. Thus in m any conflict situations involving self-determ ination
claim s b y territo rially relatively concentrated id en tity groups at least proposals
for territo rial self-governance have been made. In m any of them , these proposals
have been im plem ented. It is also im portant to note that a num ber of these and
sim ilar arrangem ents are relatively ‘o ld ’ - the South T yrol settlem ent has its o ri­
gins in the 1969 ‘package d eal’ betw een Rom e, Bolzano/Bozen, and Vienna, the
current status of Brussels w ith in the Belgian system has evolved over several dec­
ades, as has that of Q uebec in Canada. O ther arrangem ents, such as those for the
A land Islands, date back even further, in this case to the period im m ediately after
the First W orld War.
Yet, w ith o u t exception, these cases also dem onstrate that territorial self-govern­
ance on its own is insufficient to offer viable solutions to self-determ ination con­
flicts. Because of the com plexity of such conflicts in term s of the parties d irectly or
in d irectly involved in them and their com peting dem ands, further conflict reso­
lution m echanism s are required to ensure that an overall stable and durable dem o­
cratic settlem ent can be achieved. This has been increasin gly understood b y prac­
titioners of conflict resolution and has led to an em erging practice of conflict
settlem ent that I refer to as “com plex pow er sh arin g”16.
Com plex pow er sharing, in the w ay it is understood here, refers to a practice of
conflict settlem ent that has a form of self-governance regim e at its heart, but
whose overall in stitutio nal design includes a range of further m echanism s for the
accom m odation of ethnic diversity in divided societies. Com plex pow er sharing is
thus the result of the im plem entation of a self-governance regim e whose success as
a conflict settlem ent device requires a relatively com plex institutional structure
that cannot be reduced to autonom y/(ethno-)federation, (traditional) m odels of
pow er sharing or pow er dividing.
In order to appreciate fu lly the degree to w hich this practice of com plex pow er
sharing has taken hold in current conflict resolution practice, the fo llo w in g em ­
p irical an alysis com pares and contrasts a num ber of relevant cases according to
different aspects of institutional design.
1:1 For the full text of this docum ent, see http://www.hri.org/docs/annan/Annan_Plan__
Text.html.
16 I borrow the term ‘com plex pow er-sharing’ from a research project funded b y the C arn e­
gie C orporation of N ew York (“R esolving Self-determ ination D isputes Through C om plex
Pow er Sharing A rran gem en ts”). In this project, com plex pow er-sharing regim es are d istin ­
guished “in that they no longer depend so lely on consociational theory, or solely upon inte­
grative th e o ry ”, involve international actors that “are often k ey in designing, or bringing
experience to bear upon, the structure of the eventual agreem ent, or its im plem entation” and
“consider a far broader range of issues ... and . .. address structural issues as diverse as eco­
nomic m anagem ent, civ il-m ilitary relations and hum an and m in ority rights, and ... do so at
m any different levels of governm ent”, thus recognising “that at different levels of govern­
ment, different strategies m ay be more, or less, applicable, and consequently more, or less,
successful, in engendering peace and sta b ility ” (K ettley, S u llivan , F yfe 2001: 4-5 ). O ’Leary
(2005a) 34 f. uses the term ‘com plex consociation’ in a sim ilar manner.
266
Stefan W olff
In line w ith the conceptual assum ptions made about com plex pow er sharing ten
cases are subjected to a com parative an alysis along the above dim ensions: Bosnia
and H erzegovina (BiLI), B ougainville/Papua N ew G uinea, Brussels/Belgium ,
Crim ea/U kraine, G agauzia/M oldova, M acedonia, M indanao/Philippines, N o rth ­
ern Ireland/U nited Kingdom , South Sudan, and South T yro l/Italy17. The degree
and nature of com plexity in each of these regim es differs, but as the follow ing
com parative analysis w ill dem onstrate th ey all exhibit m echanism s in addition to
territo rial self-governance that allow their classification as com plex pow er sharing
arrangem ents.
2. Structure and Organisation o f the State as a Whole
a) Sym m etry and A sym m etry in Institutional D esign 18
The first elem ent to consider in the context of questions about sym m etry and
asym m etry of in stitutio nal design is the num ber of layers of auth o rity that ac­
tu ally exist. Table 1 illustrates that self-governance regim es rely p redom inantly on
m ore than tw o layers of authority. In the cases of B ougainville, N orthern Ireland
and C rim ea, these three layers are central, sub-state and local governm ent. In
M acedonia, on the other hand, the m iddle level of governm ent is m issing. The
functions and pow ers of the central and local governm ents are detailed in the con­
stitution and in relevant legislation. T here also exists a leg ally guaranteed oppor­
tu n ity for citizens to develop a further layer of governm ent at the level of neigh­
bourhoods, but this is regulated b y b y-law s of the in dividual local governm ents
and thus a m atter of local d ecision-m aking rather than of state construction.
17 The analysis is based on the follow ing docum ents: “G eneral Fram ew ork A greem ent for
Peace in Bosnia and H erzego vina” (w ww .intstudies.cam .ac.uk/centre/cps/docum ents_bosnia_dayton.htm l); “The Bougainville Peace A greem ent” (www.intstudies.cam .ac.uk/centre/
cps/docum ents_bougainville_final.htm l) and “The C onstitution of the Autonom ous Region
of B o ugainville” (w w w .vanuatu.usp.ac.fi/library/Paclaw /Papua% 20N ew % 20G uinea% 20
and% 20B ougainville/Bougainville.htm ); “The C onstitution of B elgium ” (http://www.fedparl.be/constitution_uk.htm l); “The C onstitution of U krain e” (www.rada.kiev.ua/const/
conengl.htm ) and The C onstitution of the Autonom ous R epublic of C rim ea (w w w .rada.crim ea.ua/index_konstit.htm l); “The Law on the Special Legal Status of G agauzia (G agauz
Y en )” (www.intstudies.cam .ac.uk/centre/cps/docum ents_m oldova_law .htm l) “F ram ew ork
A greem ent”
(http://www.intstudies.cam .ac.uk/centre/cps/docum ents_m acedonia_fram e.
htm l) and “Law' on Local Self-governm ent of the R epublic of M acedon ia” (w ww.urban.org/
PDF7mcd_locgov.pdf) “Peace A greem ent” (w ww .intstudies.cam .ac.uk/centre/cps/docum ents_philippines_final.htm l); “The A greem ent Reached in the M u lti-p arty N egotiation s”
(w w w .nio.gov.uk/agreem ent.pdf) and “The Agreem ent at St A n d rew s” (www.nio.gov.uk/
st_andrews_agreem ent.pdf); “Protocol betw een the G overnm ent of Sudan (G O S) and the
Sudan People’s L iberation M ovem ent (SPLM ) on P ow er-Sharing” (w ww .usip.org/library/
pa/sudan/power_sharing„05262004.pdf); “The Statute of A utonom y for South T yro l”
(w ww .consiglio-bz.org/dow nloads/Statuto_E .pdf).
18 For an excellent discussion of the usefulness of asym m etric designs for conflict resolution,
see M cG arry (2007).
267
R eso lvin g S elf-D eterm in a tio n C onflicts
In the cases of B osnia and H erzegovina, B russels, G agauzia, M indanao, South
Sudan and South T yrol, more than three levels of governm ent exist. In B osnia and
H erzegovina, this is a result of the in terplay of dom estic (i.e., state and sub-state),
regional and international factors in the process of state creation at D ayton, lead­
ing to a federal-confederal structure of the state. The com plexity of dom estic and
the process of federalisation in B elgium , leading to a structure in w hich regions
and com m unities are sim ultaneo usly com ponents of the overall federal structure,
accounts for the four-layered structure of the B elgian system . In the case of M in ­
danao, an existing four-layered structure of governm ent was altered w ith the cre­
ation of a specific and unique fifth layer - the legal-p o litical en tity of the A u to ­
nomous R egion of M uslim M indanao - to w hich powers w ere devolved. Sim ilar
to the case of G agauzia, where a p re-existing th ree-layered structure was am ended
to accom m odate the creation of the T erritorial A utonom ous U n it of G agauzia,
South Sudan represents an additional level of governm ent between central and
state governm ents expressing the distinct id en tity of the southern states.
Table 1: Variation in t h e Vertical L a y erin g o f A u th o r ity ^
T w o-layered Structures
T hree-layered
Structures
M ulti-layered
Structures
M acedonia
Bougainville
Crim ea
N orthern Ireland
BiFI
Brussels
G agauzia
M indanao
South Sudan
South Tyrol
A nother w ay of looking at structural types of vertically layered auth o rity is to
exam ine the degree to w hich these cases represent institutions that are stru ctu rally
and/or fun ctio n ally sym m etric or asym m etric20, as this perspective provides a
more com prehensive picture of the structure of the entire p o lity concerned and
the place and status of territo rial self-governance institutions w ithin it.
Table 2 indicates that there is no clear-cut predom inance of sym m etric or asym ­
m etric form s of institutional structures across the case studies, but that from a
19 This classification ignores p urely or m ostly cerem onial H eads of State as w ell as the fact
that for all West European cases the European Union is an additional layer of authority.
20 Structural asym m etry is meant to signify the existence of territo rial entities that do not
‘fit’ the overall construction of the state, i.e., an autonom ous territo ry in an otherw ise un itary
state as is the case w ith C rim ea. Functional asym m etry is meant to signify that some terri­
torial entities enjoy a different measure of com petences, e.g., have w ider legislative pow ers
than others. “M ultiple asy m m etry ” sim ply means that more than one such structural and/or
functional asym m etry exists, and that the asym m etric entities in themselves are different
from one another m terms of territorial status and/or competences.
268
Stefan W olff
Table 2: Structural a n d F unctional S y m m e t r y a n d A s y m m e tr y o f Institutions
Structures
Sym m etric
BiH
Brussels
Bougainville
Crim ea
G agauzia
M acedonia
M indanao
N orthern Ireland
South Sudan
South Tyrol
Single
asym m etric
Functions
M ultiple
asym m etric
Sym m etric
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
A sym m etric
X
X
X
X
functional perspective, i.e., the w ay in w hich pow ers and functions are distributed
h o rizo n tally at the relevant levels of governm ent in a polity, asym m etry is more
frequent. In other w ords, the vertical layerin g of authority, regardless w hether it is
stru ctu rally ‘coherent’ across a given state or not, facilitates asym m etric d istrib u ­
tion of pow ers and functions, thus enabling central governm ents and specific re­
gions to create a special relationship in the sense that more pow ers and functions
or parts thereof are devolved to a p articular region, w hich thereby acquires greater
autonom y in a w id er range of p o licy areas com pared to other territo rial entities in
the sam e country. Furtherm ore, w hile sym m etric structures and sym m etric func­
tions m ay be correlated (M acedonia), sym m etric structures do not preclude asym ­
m etric functional capacities (B ougainville, B russels, South T yrol).
From a theoretical point of view, it is w orth noting that both varieties of pow er
sharing, albeit to differing degrees, allo w for asym m etric structures and functions.
W hile lib eral consociational pow er sharing is p rin cip ally in favour of territo rial
configurations reflecting the expressed w ishes of self-defined com m unities (w h at­
ever the basis of such self-definition), centripetalism is not opposed to the use of
territo rial self-governance arrangem ents in either sym m etric (federation) or asym ­
m etric (auto n o m y) form s, but cru cially in this respect, centripetalists and advo­
cates of pow er dividing prefer territo rial self-governance to be based on ‘adm inis­
trativ e’ rather than ‘eth n ic’ criteria, in an effort to prevent the institutionalisation
of group identities and enable coalitions of interest based on p o licy rather than
id en tity (centripetalists) or to facilitate m ultiple and changing m ajorities (pow er
dividers). H aving said that, it is evident that in the cases that form the basis of this
em pirical com parison the entities of territo rial self-governance are exclusively
those in w hich group identities form the basis of boundaries.
b) D istribution and Separation of Powers
One of the key questions to ask of any self-governance regim e is where powers
rest; i.e., how different com petences are allocated to different layers of auth ority
R esolvin g S elf-D eterm in a tio n C o nflicts
269
and w hether th ey are their exclusive dom ain or have to be shared between differ­
ent layers of authority. N aturally, there is a certain degree of context-dependent
variation across the cases under exam ination, p rim arily w ith regard to the w ay in
w hich pow ers are allocated and the degree of flex ib ility concerning new fields of
p o licy-m ak in g not relevant or not included at the tim e a specific agreem ent was
concluded.
The principle m echanism to handle the distributio n of powers is the draw ing up
of lists that enum erate p recisely w hich powers are allocated to w hich levels of
au th o rity and/or w hich are to be shared betw een different such levels. These lists
can be very specific for each layer of auth ority (B ougainville, M indanao, South
Sudan and South T yrol21) or th ey can be specific for one or more layers and ‘openended’ for others (Bosnia and H erzegovina, C rim ea, G agauzia, M acedonia and
N orthern Ireland). The k ey difference in the latter case is w hich layer of auth o rity
has an ‘open-ended’ list and retains residual au th o rity for an y p artly devolved
pow er or an y other p o licy area not exp licitly allocated elsewhere.
As Table 3 illustrates, in Brussels, C rim ea, G agauzia, and M acedonia, the centre
holds residual au th o rity over all m atters not expressly devolved to the low er
layers of authority, w h ile in South T yrol and B osnia and H erzegovina the tw o
entities retain all the com petences not ex p licitly delegated to the centre.
Table 3: P o w e r Allocation in S e lf- g o v e r n a n c e R e g i m e s
Specific Lists
C om bination of Specific and ‘Op<en-ended’ Lists
O pen-ended list at centre
Specific list at centre
B ougainville
M indanao
N orthern Ireland22
South Sudan
Brussels
C rim ea
G agauzia
M acedonia
BiH
South Tyrol
In M indanao, the m u lti-layered system of public au th o rity that is in place there
has very specific lists of pow ers allocated to the in dividual levels w ith in it, even
though the central governm ent rem ains the original source of all authority, i.e., the
reverse of the situation in South T yrol (since 2001). This is also the case in N o rth ­
ern Ireland, but here the system of allocating pow ers operates on the basis of three
different lists enum erating devolved, reserved (w ith the future p o ssib ility of de­
volution) and excepted (w ith o ut the future p o ssib ility of devolution) m atters. In
B ougainville, w hich also operates a system of specific po w er allocation to the dif21 Since the 2001 constitutional reform s, South T yrol is in the unusual situation that it has
both specific lists of com petences allocated to different layers of authority, as w ell as a general
clause assigning all not specifically m entioned policy areas autom atically to the legislative
competence of the province.
22 In case the A ssem bly in N orthern Ireland asks for it, the regional pow er sharing institu­
tions could enjoy an open-ended list of pow ers allocated to them, w ith o nly specifically ex­
cepted m atters retained by the W estm inster governm ent.
270
Stefan Wolff
ferent layers of public authority, an additional feature is that there are specific ar­
rangem ents as to how to deal w ith em erging p o licy areas (a jo in t com m ission that
w ill resolve disputes over the allocation of new pow ers). A nother distinctive fea­
ture of the B ougainvillean system is that in itially all pow ers allocated to the auto ­
nom ous province are retained at the central level and are, albeit alm ost auto m ati­
cally, devolved to B ougainville upon application to the central authorities by the
provincial authorities. In the case of South Sudan, notably, specific lists of pow ers
exist for the centre, the governm ent of South Sudan and State governm ents, as w ell
as a list of so-called concurrent pow ers w hose exercise falls into the com petence of
more than one layer of governm ent.
N one of the three theories of conflict resolution discussed above offers m uch
specific guidance on this issue of pow er allocation to different vertical layers of
authority. Som e inferences can nevertheless be m ade. Pow er-dividers, who ex­
press a certain preference for the A m erican m odel of federalism (e.g., R oeder
2005), favour strong central governm ents and are thus lik ely to opt for residual
auth ority to rem ain w ith the central governm ent. A sim ilar tendency can be ob­
served for advocates of centripetalist approach (e.g., W im m er 2003). For the lib ­
eral consociational school of p o w er sharing, it is im portant that pow er sharing is a
more attractive option to conflict parties than recourse to violence, hence it advo­
cates that substantive pow ers be assigned to territo rial self-governm ent entities b y
assigning residual auth ority to these entities or by draw in g up specific lists.
c) C oordination M echanism s
The distributio n and separation of pow ers, h o rizo n tally and vertically, in com plex
pow er sharing system s requires m echanism s for the coordination of law and p o l­
icy-m ak in g. This is generally an im portant issue in the operation of any m ulti­
layered system of governm ent, but in the context of self-determ ination conflicts it
assumes additional significance as coordination failures not o n ly have an im pact
on the effectiveness of governm ent but also have repercussions for the perception
of the usefulness of a p articular institutional structure to resolve a conflict. A l­
though there is a w ide spectrum of in dividual coordination m echanism s, these can
be grouped into four distinct categories: co-optation, joint com m ittees and im ple­
m entation bodies, ju d icial review and arbitration processes, and direct interven­
tion by the international com m unity.
As dem onstrated in Table 4, w ith the exception of C rim ea, all the cases exhibit
at least tw o different coordination m echanism s, w ith one of them alw ays (in the
case of C rim ea, the o n ly one) being judicial review and arbitration processes. This
suggests that there is a strong reliance upon the legal regulation of relationships
betw een different layers of public au th o rity and an em phasis on the separation of
powers betw een different branches of governm ent, creating an independent ju ­
diciary.
C o -o p tatio n , adopted in B elgium , M oldova, and the Philippines, is a m echan­
ism to ensure the representation of sub-state level officials (from Brussels, G agauzia, and the A R M M , respectively) at the centre. In all cases, sub-state level officials
R eso lvin g Self-D eterm in a tio n C o n flic ts
27 1
Table 4: C oo rd in a tion M ech a n ism s in S e l f - g o v e r n a n c e R e g im es
C o-optation
Jo int Cttees. and
Im plem entation Bodies
Jud icial Review and
A rbitration
D irect Intervention
b y the International
C om m unity
Brussels
G agauzia
M indanao
Bougainville
Brussels
G agauzia
M acedonia
M indanao
N orthern Ireland
South Sudan
South T yrol
B ill
Bougainville
Brussels
C rim ea
G agauzia
M acedonia
M indanao
N orthern Ireland
South Sudan
South Tyrol
BiH
are ex officio m em bers of relevant central governm ent departm ents. This arrange­
m ent is sym b o lic and em phasises the special relationship between central govern­
m ent and autonom ous region. In the cases of G agauzia and M indanao it is also
necessary as the tw o autonom ous entities are artificial constructions from an ad­
m in istrative-territo rial point of view and do not fit into the pre-existing structures
of auth o rity in M oldova and the Philippines. C o -o p tatio n thus becomes a poten­
tial m echanism to deal w ith this kind of irreg u larity and ensure that the special cir­
cum stances of the autonom ous regions are borne in m ind in the process of statelevel law and p o licy-m akin g. C o-optation is n o tab ly absent in the sim ilar cases of
C rim ea and South Sudan, but w ell-com pensated for in the latter through exten­
sive pow er sharing m echanism s. In C rim ea, the R epresentative O ffice of the
President of U krain e acts, in part, as a coordination m echanism w ith oversight,
but w ith out executive pow ers.
The need for jo in t com m ittees and im plem entation bodies often arises from
tw o sources - to find com m on interpretations for specific aspects of agreem ents
and regulations and to coordinate the im plem entation of specific policies at state
and sub-state levels. Exam ples of the form er are B ougainville and G agauzia,
w hile the latter can be found in M acedonia (inter-ethnic relations), M indanao
(developm ent), N orthern Ireland (cooperation between N orthern Ireland and
the Republic of Ireland and am ong all entities p a rty to the B ritish-Irish C ouncil)
and South Sudan (constitutional review, application of Sh ari’a law, hum an rights,
elections, referendum s, fiscal and financial allocations). Such bodies u su ally hold
regular m eetings (B ougainville, M acedonia, M indanao, N orthern Ireland, South
Sudan); and th ey can be in their nature dom estic, centre-periphery bodies (B ou­
gainville, M acedonia, M indanao, South Sudan) or reflect the international d i­
mension of a p articular self-determ ination conflict (N orthern Ireland). T hey
m ay be prescribed in agreem ents between the conflict parties (B ougainville,
M indanao, N orthern Ireland, South Sudan) or arise from actual needs (G agauzia
and M acedonia).
272
Stefan W olff
In the case of South T yrol, significant aspects of the o riginal negotiations of the
autonom y statute in the 1960s w ere carried out b y the so-called C om m ission of
N ineteen, involving representatives of South T yrol and the Italian governm ent.
Subsequently tw o separate com m issions w ere created to facilitate and oversee the
im plem entation of the statute in relation to provincial and regional aspects of au ­
tonom y. Since 1997, a further com m ission, required according to article 137 of the
autonom y statute has been operational w hich deals sp ecifically w ith questions of
m in o rity protection and econom ic, social and cultural developm ent of the ethnic
groups in South T yrol. This com m ission m ust be consulted in case of any planned
changes to the autonom y statute. A further special com m ission was created in
2001 to deal w ith the im plem entation of changes resultin g from the 2001 reforms
of the autonom y statute and the Italian constitution. A standing com m ission at
the office of the Italian Prim e M inister, created to m onitor the im plem entation of
the statute, has been in place since 1972. In addition to p o licy coordination at the
level of com m issions, South T yro l’s autonom y also benefits from a strong and in­
dependent ju d icial system , w hose role, however, has changed sign ifican tly in the
operation of the system , especially the role of the constitutional court in pro tect­
ing South T yro l’s legislative acts from undue interference b y the central govern­
ment.
U nique to B osnia and H erzegovina is the direct intervention of the in ter­
national co m m u nity as a m echanism to coordinate law and p o licy-m akin g. H ere,
pow erful international officials retain significant pow ers enabling them to inter­
vene d irectly into the political processes of the tw o entities. This results p rim arily
from the unprecedented involvem ent of the international com m unity in the p ro ­
cess of resolving the three un d erlyin g self-determ ination conflicts w ith in Bosnia
and H erzegovina and the resp on sib ility that international agents thereby assum ed
for post-conflict state construction, as w ell as from the p articu larly bitter nature
of the disputes concerned.
The three theories of conflict resolution discussed above offer some lim ited
guidance on coordination m echanism s. A ll three gen erally em phasise the im port­
ance of a law -based system and thus of the role played by independent judicial in ­
stitutions. L iberal consociationalists further allo w for additional coordination
m echanism s. In fact, a k ey characteristic of “regional consociations” is the pres­
ence of such coordination m echanism s (cf. W olff 2004).
3.
The Composition an d Powers o f the Executive, Legislative and
Ju d icial Branches o f G overnm ent and the Relationship between Them
a) The N ature of the G overnm ent System and the C hoice of E lectoral System s
A key difference betw een consociationalists on the one hand, and centripetalists
and pow er-dividers, on the other, is their disagreem ent over the u tility of p arlia­
m entary o r presidential system s, i.e., w hether the chief executive of the govern­
m ent should be d irectly elected or em erge from w ithin parliam ent. These differ­
ences are reflected in the practical aspects of the conflict settlem ents discussed here.
R esolvin g Self-D cter m in atio n C o nflicts
273
Table 5: P a rlia m en ta ry vs. P residen tial S ystem s
C entral
p a r lia m e n ta ry
s ystem
C e n tra l
presid ential
system
Sub-state
p ar lia m en tary
system
i!:l 1 :
Brussels
South T y r o l2-'
Federatio n of B iH
B e lgium
Italy
M a c e d o n ia
M o ld o v a
P a p ua N e w G uin ea
Ph il ip pin es
S ud an
Ukraine"'
U n ite d K in g d o m
Sub -state
p resid ential
system
G a g a u zia
Bo ugainv ille
M in d a n a o
S ou th Sudan
C r im e a
N o r th e r n Ireland
* D enotes sem i-p resid e n tia l system
As illustrated in Table 5, there is a slight predom inance of p arliam en tary system s,
both at central, and w here applicable, sub-state level of governm ent. O f these, the
U K , Papua N ew G uinea24, B ougainville25, and C rim ea use p lu rality electoral sys­
tems, all others rely on PR system s for the election of m em bers of their respective
parliam ents. N o tew o rth y is, however, the use of preferential system s in N orthern
Ireland (Single Transferable Vote) and South T yrol (open p arty list system ). Such
preferential system s are generally more clo sely linked to the centripetalist ap­
proach, even though H o ro w itz ’s clear preference is m ajoritarian preferential sy s­
tems. The fact that consociationalists have come to appreciate preferential system s
more as w ell, indicates both a greater openness tow ards the potential benefits of
preferential system s (i.e., election of more m oderate leaders), and a ‘lib eralisatio n ’
and ‘dem ocratisation’ of consociationalism aw ay from L ijp h art’s earlier prefer­
ence for the elite cartel.
In presidential system s, both at central and sub-state levels of governm ent, the
method of electing presidents is b y sim ple m ajo rity vote w ith a second-round
run-off between the tw o candidates topping the first-round ballot. The low er
23 A ccording to the 2001 revised autonom y statute, the L an desha u ptm an n can now be
elected directly, but w ill at the same time rem ain head of the provincial governm ent, w hich
needs to be elected b y the provincial parliam ent. O nce the relevant legislation for the direct
election of the L an d esh a u p tm a n n has been passed, South T yro l’s system of governm ent w ill
be an unusual type of p arliam en tary system w ith a directly elected prim e m inister w ho at the
same time is head of ‘state’.
-4 Elections to the parliam ent of Papua N ew G uinea used a version of AV, the so-called
Lim ited Preferential Vote, between 1964 and 1975, and since 2002. Between 1975 and 2002, a
single member p lu rality system was in operation.
25 A ccording to the Bougainville C onstitution, there are three reserved seats each for form er
com batants and wom en, representing the three regions of the Autonom ous Region of Bou­
gainville. M an datory representation of form er com batants can be abandoned by a tw o-thirds
m ajority vote in the regional parliam ent.
274
Stefan W olff
cham bers of parliam ent at the central level are elected b y either p lu rality system s
in single-seat constituencies (Sudan), parallel m ixed system s (Philippines,
U krain e), or L ist PR (B iH ). A t sub-state level, the electoral system for parliam ent
in M indanao is a parallel mixed system , in G agauzia it is p lu rality in sin gle­
m em ber districts. N o elections have yet taken place in South Sudan and no elec­
toral system has been determ ined yet.
b) P ow er Sharing
O ne elem ent of the co m plexity of self-governing regim es as a m echanism to re­
solve self-determ ination conflicts stems from the fact that constitutional engineers
have developed innovative w ays to com bine tradition al structures of horizontal
pow er sharing (i.e., at different levels of au th o rity w ith in a m ulti-level system of
governm ent) and vertical p o w er dividing (i.e., the assigning of com petences to
different levels of au th o rity w ith in a m ulti-level system of governm ent).
As show n in Table 6, the cases of M acedonia and M indanao dem onstrate that
the absence of form al structures of pow er sharing at the centre does not preclude
pow er nevertheless being shared to some extent. In M acedonia, this is m ore ob­
vious, as the c o u n try’s dem ographic balances, structure of the p arty and electoral
system s com bine in a w a y that m akes the form ation of governm ent coalitions be­
tw een ethnic M acedonian and ethnic A lbanian parties likely, and th ey have been a
reality since 1992. In M indanao, on the other hand, there is a som ew hat greater
degree of fo rm ality in po w er sharing arrangem ents at the centre as m em bers of the
sub-state level governm ents are co-opted into respective branches of the central
governm ent. C o -o p tatio n , however, lim its the extent of the influence that can be
exercised b y the region at the centre as sub-state level co-optees are outnum bered
b y other mem bers of the central governm ent and have little, if any, leverage com ­
pared to situations in w hich a sub-state level p arty is a m em ber of a governing
coalition and can p o ten tially exercise veto pow ers.
H o rizo n tal p o w er sharing at the sub-state level exists in all those cases w here
there is significant ethnic or other d iv ersity w ith in the region, i.e., w here m ere de­
volution of pow ers to a lo w er level of au th o rity w o uld sim p ly replicate the con­
flict at the state level. This is clearly the case in B osnia and H erzegovina (F eder­
ation level), B russels, M indanao, N orthern Ireland and South T yro l26. M ore spe­
cifically, the South T yrol arrangem ents can be described as a “nested consocia­
tio n ”, that is consociational structures exist at both the provincial (South T yrol)
and regional27 (Trentino-South T yrol) levels. This reflects the territo rial organi­
sation of the Italian state into regions and (n o rm ally) subordinate provinces. On
the other hand, G erm ans are a m in o rity at the regional level, w h ile Italians are in a
26 C rim ea’s constitution does not provide for formal structures of pow er sharing, but local
pow er dem ographic and pow er balances m ake vo lu ntary inter-ethnic pow er sharing at least
likely.
27 The Italian system distinguishes between regions and provinces as second- and thirdorder levels of territorial adm inistration.
R es o lv in g Self-D eterm in a tio n C o n flic ts
275
Table 6: H oriz o n ta l E xecutive P o w e r S haring at C entral a n d S u b-state L evels o f A uthority
N o horizontal
pow er sharing
H orizon tal pow er
sharing at the centre
H orizontal power
sharing at sub-state
level only
H orizontal pow er
sharing at the centre
and sub-state level
M acedonia28
M oldova31
C rim ea29
N orthern Ireland
South T yro l33
BiH /Federation of B iH 30
PN G /Bougainville32
Belgium /Brussels
Philippines/M indanao34
Sudan/South Sudan35
m in o rity position in the province. G iven that, until the 2001 reform s, the region
was a much more im portant political p layer in relation to the exercise of South
T yro l’s com petences, concerns of G erm an-speakers about political influence
could be addressed b y in cluding them m andatorily in the regional cabinet. A t the
sam e tim e, the Italian m in o rity in South T yrol required sim ilar protective m ech­
anism s. To achieve a stable equilib rium in the face of this dual m in o rity situation
required the establishm ent of such an interlocking consociational m echanism that
w ould recognise and protect both m ain linguistic groups w ith in the existing struc­
ture of territo rial-p o litical organisation.
In contrast to the ‘abundance’ of pow er sharing arrangem ents in the case of
South T yrol, m andatory state and sub-state horizontal p o w er sharing m echanism s
are lackin g in M acedonia, but their absence can be explained w ith reference to the
same territo rial, dem ographic and political factors. The territo rial concentration
of ethnic A lbanians, the range of pow ers devolved to the m unicipal level and the
28 Even though there is no m andatory pow er sharing at an y level in M acedonia, the pow er
balance of national politics makes coalitions at the centre betw een ethnic M acedonian and
ethnic A lbanian parties h igh ly likely. In fact, so far ethnic A lbanian parties have been present
in all coalition governm ents since M acedonia’s independence, except for the 1990-1992 “gov­
ernm ent of experts”, w hich w as not structured around political parties, but also included
three ethnic A lbanians. M y thanks to Eben Friedm an for providing this inform ation.
29 Pow er sharing at regional level is not m andatory, but a lik e ly outcom e of the regional
dem ographic and pow er balances.
30 M andatory pow er sharing at regional level only applies to the federation and cantons
w ithin it.
31 To the extent that members of the executive com m ittee of G agauzia are co-opted into the
corresponding structures of the central governm ent, there is a certain degree of pow er shar­
ing at the centre.
32 The regional constitution of B ougainville determ ines m andatory inclusion of represen­
tatives of B ougainville’s three regions into the regional government.
33 The self-governance arrangem ents in South Tyrol com bine horizontal pow er sharing at
the level of the province (South T yrol) and the region (Trentino-South Tyrol).
To the extent that certain members of the governm ent of the A utonom ous Region of M us­
lim M indanao are co-opted into structures of the central governm ent, there is a certain degree
of pow er sharing at the central level in addition to the m andatory pow er sharing at regional
level.
33 In the period p rior to elections.
276
Stefan Wolff
o p p ortun ity for citizens to establish a further layer of au th o rity at the neighbour­
hood level addresses a w ide range of self-governm ent concerns am ong ethnic A l­
banians. In addition, the num erical strength of ethnic A lbanians in the M acedo­
nian p o lity and the structure of its p arty and electoral system s guarantee sign ifi­
cant representation of ethnic A lbanian parties in the M acedonian parliam ent and
m ake their participation in a coalition governm ent at least h igh ly likely. This
strength of A lbanians that allow s them to benefit fu lly from the im plem entation
of local autonom y as foreseen in the O hrid A greem ent, is another explanation for
the absence of horizontal p o w er sharing: the geographical concentration and size
of the m in o rity m ake a solution based on substantive regional autonom y less
attractive for ethnic M acedonians, as it could be construed as a first step to the
p artitio n of the country.
This indicates that under certain conditions - relative territo rial concentration
of ethnic com m unities, sufficient levels of devolution and a m inim um degree of
representation at the centre - vertical division of pow ers can function as a useful
substitute for form al structures of horizontal po w er sharing both at central and
sub-state level and suffice in addressing institutional dim ensions of pow er ( r e d is ­
tribution in self-determ ination conflicts. The fact that v ertically divided powers
can o n ly substitute for horizontal levels of pow er sharing under v ery specific con­
ditions is also highlighted by the exam ple of B osnia and H erzegovina where des­
pite w id e-ran gin g devolution, horizontal p o w er sharing rem ains m andatory at the
level of state institutions and at the level of the B o sn ian -C ro at Federation.
It is im portant to note, however, that the absence of form al pow er sharing
structures, i.e., the lack of a consociational requirem ent for a cross-com m unity
representative executive, should not be equated w ith either the absence of pow er
sharing at all, or the derogation of com m unal identities from the public to the p ri­
vate sphere. F urtherm ore, vo lu n tary executive pow er sharing arrangem ents that
em erge do not necessarily do so on the basis of a specific electoral system . C en ­
trip etalists’ favourite AV m odel is absent in all relevant cases - deputies to the C ri­
m ean Suprem e C o un cil are, since 1998, elected on the basis of a single-seat nonpreferential m ajoritarian system , and M acedonia’s m em bers of parliam ent are
elected b y a parallel m ixed system .
V.
Conclusion: Some Tentative Empirical and
A nalytical Observations about the Emerging Practice of
Complex Power Sharing
Com plex pow er sharing in practice com bines regim es of territo rial self-governance w ith a v ariety of other m acro-level techniques of conflict resolution - pow er
sharing and po w er-dividin g - and a range of ‘sup p lem en tary’ m echanism s - spe­
cific electoral system s, hum an and m in o rity rights legislation, and coordination
and arbitration m echanism s - that need to fit the specificities of the p articular case
R eso lvin g Self-D eterm in a tio n C o nflicts
277
to w hich they are applied, but also, and im portantly, have to fit each other. This
means that there are lim its to the extent to w hich designers of com plex pow er
sharing settlem ents can choose at random from the available menu of m echanisms
and techniques.
This is borne out b y the com parative analysis in this chapter w hich started from
the em pirical observation that a significant num ber of recent conflict settlem ents
establish territo rial self-governance regim es that com bine forms of horizontal and
vertical pow er sharing and pow er dividing in an effort to establish stable in stitu­
tional processes conducive to resolving self-determ ination conflicts. Vertical
pow er sharing and pow er dividing prove necessary com plem ents of territorial
self-governance in tw o w ays: self-governance regim es cannot be established in
specific territo rial entities w ith ou t it, and such entities become a locus of power,
no p o w er can be shared at the sub-state level. Pow er sharing and pow er dividing
in the B osn ian -C ro at Federation, in B ougainville, in Brussels, in the A utonom ous
R egion of M uslim M indanao, in N orthern Ireland, South Sudan and South Tyrol
w o uld not be possible if these regions had not been established as legal-political
entities and powers had not sub sequently been devolved to them.
The m ain difference betw een regions w ith horizontal structures of pow er shar­
ing and those w ith o u t is first of all one of the degree of ethnic (or other) heteroge­
neity. The bipolar ethnic and/or political dem ography of the B o sn ian -C ro at Fed­
eration, B ougainville, B russels, N orthern Ireland and South T yrol, as w ell as the
religious and tribal m ix in South Sudan and in the provinces that opted for m em ­
bership in the A utonom ous R egion of M uslim M indanao, required constitutional
designers to devise m echanism s of conflict regulation below the central state level
and beyond tradition al notions of sub sid iarity and devolution. C ontext-sensitive
institutional design is reflected, am ong others, in the differences in pow er that
sub-state level po w er sharing authorities have in all these cases and the degree of
pow er that low er levels of au th o rity w ith in them enjoy, such as the cantons in
the B osnian-C roat Federation, the individual provinces that m ake up the A uto­
nomous Region of M uslim M indanao, or the States that are part of South Sudan.
Sub-state level or central (form al) horizontal structures of pow er sharing are
m issing, w here d em ography and the vertical layerin g of au th o rity have com bined
favourably in w ays that m ake them superfluous. In C rim ea, dem ography and
electoral and p arty system s com bine to result in a reasonably equitable represen­
tation of the regio n ’s three m ain groups - R ussians, U krainians and C rim ean Ta­
tars - in parliam ent and also encourage executive inter-ethnic po w er sharing. In
M acedonia, the territo rial concentration of ethnic A lbanians in the w est of the
country, com bined w ith a substantial degree of autonom y and pow er for local
com m unities, is considered sufficient to address the k e y concerns of the m in o rity
com m unity. M oreover, the fact that the dem ographic balance in the co un try and
the structure of its p arty system facilitate inter-ethnic coalitions at the centre con­
tributes to the relative overall satisfaction that m ajorities in both ethnic groups de­
rive from this settlem ent. In M oldova, the relative ethnic hom ogeneity of G agau­
zia, the ab ility of residents in districts to determ ine by referendum w hether they
278
Stefan Wolff
w anted to be part of the autonom ous territory, and the fact that local affairs in
these districts are run lo cally all com bine to provide sufficient autonom y for in di­
viduals and com m unities to m ake form al sub-state level pow er-sharing unneces­
sary.
M echanism s of po w er dividing exist in all cases discussed as w ell. A p art from
the vertical division of power, i.e., the distribution of pow ers between different
vertical layers of authority, one also finds a range of horizontal m echanism s advo­
cated b y pow er dividing theory: m ost obviously there is, in all cases, an em phasis
on independent ju d icial institutions tasked w ith the upholding of the constitu­
tional order and the enforcem ent of hum an and m in o rity rights legislation. D ivi­
sion of pow er betw een executive and legislative branches of governm ent exists as
w ell, but is not as universal. Indeed, p arliam en tary system s are m argin ally more
com mon both at central and sub-state levels of governm ent. W here these system s
are an integral part of conflict resolution efforts, th ey are stro n gly correlated w ith
the establishm ent of executive pow er sharing: th ey are prescribed in Belgium ,
Brussels, the Federation of B osnia and H erzegovina, N orthern Ireland and South
T yrol, and em erge v o lu n tarily in M acedonia and C rim ea. B y the sam e token,
presidential system s, favoured b y pow er-dividers, do not preclude executive
pow er sharing. B osnia and H erzegovina (albeit w ith a sem i-presidential system ),
Sudan and South Sudan serve as illustrations.
From this degree of variation across the case studies one can draw a num ber of
both an alytical and em pirical conclusions. A dditionally, there is a more funda­
m ental conceptual point w orth noting. A t the beginning of this chapter, I noted
that the claim s b y groups invoking a right to self-determ ination can range from
dem ands for independent statehood and unification w ith another state to terri­
torial self-governm ent w ithin an existing state and no n -territo rial self-governrnent (or cultural autonom y). The an alysis confirm s the assum ption that there is a
general reluctance b y the international com m unity (a com m unity of states, after
all) to acquiesce to dem ands for external self-determ ination, w h ile a w ide-ranging,
and at times quite innovative, range of m echanism s has been em braced to accom ­
m odate internal self-determ ination claim s. A t the sam e tim e, the rejection of ex­
ternal self-determ ination claim s is not absolute: apart from the recent situations of
Kosovo, South O ssetia, and A b kh azia, w here some m easure of international rec­
ognition has been extended in cases involving u n ilateral declarations of independ­
ence, some of the cases analysed in this chapter use the m echanism of an interim
settlem ent to postpone the potential exercise of a righ t to self-determ ination qua
secession in the future. B ougainville, South Sudan, and w ith some qualifications
also G agauzia and N orthern Ireland, indicate that independent statehood or unifi­
cation w ith another state are b y no means off the agenda of conflict resolution.
W hat distinguishes the latter four cases from the form er three, however, is the
intent to resolve the u n d erlyin g self-determ ination disputes consensually, rather
than on the basis of a balance of p o w er that favours one p arty over another. In this
sense, com plex pow er sharing, as discussed here, is ju st one potential, albeit more
likely, outcom e of settlem ent negotiations. W hat m atters m ost is that disputes are
R es o lv in g Self-D eterm in a tio n C o nflicts
279
resolved peacefully and that the settlem ents achieved are w o rkab le and sustain­
able.
As far as com plex pow er sharing is concerned, and thus the w o rk ab ility and
sustain ab ility of the respective settlem ents, there are four im portant lessons for
the role that com plex pow er sharing regim es have in conflict resolution. First, d i­
viding pow er along a vertical structure of institutions can serve as a useful substi­
tute for form al horizontal pow er sharing at either state or sub-state levels, pro­
vided that state-w ide or sub-state ethnic dem ographies create su itab ly hom ogene­
ous territories and that substantial pow ers are devolved from the centre. In other
w ords, such cases lend them selves to the application of forms of territo rial auto­
nom y or of the su b sid iarity principle, instead of the use of executive co-decision
m aking as foreseen b y pow er sharing institutions. M oreover, a reasonable degree
of representation of m in o rity groups at the relevant ‘cen tral’ level (sub-state in the
case of C rim ea, central state in the case of M acedonia), in addition to these other
two conditions, also seems to facilitate this kind of in stitutio nal structure.
Second, no attem pt w as m ade in an y of the case studied to create heterogeneous
entities as subjects of territo rial self-governance. H eterogeneity, w here it exists,
was addressed b y means of consociational pow ersharing w ith in the self-governing
territo rial entity. This means that one key recom m endation b y advocates of centripetalist approach and pow er dividing - to encourage heterogenous territorial
entities - was not follow ed b y practitioners of conflict resolution in an y of the
cases studied.
T hird, coordination betw een different vertical layers of auth o rity and the estab­
lishm ent of a clear division of pow ers are im portant to ensure that vertical layering
of auth ority rem ains m eaningful and can contribute to the long-term sustain ab il­
ity of a p articular conflict settlem ent. W here there is a danger of eroding the de­
gree of self-governance enjoyed b y specific territo rial entities and their p opu­
lations created as a p articular layer of au th o rity w ith the specific purpose of con­
flict resolution (such as G agauzia, M indanao, South Sudan, and w ith som e qu alifi­
cations, C rim ea), conflict settlem ents m ay not be sustainable in the long term.
This means, fourth and finally, that w ithout safeguards against arb itrary gov­
ernm ent interference, it is u n lik ely that the conflict parties w ill develop a sense of
satisfactory perm anence and p red ictab ility in relation to a p articular conflict
settlem ent. Legal and constitutional entrenchm ent, p o ssib ly alongside inter­
national guarantees, is thus one im portant m echanism for the stabilisation of insti­
tutional structures. These and other pow er dividing strategies that provide checks
and balances on the exercise of pow er serve to ensure that principles of liberal
dem ocratic state construction shape com plex p o w er sharing regim es and enhance
their longer-term legitim acy. These strategies, of course, are fu lly com patible with
both schools of pow er sharing as w ell.
A n alytically, it appears that none of the three theories of conflict resolution
fully capture the current practice of com plex p o w er sharing. H aving said that, lib ­
eral consociationalism em erges as the one th eo ry that is most open to incorpo­
ration of elem ents of centripetalist approach and pow er dividing. W ithin a liberal
280
Stefan Wolff
consociational fram ew ork, there is room (and a recognised need) for a range of
pow er dividing strategies, including a strong role for ju d icial entrenchm ent and
enforcem ent m echanism s, and un iv ersally applicable and enforceable human
rights legislation. L iberal consociationalism is also open to a vertical division of
pow er on the basis of non-ascriptive, i.e., non-ethnic criteria, but in contrast to
pow er dividing and centripetalism does not rule it out either should self-deter­
m ined entities on that basis em erge and desire territo rial or corporate self-govern­
ance. Liberal consociationalists and centripetalists share some com m on ground in
term s of the principle of preferential electoral system s, even though th ey disagree
about w hether preferential PR or m ajoritarian system s are better suited to achieve
outcom es conducive to stable settlem ents in the long-term . In support of pow er
sharing more generally, the em pirical evidence presented in this article also in di­
cates that executive inter-ethnic p o w er sharing is a com ponent of all institutional
designs discussed - either as a m andatory requirem ent or as an outcom e of the ap­
p lication of certain in stitutio nal design features (esp ecially the use of specific elec­
toral system s) to p articu lar (territorial-dem ographic) contexts.
The second point w o rth em phasising is related to the stab ility of the settlem ents
discussed. In other w o rds, is com plex pow er sharing a feasible alternative to the
p urist im plem entation of existing theories, or is it the result of m isguided and illinform ed diplom ats and p o licy m akers m aking choices of short-term convenience
rather than long-term prudence? T here is little point in m aking im m odest claims
at this stage about the feasib ility of com plex pow er sharing, as conceptualised and
analysed here, as a conflict resolution strategy equal, if not superior to w hat exist­
ing theories prescribe. W h ile com plex pow er sharing practice may even tually lead
to a synthesis of existing theories in a com plex pow er sharing fram ew ork, there is
as y et not enough real-w orld evidence about how stable such regim es can be
under varyin g conditions. The cases exam ined in this chapter w ere all sim ilar to
the extent that th ey com prised self-determ ination claim s b y territo rially concen­
trated id en tity groups that lent them selves to the establishm ent of com plex pow er
sharing regim es w ith territo rial self-governance arrangem ents at th eir heart. Some
of them have proven relatively stable over tim e (i.e., over ten years): Belgium ,
Brussels, B osnia and H erzegovina, C rim ea, G agauzia, and South T yrol. N orthern
Ireland has after significant d elays, achieved a rem arkable in stitutio nal com pro­
mise. O thers, including B ougainville, South Sudan and M acedonia are too short­
lived to provide reliable data about their long-term stability. M indanao has o n ly
achieved partial success in bringing peace to a troubled region of the Philippines.
In all these cases, however, further analysis is required to determ ine causal re­
lations between in stitutio nal design and the d u rab ility of peace.
For com plex po w er sharing to develop into a th eo ry of its ow n, further research
is necessary. W h ile I have dem onstrated that it describes a particu lar phenom enon
of conflict resolution practice in adequate detail, m ore w o rk needs to be done to
increase its predictive capabilities (i.e., w hen are com plex pow er sharing regim es
lik ely to em erge) and its explan ato ry value (i.e., w hen and w h y it succeeds). The
latter especially w ill require conflict resolution theorists to engage more thor­
R es o lv in g Self-D eterm in a tio n C o nflicts
281
o ugh ly w ith conflict theory: w hat are the causes and consequences of conflict that
com plex pow er sharing is meant to address? O n ly then w ill it be possible to m ake
sure that com plex p o w er sharing does not em erge acciden tally as a patchw ork of
different conflict resolution m echanism s cobbled together to accom m odate a wide
range of diverse (and m ost likely, incom patible) interests, but to provide a fram e­
w o rk w ith in w hich stable, lasting and u ltim ately successful conflict settlem ents
can be designed.
Summary
In diesem K apitel w ird argum entiert, daß seit einigen Jah ren ein neues K onfliktlösungsm odell Schule gem acht hat, das sich am besten als kom plexe K onkordanz­
dem okratie („com plex pow er sharing“) beschreiben läßt. D abei handelt es sich
um eine M ischform aus theoretisch vorbestim m ten M odellen der K onfliktlösung:
Eine Form von T erritorialautonom ie w ird von verschiedenen anderen M echanis­
men flankiert, die norm alerw eise von unterschiedlichen Schulen der K onfliktfor­
schung befürw ortet w erden.
Dieses A rgum ent w ird in m ehreren Schritten entw ickelt. Zunächst w erden die
verschiedenen A nforderungen an Institutionen in K onfliktgesellschaften theore­
tisch und in A nlehnung an bestehende Forschung hergeleitet. D anach w erden die
institutioneilen E ntw ürfe verschiedener K onfliktlösungsansätze d iskutiert und
der Begriff der kom plexen K onkordanzdem okratie eingeführt. Dem schließt sich
eine em pirische U ntersuchung gegenw ärtiger K onfliktlösungspraxis an, die die
tatsächlichen M anifestationen des M odells der kom plexen K o nkordanzdem okra­
tie veranschaulicht.
Das K apitel schließt m it einer R eihe von em pirischen und analytischen Ü b er­
legungen auf der Basis der vorhergehenden vergleichenden U ntersuchung und
m acht Vorschläge für w eitergehende Forschungen zu r theoretischen und em piri­
schen V ertiefung des M odells der kom plexen K onkordanzdem okratie.
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Kristina Roepstorff
Understanding Self-Determination as
N on-D omination: Calling for a Shift from
Government to Governance?
“[ ...] The whole history of the right of self-determ ination is, fo r better and worse, the story o f
adaptation to the evolving struggles of peoples attempting to achieve effective control over
their own destinies, especially in reaction to circumstances that are discriminatory and oppres­
sive. ”*
Introduction
Since the C old W ar the international com m unity has w itnessed an increasing
num ber of intrastate violent conflicts against governm ents often resulting in the
break-ups of nation states and, in cases, secessions. This em ergence of a ‘new pat­
tern of conflict’ in the 1990s p rim arily challenged the existing state au th o rity and
often resulted in separatist m ovem ents that threatened the territo rial in tegrity of a
state2. In these instances, self-determ ination w as, and is to this day, frequen tly in ­
voked in disparate contexts and by various kinds of groups to support an equally
diverse collection of purposes. The dem and for self-determ ination of a group of
people - religious, ethnic, cultural, linguistic - often collides w ith other funda­
m ental principles of international law, such as the principle of state sovereignty
and of the territo rial in tegrity of the state. W hile acknow ledged as a fundam ental
principle of international law and the international system , the very m eaning of
the right of self-determ ination rem ains unclear, due to its vague definition in in ter­
national law that leaves it open to diverse interpretations and understandings. At
the same tim e, the changing nature of contem porary conflicts together w ith the
dynam ism of the globalised international system m akes a contem porary under­
standing of the right of self-determ ination all the m ore pressing3. This paper
1 Richard Falk, R evisiting the R ight of Self-D eterm ination, in: id, H um an Rights H orizons.
The Pu rsuit ot Justice in a G lobalizing W orld (N ew York 2000) 111.
‘ Flugh Miall, O liver Ramsbotham and Tom Woodhouse, C on tem po rary C onflict R eso­
lution (C am bridge 2007) 59.
3 For a discussion of the role of G lobalisation in self-determ ination conflicts see: Frances
286
Kristina R o c p st o rff
therefore exam ines the v ery m eaning of self-determ ination in international law
and the w ays in w hich self-determ ination can be exercised w hile at the same time
acknow ledging the legitim ate claim s and rights of all the different actors involved.
To this end, the paper starts off by exploring the evolution of self-determ ination in
international law to w o rk out the prevailing understanding of the same. A rguing
that the m eaning of self-determ ination is com m only interpreted along the sover­
eign ty paradigm , the paper proposes an alternative and relational interpretation of
self-determ ination that allow s for a more adequate understanding of com peting
claim s and rights w hen self-determ ination conflicts arise. The paper sub sequently
discusses the im plications of this alternative interpretation of self-determ ination
for the w ays in w hich self-determ ination m ay be exercised. N ot o n ly does this
require the respect of the rights of others, but also the understanding of the locus
of p o w er w ith in a given political entity. The paper therefore explores the extent to
w hich the current debate on new forms of governance m ay be useful for im agining
new form s of pow er-distributio n that are in line w ith a relational understanding of
self-determ ination. The paper concludes that an an alytical shift from traditional
forms of governm ent to new w ays of governance provides a viable tool for elab ­
orating alternative and creative responses to self-determ ination conflicts.
The emergence of self-determination on the international
scene
Self-determ ination first em erged on the international scene durin g W orld W ar I in
tw o com peting ideological form s, reflecting the differing worldview's of the East
and the West. W hile the C en tral and Eastern European conception of self-deter­
m ination w as p rim arily based on the phenom enon of nationalism , the W estern
conception w as derived from the enlightenm ent ideas of p o p u lar sovereignty and
representative governm ent and was less linked to ethnic and cultural factors than
its Eastern counterpart4. For some decades, W ilson’s approach to self-determ i­
nation that reflected the W estern conception of self-determ ination prevailed and it
was o n ly after W orld W ar II that the Eastern approach prom oted b y Lenin gained
influence. B y that tim e the split betw een the tw o ideological approaches to selfdeterm ination w ere represented b y the Soviet U nion on the one side and the
European pow ers on the other side, evidenced in the Soviet U nion challenge to
Stew art, Valpy FitzG erald and Rajesh Venugopal (eds.), G lobalization, Self-D eterm ination
and Violent C onflict (N ew York 2006).
4 See for example Richard Falk, R evisiting the R ight of Self-D eterm ination, in: ibid, H um an
Rights H orizons. The P ursuit of Justice in a G lobalizing W orld (N ew York 2000) 104;
Richard Falk, Self-D eterm ination under International Law: The Coherence of D octrine ver­
sus the Incoherence of Experience, in: Wolfgang Danspeckgruber (ed.), The Self-D eterm ination of Peoples. C om m unity, N ation, and State in an Interdependent W orld (Boulder
2002) 39; Thomas M usgrave, Self-D eterm ination and N ational M inorities (O xford 1997) 2.
U n de rstan d in g Se lf-D e te rm in atio n as N o n - D o m in a t io n
287
the c o lo n ial o rd e r w h e reas the E uro p ean p o w ers so u gh t to m ain tain th e ir c o lo ­
n ies3. T h e artic u la tio n ot se lf-d ete rm in atio n th at w as su b se q u e n tly in clu d ed in
the C h a rte r of the U n ite d N atio n s (U N )6 has to be u n d ersto o d as a co m p ro m ise
b etw een these tw o co m p etin g id e o lo g ic al co n cep tio n s7.
As a consequence, the C h arter that em phasises the developm ent of frien d ly re­
lations am ong nations based on the respect for the principle of equal rights and
self-determ ination as one of the purposes of the U N rem ains vague on the actual
content of self-determ ination w hich was regarded as a mere political principle
rather than a legal rig h t8.
The m ost im portant step forw ard for acknow ledging self-determ ination as a
legal right in international law em erged in the context of decolonisation in w hich
self-determ ination w as associated w ith gaining independence from the colonial
power. The D eclaration on the G ranting o f Independence to Colonial Peoples in
G eneral Assembly Resolution 15 14 (XV), adopted b y the U N in I9609 provided
for a right of self-determ ination w hile at the same tim e lim iting that right b y af­
firm ing the v alid ity of the principle of the territo rial in tegrity of states10. Sim ilarly,
the International C o urt of Justice in its A d viso ry O pinion in the N atnibia case
(1971) and the Western Sahara case (1975) interpret the right of self-determ ination
as the right of form er colonies to independence11. Self-determ ination was thus
p redom inantly linked to the idea of so vereign ty in the form of independent state­
hood.
This tendency to interpret the righ t of self-determ ination in line w ith w hat can
be called the sovereignty paradigm prevails to this d ay despite the existence of sev­
eral instrum ents allow ing for different possible outcom es of a self-determ ination
process including: the D eclaration on Principles o f International L aw concerning
Friendly Relations an d Cooperations among States that was adopted as G eneral
A ssem bly R esolution 2625 (X X V ) in 1970 and the tw o m ajor hum an rights cov­
enants, the International C ovenant on C iv il and Political Rights an d the Inter­
national C ovenant on Economic Social and C u ltu ral Rights (1976)12.
3 Antonio Cassese, Self-determ ination of peoples: a legal reappraisal (C am bridge 1995) 14.
6 The C harter of the U nited N ations w as adopted in 1945 b y the form er League of N ations.
Self-D eterm ination is m entioned in A rticle 1(2) and A rticle 55.
7 Richard Falk, “R evisiting the R ight of Self-D eterm ination”, in: ibid, H um an R ights H o ri­
zons. The Pursuit of Ju stice in a G lobalizing W orld (N ew York 2000) 106.
8 C harter of the U nited N ations, A rticle 1 (2).
9 Christian Tomuschat, M odern Law of Self-D eterm ination (D ordrecht 1993).
10 D eclaration on the G ranting of Independence to C olonial Peoples (G eneral A ssem bly
Resolution 1514 [X V]), Paragraph 2.
11 Legal C onsequences for States of the C ontinued Presence of South A frica in N am ibia,
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12 D eclaration on Principles of International Law concerning F riend ly Relations and C o ­
operations am ong States, GA R esolution 2625 (XX V), (1970): “[ ...] The establishm ent of a
sovereign and independent State, the free association or integration w ith an independent
State or the emergence into an y other political status freely determ ined by a people constitute
modes of im plem enting the right of self-determ ination by that p eo p le.” C ited in: A llan
288
K ris tina R o e p s t o rfl
The sovereignty paradigm: self-determination and political
freedom as non-interference
T here are several consequences of the com m on interpretation of self-determ i­
nation derived from the sovereignty paradigm . This can be exem plified when
looking at one of the essential questions in the application of the right of self-de­
term ination, that is who should be considered as ‘a p eo p le’ to whom this right
is ascribed. The question becomes apparent in the discussion on the rights of
indigenous people: W h ile the representatives of indigenous peoples them selves
insist on their right of self-determ ination as a people, states have hesitated to
acknow ledge such a right, the m ain reason being the fear that this w ould lead to a
full recognition of their right of self-determ ination as a right to secession and
independent statehood as established in the decolonisation era13. T hus, the two
C onventions on indigenous rights adopted b y the International L ab o ur O rgan i­
sation, the term ‘p eo p le’ is avoided altogether: the first C onvention from 1957
uses the term populations and the second from 1989, although using the term
peoples, makes clear in A rticle 1(3) that this usage m ust not be construed as having
any im plications in regard to its usual m eaning under international law - nam ely
the right of colonised people to attain independence. M oreover, the influence of
this debate is reflected in the w o rdin g of the recently adopted United Nations
D eclaration on the Rights o f Indigenous Peoples from Septem ber 2007. W hile ac­
know ledging the right of their status as peoples and their consequential en title­
ment to the right of self-determ ination in article 3, the subsequent text lim its the
potential w ays of exercising self-determ ination and introduces their right to
autonom y or self-governm ent in m atters relating to their internal and local affairs
and therew ith not threatening the territo rial in tegrity of the state14. T hus, it can be
claim ed that the declaration constitutes a restrictive interpretation of self-determ ination.
H ow ever, it can be argued that this form ulation of indigenous peoples’ right of
self-determ ination is both restrictive and non-restrictive. It is restrictive in the
sense that it seems to rule out secession or independent statehood as a w a y of real­
ising self-determ ination. B ut it is non-restrictive in the sense that it acknow ledges
different w ays of realisin g self-determ ination, offering a broader interpretation of
self-determ ination. W h ile a com m on interpretation of self-determ ination, derived
from the sovereignty paradigm , lim its the potential w ays of realising self-determ iRosas, Internal Self-D eterm ination, in: Christian Tomuschat, M odern Law of Self-D eterm i­
nation (D ordrecht 1993) 226; See also com m on article 1 of the IC C P R and the IC E SC R ,
establishing the right of self-determ ination as a right of peoples to freely decide on their
political status and pursue their econom ic, cultural and social developm ent.
13 Patrick Thornberry, The D em ocratic or Internal Aspect of Self-D eterm ination w ith some
rem arks on Federalism , in: Christian Tomuschat, M odern L aw of Self-D eterm ination (D or­
drecht 1993) 128; Richard Falk , R evisiting the R ight of Self-D eterm ination, in: ibid, H um an
Rights H orizons, The P ursuit of Justice in a G lobalizing W orld (N ew York 2000) 124.
14 D eclaration on the R ights of Indigenous Peoples.
U n d e rstan d in g Se lf-D e te rm in atio n as N o n - D o m in a t io n
289
nation to secession or independent statehood, an alternative interpretation of selfdeterm ination, based on a relational understanding of the same, allow s for a vari­
ety of outcom es from the self-determ ination process. This needs some m ore clari­
fication, leading to the first key question of w hat the com m on interpretation of
self-determ ination is, and w hether it is appropriate for the understanding of and
responding to self-determ ination conflicts.
Though it has been argued that self-determ ination does not necessitate a fixed
outcom e but that it rather prescribes the process leading to the outcom e it re­
m ains, however, that the predom inant understanding of self-determ ination is
clo sely linked to the idea of state sovereignty. This paradigm and its consequences
have been w ell described by Iris M arion Young-.
“In this paradigm , a self-determ ining people dw ell together in a relatively large
territo ry in w hich o n ly m em bers of their group reside, and this hom ogenous ter­
rito ry is contiguous and bounded; the self-determ ining people exercises strong
self-governm ent rights over this territory. This autonom ous region m ay not be
sovereign, but rather m ay stand in form alised relation to a larger state. This p ara­
digm of self-determ ination has guided m any political events and international
interventions [ ...] w here groups w ith conflicting claim s to exclusive sovereignty
over a territo ry reside side by side w ith in that territory, however, as in N orthern
Ireland or republics of the form er Y ugoslavia, adhering to this paradigm tends to
produce injustice and perpetuate cycles of violence.”15
Iris M arion Young argues that this paradigm , together w ith its consequences for
the interpretation of self-determ ination, is derived from the prevailing concep­
tualisation of self-determ ination as non-interference16. This interpretation, it is
claim ed, lim its the m eaning of self-determ ination and the w ays in w hich it can be
exercised. M ost im portantly, this predom inant conception of self-determ ination
ignores the relations of interdependence betw een self-determ ining peoples. N ot
o n ly does it deny rights of interference b y outsiders, but it also brings about the
idea that self-determ ining entities have no obligations w ith respect to other en­
tities. Self-determ ination on this account, then, postulates the leaving alone of the
self-determ ining en tity to conduct its affairs over its independent sphere. But:
“The peoples w ho have or claim self-determ ination are in evitab ly related to one
another. T h ey have num erous econom ic and social interactions w here each affects
the others, and each risks being adversely affected b y actions of the others because
of their relationship. Because agents and groups are often closely related in com ­
mon contexts w here their actions affect one another, and because th ey are often
unequal in resources or p o w er or both, some of the w eaker units m ay be vu ln er­
able to dom ination b y more pow erful units, not because th ey d irectly interfere,
15 Iris M arion Young, G lobal C hallenges. War, Self-D eterm ination and R esp on sib ility for
Justice (C am bridge 2007) 58.
16 Iris Marion Young, Self-D eterm ination as N on-D om ination: Ideals A pplied to Palestine/
Israel, in: Ethnicities (2005).
290
K ristina R o e p s t o rff
but because th ey determ ine conditions under w hich the w eaker p arty is forced to
act.” 17
T hus, the idea that self-determ ination means to be to tally independent from
others is a ‘dangerous fictio n ’ and an inadequate picture of political and social
realities. Rather, an adequate understanding of self-determ ination m ust prom ote
the cap acity to pursue ow n ends in the context of these relatio n sh ip s18. A ccording
to Iris M arion Young, it is the un d erlyin g and presupposed concept of freedom as
non-interference that does not reflect the reality of interdependence of the social
collectives. An alternative interpretation of self-determ ination can be derived
from the idea of freedom as non-dom ination proposed b y Philip Pettit and ap ­
plied to self-determ ination conflicts b y Iris M arion Young. A nd indeed - such a
conception of self-determ ination seems more suitable to capture the reality in
w hich self-determ ination conflicts occur.
The relational model: self-determination and
political freedom as non-domination
The difference betw een the tw o understandings of self-determ ination is not so
m uch grounded in the p articular theoretical stream of republicanism , liberalism or
com m unitarianism , but in the different perspectives on pow er-relations in society
and its political arrangem ents. In fact, w h ile P ettit’s conception of freedom as non­
dom ination is republican, it is also com patible w ith the liberal idea of a neutral
state that is im partial tow ards people’s cultural and com m unal affiliations. A t the
sam e tim e, the conception of freedom as non-dom ination is an in h eren tly com ­
m unitarian ideal, being both a social as w ell as a com m on good: It is a social good
in the sense that it does not come about b y virtue of the absence of other people,
but rather by acknow ledging social relations and the cap acity of people to exercise
dom ination over others; freedom as non-dom ination cannot be en jo yed b y the
m ere absence of other p eo p le19. N on-dom ination is then a com m on good in p ar­
ticular from the perspective of vu ln erab ility groups:
“The goal of freedom as non-dom ination gives a com m on cause to each of the
salient vu ln erab ility classes in contem porary society: to each of those groups who
are rendered p articu larly vulnerable b y virtue of gender or eth n icity or colour or
sexual preference or w hatever; to each of those groups w ho, in this sense, count as
relatively oppressed [ ...] If we attach ourselves to the prom otion of non-dom i­
17 Iris M arion Young, G lobal C hallenges. War Self-D eterm ination and R esp on sib ility for
Justice (C am bridge 2007) 64.
18 Iris M arion Young, G lobal C hallenges. W ar Self-D eterm ination and R esp on sib ility for
Ju stice (C am bridge 2007) 47.
19 C om m unitarianism stresses the role of com m unity in defining and shaping the individual.
C om m unitarians gen erally criticise classical liberalism not recognising the value of com m u­
n ity for individuals.
U n derstand in g S e lf-D e te rm in a tio n as N o n - D o m in a t io n
291
nation in an y contem porary society, then one of the first things to recognise w ill
be that the politics required for that enterprise cannot just be an atom istic project;
it w ill have to be articulated at the level of group grievance and group assertion, as
w ell as at levels involving in dividuals as such .”20
A ccording to P ettit’s conception of freedom as non-dom ination, persons are
not free if other people have an arb itrary po w er of interference over them. This
holds true even if that pow er is not being exercised - freedom requires the non­
existence, not just the non-exercise, of such power. N on-dom ination, in this in ter­
pretation, means to enjoy the absence of interference by arb itrary pow ers and as
such does not reject every form of interference21.
This raises the question of the criteria according to w hich pow er is to be con­
sidered arbitrary. T here are at least tw o possible answ ers to this. The first is to
define it as a process: P ow er is arb itrary to the extent that it is not extern ally con­
strained by effective rules, procedures, or goals that are com m on know ledge to all
persons or groups concerned22. A lternatively, arbitrariness can be defined sub­
stan tively: pow er is arb itrary when it fails to track the ‘w elfare and w o rld -v iew ’ of
those affected. This substantive definition allow s for at least three further possible
interpretations, depending on w hether the w elfare and w o rld -v iew of those af­
fected are interpreted as (a) their objectively-defined interests, (b) their subjective
preferences, or (c) their shared ideas as expressed through suitab ly-structured de­
liberative and dem ocratic procedures23. W hile Pettit argues in favour of the latter,
it is here argued that a com bination of (a) and (c) is preferable, as p articip ato ry
procedures in them selves m ay not guarantee non-dom ination. W hat is needed in
addition is the assertion of fundam ental rights that underpin the p articip ato ry
procedures. Thus, the objectively defined interests are presented as hum an rights
that deliver the fram ew ork for the structuring of the p articip ato ry procedures.
H ow ever construed, Pettit identifies three sufficient elem ents of a relationship
of dom ination: (1) the capacity to interfere on (2) an arb itrary basis in (3) certain
choices that the other is in a position to m ake. W hile the first refers to an actual
capacity, the pow er to interfere, the second elem ent of a dom ination relationship
em phasises the arb itrary nature of the act. A n act of interference is regarded arb i­
trary w hen the interests or opinions of the affected person or group or people are
being disregarded. The third feature stresses the fact that an agent m ay dom inate
another in a certain dom ain of choice, sphere or aspect or period of life, w ithout
necessarily doing so in all24. A ccording to this definition, a n o n -arb itrary use of
state p o w er can therefore be described in the follow ing w ay:
20 Philip Pettit, Republicanism . A T heory of Freedom and Governance (O xford 1997) 124.
21 Philip Pettit, Republicanism . A T heory of Freedom and G overnance (O xford 1997) 26.
22 Frank Lovett, D om ination: A P relim in ary A n alysis, in: The M onist vol. 84 (2001) 98-112.
23 H enry Richardson, D em ocratic A uto n om y: Public Reasoning A bout the Ends of Policy
(O xford 2002) 37.
24 Philip Pettit, Republicanism . A T heorv of Freedom and Governance (O xford 1997) 5 3 58.
292
K ristina R o e p st o rff
“ [ ...] that the pow er be exercised in a w ay that tracks, not the p ow er-holder’s
w elfare or w orld-view , but rather the w elfare and the w o rld -v iew of the public.
The acts of interference of the state perpetrated b y the state m ust be triggered by
the shared interests of those affected under an interpretation of w h at those in ter­
ests require that is shared, at least at the procedural level, b y those affected.”23
A nd another im portant point to be raised: W hether or not a dom ination rela­
tionship w as consensual or not does not change the nature of the relationship
being one of dom ination and subjugation26. W hat constitutes dom ination is not
the exercise of arb itrary interference, but that one has the capacity for doing so, in
not being equals27. T hus, the differences betw een this form of freedom and the
understanding of freedom as non-interference are based on the fact that one can be
dom inated b y som eone, w ith out suffering interference (exam ple of happy slave),
but also can be interfered w ith o u t being dom inated (exam ple of suitable law s)2S.
So far so good - but how do these different conceptualisations of freedom im pact
on our understanding of self-determ ination in international law ?
Proposing an alternative interpretation of self-determination
First, it is necessary to clarify how self-determ ination in international law is linked
to questions of freedom . To this end, the notion of self-determ ination itself has to
be looked at. As stated in international law, self-determ ination m ost generally
refers to the freedom of peoples to determ ine their ow n p o litical status and form
of governm ent through free expression of their w ill. Self-determ ination therefore
refers to the ab ility of a group to participate in the determ ination of the specific
p olitical arrangem ents and institutions, conditions for th eir participation, as w ell
as the policies to be im plem ented. The notion of self-determ ination is thus in­
h eren tly linked to the idea of freedom : To determ ine one’s own p o litical status and
the conditions for it is o n ly possible w hen one enjoys a certain sphere of freedom .
B ut w hat kind of freedom is it that allow s for self-determ ination? Evidently,
self-determ ination is concerned w ith freedom in respect of political m atters, or
p o litical freedom 29.
25 Philip Pettit, Republicanism . A T heory of Freedom and G overnance (O xford 1997) 56,
26 C onsent to interference is not a sufficient check against arbitrariness or dom ination and
thus the follow ing tw o ideas are problem atic in the light of the idea of freedom as non-dom i­
nation: unconstrained inajoritarianism and the doctrine of free contract. Philip Pettit, R epub­
licanism . A T heory of Freedom and Governance (O xford 1997) 62.
27 Philip Pettit, R epublicanism . A T heory of Freedom and G overnance (O xford 1997) 63.
28 Philip Pettit, R epublicanism . A T heory of Freedom and Governance (O xford 1997) 80.
29 Political freedom is intertw ined w ith econom ic, social and cultural freedom. It is im por­
tant, however, to stress that the conception of freedom that is proposed here is to be ap pli­
cable to self-determ ination in international law. The intention is not to define freedom in all
its meanings.
U n d e rstan d in g S e lf- D e te rm in a tio n as N o n - D o m in a t io n
293
In line w ith the earlier discussion, tw o interpretations of self-determ ination
based on differing conceptions of political freedom can be distinguished: a sover­
eign ty interpretation derived from the idea of political freedom as non-interference and a relational interpretation derived from the idea of non-dom ination30.
The consequences of the first and dom inant understanding of self-determ i­
nation have alread y been discussed. N ow let us exam ine an alternative un der­
standing of self-determ ination as non-dom ination that has been proposed b y Iris
M arion Young.
A ccording to the conception of freedom as non-dom ination, peoples can be
free and therefore able to be self-determ ining o n ly w hen they stand in non-dom i­
nating relations w ith others. A nd as self-determ ining entities stand in relations
w ith others, th ey cannot ignore the claim s of others w hen their actions affect
those others:
“Insofar as their activities affect one another, peoples are in relationship and
ought to negotiate the term s and effects of the relationship. ”3J
F o llow ing from that, Iris M arion Young em phasises four elem ents of self-deter­
m ination in international law : first, the presum ption of non-interference and the
prim a facie right of peoples to self-governance; second, self-determ ination as
im p lyin g the righ t of affected others to m ake claim s on the self-determ ining group
and to negotiate the terms and effects of the relationship; third, self-determ ination
of peoples requires recognised institutions and procedures through w hich peoples
negotiate, settle conflicts as w ell as enforce agreem ents; fourth and finally, selfdeterm ination of peoples requires the participation of peoples in designing and
im plem enting these institutions that are to m inim ise overall dom ination. As a
result:
“Sovereign independence is neither a necessary nor a sufficient condition of
self-determ ination understood as non-dom ination [ ...] self-governing peoples
ought to recognise their connections w ith others, and m ake claim s on others when
the actions of those others affect them , just as the others have a legitim ate right to
m ake claim s on them w hen their interdependent relations threaten to harm
th em .”32
W hat is needed in light of the actual situation of conflicting peoples is a concep­
tion of self-determ ination that p ays due regard to the fact that these groups often
30 W ith sovereignty Young means having final auth o rity w ith in a territory, regulating all its
activities. Iris M arion Young, G lobal C hallenges. War, Self-D eterm ination and R esponsibil­
ity for Justice (C am bridge 2007) 45.
31 Iris M arion Young, Global C hallenges. War, Self-D eterm ination and R esp on sib ility for
Justice (C am bridge 2007) 51.
32 Iris M arion Young exem plifies the difference between a concept of self-determ ination as
non-interference and a concept of self-determ ination as non-dom ination in reference to the
conflict between the Goshutes (a N ative Indian Tribe) and residents of the state of U tah. Iris
Marion Young, Global C hallenges. War, Self-D eterm ination and R esp on sib ility for Justice
(C am bridge 2007) 53-57.
294
K ristina R o e p s t o rff
dw ell together in territo ries33. A nd indeed, contem porary post C o ld W ar conflicts
are p redom inantly intrastate conflicts w here conflicting parties reside on the same
territo ry34. A gainst this background - and b y rejecting the m odel of self-determ ination as non-intcrference and its em phasis of the sovereignty paradigm - the al­
ternative understanding of self-determ ination as non-dom ination calls for im agin ­
ing alternative w ays of addressing of self-determ ination conflicts that do not
necessarily involve independent so vereign ty35.
The m eaning of self-determ ination in international law in thus understood to
mean to be free from dom ination, hence from arb itrary interference. U nderstood
in this w ay, self-determ ination conflicts are then essentially conflicts over re­
lations of dom ination and therew ith over the just distribution of pow er w ith in a
political entity. U nderstood in this w ay, self-determ ination as non-dom ination
points tow ards the necessity of respecting self-determ ination as non-dom ination
through the im plem entation of appropriate m odels of pow er-distribution and
pow er-sharing in divided societies36. N on-dom ination as a norm ative ideal to in ­
terpret self-determ ination does not, however, give direct guidelines for action37.
O n the co n trary: to ensure non-dom ination, pow er-relations and issues of do m i­
nation m ust be regulated both b y institutions in w hich all people concerned p ar­
ticipate as w ell as by ongoing negotiations am ong them 38. A n y response to claim s
for self-determ ination therefore m ust first and forem ost address the fundam ental
issues of dom ination and p o w er in a political entity, especially in the context of
m in o rity-m ajo rity relations.
Realising self-determination as non-domination
Frequently, dem ands for greater self-determ ination are caused by structural, cu l­
tural and p o litical violence, w hich in variab ly encroach on the p o litical freedom of
affected groups, often presenting dom ination of one grou p ’s interest over the
33 Iris M arion Young, G lobal C hallenges. War, Self-D eterm ination and R esp on sib ility for
Justice (C am bridge 2007) 59.
34 Hugh Miall, O liver Ramsbotham and Tom Woodbouse, C ontem porary C onflict R eso­
lution (C am bridge 2007) 61.
35 In reference to the claim s of indigenous peoples, Young holds that their claim s are related
to dom ination issues. An alternative understanding of self-determ ination establishes the
right to their self-governance that should not be interfered w ith b y others arbitrarily. The
same applies in the case of Palestine and Israel. Iris M arion Young, G lobal C hallenges. War,
Self-D eterm ination and R esp on sib ility for Justice (C am bridge 2007) 59.
36 For a discussion of m odels of pow er-sharing and their im plications for divided societies
see for exam ple: Ian O ’Flynn, D a v id Russell and D onald H orow itz, Pow er-Sharing: Institu­
tional and Social Reform in D ivided Societies (London 2005).
37 Iris M arion Young, Global C hallenges. War, Self-D eterm ination and R esp on sib ility for
Justice (C am bridge 2007) 70.
38 Iris M arion Young, G lobal C hallenges. War, Self-D eterm ination and R esp on sib ility for
Ju stice (C am bridge 2007) 40.
U n derstand in g S e lf-D e te rm in a tio n as N o n - D o m in a t io n
295
interest of others. There are m any options available to address the causes of such
violence; however, it appears that the option of last resort, nam ely secession, is
increasin gly invoked by the oppressed group to the extent that the term self-de­
term ination and secession have become syno n ym o us. This is not surprising as the
conception of self-determ ination as non-interference supports an equation of selfdeterm ination w ith secession and independent statehood. But understanding selfdeterm ination as non-dom ination requires a more flexible and creative approach
tow ards com peting self-determ ination claim s. A ccording to this understanding,
self-determ ination is never exercised in a vacuum and is not to be understood as an
absolute right, but has to be balanced w ith other com peting rights and principles
of international law. Ju st as the freedom of one person ends where the freedom of
another person begins, the right of self-determ ination is constrained by others’
righ t for self-determ ination. As Kant fam ously stated:
“F reiheit (U nabhängigkeit von eines anderen nötigender W illkü r) sofern sie mit
jedes anderen F reiheit nach einem allgem einen G esetz zusam m en bestehen kann,
ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem M enschen kraft seiner M enschheit zuste­
hende R echt. - D ie angeborene G leichheit [ ...] m ithin die Q ualität des M enschen,
sein eigener Flerr (sui iuris) zu sein [.. ,].”39
In this light, secession m ay o n ly be exercised under specific circum stances and
depends on the concrete context in w hich the self-determ ination conflicts occur.
This view is supported both legally as w ell as norm atively. N orm atively, one such
attem pt is proposed b y A llen Buchanan’s R em ed ial-R igh t-O n ly T h eo ry that
legitim ates a unilateral right to secede o n ly in severe cases of injustice and gross
hum an rights violations40. In international law, this stance has in creasin gly found
support w ith the advance of hum an rights law and is observable in the debate on
hum anitarian interventions41.
From a more practical view it is also im portant to note that secession is a con­
flict m anagem ent m easure rather than a conflict resolution m easure - in other
w ords, it seeks b asically to separate people rather than addressing the contradic­
tions at the core of the conflict. In that case, secession is not a guarantee for a final
settlem ent of the conflict and m ight even give rise to new conflicts b y generating
new m ajo rity-m in o rity relations42.
This does not mean that secession or independent statehood is never a legi­
tim ate w ay to exercise self-determ ination. But b y m oving aw ay from the sover­
eign ty paradigm w ith its inherent claim for independent statehood, self-determ ination as non-dom ination exam ines the m any different w ays in w h ich self-deter­
m ination m ay be exercised, p ayin g due regard to its relational character. In this
light, secession is o n ly one of m any possible outcom es of the self-determ ination
39 Im m anuel K ant, Die M etaphysik der Sitten. R echtslehre (Stuttgart 1990) 77.
40 Allen Buchanan, Justice, Legitim acy, and Self-D eterm ination (O xford 2004).
41 See for instance: ]. L. H olzgrefe and R obert O. Keohane , H um anitarian Intervention.
Ethical, Legal, and Political D ilem m as (C am bridge 2003).
42 See Jaroslav Tir, Keeping Peace after Secession: Territorial C onflicts Between Rum p and
Secessionist States, in: Jo urnal of C on flict Resolution (2005).
296
K ris tina R o e p st o rff
process43. B ut w hat are the other w ays in w hich self-determ ination as non-dom i­
nation is being exercised?
G enerally: all the w ays helping to dim inish dom ination and the p o w er of arb i­
trary interference. Thus, w h ile self-determ ination as non-interference focuses on
sovereignty of entities, the conceptualisation of self-determ ination as non-dom ination allow s for a more flexible approach and seeks a less hierarchical d istrib u ­
tion of p o w er44. Thereby, not o n ly consensual and unilateral secession, but also
various forms of autonom y, federalism , consociation regim es, decentralisation
and devolution, the principle of subsidiarity, local self-governance and p artici­
pation of the different societal groups in political decision-m aking processes are
possible w ays for enhancing and exercising self-determ ination as non-dom ination45. A nd indeed, these m ay be better w ays of exercising self-determ ination
than the alternative of secession, both in the interest of the state and of the
people46. It has been show n that autonom y can help in the solving of conflicts as
one claim ed advantage of autonom y is its potential for resolving self-determ i­
nation conflicts as it allow s for the accom m odation of conflicting claim s (en­
hanced self-governance versus territo rial in tegrity)47. M oreover, different forms
of federalist or consociation structures m ay prevent self-determ ination conflicts
and are potential solutions to self-determ ination conflicts, as th ey provide for the
allocation of political pow er to subunits of the state48. These possible w ays do
differ in m any respects and have to be evaluated in the ligh t of the actual self-d e­
term ination conflict. For instance, both federalism and consociation reject m ajoritarian dem ocracy to some extent, but th ey are not identical: w h ile consociational
dem ocracy em phasises grand coalition and segm ental autonom y, p ro p ortio n ality
and m in o rity veto, federalism gives p rim ary w eigh t to a guaranteed division of
43 Frederic Kirgis , The Degrees of Self-D eterm ination in the U nited N ations Era, in: The
A m erican Jo urnal of International Law vol. 8, N o. 2 (1994).
44 Iris M arion Young, G lobal C hallenges. War, Self-D eterm ination and R esp on sib ility for
Justice (C am bridge 2007) 59.
45 Asbjorn Fide, In Search of C onstructive A lternatives to Secession, in: Christian Tomu­
schat, M odern Law' of Self-D eterm ination (D ordrecht 1993).
46 O tto Kimrninch, A ‘F ederal’ R ight of Self-D eterm ination?, in: Christian Tomuschat,
M odern Law of Self-D eterm ination (D ordrecht 1993); Patrick Thornberry, The D em ocratic
or Internal Aspect of Self-D eterm ination w ith some rem arks on Federalism , in: Christian To­
muschat, M odern Law of Self-D eterm ination (D ordrecht 1993); For a discussion of the role
of local self-governance see: M arc W eller and Stephan Wolff, A utonom y, Self-G overnance,
C onflict Resolution. Innovative Approaches to Institutional D esign in D ivided Societies
(A bingdon 2005).
47 Hans-Joacbim H eintze, O n the Legal U nderstanding of A utonom y, in: M arkku Suksi
(ed.), Autonomy^: A pplications and Im plications (The H ague 1998) 11.
48 O n a theory of federalism see Stanislaw Ehrlich, Theoretical Reflections in Federations
and Federalism , in: International Political Science Review, Vol. 5, no. 4 (1984). For a com ­
parison of federalism and consociationalism : A ren d Lijphart, N o n -M ajoritarian D em ocracy:
A C om parison of Federal and C onsociational Theories, in: The Jo urnal of Federalism vol. 15
(1985); See also D atiiel Elazar, Federalism and C onsociational Regim es, in: P ublius vol. 15,
No. 2 (1985).
U n de rstand in g Se lf- D e te rm in a tio n as N o n - D o m in a t io n
297
pow er betw een central and regional governm ents49. There are difficulties w ith the
different w ays of exercising self-determ ination as w ell, for exam ple, the question
whether the concept of ethnic federalism is suitable for the resolution of self-de­
term ination conflicts based on ethnicity, or w hether this stim ulates conflicts50.
The same applies to the principles of decentralisation, devolution and subsidiarity.
In general and most im portantly, self-determ ination has to be understood as a
flexible, context-dependent right w hich does not necessitate a fixed outcom e but
rather prescribes the process leading to the outcom e51. This process is not a oneoff event but an ongoing process of negotiation and rearrangem ent of the relatio n ­
ships betw een the different societal collectives through dem ocratic decision-m aking.
H ow ever, the regulation of these interdependent self-determ ining entities
requires w o rkin g joint governance and institutions and processes through w hich
self-determ ination conflicts are to be resolved. And indeed, w hen dealing w ith
self-determ ination claim s, the international com m unity has to deal w ith questions
of governance w ithin societies where self-determ ination conflicts arise52. This
leads us to the current and fashionable debate on the concept of governance in
contem porary political science. L in kin g the conceptualisation of self-determ i­
nation as non-dom ination to the debate on new forms of governance points to ­
w ard an an alytical shift from governm ent to governance - w h ereb y governance
refers to a less hierarchical form of governing that prom otes decentralisation and
local self-governance. The question then is how the current debate on governance
m ay contribute to im agining new forms of pow er-distribution that are in line w ith
self-determ ination as non-dom ination.
Self-determination and governance
As discussed earlier, the central question in regard to self-determ ination un der­
stood as non-dom ination is how to dim inish dom ination and distribu te pow er
w ith in the b oundary of a given state - or across boundaries in the case of regionallsation and globalisation. Thereby, governance as a political concept constitutes a
problem -solving m echanism useful to settle self-determ ination conflicts53.
49 Specifically discussing India: Sunita Parikh and B arry Weingast, A C om parative T heory
of Federalism : India, in: V irginia L aw R eview vol. 83, N o. 7 (1997).
50 Aalen Lovise, Ethnic Federalism and Self-D eterm ination for N ationalities in a Sem iA uth o ritarian State: the C ase of E thiopia, in: International Jo urnal on M in o rity and Group
Rights vol. 12 (2006).
51 G arth Nettheim, ‘Peoples’ and ‘ Populations’: indigenous peoples and the rights of
peoples, in: Jam es C raw ford (ed.), R ights of Peoples (O xford 1988) 119.
52 Hugh Miall, O liver Ramsbotham and Tom Woodhouse, C ontem porary C onflict R eso­
lution (C am bridge 2007) 113.
33 Nicolai Dose, Governance im Geflecht von Problem en, Ebenen und A kteuren, in: Ju lia
298
K ristina R o e p s t o r ff
In order to understand the role of governance in the context of self-determ i­
nation, it is necessary to understand the concept of governance itself and how it
relates to the notion of governm ent. T hough prom oted w id ely recently, govern­
ance is an old term and w as trad itio n ally associated w ith governm ent, referring to
the exercise of pow er b y political auth orities54. W hile not used very much for
some tim e the interest in the concept of governance re-em erged in the 1980s as a
reaction to a change in political practices and changes in society due to increasing
globalisation, the rise of netw orks crossing the state-civil so ciety divide and in ­
creasing fragm entation of the w orld system . These developm ents raise the qu es­
tion of how to regulate and govern a so ciety in an increasingly com plex w o rld and
in situations of com peting self-determ ination claim s55.
A lthough used in a w hole range of disciplines and being a w id ely used concept,
no com m on definition of governance has y et been agreed on, and the concept is
applied in m any diverse contexts56. D ifferences of definitions can be traced either
in regard to the substantive content of governance or in regard to practice57. One
and m aybe the m ost im portant sim ilarity betw een the different definitions of
governance is that th ey refer not o n ly to state actors and institutions as the o n ly
relevant ones, but stress the role of netw orks in the pursuit of the com m on goals.
M oreover, governance an alysis focuses on the affect of the p articular political
fram ew ork w ith in w hich citizens and officials act and politics occurs, and w hich
shape the identities and institutions of civil so ciety58. G overnance can therefore be
g en erally defined as the setting, application and enforcem ent of ‘rules of the
gam e’:
“ G o v ern an ce re q u ires th e d esign of in stitu tio n s to m eet the d em an d s o f c o lle c ­
tive d e c isio n -m a k in g in in c re a sin g ly co m p lex circu m stan ces [ ... ] A s a b aselin e
d e fin itio n it can be taken th at go v ern an ce refers to the ru les and fo rm s th at gu id e
c o llectiv e d e c isio n -m a k in g .”59
T h ese rules need to be le g itim ate in o rd e r to be stable. T h e use o f fo rce o r a rb i­
tra r y p o w e r to u p h o ld these ru les m a y cause resistan ce th ro u g h exit (secessio n ) o r
v io len t actio n 60. A c c o rd in g to this d efin itio n , go v ern an ce is tre ated as b o th ac tiv ­
ity and p ro cess. It reflects u p o n h um an ag en cy and at th e sam e tim e refers to a
von Blum enthal, Stephart Bröchler (H rsg.), Von G overnment zu Governance. A nalysen zum
Regieren im modernen Staat (H am burg 2006) 23-47.
54 Jon Pierre and Guy Peters, G overnance, Politics and the State (Basingstoke 2000) 1.
55 Anne Mette Kjaer, Governance (B oulder 2004) 6.
56 a nne M ette Kjaer, G overnance (B oulder 2004) 2.
57 Goran H yden, Julius C ourt and Kenneth Mease, M aking Sense of Governance. E m pirical
Evidence from 16 D eveloping C ountries (B oulder 2004) 12.
5S Anne Alette K jaer, Governance (B oulder 2004) 10.
59 G erry Stoker, D esigning Institutions for Governance in C om plex E nvironm ents: N o r­
mative, Rational C hoice and C u ltu ral Institutional Theories E xplored and C ontrasted,
ESCR Fellow ship Paper No. 1 (2004).
60 A nne Mette Kjaer, G overnance (B oulder 2004) 12.
Understandin g S e lf-D e te rm in a tio n as N o n - D o m in a t io n
299
process of setting param eters of p o licy developm ent and im plem entation61.
T hereby, the prom otion of the concept of governance is based on the com m on as­
sum ption that the inclusion of civil so ciety w ill enhance both the efficiency and
the legitim acy of governance. Yet, concepts advocating civil so ciety involvem ent
are still contested on grounds of dem ocratic acco un tability and dem ocratic equity.
It can be m aintained nevertheless that governance, as it is used in the contem po­
rary political debate, refers to processes and actors beyond the narro w er realm of
governm ent, distinguishing it from the traditional concept of governm ent and
including civil-so ciety actors. In contrast to the narro w er concept of governm ent,
governance in this sense has the cap acity to understand the w hole range of in stitu ­
tions and relationships that are involved in the process of governing. In this
respect, governance refers to at least three types of displacem ent of state pow er
and control: first, upw ards to the international level; second, dow nw ards, towards
the regional and com m unal level; and finally, outw ards, to institutions operating
under considerable discretion from the state62. G overnance then refers to the
bo dy of different form s of collective regulation of issues of concern to a given
p olitical en tity6J.Thereby, and in line w ith self-determ ination as non-dom ination,
the regulation of the political en tity is based on ideas of legitim acy and inclusion.
G overnance then requires a m ore effective participation of different societal
groups and of m inorities in p o litical decision-m aking to prevent abuses of
p o w er64. As such, it has the cap acity to dim inish dom ination of one group over
the other and thus enhances self-determ ination as non-dom ination.
To sum up, in a very general sense governance refers to the m anifold w ays in
w hich problem s are solved w ith in a certain political entity. As such, governance
an alysis looks at all the rules, procedures and practices affecting how pow ers are
exercised w ith in that p articular political en tity65. The aim is to adopt new w ays of
governance that brings central au th o rity closer to its citizens, m ake it more effec­
tive, and consolidate the legitim acy of its institutions. Because of the focus on the
just distribution of p o w er w ith in a state, self-determ ination as non-dom ination
has to be linked to debates on governance that explore the pow er of the central
61 Goran Hyden, Julius C ourt and Kenneth Mease, M aking Sense of Governance. Em pirical
Evidence from 16 D eveloping C ountries (B oulder 2004) 16.
b2 Jon Pierre and G uy Peters, Governance, Politics and the State (Basingstoke 2000) 77.
63 See: Renate M ayntz, Governance im m odernen Staat, in: A rth u r Benz (H rsg.): G overn­
ance - Regieren in kom plexen R egelsystem en (W iesbaden 2004) 65-76; R. Rhodes, U n der­
standing Governance. Po licy N etw orks, G overnance, R eflexivity and A ccountab ility (P hila­
delphia 1997); Ja n Kooim an (ed.), M odern Governance. N ew G overnm ent-Society Interac­
tions (London 1993).
64 The Lund Recom m endations on the Effective Participation of N ational M inorities in
Public Life & E xplanatory N ote, in: International Jo urnal on M inority and G roup Rights,
Vol. 12 (2005); D ew i Fortuna A nw ar, Pluralism and Good Governance, in: International
Jo urnal on M in ority and Group Rights vol. 8 (2001).
65 Ju lia von Blumenthal, Stephan Bröchler, Von G overnment zu Governance - A n alysen zu
einem schw ierigen Verhältnis, in: dies. (H rsg.), Von G overnm ent zu G overnance. A nalysen
zum Regieren im modernen Staat (H am burg 2006) 8.
300
K ristina R o e p s t o rff
go v ern m en t of a state, the p o w ers giv en to su b u n its of the state and the n atu re of
s ta te -so c ie ty relatio n s m o re g e n erally . T h e claim is th at a sh ift in the p ersp ectiv e
on sta te -so c ie ty relatio n sh ip s and d ep en d en cies can be used fo r re so lv in g selfd e te rm in atio n co n flic ts66.
T h u s, d efin in g n ew fo rm s of go v ern an ce goes hand in hand w ith n ew p e rsp e c ­
tives on the ch an gin g ro le of go v ern m en t in so c ie ty and is fu n d am en tal to the co n ­
cept of go v ern an ce. T h ere b y , go v ern m en t and go v ern an ce are not in te rd e p e n d e n t
and m u tu a lly ex clu sive term s an d the ro le th at go v ern m en t p la y s in go v ern an ce is
a v ariab le and not a co n stan t. T h ere are d ifferen t m o d els of go v ern an ce - som e
th at are m o re state -c en tric and som e th at are m ore s o c ie ty -c e n tric . It seem s m o re
feasib le to u n d erstan d the role of go v ern m en t and of go v ern an ce as a c o n tin u u m
than as a sh arp d ic h o to m y 67. H o w ev er, to u n d e rstan d the d istrib u tio n o f p o w e r
w ith in the m o d ern state an d to a n a ly se the p ro b le m -so lv in g m ech an ism s ap p lied
in cases of se lf-d e term in atio n c o n flic ts, o ne has to sh ift the fo cus from a m ere
a n a ly sis of the tra d itio n a l ro le of go v ern m en t to lo o k fo r a ltern a tiv e w a y s of g o v ­
ern an ce th at a llo w fo r gre ater se lf-d e te rm in atio n of the d ifferen t so cietal c o lle c ­
tives.
The shift from government to governance
A co m m o n w a y of d e sc rib in g the sh ift from go v ern m en t to go v ern an ce is to d if­
feren tiate b etw een o ld o r tra d itio n a l roles of go v ern an ce and n ew an d m o re flex ­
ib le fo rm s of go v ern an ce. W h ile o ld go v ern an ce refers to the tra d itio n a l n o tio n of
steerin g b y n atio n al go v ern m en ts fro m the top d o w n , n ew go v ern an ce refers to
h o w the cen tre in teracts w ith s o c ie ty and asks for m o re se lf-o rg a n isin g n e t­
w o r k s 68. A c co rd in g to th e tra d itio n a l v ie w of g o v ern m en t, the state - an d w ith it
cen tral go v ern m en t - co n stitu tes th e m ain lo cus of p o w e r w ith in the state. T he
n ew co n cep t of go v ern an ce, h ow ever, ch allen ges th is u n d e rstan d in g of g o v ern ­
m en t and an aly ses the ro le o f the state in m o d ern s o c ie ty 69. W h a t is at stak e is n o t
a p ro m o ted w e ak e n in g of the state, b u t h o w it tran sfo rm s an d the n ew m o d els of
go v ern an ce th at em erge w ith it. F o r in stan ce, the state has to co pe w ith re g io n alisatio n , g lo b alisa tio n b u t also lo ca lisatio n w h ich is d riv en b y c u ltu ra l, eth n ic or
te rrito ria l id e n titie s and n o t b y m ere eco n o m ic m o tiv es70. O n e s tra te g y to re ­
sp o n d to ch allen ges to the tra d itio n a l u n d erstan d in g of the state an d its go v ern ­
66 A nne Mette Kjaer, Governance (B oulder 2004) 17.
67 Jo n Pierre and G uy Peters, G overnance, Politics and the State (Basingstoke 2000) 29.
68 A nne Mette Kjaer, Governance (B oulder 2004) 11.
69 Jon Pierre and G uy Peters, G overnance, Politics and the State (Basingstoke 2000) 82 and
114.
70 This, for instance, allow s for an understanding of self-determ ination across borders, facili­
tated b y regionalisation, a w eakening of the sovereignty concept, and netw orkin g across
borders that m akes the im portance of independent statehood less and less im portant for
groups claim ing self-determ ination.
U n de rstand in g Se lf-D e te rm in a tio n as N o n - D o m in a t io n
301
m ent is b y w ay of prom oting new m odels of participation of the different actors
(groups, associations, etc.) involved in the political decision-m aking process. Sub­
national governm ents thus become a pow erful institutional tool to prom ote re­
gional and local interests.
A n other w ay of enhancing participation of the different actors in the political
process is to prom ote dem ocratic governance structures, w ith the aim to return
governance to the people:
“The assum ption is that to govern ap p ro p riately a dem ocratic p o litical system
m ust be capable of lin k in g dem ands and wishes of the public d irectly to policies
[ ...]. Further, the tradition al governance view often argues that m ost represen­
tative institutions do not perm it adequate debate and discussion but rather depend
m ore on one side prevailing over the other w ith as little discussion as p o ssib le.”71
W hile not agreeing on one specific form of dem ocracy, governance th eo ry criti­
cises representative dem ocracy on its ow n as inadequate and argue that it needs to
be supplem ented w ith other forms to achieve dem ocratic acco un tab ility72. From a
philosophical perspective tw o m ain governance alternatives to the existing (criti­
cised) pattern of governm ent can be differentiated: first, com m unitarianism w ith
its idea that the more appropriate basis for governing is the co m m unity73; and sec­
ondly, deliberative dem ocracy w ith an em phasis on the reform of decision-m aking
institutions. W ithin the latter, the lo w er level of governm ent is understood as the
most suitable locus to enhance deliberative dem ocracy. This seems to be com pat­
ible w ith the com m unitarian alternative. M ost fundam entally, the notion of d elib ­
erative dem ocracy refers to a process of involving the public in m aking decisions
through open debate and dialogue. D eliberative dem ocracy stands in contrast
both to representative as w ell as direct dem ocracy. In the form er case, the public is
o n ly involved in the process as voters that select the elites who w ill then m ake the
decisions for them; in the latter case, the public makes the decision them selves, but
w ith out or o n ly little collective deliberation or confrontation of the com peting
views on the issues74. Flowever, the idea of deliberative dem ocracy is being criti­
cised itself: the more heterogeneous the com m unity is, the m ore difficult it be­
comes to find a social basis of com m unication allow ing a m eaningful dialogue75.
71 Jon Pierre and G uy Peters, G overnance, Politics and the State (Basingstoke 2000) 137.
72 A nne Mette Kjaer, Governance (B oulder 2004) 14.
73 “T heir im plicit, and at tim es explicit, plan is to decentralise governm ent as far as possible
and to make sm aller ‘com m unities’ responsible for more aspects of public policy. [ ...] C om ­
m unitarianism proceeds w ell beyond the sim ple desire to devolve governing to sm aller gov­
ernments and com m unities as defined in a com m on-sense manner. It involves as much as
anything else a shift aw ay from individualism tow ards a more collective sense of governing.
This involves rethinking the basis on w hich public p olicy is made: rather than individual u til­
ity m axim ization, p olicy is to be made on the basis of com m unity values, presum ably held by
all participants .” Jon Pierre and G uy Peters, Governance, Politics and the State (Basingstoke
2000) 148.
74 Jon Pierre and G uy Peters, Governance, Politics and the State (Basingstoke 2000) 150.
75 This presents a problem to the ‘ideal speech th eo ry’ proposed by H aberm as. Jon Pierre
and G uy Peters, G overnance, Politics and the State (Basingstoke 2000) 153.
302
K ris tina R o e p st o rff
This is lik e ly the case in the context of self-determ ination conflicts. W hile it is not
the aim of this paper to discuss in detail w hich understanding of the dem ocratic
process is to be the favoured one in the context of self-determ ination conflicts, it is
im portant to stress that the concept of governance is not o n ly relevant to dem o­
cratic regim es but also to other regim e types. Indeed, ap p lyin g the concept of gov­
ernance allow s for a shift of focus from a pre-defined ideal of political institutions
tow ards exam ining alternative w ays in w hich the legitim acy of governm ent is
possible76. In the same light, the enforcem ent of pre-defined G ood Governance
that has been m ain ly prom oted b y international financial and developm ental in sti­
tutions and that refer to an unsatisfactory functioning of governm ent and the need
for more efficient adm inistration is co n trary to the idea of self-determ ination as
non-dom ination77. R ather than being fram ed and negotiated through p articip a­
to ry processes through w hich the people concerned are able to express their free
w ill, im posing an y b lueprint of governance runs against the very ideal of a self-de­
term ination process. H owever, dem ocratic processes78 as w ell as grass-roots p ar­
ticipation in the negotiation process79 are inevitable if self-determ ination as non­
dom ination is taken seriously.
In sum m ary, the shift from governm ent to governance refers to the creation of
more p articip ato ry governing, p ayin g due regard to the fact that the state and so­
ciety are linked together in the process of creating appropriate governance m ech­
anism s80. C hanges in so ciety have necessitated the shift of focus from old forms of
governm ent to new form s of governance, w hich can be understood as a strategy to
lin k the contem porary state to contem porary society. T herefore, these new forms
of governance are distin ctly different from previous conceptualisations of the state
and state-society relationships81. T hough the state rem ains the m ain bo dy in the
pursuit of the collective interest, it is challenged to fit the so ciety of the late tw en­
tieth and early tw en ty-first cen tu ry82.
76 Anne Mette Kjaer, Governance (B oulder 2004) 150.
77 Francis Botchway, Good Governance: The O ld, The New, The Principle, and The
Elements, in: Florida jo u rn a l of International L aw vol. 13 (2001) 160.
78 J orSe Valadez, D eliberative D em ocracy: P olitical Legitim acy and Self-D eterm ination in
M u lticu ltural Societies (Boulder 2001).
79 Frederic Pearson, D im ensions of C onflict R esolution in E thnopolitical D isputes, in: Jo u r­
nal of Peace Research vol. 38, No. 3 (2001).
so Jo n Pierre and G uy Peters, G overnance, Politics and the State (Basingstoke 2000) 49.
81 A rth u r Benz, Governance - M odebegriff oder nützliches Sozialw issenschaftliches Kon­
zept?, in: ders. (H rsg.): Governance - Regieren in kom plexen R egelsystem en, Eine Ein­
führung (W iesbaden 2004) 11-28.
8* Jon Pierre and G u y Peters, G overnance, Politics and the State (Basingstoke 2000) 68.
U n de rstand in g Se lf-D e te rm in a tio n as N o n - D o m in a t io n
303
Conclusion
In criticising the em phasis of the sovereignty paradigm of the tradition al concept
of self-determ ination in international law, this paper proposed an alternative
interpretation based on a relational understanding of self-determ ination as non­
dom ination. It further argued that self-determ ination as non-dom ination can be
exercised and respected in m anifold w ays and that the different w ays of exercising
self-determ ination move aw ay from the sovereignty paradigm . This led to the idea
of a less hierarchical distribution of pow er b y prom oting a shift from governm ent
to governance and the participation of the different societal groups in the political
decision-m aking processes. T hereby, the realisation of self-determ ination has to
be balanced w ith other, com peting, principles and rights of international law. This,
however, does not rule out the option for independent statehood or secession.
There is not one final answ er to how best accom m odate self-determ ination
claim s and the specific solutions are context-dependent and subject to negotiation.
T aking the righ t of self-determ ination as non-dom ination seriously, however,
requires innovative form s of governance w ith in m odern societies. Thereby, the
most essential characteristic of governance is its em phasis on citizen participation
and the consequential acceptance of the legitim acy of governm ental institutions in
line w ith self-determ ination as non-dom ination.
N ew w ays of governance allow for a more effective participation of different
societal groups and of m inorities in the political decision-m aking to prevent
abuses of p o w er83. G overnance, understood as a problem -solving m echanism ,
th ereby allow s for rearranging the loci of pow er in a given society in order to pre­
vent dom ination and the use of arb itrary power. Furtherm ore, in order to under­
stand the role of governm ent and to respond to claim s for self-determ ination as
non-dom ination, governance-research m ay shed some light on better and inno­
vative w ays of in cluding the different societal actors in the decision-m aking p ro ­
cess and on new forms of institutions that add to self-determ ination as non-dom ination. Further research in this area of governance analysis m ay help to reveal the
po w er distribution in a given political entity, p articu larly in the light of m ulti-level
system s (such as federalism , regionalisation, or decentralisation) and w eakening
sovereignty.
N onetheless, it is im portant to rem em ber that the blueprint of how the political
en tity is to be organised m ust not be im posed. In the end, peoples have to freely
determ ine their political status und fram e their institutions. O n ly then they are
self-determ ined.
8j See: The Lund Recom m endations on the Effective P articipation of N ational M inorities in
Public Life & E xplanatory N ote, in: International Jo urn al on M in o rity and G roup Rights,
Vol. 12 (2005); see also De-wi Fortuna A n w ar , Pluralism and Good G overnance, in: Inter­
n a tio n aljo u rn al on M in o rity and Group R ights vol. 8 (2001)
304
K ris tina R o e p s t o rff
Summary
O bw ohl Selbstbestim m ung gem einhin als ein fundam entales P rinzip des interna­
tionalen Rechts gilt und auch in verschiedenen R echtsquellen eine entsprechende
A nerkennung findet, sind sow ohl die B edeutung als auch die U m setzung dessel­
ben bislang um stritten. D ies ist vor allem auf die Vagheit und die dam it verbun­
dene Interpretationsvielfalt des Selbstbestim m ungsrechts zurückzuführen. Im
folgenden w ird zunächst eine Interpretation des Selbstbestim m ungsrechts vorge­
stellt, w elche in der w issenschaftlichen L iteratur und rechtlichen A uslegung über­
w iegt. Basierend auf einem liberalen V erständnis politischer F reiheit als N ichtE inm ischung nim m t diese Interpretation auf die Idee staatlicher Souveränität
(Souveränitätsparadigm a) B ezug. A bgeleitet von einem alternativen F reiheitsbe­
griff w ird hier ein alternatives V erständnis von Selbstbestim m ung vorgeschlagen,
w elches den relationalen G ehalt von Selbstbestim m ungskonflikten w iderspiegelt.
Ein solches alternatives Verständnis von Selbstbestim m ung im internationalen
Recht verlangt nicht nur die B erücksichtigung der konkurrierenden Rechte aller
B eteiligten, sondern auch die U ntersuchung der gegebenen loci von M achtkon­
zentration. Eine V erlagerung der A n alyse von G overnm ent zu G overnance
könnte die E rarbeitung alternativer und kreativer Lösungsansätze für Selbstbe­
stim m ungskonflikte erm öglichen, w elche dem relationalen G ehalt des Selbstbe­
stim m ungsrechts R echnung tragen. Es w ird die These vertreten, daß die Ergeb­
nisse der aktuellen G overnance -Forschung und -D ebatte neue W ege zu r U m set­
zung von relationaler Selbstbestim m ung aufzeigen können.
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Wolfgang Dansp eckgrub er
Self-Determination in O ur Time:
Reflections on Perception, G lobalization
and Change“'
Like a barom eter, the institute, the processes and the consequences of self-determ ination reflect the state of the regional and international system . The “ethnic
card ” - i.e., m o bilizin g expectations and in stillin g discontent and possible up ­
heaval to create in stab ility in a certain co m m unity or state - has alw ays been a
means to a strategic goal. There w as significant m anipulation of the theories and
notion of self-determ ination and nationalism p rio r to W orld W ar I; later self-de­
term ination was em ployed in certain instances in the decolonization period; and
since 1990 it has regained interest - sp ecifically in the Balkans, the M iddle East,
A frica, the C aucasus and C aspian Sea region. P articu larly in the years since the
C old War, self-determ ination has obtained great significance in the international
system and contributed to change. O n the one hand, the end of the C o ld W ar has
perm itted the striving for independence and new statehood to em erge from the
suppression b y the leading super pow ers of the bipolar bloc system . On the other,
the events of Septem ber 11, 2001 and the ensuing G lobal W ar on Terrorism ,
G W O T, initiated b y A m erica’s Bush A dm inistration de facto re-ideologized selfdeterm ination and conflated those w ho fight for independence w ith terrorists.
N evertheless, K osovo’s declaration of independence and the events in G eorgia in
2008 have dem onstrated the lingering pow erful forces of self-determ ination aspi­
rations. Furtherm ore, increasing in tra-religio us tensions - for instance, between
the Shia and Sunni com m unities - could affect the character and in tensity of new
dim ensions of self-determ ination problem s in the M iddle East and beyond.
This paper seeks to offer an analysis of three dim ensions of self-determ ination:
its m eanings and perceptions to d ay; its historical evolution; and its role w ith in the
em erging international system , geopolitics and the forces of globalization.
The author w ould like to thank C onstance W ilhelm , Jessica Sheehan, A nne-M arie G ardner
and Uriel A bulof for inspiration and assistance.
308
W o lfg a n g D a n spe c kg rub er
I. Self-Determination: Meanings and Perceptions
Self-determ ination is the ab ility of the in dividual to freely enjoy the values of life,
p ro sp erity and status, and hence to define its destiny. Self-determ ination repre­
sents a right of peoples in international law, but it is arguable w hat this right
entails or to w hom it should apply*. It can be found in C om m on A rticle 1 of the
International C ovenant on C ivil and Political R ights and the International C o v­
enant on Econom ic, Social and C u ltu ral R ights. Self-determ ination is also m en­
tioned in the C h arter of the U nited N ations. H owever, peoples do not have an
enforceable recourse to ensure this right, w hich, in the reality of the international
system , m akes self-determ ination subject to m any influences, interpretations and
lim itations. It can be an instrum ent or a tool reflecting com m unal, national, or
great pow er interests; describe an aspiration, an aim , or a process. For some, selfdeterm ination represents a dream : the ultim ate objective entailing freedom from
repression, and even full sovereignty and independence. For others, however, it
represents a danger: a m enace im p lyin g opposition, loss and destruction - and
even the potential to “sh atter” the state. W h ile self-determ ination is thought to be
a noble ideal, and perhaps represents the pinnacle of m odern political ethics, it is
also considered to be in h eren tly perilous. In real life, the idea of self-determ i­
nation has all too often lacked reciprocity. M odern histo ry abounds w ith attem pts
of outside parties to determ ine others’ identities, or to exclusively appropriate the
right for them selves, w h ile rejecting the right of the other to the same.
The in itial idea behind self-determ ination was to free peoples from repression
and to perm it their unhindered p ursuit of social, econom ic and cultural develop­
m ent “to define one’s d e stin y ”. The definition of the “self” w hose choice w ould
determ ine the group ’s future political developm ent is especially fraught w ith d if­
ficulties. This problem is m ost acute in a w o rld slo w ly m oving aw ay from a
relatively tid y system of states tow ards a more uncertain w o rld in w hich national
sovereignty is in the process of transform ation and regio n alizatio n ascends. The
pressures for change come both from above (at the level of regional integration)
and from below (at the level of sm aller-scale political units, com m unities, draw ing
their cohesion from such factors as ethnic, religious, cultural and linguistic sim i­
larity). T here is hence a need to determ ine w hich en tity can ju stifiab ly argue for
self-determ ination. Should this en tity be a com m unity, a suppressed people, or a
form er co lo n y? M ust the com m unity be under duress or could the claim to selfdeterm ination be the sim ple w ill of its m em bers - expressed b y a free and fair elec­
tion - to become independent? W hat has to be the arrangem ent w ith m em bers of
1 A t its most basic, the right of self-determ ination can be defined as a com m un ity’s right to
choose its political destiny. This can include choices regarding the exercise of sovereignty and
independent external relations (external self-determ ination) or it can refer to the selection of
forms of governm ent (internal self-determ ination). See “Self-determ ination” by Wolfgang
Danspeckgruber and Anne-M arie G ardner , E ncyclopedia Princetoniensis - The Princeton
E ncyclopedia of Self-D eterm ination, wvvw.princeton.edu/lisd.
Self -dete rm in atio n in o u r Time
309
other com m unities in the local v icin ity? A n y such decision also relates to the
question of w hether the holders of the right to self-determ ination are a large
group, i.e. hold m ajority, or rather a sm aller group in the m in o rity of in dividual
subjects. Self-determ ination is not m erely about the right of the collective “self” to
decide w hat p o lity (an independent state, self-governance, etc.) suits it best; it is
also about the right of the “self” to establish its ow n id en tity (religious, ethnic,
civic, lingual, etc.). The collective id en tity and the collective p o lity are tw o sides of
the sam e po litical-eth ical coin. Furtherm ore, the essence of self-determ ination
concerns the “o th er” as much as it does the “self” as the “self” constructs its iden ­
tity around not o n ly the perceived , but also the real existence of the “o th er”. To
define the self, then, the actor(s) or institution(s) representing the other w ith in a
particular context m ust also be understood and respected.
In the current international system , the context w ithin w hich one identifies the
‘self’ is evolving - hence also affecting the causes and effects of self-determ ination.
R ichard Falk sees self-determ ination as m aturing along three paths: those of
m orality, politics and law 2. In m y opinion, self-determ ination is being increas­
in g ly defined b y additional factors: education and inform ation on a global and
in tensifying scale; the increasing role of w om en; econom ic viab ility; the rise of
civil society; the rise of “individual em pow erm ent” or enhanced individualization;
and the role of citizen d ip lo m acy3; add to this the increasing role of N G O s and
non-state actors in the inter-national system . Lately, there has been m uch d is­
cussion concerning the introduction of “sm art p o w er” into political considera­
tions, beyond conceptions lik e ‘h ard’ pow er and ‘soft’ pow er4. “Sm art p o w er”
refers to the increasing role of persuasion, diplom acy, religion/faith, culture and
values. Below, I discuss in more detail these various aspects of globalization and
how th ey im pact the self and self-determ ination.
Self-D eterm ination Crises
The concept of self-determ ination is com prised of an internal and an external d i­
mension. The internal dim ension stems from dem o cratically-develo ping dom estic
politics and the national institutions of a state. This addresses the right of a people
or p o lity to independently choose their institutions of dom estic governance. The
2 “The incorporation of self-determ ination into international law has consistently lagged
behind advocacy based on aspirations and considerations of justice (the moral debate) and
political movements and results (the political experience).” Richard A. Falk, in: Wolfgang
Danspeckgruber w ith A rth u r Watts (eds.), Self-D eterm ination and Self-A dm inistration - A
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3 C itizen D iplom acy can be defined as negotiating endeavors between representatives of
sovereign states conducted not b y diplom ats but b y private citizens. This kind of diplom acy
can include also so-called ‘track tw o ’ m eetings, i.e. m eetings between non-diplom ats or non­
governm ental officials from different states, such as academ ics, experts, business people, etc.
4 Im plem enting Sm art Power: Setting an A genda for N ational Security Reform . A Statem ent
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2008).
310
W o lfg ang D an spe c kg rub er
external dim ension refers to the co m m u n ity’s or the state’s freedom to exercise
sovereign rights, to establish independent external relations, and to join an y inter­
national (or supranational) organization or alliance. “C risis” means that there is
an im m inent threat or serious deterioration to an im portant value or m atter per­
ceived. A self-determ ination crisis arises w hen a com m unity either pushes to have
m ore say in its governm ent (i.e., increased participation in the internal dim ension)
or lays claim to a right to decide its ow n destin y separate from the rem aining
population of the existing state (defining the intent of the “self” in the external d i­
m ension as being not synonym ous w ith that of the “o th er”) and po ssib ly seces­
sion.
A n y analysis of (self-determ ination) crises has to consider the follow ing three
dim ensions: the actors, their objectives and the instrumeyits available to obtain
them. A crisis is further characterized b y four principal factors: time, stakes, and
costs - all of w hich depend on the perception. The tim e factor relates to how an
actor assesses the tim e available for decision-m aking. The more critical the issue,
according to the actor’s perspective, the higher the stakes involved. O ne can as­
sum e that stakes are high for those w ho strive for self-determ ination, since this
struggle relates to their core id en tity and the future of their existence. A rguably, in
high-stakes crises, k ey actors w ill lik e ly be less concerned about the factors of
tim e and cost, w hether hum an or m aterial. H ow ever, costs are im portant for o u t­
side pow ers, even more so for those w ho consider a given crisis to be of relatively
low er stakes. Tim e can be of critical im portance - especially for dem o craticallyelected governm ents, as these re ly on an election cycle. Thus, th ey tend to cali­
brate their actions and foreign p o licy operations to dom estic election tim etables
and seek palpable foreign p o licy success in accordance to election cycles. H ence,
the cost/time factor can be far more relevant for dem ocracies than for auth o ritar­
ian regim es or the actors on the ground - w ho believe tim e ultim ately is on their
side - though the stakes for the latter could be m uch higher than for the former.
This sheds light on the situation in the B alkans and on A fghanistan. A rather re­
vealing dictum can be found am ongst the A fghans w ho claim : “The IC [in ter­
national com m unity] has the w atches, but w e have the tim e.” In ciden tally also the
M ilosevic regim e thought so, in 1998 - but th ey proved w rong.
In this context, I w o uld like to refer to R obert G. G ilp in ’s cost-benefit calcu­
lation5. W hile it is frequen tly denied that actors involved in self-determ ination
crises act rationally, I do believe that em otional and n atio n alist-id en tity objectives
stand m any times also for an inherent ratio n ality in self-determ ination crises:
nam ely, that the com m unal or national interest w ill overshadow an y other calcu­
lation: there ‘benefits exceed costs’; and stakes are sim p ly too high. O ne m ight as­
sum e that the cost-benefit calculation is less relevant to those for w hom self-deter­
m ination and the achievem ent of greater independence is the ultim ate objective hence, it is above and beyond an y such cost calculations. A rguably, conventional
national interest replaces the rational fram ew ork of the cost-benefit analysis in the
5 Robert G. Gilpin Jr., W ar and C hange in W orld Politics (C am bridge 1984).
Self -dete rm in atio n in o u r Time
311
case of self-determ ination crises. This supports the argum ent that crises linked to
self-determ ination claim s are unique. T h ey also can continue over a very long tim e
and involve high stakes for both the com m unity in question, and also the defend­
ing central authorities. In view of the critical im portance for both sides, pat situ ­
ations m ay occur and/or costs be ignored, leading in some cases to draw n -o ut
“fro zen ” conflicts, as in the “5K s” plus C yp ru s and Israel/Palestine6.
II. The Historical Evolution of Self-Determination:
A Brief Synopsis
Since the French R evolution and the N apoleonic era, self-determ ination has be­
come one of the most central and explosive issues in international politics. Though
it was propagated and em ployed b y President W oodrow W ilson to redraw the
map of Europe after W orld W ar I (W W I) - espoused earlier by V ladim ir L Lenin the concept of self-determ ination in reality dates back to the A m erican struggle
for independence and the French R evolution. W h ile ob vio usly reflecting the as­
pirations of com m unities and nations, self-determ ination has on several occasions
been transform ed and u tilized as an instrum ent of great pow er politics - for in­
stance, in creating a cordon sanitaire around France post-C ongress of Vienna
(1815) by form ing independent sovereign nation-states like B elgium and Luxem ­
burg7. The unification of G erm any and of Italy decades later dem onstrated the
po w er of self-determ ination com bined w ith nationalism to form nation-states at
the expense of em pires. The 19th cen tury thus saw the form ation of several im ­
portant states in Europe - hencc, the em ergence of nationalism , w hich contributed
to the explosive pow er of self-determ ination, at the detrim ent of European em ­
pires in the early 20th century. Then, the G reat W ar ended em pires and changed
the w o rld . Self-determ ination, in conjunction w ith ideological and revo lu tio n ary
fervour, became an em pire-shattering force (as in the case of Tsarist R ussia, A ustria-H u n g ary and the O ttom an Em pire). In the interw ar period, self-determ ination w as em ployed b y A do lf H itler to regain territory.
A t the end of the Second W orld W ar (W W II), the notion of self-determ ination
became enshrined in the C h arter of the U nited N ations. Post-W W II brought
about large-scale decolonization; the continuation of the destruction of em pires;
the availability of weapons of mass destruction; and the ideological bipolar antago­
nism that later characterized the C old War. This period’s iron grip on global
regions and the tw o superpow ers’ spheres of influence reduced the ab ility of selfdeterm ination m ovem ents to achieve success, b asically elim inating the p o ssib ility
of changing external borders - except w hen ideologically-m otivated and in the
6 I consider as “the 5K s”: “K”aucasus, K aliningrad, Kashmir, Kosovo, K urdistan.
7 G. Joh n Ikenberry, After victory: institutions, strategic restraint, and the rebuilding of
order after major w ars (Princeton 2000).
312
W o lfg a ng D an sp e c k g ru b er
interest of a superpow er. The prevailing w isdom held that the relative w eight of
the two dom inating pow ers - the Soviet U nion and the U nited States - and the
system ic balance envisaged w o uld contribute to keeping relative geopolitical sta­
b ility 8.
F o llow ing the dem ise of the m ajor colonial em pires, the concept’s in itial im ­
petus w ith in the context of decolonization w as larg ely spent. A lthough num erous
new states em erged in the course of the 20th century, especially after 1945, the
international system was largely prejudiced against the p o ssib ility of striving for
greater independence or sovereignty. The C old War, w ith its clearly delineated
spheres of influence, contributed to the appearance of an apparently stable and
calm international com m unity, w ith out an y im m ediate interest in autonom y, se­
cession, or substantial challenges to sovereignty. This was especially true in C old
W ar Europe, w here the 1975 H elsinki C onference on S ecu rity and C ooperation in
Europe and its fo llo w -up conferences represented a special (o rigin ally Soviet)
in itiative to form alize the post-W W II order and ratify the then existing (innerG erm an) borders. T here was a com placent and erroneous sense am ong m any
scholars and p o licy-m akers that self-determ ination was essen tially a question of
the past or one p rim arily related to decolonization. This really was a m isreading of
the w o rld , w hich inferred the absence of an y urgent self-determ ination and seces­
sionist m ovem ents from the relative calm of the system . It also ignored Südtirol
and C atalo n ia, Ireland, the Basque region, and C yp ru s; B iafra, Kashmir, B angla­
desh, Tibet, and East Timor, w here related disputes have lingered on in various in ­
ten sity today. Some of these are now called “frozen co n flicts” and at their origin,
m ost resulted b y decolonization, but th ey also em anated from a num ber of related
geopolitical adjustm ents, such as the partitio n of India. N um erous other self-de­
term ination conflicts have continued below the surface and som etim es also under
the cover of C old W ar p ro xy w ars. In Europe, the m om ent the B erlin W all fell,
various aspirations for self-determ ination surfaced, as in the B altics, in C zech o ­
slovakia, and betw een Slovakia and H ungary.
Indeed, after the fall of the W all, the violent disintegration of Y ugoslavia be­
cam e the bloodiest event on the European continent since W W II. To the great
surprise of m any, fo rty years after the end of the Second W orld War, the U .S. A ir
Force once again bom bed targets on the continent, this tim e in Bosnia. W hile
there w ere violent conflicts related to self-determ ination in the C aucasus, in terest­
in g ly though, all other self-determ ination related events in p o st-C o ld War Europe
took place w ith out m ajor bloodshed or destruction, e.g. the unification of G er­
m any, the “Velvet R ev o lutio n ” in Prague and the partition of C zechoslovakia, and
even the disintegration of the Soviet U nion. In East G erm any, lives w ere spared
due to the im plem entation of U .S. sanctions against C hina fo llo w in g the events of
1989 at Tiananm en Square in B eijing9. The sanction p o licy of U .S. President
8 See Joh n J. Mearsheimer., The Tragedy of G reat P ow er Politics (N ew York 2001).
9 Wolfgang Danspeckgruber, Em erging D im ensions of European Security Policy' (Boulder
1991).
Self -determ in atio n in o u r Time
313
G eorge H.W. Bush and the corresponding o utcry from the international com m u­
nity made clear to the Soviet U nion under M ikhail G orbachev that an y violent
suppression of change in the Soviet satellites in Eastern Europe w ould cause d ra­
m atic econom ic and strategic consequences for the Soviet U nion. 1989 therefore,
G orbachev responded w ith a clear “n y e t” to Eric H o n ecker’s request for armed
assistance to suppress the popular uprising against his leadership in East G erm any
(G erm an D em ocratic R epublic, G D R). O therw ise, w e lik e ly w ould have w it­
nessed significant bloodshed in H o n ecker’s attem pt to squash the civic opposition
in the G D R.
O utside Europe, those interested in self-governance sought to advance their
objectives after the end of the C old War. W hile the rig id ity of the C old W ar global
system had m anaged to suppress or sim p ly overshadow potential self-determ i­
nation initiatives, in the early 1990s, struggles em erged or intensified in m any dif­
ferent places around the globe from the form er Soviet U nion - in p articular the
B lack Sea region and the Caucasus - to the M iddle East and to C entral and South
A sia. Since then, self-determ ination and secessionist m ovem ents have been evi­
dent in A frica, C en tral A m erica and in h ig h ly in d ustrialized states such as B el­
gium , C anada, France, Italy and the U nited Kingdom . Each case has its ow n very
specific historical, ethnic, local and regional background and history, though dif­
fering in in ten sity and orientation. This dem onstrates the difficulty of creating
an y one m odel of general value and of transferring the experiences and adapting
lessons of one particular case to others. In an in creasin gly interdependent and in­
teractive w o rld , characterized b y the greater specialization and p ro sp erity of even
the sm allest units, self-determ ination gained new m eaning and relevance - at least
un til 2001.
III. Self-Determination and the Emerging International
System
In the tw o decades since the end of the C o ld War, one can distinguish tw o periods
concerning the role and im pact of self-determ ination in the international system :
The first begins w ith the fall of the B erlin W all in 1989 and the end of the C old
W ar lasting to 2001, w h ile the second period com mences w ith the terror attacks of
Septem ber 11, 2001. The first one includes three defining events: the unification of
G erm any, the dem ise of the Soviet Em pire, the velvet separation of C zechoslova­
kia, and the bloody destructive disintegration of Yugoslavia. Incidentally, it also
coincides w ith the m ost successful regional integration experim ent in diplom atic
h isto ry - the European U nion - w hich entails several im portant ram ifications for
self-determ ination: intensified integration on a n early continental level in Europe,
com bined w ith the form ation of the European Econom ic C om m unity, follow ed
by the EC and the European U nion w ith its E uro-R egions and sub sid iarity regu­
lations. This has encouraged com m unal activities and responsibilities and even
314
W o lfg ang D an sp e c k g ru b er
devolution, as in the case of Scotland, and further struggles for self-governance, as
in the case of C atalonia. It has contributed to new understandings of com m unity
related to au th o rity above and below the state and encouraged in dividuals to
adopt m ultiple identities. This suggests the p o ssib ility of defining m ultiple ‘selves’
sim ultaneously, rather than a dichotom ous choice betw een the “self” and the state
or the “self” and the “o th er”. O bvio usly it all presupposes a certain level of edu­
cation and m ental flex ib ility and - id eally - the acceptance of ‘m ultiple iden tities’ .
G lobalization at the end of the 20th century also saw m ajor advances in edu­
cation, the status of w om en, hum an rights, inform ation exchange and com m uni­
cation technology. A ll that has contributed to w hat I call “individual em pow er­
m ent”: shaping in d ivid ualizatio n and increasing the role and influence of in divid­
ual actions far beyond local, com m unal, national or regional boundaries. N ever
before in the h isto ry of m ankind could an in dividual man or wom an, independent
of status, race, color, or age m obilize and influence so m uch on so global a scale, at
an y tim e and an y w here in the w o rld - provided th ey are equipped w ith the ap­
propriate technical devices and internet connection. A lso N G O s and non-state
actors in conjunction w ith the internet have become an increasin gly im portant
factor in issues and struggles related to self-determ ination.
These elem ents, along w ith the em ergence of transnational netw orks, perm it
those w ho are attem pting to achieve self-determ ination to garner more effective
support and m obilization abroad, m ost often thanks to diasporas. On the other
hand, these factors encourage all those w ho are opposed to the self-determ ination
initiative to bring to bear much more radical and far-reaching measures - in clud­
ing cyb er operations - to resist and suppress it10. M ore than ever before, selfdeterm ination claim s and crises began to have reach, resonance and im pact far
beyond their territo rial boundaries.
F urtherm ore, the em phasis upon the obligation to support fundam ental hum an
rights and the protection of wom en and children has becom e a defining character­
istic of our tim e. W idespread general acceptance of this obligation is derived from
increasing education, a greater sense of entitlem ent, the em pow erm ent of both
wom en and also the yo un ger generation, and various U N initiatives. In 1997, U N
Secretary G eneral Kofi A nnan introduced the concept of “in dividual sover­
e ig n ty ” 11. In conjunction w ith the “resp on sib ility to p ro tect” (RtoP/“R 2 P ”) w hich is the attem pt to develop a norm ative base for intervention b y the inter,0 See the cyber operations by R ussian experts in Estonia and in the G eorgian crisis 2008.
Stephen J. Lukasik, Seym our E. Goodm an, D a v id W. Longburst, Protecting C ritical Infra­
structure A gainst C yb er-A ttack, in: Adclphi Paper 359 (2003).
11 “State sovereignty, in its most basic sense, is being redefined - not least by the forces of
globalization and international co-operation. States are now w id ely understood to be instru­
ments at the service of their peoples, and not vice versa. At the same time individual sover­
eign ty - by w hich I mean the fundam ental freedom of each individual, enshrined in the
charter of the U N and subsequent international treaties - has been enhanced by a renewed
and spreading consciousness of individual rights”, see Kofi A. Annan, Two concepts of
sovereignty, in: The Economist (18 Septem ber 1999) at http://www.un.org/News/ossg/sg/
stories/kaecon.htm l.
S elf -determ in atio n in o u r 'I'ime
315
national com m unity (id eally under U N S ecurity C o un cil m andate). This em pha­
sis on individual rights and sovereignty brought into the lim elight the conditions
under w hich outside pow ers m ight intervene in self-determ ination crises12.
The second period in the p o st-C o ld W ar era began w ith the brutal terror attacks
of Septem ber 11, 2001, against A m erican targets and the jih a d proclaim ed by al
Q aeda. The U .S. under President G eorge W. Bush and its allies responded by
declaring the “G lobal W ar on T error” (G W O T ). These events have com m enced a
new period that has changed the international environm ent, governm ental policies
and the role of international organizations, and recalibrated the m eanings of state,
sovereignty and self-determ ination. N ow sud d en ly the invocation of self-deter­
m ination has attracted strong resistance from central authorities, m any w ho tried
to com bine their fight against liberation m ovem ents w ith their participation in the
G W O T 13. N evertheless, Sir M ichael H o w ard correctly addressed the incom pat­
ib ility of declaring “w a r” on an abstract term like “terro rism ”, specifying that this
is not a m ilitary confrontation between sovereign m em bers of the international
com m unity, but a ca m p aig n for values and policies against terror. Its conduct and
extent can thus be easily m anipulated and re-in terp reted14.
The post-9/11 international system saw rather abrupt changes in governm ental
policies tow ards freedom movements and a fundam ental about-turn in the role of
the state, i.e. the nation-state came back “w ith a vengeance” post-9/11 (the ‘p en­
dulum has sw ung b ack’), reasserting its central position concerning security, p ro ­
tection, enforcem ent and border control. This new state of affairs is rather differ­
ent from the 1990s, w hen the role of the state and sovereignty seemed to become
p ro gressively dim inished in favor of a n early “global village”. Then liberation
m ovem ents w ere seen as more w o rth y to be supported b y W estern pow ers, es­
p ecially the U nited States. F o llow ing the 9/11 terror attacks, one could say that
the state and its institutions “fought b ack” as an actor in the international system
b y reaffirm ing its authority, re-enforcing border and national security, and tryin g
to enhance control even over international trade and com m unications, including
the Internet. This increased auth o rity also entailed curtailin g the liberties of the
citizens, as w ell as the generally dim inished readiness to accept opposition or even
dissent. O n the other hand, pow erful states have begun to project their pow er
upon w eaker states, as the institutional frag ility of the latter can be seen as a p o ­
tential m enace to international security and the interests of the former. M an y view
w eak and fragile states as a potential w ellsp rin g for terror organizations. C o n se­
quently, this once again dem onstrates that a w eaker state is much more susceptible
to the dem ands of greater pow ers. R adical m ovem ents and related international
12 See Lee Feinstein, Anne-M arie Slaughter, A d u ty to prevent, Foreign Affairs (January/
February 2004). O n intervention, see G ary J. Bass, Freedom ’s Battle: The O rigins of H u­
m anitarian Intervention (N ew York 2008).
13 Sir Michael H ow ard, The Long War, Speech at IISS G lobal Strategic Review Conference
(Geneva 2006).
14 Sir M ichael H oward, W h at’s in a N am e? - H ow to fight terrorism , in: Foreign Affairs
(January/February 2002).
316
W o lfg ang D an sp c c kg ru b er
netw orks could also exploit such w eakness. M an y argue that liberation m ove­
ments and their onslaught against central au th o rity contribute to the w eakening of
states and state institutions. Self-determ ination and struggles for devolution are
much more dangerous if the central authorities appear too w eak to resist. T ypi­
cally, other concerned states could try to confront such threats. Post-9/11, the
increasing readiness surfaced to interpret any self-determ ination m ovem ent as
radical, even as a m ask for terrorist activities, and thus elicit all the ram ifications of
the GW O T; as for instance, a call for international intervention. O bvio usly this
w ould depend on the readiness of the international com m unity and neighborhood
to assist, w hich w ill u ltim ately be linked to interests in the region, on resources,
etc. and w hether there are other threats p o ssib ly em erging. The greater the secu­
rity threat or the outside interest in m aintaining a stable governm ent, the higher
the international readiness to assist and prop up an em battled state and its in stitu ­
tions - hence to resist self-determ ination and secession claim s.
The terror attacks since Septem ber 11, 2001 in the U .S., M adrid, London, Istan­
bul, Indonesia and M oscow have all contributed to heightened threat perceptions
and have alarm ed citizens and authorities alike b y puttin g em phasis on national
and international security initiatives.
These events did increase public readiness to harbour suspicions against a n y ­
thing opposing governm ental interests. Intelligence and special operations have
thus intensified against suspected terror activists and organizations. W hile un der­
standable in the afterm ath of the 9/11 attacks - in response to the hitherto un ­
know n experience of catastrophic terrorism and the w o rst attack against U .S. ter­
rito ry since Pearl H arb o r some six ty years earlier - the belligerent rhetoric of the
Bush A dm in istratio n contributed to an international aura of suspicion and in to l­
erance. N ew U .S. security and defense m echanism s, sub sequently adopted by
other N A TO m em bers, included d ram atically increased border and im m igration
controls, as w ell as selective renditions and secret abductions. This brought about
an ic y international perception tow ards the U S. I w o uld like to em phasize that on
the “d ay after”, Septem ber 12, 2001, the entire w o rld em pathized w ith the U nited
States and the victim s of the heinous attacks on the W orld Trade C enter and the
Pentagon, and w ith the heroes over P ennsylvania. Even so, the w ay in w hich the
G W O T response even tually unfolded (see G uantanam o) did ap p aren tly harm in­
ternational public opinion vis-ä-vis the U SA and contributed to general in to ler­
ance to liberation m ovem ents across the glo b e13. R ichard A. Falk has lam ented
that the G W O T has reduced the accep tab ility of dissent or critique of official p o li­
cies, especially in the U nited States. In such a clim ate, it could happen that any
critique of governm ental policies was easily accused to be unpatriotic or even antiA m erican in the U S 16. Such possible U .S. denunciations have also encouraged
m any governm ents elsew here to use terrorism as a pretext for intensified and
15 E specially after the treatm ent of prisoners in G uantanam o and at Abu G hraib became
know n. See the Pew Research C entre Surveys 2003 onwards.
16 R ichard A. Falk , The N ation (N ew York 2003).
S elf -determ in atio n in o u r Time
317
oppressive tactics against anyone suspected of instigating liberation movem ents.
The exploitation of the G W O T and related and expected actions have been used
by allies not o n ly to silence dom estic opposition and to m uzzle unw elcom e criti­
cism , but also to endear oneself to the Bush A dm inistration, to be seen as a lo yal
ally as w ell as in hopes of econom ic or other rew ards. Moreover, allies m ay have
shied aw ay from perm itting opposition activities to take place due to the fear that
it w ould be seen as w eakness of their state’s au th o rity or worse: as an ti-A m erican ­
ism , w hich could cause a negative relationship w ith W ashington that w ould be
detrim ental to com m ercial and/or strategic relations. It is im portant to note, h o w ­
ever, that after U .S. President B arack O bam a took office in 2009, both the U nited
States and the U K governm ent under Prim e M inister G ordon B row n have
stopped using the term “ G lobal W ar on T erro r”.
In the eyes of some, the G W O T has obtained a kind of self-fulfilling dynam ic:
in its fight against terrorism , some of its actions m ay actually cause further radicalization and lead to additional terrorism . This in turn dem ands a more extensive
fight against terrorism and more resources. O ne could hence even discover a cer­
tain self-serving autom atism , especially if claim ing that any potential terrorist
threat avails to politicians the o p p ortun ity to ask for ever more financial and other
resources; w hich invites an expanded threat evaluation. Very few, if any, p o liti­
cians w o uld dare to point to the possible m utu ally reinforcing escalatory sp iral17.
In recent years, non-state actors and the Internet are becom ing ever more im ­
portant elem ents of self-determ ination struggles. As the events of 9/11 have
proven, non-state actors m ay serio usly challenge even the most pow erful actors in
global affairs, using antiquated, yet w id ely available, means (e.g., knives) and civil
instrum ents (airplanes, trains) to com m it catastrophic acts of terrorism . This dem ­
onstrates the d ifficulty to stop an y determ ined terrorist ready to com m it suicide.
D angerous liaisons between organized crim e and terrorists are possible - it is not
unavoidable that such links also encom pass liberation m ovem ents. N on-state ac­
tors such as organized crim e and crim inal transnational netw orks have dem on­
strated the ab ility to cooperate on a global scale, to exploit glo b alizatio n, and to
utilize discontent am ong suppressed populations and com m unities for their
cause18. M an y of them have used failed or fragile states as their base of operation.
O bvio usly this enhances the chance that liberation movem ents receive also sup ­
port from such netw orks; see for instance in the Balkans and in the C aucasus. In
fragile or failed states, central authorities exert little or no control. L arge-scale in ­
ternational sm uggling and illegal trade w ith drugs, arm s, alcohol and cigarettes, or
precious m etals and m inerals has enhanced the dependence on these netw orks for
financial support. Involvem ent in large-scale cyb er crim e schemes could be the
next significant source of funding. R ogue governm ents elsew here m ay be involved
as w ell. In a glo b ally interconnected w orld, it is possible that liberation m ove­
17 Ian Lustick, Trapped in the W ar on Terror (P hiladelphia 2006).
18 The International Institute for Strategic Studies, Strategic Survey 2001/2002 (London
2002) 5.
318
W o lfg ang D an sp e c k g ru b er
ments build upon support from all kinds of sources. M an y people o rig in ally called
freedom fighters have under these new circum stances become labeled terrorists
and their respective organizations terrorist organizations/netw orks - rather than
the liberation m ovem ents of the past. N evertheless, it m ight w ell be that terror
netw orks see interaction w ith radical elem ents of traditional liberation m ove­
ments. A ll this has certain ly contributed also to the intensification of state security
operations and the readiness of key international actors to w iden the definition of
“terro rist” and in tensify the fight against suspect elem ents. The U .S. D epartm ent
of State has considerably enlarged its list of suspected terror organizations as a
consequence.
Self-determ ination, Geopolitics and G reat Pow er Politics
M ultip le self-determ ination problem s, w ith p o ten tially disastrous consequences,
are loom ing. M an y are either intractable or continue to rem ain ignored, as in A f­
rica and Latin A m erica. H ig h ly prom inent w h ile seem ingly irreconcilable selfdeterm ination issues include the follow ing: the problem s in B elgium between the
Flem ish and W alloons; C yp ru s; South O ssetia, A b kh azia, N agorno-K arabakh in
the C aucasus; K ashm ir; the C aspian Sea area; and the K urdish issue. O ther sim ­
m ering crises include Indonesia; the U ygh urs and Tibetans in C hina; and the
n ew ly prom inent push for more rights for the A zeris and Kurds in Iran or for the
Baluchis in P ak istan 19. In addition, one m ust not forget the m ost com plicated and
seem ingly unsolvable problem of all: the situation concerning the Palestinians and
the future of Jerusalem . In some cases, the com m u nities concerned sim p ly w ant to
end their suffering and perceived suppression b y secession and independence.
H ow ever, in addition to such internal com m unal m otivations, certain outside
pow ers m ay have an interest in fom enting aspirations for self-determ ination and
secession in order to instill unrest and in stab ility or to cause the transform ation of
a particular regim e or state20. In this w ay, self-determ ination and its aspirations
become a tool to fulfill the geostrategic objectives of m ajor global actors.
W ith the advent of the Responsibility to Protect, the readiness of the in ter­
national com m unity to get involved in self-determ ination crises in order to avoid
bloodshed and assist those oppressed - i.e., intervention to protect individuals
from flagrant violations of fundam ental hum an rights - increased at the expense of
traditional notions of state sovereignty. G lobal public opinion has contributed to
that. N evertheless, several exam ples dem onstrate that realpolitik considerations
and national interests of great pow ers still dom inate. For exam ple, com pare the
international response to Kosovo and C h echnya. Both provinces w ere situated
19 Peter W, G albraith, Iraq: The W ay to Go, in: The N ew York Times Book Review, Volume
54, N um ber 13 (A ugust 16, 2007); A li M. Ansari, C onfronting Iran (N ew York 2006) 60-61.
20 See reports about U .S. $75 m illion earm arked for Iranian opposition groups - also to
enhance self-determ ination ideas am ongst Kurds and A zeris in Iran. See U S D R eport on
Iran (2007) w w w .princeton.edu/lisd.
Se lf -dete rm in a tio n in o u r Time
319
w ithin the sovereign territo ry of a state - Y ugoslavia and R ussia, respectively. In
both cases, serious and w idescale violations of hum an rights took place. British
Prim e M in ister Tony B lair raised standards on hum an rights and a m o rally accept­
able conduct of internal affairs durin g the Kosovo C risis of 1998-1999. H e found
that certain legal and m oral-ethical standards w arranted N A T O ’s operations
against B elgrade. The case of C h echnya, a situation com parable to the Kosovo cri­
sis in term s of sovereignty and conduct by central authorities, has brought about a
com pletely different international reaction: nam ely, none. C learly, realpolitik con­
siderations - that is, great pow er interest - drove international actors to inaction in
order to rem ain frien d ly to President Putin and to R ussia. Several dim ensions m ay
have played a role, certain ly R ussia’s en ergy resources and w ealth of other raw
m aterials, its nuclear arsenal, and its position as a veto -w ielding perm anent
m em ber in the U N Security C ouncil. So w h ile the international com m unity took
forceful steps, including N A TO air operations on European territory, to stop
hum an rights violations in the Balkans, no such actions w ere undertaken to p ro ­
tect the Chechens. Incidentally, the d elivery of the secret IC T Y indictm ents to
Yugoslav President M ilosevic and his w ife, and to Yugoslav Vice President M ilu ti­
novic and his w ife m ight have been of critical im pact to end the Serbian fighting in
Kosovo. In 2008, under the direction of the U .S., W estern cham pions declared
Kosovo independent sui generis - to that day, however, Kosovo still has not been
recognized b y all 191 states21. W h ile this w as a unique case of self-determ ination
that should not set any precedent, the case of Kosovo did just that. R ussia was
quick to counter w ith support of its ow n self-determ ination sui generis in South
O ssetia and A bkhazia. This em phasizes the role of self-determ ination in spheres
of influence and great pow er politics22.
These cases dem onstrate that the treatm ent of self-determ ination claim s and
self-determ ination crises b y the international com m unity can be fundam entally
different depending greatly on how the projected outcom e fits great pow er in ter­
ests. As discussed above, the G eorge W. Bush A dm inistration brought about a
critical change in approaches to self-determ ination follow ing the 9/11 attacks.
Suddenly, all those w ho strove for self-determ ination and have been engaged in
struggles for liberation became term ed “terro rists” b y their respective central
authorities, largely because these governm ents hoped for benefits from the U nited
States if th ey engaged in expected behavior and supported initiatives during the
G lobal W ar on Terror. A lread y in the late 1990s, Slobodan M ilosevic, then P resi­
dent of Serbia and M ontenegro and facing severe dom estic challenges, called the
Kosovars w ho w ere struggling against repression “terro rists” and the Kosovo
Liberation A rm y (K LA ), a “terrorist o rgan izatio n ”23. Indonesian leaders referred
21 Recognition is one of the C ritical “R ”-W ords of Self-D eterm ination - such as: Reconcilia­
tion, Reintegration, Regionalization. See Wolfgang Danspeckgruber, Annodated A lphabeth
for Self-D eterm ination and C risis-D iplom acy, LISD -Paper (Princeton 2008).
22 See Uriel Abulof, Wolfgang Danspeckgruber, Two R ights M ake a W rong - Self D eterm i­
nation R evisited, LISD Com m entary, w w w .princeton.edu/lisd (M arch 2009).
23 M ilosevic, however, was later com pared to Saddam H ussein and attracted the w rath of the
320
W o lfg a ng D an spe c kg rub er
to the East Tim orese in sim ilar term s. Russian President Putin follow ed suit
around that tim e, com paring M o scow ’s operations against Chechen fighters to a
w ar against terrorists. Putin used this language to establish a relationship w ith the
new Bush A dm inistration and to deflect the international o utcry about the R u s­
sian b ru tality em ployed against the C hechens. The actions of these governm ents
show realpolitik considerations to be the dom inant overriding factor in squelch­
ing self-determ ination m ovem ents. The C hinese governm ent has on several occa­
sions acted w ith force against “w h at it considers to be the religious extrem ist,
separatist, and terrorist activities of U igh urs - a T urkic-speaking, M uslim ethnic
group p rim arily residing in the X in jian g U igh u r A utonom ous R eg io n ”24. It was
easy for B eijing to represent this as being p art of its own cam paign against terro r­
ism , as it w as indeed v ery much in sync w ith the Bush A dm in istratio n ’s own
policy.
N ow, in m arked difference to earlier tim es, the U nited States and m any of its
allies have altered their previous and frequen tly unqualified support for particular
groups of “freedom figh ters” - such as the international support that the K LA
enjoyed in their arm ed operations against Serb suppression25. Then, there still
existed - in the w ords of W illiam C . W ohlforth - a unipolar m om ent in the in ter­
national system in w hich A m erican hegem ony w as active and effective and at play.
In the late 1990s, W ashington’s p o licy tow ards certain regions lik e Kosovo has
been to try to resolve p articular issues as soon as possible b y supporting self-determ ination, secession or independence. This strategy m ight ignore the trem en­
dous sign allin g p o w er of such an action - i.e., the potential enticem ent for com ­
m unities elsew here w ho com pare them selves w ith the Kosovars, thus expecting
eq u ally favorable treatm ent b y the leading power. The Kurds and peoples in the
region lro m the B lack Sea eastw ard could be other cases in point. Peter G albraith
argued for self-determ ination and secession as a possible avenue to settle the pro b ­
lem of the K urds in Iraq26. Sup erficially appearing to be an innovative solution,
such a proposal ty p ica lly ignores the enorm ous regional ram ifications a possible
sovereign K urdistan independent of Iraq w o uld have. Ju st im agine the reactions
from T urkey and Iran and their intent for revanchism. Strategies to fix com plex
and intricate ethnic problem s perhaps can suggest quick and seem ingly sim ple so­
lutions in a particular case; however, these m ay cause long-term negative and
destab ilizin g ram ifications w ith high costs in the region and could further com pli-
international com m unity; he was perceived to be too close to E urope’s center to be perm itted
to ‘get a w ay ’ w ith his repressive politics (see Madeleine A lbright, M adam e Secretary [N ew
York 2003) 378-407).
24 Ed Shin, Islam w ith C hinese C haracteristics: A Case Stud y of the U yghu rs and the H ui,
Research Paper, Program on R eligion, D iplom acy, and International R elations, LISD
(Princeton U n iversity 2009).
25 M ichael W. Doyle, Stephen Holmes, Arm the K .L .A ., The N ew York Tim es, op-ed. (May25, 1999).
26 Peter W. G albraith, The End of Iraq: H ow A m erican Incompetence C reated a W ar W ith ­
out End (N ew York 2007).
S elf -determ in atio n in o u r Time
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cate problem s elsew here via copycat am bitions. It is im portant to try to find a so­
lution that takes into account the local, com m unal, national and regional dim en­
sions, and manages to contribute to longer-term stability, peace and prosperity.
Less is m any times more - and the region as a w hole has to be considered. R ede­
fining boundaries w ill h ard ly accom plish this, since such an action alw ays can lead
to revanchism and in stab ility for years to come. It is often the case that regional
integration and m ultiple identities can offer an answ er27.
It is not clear how soon change can occur w ith regard to these transform ations
of the m eaning of self-determ ination; nor is it clear w hether and when the U nited
States w ill again begin to distinguish, and to convince others to distinguish, be­
tween liberation and self-determ ination m ovem ents on the one hand and terrorist
o rganizations on the other. A nti-A m ericanism still abounds in m any - especially
M uslim - parts of the w o rld . Even since President O bam a’s election, significant
anti-A m erican feelings rem ain. W hile A m erican support of a certain group ’s selfgovernance causes w ould have created support and positive reactions from other
states as w ell durin g the C old War, this m ay cause the opposite effect post-2004.
Such an observation re-introduces the antagonistic dim ensions of the geopolitical
pow er balance, this tim e com bined w ith m ajor concerns about values and reli­
gio us-cultural aspects, as w ell as the rising econom ic influence of other powers
like B razil, India, C h in a, and a struggling R ussia (the B R IC states). T h e notions of
ideologies and cultural-religio us beliefs and traditions have found their w a y back
into the international discourse, thus affecting argum ents for land, lib erty and
basic hum an rights. A com m unity certain ly has the option to ignore or counter
p o licy suggestions received from the West because of their W estern (Judeo-C h ristian) origins. T h ere is a pro p ensity to criticize these as “A m ericanism s” and relate
them to supposed interests of A m erican hegem ony or W estern dom inance. (It
could be im portant, however, to exam ine the base of these perceptions and see
how th ey could be altered.) I assume this is a consequence - although h opefully
o n ly of lim ited duration - of the GW O T, w hich m any have come to perceive as a
conflict against the Islam ic W orld p rim arily condoned b y the U .S. and its allies.
W hile the state has an obligation to com bat terrorism in order to protect innocent
civilians from harm , m ethods like torture, illegal abductions, or extrao rdin ary
renditions seem not o n ly to enhance antagonism , but also cause further radicalization against those w ho em ploy such m ethods. In addition, these m ethods contra­
dict the very values on w hich the U nited States of A m erica and its C onstitution
have been built. I also believe that inform ation received from interrogations under
torture is un trustw o rth y; moreover, m any courts and legal system s constitute
such inform ation to be invalid.
Perhaps due to the w avering of global U .S. leadership and the "un certain ”
appeal of A m erican pow er at the beginning of the third m illennium , the in ter­
27 Wolfgang Danspeckgruber, Kosovo’s Independence - Lim it its p otentially devastating
effects b y offering EU m em bership to Kosovo and Serbia, LISD C om m entary (M arch 2008)
http://ww w.princeton.edu/lisd/com m entary_archive.htm l.
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W o lfg an g D an sp e c k g ru b er
national balance of pow er has shifted, such that one could say the w orld is out of
balance: indeed, it is becom ing increasin gly m ulti-p o lar and not necessarily more
stable, w h ile seeing new actors and new form s of interaction like the Internet and
social netw orks. T hus, according to the realist perspective, the struggle for pow er
and influence has become more crucial. The international system is perceived by
m any as being in im balance, and m any actors w ill look for change in that system ,
w hich th ey believe could be to their advantage. These actors also include non-state
actors, w hich can operate independently from constraints that the state-m em bers
of the international system face28. As G ilpin stated: perception, prestige and repu­
tation are the m ain m eans w ith w hich that great pow er com petition is conducted
durin g peacetim e. I w o uld add econom ic prow ess and diplom atic capabilities. The
p o ten tially increased frequency in balance of pow er struggles can also mean that
self-determ ination m ight be used as a tool for great pow er politics - for exam ple,
to achieve or prevent regim e change or regim e transform ation in certain states in
order to serve the great p o w ers’ geopolitical interests.
The case of K osovo’s independence, more specifically the debate about its in ter­
national recognition, dem onstrated the significant difference in opinions w ithin
the EU and betw een the U .S., R ussia and C hina. The perceived relative decline of
the U .S. and the ascendance of the B R IC states w h ile the U .S. rem ains the leading
m ilitary superpow er in the international system , plus the resulting m u lti-p o larity
of the w o rld are contributing to the process of creating an em erging order that p o ­
ten tially alters the fram ew o rk and the options for those w ho strive for self-deter­
m ination. O n the one hand, there is no longer a strong pole or force whose
opinion and strength d ecisively counts (w hich supports liberation m ovem ents and
w hich has the w illingness and cap ab ility to p ro ject its p o w er tow ards achieving
lasting change). O n the other hand, this deficiency invites other actors, including
non-state actors, to exploit instabilities, im balances, discontent and potential to
their benefit. Such m isguided perceptions and evaluations tend to contribute to
calam ities. T herefore, w h ile those interested in aspiring to self-determ ination m ay
expect greater support, th ey m ay also be m ore easily caught in a w eb of geop o liti­
cal tensions, contradicting interests, and consequently become the p laygro un d of
o thers’ interests - from m ajor states and m inor pow ers to corporations, and to
transnational (also crim inal or terrorist) netw orks. If the leading pow ers are not
w illin g to differentiate betw een legitim ate independence m ovem ents and crim inal
or terror activities, and cannot agree on general principles for stab ility and p re­
dictab ility, or if international organizations are incapable to establish them , then
there w ill be am ple potential for crisis and in stab ility in the years to come. The
international system w ill become much more volatile.
28 William C. Wohlforth w ith Stephen G. Brooks,

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