Kirchenmusik in Rom

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Kirchenmusik in Rom
Kirchenmusik in Rom Die Kirchenmusik in Rom ist vor allem an der Geschichte der Chöre der päpstlichen Basiliken, neben der „Cappella Sistina“ (Päpstlicher Chor) die „Cappella Giulia“ (St. Peter), die „Cappella Pia“ (Lateran) und die „Cappella Liberiana“ (Sta.Maria Maggiore), ablesbar. Glanzzeiten waren das 16., 17. Und 18. Jahrhundert. Daneben gibt es viele andere Kirchen und Paläste, in denen Kirchenmusik zu hören war und ist. Noch heute ist es bei Messen schwierig herauszufinden, welcher Chor singt, wer dirigiert oder die Orgel spielt und welche Musik erklingt, da keine entsprechenden Angaben gemacht werden. Kirchenkonzerte mit gedruckten Programmen gibt es neuerdings hier und da, meist in Verbindung mit städtischen, kulturellen Initiativen. Weitere tonangebende Institutionen sind die Päpstliche Kirchenmusik‐ Hochschule (Pontificio Istituto per la Musica Sacra), deren Konzertsaal gegenüber von S. Agostino (nahe der Piazza Navona) und deren Unterrichtsräume westlich des Vatikans (Via di Torre Rossa, 21) sind. Ferner der italienische Cäcilienverband, der seinen Sitz in der Piazza di S. Calisto, 16 (Nähe S. Maria in Trastevere) hat, das Reisebüro Courtial mit seinem Sitz hinter den Kolonaden von St. Peter, das vor allem die Gastchöre für St. Peter und die Kirchenkonzerte in S. Ignazio vermittelt, schließlich der Internationale Verband Pueri Cantores, der seine großen Chortreffen 1949, 1951, 1954, 1960/61, 1964, 1967, 1974/75, 1980/81, 1987/88, 1993/94, 1999/2000 und 2005/06 in Rom veranstaltete, die regelmäßig mit einer Papstmesse im Petersdom abschlossen. Sixtinische Kapelle (Cappella Sistina) Diese Kapelle, „Hauskapelle“ des Papstes, 1483 unter Papst Sixtus IV. vollendet und heute durch die malerische Ausstattung, vor allem die Decken‐ und Stirnwandfresken von Michelangelo, wie als Ort der Papstwahl bekannt, war lange Zeit die Haupt‐ Zelebrationskirche des Papstes. Ihr Chor, nach ihr „Cappella Sistina“ benannt, führt die Tradition des kirchlichen Chorgesangs bis zu den Zeiten Gregors I. des Großen (Papst 590‐604) zurück und gilt daher als ältester Chor der Welt. Nach 1420 wurde dieser Chor zum mehrstimmig singenden Berufsensemble von 16‐18 Sängern ausgebaut, nach dem Bau der Kapelle auf 24, Mitte des 16. Jahrhunderts auf 33 Sänger erhöht. Traditionell keine Instrumente im Gebrauch, die Mitglieder waren Männer, meist Kleriker, sangen auf dem Balkon der Kapelle und ohne Dirigent. Erst 1902 wurde der Chor unter Lorenzo Perosi (1872‐1956, tätig seit 1898) als Knaben‐ und Männerchor geformt. Sein Mitarbeiter und Nachfolger war Domenico Bartolucci (geb. 1917, emeritiert 1997). Heute ist Giuseppe Liberto Leiter des Chores. Die Cappella Sistina singt bei Papstgottesdiensten in Rom, auch im Petersdom oder auf dem Petersplatz. Bekannte Sänger und Komponisten der Sistina waren Guillaume Dufay (um 1400‐1474, im Chor 1428‐
33 und 1435‐37)), Josquin des Prés (um 1440‐1521, im Chor 1486‐95)), Cristóbal Morales (um 1500‐
1553, im Chor 1535‐45), Giovanni Pierluigi da Palestrina (um 1525‐1594, im Chor 1555), Giovanni Maria Nanino (1545‐1607, im Chor seit 1577), Felice Anerio (um 1560‐1614, im Chor seit 1594) und Gregorio Allegri (1582‐1652, im Chor seit 1629). Palestrina war nur 1555 im päpstlichen Chor, da ihn Papst Julius III. aufnahm, obwohl Palestrina kein Priester und verheiratet war. Der nachfolgende Papst, Marcellus II., bekannt durch die ihm gewidmete Missa Papae Marcelli von Palestrina und nur wenige Wochen im Amt, beließ es dabei, der neue Papst Paul IV. jedoch entfernte Palestrina, behielt ihn aber wegen seines großen Könnens als päpstlicher Komponist. Petersdom (S. Pietro) Der heute zu sehende Bau ist zwischen 1506 und 1626 erbaut worden, Nachfolger der alten Basilika, die nach 324 gebaut wurde und schließlich viele Schäden aufwies. Der Abbruch dieser alten Basilika geschah auf Raten; so blieb das Mittelschiff, und damit die Wirkungsstätte Palestrinas, bis 1606 erhalten. Die Kuppel wurde 1593 fertig. Für die Kirchenmusiker sind folgende Stellen bedeutsam: In der zweiten Kapelle des linken Seitenschiffs der Glassarg für den Heiligen Pius X., Papst 1903‐19, der zusammen mit dem Kapellmeister Perosi den Umbau der Cappella Sistina in einen Knaben‐
Männerchor bewirkte und 1903 das Motu Proprio als erstes eigenes Dekret für die Reform der Kirchenmusik veröffentlichte und die meist geschlossene Chorkapelle im linken Seitenschiff, in der die Kanoniker das Stundengebet sangen und die als eine der ersten Teile des neuen Petersdomes gebaut wurde. In ihr wirkten auch die Musiker; zu sehen sind die zwei Orgeln, die das Stundengebet begleiteten und die auf die Restaurierung der Kapelle und Vollendung des Petersdomes 1626 zurückgehen. Weiter ist im südlichen Querschiff, noch vor dem Eingang zur Sakristei,zu sehen das vermutliche Grab des Papstes Gregor d. Großen (+604), nach dem der Gregorianische Choral benannt ist. Zu ahnen ist die vermutliche, bei späteren Bauarbeiten zerstörte Grabstätte Palestrinas am südöstlichen Vierungspfeiler. Im Chorraum sind die beiden Orgeln zu sehen, die ursprünglich eine große Orgel von Walcker (19. Jahrhundert) in der Mitte des Altarraumes bildeten und im 20. Jahrhundert von einem italienischen Orgelbauer getrennt wurden. Sie haben ihren Spieltisch (vier Manuale, 70 Register) bei der Orgel auf der linken Seite und können zusammen gespielt werden. Seit 1990 kann ihr Klang auch per Funk auf den Petersplatz übertragen werden. In der Unterkirche (Krypta) ist an der Mauer gegenüber dem Grab von Johannes Paul I. das Grab des Papstes Marcellus II. zu bemerken, der durch die Förderung Palestrinas und des Trienter Konzils bekannt ist. Für die Kirchenmusik an dieser Kirche ist außer für die Papstgottesdienste das dortige Domkapitel zuständig. Der entsprechende Chor, die „Cappella Giulia“, benannt nach Papst Julius II., war früher ein Knaben‐Männerchor, seit ca. 1980 nur noch mit wenigen Männern bestückt. An normalen Sonntagen ist bei der Messe meist ein Gastchor (viel aus den USA oder aus Deutschland) und bei Laudes und Vesper das feststehende Männer‐Ensemble, erweitert um einige Freiwillige, zu hören. Kapellmeister waren u. a. Giovanni Pierluigi da Palestrina (um 1525‐1594, in St. Peter tätig von 1551‐
55 und von 1571‐94), Ruggiero Giovanelli (um 1560‐1625, Kpm. 1594‐99), Francesco Soriano (um 1548‐1621, Kpm. 1603‐20), Domenico Scarlatti (1685‐1757, Kpm. 1713‐19), Giuseppe Ottavio Pitoni (1657‐1743, Kpm. 1719‐43) und Nicolò Jommelli (1714‐74, Vizekpm. 1749‐53). Bekannter Organist war Girolamo Frescobaldi (1583‐1643, Organist 1608‐43, begraben in SS. Apostoli). Palestrina wohnte ganz in der Nähe des Petersdomes (hinter der Sakristei, Piazza S. Marta), war tätig im alten Petersdom, der durch eine Wand die neue Kuppel über dem Petrusgrab abschirmte, und in der neuen Chorkapelle. Seine Beerdigung (s. o.) und die später erfolgte Gedenkmesse waren pomphafte Ereignisse, an denen die damals bekannten Musiker Roms und die päpstlichen Sänger, mehrere hundert Personen, teilnahmen. Laterankirche (S. Giovanni in Laterano) Bis zum Exil von Avignon (1308‐77) die Kirche des Papstes und immer noch Haupt‐ und Mutterkirche der Christenheit, pflegt ihre Kirchenmusik in der „Cappella Pia“, benannt nach Papst Pius IV. (1559‐
65). Auch hier ist das Domkapitel für die Musik zuständig. Lange Zeit war der Chor ein aus studierten Männern bestehendes Ensemble, das auf einem Balkon des im 19. Jahrhundert verlängerten und neu gestalteten Chorraum sang, seit Ende des 20. Jahrhunderts ein aus Frauen und Männern bestehender Chor unter Leitung von Marco Frisina. Bei einer Besichtigung sind die große Orgel im rechten Querschiff zu beachten, auf der schon Händel spielte, und im Museum des Kreuzgangs originale Schriften und Notenbücher Palestrinas. Kapellmeister dieser Kirche waren u.a. Orlando di Lasso (um 1532‐94, Kapellmeister 1553/54), Giovanni Pierluigi da Palestrina (um 1525‐94, Kpm. 1555‐60), Giuseppe Ottavio Pitoni (1657‐1743, Kpm. 1708‐19) und Giovanni Battista Casali (um 1715‐92, Kpm. 1759‐92). S. Maria Maggiore Die nach einer Legende von Papst Liberius (352‐66) erbaute und wegen ihrer Mosaiken viel besuchten Marienkirche ist Wirkungsstätte der nach dem Gründungs‐ Papst genannten „Cappella Liberiana“. Auch hier ist das Domkapitel für die Kirchenmusik zuständig. Bei einer Besichtigung sind die Chorempore und die Orgel hinter dem Hochaltar als typische Beispiele alter Zeit interessant. Heute ist eine Kirchenmusikpflege mit einem gemischten Chor (Frauen und Männer) unter Leitung des Katalanen Valentino Miserachs, der als Kanonikus im Gebäude von S. Maria Maggiore wohnt und die Päpstliche Kirchenmusik‐Hochschule leitet, zu beobachten. W. A. Mozart wurde im angebauten Palazzo am 8.7.1770 von Papst Klemens XIV. in Audienz empfangen, nach dem er einige Tage zuvor im damaligen Sommersitz des Papstes, Palazzo Quirinale, den Orden vom Goldenen Sporn erhalten hatte. Der 14jährige Mozart war in diesem Jahr das erste Mal nach Italien gekommen, wo er auch in der Karwoche Allegris berühmtes „Miserere“ in der Sixtinischen Kapelle erlebte und es später aus dem Gedächtnis niederschrieb. Kapellmeister dieser Kirche waren u.a. Giovanni Pierluigi da Palestrina (um 1525‐94, Kpm. 1561‐66, der dort von 1537 an als Singknabe sang), Giovanni Maria Nanino (1545‐1607, Kpm. 1571‐77), Francesco Soriano (um 1548‐1621, Kpm. 1587‐99) und Orazio Benevoli (1605‐72, Kpm. 1646‐72). Weitere Kirchen mit bemerkenswerter kirchenmusikalischen Tradition sind S. Lorenzo in Lucina (am Corso), der Uraufführungsort von Pergolesis Missa Romana, mit den Gräbern der Komponisten Luca Marenzio (um 1553‐1599) und Joseph Myslivecek (1737‐81), beide Gräber im Mittelschiff rechts; eine der beiden französchischen Nationalkirchen S. Luigi di Francesi (Nähe Pantheon), wo Arcangelo Corelli an Oratorienaufführungen beteiligt war und u. a. Nanino, Soriano, Giovanelli und Benevoli als Kapellmeister wirkten; S. Apollinare mit dem zugehörigen Palast, einst Collegium Germanicum‐
Hungaricum (nördlich der Piazza Navona), wo Victoria, Giovanelli und Pitoni wirkten und Giacomo Carissimi (1605‐74), der erste bedeutende Oratorienkomponist, wirkte und begraben ist; S. Maria in Vallicella, besser bekannt als Chiesa Nuova und am Corso Vittorio Emmanuele gelegen, der wichtigste Ort von Oratorienaufführingen und Kirche des gemeinsamen Grabes der Sänger der Cappella Sistina (1. Linke Seitenkapelle von vorne); SS. Apostoli (bei der Piazza Venezia) mit dem Grab von Frescobaldi (Altarraum links) und das Pantheon mit dem Grab von Arcangelo Corelli (1653‐1713) in der ersten Seitenkapelle links, der durch seine zahlreichen Sonaten und Konzerte eine Rolle im Musikleben spielt. Plätze und Gebäude, die für die Kirchenmusik in Rom eine Bedeutung haben, sind die Piazza di Spagna, auf der im Haus Nr. 5 Felix Mendelssohn Bartholdy fünf Monate 1830/31 wohnte; der Komponist hörte die gesangsbegabten Nonnen von Sta. Trinità dei Monti und schrieb ihnen die bekannten Frauenchöre „Veni Domine“, „Laudate pueri“ , „Surrexit pastor bonus“ und „O beata et benedicta“. Auf dem gleichen Platz nur wenige Häuser nach Westen war die Wohnung des römischen Pianisten und Komponisten Giovanni Sgambati (1841‐1914), wo Franz Liszt von 1860 an regelmäßig musizierte und Unterricht gab. Liszt (1811‐86) hat viele Jahre in Rom verbracht, im Vatikan, auf dem Monte Mario und im Kloster S. Francesca Romana (auf dem Forum Romanum), wo er u.a. die Missa choralis, das Oratorium „Christus“ (mit dem Tu es Petrus) und die Ungarische Krönungsmesse schrieb. Von 1868 an war er Gast des Kardinals Hohenlohe in der östlich von Rom gelegenen Villa d’Este in Tivoli. Weiter ist auch nördlich der Kirche Sta. Trinità dei Monti die Villa Medici erwähnenswert, Aufenthalt zahlreicher französischer Künstler, unter ihnen die auch für die Kirchenmusik bedeutenden Hector Berlioz, Charles Gounod und Georges Bizet. Schließlich sei der Palazzo Panfili (an der Piazza Navona) genannt, wo Händel, der im Palazzo Ruspoli am Corso wohnte, und Domenico Scarlatti um 1708 ihre Kräfte maßen. Die Jury war der Meinung, dass Händel auf der Orgel und Scarlatti auf dem Cembalo unübertrefflich seien. (Siegfried Koesler 2010)