„Gottfried“: Geheimnis ist gelüftet

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„Gottfried“: Geheimnis ist gelüftet
GESCHICHTE
LOKALES
FREITAG, 16.
Freitag,
16.OOktober
KTOBER 2009
2009 · NEZ
19
„Gottfried“:
Geheimnis
ist gelüftet
Vor 187 Jahren sank ein Frachtensegler in einem Orkan in
der Elbmündung. Mit dem Schiff sank wertvolle Fracht.
Seit Jahrzehnten wird fieberhaft nach der „Gottfried“
gesucht. Bis heute ist das Wrack unentdeckt geblieben.
Doch jetzt scheint das Rätsel um das „Mumienschiff“
kurz vor seiner Lösung zu stehen. VON ULRICH ROHDE
D
ie Huker Galeasse „Gottfried“ sank in einem der
schwersten Orkane seit
Menschengedenken in der Nacht
vom 11. auf den 12. März 1822 in
der Elbmündung. Sieben Menschen fanden dabei den nassen
Tod. Der dänische Segler hatte
am 10. Dezember 1821 von Triest
mit Ladung aus Ägypten Kurs auf
Hamburg genommen.
An Bord stapelten sich wertvolle altägyptische Antiquitäten, bestimmt für die Königlich Preußischen Sammlungen in Berlin. Im
Auftrag des Königs hatte der Freiherr Heinrich Menu von Minutoli
Nordostafrika neun Monate lang
bereist. Ein kleiner Teil der Erwerbungen erreichte auf dem
Landweg Berlin. Er bildete dort
den Grundstock des heutigen
Ägyptischen Museums.
Aber wo ist der Großteil der
kostbaren Ladung geblieben? Seit
187 Jahren schlummern unentdeckt, metertief im Elbschlick eingebacken, querab vor Cuxhaven
im Wrack des Seglers „Gottfried“
ägyptische Altertümer. Davon
sind Rainer Leive und Joachim S.
Karig, inzwischen pensionierter
stellvertretender Direktor des
Ägyptischen Museums Berlin,
überzeugt.
Nach Jahrzehnten gemeinsamer Forschung und stiller Kooperation mit weiteren Autoritäten
der Wissenschaft glauben sie jetzt
genug Hinweise und Fakten gesammelt zu haben, um mit Hilfe
der überlieferten Aussagen der
Überlebenden des Schiffsunglücks sowie alter Karten und Berechnungen über die Strömungsverhältnisse die genaue Position
des Wracks bestimmen zu können.
Die Elbmündung ist einer der
größten aber auch geheimnisvollsten Schiffsfriedhöfe der Welt.
Umso erstaunlicher erscheint es,
dass gerade dieses „Schatzschiff“
aufgrund der von Leive und Karig
bestimmten Koordinaten bald gehoben werden könnte. „In den
vergangenen Jahren haben wir
das Netz dichter gezogen und unsere Erkenntnisse mit den modernen Mitteln der Wissenschaft abgeklopft“, sagt Leive. Jetzt sei der
Zeitpunkt gekommen, an dem der
Elbsand das Schiff und seine sagenumwobene Ladung frei geben
könnte.
Diese Abbildung zeigt eine Huker Galeasse wie die „Gottfried“. Der Segler aus Eichenholz wurde 1815 in Greifswald auf Kiel gelegt. 1818 übernahm sie
Heinrich Jakob Riesbeck und ließ sich mit der „Gottfried“ in Kopenhagen nieder. Der Kapitän ging mit seinem Schiff in der Elbmündung unter.
Von den kostbaren, zum Teil
Jahrtausende alten Exponaten
müsste noch einiges im Elbschlick
stecken: Die entdeckte Ladungsliste beschreibt einen tonnenschweren
Granit-Sarkophag,
hundert Stelen, ebensoviele Vasen aus Alabaster, pharao-ägyptische Säulen, Altäre, Schrifttafeln,
Statuen und steinerne Krüge für
die Eingeweide der einbalsamierten Mumien (Kanopen) – 97 Kisten voller altägyptischer Preziosen waren an Bord. Bei dem Sarkophag soll es sich um ein Stück
aus der Totenstadt Sakkara handeln, womöglich rund 4300 Jahre
alt. Eine zeitliche und dynastische
Zuordnung ist nur möglich, wenn
die „Gottfried“ geborgen würde,
denn erst 1824 entzifferte der
Franzose Champollion die ersten
Hieroglyphen.
MUMIEN VERGRABEN
Abbildung aus dem großformatigen
Tafelband, den Minutoli über die Expedition und die gewonnenen Erkenntnisse anfertigen ließ.
Kurz nach der Katastrophe waren
zwischen Cuxhaven, Otterndorf
und Balje Mumien und andere
Ladungsteile
angeschwemmt
worden. Zu den Fundstücken
zählten unter anderem ein arabisches Prunkzelt und arabische
Handschriften. Sieben rund 1900
Jahre alte Mumien in Pfostensär-
gen waren von Einheimischen bei
Balje entdeckt worden. Aus Angst
vor der Pest wurden sie zunächst
vergraben. Das Freiburger Gräfengericht verfügte ihre Ausgrabung und Verwahrung in der
Nähe des heutigen Natureum bis
zur Klärung der Besitzverhältnisse. Am 4. September 1822 wurden
die Mumien und das Zelt in Hamburg versteigert. Sie sind seither
verschwunden. Welche Schätze
womöglich noch heute in manchem alten Haus in Hadeln und
Nordkehdingen schlummern, darüber kann man nur spekulieren.
2003 fand die Ägyptologin Renate Germer im Archiv des Hamburger Museums für Kunst und
Gewerbe zufällig einen Umschlag
mit
Mumienbinde,
MumienHaarlocke sowie dem in Sütterlin
geschriebenen
Fundhinweis:
„Haarlocke u. Stück der Binde einer weiblichen Mumie, welche
der Gl. Menu von Minutoli aus
Ägypten gebracht, bey Neuhaus
an Land getrieben aus dem dort
gestrandeten Schiffe – in Freyburg
mitgenommen d. 5t. April 1822.“
Für Karig und Leive, die Jäger des
verlorenen Schatzes, der endgültige Beweis: „Die ,Gottfried‘ ist vor
Neuhaus gekentert.“
Diese Karte der Helgoländer Bucht aus dem Jahr 1862 beschreibt die Fahrwasserverhältnisse zur damaligen Zeit recht genau.
„Das Wrack gehört ins Natureum“
Rainer Leive hat ein zwei Jahrzehnte dauerndes wissenschaftliches Abenteuer überstanden
Das Neue Museum, im 19. Jahrhundert errichtet nach Plänen Friedrich August
Stülers, wurde im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt. Unter der Leitung
des britischen Star-Architekten David Chipperfield wurde es aufwändig
restauriert. Das Ägyptische Museum und das Museum für Vor- und Frühgeschichte finden hier ihre neue Heimat.
Neues Museum wird
wiedereröffnet
Die ägyptische Sammlung kehrt zurück
BERLIN. Am morgigen Sonnabend
öffnet das Neue Museum auf der
Museumsinsel wieder seine Pforten. Damit findet auch die ägyptische Sammlung wieder ihren historisch angestammten Platz. Die
Geschichte der ersten altägyptischen Gegenstände in Preußen ist
historisch eng mit dem Schiffsunglück der „Gottfried“ verbunden.
Auf Geheiß des preußischen
Königs sollte der Generalleutnant
Heinrich Menu von Minutoli mit
seiner wissenschaftlichen Ägypten-Expedition zwischen 1820
und 1821 die Basis für diese
Sammlung schaffen. Nur ein kleiner Teil der Schätze erreichte auf
dem Landweg von Triest nach
Berlin wohlbehalten das Ziel. Der
Großteil der antiken Kunstgegenstände ging mit der „Gottfried“
1822 in der Elbmündung unter.
Vor diesem historischen Hintergrund der abenteuerlichen Ursprünge der ägyptischen Sammlung ist das herausragende Interesse des Museums seit den frühen siebziger Jahren an der Aufklärung der Umstände und des
Verbleibs des Wracks leicht nachvollziehbar. (ur)
BASDAHL. Nach 20 Jahren Recherche, nach einer aufreibenden Suche, die ihn quer durch Europas
Archive geführt hat und nach Abgleich aller zur Verfügung stehenden historischen Daten der Hydrologie ist Rainer Leive aus Basdahl fest davon überzeugt, nun
am Ziel angekommen zu sein. Der
Schleier des Geheimnisses um
den Untergang der „Gottfried“ ist
gelüftet.
Allerdings war Leive dabei
nicht allein. „Es war eine Gemeinschaftsarbeit“, stellt der freie Mitarbeiter des Ägyptischen Museums in Berlin und ehrenamtliche
Vorstand des Natureum Niederelbe fest. Die fachübergreifende
Forschung bezog die historischen
und archäologischen Wissenschaften ebenso ein wie die historische Sturmflutforschung mit
umfangreichen hydrografischen
Vermessungen, die das Fachgebiet Leives sind. So kam das Ziel,
die spektakuläre Hebung des auf
einer der Sandbänke in der Elbmündung gestrandeten Schiffes
mitsamt der altägyptischen Antiken möglich zu machen, immer
näher. „Die Aufgabe hat sich als
weitaus größer herausgestellt als
zu dem Zeitpunkt, an dem ich
erstmals damit in Berührung
kam“, sagt Leive.
Schon in einem Aufsatz zum
Forschungsstand der wissenschaftlichen Suche nach der
„Gottfried“ aus dem Jahr 1993 sahen Leive und Joachim S. Karig es
als am wahrscheinlichsten an,
dass die unter Schwemmsand verborgenen Überreste in einem Gebiet zu finden sein müssten, das
seit Ende des 18. Jahrhunderts als
„Norder Gründe“ bezeichnet
wurde. Es handelt sich dabei um
die zwischen der Süder- und der
Norde-Elbe gelegenen Sände. Die
exakten Koordinaten der Fundstelle behält Rainer Leive natür-
Rainer Leive in
seinem Büro in
seinem Haus in
Basdahl. Hier
forschte er nach
dem Wrack der
„Gottfried“,
wenn er nicht
gerade die Archive in ganz Europa nach Hinweisen durchstöberte.
Foto: Rohde
Dieses arabische Prunkzelt, das von Minutoli vom ägyptischen Vicekönig
Mohamed Ali als Geschenk erhielt, wurde ebenso wie sieben Mumien nach
dem Untergang der „Gottfried“ als Strandgut am Elbufer geborgen. Das Gemälde von Louis Faure aus dem Jahr 1823 (Besitz des Ägyptischen Museums)
zeigt den Aufenthalt Minutolis in der Oase Siwah.
lich für sich, um keine ungezügelte Schatzjagd auszulösen. Für Leive definiert sich der Begriff
„Schatz“ ohnehin anders und hat
mit dem materiellen Wert der Altertümer rein gar nichts zu tun.
Für ihn geht es
um ein wissenDas Rätsel
schaftshistoriist gelöst.
sches Abenteu- REINER LEIVE
er, das ihn und
die anderen Beteiligten zwei Jahrzehnte lang in Atem gehalten hat
und nun beendet ist. „Entscheidend war, dass jeder bis heute
dichtgehalten hat“, freut sich Leive.
Bewusst wurde auf die bevorstehende Wiedereröffnung des
Neuen Museums in Berlin als
Heimstatt der ägyptischen Sammlung hingearbeitet. Leive: „Das
»
«
Rätsel ist gelöst. Der Zeitpunkt
für eine Bergungskampagne ist
da. Was nun folgt, ist nicht mehr
meine Sache, sondern eine politische Entscheidung.“
Das Wrack und die Schätze der
„Gottfried“ fallen unter das Gesetz der Bodendenkmalpflege.
Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist Lizenzträger einer kostspieligen Bergung. Der Fund würde zur Hälfte der Stiftung und zur
anderen Hälfte der Bundesrepublik Deutschland zufallen. Für
Rainer Leive aber ist klar: „Das
Wrack gehört eigentlich ins Natureum.“ Und der Schatz? Einen
Teil würde er natürlich gern an
seinem Bestimmungsort in Berlin
sehen, im Grunde gehöre er aber
dorthin, wo er einst herkam: nach
Ägypten. (ur)