Spracherziehung und Sprachförderung
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Spracherziehung und Sprachförderung
Arbeitshilfe Spracherziehung und Sprachförderung Arbeitshilfe zur Erarbeitung eines Konzeptes für katholische Tageseinrichtungen für Kinder in der Erzdiözese Freiburg Caritasverband für die Erzdiözese Freiburg e. V. Abteilung Kind-Jugend-Familie Referat Tageseinrichtungen für Kinder Alois-Eckert-Straße 6, 79111 Freiburg Spracherziehung und Sprachförderung Spracherziehung und Sprachförderung Inhalt Seite Wichtiges zu Beginn 5 1. Bedeutung des Spracherwerbs 6 2. Ziele im Bildungs- und Entwicklungsfeld: Sprache 7 3. Begriffsklärung: Sprachbildung, Spracherziehung und 8 Sprachförderung 4. Aufgabe und Rolle der pädagogischen Fachkraft 5. Beobachtung und pädagogische Planung der 9 11 Spracherziehung und Sprachförderung 6. Pädagogische Umsetzung im Alltag der Kindertageseinrichtung 12 Caritasverband für die Erzdiözese Freiburg e. V. Abteilung Kind-Jugend-Familie Referat Tageseinrichtungen für Kinder Alois-Eckert-Straße 6 . 79111 Freiburg www.dicvfreiburg.caritas.de Telefon: 0761 8974-122 Email: [email protected] 6.1. Sprachbildung 12 6.2. Alltagsintegrierte Spracherziehung und Sprachförderung 12 6.3. Kompensatorische Spracherziehung und Sprachförderung 13 6.4. Spracherziehung und Sprachförderung bei Kleinkindern 14 7. Zusammenarbeit mit Familien 16 8. Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen und Fachstellen 16 9. Kooperation mit der Schule 17 10. Weiterführende Literatur 18 Redaktionelle Hinweise 19 Erarbeitet von: Referat Tageseinrichtungen für Kinder im Diözesan-Caritasverband Stand: Februar 2015 3 Spracherziehung und Sprachförderung Spracherziehung und Sprachförderung Wichtiges zu Beginn 4 Spracherziehung und Sprachförderung in der Kindertageseinrichtung sind Teil der pädagogischen Arbeit und richten sich an alle Kinder in der Einrichtung, unabhängig ihres Alters und ihrer Herkunft. Spracherziehung und Sprachförderung sind keine isolierten Aufgaben einzelner Spezialist(inn)en, sondern durchziehen den gesamten Alltag der Kindertageseinrichtung. In der Fachliteratur sind die Fachbegriffe nicht eindeutig geklärt bzw. definiert, deshalb ist die Begriffsklärung im Team wichtig für ein gemeinsames Verständnis(vgl. Kapitel 3). Die vorliegende Arbeitshilfe unterstützt das pädagogische Team bei der Erarbeitung des einrichtungsspezifischen Konzepts zur Spracherziehung und Sprachförderung. Dazu ist der Text durchgängig als Textbausteine formuliert, die übernommen werden können. Die Fragen in den Kästen dienen der Reflexion und weiteren inhaltlichen Erarbeitung. Mit der einrichtungsspezifischen Klärung kann daraus ergänzender Text formuliert werden. Die Fragen decken sich inhaltlich mit den Fragen aus dem Orientierungsplan für Bildung und Erziehung in baden-württembergischen Kindergärten und weiteren Kindertageseinrichtungen. Die vorliegende Arbeitshilfe ist Teil des Systems zur Weiterentwicklung der Qualität in den katholischen Tageseinrichtungen für Kinder in der Erzdiözese Freiburg „Quintessenz“ und basiert auf den im Rahmenhandbuch formulierten Standards. Die vorliegende Arbeitshilfe ist so aufgebaut, dass die Gliederung für die Erarbeitung eines einrichtungsspezifischen Konzepts übernommen werden kann. 5 Spracherziehung und Sprachförderung 1. Bedeutung des Spracherwerbs Sprache ist ein grundlegendes Verständigungsmittel zwischen Menschen. Für die Gesamtentwicklung der Persönlichkeit der Kinder ist die Entwicklung der Sprache ein zentraler Motor. Mit dem Spracherwerb stehen andere sich entwickelnden Funktionen und Fähigkeiten des Kindes in unmittelbarer Wechselwirkung z. B. die Sinneswahrnehmung, die Motorik und die emotionalen, sozialen und kognitiven Fähigkeiten. Für die Entwicklung des Denkens ist Sprache eine wichtige Voraussetzung, denn die Herausbildung der kognitiven Funktionen vollzieht sich vom gegenständlichen Handeln über das sprachliche Handeln hin zum gedanklichen Handeln. Mit jedem Fortschritt im Spracherwerb erreicht das Kind zugleich ein Stück mehr Autonomie und das Kind kann sich dadurch in einer komplexen Welt besser zurechtzufinden. Die sprachlichen Fähigkeiten des Kindes sind wesentlich für den Erwerb der Schriftsprache und seinen schulischen Erfolg. Der Wortschatz und das Verstehen von Satzstrukturen hängen dabei eng miteinander zusammen. Sprache ist eine wichtige Voraussetzung, um an gesellschaftlichen Prozessen teilhaben und diese mitgestalten zu können. Mehrsprachigkeit im Spracherwerb Viele Kinder aus Migrationsfamilien wachsen mehrsprachig auf. Mehrsprachigkeit bedeutet, dass ein Kind während der Spracherwerbsphase eine zweite oder mehrere andere Sprachen dazu erlernt. Man unterscheidet dabei zwischen simultaner und sukzessiver Mehrsprachigkeit. Bei der simultanen Mehrsprachigkeit erlernt das Kind innerhalb der ersten drei Lebensjahre zwei oder mehrere Sprachen gleichzeitig durch die primären Bezugspersonen, meist die Eltern. Bei der sukzessiven Mehrsprachigkeit erwirbt das Kind zunächst im häuslichen Umfeld seine Erstsprache (Muttersprache) und erst später, häufig in der Kindertageseinrichtung, die Umgebungssprache (Zweitsprache). Für Kinder, die in einem dialektsprechenden Umfeld aufwachsen (bzgl. Wortschatz und Grammatik), ist der Dialekt einer „Muttersprache“ vergleichbar. Gleichwohl ist es für die Bildungsbiografie der Kinder entscheidend, eine angemessene Hochsprache zu erlernen. Mehrsprachigkeit selbst stellt grundsätzlich für das Kind kein Entwicklungsrisiko und keine Überforderung dar, soweit mit dem Mehrspracherwerb keine anderen Belastungsfaktoren verbunden sind. Positive Grundhaltung der pädagogischen Fachkräfte 6 Gegenüber fremden Kulturen und Sprachen sind wir aufgeschlossen und unterstützen die Mehrsprachigkeit der Kinder in unserer Einrichtung. Jedes Kind erfährt unser Interesse und unsere Wertschätzung an seiner Erstsprache und der Kultur seines Heimatlandes. Denn der Erwerb der deutschen Sprache darf nicht dazu führen, dass das Kind von seinen primären Bezugspersonen, seiner Herkunftsfamilie, entfremdet wird. Spracherziehung und Sprachförderung Wir suchen und pflegen den Kontakt zu den Eltern und der Familie des Kindes, um gemeinsam Brücken zwischen den Sprachen und Kulturen zu bauen. Um eine Zweitsprache zu erlernen, braucht das Kind nicht nur eine gewisse Dauer, Intensität und Qualität des Kontaktes mit der Zweitsprache, sondern auch die Verbindung zu seiner Erstsprache, die das Kind gleichzeitig weiterentwickelt. Erziehungspartnerschaft 2. Ziele im Bildungs- und Entwicklungsfeld: Sprache Die Gestaltung der Spracherziehung und Sprachförderung in unserer Kindertageseinrichtung trägt den grundlegenden Motivationen des Kindes Rechnung: dem Bedürfnis nach Anerkennung und Wohlbefinden, dem Bedürfnis, die Welt zu entdecken und zu verstehen, dem Bedürfnis, sich auszudrücken, sich zu verständigen und dem Bedürfnis, mit anderen zusammen zu leben. Auf der Basis dieser kindzentrierten Pädagogik formuliert der Orientierungsplan im Bildungsund Entwicklungsfeld Sprache folgende verbindliche Ziele: Kinder • erleben Interesse und Freude an der Kommunikation, erweitern und verbessern ihre nonverbalen und verbalen Ausdrucksfähigkeiten, verfügen über vielfältige Möglichkeiten mit anderen zu kommunizieren und sich auszutauschen, erzählen Geschichten mit Anfang, Mitte und Schluss, erweitern in der Verknüpfung von Sprache mit Musik, rhythmischem Sprechen und Bewegung ihre Sprachkompetenzen, nutzen Sprache, um an der Gemeinschaft teilzuhaben und das Zusammenleben mit anderen zu gestalten, mit einer anderen Herkunftssprache erwerben Deutsch als weitere Sprache, erfahren unterschiedliche Sprachen als Bereicherung der Kommunikation und Kultur, lernen Schrift als Teil ihrer alltäglichen Lebenswelt kennen und beginnen sie einzusetzen. Orientierungsplan für Erziehung und Bildung in baden-württem-bergischen Kindergärten und weiteren Kinder tageseinrichtungen, Herder, 2014 Für Kinder unter drei Jahren sind zusätzlich folgende Ziele relevant: • Kinder erfahren sich durch nonverbalen Ausdruck selbstwirksam, • Kinder erfahren durch Blickkontakt Bedeutsamkeit, • Kinder erfahren, dass ihre individuellen Äußerungen gehört und beantwortet werden. 7 Spracherziehung und Sprachförderung 3. Begriffsklärung: Sprachbildung, Spracherziehung und Sprachförderung Spracherziehung und Sprachförderung wir gezielt und nach fachwissenschaftlichen Kategorien (Phonologie, Semantik, Grammatik, Syntax) strukturierte Formate in entwicklungsangemessener, spielerischer Form an. So unterstützen wir die Kinder explizit domainspezifisch bei ihrer Sprachentwicklung und der Erweiterung ihrer Sprachkompetenz. Wesentliche Voraussetzungen für eine gelingende Sprachentwicklung stellen sowohl die sichere Bindung an die Bezugspersonen als auch die Entfaltung der Sinne und das Zusammenspiel von Sinneswahrnehmung und Motorik dar. Die Spracherziehung und Sprachförderung in unserer Kindertageseinrichtung ersetzt keine logopädische Therapie von Kindern mit einer behandlungsbedürftigen Sprachstörung. Sprachbildung Spracherziehung und Sprachförderung Das Kind eignet sich die Sprache aktiv an: es artikuliert zunächst Laute, spricht irgendwann Wörter nach, wiederholt Sätze und experimentiert mit der Sprache sowie mit Mimik und Gestik als Verständigungsmittel. Dabei erweitert das Kind zunehmend seinen Wortschatz und erlernt implizit auch die Regeln der Sprache, die Grammatik. Dieser aktive Aneignungsprozess, der die Leistung des Kindes beschreibt, wird als Spracherwerb, Sprachaneignung oder auch Sprachbildung im Sinne der Selbstbildung des Kindes bezeichnet. Sprachentwicklung ist ein Prozess, der auf den Dialog und die Interaktion mit anderen angewiesen ist. Das Kind erlernt Sprache in der sozialen Interaktion mit der Welt und seinen Mitmenschen. Die Vielfalt und Qualität der sprachlichen Anregungen, die ein Kind während des Sprachentwicklungsprozesses erhält, sind entscheidend für seine spätere Sprachkompetenz. Die Unterstützung durch die Eltern und pädagogische Fachkräfte, die ein Kind in seinem Sprachentwicklungsprozess erhält, wird als Spracherziehung oder Sprachförderung bezeichnet und erfolgt in der Kindertageseinrichtung als alltagsintegrierte sowie ggfs. kompensatorische Spracherziehung und Sprachförderung. 4. Aufgabe und Rolle der pädagogischen Fachkraft Pädagogische Fachkräfte sind durchgängig in allen Interaktionen Sprachvorbild für die Kinder. Wir gestalten den Alltag in unserer Kindertageseinrichtung sprachanregend und sprachunterstützend: alltagsintegriert und kompensatorisch Bei der alltagsintegrierten Spracherziehung und Sprachförderung begleiten und unterstützen wir die Sprachentwicklung der Kinder durch sprachanregende und sprachunterstützende Interaktionen. Wir hören den Kindern aktiv zu, begleiten alltägliche Handlungen mit Sprache, regen die Kinder zum Erzählen an, nutzen alltägliche Situationen als Sprachanlässe zur Erweiterung des Wortschatzes, des eigenen Sprechvermögens und der altersgemäßen Entwicklung des Sprachvermögens. Der Sprachentwicklungsprozess vollzieht sich individuell und kann bei jedem Kind unterschiedlich verlaufen. Dabei spielen Faktoren wie die genetische Veranlagung, die organische Gesundheit, die soziale Situation, das familiäre Umfeld, sprachanregende Umgebungen u. a. eine wichtige Rolle. Diese Faktoren können die kindliche Sprachentwicklung erleichtern oder erschweren. Sprachvorbild Wir greifen Handlungen und Äußerungen der Kinder in Alltags- und Spielsituationen bewusst auf und begleiten diese sprachlich. Wir greifen Fragen oder Anmerkungen von Kindern als Gesprächsanlässe auf und initiieren Dialoge mit und unter den Kindern. Wir singen und erzählen mit den Kindern, betrachten mit ihnen Bilderbücher und lesen vor. Wir üben gemeinsam Reime und Fingerspiele. Wir verbinden Sprache und Bewegung. Wir eröffnen Zugänge zu Klängen, Tönen, Symbolen und Schriftzeichen. Wir führen sprach- und schriftbezogene Projekte durch. Wir geben Impulse für Theater- und Rollenspiele. Wir sorgen für eine sprachanregende Raumgestaltung und ein sprachunterstützendes Materialangebot. Für diesen umfangreichen Bildungsbereich verfügen wir über entwicklungspsychologische und sprachwissenschaftliche Kenntnisse zum Spracherwerb, insbesondere auch hinsichtlich mehrsprachiger Kinder. Unsere Kompetenzen entwickeln wir regelmäßig weiter. Kinder, deren Sprachentwicklung erschwert oder mit einem Risiko behaftet ist, fördern wir in unserer Kindertageseinrichtung regelmäßig zusätzlich. Dadurch kann das Kind Beeinträchtigungen bei der Sprachentwicklung möglichst frühzeitig kompensieren. Dabei bieten 8 9 Spracherziehung und Sprachförderung Sehen Reflexionsfragen wir uns als Sprachvorbilder für die Kinder? Welche Situationen sind dabei bedeutsam? Sprechen wir selbst Dialekt? Wenn ja, wie gestalten wir den Wechsel von Dialekt und angemessener Hochsprache? Welche Kenntnisse haben wir über die Sprachentwicklung von Kindern? Ist uns bewusst, wie wichtig Nähe und intensive Zuwendung als Voraussetzung für die Sprachentwicklung des Kindes sind? Wodurch wird dies deutlich? Wie vermitteln wir jedem Kind, dass wir es in seiner Einzigartigkeit respektieren und in seinen Bedürfnissen ernst nehmen? Wie gestalten wir den Alltag und die Lernumgebung, damit diese für das Kind sprachanregend und sprachunterstützend sind? Ist uns bewusst, wie wichtig geregelte Abläufe für den Sprachentwicklungsprozess sind? Welche Abläufe sind für die Kinder erkennbar geregelt? Wie gestalten wir den Alltag, damit das Kind Wertschätzung für seine Erstsprache erfahren kann? Welche Fähigkeiten haben wir, um die Sprache der Kinder im Kontext ihrer Handlungen und Interaktionen genau beobachten und interpretieren zu können? Wie nutzen wir nonverbale Ausdrucksformen des Kindes für die Spracherziehung? Womit reflektieren, vertiefen und erweitern wir regelmäßig unsere Kenntnisse und Kompetenzen über den Sprachentwicklungsprozess der Kinder (z. B. Entwicklungspsychologie, Mehrsprachigkeit sowie kommunikative, kognitive und soziale Sprachfunktionen)? Wie sichern wir, dass Spracherziehung und Sprachförderung in der Planung, Durchführung, Reflexion und Weiterentwicklung unserer pädagogischen Arbeit integriert ist? 10 Spracherziehung und Sprachförderung 5. Beobachtung und pädagogische Planung der Spracherziehung und Sprachförderung Ausgangspunkt der Spracherziehung und Sprachförderung ist die Beobachtung der Bildungsthemen der Kinder (Bildungsbeobachtung) sowie die Feststellung des Sprachentwicklungsstandes (Teil der Entwicklungsbeobachtung). Hierzu setzen wir generalisierte und spezialisierte Beobachtungsverfahren ein, die auch nichtsprachlichen Ausdruckformen des Kindes Rechnung tragen. Weiterhin ist es für uns wichtig, Kenntnisse über die sprachliche Situation des Kindes im häuslichen Umfeld zu haben, besonders bei zweisprachig bzw. mehrsprachig aufwachsenden Kindern. Die Ergebnisse und Auswertungen der Beobachtungen dokumentieren wir. Sie dienen der gemeinsamen Reflexion im Team und der pädagogischen Planung sowie als Grundlage für die Entwicklungsgespräche mit den Eltern. Wie planen wir die Spracherziehung und Sprachförderung der Kinder? Wie berücksichtigen wir dabei die Erkenntnisse unserer Bildungs- und Entwicklungsbeobachtungen? Welche Sprachbeobachtungsverfahren nutzen wir? Nach welchen Kriterien wurden diese ausgewählt? Kennen wir die Schwerpunkte der verschiedenen Sprachbeobachtungsverfahren? Wie fließen die Ergebnisse unserer Beobachtungen in die Materialauswahl und Raumgestaltung (Anlässe zur Selbstbildung der Kinder) und die Spracherziehung und Sprachförderung ein? Inwieweit kennen wir den individuellen Sprachentwicklungsprozess eines Kindes? Wie/Wann erhalten wir Kenntnisse über die sprachliche Situation in der Familie und im Umfeld des Kindes? Wie beziehen wir die Erfahrungen und Beobachtungen der Eltern mit ein? Inwiefern berücksichtigen wir den Entwicklungsstand des Kindes und seine Interessen/Bildungsthemen bei der Spracherziehung und Sprachförderung? Wie sind wir mit den Kindern darüber im Austausch? Wie nutzen wir die individuellen Lernstrategien der Kinder? Nutzen wir die aktuelle Lebenssituation des einzelnen Kindes als Ausgangspunkt für sein sprachliches Lernen? Wodurch wird dies deutlich? Woran können wir erkennen, dass die Spracherziehung und Sprachförderung auf dem kindlichen Lernen mit allen Sinnen aufbauen? Wann und wie geben wir den Kindern Gelegenheit, sich in ihrer Erstsprache auszudrücken? Reflexionsfragen 11 Spracherziehung und Sprachförderung 6. Pädagogische Umsetzung im Alltag der Kindertageseinrichtung Die folgende Gliederung in Sprachbildung, Spracherziehung und Sprachförderung soll die Lesbarkeit verbessern und das Verstehen erleichtern. Die drei Bereiche überschneiden sich jedoch in der Praxis und werden von uns als Ganzes gesehen. 6.1. Sprachbildung Wodurch Reflexionsfragen schaffen wir eine sprachanregende und sprachunterstützende Lernumgebung und Atmosphäre in unserer Kindertageseinrichtung? Wodurch erleben Kinder eine vertrauensvolle Atmosphäre, in der sie Glück und Freude aber auch Ängste und Trauer ausdrücken können? Wie unterstützt die bewusste Gestaltung unserer Räume den Sprachentwicklungsprozess der Kinder? Welche sprachanregenden Materialien, Medien und Wissensbereiche stehen den Kindern zur Verfügung? Welche Möglichkeiten der Bild- und Kunstbetrachtung haben die Kinder? Wo finden Kinder Anregungen, mit denen sie sich die Lautwerte der Buchstaben bzw. die Zeichen für bestimmte Laute erschließen können? Welche Strukturen innerhalb unseres Tagesablaufes wirken sprachförderlich? Wodurch erleichtern wir den Kindern die Orientierung (Tagesplan, Symbole, Schrift)? Wie sichern wir, dass wir die sprachunterstützenden und sprachanregenden Bildungsanreize für die Kinder regelmäßig reflektieren und weiterentwickeln? 6.2. Alltagsintegrierte Spracherziehung und Sprachförderung Spracherziehung und Sprachförderung Wodurch unterstützen wir die Erzählfähigkeiten der Kinder? Wie unterstützen wir die Kinder im Alltag entwicklungsangemessen bei der Erweiterung ihres Wortschatzes und der Satzbildung? Wie sichern und überprüfen wir, dass die Kinder uns verstanden haben - auch im Gruppengespräch? Wie fördern wir den täglichen Erfahrungsaustausch zwischen den Kindern? Welche Gelegenheiten schaffen wir um Lieder zu singen, kleine Gedichte, Abzählverse, Zungenbrecher zu sprechen etc.? Wie regen wir die Kinder an mit Sprache zu spielen? Wie unterstützen wir die Kinder darin, ihre Sinneseindrücke und Gefühle zu äußern? Wo schaffen wir Möglichkeiten für die Kinder, sich durch den bewussten Einsatz von Körper, Mimik, Gestik und Stimme auszudrücken? In welchen Situationen regen wir die Kinder an, etwas gemeinsam zu dokumentieren? Wie gestalten wir diese Dokumentation? 6.3. Anregende Umgebung Wie gestalten wir die kompensatorische Spracherziehung und Sprachförderung im Alltag unserer Kindertageseinrichtung? Wie vermeiden wir störende Unterbrechungen im Tagesablauf? Wie vermeiden wir eine Isolierung von Kindern? Wie sichern wir, dass die kompensatorische Spracherziehung und Sprachförderung an den Stärken der Kinder ansetzt und Defizitorientierung vermieden wird? Wie schaffen wir Situationen, in denen die Kinder neue Begriffe (bzw. deren Bedeutung) kennenlernen? Wie unterstützen wir die Kinder darin, die Regeln der Sprache zu entdecken? Welche Spiele setzen wir ein, mit denen die Aufmerksamkeit der Kinder auf den Lautaspekt der Sprache (Schrift) gelenkt wird? Wie/Wodurch wecken wir die Sprachfreude der Kinder? Reflexionsfragen Wie Reflexionsfragen 12 begrüßen wir die Kinder? Wie begrüßen sich die Kinder? Wie reagieren wir auf Erzählungen der Kinder? Wie erfährt das Kind, dass wir seine Fragen ernst nehmen? Wodurch zeigt sich, dass wir andere Sprachen und Dialekte wertschätzen? In welchen Situationen regen wir die Kinder an, ihr Handeln mit Sprache zu begleiten? •Wodurch unterstützen wir die Dialogfähigkeiten der Kinder? 13 Spracherziehung und Sprachförderung 6.4. Spracherziehung und Sprachförderung bei Kleinkindern Zusätzlich zu den vorne beschriebenen Inhalten der Sprachbildung, Spracherziehung und Sprachförderung in unserer Kindertageseinrichtung sind für uns die folgenden ergänzenden Aspekte für Sprachentwicklung der Kinder unter drei Jahren wichtig. Feinzeichen und Körpersprache verstehen Je jünger Kinder sind, umso bedeutsamer sind verlässliche Bezugspersonen, die einfühlsam auf sie eingehen können und die adäquat auf die Feinzeichen, die Körpersprache und individuellen Ausdrucksformen jedes Kindes reagieren. In einer emotional ansprechenden, anregenden Umgebung, mit Kindern und Erwachsenen, die viel mit den Kleinkindern sprechen, alltägliche Handlungen und Spiele mit Sprache begleiten und die Kleinkinder zur Laut- und Sprachproduktion anregen, gelingt der Sprachentwicklungsprozess in den meisten Fällen zügig und problemlos. Je mehr sprachliche Anregungen Kinder bekommen, desto mehr hören sie sich in die Melodie, den Rhythmus und die Struktur einer Sprache hinein und umso vielfältiger und differenzierter wird ihr Wortschatz. Sehen Reflexionsfragen 14 wir unsere besondere Verantwortung/Rolle als Bindungsperson und Sprachvorbild im Sprachentwicklungsprozess der Kleinkinder? Wodurch gestalten wir eine lernfreudige und Geborgenheit gebende Atmosphäre (z. B. Geduld, emotionale Wärme, ggf. Körperkontakt)? Ist der Raum sprachanregend für die Kleinkinder gestaltet (z. B. durch Collagen und Poster)? Welche sprachanregenden Materialien stehen den Kindern zur Verfügung? Tauschen wir mit Babys Laute aus? Spielen wir mit Lauten und Wörtern? In welchen Situationen? Sprechen wir in vollständigen, grammatikalisch richtigen und kurzen Sätzen, ohne Verniedlichungen oder Verkürzungen? Achten wir dabei gegenseitig aufeinander und geben uns Rückmeldung? Sprechen wir angemessen langsam und deutlich? Machen wir Pausen, um uns zu vergewissern, dass uns die Kinder folgen können? Achten wir darauf, dass wir die Aufmerksamkeit des Babys oder Kleinkinds haben, wenn wir miteinander sprechen? An welchen Zeichen erkennen wir dies? Beenden wir die Aktivität, wenn das Kind keine Aufmerksamkeit mehr dafür hat? Hören wir den Kindern zu? Bekommen die Kinder Zeit das zu sagen, was sie sagen möchten? In welchen Situationen gelingt uns dies gut, in welchen ist es schwieriger? Findet dabei Blickkontakt und ggf. körperliche Nähe statt? Spracherziehung und Sprachförderung Begleiten wir alltägliche Handlungen mit Sprache (beim Wickeln, Essen, etc.)? Beschreiben wir dabei Personen, Gefühle, Handlungen, Gegenstände und Ereignisse? Fassen wir auch grobmotorische Aktivitäten in Worte? Wie gestalten wir den Alltag in der Kleinkindgruppe bezüglich der Sprache? Finden Sprachrituale, Reime, Fingerspiele, Kniereiter, Bewegungsgeschichten, Pustespiele, Wahrnehmungsspiele etc. statt? Findet dies mit einzelnen Kindern und kleinen Gruppen statt, wenn Interesse daran besteht? Stellen wir den Kindern offene Fragen? Wann stellen wir Fragen, die eine Entscheidung ermöglichen/verlangen? Wie ermuntern wir die Kinder Fragen zu stellen? Wie unterstützen wir die Kinder darin einander zuzuhören? Welche Dinge aus dem Alltag stehen den Kindern zur Verfügung, die zu Gesprächen, Rollenspielen und Experimenten auffordern? Welche Dinge aus der Natur stehen den Kindern (Steine, Schneckenhaus…) zur Verfügung, die ihr Interesse wecken und zu Gesprächen, weiteren Beobachtungen, Bilderbuchbetrachtung einladen? Nutzen wir Finger- und Handpuppen, um den sprachlichen Ausdruck und die Kommunikation der Kinder zu fördern? Wie greifen wir besondere „Ereignisse“ drinnen wie draußen auf (z. B. Besucher, kleine Ausflüge, Spaziergänge) und nutzen sie für Spielideen oder als Gesprächsanlass? Wann fragen wir die Eltern nach der besonderen Ausdrucksweise ihres Kindes? (Feinzeichen, Körpersprache, Wörter und Wortkreationen mit individueller Bedeutung) Wie reflektieren wir unsere Haltung und unser Verhalten im Spracherwerbsprozess der Kleinkinder (z. B. gegenseitiges Feedback der Kolleg(inn)en)? 15 Spracherziehung und Sprachförderung 7. Zusammenarbeit mit Familien Die wichtigste Bildungs- und Sozialisationsinstanz in der frühen Kindheit ist die Familie. Daher sind die Eltern als Bindungspersonen ihrer Kinder unsere wichtigsten Partner bei der Unterstützung und Förderung des Sprachentwicklungsprozesses der Kinder. Durch die Kenntnis, welche Sprache(n) in der Familie Bedeutung haben und den regelmäßigen Austausch mit den Eltern, sind wir gemeinsam mit den Eltern verlässliche und unterstützende Begleiter für die Kinder im Sprachentwicklungsprozess. Welche Reflexionsfragen Kenntnisse über die familiäre Sprachsituation benötigen wir? Wie erhalten wir diese? Wie erhalten die Eltern wichtige Informationen von uns über den Sprachlernprozess ihres Kindes? Wie informieren wir die Eltern über die Bedeutung der Erst- und Zweitsprache? Wodurch informieren wir die Eltern umfassend über die Sprachbildung, Spracherziehung und Sprachförderung in unserer Kindertageseinrichtung? Wie beteiligen wir die Eltern am Sprachbildungsprozess ihres Kindes? Wie integrieren wir die Sprachkompetenz der Eltern für die Spracherziehung und Sprachförderung ihres Kindes? Wie vermitteln wir den Eltern, dass die Förderung der Erstsprache im Elternhaus Grundlage für den erfolgreichen Erwerb der Zweitsprache ist? Welche Formen der Spracherziehung und Sprachförderung für Kinder mit Zweitspracherwerb bieten wir in unserer Kindertageseinrichtung an? Spracherziehung und Sprachförderung Wir sichern dabei, dass bei der Einbindung Dritter unsere konzeptionellen Grundlagen gewahrt bleiben. Wie gewinnen wir Ehrenamtliche aus der Kirchengemeinde und unserem Sozialraum als Vorlesepaten oder Sprachbegleiter? Welche Informationen benötigen Ehrenamtliche über unsere Arbeit? Wie laden wir Eltern oder Großeltern ein, mit ihren Kenntnissen und Erfahrungen die pädagogische Arbeit zu bereichern? Welche Möglichkeiten der Beteiligung sind möglich? Wissen wir, welche Wege es gibt, um an externe Unterstützung (Fachstellen) zu gelangen? Sind uns die Adressen der örtlichen Kinderärzte/ Logopäden/ Ergotherapeuten/ Sprachheilschule/ Beratungsstelle etc. bekannt? Liegen diese Informationen für Eltern aus? Reflexionsfragen Wissen wir, welche Aufgaben die jeweiligen externen Kräfte übernehmen können? Wissen wir, wie der Erstkontakt zu der jeweiligen Institution hergestellt werden kann? 9. Kooperation mit der Schule Die Sprachentwicklung der Kinder ist ein Prozess, der auch nach der Zeit in unserer Kindertageseinrichtung andauert. Damit jedes Kind die angemessene Weiterführung in der Schule erleben kann, arbeiten wir kooperativ mit den Lehrer(inne)n der Grundschule(n) zusammen. 8. Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen und Fachstellen Wie erfahren wir, wer die zuständige Lehrkraft für die Kooperation ist? Wie ist die Kooperation bzgl. der Sprachentwicklung der Kinder vereinbart? Wodurch erhalten die Kooperations-Lehrer(innen) Informationen über die Sprachentwicklung der Kinder? Reflexionsfragen Ehrenamtliche aus der Kirchengemeinde und dem Sozialraum sind als Vorlesepaten oder Sprachbegleiter Teil der Spracherziehung und Sprachförderung unserer Kindertageseinrichtung. Sie bereichern die Sprachentwicklung der Kinder durch lebensnahe und authentische Erzählungen. Die Vernetzung mit anderen Fachstellen unterstützt unsere fachliche Arbeit in der Kindertageseinrichtung und eröffnet v. a. weitergehende kompensatorische Maßnahmen. 16 17 Spracherziehung und Sprachförderung 10. Weiterführende Literatur Spracherziehung und Sprachförderung Bosch, Kerstin, Sprachliche Bildung in der Kita, Cornelsen Verlag, 2014 Gonzalez-Mena, Jeanet und Wiedmeyer Eyer, Dianne, Säuglinge, Kleinkinder und ihre Betreuung, Erziehung und Pflege, Curriculum für respektvolle Pflege und Erziehung, Arbor Verlag, 2008 Quintessenz Rahmenhandbuch zur Weiterentwicklung der katholischen Tageseinrichtungen in der Erzdiözese Freiburg, Hrsg. Caritasverband für die Erzdiözese Freiburg e. V., 2004, Stand 2014 Quintessenz Arbeitshilfe „Übergang von der Kita in die Grundschule“, Stand 2006, Caritasverband für die Erzdiözese Freiburg e.V., Referat Tageseinrichtungen für Kinder, Freiburg (Hrsg.) Orientierungsplan für Bildung und Erziehung für die baden-württembergischen Kindergärten, Hrsg. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2011 Winner, Anna, Kleinkinder ergreifen das Wort, Cornelsen Verlag, 2007 Loos, Roger, Praxisbuch Spracherwerb, Bd. 1, Don Bosco Verlag, 2004 Götte, Rose, Sprache und Spiel im Kindergarten, Beltz Praxis, 2002, Sprachentwicklung und Sprachförderung – Grundlagen für die pädagogische Praxis, Herder, 2003 Wilmes-Mielenhausen, Brigitte, Sprachförderung für Kleinkinder, Herder, 2007 Redaktionelle Hinweise: Reich, Hans, Sprachförderung im Kindergarten, verlag das netz, 2008 Fuchs, Ragnhild/Siebers, Christiane, Sprachförderung von Anfang an, SPI, 2002 Eliot, Lise, Was geht da drinnen vor? Berlin Verlag, 2003 Tracy, Rosemarie/ Lemke, Vytautas, Sprache macht stark, Cornelsen Verlag, 2009 Füssenich,Iris/ Menz, Mathias, Sprachliche Bildung, Sprachförderung, Sprachtherapie, Cornelsen Verlag, 2014, ISBN 978-3-589-24866-7, Jampert, Karin u.a., Schritt für Schritt in die Sprache hinein, Verlag das Netz, 2011 Jampert, Karin u.a., Aufwachsen mit mehreren Sprachen, Verlag das Netz, 2011 18 Jampert, Karin u.a., Wie kommt das Kind zur Sprache?, Verlag das Netz, 2011 Jampert, Karin u.a., Überall steckt Sprache drin, Verlag das Netz, 2011 Bei der Erarbeitung der einrichtungsspezifischen Texte stärken klare Formulierungen („sollte, könnte, müsste“ möglichst vermeiden) die Aussagekraft des Konzepts. Auch Formulierungen wie „wir geben den Eltern/Kindern die Möglichkeit, die Gelegenheit“, „Kinder/Eltern dürfen bei uns“, sind eher Ausdruck einer Haltung, die von Überordnung der Fachkräfte gegenüber den Eltern/Kindern geprägt ist, indem die Fachkräfte Eltern/Kindern etwas erlauben. Dies kann dem Anliegen, Kinder und Eltern als Subjekte oder Eltern als Erziehungspartner zu betrachten, widersprechen. Die durchgehende Nummerierung des einrichtungsspezifischen Konzepts und Seitenzahlen erleichtern die Nutzung. Das Deckblatt des Konzepts informiert über folgende Angaben: Titel des Konzepts, Name der Einrichtung und Ort, ggf. Logo/ Grafik/ Bild Die erste Innenseite enthält folgende Angaben (Impressum): Name und Anschrift der Einrichtung und des Trägers, Telefon, Fax, E-Mail, Website, Ansprechpartner(in), Logo, Erstellungsdatum Quellenangaben: Wenn aus anderen Schriftstücken oder Büchern zitiert wird, müssen diese als Quelle angegeben werden. 19