Krieg dem Westen 2005-1-066 Laqueur, Walter: Krieg - H-Soz-Kult

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Krieg dem Westen 2005-1-066 Laqueur, Walter: Krieg - H-Soz-Kult
W. Laqueur: Krieg dem Westen
Laqueur, Walter: Krieg dem Westen. Terrorismus
im 21. Jahrhundert. München: Propyläen Verlag 2003. ISBN: 3-549-07173-6; 420 S.
Rezensiert von: Wolfgang G. Schwanitz,
Deutsches Orient-Institut Hamburg
Walter Laqueur gilt als Nestor der Terrorismusforschung. In Breslau geboren, emigrierte
er als Jugendlicher nach Palästina. Lange war
er Direktor des Londoner Instituts für Zeitgeschichte. Nach dem arabisch-israelischen
Krieg 1967 trat er mit einem Buch über diesen Waffengang hervor. Als das nah- und
mittelöstliche System des Terrors und Terrorismus aufkam, publizierte er 1977 sein erstes Werk dazu. Ein Dutzend Bücher folgten,
auch zur Geschichte der Juden, Deutschen
und Europäer. Nahosthistoriker schätzen ihn
gleichwohl als Mitherausgeber des „IsraeliArab Reader“ und „Human Rights Reader“.
Dennoch sah sich Laqueur mit seiner Terrorismusforschung in einer Schieflage. Wie er
meint, waren nur wenige Experten des Terrorismus auch Nahost- und Islamforscher. Diese
Zunft habe sie daher geschnitten. Wer zudem
den Regierungen Gefahren vorhielt, galt als
Unruhestifter oder Person, die zu der Weltreligion nur Vorurteile hat. Obwohl es das Problem noch gibt, hat er sich als Pionier auch
durch das vorliegende Buch erwiesen, mit
dem er auf einen Überblick zu neuen Elementen des Terrorismus und dessen Zukunft abzielt.
Er behandelt Ursachen und Aussichten der
Frage. Es dreht sich um Ursprünge des islamischen Terrorismus, des Djihads und der
Selbstmordakte. Dabei geht er auf die Israelis und Palästinenser sowie auf Nachrichtendienste ein. Er prüft Antiamerikanismus,
Schlachtfelder der Zukunft und die Beziehung von Globalisierung, Terrorismus und
Massenvernichtung. Im Anhang weist er Begriffe für Terrorismus aus, wobei er Terror
und Terrorismus nicht klar trennt. Der Band
besticht durch empirische Fülle. Da der Akzent auf Nah- und Mittelost liegt, mögen ein
Haken, ein Problem, eine Definition, die Kernfrage und zwei Einwände aus dieser Region
betont werden.
Laqueur löst Stereotype auf, so Terrorismus
je nach Ansatz Armut, nationalen Konflikten
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oder der Außenpolitik anzulasten. Solche Verkürzungen würden die Sache nicht erfassen.
Ähnlich sei es, übertreibt man psychologische
Punkte wie Aggressivität und Fanatismus, die
im Kontext der Forschung oft ignoriert würden. Zu bezweifeln wäre, dass Israels Aufgabe der besetzten Gebiete und ein Staat Palästina nachhaltig Terrorismus mindern würden.
Der Haken: So klar dies ist, so sehr spielen
doch solche Momente in einem Komplex ihre Rolle.
Aber da ist ein Problem. Laqueur zeigt Arten von Terrorismus auf. Jedoch behauptet
er, eine allgemeine Theorie und umfassende
Erklärung ihrer Ursachen würden in die Irre führen. Auch nach Jahren sei keine weithin anerkannte Definition des Terrorismus in
Sicht. Diese gäbe es weder für Faschismus
und Kommunismus noch für Demokratie und
Nationalismus. Laqueur bietet nicht einmal
seinen hypothetischen Begriff an. Dass Termini bunt gefasst wurden und stets verändert
werden, heißt nicht, dass man ohne Terminologie auskommt.
Daher folgt hier mein Vorschlag: Terror ist
eine repressive Strategie von Machthabern,
die mit dem staatlichen Gewaltmonopol Menschen so manipulieren, dass sie Schreckensregimes aufrichten oder dulden. Terrorismus
hingegen ist eine kommunikative Taktik der
schockierenden Gewaltanschläge durch Unterlegene, die dabei hinterhältig vor allem Zivilisten bedrohen oder töten, um andere einzuschüchtern oder zu gewinnen. Beides geht
von Gruppen oder Einzelnen mit Ideologien
aus. Terrorismus von unten und Terror von
oben können sich funktionell, strukturell, national und global in einem regionalen System
verbinden.
Laqueur stellt als Kernfrage, wann denn
Amerika zum „großen Satan“ für Muslime wurde. Jedoch wehrt er sich gegen „direkte Zusammenhänge“ zwischen dem Aufschwung des radikalislamischen Terrorismus
und Washingtons Außenpolitik. Hier ist der
Rahmen zu beachten. Der erste Sündenfall
war der Sturz des Regimes in Iran 1953. Dann
geriet die arabische Niederlage gegen Israel
1967 zum Trauma. Der Kriegszustand blieb.
Welche Großmacht würde einer Seite Waffen liefern und so Ungleichgewichte verschieben? Als Washington 1968 prüfte, ob es Israel
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Phantomjets zukommen lasse, erschienen in
Kuweits Wochenblatt „Al-Hadaf“ ein Artikel
und ein Aufruf.
Was mache ich, fragte da ein Araber,
wenn Israels Phantomjets meine Kinder töten? Dann jage ich die US-Botschaft in die
Luft. Amerikaner müssen den Fehler sehen,
wenn sie an Israel Phantoms aus innenpolitischen Gründen liefern. Schluss mit dem arabischen Erdöl und US-Interessen. Amerikaner nein, Kommunismus ja. Die Phantoms kamen wie später Helikopter. Der Aufruf daneben: Die Freundschaftsgesellschaft der Feinde
Amerikas in Kuweit sucht 14 Kämpfer. Diese gehen in 14 arabische Staaten, um dort
Amerikaner zu töten und deren Botschaften
zu sprengen, sollte Israel die Phantoms erhalten. Fida’iyin müssen Kuweitis als Bürgen haben. Die Basis entstand. Was am Millenium erschien, hatte sich lange zuvor entwickelt.
Der Autor erhellt die „Geopolitik des Terrorismus“, aber ohne Berliner Impulse. Daraus folgt mein erster Einwand: 1914 bejahte
der Kaiser den Djihad-Plan Max von Oppenheims „Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde“. Der Diplomat initiierte in einer deutsch-osmanischen Aktion einen
Djihad in englischen, russischen und französischen Kolonien, der auch auf Terror abhob
wie Bakus Ölfelder zu entzünden, Politiker zu
töten oder den Sueskanal zu verminen.
Dazu ließ Kriegsminister Enver Pascha wie
von Oppenheim gewollt den osmanischen
Djihad-Aufruf islamistisch fassen. Dies erläuterte der tunesische Scheich Salih: Diesen Djihad führt der Kalif mit Bundesgenossen, den
Deutschen, gegen die Feinde: Briten, Franzosen und Russen; er ist eine individuelle Pflicht
auch für Muslime im Feindesheer; er ist antikolonial und national. Das Neue: Muslime
sollten ihn mit Ungläubigen nur gegen bestimmte Ungläubige ausfechten. Der Normalfall jedoch war Djihad durch Muslime gegen
Ungläubige. Später ergänzten Islamisten das
Novum: Djihad gegen Zivilisten (Scheich Salih verbot ihn gegen Alte, Frauen und Kinder sowie diese zu verstümmeln und zu töten,
es sei, sie kämpfen wie Männer); Selbstmord;
globaler Djihad, bis die Welt islamisch ist.
Oppenheim legte den Plan der Revolutionierung von islamischen Gebieten wieder
1940 vor. Zwar gab es da keinen Kalif mehr,
doch suchte der Jerusalemer Großmufti Amin
al-Husaini diese Lücke zu füllen. Er rekrutierte Muslime unter dem Hakenkreuz und rief
im Radio zum Djihad auf. Deutsche brachten gemeinsam mit Muslimen das Mittel des
politisierten Glaubenskrieges „Made in Germany“ in die Weltkriege ein. Im Kalten Krieg
halfen Amerikaner, West- und Osteuropäer
„ihren“ islamischen Seiten. Nach dem Untergang der Sowjetunion entsagten Islamisten
wie Usama bin Ladin Pakten mit Ungläubigen.
Einwand zwei betrifft Laqueurs Satz, 1973
meinten Gruppen der Palästinenser, keinerlei
globale Terrorakte wie Hijacking mehr auszuführen. Nein, ihr Anschlag auf der Münchner
Olympiade, der live um die Welt ging, ließen
Leute des Schwarzen Septembers und der alFatah planen: Mit Uniformen von Firmen der
Luftfahrt und US-Army sowie mit gefälschten
israelischen Pässen (Serie 595) ein Linienflugzeug aus Fernost nach Israel entführen und
dort über einem dicht besiedelten Raum explodieren lassen. So kam es beim Ostberliner
Geheimdienstchef Erich Mielke an. Er befahl
seinem Dienst, die Gefahren des „Luftterrors“
auch für Osteuropa aufzuklären.
Manches kann in der nächsten Auflage verändert werden, vor allem: Syrien fiel nie in
Jordanien ein. Im Jahr 1928 gründeten sich
die Muslim-Brüder nicht nur als Reaktion auf
den säkularen Atatürk, sondern auch auf Nationalstaaten und Linke Parteien in ihrer Region. Ägyptens späterer Präsident Abd anNasir suchte früh Frieden mit Israel, auch
deshalb wollte ihn ein Muslim-Bruder töten.
Einer der Mörder seines Nachfolgers Anwar
as-Sadat hieß Khalid al-Islambuli. Religiöse
Stiftungen heißen Waqf oder Auqaf. Die Rede, alle Fundamentalisten wären Opportunisten, ist falsch umschrieben wie viele arabische
Wörter im Text und im Anhang.
Eine Geschichte des nah- und mittelöstlichen Terrors und des Terrorismus steht aus.
Dazu müssen Quellen dieser Region benutzt
werden, die zu kurz kamen. Dennoch legte
Walter Laqueur eine profunde Umschau vor.
Es fragt sich, ob sich die Forschung zum Terror und Terrorismus theoretisch und methodisch ausprägt oder ob sie in den regionalen
Fächern übernommen wird. Gut wäre, wenn
sich ihr weiter Generalisten und Regionalis-
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W. Laqueur: Krieg dem Westen
ten annehmen würden.
HistLit 2005-1-066 / Wolfgang G. Schwanitz
über Laqueur, Walter: Krieg dem Westen. Terrorismus im 21. Jahrhundert. München 2003, in:
H-Soz-Kult 27.01.2005.
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2005-1-066

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