Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten

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Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten
Migrantinnen aus Osteuropa
in Privathaushalten
Problemstellungen und politische Herausforderungen
Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten
Autorinnen
Dr. Marta Böning, Universität Oldenburg, wiss. Mitarbeiterin im DFG-Projekt
»Rechtliche Rahmenbedingungen des grenzüberschreitenden Personaleinsatzes
aus Polen nach Deutschland am Beispiel der Pflegebranche«,
Projektleitung: Frau Prof. Dr. Christiane Brors
Dr. Margret Steffen, Gewerkschaftssekretärin, Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft –
ver.di, Bereich Gesundheitspolitik, Berlin
2
Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten
Vorwort
Es herrscht Not in Deutschland. Not für unzählige Pflegegebedürftige und ihre Familien,
wenn die Pflege zuhause stattfinden soll oder stattfinden muss. Was nutzt es, wenn der
Pflegedienst dreimal am Tag kommt, der pflegebedürftige Angehörige aber rund um die
Uhr zu versorgen ist. In ihrer Not greifen viele Familien auf Unterstützungsangebote von
Vermittlungsagenturen oder selbständigen Pflegekräften vorrangig aus dem osteuropäischen Ausland zurück. Qualifizierte Pflegekräfte arbeiten oft rund um die Uhr für relativ
wenig Geld und die Arbeitsschutzgesetze werden häufig sehr »flexibel« ausgelegt. ver.di
will, dass dieser prekäre »Arbeitsmarkt« wahrgenommen wird, dass Regelungen gefunden werden, die die Arbeit in Privathaushalten für die Beschäftigten sicherer macht. Denn
alle Beteiligten müssen wissen, was geht und was nicht sein darf. ver.di erwartet von der
Politik endlich klare Regelungen. Länger Wegsehen darf nicht sein.
Gerade in einer älter werdenden Gesellschaft, steigt der Bedarf an haushalts- und personenbezogene Dienstleistungen. Egal, ob junge Menschen mit Beeinträchtigungen oder
ältere Pflegebedürftige, sie haben einen Anspruch auf ein selbstbestimmtes Leben solange und soweit es irgendwie geht. Dafür brauchen sie Unterstützung. Allerdings machen
die Bedingungen moderner Erwerbsarbeit und insbesondere die Anforderungen an die
Mobilität von Arbeitskräften, die Betreuung und Pflege älterer Menschen für Angehörige
immer schwerer. Aufgrund fehlender ambulanter Angebote greifen sie auf individuelle
Lösungen zurück, die sich zumeist dem regulierten Arbeitsmarkt entziehen. Der größte
Teil der haushalts- und personenbezogenen Dienstleistungen wird deshalb unter Bedingungen prekärer Arbeit bis hin zur Schwarzarbeit erbracht. Die Konsequenzen sind fatal.
Denn dem Staat entgehen Steuern und Sozialabgaben, für die Privathaushalte (ältere
Menschen und Angehörige) sind Qualität und Verlässlichkeit der Dienstleistungen nicht
gesichert und für die Beschäftigten in Privathaushalten sind ungeschützte, dem »grauen
Arbeitsmarkt« zuzurechnende Arbeitsverhältnisse an der Tagesordnung.
ver.di setzt sich schon lange intensiv mit den Bedingungen in der ambulanten und stationären Pflege und Betreuung auseinander, zeigt Fehlentwicklungen auf und macht
Lösungsvorschläge. Wir bringen uns in die politischen und betrieblichen Debatten ein.
ver.di verfolgt dabei gerade im Bereich der häuslichen Versorgung älterer Menschen drei
zentrale Strategieansätze:
• Die Umsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs, von dem ein differenzierter
Blick auf die Leistungen in der Betreuung und Pflege älterer Menschen erwartet wird,
• eine Verbesserung der Finanzierungsgrundlagen in und für die Pflegeversicherung,
um sowohl die Leistungen für die älteren Menschen als auch eine Verbesserung in
der Beschäftigungssituation der Pflegenden zu erreichen, und
• die Sicherung des Fachkräftepotentials in der Pflege, um eine qualitativ hochwertige
und sichere Versorgung älterer Menschen in ihrer Häuslichkeit zu gewährleisten.
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Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten
Gerade an den Lebens- und Arbeitsbedingungen osteuropäischer Haushaltshilfen und
Pflegekräfte in Privathaushalten wird der Reformbedarf in der Pflege und Versorgung
älterer Menschen und damit der Pflegeversicherung mehr als deutlich. In diesem Beitrag
werden in einem ersten Schritt, die Herausforderungen identifiziert, die auf die Politik
zukommen, um die Arbeit in Privathaushalten an den ersten Arbeitsmarkt heranzuführen
und es wird nach Lösung für das Problem »illegaler« Arbeit in Privathaushalten gesucht.
Der Bericht wurde gemeinsam erarbeitet von Dr. Margret Steffen, ver.di-Bundesverwaltung – Bereich Gesundheitspolitik und Dr. Marta Böning, Universität Oldenburg, wiss.
Mitarbeiterin im DFG-Forschungsprojekt »Rechtliche Rahmenbedingungen des grenzüberschreitenden Personaleinsatzes aus Polen nach Deutschland am Beispiel der Pflegebranche«. Das Projekt wird von Prof. Dr. Christiane Brors an der Universität Oldenburg,
Fakultät für Informatik, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften geleitet. Die Zusammenführung des juristischen und des gewerkschaftlichen Blicks auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen in Privathaushalten prägt diesen Beitrag und wir bedanken uns sehr herzlich für die konstruktive und bereichernde Zusammenarbeit. Zwei weitere Beiträge sind in
Planung: Wir fragen nach Konzepten, die in europäischen Nachbarländern zur Beschäftigung osteuropäischer Migrantinnen bereits entwickelt wurden. Außerdem wollen wir
konkrete Vorschläge zur Politikgestaltung für Deutschland unterbreiten. Denn es gibt Lösungen, um die oft extremen Arbeitsbedingungen von Migrantinnen in Privathaushalten
zu verbessern. Sowohl die pflegebedürftigen Menschen als auch die in Privat­haushalten
tätigen Arbeitnehmerinnen haben es verdient, dass sich alle Akteure anstrengen, endlich
gute Lösungen zu finden!
Sylvia Bühler
Mitglied des Bundesvorstandes
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Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten
Inhalt
1
Einleitung
6
2
Dienstleistungen in Privathaushalten älterer Menschen
7
3
Beschäftigung in Privathaushalten älterer Menschen
9
Ambulante Pflegedienste
9
Pflegende Angehörige und ihre Unterstützer
10
4
Arbeit von Migrantinnen in Privathaushalten
12
4.1. Merkmale der Arbeit von Migrantinnen in Privathaushalten
12
4.2. Rechtlicher Hintergrund der Beschäftigung von Migrantinnen
14
4.3. Ausbeutung unter dem Deckmantel europäischer Freiheiten?
24
5
erausforderungen der politischen Gestaltung –
H
Gute Arbeit in Privathaushalten 26
Strukturelle Veränderungen in der häuslichen Versorgung einleiten 26
Beschäftigung in Altershaushalten ausweiten und profilieren 27
Arbeitsbedingungen in Altershaushalten verbessern und kontrollieren 28
Rechtliche Rahmenbedingungen transparent gestalten,
Information zugänglich machen 29
Literaturverzeichnis
30
6
5
Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten
1 Einleitung
Angesichts der demographischen und sozialen Ent-
ziellen Wegen und Bedingungen des Arbeitsmarktes
wicklungen in Deutschland steht das Pflegesystem
und der Arbeitsmarktpolitik weitgehend entzogen.
und die Branche vor der großen Herausforderung,
Wenn im Folgenden also der Ort beschrieben wird,
die sich abzeichnenden Lücken in der Versorgung
an dem personen- und haushaltsbezogene Dienst-
älterer Menschen in Privathaushalten mit notwen-
leistungen erbracht werden, so werden die Begriffe
digen Dienstleistungen und entsprechenden Dienst-
Haushalt oder Privathaushalt synonym verwendet.
leistern anzugehen. Als mögliche Lösung für dieses
Gemeint ist immer die eigenständige Lebensführung
Problem werden in erster Linie arbeitsmarktpoliti-
älterer Menschen in ihrer Wohnung oder Häuslich-
sche Maßnahmen für den ersten Arbeitsmarkt der
keit.
stationären und ambulanten Pflege genannt, die zu
Der Arbeitsmarkt »Privathaushalt« und osteuro-
einer besseren Nutzung des inländischen Fachkräfte-
päische Migrantinnen stehen also im Mittelpunkt
potentials beitragen sollen. Zum anderen finden sich
dieses Beitrages. Die zentrale Frage ist, schließen
Aktivitäten, die auf die Zuwanderung ausländischer
Migrantinnen, die in Privathaushalten arbeiten eine
Pflegekräfte aus Europa und aus s.g. Dritt-Staaten
Versorgungslücke, indem sie spezifische Aufgaben
abzielen. Seit Mitte 2012 wirbt wieder einmal die
in der Häuslichkeit älterer Menschen übernehmen
Bundesregierung aktiv um Arbeitskräfte. Diese
und wenn ja, welche Rahmenbedingungen sind not-
offensiven Strategien der Anwerbung vor allem im
wendig, um diese Dienstleistungen und die hierfür
asiatischen Raum werden begleitet von vielfältigen
notwendigen Arbeitskräfte in den regulären Arbeits-
Unterstützungsangeboten der Integration, die in
markt der Pflege zu integrieren. Wir fragen deshalb:
eine »Willkommenskultur« einmünden sollen.
• nach den haushalts- und personenbezogenen
Daneben findet Arbeitsmigration ihre oftmals un-
Dienstleistungen, die für ein selbstbestimmtes
sichtbaren Wege. Gerade im Bereich der Haushalte
Leben älterer Menschen in der Häuslichkeit
älterer Menschen hat sich in Deutschland ein grauer
notwendig sind,
Arbeitsmarkt für haushalts- und personenbezogene
• ob auf dem ersten Arbeitsmarkt die notwen-
Dienstleistungen gebildet, dessen Umfang, Struktur
digen Fachkräfte für haushalts- und personen-
und Problemstellungen immer dann aufscheinen,
bezogenen Dienstleistungen bereitstehen und
wenn Angehörige über ihre schwierige häusliche
welche Versorgungslücke Migrantinnen in der
Pflegesituation berichten, Lohndumping und prekäre
häuslichen Pflege schließen,
Arbeit skandalisiert und Schwarzarbeit, Steuerhinter-
• nach den derzeitigen rechtlichen Rahmenbedin-
ziehung oder Menschenhandel angeklagt werden.
gungen für die Beschäftigung von Migrantinnen
Diese Arbeitsmigration speist sich vor allem aus
in den Privathaushalten und nach ihren Arbeits-
Migrantinnen aus osteuropäischen Mitgliedsstaa-
bedingungen und
ten. Mit vorsichtig geschätzten 115.000 – 300.000
• nach den Herausforderungen, die sich für die
Beschäftigten macht dieser Arbeitsmarkt im Privat-
Politik ergeben, um den Arbeitsplatz »Privat-
haushalt, gut ein Drittel der Gesamtbeschäftigung
haushalt« so auszugestalten, dass das Arbeits-
der ambulanten Pflegekräfte aus. Gleichzeitig ergän-
kräftepotential der Migrantinnen für den ersten
zen und unterstützen die hier Tätigen die Betreuung
Arbeitsmarkt der Pflege erschlossen und ihre
und Pflege durch Angehörige. Ja, sie sind in besser
Arbeitsbedingungen zumindest an die ILO-
verdienenden Haushalten die Arbeitnehmergruppe,
Standards für eine »menschenwürdige Arbeit für
die die häusliche Versorgung und Pflege sicherstellt.
Hausangestellte« herangeführt werden können.
Allerdings ist ihre Arbeit im Privathaushalt den offi-
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Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten
2Dienstleistungen in Privathaushalten
älterer Menschen
Die Lebenssituation von älteren Menschen in ihrer
Gerade aber dieser Dienstleistungsbedarf an der
Häuslichkeit und im Übergang zu einer stationären
Schnittstelle zwischen selbstbestimmtem Leben,
Versorgung ist als komplex einzuordnen. Grundsätz-
Betreuung und Pflege im Haushalt und den hier zu
lich wird von einem zunehmend steigenden Bedarf
erwartenden Dienstleistungen wurde bisher von der
an Hilfen bzw. Betreuungsdienstleistungen durch
Forschung und der politischen Bewertung vernach-
ältere Menschen ausgegangen. Damit sind vorder-
lässigt. Dies zeigt auch die aktuelle Untersuchung
gründig Leistungen gemeint, die den Anforderun-
von Isfort u.a. (2012, 23ff). Auf der Basis einer
gen des Sozialgesetzbuches (SGB) XI entsprechen
sekundäranalytischen Erhebung von Dienstleistungs-
und die im Wesentlichen von ambulanten Diensten
bedarfen in Privathaushalten weisen die Autoren
erbracht werden. Allein in diesem Bereich der Leis-
auf die Schwierigkeiten hin, haushalts- und per-
tungen wird die Nachfrage steigen. Denn laut Sta-
sonenbezogene Dienstleistungen bezogen auf die
tistischem Bundesamt erhöht sich bis zum Jahr 2030
Haushalte älterer Menschen zu definieren oder gar
die Zahl der Pflegebedürftigen um 50 Prozent von
einzelne Elemente zu quantifizieren. Denn z.B. die
2,3 Millionen auf 3,4 Millionen Personen.
Frage, ob eine Leistung bereits pflegerischer Natur
Allerdings ist die Lebenssituation der meisten
ist, oder ob es sich um eine, dem Haushalt zuzu-
älteren Menschen nicht durch Pflegebedürftigkeit
ordnende Tätigkeit handelt, erschließt sich aus dem
geprägt. In Haushalten älterer Menschen zeigt sich
Lebenszusammenhang (Isfort u.a. 2012,22). Aus
ein zunehmender Hilfe- und Unterstützungsbedarf,
der Perspektive der Menschen mit Hilfebedarf erge-
der darauf gerichtet ist, die häusliche Situation zu
ben sich eher ineinandergreifende Tätigkeiten wie
stabilisieren und ihnen Leistungen zugänglich zu
»morgendliches Fertigmachen« denn arbeitsteilig
machen, die eher im Bereich »niederschwelliger«
zu erbringende Leistungen wie Kämmen, Waschen
haushalts- und personenbezogener Dienstleistungen
etc.. Deshalb findet sich für die Beschreibung des
angesiedelt sind. Hinzu kommt, als eines der gra-
täglichen Hilfebedarfs oftmals die grobe Unterschei-
vierenden Probleme für ältere Menschen und ihre
dung zwischen haushalts- und personenbezogenen
Angehörigen, der unzureichende Zugang und die
Dienstleistungen. Bei genauerer Betrachtung – und
Unübersichtlichkeit von Angeboten der Beratung
hier folgen wir der Untersuchung von Isfort u.a.
und Unterstützung über die zur Verfügung stehen-
– sind es im Wesentlichen vier Merkmale die haus-
den Dienste, Hilfen und Pflegeleistungen und ihre
halts- und personenbezogener Dienstleistungen, im
Finanzierung. Dabei ist davon auszugehen, dass
Bereich der Pflege und Versorgung älterer Menschen
die heutigen Arbeitsfelder bei der Versorgung und
ausmachen:
Pflege älterer Menschen in ihrer Häuslichkeit auch in
• Teilhabe, die vor allem die Einbeziehung Älterer
der Zukunft von Bedeutung sein werden, wenn auch
in den sozialen Raum beinhaltet und dem Ge-
möglicherweise mit anderer Gewichtung. Zu nennen
danken der Inklusion folgt. Gerade die Zunahme
ist insbesondere die Betreuung dementiell verän-
von Einpersonenhaushalten signalisiert einen
derter Menschen und die Pflege und Versorgung
steigenden Bedarf an Anlässen und Rahmen-
multimorbider Personen, ein zusätzlicher Bedarf im
bedingungen älterer Menschen zur Kommu-
Bereich der gender- und kultursensiblen Pflege und
nikation, um einer möglichen Vereinsamung
unter dem Gesichtspunkt »Prävention vor Pflege« ist
entgegenzuwirken. Alter darf kein Kriterium für
ebenfalls mit einem steigender Bedarf an haushalts-
gesellschaftliche Ausgrenzung sein.
nahen Dienstleistungen in Privathaushalten zu rechnen (Kesselheim u.a. 2013).
• Haushaltsnahe Dienstleistungen im engeren
Sinne wie beispielsweise Haushaltsführung,
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Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten
Zubereitung von Speisen und andere Dienste
Haushaltshilfe, die für Leistungen entlohnt wird, darf
zur Aufrechterhaltung des Wohnraumes, die
dies jedoch nicht, da es sich im engeren Sinne um
das Leben älterer Menschen in der Häuslichkeit
eine medizinische Leistung handelt, die gewerblich
unterstützen.
nicht ohne Qualifikation erbracht werden darf (Isfort
• Sicherheit und unterstützende Hilfen, was
u.a. 2012, 22 ff; Isfort 2013).
zum Beispiel Beaufsichtigung, Ankleiden oder
Vor diesem Hintergrund, steigender Dienstleis-
Waschen heißen kann. Hier sind vorrangig As-
tungsbedarfe und fehlender Fachkräfte ist die Dis-
pekte der Betreuung, Begleitung und Beaufsich-
kussion um die Beschäftigung von osteuropäischen
tigung zu finden. Ein herausgehobener Aspekt
Migrantinnen einzuordnen. Sie stellen strukturell für
kann auch bei einer »rund-um-die-Uhr-Betreu-
das Pflegesystem eine Entlastung in der Versorgung
ung« die Tagesstrukturierung bei Menschen mit
und gleichzeitig für zahlreiche Familien in Deutsch-
Demenz sein.
land eine Möglichkeit dar, den Hilfebedarf und eine
• Grund- und fachpflegerische Unterstüt-
dauerhafte Anwesenheit einer Betreuungsperson
zung charakterisieren dagegen Leistungen, die
für ihre Angehörigen abzusichern. Angeboten wird
ein zum Teil spezifisches Fachwissen erfordern
eine kontinuierliche Versorgung mit Alltagshilfen
und Fähigkeiten mit Entscheidungsbefugnissen
bis hin zu einer »Rund um die Uhr« Betreuung in
verlangen wie z.B. Medikamentengabe, die
der Häuslichkeit. Mit diesem Angebot schließen
Beurteilung des Lebensumfelds der zu pflegen-
Haushaltshilfen und Pflegekräfte aus Osteuropa
den Person bis hin zu Entscheidungen, ob ein
eine Versorgungslücke zwischen ambulanten Pfle-
Arzt aufzusuchen ist oder nicht (Isfort u.a. 2012,
gediensten, die eher pflegerische Aufgaben nach
22ff.).
dem SGB XI wahrnehmen und der Betreuung durch
Angehörige, indem sie diese unterstützen bzw. an
An dieser Unterscheidung der verschiedenen Dienst-
deren Stelle treten. Angesichts der Häufigkeit ihrer
leistungen im Privathaushalt wird sowohl der inein-
Beschäftigung jedoch sind die hier tätigen Men-
andergreifende Charakter häuslicher Betreuung und
schen bisher ein »blinder Fleck« im Pflegesystem
Pflege deutlich als auch, dass der tägliche Hilfebe-
und in der Beschäftigungspolitik. Das zeigt sich auch
darf älterer Menschen nicht zwingend pflegefachlich
daran, dass bisher in Deutschland die hier geleistete
ausgebildetes Personal erfordert. Ist die Grund- und
Arbeit kaum charakterisiert werden kann. Osteuro-
Fachpflege auf der Grundlage des SGB XI die Do-
päische Migrantinnen in Privathaushalten firmieren
mäne ambulanter Dienste, so werden gerade Teilha-
zum einen als Pflegekräfte – was sie in vielen Fällen
be, unterstützende Hilfen und Haushalt bisher von
von ihrer Tätigkeit und Ausbildung auch sind. Zum
Angehörigen in Verbindung mit ehrenamtlich Täti-
anderen als Haushaltshilfen, wobei die ihnen zuge-
gen und anderen bezahlten Dienstleistern gesichert.
wiesenen Tätigkeiten im Haushalt in der Regel über
Gerade vor dem Hintergrund des integrativen Cha-
einfache hauswirtschaftliche Tätigkeiten hinausge-
rakters dieser Dienstleistungen stellt sich die Frage,
hen. In dieser Arbeit werden wir im Folgenden von
wer und mit welchen Kompetenzen diese Dienstleis-
Haushaltshilfen oder Pflegekräften sprechen. Die
tungen erbringt bzw. erbringen sollte. Oftmals sind
Zusammenfassung beider Tätigkeiten ist deshalb
es (haftungs-)rechtliche Konsequenzen, die diese
gerechtfertigt, denn egal ob Haushaltshilfe oder
Frage beantwortet. So dürfen beispielsweise Ange-
Pflegekraft die Frauen aus Osteuropa werden unter
hörige Medikamente geben, da sie als Teil der Fami-
den gleichen Beschäftigungsbedingungen tätig, wie
lie Unterstützungen nicht gewerblich erbringen. Eine
noch zu zeigen sein wird.
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Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten
3Beschäftigung in Privathaushalten
älterer Menschen
Neben der Frage nach dem Bedarf nach Dienstleis-
für Pflegeheime im Rahmen des SGB XI arbeiten
tungen ist die Beschäftigung einer der Indikatoren,
478.000 Beschäftigte (72 Prozent) – ein bedeutend
der zeigt, ob Migrantinnen eine strukturelle Lücke
höherer Anteil als im ambulanten Bereich. Men-
in der Versorgung älterer Menschen schließen. Im
schen mit einem Migrationshintergrund sind zu
Folgenden wird deshalb ein Blick auf die Pflege-
etwa 18 Prozent als Fachkräfte in der Altenpflege
branche und die Faktoren geworfen, die über die
und zu 21 Prozent als Pflegehilfskräfte beschäftigt
Dienstleistungsangebote und die Erbringung der
(Bundesagentur 2011).
Dienstleistung entscheiden. Dabei findet die Pfle-
Bereits 2011 hat das Institut für Arbeitsmarkt
ge und Versorgung von älteren Menschen in der
und Berufsforschung (Pohl 2011, 15) für den Bereich
Häuslichkeit grundsätzlich auf zwei Wegen statt,
der Altenpflege auf Fachkräfteengpässe hinge-
wobei die Instrumente, Methoden und Lösungen
wiesen. Aktuell rechnet das Statische Bundesamt
nicht selten kombiniert werden. Zu nennen sind die
(2013) mit einem Bedarf von 150.000 bis 190.000
Dienstleistungen der ambulanten Pflegedienste und
Beschäftigten. Hinter diesen Zahlen steht durchaus
die Pflege durch Angehörige, ehrenamtliche Tätige
ein Trend, bei dem die Konkurrenz unter den Ein-
und – zunehmend als Ergänzung bzw. Ersatz – die
richtungen zum großen Teil über die Personalkosten
Versorgung und Pflege durch im Haushalt lebende
und nicht über die Qualität der Leistung ausge-
bezahlte Haushaltshilfen und Pflegekräfte.
tragen wurde und diese Tatsache hat nachhaltige
Rückwirkungen auf die Beschäftigung und die Ar-
Ambulante Pflegedienste
beitsbedingungen in der ambulanten Pflege und in
Die aktuelle Pflegestatistik 2011 zeigt, die Anbieter-
der häuslichen Versorgung insgesamt. Diese Situati-
landschaft im Bereich der Unterstützung und Pflege
on ambulanter Versorgung geht vor allem auf zwei
ist heterogen und vielgestaltig. Ende des Jahres
Aspekte im Pflegesystem zurück:
2011 gab es insgesamt 12.300 ambulante Pflege-
Zum einen sind es Leistungspakete und Pfle-
dienste und 12.400 Einrichtungen der stationären
gesätze. In der Pflege heißt gute Versorgung aus-
und teilstationären Versorgung. Für beide Bereiche
reichendes und qualifiziertes Personal. Allerdings
gilt: Die Mehrzahl davon befindet sich in privater
machen die Personalkosten in der stationären und
Trägerschaft. Der Anteil der freigemeinnützigen
ambulanten Pflege ca. 70 Prozent der Gesamtkos-
Träger liegt bei durchschnittlich 40 Prozent und der
ten aus. Einsparung heißt dann immer, drehen an
Anteil öffentliche Träger ist äußerst gering. Ebenso
der Schraube Personal, selbst auf die Gefahr, die
gilt, bei den ambulanten Pflegebetrieben handelt es
Qualität der Pflege zu gefährden. Für die Personal-
sich in der Mehrzahl um Klein- und Kleinstbetriebe
ausstattung in der ambulanten Versorgung wer-
(Bundesagentur 2011).
den unmittelbar Leistungspauschalen verhandelt.
Insgesamt arbeiteten in den ambulanten Pflege-
Verhandlungspartner sind die Gruppen der Pflege-
diensten und stationären Einrichtungen 952.000 Er-
kassen und die Sozialhilfeträger einerseits und die
werbspersonen. Über 85 Prozent davon sind Frauen
einzelnen Anbieter von Leistungen andererseits.
und zwei Drittel von ihnen sind teilzeitbeschäftigt,
Über die Festlegung von Punktzahlen und Punktwer-
13 Prozent in »Minijobs«. Mehr als zwei Drittel der
ten werden definierten Leistungspaketen Preise bzw.
Beschäftigten haben ihren Arbeitsschwerpunkt in
Erlöse zugeordnet. Dabei konzentrieren sich die
der Grundpflege. Ausschließlich für die Pflegediens-
Leistungen in der ambulanten Pflege vorrangig auf
te arbeiten 22 Prozent der Beschäftigten im Rahmen
die Leistungen, die über die Sozialversicherungen
des Pflegeversicherungsgesetzes. Ausschließlich
abgerechnet werden können.
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Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten
Zum anderen werden über die Qualifikation der
Pflege ist es schlecht bestellt. Teilzeit- und Minijobs,
Beschäftigten die Kosten in der Pflege gesteuert.
Schichtarbeit, hohe physische und psychische Be-
Lediglich die dreijährige Ausbildung in der Alten-
lastungen, Zeitdruck und Stress gehören zum Alltag
pflege und Gesundheits- und Krankenpflege ist
(ver.di 2011). Auch ist der Gedanke, dass Pflege
bundesweit einheitlich geregelt. Auch die frühere
weitgehend eine Tätigkeit ist, die insbesondere
bundesweit einheitliche einjährige Ausbildung zur
Frauen praktisch von Natur aus beherrschen, noch
Krankenpflegehilfe unterliegt seit 2004 landesrecht-
immer weit verbreitet. Die niedrige Lohnhöhe im
lichen Regelungen. Gleiches gilt für Ausbildungen
Vergleich zu typischen Männerberufen spiegelt diese
zur Altenpflegehelferin. Daneben sind eine Vielzahl
Annahme wieder. Die Löhne in der Branche liegen
landesrechtlicher Regelungen zu finden, die auf die
nicht nur unterhalb des gesamtwirtschaftlichen
Weiterbildung in Pflege- und Sozialberufen abzielen.
Durchschnitts sondern auch unterhalb des Bran-
Unterhalb landesrechtlich geregelter Ausbil-
chendurchschnittes (Bispinck / Dribbusch, 2012).
dungen gibt es zudem eine Vielzahl von trägerspe-
Das heißt, dem steigenden Bedarf an ambulanter
zifischen Qualifikationen mit Bezeichnungen wie
Pflege folgte bisher keine entsprechende Entwick-
Pflegeassistenz, Behindertenassistenz, Pflegehelfer
lung und Förderung der Beschäftigung. Dies schlägt
oder Alltagsbegleitung. Gemeinsam ist all diesen
sich gerade aktuell in der ambulanten Pflege in
Qualifikationen, dass sie zu keinem formell aner-
wachsenden Schwierigkeiten bei der Bindung und
kannten Abschluss führen. Sie werden z. T. arbeitsu-
Gewinnung von Arbeitskräften nieder.
chenden Personen als Integrationsmaßnahmen für
turen finanziert. Darüber hinaus gibt es vertragliche
Pflegende Angehörige und ihre Unterstützer
Regelungen zwischen Leistungsanbietern und Pfle-
70 Prozent aller Pflegebedürftigen (1,76 Mill.) wer-
gekassen, die wiederum spezifische Qualifikationen
den zu Hause gepflegt, von ihnen 2/3 allein von An-
jenseits der formellen Abschlüsse fördern. Dies hat
gehörigen. Über die Geschlechterverhältnisse wissen
zur Folge, dass Beschäftigte mit geringeren Fach-
wir: Die private Pflegearbeit wird überwiegend von
qualifikationen zwar die Anforderungen der Leis-
Frauen geleistet. Die familiäre Verpflichtung als Part-
tungsträger erfüllen, aber zu geringeren Lohnkosten
nerin, als Tochter oder Schwiegertochter ist weitaus
eingesetzt werden können, als Beschäftigte mit
stärker als die der Männer, die vor allem als Partner
einem qualifizierten Berufsabschluss.
pflegen. Hinzu kommt: Das Durchschnittsalter pfle-
den Arbeitsmarkt angeboten und über Arbeitsagen-
Das heißt, auf dem ersten Arbeitsmarkt der am-
gender Frauen liegt zwischen 50 und 60 Jahren, also
bulanten Dienste stellen Pflegesatzverhandlungen,
noch in der erwerbsfähigen Lebensphase. Die hohe
Leistungspakte und die nicht einheitlich geregelte
Belastung der Frauen durch Erwerbsarbeit und Pfle-
Qualifizierung durchaus Steuerungsinstrumente
ge, führt häufig zur Aufgabe oder Reduktion der Er-
für die Reduzierung von Kosten und die Ausgestal-
werbsarbeit. Frauen geraten daher weitaus häufiger
tung der Arbeitsbedingungen in der Branche und
als Männer in finanzielle Abhängigkeit vom Partner
in den Privathaushalten dar. Dies hat nachhaltige
oder vom Staat, wenn sie private Versorgungs- und
Wirkungen für die Beschäftigung und die Arbeits-
Pflegearbeit leisten. Die finanzielle Situation wird
bedingungen: Dem steigenden haushalts- und per-
für viele pflegende Angehörige mit der Dauer der
sonenbezogenem Dienstleistungsbedarf folgt kein
Pflege immer prekärer, da sich einerseits das eigene
nennenswerter Beschäftigungsanstieg und um die
Einkommen reduziert, die Kosten für die Pflege aber
Löhne und Arbeitsbedingungen in der ambulanten
steigen (»Arm durch Pflege«) und nicht zuletzt füh-
10
Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten
len sich die meisten pflegenden Angehörigen stark
und Grundpflege, steht auf dem regulären Arbeits-
oder sehr stark belastet.
markt der ambulanten Dienste kein entsprechendes
Angesichts dieser Entwicklungstrends ist es nicht
Angebot gegenüber. Insbesondere die Anforderung
verwunderlich, dass das in Deutschland favorisierte
von ineinandergreifenden Dienstleistungen können
»Standardmodell« der Versorgung in Privathaushal-
ambulante Dienste aufgrund der durch die Pflege-
ten – ambulante Dienste in Verbindung mit pflegen-
versicherung definierten »Leistungspakete« kaum
den Angehörigen – deutliche Grenzen aufweist bzw.
nachkommen. Hinzu kommt die Finanzierung der
für viele Privathaushalte an der Realität vorbeigeht.
Leistungen. Insbesondere Dienstleistungen der
Die Antwort auf diese strukturelle Versorgungslü-
Teilhabe sowie unterstützende haushalts- und per-
cke in der Betreuung und Pflege sind deshalb meist
sonenbezogene Dienstleistungen, werden von der
individuelle Problemlösungen, bei denen Privathaus-
Pflegeversicherung oder anderen Sozialversicherun-
halte auf Versorgungsangebote auf einem prekären
gen nur bedingt getragen. Diese sind von Pflegebe-
Arbeitsmarkt zurückgreifen. Beschäftigt werden
dürftigen und Angehörigen derzeit selbst zu organi-
Migrantinnen aus osteuropäischen Mitgliedsstaaten
sieren und zu finanzieren. Mittlerweile kann davon
der EU. In Deutschland arbeiten derzeit zwischen
ausgegangen werden, dass Migrantinnen in einem
115.000 und 300.000 Frauen aus Osteuropa als
nennenswerten Umfang in Familien mit einem mitt-
Haushaltshilfen und Pflegekräfte. Gemessen an den
leren Einkommen die Versorgung älterer Menschen
ca. 1 Millionen Angehörigen, die haushalts- und
komplettieren. Wenn das so ist, gilt es einerseits das
personenbezogene Dienstleistungen unentgeltlich
»Standardmodell« der Versorgung mit seiner Famili-
übernehmen, kann durchaus davon ausgegangenen
enorientierung und gleichzeitigen Zergliederung der
werden, dass die bezahlte Arbeit von Migrantinnen
Leistungen, zu hinterfragen und andererseits steht
sich zunehmend als dritte Säule in der häuslichen
das Pflegesystem vor der Aufgabe sich diesen neuen
Versorgung herauskristallisiert.
Herausforderungen durch Strukturreformen in der
Das heißt insgesamt: Dem steigenden Bedarf an
Dienstleistungen für die Bereiche Teilhabe, Haushalt
Organisation der Arbeit in Privathaushalten anzunähern.
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Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten
4Arbeitsbedingungen von Migrantinnen
in Privathaushalten
Festzuhalten ist zunächst: Angesichts von Proble-
älterer Menschen, so gut wie nicht vor. Live-in-
men in der Versorgung älterer Menschen ist ein
Arrangements bieten sowohl für die Beschäftigte
Bedarf an personen- und haushaltsbezogenen
als auch für die zu betreuende Person einige Vor-
Dienstleistungen entstanden, der derzeit über die
teile. Für die Migrantin ist von Vorteil, dass sich
Beschäftigung von insbesondere osteuropäischen
Arbeits- und Wohnproblem gleichzeitig lösen lassen,
Migrantinnen gelöst wird. Festzustellen ist auch,
die Kosten für die Unterkunft eingespart werden
dass diese Beschäftigung weitgehend den »offiziel-
können und die Migrantin Zeit hat, sich an die neue
len« Strukturen des Arbeitsmarktes entzogen ist und
Umgebung zu gewöhnen. Darüber hinaus bietet
so notwendigerweise Gestaltungsdefizite aufweist.
der Privathaushalt Schutz vor staatlichen Kontrol-
Um herauszuarbeiten, wie Beschäftigungsverhält-
len. Die andere Seite der Medaille: Diese Form der
nisse im Privathaushalt in den ersten Arbeitsmarkt
Arbeits- und Wohnverhältnisse bedeutet eine relativ
eingepasst werden könnten und so ein bisher »un-
große Abhängigkeit vom Arbeitgeber. Häufig wird
sichtbares« Arbeitskräftepotential für die Versorgung
die Bereitstellung von Kost und Logis als Rechtferti-
älterer Menschen erschlossen werden kann, wird
gung für sehr niedrige Löhne herangezogen. Für die
im Folgenden der Frage nachgegangen, durch wel-
zu pflegende Person bzw. ihre Angehörigen besteht
che Merkmale sich die Arbeit von Migrantinnen im
der Vorteil zum einen in einer »bezahlbaren« Lösung
Privathaushalt auszeichnet.
und zum anderen in einer permanenten Verfügbarkeit der Arbeitskraft, die auf unterschiedliche An-
4.1. Merkmale der Arbeit von Migrantinnen in Privathaushalten
forderungen kurzfristig und zeitnah reagieren kann.
Vorauszuschicken ist, angesichts der Irregularität der
dass sich der alte Mensch immer wieder neu auf ei-
Beschäftigungsverhältnisse ist das Ausmaß der von
ne andere Haushaltshilfe oder Pflegekraft einzustel-
Migrantinnen in Privathaushalten geleisteten Arbeit
len hat und ein Vertrauensverhältnis aufbauen muss.
schwer schätzbar. Wie gezeigt liegen nur wenige
Gleichzeitig bedeutet Pendelmigration aber auch,
Das zweite Merkmal ist das Pendeln zwischen
empirische Untersuchungen oder verlässliche Sta-
Arbeits- und Lebensort. Dabei wechseln sich in
tistiken vor (Neuhaus u.a. 2009; Emunds / Schacher
der Regel bei einer pflegebedürftigen Person meh-
2012), die einen Einblick in die Arbeitsbedingungen
rere Migrantinnen ab. Eine Arbeitnehmerin bleibt
und die besonderen Abhängigkeiten der Arbeit in
meist bis zu 12 Wochen, reist dann in ihr Herkunfts-
der Häuslichkeit vermitteln. Auf dieser Grundlage
land zurück und eine andere Arbeitnehmerin über-
und aufgrund von Erfahrungsberichten lassen sich
nimmt die Stelle. Diese Form der Migration wird als
folgende charakteristische Merkmale der Arbeit in
Pendelmigration bezeichnet. Die Frauen gestalten
Privathaushalten identifizieren:
ihr Leben an mindestens zwei verschiedenen Or-
Ein erstes Merkmal der Beschäftigung von Mig-
ten. Sie reisen in einem regel- und unregelmäßigen
rantinnen im Haushalt ist das Ineinandergreifen
zeitlichen Rhythmus hin- und her. Das Wandern
von Lebens- und Arbeitsort. Zu unterscheiden ist
zwischen zwei Ländern und mehreren Orten wird
zwischen so genannten live-in und live-out Formen.
zeitweise zur vorherrschenden Lebensweise (ver.di
Bei einem Live-in-Arrangement lebt und wohnt die
2009; 2011). Sie nutzen Mobilität zur Verbesserung
Arbeitnehmerin im Haushalt der pflegebedürftigen
ihrer ökonomischen Lage und sehen ihre Tätigkeit
Person. Live-out-Arrangements, bei denen die Mi-
meist als vorübergehend an. Das heißt, prinzipiell ist
grantin außerhalb des Haushaltes lebt, in dem sie
die Form der Pendelmigration für Frauen funktional
arbeitet, kommen in der häuslichen Versorgung
für die Gestaltung einer zeitweisen Erwerbsarbeit
12
Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten
mit der Konsequenz, dass sie sozial und kulturell in
von Aushandlungsprozessen im privaten Raum des
die Herkunfts- und lediglich beruflich in die Aufnah-
Arbeitgebers, an dessen persönliche Normen und
megesellschaft integriert sind (ver.di 2011; Emunds /
Regeln sich die Beschäftigte anpassen muss. Hier
Schacher 2012).
werden bereits die sehr ungleichen Machtverhältnis-
Ein weiteres Merkmal der Arbeit in Privathaushal-
se deutlich.
ten ist die nur geringe Entlohnung. Aus den An-
Hinzu kommt die Gefahr der (pflege-)fach­
geboten verschiedenster Vermittlungsagenturen ist
lichen Überforderung wenig qualifizierter Migran-
bekannt, dass für eine »Rund-um-die-Uhr-Beschäf-
tinnen im Arbeitsalltag und daraus resultierender
tigung« ein durchschnittlicher Bruttolohn von etwa
Pflegefehler zulasten der Pflegebedürftigen. Denn
1.400,00 Euro an die Arbeitnehmerin gezahlt wird.
zum einen wird die Versorgung mit Dienstleistungen
Da davon auszugehen ist, dass diese weit mehr als
über einen »Marktpreis« auf einem prekären Arbeits-
48 Stunden/Woche arbeiten, liegt dieser Lohn deut-
markt definiert, der der Kontrolle z.B. des Medizini-
lich unterhalb des seit 2010 vereinbarten Pflege-
schen Dienstes der Krankenversicherungen (MDK)
Mindestlohns von 8,00 Euro im Osten und 9,00 Euro
entzogen ist. Zum anderen kann unterstellt werden,
im Westen Deutschlands (Stand Juli 2013). Dieser
dass selbst dann, wenn Migrantinnen in den Pri-
Mindestlohn gilt aber nicht für Arbeitnehmerinnen
vathaushalten offiziell als Haushalthilfen eingestellt
in Privathaushalten, selbst wenn diese überwiegend
sind, die Grenzziehung zwischen den Aufgaben von
Grundpflegeleistungen erbringen (Rechtsverordnung
Teilhabe, Haushalt und Grundpflege und den spezifi-
zu §§ 10 ff Arbeitnehmerentsendegesetz (AentG)).
schen Leistungen der Dienste nach dem SGB XI nur
Damit kann davon ausgegangen werden, dass Mi-
schwer möglich ist.
grantinnen in Privathaushalten das wohl niedrigste
Am Arbeitsplatz Privathaushalt verschwimmen
Einkommen in der Branche erzielen, obwohl sie ein
also die Grenzen zwischen privat und öffentlich,
komplexes und anspruchsvolles Bündel von haus-
zwischen persönlichen, emotionalen Beziehungen
halts- und personenbezogenen Dienstleistungen
und definierten Rechten und Pflichten. Die Folge ist,
übernehmen.
dass die Beschäftigungsverhältnisse häufig nicht als
Als weiteres Merkmal ist zu nennen, dass sich
klar definierte Beziehung zwischen Arbeitgeber und
der Arbeitsplatz Privathaushalt einer öffentlichen
Beschäftigten wahrgenommen werden. Vielmehr
Qualitätssicherung und Kontrolle entzieht. Er
wird eine private Beziehungsebene hergestellt, in
unterscheidet sich grundsätzlich von anderen »nor-
der geregelte und abgegrenzte Arbeits- und Ru-
malen« Jobs und es ist gerade die nicht vorhandene
hezeiten sowie Aufgabenbereiche an Bedeutung
Trennung von Arbeiten und Leben, die diesen Ar-
verlieren. Nicht selten fordern die Arbeitgeber die
beitsplatz so schwierig macht. Der Haushalt wird als
ständige Anwesenheit der Beschäftigten zur Betreu-
Arbeitsplatz von den Beschäftigten der Privatsphäre
ung ein und notwendige Ruhepausen und -zeiten
zugerechnet. Neben der fehlenden Arbeitsplatzkon-
werden nicht akzeptiert. Quasi als »Mädchen für al-
trolle ergibt sich für die Beschäftigten daraus das
les« verrichten die Beschäftigten zudem, neben den
Dilemma in einem Raum tätig zu sein, der nicht für
ausgehandelten Tätigkeiten, auch andere anfallende
Arbeitsverhältnisse vorgesehen ist, so dass für sie
Arbeiten für die Angehörigen wie Putzarbeiten oder
auch keine adäquate Berufsrolle bzw. Tätigkeitsprofil
Kinderbetreuung. Dies führt zu Erfahrungen von
bereitgehalten wird. Sowohl die Interaktionsfor-
sozialer Isolation, von Diskriminierung und Hilflosig-
men als auch die Aufgaben sind nicht im Vorhinein
keit mit erheblichen psychischen Folgen für die hier
definiert. Diese sind immer wieder Gegenstand
tätigen Frauen (Emunds / Schacher 2012,60).
13
Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten
4.2. Rechtlicher Hintergrund der Beschäftigung von Migrantinnen in Privathaushalten
Die Beschäftigung von Migrantinnen in Privathaushalten ist dem grauen Arbeitsmarkt zu zuordnen.
Hier werden ihrem Wesen nach legale Dienstleistungen erbracht und auch ebensolche Beschäftigungsverhältnisse etabliert, allerdings unter Rahmenbedingungen, die ordnungspolitisch nicht gewünscht
sind. Dieser graue Arbeitsmarkt bedient sich der
Grundfreiheiten des Binnenmarktes, die letztlich zur
Umgehung bestehender Arbeitnehmerschutzvorschriften instrumentalisiert werden.
Es sind grundsätzlich drei Wege möglich, mit
denen ein Privathaushalt seinen Bedarf an haushalts- und personenbezogenen Dienstleistungen
außerhalb des Systems der ambulanten Pflegedienstleistungen decken kann: Er kann eine Haushaltshilfe oder Pflegekraft unmittelbar im Haushalt
einstellen, einen Dienstleister (Pflege- oder sonstiges
Unternehmen) oder eine selbständige Haushaltsoder Pflegekraft damit beauftragen, die Dienstleistungen zu erbringen. Dabei ist zu beachten, dass die
Vertragsparteien zwar hinsichtlich der Wahl jeder
dieser Formen der Dienstleitungserbringung frei
sind. Sie haben aber kein Dispositionsrecht hinsichtlich der Frage, ob ein selbständiges oder nichtselbständiges Vertragsverhältnis vorliegt. Mit anderen
Worten: Ob eine selbständige Tätigkeit ausgeübt
wird oder ob ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt, entscheidet sich nicht anhand der von
den Beteiligten gewählten Bezeichnung oder deren
Absichten, sondern allein aufgrund der tatsächlichen
Gestaltung der Vertragsbeziehung.
Der rechtliche Rahmen für die Beschäftigung von
mittel- und osteuropäischen Migrantinnen in den
Haushalten wird nicht nur durch das nationale, sondern auch durch das europäische und internationale
Recht bestimmt. Völkerrechtliche Verpflichtungen
zur Gewährung des Mindestschutzes und zur Gleichbehandlung von im Haushalt Beschäftigten mit
14
anderen Arbeitsverhältnissen resultieren neuerdings
aus der ILO-Konvention »Menschenwürdige Arbeit
für Hausangestellte« (Übereinkommen Nr. 189 und
Empfehlung Nr. 201), die Deutschland 2013 ratifiziert hat. Aus dem europäischen Recht resultieren
zudem Beschränkungen in der Ausgestaltung verschiedener Beschäftigungsformen, mit dem Ziel des
Schutzes der Arbeitnehmer einerseits und der Gewährleistung der Grundfreiheiten des europäischen
Binnenmarktes auf der anderen Seite. Zu beachten
sind bei den verschiedenen Beschäftigungsformen
folgende Besonderheiten:
• Die Schranken der unmittelbaren, sozialversicherungspflichtigen Einstellung von Migrantinnen
im Haushalt, die nach dem EU-Beitritt der neuen
EU-Mitgliedstaaten vorübergehend bestanden,
sind seit dem 1.1.2014 für die Mittel- und
Osteuropäischen-Staaten (MOE-Staaten), mit
Ausnahme von Kroatien, aufgehoben. Allerdings
ist die rechtliche Absicherung dieser Arbeitsverhältnisse im Haushalt unzureichend (Punkt
4.2.1).
• Die Entsendung von Haushaltshilfen und Pflegekräften ist bereits seit dem EU-Beitritt der
MOE-Staaten zulässig. Dabei gelten bestimmte
Mindestschutzvorgaben des deutschen Arbeitsrechts und sozialversicherungsrechtliche Besonderheiten (Punkt 4.2.2).
• Die 24-Stunden-Betreuung durch eine im Haushalt lebende selbständige Haushaltshilfe oder
Pflegekraft ist rechtlich ausgeschlossen (Punkt
4.2.3)
4.2.1. Unmittelbare Einstellung im Haushalt
Der eingeschränkte Zugang zum deutschen
Arbeitsmarkt bis 2011 bzw. 2013
Der EU-Beitritt der osteuropäischen Staaten in den
Jahren 2004 (Polen, Tschechen, Slowakei, Ungarn,
Slowenien, Litauen, Estland und Lettland) und 2007
(Bulgarien und Rumänien) bedeutete für deren
Bürger zunächst nur einen eingeschränkten Zugang
Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten
zum deutschen Arbeitsmarkt. Bis zum 1. Mai 2011
eine monatliche Bruttovergütung von 1.400,-- bis
war den Bürgern aus den 2004 beigetretenen Staa-
1.600,-- € bei einer Arbeitszeit von 38 Stunden/Wo-
ten und bis zu 31. Dezember 2013 den Bürgern
che vor.
und Bürgerinnen aus Rumänien und Bulgarien die
Das Vermittlungsangebot der ZAV erfasst aber
Aufnahme einer abhängigen Beschäftigung grund-
auch heutzutage die Länder, deren Bürger bereits
sätzlich nur mit einer Arbeitsgenehmigung der Bun-
die Arbeitnehmerfreizügigkeit genießen, wie z.B. Po-
desagentur für Arbeit (§ 284 SGB III) möglich. Diese
len. Es hatte jedoch von Anfang an nur eine margi-
Einschränkung gilt seit dem 1.1.2014 nur noch für
nale Bedeutung. Nach Angaben der ZAV wurde das
das am 1. Juli 2013 der EU beigetretene Kroatien,
Vermittlungsangebot einer sozialversicherungspflich-
längstens bis zum 30. Juni 2020. Aufgrund der
tigen Beschäftigung bundesweit nur in ca. 1.200
Arbeitnehmerfreizügigkeit, die ihre Verankerung im
Fällen pro Jahr in Anspruch genommen.
Art.45 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) hat, kann dann jeder Arbeit-
Der uneingeschränkte Zugang zum
nehmer / jede Arbeitnehmerin aus einem Mitglied-
deutschen Arbeitsmarkt
staat der EU uneingeschränkt eine Beschäftigung in
Seit der Einführung der vollen Arbeitnehmerfreizü-
Deutschland aufnehmen. Das Recht einer Beschäfti-
gigkeit (1. Mai 2011 bzw. 1.Januar 2014) steht also
gung nachzugehen umfasst zugleich den Anspruch
einem unmittelbaren Arbeitsverhältnis von mittel-
auf Gleichbehandlung mit Inländern. Nach Art. 45
und osteuropäischen Migrantinnen in deutschen
Abs. 2 AEUV ist jede unterschiedliche Behandlung
Haushalten nichts mehr im Wege. Die rechtlichen
von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen aus den
Rahmenbedingungen sowohl für einen Minijob als
EU-Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Ent-
auch für eine sozialversicherungspflichtige Beschäf-
lohnung und sonstige Arbeitsbedingungen, soweit
tigung unterscheiden sich nicht von der Beschäfti-
sie auf der Staatsangehörigkeit beruhen, verboten.
gung deutscher Haushaltshilfen oder Pflegekräfte.
Da die Erteilung einer Arbeitsgenehmigung
Kennzeichnend ist, dass bei einer sozialversiche-
grundsätzlich nur für Beschäftigungen möglich
rungspflichtigen Beschäftigung der Pflegebedürftige
war, die eine qualifizierte, d.h. mindestens zwei-
selbst oder ein Angehöriger als Arbeitgeber auftritt.
jährige Berufsausbildung voraussetzen, waren z.B.
Die Vermittlung kommt entweder über die Bundes-
die Tätigkeiten von Haushaltshilfen in der Über-
agentur für Arbeit zustande oder es können alle We-
gangszeit dem Arbeitsgenehmigungsverfahren gar
ge der Arbeitssuche in Deutschland genutzt werden.
nicht zugänglich. Eine Ausnahme galt gem. § 15
Je nach Umfang der vereinbarten Arbeit wird ein
c (ex-§ 21) der Beschäftigungsverordnung für das
geringfügiges oder ein sozialversicherungspflichtiges
Vermittlungsangebot der Zentralen Auslands- und
Arbeitsverhältnis begründet. Sein Gegenstand ist die
Fachkräftevermittlung der Bundesagentur für Arbeit
Leistung von abhängiger Arbeit gegen Vergütung.
(ZAV). In Kooperation mit den Arbeitsbehörden der
Die persönliche Abhängigkeit der Arbeitnehmerin
Herkunftsländer vermittelte die ZAV Haushalts-
äußert sich vornehmlich in ihrer Eingliederung in
hilfen zur direkten, sozialversicherungspflichtigen
den Betrieb des Arbeitgebers. Dieser hat das Recht,
Vollzeiteinstellung in Haushalte. Bezüglich der Ver-
Arbeitsweisungen zu erteilen, die sich auf die Ar-
gütung wurde auf die zwischen dem deutschen
beitszeit, den Arbeitsort, die Art der Ausführung
Hausfrauen-Bund und der Gewerkschaft Nahrung-
und die Reihenfolge beziehen können. Die Beschäf-
Genuss-Gaststätten geschlossenen Tarifverträge des
tigte hingegen ist verpflichtet, den Weisungen des
jeweiligen Bundeslandes hingewiesen. Diese sehen
Arbeitgebers zu folgen. Der Arbeitgeber meldet die
15
Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten
Beschäftigte zur Sozialversicherung (beim Minijob –
ße ist der Pflegemindestlohn. In beiden Fällen liegt
bei der Bundesknappschaft) an und führt die Ein-
der Lohn zwischen 8,00 – 9,00 €/Stunde, so dass
kommensteuer ab. Auf das Arbeitsverhältnis findet
die Sittenwidrigkeitsgrenze erst unterhalb von 6,00
das gesamte deutsche Arbeitsrecht unmittelbar
€ bzw. 5,30 € erreicht wäre. Eine Vergütung in die-
Anwendung.
ser Höhe ist zwar eindeutig prekär, aber – aufgrund
der bestehenden Regelungslücke – grundsätzlich
Lückenhafter Schutz der Haushaltsangestellten
Selbst wenn entgegen der gängigen Praxis (wie
zulässig.
Eine Ausnahmeregelung gilt auch für die Arbeits-
noch an anderer Stelle gezeigt wird), die Haushalts-
zeit. Der § 18 Abs. 1 Nr. 3 Arbeitszeitgesetz (ArbZG)
hilfe oder Pflegekraft unmittelbar als Arbeitnehmerin
schließt Arbeitnehmer aus dem Anwendungsbe-
im Privathaushalt eingestellt wird, erweist sich der
reich aus, die in häuslicher Gemeinschaft mit ihnen
Schutz, den das deutsche Arbeitsrecht für die Arbeit
anvertrauten Personen leben und diese eigenver-
im Haushalt gewährt, als lückenhaft. Und das gleich
antwortlich erziehen, pflegen oder betreuen. Diese
in zwei besonders sensiblen Bereichen: Der Vergü-
Regelung wurde wie es den Unterlagen zur Ent-
tung und der Arbeitszeit.
stehungsgeschichte zu entnehmen ist (BT-Drucks.
So findet der Pflegemindestlohn für die unmit-
12/6990, 44), für eine Konstellation eingeführt, die
telbare Einstellung im Haushalt keine Anwendung.
in SOS-Kinderdörfern anzutreffen ist. Es ging also
Die bereits erwähnte Pflegearbeitsbedingungsver-
ursprünglich um die Berücksichtigung von Lebens-
ordnung (PflegeArbbV) gilt nach § 1 Abs. 2 nur für
und Arbeitsbedingungen von Kinderdorfeltern,
Pflegebetriebe, d.h. für Betriebe und selbstständige
deren Arbeit den Aufbau einer familienähnlichen
Betriebsabteilungen, die überwiegend ambulante,
Lebensform zum Ziel hat. Dies schließt die strenge
teilstationäre oder stationäre Pflegeleistungen für
Trennung zwischen Arbeits- und Freizeit aus. Es ist
Pflegebedürftige erbringen. Ein Haushalt ist nach
höchstrichterlich jedoch nicht geklärt, ob diese Aus-
überwiegender Meinung kein Pflegebetrieb und
nahmeregelung auch für die im Haushalt lebende
wird von dem Geltungsbereich der Verordnung
Pflegekraft Anwendung finden kann. Einerseits ist
nicht erfasst. Als zulässige Lohnuntergrenze bleibt in
die Ausnahmeregelung des § 18 Abs. 1 Nr. 3 ArbZG
diesem Fall die Sittenwidrigkeitsgrenze. Sittenwidrig
eng auszulegen und kann nicht aus der bloßen
und damit gem. § 138 BGB nichtig ist nach gefestig-
Tatsache des Lebens im Haushalt des Arbeitgebers
ter Rechtsprechung eine Vergütung, wenn sie nicht
abgeleitet werden (Schieve/Schwach 2012, 338).
einmal zwei Drittel eines in der betreffenden Bran-
Anderseits, spätestens dann, wenn die Pflegekraft
che und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten
eigenverantwortlich betreut und insbesondere mit
Lohns erreicht. In einer Branche, in der offizielle
dem ihr anvertrauten Menschen faktisch zu-
Statistiken bezüglich der gezahlten Vergütung kaum
sammen wirtschaftet, scheint die Anwendbarkeit
vorhanden sind, ist diese schwer zu ermitteln. Als
dieser Vorschrift jedenfalls nicht ausgeschlossen.
Richtwerte könnten die zwischen dem Hausfrauen-
Das bedeutet, dass sich die täglichen und wöchent-
bund und der NGG geschlossenen ländereigenen
lichen Arbeitszeiten, Ruhezeiten etc. nicht nach den
Tarifverträge gelten, die auch die ZAV ihrem Vermitt-
Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes zu richten brau-
lungsangebot zugrunde legt. Eine weitere Richtgrö-
chen.
1
1 Abweichender Vorschlag bei Kocher, Haushaltsarbeit als Erwerbsarbeit: Der Rechtsrahmen in Deutschland: Voraussetzungen einer Ratifikation der ILO-Domestic Workers Convention durch die Bundesrepublik Deutschland. Rechtsgutachten im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung,
abrufbar unter: www.boeckler.de
16
Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten
4.2.2. Entsendung
War der freie Zugang von Arbeitnehmern aus mittel- und osteuropäischen Mitgliedsstaaten bis 2011
bzw. 2014 reglementiert, durften aus diesen Länder
stammende Unternehmen seit dem EU-Beitritt ihre
Dienstleistungen in Deutschland frei anbieten und
zur Ausführung eines Auftrags ihre Beschäftigten
nach Deutschland entsenden (Dienstleistungsfreiheit). Einschränkungen galten für Unternehmen der
Bau-, Gebäudereinigungs- und Innendekorationsbranche, die ihre Beschäftigten nur im Rahmen von
zwischenstaatlichen Werkvertragsvereinbarungen,
sog. Beschäftigungskontingenten, und nach Erteilung einer Arbeitsgenehmigung entsenden durften.
Grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung
blieb bis zu der Einführung der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit gänzlich ausgeschlossen.
Ansonsten war es osteuropäischen Unternehmen grundsätzlich möglich, mit Privathaushalten
Verträge über die Erbringung von haushalts- und
personenbezogenen Dienstleistungen bzw. Pflegeleistungen abzuschließen und zu deren Erbringung
die in ihrem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmerinnen zu entsenden. Diese sog. »Werkvertragsentsendung« definiert die EU-Entsenderichtlinie 96/71/
EG als einen zum Zweck der länderübergreifenden
Erbringung von Dienstleistungen erfolgenden, zeitlich begrenzten Einsatz von Arbeitnehmern durch
ihre Arbeitgeber im Hoheitsgebiet eines anderen
Mitgliedstaates als dem, in dem sie normalerweise
beschäftigt werden. Der Einsatz erfolgt zur selbständigen Ausführung eines Auftrags durch das im
Ausland ansässige Unternehmen, in seinem Namen
und unter seiner Leitung. Diese Voraussetzung ist
dann erfüllt, wenn das Unternehmen gegenüber
dem Arbeitnehmer das Weisungsrecht in Bezug auf
Art, Zeit und Ort der Tätigkeit behält, die Arbeit am
Einsatzort eigenverantwortlich organisiert und das
Risiko etwaiger Mängel, Fehlverhalten oder Fehler
bei der Ausführung des Auftrags trägt. Der oder die
Pflegebedürftige bzw. die Angehörigen sind damit
zwar frei von arbeitgeberischen Risiken. Sie haben
aber auch keine Möglichkeit, die Modalitäten der
Arbeit mit der Haushaltshilfe bzw. Betreuungskraft
direkt zu regeln. Diese tritt nur als Erfüllungsgehilfin
ihres zur Dienstleistung verpflichteten Arbeitgebers
auf und wird grundsätzlich von ihm in Bezug auf die
Einzelheiten ihrer Tätigkeit angewiesen.
Zu beachtender Mindestschutz
und der Mindestlohn
Der Einsatz von entsandten Arbeitnehmerinnen in
Privathaushalten ist nur unter Einhaltung bestimmter Mindestschutzvorgaben zulässig, deren Kern im
AEntG verankert ist. Der Mindestschutz erstreckt
sich nach § 2 Nr. 1 – 7 AEntG auf den bezahlten
Jahresurlaub, die zulässigen Höchstarbeitszeiten
und Mindestruhezeiten, die Grundsätze der Arbeitnehmerüberlassung, den Arbeitsschutz, den Mutter- und Jugendschutz sowie die arbeitsrechtlichen
Diskriminierungsverbote. Nach überwiegender
Meinung gehört auch das Verbot sittenwidriger
Vergütung einschließlich der hierzu ergangenen
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG)
dazu (§ 2 Nr. 1 AEntG). Nach dieser Norm finden
die gesetzlichen Mindestentgelte einschließlich der
Überstundensätze zwingend Anwendung. Zwar
gibt es in Deutschland keine gesetzlich festgelegte
Mindestlohngrenze, allerdings hat das BAG in seiner
Rechtsprechung zum Lohnwucher eine Bemessungsgrundlage für Mindestsätze herausgearbeitet, deren
Unterschreitung zur Nichtigkeit der Vergütungsabrede i.S.v. § 138 Abs. 2 BGB führt. Nach überwiegender Meinung hat diese sog. 66 Prozent-Regelung
einen international-privatrechtlich zwingenden
Charakter und ist in den Anwendungsbereich des §
2 Nr. 1 AEntG einzubeziehen.
Darüber hinaus sind ausländische Pflegeunternehmen nach der Aufnahme der Pflegebranche in
das AEntG im Jahre 2009 und – in deren Folge –
durch das Inkrafttreten der PflegeArbbV im August
2010 zur Zahlung des brancheneinheitlichen Min-
17
Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten
destlohnes verpflichtet. Dieser beläuft sich derzeit
werden und unabhängig davon, ob es sich dabei
auf 9,00 €/Stunde (West) und 8,00 €/Stunde (Ost).
um Tätigkeiten in der Grundpflege im Sinne von §
Anwendbar ist der Mindestlohn auf Pflegebetriebe,
14 Abs. 4 Nr. 1 bis 3 SGB XI oder um Tätigkeiten
also solche die überwiegend ambulante, teilstatio-
der hauswirtschaftlichen Versorgung im Sinne von §
näre oder stationäre Pflegeleistungen für Pflegebe-
14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI handelt. In der Tat erscheint
dürftige erbringen und deren Arbeitnehmerinnen
nach der genauen Analyse der Bestimmungen der
und Arbeitnehmer, die überwiegend pflegerische
Verordnung, die das Gericht vorgenommen hat,
Tätigkeiten in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr.
diese Schlussfolgerung zwingend. Ob das BAG diese
1 bis 3 SGB XI ausüben. Wird also eine Pflegerin –
Auffassung teilen wird, bleibt abzuwarten. Zu der
wie oben dargestellt – von dem sie beschäftigenden
Frage, wie arbeitszeitrechtlich ein 15-tägiger Rund-
Pflegebetrieb vorübergehend nach Deutschland
um-die-Uhr-Dienst überhaupt zulässig sein konnte,
abgeordnet, steht ihr für die Dauer der Entsendung
verliert das LAG leider kein Wort.
der Mindestlohn nach der PflegeArbbV zu. Die von
ausländischen Pflegeunternehmen entsandten Be-
Sozialversicherungsrechtliche Besonderheiten
schäftigten sind damit, zumindest im Hinblick auf
der Entsendung
die Mindestschutzbedingungen und den Mindest-
Anders als bei der unmittelbaren Einstellung im
lohn, ihren deutschen Kolleginnen und Kollegen
Privathaushalt, entsteht bei einer Entsendung einer
gleichgestellt.
Haushaltshilfe bzw. einer Pflegekraft durch ein aus-
Bedeutet es aber auch, dass ein ausländisches
ländisches Unternehmen auf Seiten der deutschen
Pflegeunternehmen, wenn es Haushaltshilfen oder
Kunden keine Verpflichtung, das Beschäftigungs-
Pflegekräfte in die Haushalte entsenden würde und
verhältnis bei der Sozialversicherung anzumelden
diese bekanntlich so gut wie »Rund-um-Uhr verfüg-
und Beiträge abzuführen. Das entsendende Unter-
bar« sein sollen, den Mindestlohn zu zahlen hat?
nehmen oder die Arbeitnehmerin kann vielmehr vor
Eine Antwort darauf könnte demnächst das BAG
der Entsendung eine Bescheinigung beantragen,
geben. Wie ein Urteil des Landesarbeitsgerichts
die zeigt, dass die Beschäftigte während der Dauer
(LAG) Baden-Württemberg aus dem Jahr 2012
der Entsendung den Vorschriften ihrer nationalen
2
zeigt, gegen das eine Revision anhängig ist, ist auch
Sozialversicherung unterliegt mit der Folge, dass die
eine Tätigkeit der Rund-um-die-Uhr-Betreuung dem
Sozialversicherungsbeiträge im Herkunftsland abzu-
deutschen Pflegearbeitsmarkt nicht gänzlich unbe-
führen sind. Diese sog. Entsende- bzw. A1-Beschei-
kannt. Im vorliegenden Fall klagte eine Mitarbeiterin
nigung wird nach Art. 12 Abs. 1 der Verordnung zur
einer stationären Pflegeeinrichtung, die in sog. Rudu
Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit
(Rund-um-die-Uhr) Diensten arbeitete. Während
(VO 883/2004) in Verbindung mit entsprechenden
diesen verblieb sie über mehrere Tage (mit kurzen
Durchführungsvorschriften von dem zuständigen
Pausen) in der Einrichtung und leistete zusätzlich
Versicherungsträger ausgestellt, wenn:
zur Vollarbeit Bereitschaftsdienst. Nach Ansicht des
• die Entsendung grundsätzlich nicht länger als 24
Gerichts sind mit dem Mindestentgelt nach § 2 Abs.
Monaten dauert und nicht der Ablösung einer
1 PflegeArbbV sämtliche Tätigkeiten während der
anderen Entsandten dient,
Rudu-Dienste zu vergüten, unabhängig davon, ob
• zwischen der Beschäftigten und dem Entsen-
sie in Vollarbeit oder im Arbeitsbereitschaft erbracht
2 LAG Baden-Württemberg v. 18.11.2013, 4 Sa 48/12, AiB 2013, 397-398
18
deunternehmen während der Entsendung eine
Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten
echte arbeitsrechtliche Bindung besteht. D.h.
Herkunftslandes zu verbleiben. Eine entsprechende
die Arbeitnehmerin arbeitet nach Weisung des
A1-Bescheinigung bestätigt diesen Zustand und
Unternehmens und auf dessen Rechnung,
entfaltet, ähnlich wie die A1-Bescheinigung einer
• das Entsendeunternehmen im Entsendestaat
seine Geschäftstätigkeit gewöhnlich ausübt, die
über eine bloße Verwaltungstätigkeit hinausgeht und
• die Beschäftigte dem Sozialversicherungssystem
entsandten Arbeitnehmerin, entsprechende Bindungswirkung gegenüber den deutschen Behörden.
Rechtlich spricht zunächst nichts dagegen, dass
Pflegekräfte und Haushaltshilfen aus den Beitrittsstaaten in Privathaushalten ihre Dienste selbständig
des Entsendestaates mindestens einen Monat
anbieten. Der deutsche Gesetzgeber erkennt sogar
vor dem Beginn der Entsendung angehörte.
ausdrücklich an, dass Pflegepersonen selbständig
tätig sein können, indem er in § 2 Abs. 1 Nr. 2 SGB
Die vom zuständigen Versicherungsträger ausge-
VI regelt, dass selbständige Pflegepersonen unter
stellte A1-Bescheinigung legt zeitlich befristet fest,
weiteren Voraussetzungen in der gesetzlichen Ren-
welchem Sozialversicherungssystem die Arbeitneh-
tenversicherung versicherungspflichtig sind. Gleiches
merin angehört. Die Zuordnung bindet die Behörden
gilt für Anbieter anderer haushalts- und personen-
und Gerichte des Einsatzstaates und kann nur durch
bezogener Dienstleistungen. Allerdings zeichnet sich
die Rücknahme bzw. die entsprechende Korrektur
eine selbständige Tätigkeit gerade durch Weisungs-
der Bescheinigung durch den ausstellenden Träger
freiheit, freie Verfügung über die Arbeitszeit sowie
geändert werden. Diese strikte Bindungswirkung der
durch grundsätzlich uneingeschränkte Tätigkeit für
Bescheinigung reicht in der Praxis über die Bestim-
mehrere Auftraggeber aus, die unter Einsatz eige-
mung des anwendbaren nationalen Sozialversiche-
nen Kapitals und eigener Betriebsmittel zu erfolgen
rungsrechts hinaus. Sie erstreckt sich auf den Status
hat und mit einem unternehmerischen Risiko ver-
der Person als Arbeitnehmerin oder Selbständige
bunden ist. Letztes bedeutet, dass von Selbständi-
und führt zur – gerichtlich nicht überprüfbaren –
gen eigenes Vermögen mit der Aussicht auf Gewinn,
Festlegung der Parteien des Arbeitsverhältnisses.
aber auch auf Verlust eingesetzt wird.
Wird die Tätigkeit von ausländischen Haushalts-
4.2.3. Grenzüberschreitend selbstständig
Tätige in Privathaushalten
Nicht nur Unternehmen sondern auch einzelne Bürger der neuen EU-Mitgliedstaaten haben seit deren
Beitritt das Recht, als Selbstständige ihre Dienstleistungen in einem anderen EU-Mitgliedsstaat anzubieten. Dabei stehen ihnen zwei Möglichkeiten offen:
Sie können zum einen ein Gewerbe in ihrem Herkunftsland anmelden und ausüben sowie vorübergehend ihre Dienstleistungen in Deutschland anbieten
(Dienstleistungsfreiheit). Sie können aber auch ein
Gewerbe in Deutschland anmelden und hier tätig
sein (Niederlassungsfreiheit). Im ersten Fall besteht
für die Dauer von bis zu zwei Jahren die Möglichkeit, weiterhin im Sozialversicherungssystem des
hilfen und Pflegekräften im Privathaushalten anhand
dieser Kriterien bewertet, wird klar, dass zumindest
im Bereich der »Rund-um-die-Uhr-Betreuung« qua
Definition schon keine Selbständigkeit möglich ist.
Denn in diesen Fällen sind die Haushaltshilfen und
Pflegekräfte in der Regel voll im Haushalt integriert.
Sie arbeiten nach Weisung der zu betreuenden Person oder ihrer Angehörigen und sind jederzeit einer
Änderung der Weisungen unterworfen. Sie sind in
die Arbeitsorganisation der Arbeitgeber integriert
und zur persönlichen Anwesenheit verpflichtet. Sie
verfügen nicht über eine betriebliche Ausstattung,
wie z.B. Arbeitsmittel oder eine Büroausstattung,
um ihre selbständige Tätigkeit zu verwalten und zu
organisieren. Durch die Arbeit für einen einzigen
19
Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten
Auftraggeber, bei dem sie wohnen, begeben sie sich
Gleichzeitig sind in einigen neuen Mitgliedstaaten
in eine Abhängigkeit, die die persönlichen Abhän-
der EU einflussreiche Lobbystrukturen entstanden,
gigkeit einer »normalen« Arbeitnehmerin übersteigt.
die darauf spezialisiert sind, die Schlupflöcher in-
Zu Recht verneinte das Amtsgericht München in sei-
nerhalb der bestehenden Schutzbestimmungen
ner Präzedenzentscheidung aus dem Jahre 2008 die
ausfindig zu machen. In Polen kann zum Beispiel
Selbstständigkeit der im Rahmen der 24-Stunden-
von einem hochspezialisierten Netzwerk gespro-
Betreuung tätigen auslän­dischen Pflegekräfte und
chen werden, das umfangreiche juristische Betreu-
Haushaltshilfen .
ung und Beratung u.a. bei der Ausgestaltung der
3
»Entsendung« von Pflegekräften nach Deutschland
4.2.4. Der brancheninterne Konsens:
Rechtslücken nutzen, geltende Schutzbestimmungen umgehen
Die Wirklichkeit der Beschäftigung von Migrantinnen in Privathaushalten gibt Anlass zur Sorge.
Zunächst ist festzuhalten, dass der Einsatz von Haushaltshilfen und Pflegekräften überwiegend unter
Beteiligung von privaten »Pflegevermittlungsagenturen« zustande kommt, die in Deutschland und den
Ländern Mittel- und Osteuropas netzwerkähnliche
Strukturen bilden. Innerhalb der Branche herrscht
Konsens darüber, dass die bestehenden Schutzbestimmungen zu umgehen sind und die Vermittlung
nur unter Ausnutzung bestehender rechtlicher Regelungslücken möglich ist. So erklärt eine dieser
Vermittlungsagenturen, eine deutsche Gesellschaft
bürgerlichen Rechts mit dem seriös wirkenden
Namen »Deutsche Seniorenbetreuung«, auf ihrer
Homepage:
»Durch den in Deutschland am 01.08.2010 eingeführten Mindestlohn für alle Kräfte, die in der
Grundpflege arbeiten, haben sich die Bedingungen
auch für osteuropäische Pflegekräfte geändert.
Nicht nur deutsche Arbeitgeber, sondern auch ausländische Firmen sind verpflichtet, sich an die neue
Mindestlohnregelung zu halten. Das führt dazu,
dass zukünftig für viele Familien nur noch freiberufliche oder selbständige osteuropäische Pflegekräfte
bezahlbar sind, da diese der Mindestlohnregelung
nicht unterliegen«.
anbietet. Dabei treten als Akteure auf: eine »hochspezialisierte Nischenkanzlei für Entsenderecht«,
eine Arbeitgebervereinigung der Entsendefirmen
und ein wissenschaftliches »Institut der grenzüberschreitenden Entsendung« – stets unter der Leitung
derselben Person. Bei diesem Zusammenschluss
wird das Wissen über die Methoden der Umgehung
bestehender gesetzlicher Schutzbestimmungen und
Mindeststandards zusammengetragen und teuer
an Betreiber potentieller und bestehender Vermittlungsagenturen weiterverkauft.
Das Angebot umfasst Rechtsberatung, Schulungen (z.B. »Entsendung des polnischen Pflegepersonals nach Deutschland«) und zahlreiche
Publikationen (z.B. »Fachzeitschrift der polnischen
Arbeitgeberkammer – deutsche Ausgabe: Entsendung«, »Entsendung der polnischen Betreuerinnen
nach Deutschland« etc.). Sie verfolgen das Ziel,
solche Methoden für den grenzüberschreitenden
Einsatz von Pflegepersonal zu ermitteln, die die
Belastung durch Steuern und Sozialabgaben minimieren und die »Entsendung« unter Umgehung des
Pflegemindestlohnes ermöglichen. Geworben wird
gleichzeitig damit, dass das Netzwerk ehemalige Mitarbeiter polnischer Kontrollbehörden und Versicherungsträger beschäftigt und somit im Rahmen der
Beratung auf deren »Expertise« zurückgreifen kann.
Den weitreichenden Einfluss dieses Netzwerkes
zeigt auch die Tatsache, dass dessen hauptsächlicher
Repräsentant (der auf der Homepage als »Urvater«
3 AG München v. 10.11.2008, 1115 OWi 298 Js 43552/07, nicht veröffentlicht.
20
Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten
und »Guru« der Entsendebranche bezeichnet wird)
polnischen Mindestlohnes, der zurzeit ca. 390,00 €
im Rahmen der Expertenanhörung am 18.09.2012
im Monat brutto beträgt, vereinbart. Unmittelbar
vor dem Europäischen Parlament auftrat und sich
danach wird die Beschäftigte auf eine Dienstreise
stellvertretend für die europäischen Entsendeunter-
nach Deutschland geschickt, deren Dauer sich in der
nehmen zu der geplanten Durchsetzungsrichtlinie
Regel mit der Dauer der Beschäftigung deckt. Die
zur Entsenderichtlinie geäußert hat (abrufbar unter:
Arbeitnehmerin erhält Spesen in Höhe von ca. 20,00
www.europarl.europa.eu/ep-live/en/committees/
– 30,00 € pro Tag. Diese machen den eigentlichen
video?event=20120918-0900-COMMITTEE-IMCO).
Teil der Vergütung aus, unterliegen aber – jeden-
Dabei hat er, wie es dem Internetauftritt des Netz-
falls in dieser Höhe – weder der Steuer- noch der
werks zu entnehmen ist, »in seinen lebhaften und
Sozialversicherungspflicht. Die Pflegekraft wohnt im
sachkundigen Auftritten auf viele Fehler und negati-
Haushalt des Pflegebedürftigen, wird jedoch im Falle
ve Folgen des Inkrafttretens der neuen Vorschriften
einer Erkrankung oder bei sonstigen Ausfällen auf
hingewiesen«. Die kritisierten Vorschriften haben
Kosten des Vermittlers durch eine andere Pflegekraft
gerade zum Ziel, rechtliche Lücken bei der Entsen-
ersetzt. Nach drei Monaten kehrt sie in ihre Heimat
dung von Arbeitnehmern zu schließen.
zurück und legt eine unbezahlte Pause ein, eine Kollegin übernimmt die Stelle. Etwa drei Monate später
Vermittlungsschema
wird die gleiche Frau erneut eingestellt und auf eine
In der Praxis verläuft eine »Entsendung« von Haus-
Dienstreise geschickt. Dieses Umgehungsmodell,
haltshilfen und Pflegekräften in Privathaushalte,
das oft in der Variante mit einer als selbständig
etwa aus Polen, beispielsweise nach folgendem
angemeldeten Betreuungskraft praktiziert wird, wird
Schema: Eine in Deutschland ansässige sog. Pfle-
den deutschen Kunden als einzig bezahlbare Lösung
gevermittlungsagentur wirbt mit dem Versprechen
verkauft.
der »Rund-um-Betreuung« um deutsche Kunden. Sie
Die mit den älteren Menschen bzw. deren An-
wendet sich in den meisten Fällen an die Angehö-
gehörigen vereinbarte Lohnsumme fließt auf das
rigen der zu pflegenden Personen. Für einen festen
Konto des polnischen Unternehmens. Ein Teil davon
Preis wird eine Pflegekraft aus Polen versprochen.
– häufig gerade einmal die Hälfte – wird der Pflege-
Den Vertrag schließt der Kunde mit einer polnischen
kraft als Vergütung ausgezahlt. Rechtlich gesehen
Firma, dem Kooperationspartner der Vermittlungs-
ist die Vergütungszahlung die einzige Verbindung
agentur, ab. Während die in Deutschland ansässige
zwischen der Pflegekraft und ihrem ausländischen
Vermittlungsagentur der einzige Ansprechpartner
Arbeitgeber. Sämtliche Arbeitsmittel werden selbst-
für alle Sorgen und Nöte des Kunden ist, hält sie
verständlich von den Angehörigen der zur pflegen-
sich aus dem Rechtsverhältnis, auf dessen Grund­
den Person zur Verfügung gestellt. Für das Zusam-
lage die Haushaltshilfe oder Pflegekraft in Deutsch-
menleben der Pflegekraft und der zu pflegenden
land eingesetzt wird, vollständig heraus.
Person im Haushalt und ihre Einbeziehung in den
Ein polnisches Unternehmen – in der Regel ein
Alltag der Familie ist die Fähigkeit zur ständigen und
Unternehmen ohne nennenswerte Geschäfte im
kurzfristigen Anpassung an die sich ändernden An-
Herkunftsland, und somit weder ein Pflegebetrieb
forderungen von zentraler Bedeutung. Zu erwarten,
noch entsendefähig – stellt eine Mitarbeiterin auf
dass das im Ausland ansässige und dem deutschen
der Grundlage eines befristeten Arbeitsvertrages
Kunden meist unbekannte Unternehmen in diese
für die Dauer von drei Monaten ein. Als Einsatzort
Abläufe weisungsgebend einbezogen würde, wäre
wird formell Polen und eine Vergütung in Höhe des
wirklichkeitsfern. Mehr als in jedem »normalen«
21
Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten
Arbeitsverhältnis ist die Pflegekraft uneingeschränkt
wie das Amtsgericht München zutreffend in der
dem Direktionsrecht der deutschen Familie hinsicht-
bereits zitierten Entscheidung aus dem Jahre 2008
lich der Modalitäten der Tätigkeit, vor allem aber
festgestellt hat. Verfügt jedoch die Betreuungskraft
hinsichtlich der Gestaltung ihrer arbeitsfreien Zeit
über eine A1-Bescheinigung, die sie als Arbeitneh-
unterworfen. In der formell arbeitsfreien Zeit wird
merin einer polnischen Firma oder als Selbständige
faktisch Bereitschaftsdienst erwartet, welche die
ausweist, sperrt diese aufgrund ihrer umfangreichen
Beschäftigte im Haushalt der Familie zu leisten hat.
Bindungswirkung (siehe dazu 4.2.2.) die Geltend-
Diese Praxis hat zu Folge, dass das Vertrags-
machung arbeitsrechtlicher Ansprüche gegenüber
verhältnis zwischen dem polnischen Unternehmen
der deutschen Familie. Das nutzen die Vermitt-
und der deutschen Familie rechtlich als illegale
lungsfirmen aus, um ihren Kunden die »Entsendung
Arbeitnehmerüberlassung zu qualifizieren ist. Das
mit einer A1-Bescheinigung« als eine rechtssichere
deutsche Recht fingiert in diesem Fall das Zustande-
Einsatzform zu verkaufen.
kommen eines unmittelbaren Arbeitsverhältnisses
Trotz des grundsätzlich bestehenden Risikos sind
zwischen der Haushaltshilfe oder Pflegekraft und
Vermittlungsangebote, die auf Direkteinstellung von
dem Pflegebedürftigen bzw. dessen Angehörigen
Pflegekräften und Haushaltshilfen zielen, wie das be-
gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG. Dies hat für die Fami-
reits erwähnte Angebot der ZAV der Bundesagentur
lie weitreichende arbeits-, sozial- und steuerrecht-
für Arbeit oder einiger kirchlichen Träger, der breiten
liche Konsequenzen. Auch bei einer Vermittlung
Öffentlichkeit nicht nur wenig bekannt sondern sie
einer selbständigen Haushaltshilfe oder Pflegekraft,
werden auch kaum in Anspruch genommen.
die faktisch wie eine Arbeitnehmerin tätig ist, ist ein
abhängiges Beschäftigungsverhältnis anzunehmen,
Folgende Grafik gibt einen Überblick über das
Vermittlungssystem in der häuslichen Pflege:
Das Vermittlungssystem in der häuslichen Pflege
Dienstleistungsvertrag:
Haushaltshilfe mit Pflege,
1.800 – 2.400 €
22
faktisches Arbeitsverhältnis
Betreuungsvertrag
Betreuungshonorar
850 - 1.000 € / Jahr
Rund-umsorglosVersprechen
Var. 2: Dienstleistungsvertrag
• DL-Lohn ca. 900 – 1.200 €
Betreuungskraft
Pflegebedürftige /
Angehörige
Direkte Arbeitsbeziehung =
Var. 1: Arbeitsvertrag
• Polnischer Mindestlohn = 390 €
• + Spesen (Steuer und SozVers.
frei) = ca. 600 – 800 €
Kooperationspartner
Arbeitsagentur
(Polen)
Keine vertragliche Beziehung
Pflegevermittlungsagentur
(Deutschland)
Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten
Warum gehen die Migrantinnen, die in Privat-
schen Haushalten beschäftigten Migrantinnen den
haushalten arbeiten, nicht vor Gericht?
deutschen Behörden und Meldestellen weitgehend
Das Versprechen der »Rund-um-die-Uhr-Sorglosig-
unbekannt und unsichtbar. Kontrollmöglichkeiten im
keit«, mit dem die Vermittlungsagenturen um ihre
Privathaushalt, beispielsweise durch die Finanzkont-
Kunden werben, weckt extrem hohe Erwartungen
rolle Schwarzarbeit, sind so gut wie nicht vorhanden
über die Verfügbarkeit der Haushaltshilfe oder Pfle-
bzw. Verstöße können nicht verfolgt werden, da
gekraft auf der Seite der Pflegebedürftigen und ihrer
diese nicht angezeigt werden. Die Tatsache, dass die
Familien. Gleichzeitig befinden sich die Pflegekräfte
häufig unfreiwillig gewählte (Schein-)Selbständigkeit
in den Haushalten in einer rechtlich und psycholo-
oder Schwarzarbeit unter Strafandrohung gestellt
gisch schwierigen Lage, die die Geltendmachung
wird, hält die Betroffenen von der Suche nach Hilfe
jeglicher Ansprüche in der Praxis schwierig oder
in vielen Fällen wirksam ab.
sogar unmöglich macht.
Die Unsicherheit bezüglich eigener Rechte bis hin
Hinzukommen kulturelle Besonderheiten. In den
Ländern des ehemaligen Ostblocks sind Anwälte
zur Desinformation über ihre Arbeitssituation wird
rar und teuer. Die Rechtsschutzversicherung ist so
durch das dubiose Vermittlungssystem befördert
gut wie unbekannt. Die Hemmschwelle, die z.B.
und durch die an diesem System beteiligten Vermitt-
eine polnische Haushaltshilfe überwinden muss, um
ler gezielt aufrechterhalten. Das Verantwortungs-
einen Anwalt in einem fremden und teuren Land
gefühl für den zu pflegenden Menschen wird auch
wie Deutschland zu kontaktieren, ist sehr hoch.
seitens der Familien instrumentalisiert, nach dem
Aufgrund des zeitlich beschränkten Charakters des
Motto: »Wir brauchen dich, du kannst uns nicht
Aufenthaltes in Deutschland sind die Pflegekräfte
verlassen«. Hinzu kommt, dass Absprachen über
kaum bereit, wegen eines Gerichtsverfahrens, des-
die Modalitäten der Tätigkeit oder der Vergütung
sen Ausgang unklar ist, ihren Aufenthalt zu verlän-
häufig nur mündlich und ohne Zeugen getroffen
gern.
werden. Aus der Überzeugung heraus, dass (Zitat
Genauso selten wird die Geltendmachung der
aus der Beratungspraxis) »in einem so ordentlichen,
Ansprüche von der Heimat aus in Erwägung gezo-
reichen und sicheren Land wie Deutschland einem
gen. Damit in Zusammenhang steht eine grundsätz-
doch nichts passieren kann«, treffen die Beschäf-
lich geringe Klagebereitschaft der Bürger osteuro-
tigten oft nicht die erforderliche Vorkehrungen, um
päischer Länder. Das Fehlen einer »Klagekultur« in
die zur Geltendmachung ihrer Rechte erforderlichen
diesen Ländern ist sowohl auf das verhältnismäßig
Beweise zu sichern. Hinzu kommen unzureichende
geringe Bewusstsein der eigenen Rechte zurückzu-
Sprachkenntnisse. Verstärkt durch die Isolation im
führen, als auch auf die sozialistische Vergangenheit
Privathaushalt entsteht für die Frauen so das Gefühl,
und das daraus resultierende Misstrauen den öf-
im fremden Land der Gunst des Arbeitgebers ausge-
fentlichen Institutionen gegenüber. So entsteht ein
liefert zu sein.
Nährboden für das kriminelle Treiben der verschie-
Von außen wird das bestehende System kaum
denen dubiosen Vermittler in der Branche.
angetastet. Da der Einsatz einer Haushaltshilfe
Regel nicht überschreitet, entfällt die Meldepflicht
4.3. Ausbeutung unter dem Deckmantel europäischer Freiheiten?
gegenüber der Meldebehörde und die damit zu-
Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Arbeit
sammenhängende Verpflichtung, die Gründe des
von Migrantinnen in Privathaushalten können wie
Aufenthaltes darzulegen. Damit sind die in deut-
folgt zusammengefasst werden: Seit dem EU-Beitritt
oder Pflegekraft die Dauer von drei Monaten in der
23
Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten
der MOE-Staaten war der Einsatz von Haushaltshil-
lohn zu zahlen. In jedem Fall darf der bezahlte Lohn
fen und Pflegekräften durch ausländische Pflegeun-
nicht unter der Sittenwidrigkeitsgrenze liegen, so
ternehmen sowie die selbständige Erbringung von
wie sie das BAG definiert.
haushalts- und personenbezogenen Dienstleistun-
In der Wirklichkeit der Vermittlung von Haus-
gen aufgrund der geltenden Dienstleistungs- und
haltshilfen und Pflegekräften aber haben sich, auf-
Niederlassungsfreiheit in Deutschland uneinge-
grund der jahrelangen Beschränkungen im Zugang
schränkt möglich. Entsendung setzt jedoch stets
der ausländischen Beschäftigten zum deutschen Ar-
die Weisungsgebundenheit der Entsandten an das
beitsmarkt, Methoden und Strukturen etabliert, die
entsendenden Unternehmen voraus. Selbständigkeit
darauf ausgerichtet sind, arbeitsrechtliche Standards
wiederum setzt Weisungsfreiheit bei Ausführung
und den bestehenden Arbeitnehmerschutz zu um-
des Auftrags und die Übernahme des damit verbun-
gehen. Der Mindestlohn wird nicht gezahlt, da die
denen Risikos voraus. Das ist bei einer »Rund-um-
Beschäftigten oftmals nicht durch einen Pflegebe-
die-Uhr-Betreuung« mit gleichzeitigem Wohnen im
trieb entsandt, sondern durch ein nicht entsendefä-
Haushalt des Auftraggebers nicht der Fall. In diesen
higes Unternehmen (sog. Briefkastenfirmen) auf eine
Fällen kann weder von einer rechtmäßigen Entsen-
Dienstreise ins Ausland geschickt werden. Oder sie
dung noch von einer selbständigen Tätigkeit gespro-
werden als formell Selbständige eingesetzt mit der
chen werden.
Folge, dass ihr Lohn frei verhandelbar ist. Im ersten
Die Möglichkeit einer legalen, unmittelbaren
Fall erhalten die Migrantinnen für ihre Arbeit steuer-
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung im Pri-
und sozialabgabefrei Spesen. Im zweiten Fall, der
vathaushalt war für die Migrantinnen aus den 2004
sich inzwischen immer mehr verbreitet, wird nur ein
bzw. 2007 beigetretenen EU-Mitgliedstaaten bis
geringer Teil des selbständig erzielten Einkommens
Mitte 2011 bzw. bis Ende 2013 stark eingeschränkt.
den Steuerbehörden und Sozialversicherungsträgern
Ab 2014 gilt nun die uneingeschränkte Arbeitneh-
angezeigt.
merfreizügigkeit auch für Bulgarien und Rumänien.
Den zu Pflegenden und deren Familienange-
Lediglich Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen
hörigen wird auf dieser Basis ein »Rund-um-die-
aus Kroatien unterliegen nach wie vor noch den
Uhr-sorglos« – Paket verkauft, durch das sie sich
ausgeführten Einschränkungen in der Arbeitnehmer-
vor jeglicher Verantwortung im Hinblick auf die
freizügigkeit. Sowohl die überwiegend praktizierten
Rahmenbedingungen der Arbeit, darunter die Ver-
Vermittlungsmodelle – sei es als abhängig Beschäf-
gütung und die Arbeitszeit, befreit fühlen dürfen.
tigte einer ausländischen Firma, sei es als (Schein-)
Verschwiegen wird von den Vermittlungsagenturen
Selbständige – als auch eine unmittelbare Einstel-
aus dem In- und Ausland, dass diese Umgehungs-
lung im Haushalt garantieren den ausländischen
konstruktionen ein nicht unerhebliches Risiko für
Haushaltshilfen oder Pflegekräften keinen angemes-
die zu Pflegenden und deren Familienangehörige
senen Mindestschutz. Die rechtliche Absicherung
in sich bergen. Da das Direktionsrecht im Haushalt
auf dem Mindestniveau des deutschen Arbeitsrechts
ausgeübt wird, besteht für sie die Gefahr, als fak-
ist zwar durch das Arbeitnehmerentsendegesetz
tische Arbeitgeber auf die Zahlung der ausstehen-
formell vorhanden. Auch bei einem Einsatz über
den Vergütung, der Sozialabgaben und Steuern in
einen ausländischen Arbeitgeber muss der »harte
Anspruch genommen zu werden. Dass dies nicht
Kern« des Arbeitnehmerschutzes nach § 2 AEntG zu
passiert, ist Umständen zu verdanken, die sich aus
Anwendung kommen. Wenn der Einsatz über einen
mangelnden Kontrollmöglichkeiten, schwieriger
Pflegebetrieb erfolgt, ist sogar der Pflegemindest-
Beweislage und aus einer sprachlich und kulturell
24
Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten
bedingten, geringen Klagebereitschaft der betroffe-
nehmerin zu tragen wären. Missbrauch ist aber auch
nen Migrantinnen zusammensetzen. Hinzu kommt,
in dieser Konstellation aufgrund der bestehenden
dass bei dem Vorliegen der A1-Bescheinigung den
Unklarheiten hinsichtlich der Vergütung und der
deutschen Arbeits- und Sozialgerichten faktisch die
Arbeitszeit nicht ausgeschlossen.
Hände gebunden sind.
Die einzige rechtlich unbedenkliche Form der Be-
Aus all diesen Gründen erfolgt die Dienstleistungserbringung im Privathaushalt in der Regel zu
schäftigung von Haushaltshilfen und Pflegekräften
Arbeitsbedingungen, die Ausbeutungsverhältnis-
im Privathaushalt ist und bleibt die Direkteinstellung
sen sehr nahe kommen. Angesichts der gezeigten
als Arbeitnehmerin im Rahmen eines sozialversiche-
Unübersichtlichkeit der Ausgestaltung von Ar-
rungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses. Dabei
beitsverträgen bzw. Dienstleistungsverträgen sind
gilt das deutsche Arbeitsrecht vollumfänglich. Die
Pflegebedürftige und Angehörige als Arbeitgeber
Kontrolle über das Arbeitsverhältnis behalten die zu
allein schon mit der Vertragsgestaltung überfordert.
pflegende Person bzw. deren Angehörigen sowie
Gerade die Beantwortung der Frage, wie die Ver-
die Arbeitnehmerin, was für beide Seiten die güns-
tragsgestaltung zur Beschäftigung von Migrantinnen
tigste, vor allem aber die sicherste Lösung darstellt.
unterstützt und geregelt werden kann, stellt einen
Dennoch werden ausländische Haushaltshilfen und
wichtigen und nicht zu unterschätzenden Schritt bei
Pflegekräfte durch die Haushalte äußerst selten
der Gestaltung von Arbeitsbedingungen und Ar-
unmittelbar eingestellt. Dies vor allem aus Angst vor
beitsplätzen und einen ebensolchen für die Sicher-
Kosten, bürokratischem Aufwand und Risiken, die
heit von älteren Menschen in der Häuslichkeit und
beispielsweise im Falle einer Erkrankung der Arbeit-
der hier beschäftigten Migrantinnen dar.
25
Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten
5Herausforderungen der politischen Gestaltung
– Gute Arbeit in Privathaushalten
Die Frage, ob Migrantinnen aus den osteuropäischen
Es gibt bisher also keine systematische und nach-
Mitgliedsstaaten der EU eine strukturelle Lücke in
haltige Entwicklung des Versorgungsbereichs »Pri-
der Versorgung von älteren Menschen übernehmen,
vathaushalt« . Wird z.B. der Grundsatz »ambulant
kann eindeutig mit »ja« beantwortet werden. Sie
vor stationär« aus der Pflegeversicherung ernst
übernehmen umfangreiche Aufgaben in den Berei-
genommen, so ergeben sich – wie gezeigt - neue,
chen Teilhabe, haushalts- und personenbezogene
strukturell angelegt Herausforderungen, die einer
Dienste und in Teilen der Grundpflege. Allerdings
politischen Antwort bedürfen. Denn es ist poli-
fällt ihr Beitrag zur Stabilisierung der Betreuung
tisch und gesellschaftlich nicht zu vertreten, dass
und Pflege älterer Menschen und zur Sicherung der
die gezeigten »blinden Flecken« in der häuslichen
häuslichen Versorgung quasi »unter den Tisch«. Ar-
Versorgung durch eine mangelhafte Finanzierung,
beit im Privathaushalt findet sich nur bedingt in den
ausbeuterische Arbeitsverhältnisse und einen Ver-
amt­lichen Statistiken wieder. Im Pflegesystem sind
lust an Pflegequalität kompensiert werden. Aus der
für die Betreuung und Versorgung von älteren Men-
bisherigen Betrachtung der Dienstleistungsbedarfe,
schen, Angehörige und ehrenamtlich Tätige vorge-
des vorhandenen Arbeitskräftepotentials des Ar-
sehen, sodass für die personen- und haushaltsbezo-
beitsplatzes Privathaushalt und der konstituierenden
genen Dienste der Haushaltshilfen und Pflegekräfte
Bedingungen der Arbeitsverträge und Arbeitsbe-
aus Osteuropa bisher kein Ankerpunkt in der Arbeits-
dingungen von Haushaltshilfen und Pflegekräften
marktpolitik und im Pflegesystem zu finden ist.
lassen sich folgende Herausforderungen für eine
Es fehlt für ihre Arbeit die Definition einer adäquaten Berufsrolle oder ein Tätigkeitsprofil, was
politische Gestaltung der Arbeit in Privathaushalten
identifizieren:
eine gesellschaftliche Anerkennung und damit Begeschützten und prekären Arbeitsbedingungen der
Strukturelle Veränderungen in der
häuslichen Versorgung einleiten
Migrantinnen in Privathaushalten, die sich auszeich-
Ausgehend von dem Hilfe- und Unterstützungsbe-
nen durch das Ineinandergreifen von Arbeits- und
darf älterer Menschen in ihrer Häuslichkeit konnte
Lebenssituation, Pendelmigration, geringe Löhne,
als eine erste Herausforderung gezeigt werden,
unregelmäßige Arbeitszeiten und ein starkes Abhän-
dass für eine gute Versorgung in der Häuslichkeit
gigkeitsverhältnis vom Arbeitgeber. Dies alles lässt
eher eine ganzheitliche Betrachtung der komple-
es zu, von einem neuen »Dienstmädchenwesen«
xen Lebenssituation in Altershaushalten und darauf
zu sprechen. Als Konsequenz der gesellschaftlichen
ausgerichtete Dienstleistungen gefordert sind, die
Akzeptanz des »grauen Arbeitsmarktes« in der häus-
die häusliche Situation stabilisieren. Die hier auf-
lichen Versorgung älterer Menschen entgehen dem
scheinenden Dienstleistungen sind mit den Begriffen
Staat Steuern und Sozialabgaben; für die Privat-
Teilhabe, haushalts- und personenbezogene Dienst-
haushalte (ältere Menschen und Angehörige) sind
leistungen und Grundpflege zu charakterisieren.
Qualität und Verlässlichkeit der Dienstleistungen
Von ihrer Verfügbarkeit und Finanzierbarkeit ist es
nicht gesichert und für die Beschäftigten – und
abhängig, ob und inwieweit ältere Menschen in
hier sind die Grenzen zwischen ambulanten Pflege-
ihrer Häuslichkeit verbleiben können, oder ob sie
diensten und Live-In-Arrangements oftmals fließend
gezwungen werden, früher als notwendig eine stati-
– sind ungeschützte, dem »grauen Arbeitsmarkt«
onäre Pflege in Anspruch zu nehmen.
zahlung ihrer Arbeit erlaubt. Hinzu kommen die un-
zuzurechnende Arbeitsverhältnisse an der Tages­
ordnung.
26
Ambulante Dienste erbringen ihre Leistungen
in der Regel auf Grundlage des SGB XI; während
Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten
Angehörige und zunehmend bezahlte Dienstleister
Arbeitsmarktpolitik die Beschäftigungssituation von
die Sicherung des Lebens und die Betreuung älterer
Migrantinnen zu verbessern.
Menschen in Privathaushalten gewährleisten. Dabei
und Finanzierung der Dienstleistungen. Dass eine
Beschäftigung in Altershaushalten
ausweiten und profilieren
Vielzahl von Haushalten dabei auf die irreguläre
Anhand der Bedarfe und steuernden Faktoren der
Beschäftigung osteuropäischer Migrantinnen zu-
Beschäftigung konnte herausgearbeitet werden,
rückgreift, ist ein deutlicher Hinweis auf strukturelle
dass pflegende Angehörige auf ergänzende per-
Probleme in der derzeitigen Umsetzung von Pflege
sonen- und haushaltsbezogene Dienstleistungen
und Betreuung im Privathaushalt. Hinzu kommt,
angewiesen sind. Dabei muss der tägliche Hilfebe-
diese individuellen Lösungen sind nur für diejenigen
darf älterer Menschen im Bereich Teilhabe sowie
realistisch, die zu den besser verdienenden Einkom-
haushalts- und personenbezogener Dienstleistungen
mensgruppen gehören. Dies ist keine gesellschaft-
nicht zwingend durch fachspezifisch ausgebildetes
lich verallgemeinerbare Lösung für ein Versorgungs-
Pflegepersonal unterstützt werden. Gefordert sind
problem.
vielmehr komplementäre Dienstleistungen zu den
übernehmen die Privathaushalte die Organisation
Damit sind Forderungen nach strukturellen Re-
Leistungen des SGB XI, um die hier aufscheinende
formen im Pflegesystem evident. Aufgrund des
Versorgungslücke zu schließen. Während Ange-
ineinandergreifenden Charakters der im Privathaus-
hörige zur Pflege von Familienmitgliedern immer
halt anfallenden Dienstleistungen können integ-
weniger im Stande sind, bleibt das Angebot an
rative, servicebasierte Versorgungsmodelle für
ergänzenden, bezahlbaren personen- und haushalts-
die häusliche Versorgung, wie sie aus Skandinavien
bezogene Dienstleistungen knapp, denn auf der
bekannt sind, ein Leitbild für die Versorgung und
Seite der ambulanten Pflege fehlen zunehmend die
Pflege älterer Menschen in ihrer Häuslichkeit auch
entsprechenden Fachkräfte. Soll also der Grundsatz
für Deutschland darstellen. Die gezeigte Ausdiffe-
»ambulant vor stationär« weiterhin seine Berechti-
renzierung der unterschiedlichen Dienstleistungen
gung haben, stehen Pflege- und Arbeitsmarktpolitik
und Tätigkeiten in der Häuslichkeit älterer Menschen
vor der Herausforderung, die Zahl der Beschäftig-
hat die Komplexität der hier anfallenden Aufgaben
ten auszuweiten und zu profilieren.
deutlich gemacht. Hier wird eine gesellschaft­liche
Mit einem Arbeitskräftepotential von 115.000
Aufgabe übernommen, die es im Pflegesystem zu
– 300.000 Beschäftigten stellen Migrantinnen eine
verorten gilt. Damit kann die Neudefinition der
nennenswerte Beschäftigungsgruppe in Privathaus-
Aufgaben und Akteure der Versorgung älterer
halten. Sie übernehmen in der Versorgung bereits
Menschen in ihrer Häuslichkeit als eine der zentra-
jetzt spezifische Dienstleistungen, die nur bedingt
len Herausforderungen für die Neujustierung des
von der Pflegeversicherung oder anderen Sozi-
Pflegesystems identifiziert werden. Dies kann im
alversicherungen getragen werden. Allein schon
weiteren zum zentralen Ansatzpunkt für eine diffe-
aufgrund des unterschiedlichen Leistungsprofils und
renzierte Betrachtung der Dienstleistungen in der
unterschiedlicher Finanzierungsquellen kann von ei-
Häuslichkeit werden und Möglichkeiten eröffnen,
ner Konkurrenz zwischen Beschäftigten in ambulan-
für die Arbeit von Migrantinnen in Privathaushalten
ten Diensten und privat engagierten Haushaltshilfen
einen Namen, einen Platz und möglicherweise auch
bzw. Pflegekräften nicht gesprochen werden. Die
eine Finanzierungsquelle im Pflegesystem zu finden
Beschäftigtengruppe der Migrantinnen komplettiert
und durch entsprechende Reformen in Pflege- und
so die Sicherung der Versorgung in Altershaushal-
27
Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten
ten, ihre Arbeit ist in einer familienorientiert und im
Rechten und Pflichten. Verfügbarkeit und Kontinui-
Leistungsangebot zergliedert angelegten Pflegever-
tät der Leistungen haben dabei für die in Anspruch
sicherung bisher »unsichtbar«
nehmenden Familien einen teilweise höheren Stel-
Das heißt, strukturellen Veränderungen in der
lenwert als die Einhaltung arbeitsrechtlicher Normen
Versorgung hätten ebenso strukturelle Verände-
oder definierte Qualitätsstandards. Oftmals werden
rungen in der Beschäftigung zu folgen. Neben
die Rahmenbedingungen regulärer Arbeitsverhältnis-
arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der Fachkräf-
se wie Arbeitszeit, Urlaub, Sozialversicherung miss-
tegewinnung für die Pflege kommen dafür gerade
achtet oder zusätzliche Leistungen der Beschäftigten
Maßnahmen infrage, die betrieblich ansetzen und
mit einem Taschengeld, also schwarz vergütet. Es
auf die Profilierung der Aufgaben der ambulanten
findet eine Aufhebung der Trennung zwischen Er-
Dienste, die Arbeitsteilung zwischen diesen und
werbs- und Familienarbeit statt.
anderen Dienstleistern und die Finanzierung dieser
Gerade an den Arbeitsbedingungen in Privat-
Versorgungsangebote abzielen. An dieser Stelle
haushalten zeigt sich besonders gravierend die feh-
könnte die Beschäftigtengruppe der Migrantinnen
lende systematische und nachhaltige Entwicklung
mit ihrem spezifischen Tätigkeitsprofil eine wich-
der Versorgung älterer Menschen in ihrer Häuslich-
tige ergänzende Rolle spielen. Dabei besteht die
keit. Gilt dies bereits für Arbeitnehmerinnen, die auf
arbeitspolitische Herausforderung zunächst darin,
der Basis von Mini- und Midijobs oder in Form der
dass in Privathaushalten bereits verfügbare Arbeits-
Schwarzarbeit kurzfristige und überschaubare Auf-
kräftepotential sichtbar zu machen, ihren Status zu
gaben in der Häuslichkeit übernehmen, so tritt die-
legalisieren und die hier geleistete Arbeit einer »ge-
ses Defizit in der Gestaltung der häuslichen Versor-
regelten« Finanzierung zu zuführen. Dabei kommen
gung gerade bei Live-in-Arbeitsverhältnissen zutage.
Maßnahmen infrage, die auf eine Tätigkeitsdefiniti-
Es gilt also auch für diesen, für rechtliche Normset-
on und Beschreibung von Aufgaben und Standards
zung und gewerkschaftliche Interessenvertretung so
für die Arbeit in Privathaushalten in Verbindung
schwierig zu erreichenden Bereich, die Umsetzung
mit Möglichkeiten der Qualifizierung hinauslaufen.
des gewerkschaftlichen Grundsatzes »gleicher Lohn,
Dabei könnte die Einführung des neuen Pflegebe-
für gleiche Arbeit, am gleichen Ort« auf den Weg
dürfigkeitsbegriffs mit seiner Orientierung am Erhalt
zu bringen. Dies würde für die in Privathaushalten
der Selbstbestimmung der älteren Menschen einen
tätigen Migrantinnen eine Erwerbsarbeit bedeuten,
wichtigen Ankerpunkt für die Neudefinition der
die auf faire und einklagbare Bedingungen, auf
Arbeit im Privathaushalt darstellen.
angemessene Einkommen sowie auf eine Stärkung
ihrer Rechte gegenüber Arbeit- bzw. Auftraggebern
Arbeitsbedingungen in Altershaus­
halten verbessern und kontrollieren
hinauslaufen. Wenn also Migrantinnen mit ihrer
Die Arbeitsbedingungen von Migrantinnen in Privat-
Privathaushalten älterer Menschen schließen, dann
haushalten zeichnen sich durch eine Reihe von Merk-
besteht die Herausforderung darin, einerseits diese
malen aus, die insgesamt in eine extreme Abhängig-
Arbeitsbedingungen rechtssicher insbesondere
keit der Beschäftigten vom Arbeitgeber und in eine
in den Bereichen Entlohnung, Arbeitsschutz und
soziale Isolation zumindest am Arbeitsort einmün-
Arbeitszeit auszugestalten. Dazu könnte gerade
den. Am Arbeitsplatz Privathaushalt verschwimmen
die Festlegung von gesetzlichen Lohnuntergrenzen
die Grenzen zwischen privat und öffentlich, zwischen
für die Arbeit in Privathaushalten in Form eines
persönlichen, emotionalen Beziehungen und klaren
gesetzlichen Mindestlohns unterstützend wirken.
28
Arbeit eine der zentralen Versorgungslücken in den
Migrantinnen aus Osteuropa in Privathaushalten
Andererseits sind die bestehenden Lücken im Schutz
Privathaushalten in die Nähe der Schattenwirtschaft
der Hausangestellten durch transparente rechtliche
und der Schwarzarbeit rücken, mit den ausgeführ-
Rahmenbedingungen und die Möglichkeit für Be-
ten negativen Wirkungen für die Beschäftigten und
schäftigte, ihre Rechte auch durchsetzen zu können
die Pflegebedürftigen. Hinzu kommt, dass die über
anzugehen. Dabei kommt es darauf an, eine unter-
Jahre anhaltende Begrenzung der Arbeitnehmer-
stützende Beratungsinfrastruktur im Herkunfts- und
freizügigkeit in Deutschland dazu geführt hat, dass
Aufnahmeland aufzubauen, die Information, Bera-
in Privathaushalten nur selten unmittelbare sozial-
tung und Rechtsdurchsetzung für die Beschäftigten
versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnissen
in Privathaushalten unterstützt.
begründet wurden. Die Vermittlungsangebote vieler
privater Vermittlungsagenturen beruhen gerade da-
Rechtliche Rahmenbedingungen transparent gestalten, Information
zugänglich machen rauf, die unmittelbare Einstellung zu verhindern und
Für die Aktivierung des bislang »unsichtbaren« Ar-
dieser Firmen basiert im Wesentlichen auf dem
beitskräftepotenzials der osteuropäischen Migrantin-
sozialen Gefälle zwischen den Mitgliedsstaaten in
nen in Privathaushalten ist es auch erforderlich, die
der EU sowie der Nutzung der Dehnungsfugen euro-
rechtlichen Rahmenbedingungen für deren Beschäf-
päischen Rechts und europäischer Freizügigkeit.
tigung einfach und transparent zu gestalten. Zudem
so den deutschen Kunden die vermeintliche »rundum-Sorglosigkeit« zu gewährleisten. Das »Geschäft«
Damit sind einerseits für die stärkere Durchset-
ist es wichtig, das Wissen um die arbeitsrechtlichen
zung sozialversicherungspflichtiger Arbeitsverhält-
Rahmenbedingungen den »Verbrauchern« der
nisse Ansatzpunkte geboten, die darauf abzielen in
personen- und haushaltsnahen Dienstleistungen
unbürokratischer Weise vorrangig entsprechende
zugänglich zu machen. Die Erfahrung zeigt, dass
Arbeitsverträge zu schließen und dies durch Verein-
Pflegebedürftige und Angehörige als Arbeitgeber
fachung und Standarisierung unterstützen. Es geht
allein schon mit der Vertragsgestaltung häuslicher
darum, die Pflegebedürftigen und Angehörige über
Arbeitsverhältnisse überfordert sind. Nicht bekannt
die Alternativen zu den gängigen Vermittlungsmo-
sind z.B. die Unterschiede zwischen einer sozial-
dellen zu informieren und zu beraten, um dubiose
versicherungspflichtigen Beschäftigung und der
Geschäftspraktiken zu verhindern und es geht da-
selbständigen Leistungserbringung, genauso wenig
rum die Haushaltshilfen bzw. Pflegekräfte in ihren
wie die aus den verschiedenen Vermittlungsmodel-
Herkunftsländern und vor Ort durch Information,
len resultierenden Risiken und Kosten. Es fehlt das
Beratung, Unterstützung bei der Durchsetzung der
erforderliche Wissen, um die aus der Beschäftigung
eigenen Rechte zu unterstützen. Nicht zuletzt be-
im Haushalt resultierende Verpflichtungen (Zahlung
darf einer steuernden Instanz, die Information
von Sozialabgaben) oder Schranken (Arbeitszeit,
und Beratung übernimmt aber auch in der Lage
Arbeitsschutz) einhalten zu können. Genauso we-
ist, Dienstleistungsbedarfe zusammenzufassen und
nig bekannt ist die steuerliche Absetzbarkeit von
entsprechende Dienstleister zu rekrutieren und zu
personen- und haushaltsnahen Diensten, die die
qualifizieren.
Beschäftigung einer Haushaltshilfe oder Pflegekraft
begünstigen.
Diese Informationslücken nutzen viele private
Pflegevermittlungsagenturen aus. Daraus resultiert,
dass die meisten Beschäftigungsverhältnisse in
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