rede migrantin deutschland

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rede migrantin deutschland
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„Angekommen – angenommen?
Willkommenskultur aus der Sicht von Migranten“
Von Kenan Küçük, Forum der Migrantinnen und Migranten im Paritätischen
Vortrag auf der Arbeitstagung "Willkommens- und Anerkennungskultur – Die Rolle der
Migrantenorganisationen" am 25. und 26. Januar 2013 in Nürnberg
Sehr geehrter Herr Präsident Schmidt,
vielen Dank für Ihre freundliche Begrüßung. Sie erwähnten in Ihrer Rede die Bedeutung
meines Namens Küçük (klein) und sagten, dass unsere Einrichtung ganz im Gegenteil große
Arbeit leiste: Nicht nur unsere Einrichtung, sondern auch viele Migrantenorganisationen sind
zwar eher klein, leisten aber große Arbeit vor Ort!
Sehr geehrte Damen und Herren,
gestatten Sie mir, dass ich den Anfang meiner Ausführungen bei mir selbst mache: Mein
Name ist, wie bereits genannt, Kenan Küçük. Ich wohne in Lünen, einer Stadt in NordrheinWestfalen, dort wo das Münsterland auf das Ruhrgebiet trifft. Zieht jemand aus einer
anderen Region oder einem anderen Land in unsere Stadt, heiße ich ihn dort herzlich
willkommen. Ihm wünsche ich, dass er sich hier genau so wohl fühlt, wie ich es seit über 30
Jahren tue. Wenn mich nun jemand hier in meiner Heimat willkommen heißen wollen würde,
fände ich das höchst befremdlich. Eine Willkommenskultur für mich? Nein, das brauche ich
wirklich nicht! Schließlich bin ich längst hier angekommen, bin Teil dieser Gesellschaft,
Bürger dieser Stadt.
Doch manchmal passiert etwas, das mir genauso wenig behagt: Beispielsweise als einmal
der türkische Premierminister eine Rede in Deutschland gehalten hatte. Da wurde ich von
vielen Leuten gefragt, was ich denn von den Äußerungen "meines" Premierministers halte.
Was für ein merkwürdiges Gefühl, dass Erdogan "mein" Premierminister sein soll, obwohl ich
seit über 30 Jahren in Deutschland lebe, die deutsche Staatsangehörigkeit besitze und
Bürger dieses Landes bin. Mit dem Hinweis darauf, dass "mein Land" keinen Premierminister, sonderen eine Bundeskanzlerin hat, habe ich stets Verwunderung ausgelöst. Das
darf nicht sein, meine Damen und Herren!
Sie sehen worauf ich hinaus will: Wenn wir heute hier, aber auch in diesen Tagen andernorts
über die Willkommens- und Anerkennungskultur sprechen, müssen wir genau differenzieren.
Wir sind längst nicht mehr am Anfang des Weges. Viele Schritte wurden auch in die richtige
Richtung getan. Längst sind Menschen mit Migrationshintergrund ein selbstverständlicher
Teil dieser Gesellschaft. Sie machen etwa 20 Prozent unserer Bevölkerung aus. Es geht also
nicht um eine Minderheit. Wir reden hier über einen großen Teil unserer Gesellschaft, der
ganz selbstverständlich hier lebt, arbeitet, Familien gründet. Kurz: diese Menschen sind hier
zu Hause.
Angekommen sind Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland also längst. Doch
werden wir auch entsprechend angenommen? Da habe ich doch meine Zweifel. Uns fehlen
sicherlich noch einige wichtige Schritte zum uneingeschränkten Angenommenwerden.
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Wir müssen das Bild sehr differenziert betrachten, meine Damen und Herren. Eine
Willkommenskultur brauchen wir für diejenigen, die neu ankommen, um in Deutschland Fuß
zu fassen. Für diejenigen, die schon länger in Deutschland heimisch sind, brauchen wir
jedoch eine Anerkennungskultur. Es muss für alle in unserem Land unmissverständlich klar
sein, dass sie genauso gleichberechtigte Mitglieder dieser Gesellschaft sind und genauso in
diesem Land zu Hause wie alle anderen auch. Wir brauchen eine Anerkennung und
Wertschätzung für die multikulturelle Vielfalt, die unser Land seit Jahrzehnten bereichert.
Jüngste Studien zeigen, dass die öffentliche Meinung zu Integration und Zuwanderung in
Deutschland zwiespältig ist. Dieser Zwiespalt wird auch in der Integrationspolitik und den
strukturellen Gegebenheiten in unserem Land deutlich:
Auf der einen Seite betonen wir immer wieder, wie wichtig die Integration von Zuwanderern
ist. Auf der anderen Seite ermöglichen wir die formale Gleichstellung von Zuwanderen nicht
ausreichend. Weder erleichtern wir ihnen die Einbürgerung, noch schaffen wir den
Optionszwang ab. Die Beherrschung der deutschen Sprache sehen wir als
Grundvoraussetzung für eine gelungene Integration - aber Menschen im Asylverfahren und
ohne sicheren Aufenthaltstitel verwehren wir den Zugang zu Sprach- und Integrationskursen.
Selbst wenn ein Asylbewerber am Ende seines Verfahrens kein Bleiberecht erhalten sollte,
wäre ein Sprachkurs nicht ohne Sinn; er kann Hilfe zur Selbsthilfe sein.
Auf der einen Seite sprechen wir von Fachkräftemangel, auf der anderen Seite gelingt es
uns nicht in ausreichendem Maße, ausländische Berufsabschlüsse zügig anzuerkennen. Ich
bin sehr froh, dass es inzwischen gelungen ist, ein Anerkennungsgesetz zu verabschieden,
welches am 01.04.2012 in Kraft getreten ist. Es ist ein sehr komplexes Gesetz und ich hoffe
sehr, dass es den Menschen eine Unterstützung in ihrer beruflichen Integration sein wird.
Auch ist der Rechtsextemismus in unserem Land nach wie vor ein großes Problem. Vom
latenten Rassismus, der uns im Alltag immer wieder begegnet bis hin zu den unsäglichen
NSU-Morden, die uns alle erschüttert haben, gibt es noch viel aufzuarbeiten in diesem
Bereich. Ein NDP-Verbot würde sicherlich bei vielen Migrantinnen und Migranten für eine
Erleichterung sorgen. Mit ist bewusst, dass wir allein mit einem Verbot das Problem nicht
lösen können; doch eine Signalwirkung würde aus einem solchen Schritt ganz sicherlich
ausgehen.
Wir halten unser Land für eines der weltweit attraktivsten Einwanderungsländer, auf der
anderen Seite schaffen wir es nicht, dass Zuwanderer eine freundliche Aufnahme erfahren.
Und im Ergebnis, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir
dann Folgendes feststellen: Wir schätzen und nutzen die Potenziale derer viel zu wenig, die
in unserem Land leben. Und für ausländische Fachkräfte ist unser Land, ganz im Gegensatz
zu unserer eigenen Wahrnehmung, höchst unattraktiv - das zeigt beispielsweise das geringe
Interesse an Programmen wie der Green Card oder der Blue Card. Viele Fachkräfte mit
Migrationshintergrund, die in Deutschland ausgebildet wurden, suchen ihren Arbeitsplatz
zunehmend im Ausland, zum Beispiel in der Heimat ihrer Eltern oder Großeltern. Diese
Entwicklung zeigt deutlich, dass wir es nicht schaffen, ihnen attraktive Zukunftsperspektiven
in unserem Land aufzuzeigen.
Die Bertelsmann-Stiftung bringt es auf den Punkt, wenn sie sagt: "Deutschland unterschätzt
die Bedeutung einer Willkommenskultur und überschätzt seine Attraktivität als
EInwanderungsland".
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Wie also kommen wir zu einer Willkommens- und Anerkennungskultur? Und wessen Einsatz
ist da eigentlich gefragt? Ziel muss es sein, die Vielfalt in unserem Land wertzuschätzen und
zur Normalität werden zu lassen. Ich denke, einseitige Erwartungshaltungen sind da keine
Lösung: Eine Willkommens- und Anerkennungskultur betrifft alle. Integration können wir nicht
ausschließlich als Aufgabe von Menschen mit Migrationshintergrund auffassen, die sich doch
bitte anpassen möchten. Wir erreichen das Ziel aber auch nicht, indem wir ausschließlich mit
dem Finger auf die sogenannte Aufnahmegesellschaft richten und erwarten, diese werde
schon alle nötigen Maßnahmen ergreifen. Wenn wir es ernst meinen, mit dem Annehmen
und Angenommen werden, müssen wir aufhören, in diesen Kategorien zu denken und die
Verantwortung gemeinsam tragen. Die öffentliche Verwaltung, Wirtschaftsunternehmen,
gesellschaftliche Strukturen - sie alle müssen sich interkulturell öffnen.
Auf dieser Tagung vertrete ich als Sprecher des Forums der Migrantinnen und Migranten im
Paritätischen über 160 Migrantenorganisationen in der ganzen Bundesrepublik. Auch diese
und weitere Organisationen können und müssen einen Beitrag auf dem Weg zu einer
Anerkennungskultur leisten, indem sie ihrerseits Offenheit zeigen. Sie können mit
Transparenz und Informationen helfen, Vorbehalte in der Bevölkerung abzubauen.
Migrantenorganisationen sind Brückenbauer, Experten, Ansprechpartner und unverzichtbare
Akteure der Integrationsarbeit vor Ort und darüber hinaus. Sie arbeiten überwiegend
ehrenamtlich und haben kaum hauptamtliches Personal. Sie haben relativ geringe finanzielle
Ressourcen und doch wird viel von ihnen erwartet. Sicherlich haben wir Migrantinnen und
Migranten berechtigterweise viele Gründe, die Lage zu kritisieren. Und es ist wichtig, dies zu
tun und diese Kritik muss auch erhört werden. Dennoch, liebe Migrantinnen und Migranten:
Es hilft uns nicht, nur zu jammern. Packen wir es lieber aktiv gemeinsam an - schließlich sind
wir Teil dieser Gesellschaft, deren Defizite wir da beklagen! Es sind also alle in der Pflicht,
wenn es um die Etablierung einer Willkommens- und Anerkennungskultur geht und darum,
diese in der gesamten Gesellschsaft zu verankern.
Eine Willkommens- und Anerkennungskultur, meine Damen und Herren, ist nicht einfach nur
ein Gefühl, eine Laune oder Stimmung. Sie basiert auf der Wertschätzung unserer
gesellschaftlichen Vielfalt. Unsere Gesellschaft ist eine andere als noch vor 60 Jahren. Wir
können nicht einfach so tun, als hätte es die jüngere Migrationsgeschichte seit 1950 nicht
gegeben! Wir leben in einer anderen Zeit, der wir uns anpassen müssen. Denn sonst werden
wir alle gemeinsam die Verlierer sein. Eine Willkommens- und Anerkennungskultur steht also
für eine bestimmte Haltung, die aber auch entsprechende Handlungen mit sich ziehen muss.
Warum sind Menschen mit Migrationshintergrund nach 55 Jahren jüngerer Migrationsgeschchte in diesem Land noch immer in den politischen Parteien unterrepräsentiert?
Warum entspricht ihr Anteil in den öffentlichen Verwaltungen, bei der Polizei und anderswo
nicht unserer Bevölkerungsstruktur?
Warum tauchen die vielen Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, die bei der
Einschulung noch gemeinsam mit ihren Gleichaltrigen die Schulbank drücken, in den
Schülerzahlen der Gymnasien kaum mehr auf?
Warum sind sie bei Schulabgängen ohne Abschluss oder später bei den Arbeitslosenzahlen
überdurchschnittlich repräsentiert?
Warum muss sich selbst die Universitätsprofessorin, der Theaterintendant oder die
Krankenschwester mit Migrationshintergrund immer wieder damit auseinandersetzen, dass
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ihr Name "fremd klingt" und sie ja viel besser Deutsch sprechen als "die Migranten" es
normalerweise tun?
Warum landen meine Söhne immer wieder in bestimmten "Schubladen", nur weil sie nicht
"typisch deutsch" aussehen?
Und warum schaffen wir es nicht, "typisch deutsch" neu zu definieren?
Warum gelingt es nicht, das Thema Migration differenzierter zu betrachten?
Meine Damen und Herren, eine gelebte und umgesetzte Willkommens- und
Anerkennungskultur schlägt sich in Begegnungen und im Dialog nieder. Sie bedeutet die
selbstverständliche Chancengleichheit in Bildung und Beruf. Sie drückt sich aus in einer
gesellschaftlichen und politischen Partizipation aller. Vor allem erfordert eine Willkommensund Anerkennungskultur entsprechende politische, gesetzliche, soziale Strukturen. Denn
sonst ist sie nur eine leere Worthülse. Nur wenn wir diese Wörter mit Leben fülllen, nur so
kann mein Land ganz selbstverständlich meines sein - ganz ohne die Schubladen, die uns
alle nur einengen.

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