Staatsexamensklausuren September 2011 Rahmenthema

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Staatsexamensklausuren September 2011 Rahmenthema
Staatsexamensklausuren September 2011
Rahmenthema:
Die deutsche Gesellschaft in der Weimarer Republik
Prof. Dr. Patrick Wagner
Allgemeine Vorbemerkung
Die Lehrpläne (gymnasiale Oberstufe) verlangen vom Lehrpersonal die Fähigkeit zur wissenschaftspropädeutischen Bildung, der Vermittlung fachspezifischer Lernziele und -inhalte
sowie der fachübergreifenden Strukturierung wissenschaftlicher Erkenntnisse.
Die Schülerinnen und Schüler sollen
 sich relativ systematisch mit wesentlichen historischen Sachverhalten, Theorien und
Methoden auseinandersetzen,
 Entstehungs-, Entwicklungs- und Wirkungszusammenhänge untersuchen,
 Erkenntnisse und Erklärungsversuche historischer Sachverhalte durch die Fachwissenschaft sachgerecht erörtern,
 Quellen interpretieren, Fragestellungen entwickeln, Darstellungen kritisch erörtern und
Geschichte narrativ darstellen
können.
Die Lehrpläne (Sekundarschule) unterscheiden sich in den Anforderungen nicht grundsätzlich hiervon. Jedoch ist - im Schulunterricht der Sekundarstufe - die reflexive Komponente
geringer ausgeprägt, und vor allem werden deutlich geringere Anforderungen an die Vermittlung wissenschaftspropädeutischer Fähigkeiten gestellt.
Für die fachwissenschaftlichen Anforderung an den/die Examenskandidaten/in (gymnasiale
Oberstufe und Sekundarschule) heißt das, dass von beiden wissenschaftspropädeutische Fähigkeiten (Fragestellung, Kritik und Interpretation von Quellen, theoriegeleitete Interpretation
historischer Zusammenhänge, kritische und vergleichende Beurteilung von Forschungspositionen) gleichermaßen nachzuweisen sind. M.a.W.: als Lehrer müssen Sie - unabhängig von
der Schulstufe, in der Sie unterrichten - über diese Fähigkeiten selber verfügen; in der gymnasialen Oberstufe müssen Sie diese Fähigkeit auch an die Schüler vermitteln.
Rahmenthema „Die deutsche Gesellschaft in der Weimarer Republik“
Der Historiker Detlev Peukert hat 1987 die Zeit der Weimarer Republik als „Krisenjahre der
Klassischen Moderne“ bezeichnet. Er meinte damit, dass die Gegenwartswahrnehmungen der
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Zeitgenossen von der Erfahrung dominiert wurden, in einer völlig „neuen“ Welt zu leben, die
sie mit den gewohnten Deutungsmustern nicht mehr zu verstehen und die sie mit den bis dahin bewährten Handlungsmustern nicht mehr „in den Griff“ zu bekommen vermochten. Wie
wir ex eventu wissen, suchte die Mehrheit der Deutschen um 1933 den Ausweg aus dieser
(Orientierungs-)Krise im Nationalsozialismus – und aus dieser Perspektive heraus wird die
Geschichte der Weimarer Republik meist geschrieben. Wie Peukert und nach ihm viele andere Historiker/innen deutlich gemacht haben, verkürzt diese Perspektive aber die komplexe
Geschichte der deutschen Gesellschaft in dieser Zeit. Während der Weimarer Republik experimentierte die deutsche Gesellschaft mit vielen Phänomenen der Moderne, und dieses Experimentieren hatte langfristige Folgen, die nicht in einem Narrativ des „Scheiterns“ aufgehen.
Daher muss eine Beschäftigung mit der deutschen Gesellschaft in der Weimarer Republik
einen deutlich breiteren Ansatz wählen.
Vor diesem Hintergrund können in der Klausur folgende Themenkomplexe jeweils mit einer
eigenen Frage repräsentiert sein (Insgesamt werden aber nur drei Fragen gestellt):
1. der Verlauf, die Ursachen, bedingenden Faktoren, Akteure und Folgen der revolutionären
Gründungsphase der Republik zwischen 1918 und 1920,
2. der Verlauf, die Ursachen, bedingenden Faktoren, Akteure und Folgen der gesellschaftlichen Krise von 1923,
3. die (sozialen und kulturellen) Wandlungsprozesse der deutschen Gesellschaft während der
20er Jahre,
4. die Außenpolitik der Weimarer Republik in ihren Rahmenbedingungen, Grundlinien und
Konzepten,
5. die Entwicklung des völkisch-nationalistischen Lagers und
6. der Verlauf, die Ursachen, Akteure und bedingenden Faktoren des Untergangs der Republik.
Literatur:
Zum allgemeinen Einstieg in das Thema - nicht als hinreichende Pflichtlektüre, doch zur Erleichterung eines Einstiegs - empfehle ich folgende Literatur:
1. Überblicksdarstellungen mit Erörterung der Forschungsdiskussion
Mit diesen Büchern sollten Sie die Vorbereitung beginnen, denn durch Sie erhalten schnell
einen Überblick über die in der Forschung erörterten Fragen und die unterschiedlichen Deutungsangebote.
Kolb, Eberhard, Die Weimarer Republik, 3. Auflage München 1993 (= Oldenbourg Grundriss
der Geschichte 16)
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Wirsching, Andreas, Die Weimarer Republik. Politik und Gesellschaft, 2. Auflage München
2008 (= Enzyklopädie Deutscher Geschichte 58)
2. Weitere Überblickswerke
Büttner, Ursula, Weimar. Die überforderte Republik 1918–1933. Leistung und Versagen in
Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur, Stuttgart 2008
Möller, Horst, Die Weimarer Republik. Eine unvollendete Demokratie, 9. Auflage München
2008
Mommsen, Hans, Die verspielte Freiheit. Der Weg der Republik von Weimar in den Untergang, 1918 – 1933, Frankfurt am Main 1990
Peukert, Detlev J. K., Die Weimarer Republik. Krisenjahre der Klassischen Moderne, Frankfurt am Main 1987 (unverzichtbar!)
Wehler, Hans-Ulrich, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Band 4: Vom Beginn des Ersten
Weltkrieges bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914–1949, 2. Auflage München
2003
Weitz, Eric D., Weimar Germany. Promises and Tragedy, 5. Auflage, Princeton/Oxford 2009
Winkler, Heinrich August, Weimar 1918–1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie, München 1993
Winkler, Heinrich August, Der lange Weg nach Westen. Band 1: Deutsche Geschichte vom
Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik, München 2000
3. Literatur zu einzelnen Phasen und Themen
Blasius, Dirk, Weimars Ende. Bürgerkrieg und Politik 1930 – 1933, 2. Auflage Göttingen
2006
Feldman, Gerald D., The Great Disorder. Politics, Economics, and Society in the German
Inflation, 1914 – 1924, Oxford 1993
Herbert, Ulrich, „Generation der Sachlichkeit“. Die völkische Studentenbewegung der frühen
zwanziger Jahre, in: derselbe, Arbeit, Volkstum, Weltanschauung. Über Fremde und Deutsche
im 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1995, S. 31–58 und 234–241
Hoeres, Peter, Die Kultur von Weimar. Durchbruch der Moderne, Berlin 2008
Jesse, Eckard, Friedrich Ebert und das Problem der Handlungsspielräume in der deutschen
Revolution 1918/19, in: Rudolf König/Hartmut Soell/Hermann Weber (Hrsg.), Friedrich
Ebert und seine Zeit. Bilanz und Perspektiven der Forschung, München 1991 (= Schriftenreihe der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte 1), S. 89 – 110
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Jung, Otmar, Plebiszitärer Durchbruch 1929? Zur Bedeutung von Volksbegehren und Volksentscheid gegen den Youngplan für die NSDAP, in: Geschichte und Gesellschaft 15 (1989),
S. 489–510
Kent, Bruce, The Spoils of War. The Politics, Economics, and Diplomacy of Reparations,
1918 – 1932, Oxford 1989
Kluge, Ulrich, Die deutsche Revolution 1918/19. Staat, Politik und Gesellschaft zwischen
Weltkrieg und Kapp-Putsch, Frankfurt am Main 1985
Langewiesche, Dieter, Politik – Gesellschaft – Kultur. Zur Problematik von Arbeiterkultur
und kulturellen Arbeiterorganisationen in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg, in: Archiv
für Sozialgeschichte 22 (1982), S. 359–402
Mommsen, Hans, Generationenkonflikt und politische Entwicklung in der Weimarer Republik, in: Jürgen Reulecke (Hrsg.), Generationalität und Lebensgeschichte im 20. Jahrhundert,
München 2003, S. 115 – 126
Mommsen, Wolfgang J., Die deutsche Revolution 1918 – 1920. Politische Revolution und
soziale Protestbewegung, in: Geschichte und Gesellschaft 4 (1978), S. 362–391
Niedhart, Gottfried, Die Außenpolitik der Weimarer Republik, München 1999 (= Enzyklopädie Deutscher Geschichte 53)
Rohe, Karl, Wahlen und Wählertraditionen in Deutschland. Kulturelle Grundlagen deutscher
Parteiensysteme im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1992
Rürup, Reinhard, Demokratische Revolution und „dritter Weg“. Die deutsche Revolution von
1918/19 in der neueren wissenschaftlichen Diskussion, in: Geschichte und Gesellschaft 9
(1983), S. 278–301
Saldern Adelheid, Massenfreizeitkultur im Visier. Ein Beitrag zu den Deutungs- und Einwirkungsversuchen während der Weimarer Republik, in: Archiv für Sozialgeschichte 33 (1993),
S. 21 – 58
Schumann, Dirk, Politische Gewalt in der Weimarer Republik 1918–1933. Kampf um die
Straße und Furcht vor dem Bürgerkrieg, Essen 2001
Winkler, Heinrich August, Von der Revolution zur Stabilisierung. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1918–1924, Berlin 1984.
Eine Kopie dieses Textes erhalten Sie auf Wunsch von Frau Hablitschek (R 201).