Bericht von MeteoSchweiz

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MeteoSchweiz - Atmosphärische Blockierungen
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Aktuelles zum Wettergeschehen
19. August 2010 / Lionel Peyraud (deutsche Uebersetzung: Jacques Ambühl)
Atmosphärische Blockierungen
Manchmal bleibt über der Nordhalbkugel die globale Höhenströmung in einem stabilen,
unveränderten Zustand erhalten. Diese Lage, welche atmosphärische Blockierung
gennant wird, kann mehrere Tage, sogar mehrere Wochen andauern. Im folgenden
Beitrag wird versucht, dieses Ereignis zu erklären. Der Zusammenhang mit der
sommerlichen Wetterlage, vor allem mit dem russischen Hoch, wird ebenfalls diskutiert.
Strahlstrom und synoptische Wellen
Unter Strahlstrom (english jet stream) wird der Strom starker Winde verstanden, welcher in der
obersten Troposphäre, in etwa 9 km Höhe, in östlicher Richtung fliesst und den Nordpol umkreist.
Oft mit einem Fluss verglichen, ein in sich geschlossener Fluss, welcher sich wie eine Schlange
stetig in den Schwanz beisst. Der Strom fliesst nicht gradlinig von West nach Ost längs einer
bestimmten Breite. Sondern er wird von Wellen umgeformt, welche Abweichungen gegen Norden
sowie gegen Süden aufweisen, Abbildung 1. Drei Wellenarten bewohnen die irdische Atmosphäre:
die Klangwellen, dank denen wir uns unterhalten. Die Schwerkraftwellen, welche Föhnlagen
verursachen, und die hier erwähnten Wellen: Synoptische oder Rossby Wellen gennant. Die
Wellenlänge der ersten wird in Metern gemessen, diejenige der Schwerkraftwellen in Kilometern,
die der synoptischen Wellen in einigen tausenden von Kilometern. Klangwellen bewegen sich mit
der Ausbreitungsrichtung des Klangs, demgegenüber entfalten sich föhn- und synoptische Wellen
senkrecht zur Ausbreitungsrichtung. Sie sind transversale Wellen. Meistens bilden 3 bis 7
synoptische Wellen die globale atmosphärische Strömung. Unter der positiven, gegen Norden
ausgerichteten synoptischen Welle bildet sich in der tieferen Atmosphäre ein Hochdruckgebiet.
Unter der negativen, gegen Süden ausgerichteten Welle ein Tiefdruckgebiet.
Abbildung 1: Strahlstrom (jetstream) über dem Nordatlantik. Spanien und Nordafrika sind unten
rechts ersichtlich, Neufundland oben links. Die Stromlinien in 9000 Meter Höhe (300 hPa) sind in
Weiss dargestellt. Die Schwankungen des Strahlstroms sind leicht ersichtlich.
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Blockierte atmosphärische Zustände: Omega und diffluente Blockierungen
Da die ganze Strömung in sich selbst geschlossen ist, sind nur eine kleine Zahl von 3 bis etwa 7
Wellen möglich. Ist diese Zahl gross, weisen die Wellen kurze Wellenlängen auf, ist sie klein,
lange Wellenlängen. Kurze synoptische Wellen mit einer Wellenlänge von etwa 5000 km bewegen
sich mit der Strömung ostwärts. Lange synoptische Wellen, mit einer Wellenlänge von etwa
10000 km, bewegen sich rückwärts in Richtung Westen. Falls 4 Wellen in der globalen Strömung
entstehen, neigen sie dazu, stationär zu werden. Wohl bemerkenswert ist die Tatsache, dass die
Strömung in keinem Fall "verstopft" wird, sie fliesst weiter. Nur die Wellenkonfiguration gelangt
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in einen stationären Zustand. Damit werden die Bedingungen zur Entstehung einer blockierten
Wetterlage erfüllt. Unter einer blockierten positiven Welle entsteht eine andauernde
Hochdrucklage, welche zu hohen Temperaturen (im Sommer) und niedrigen
Niederschlagsmengen führt. Unter einer blockierten negativen Welle muss mit längeren
Unwettern gerechnet werden. Im "lokalen" europäischen Gebiet werden eine positive Welle
Hochdruckrücken, eine negative Welle Trog, oder Tiefdruckrinne genannt.
Meteorologen kennen zwei Hauptmuster, mit denen sie blockierte Wetterlagen beschreiben:
Omega und diffluente Blockierungen. Omega-Blockierungen haben die Gestalt der
entsprechenden griechischen Buchstaben. Vgl. Abbildungen 2 und 3. Zwei Tiefs, welche in eher
niedrigen Breiten liegen, flankieren ein ausgeprägtes Hochdruckgebiet, welches inzwischen in
etwas höherer Breite verankert ist. Diese Struktur weist die höchste Stabilität auf. Sie kann
mehrere Wochen dauern. Hingegen ist die zweite Struktur, die diffluente Blockierung etwas
labiler.
Abbildung 2: Schematische Darstellung oben rechts einer diffluenten Blockierung, unten links
einer klassischen Omega-Blockierung.
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Abbildung 3: Beispiel einer Omega-Blockierung: zwei Tiefs, jeweils über dem Atlantik und im
Mittelmeer, und ein Hochdruckrücken über der Biskaya.
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Die blockierte Wetterlage der letzten Wochen über Europa und Russland
Seit Anfang Juli herrscht über Russland ein blockierter Hochdruckrücken. Anfangs Juli war diese
Struktur noch ziemlich breit und umfasste auch Osteuropa bis zum Alpenraum. Seitdem hat sie
an meridionaler Amplitude gewonnen und hat sich in eine klassische, eher schmale, OmegaBlockierung umgewandelt.
Die auf der westlichen Seite der Omega-Struktur liegende negative Welle ist mit der
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Tiefdruckrinne verbunden, welche seit Wochen in unseren Längen kühle Temperaturen und
ergiebige Niederschläge verursacht. Die gleiche Bemerkung gilt "mutatis mutandis" für die
östliche Flanke der Omega-Struktur, wobei dann vor allem Pakistan getroffen wird.
Abbildung 4: Künstlerische Darstellung des gleichen Ereignisses: Tief über Europa, Hoch über
Russland, mit Zufuhr heisser und trockener Festlandluft aus Südosten.
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Abbildung 5: Temperaturabweichungen zwischen dem 15. und 23. Juli 2010.
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Abbildung 6: Stereographische Darstellung der globalen Zirkulation am 8. August 2010 über der
nördlichen Halbkugel. Auffallend ist die Omegagestalt über Russland.
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Blockierungsindexe
Um die Gestalt solcher blockierten Strukturen erfassen zu können wurden mehrere Indexe
entwickelt, welche mehrheitlich die globalen Eigenschaften der oberen Atmosphärenströmung
berücksichtigen. Zum Beispiel wird mit dem von Tibaldi und Molteni entwickelten Index die
Stärke der Blockierung erfasst. (vgl. Abbildung 7). Dabei wird der Gradient der Isohypsen-Fläche
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500 hPa als Mass der Blockierungsstärke verwendet. Auf diesem Diagramm weist die bei 55 Grad
östlicher Länge liegende Säule auf die Nachhaltigkeit des Russischen Hochs hin.
Blocking Index
Abbildung 7: Blockierungsindex nach Tibaldi und Moltani. Die Zeit verläuft von oben nach unten.
Die Länge ist auf die horizontale Achse gelegt. Die Abweichung zum "normalen Zustand" ist für
etwa 45 Grad Nord dargestellt. Auffallend ist die Säule, welche bei 55 Grad Ost entstanden ist.
Sie verrät die Präsenz der Omega-Blockierung über Russland.
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Gemäss monatlicher Vorhersagen des Europäischen Zentrums für Mittelfristige Vorhersagen lässt
sich nun das Ende des russischen Omega-Ereignisses voraussehen. Abbildung 8 weist auf einen
allmählichen Abbau der Blockade hin. Ab etwa Mittwoch 18. August kommt die normale westliche
Bewegung des gesamten Wellensystems wieder in Gang. Damit können in unseren Breiten
spätsommerliche Verhältnisse erwartet werden.
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Abbildung 8: Hovmoeller Diagram für die Periode vom 12. August bis 13. September. Die Zeit
verläuft von oben nach unten. Die Länge ist auf die horizontale Achse gelegt. Die Verteilung der
Hoch- und Tiefdruckgebiete bei etwa 45 Grad Nord wird während der oben genannten Periode
dargestellt. Auffallend ist die Tatsache, dass gegen Ende August, in der unteren Hälfte des
Diagramms, die vertikal gestalteten gelben Säulen mehrheitlich verschwinden. Dann gewinnt
über der gesamten nördlichen Halbkugel die Westströmung erneut an Schwung.
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"Teleconnections" (fernreichende Wechselwirkungen) nennt man in der Meteorologie
Wechselwirkungen zwischen weit entfernten Wetterereignissen, welche offensichtlich korreliert
auftreten, obgleich keine lokalen kausalen Zusammenhänge erkennbar sind. Jedoch wird durch
die Analyse des gesamten atmosphärischen Systems sichtbar, dass sich solche "teleconnections"
erklären lassen, sobald die Betrachtungsweise umfassender wird. El-Ninjo-Ereignisse stellen ein
anderes Beispiel dar, wo Wetterereignisse beidseits des Pazifiks korreliert auftreten. Abbildung 9.
In diesem Fall findet die Wechselwirkung nicht nur in der Atmosphäre statt, sondern auch im
Ozean. Nur durch die Erklärung des globalen Austauschprozesses zwischen Ozean und
Atmosphäre werden lokale Voraussagen ermöglicht.
Als weit hergeholtes Argument kann auch die Nicht-Linearität des atmosphärischen Systems
erwähnt werden, dessen chaotisches Verhalten von ihr verursacht wird: eine minimale
Schwankung eines Anfangszustands verursacht weit entfernt und Tage später eine bedeutende
Änderung der Ausgangslage. Das ist die erste Betrachtungsweise der sogenannten Chaostheorie.
Die zweite, duale, Betrachtungsweise ist interessanter. Chaotische Systeme werden in ihrem
Verhalten gezwungen, immer die gleichen Muster zu wiederholen. Sie sind in einen seltsamen
Attraktor (strange attractor), Abbildung 10, eingebunden. Übergänge zwischen Wettertypen und
Blockierungen lassen sich in dieser Weise erklären. Auffallend ist hier die Tatsache, das der Zufall
für die Natur keine Nebenerscheinung ist. Er legt ihre subtilsten Eigenschaften fest.
El-Ninjo
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Abbildung 9: Beispiel einer Teleconnection ist El-Ninjo: trockene Verhältnisse herrschen über
Indonesien, niederschlagsreiche über dem zentralen und östlichen tropischen Pazifik. Nur global
lassen sich solche gut korrelierte, jedoch geographisch getrennte Ereignisse erklären.
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Abbildung 10: Der berühmte (seltsame) Lorenz Attraktor. Seine Faltungen zeigen, wie chaotische
Systeme in globale Musterverhalten gezwungen werden, obgleich sie, lokal, ein chaotisches
Verhalten aufweisen.
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© 2005 - 2010 MeteoSchweiz | Letzte Änderung: 19.08.2010
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