Mit anlauf in den Hintern

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Mit anlauf in den Hintern
BUSINESS IN SÜDWESTFALEN Interview mit Prof. Dr. Ralf Lanwehr
„Mit Anlauf in den Hintern“
In seinem Buch „Management für die Champions League“ diskutiert Prof. Dr. Ralf Lanwehr betriebswirtschaftliche und
organisationspsychologische Konzepte anhand von Beispielen aus dem Profifußball. Im Gespräch mit
SÜDWESTFALEN MANAGER sprach er über Konzept-Trainer, das „Phänomen Klopp“ und die größte Schwäche von Felix Magath.
SWM: Herr Lanwehr, in Ihrem Buch sagenSie,dassderFührungsgedankeimSport,
in der Wirtschaft, in Vereinen oder in der
Politik eigentlich identisch ist. Warum ist
das Ihrer Meinung nach so?
Ralf Lanwehr: Führung ist ein zentraler
Erfolgsfaktor von Teams. Wenn man das
Führungsverhalten in Sport und Wirtschaft
vergleicht, so stößt man auf ganz ähnliche
Muster. Zwar gibt es im Detail sicherlich Unterschiede, aber generell lassen sich erfolgreiche von weniger erfolgreichen Führungskräften anhand konkreter Verhaltensweisen
unterscheiden, im Basketball wie in der Pharmaindustrie. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die dazu in den letzten Jahrzehnten aus
vielen Branchen der Wirtschaft ebenso wie
aus diversen Sportarten zusammengetragen
wurden, sind eindeutig.
SWM: Was kann der Manager eines erfolgreichen Unternehmens von einem Manager eines professionellen Sportvereins
lernen?
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Ralf Lanwehr: Eine ganze Menge – und
zwar sowohl best practices als auch abschreckende Beispiele. Beispielsweise müssen Manager im Profifußball auf allen Ebenen Gegensätze und Widersprüche balancieren, etwa bei
der Strategie: Fußball ist einerseits ein enorm
kurzfristiges Geschäft. Trainer werden bereits
nach kurzen Phasen von Erfolglosigkeit entlassen. Am Ende jeder Saison wird eine schonungslose Generalabrechnung vorgenommen.
Parallel sind viele Vereine jedoch andererseits
zu sehr langfristigen Investitionen gezwungen,
zum Beispiel in der Nachwuchsförderung oder
bei Stadionneubauten.
Diese Balance treibt auch Manager in
der Wirtschaft um. Heutige Unternehmen
müssen hoch innovativ sein, um langfristig
ihre Konkurrenzfähigkeit sicherzustellen.
Gleichzeitig müssen aber immer auch die
kurzfristigen Zahlen und Ergebnisse stimmen. Das ist nicht einfach zu erreichen. Anhand des Fußballs lassen sich erfolgreiche
und weniger erfolgreiche Strategien für solche Balancen wunderbar nachvollziehen und
somit für Unternehmen nutzbar machen.
SWM: 2004 begann das „Projekt Klinsmann“ beim DFB. War das der Startschuss
füreineveränderteRezeptiondes„modernen“ Trainers?
Ralf Lanwehr: Zumindest für mich persönlich war Klinsmann als Bundestrainer
so eine Art Weckruf. Bis dahin empfand
ich den Profifußball im Vergleich zur Privatwirtschaft in Fragen von Organisation,
Führung und Strategie als sehr rückständig.
Klinsmann hat es jedoch gleich auf mehreren Ebenen geschafft, massive Veränderungsmaßnahmen im deutschen Fußball
durchzusetzen, und mich als Führungskraft
beeindruckt. So hat er der Nationalmannschaft eine neue Doktrin des attraktiven,
schnellen, offensiven, vertikalen Spiels
verordnet, die bis heute gilt. Er hat diese
Vision für die Spieler in nachvollziehbare
Teile herunter gebrochen und einen breiten
Rücken gegen Kritik von außen gezeigt. Er
hat zusammen mit Löw und Bierhoff ein
Leitungsteam installiert, das seine Schwächen in den Bereichen Taktik, Erfahrung,
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Talentsichtung sowie Öffentlichkeits- und
Gremienarbeit ausglich. Klinsmann hat
durch die Einführung moderner Trainingsformen wichtige Impulse gesetzt, die heute
in der Bundesliga als Standard gelten. Er hat
die Spieler individuell stark gefördert und
durch seine positive Vision Hoffnung auf
Erfolg geweckt. Parallel hat er den DFB umgekrempelt sowie große Begeisterung und
WM-Vorfreude in der deutschen Öffentlichkeit entfacht. Das ist eine ganze Menge
für einen Zeitraum von zwei Jahren.
SWM: Beim FC Bayern München ist er
spätermiteinemähnlichenModellgescheitert. Woran lag das Ihrer Meinung nach?
Ralf Lanwehr: Klinsmann hat sich bei
Bayern gleich in mehrfacher Hinsicht verschätzt und überschätzt: Erstens verlor er
in Löw und Bierhoff die entscheidenden
Partner. Zweitens hatte Klinsmann zwar die
Lage bei Bayern München korrekt analysiert
und die richtige Vision entwickelt, es fehlte ihm aber schlicht die Expertise von Löw
beim Talent-Management und bei der Trainingsgestaltung. Drittens fehlte es Klins-
mann an Macht, Unterstützung und Stallgeruch. Viertens stimmte unter Klinsmann die
Balance aus kurz- und langfristigen Zielen
nicht. Er unterschätzte das Tagesgeschäft
und betonte die langfristige Entwicklung
des Vereins zu stark. Das alles wurde ihm
schließlich zum Verhängnis. Nichtsdestotrotz gründen sich die heutigen Erfolge von
Bayern München zu einem Gutteil auf die
Weichenstellungen von Klinsmann. Er mag
als Trainer und Taktiker nicht die Klasse
eines Löw oder Heynckes aufweisen, aber
Klinsmanns Fähigkeiten zur Entwicklung,
Kommunikation und Umsetzung von Visionen sind fraglos sehr beachtlich.
SWM:VieleBundesligavereinebeschäf-
tigenmittlerweileauchSportpsychologen.
Wie stehen Sie zu diesem Thema?
Ralf Lanwehr: Die Disziplin steckt noch in
den Kinderschuhen, viele Maßnahmen und
Techniken müssen erst empirisch auf ihre Erfolgsbedeutsamkeit abgeklopft werden. Nach
meiner Ansicht kann die Sportpsychologie
langfristig durchaus einen Erfolgsbeitrag
leisten und so zu einem sinnvollen Baustein
für Erfolg im Profifußball werden. Aktuell erachte ich einen Sportpsychologen aber noch
nicht als unabdingbar.
SWM: BVB-Trainer Jürgen Klopp ist sicherlich der moderne „Konzept-Trainer“
schlechthin. Was zeichnet Ihrer Meinung
nachseinensportlichenwieauchwirtschaftlichen Erfolg aus?
Ralf Lanwehr: Jürgen Klopp ist ein nahezu kompletter Trainer. Ein „Konzept-Trainer“ ist im Kern ja nichts anderes als eine
Führungskraft, deren Vision entwickelt,
kommuniziert und nach außen nachvollziehbar umgesetzt wurde. Das verbindet
Klopp mit Jürgen Klinsmann, die Wissenschaftler sprechen von „transformationaler“
Führung. Darüber hinaus weist er aber nicht
die Schwächen von Klinsmann auf, sondern
beherrscht die für erfolgreiche Führungskräfte wichtigen Verhaltensrollen allesamt
souverän und schafft es in eindrucksvoller
Weise, seine Verantwortlichkeiten als Cheftrainer nah am Ideal zu balancieren. Klopp
tritt seinen Jungs zwar durchaus mit Anlauf
in den Hintern, aber er lässt dabei
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BUSINESS IN SÜDWESTFALEN Interview mit Prof. Dr. Ralf Lanwehr
SWM: Peer Steinbrück wirft man vor,
Prof. Dr. Ralf Lanwehr
Prof. Dr. Ralf Lanwehr
lehrt Wirtschaftspsychologie an der Business &
Information Technology
School (BiTS) Iserlohn
und berät Unternehmen
in den Bereichen Organisation, Personal und
Strategie. Seine Verbindungen in den Profifußball sind vielfältig: In seinem
Buch „Management für die Champions League“ und
in diversen Artikeln diskutiert er betriebswirtschaftliche und organisationspsychologische
VITA
Konzepte anhand von Beispielen aus
dem Profifußball. Als Verhaltenstrainer und -coach ist
er in der 1. Bundesliga aktiv und leitet zudem ein Forschungsprojekt zum Thema Talent- und Potentialdiagnostik mittels der Trainingsmaschine „Footbonaut“.
nicht an Respekt, Nähe und Wertschätzung missen. Er gewährt seinen Spielern
kreative Freiräume und schützt das Team vor
An- und Eingriffen von außen, pocht aber
gleichzeitig nachdrücklich auf das Einhalten
klar definierter Regeln und sanktioniert intern Abweichungen konsequent. Damit setzt
Klopp Führungs- und Managementkonzepte
um, die sich auch in der Betriebswirtschaft
als hoch wirksam erwiesen haben. Das finde
ich in Summe sehr beeindruckend und den
Erfolg von Borussia Dortmund halte ich unter anderem deshalb keineswegs für Zufall.
SWM: Er hält ja mittlerweile auch Vorträge für Manager. Verschiebt sich da nicht
etwasdereigentlicheFokus,deneinBundesliga-Trainer haben sollte?
Ralf Lanwehr: Wenn Jürgen Klopp sein
eigenes Handeln gut analysieren und vermitteln kann, soll er seine Erkenntnisse gerne mit
Managern aus der Wirtschaft teilen. Warum
nicht? Einen nachhaltigen Transfer des Gehörten in den Arbeitsalltag stelle ich mir zwar
schwierig vor. Solche Vorträge dienen in der
Wirtschaft nach meinem Eindruck aber ohnehin vor allem der Außendarstellung des Unternehmens sowie nach innen der Motivation der
Mitarbeiter. Strategische Personalentwicklung
sieht natürlich anders aus, ist aber oft nicht
maßgeblich Sinn der Sache. Ob Herr Klopp
über solche Vorträge seinen Job vernachlässigt,
muss aber Herr Watzke in seiner Funktion als
Vorgesetzter von Jürgen Klopp beurteilen. Da
fehlt mir ehrlich gesagt der Einblick.
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durch Vorträge vernachlässige er sein
Abgeordneten-Mandat. Könnte man dem
modernen Trainer nicht auch unterstellen, dass der sportliche Gedanke oft zu
kurz kommt?
Ralf Lanwehr: Nein, nicht unbedingt.
Eine wichtige Rolle von Trainern besteht im
Schutz des Teams vor Einflüssen von außen.
José Mourinho, der Trainer von Real Madrid, beispielsweise zieht ja systematisch viel
Aufmerksamkeit auf sich, um Druck vom
Team zu nehmen. Das hat bisweilen natürlich keinen direkten Bezug zu sportlichen
Belangen, erfüllt aber durchaus einen erfolgsbedeutsamen Zweck.
SWM: Felix Magath ist mit dem Modell
„Trainer und Manager“ sowohl beim FC
Schalke04alsauchbeimVfLWolfsburggescheitert. Kann man diese beiden Bereiche
im Verein überhaupt vermischen?
Ralf Lanwehr: Nach meiner Ansicht ist
Felix Magath nicht gescheitert, weil sich
beide Funktionen nicht kombinieren ließen.
Ein Geschäftsführer oder Vorstandsvorsitzender in der Wirtschaft schultert ja auch
problemlos das Wohl verschiedener Unternehmensbereiche. Entscheidend für das
Scheitern ist im Falle von Magath vielmehr
dessen Unwillen oder Unfähigkeit, erstens
mit Konflikten adäquat umzugehen sowie
zweitens eine angemessene Balance aus Belohnung und Bestrafung zu finden. Führung
vorrangig durch Druck und Sanktionierung
wie im Falle von Magath funktioniert bestenfalls kurzfristig, ist aber kein langfristig
gangbares Modell. Erfolgreiche Spieler und
Mitarbeiter benötigen Hoffnung auf Erfolg,
sie müssen Rückendeckung und Vertrauen
von ihrem Trainer bzw. Vorgesetzten spüren. Angst vor Misserfolg hingegen lähmt.
Eine herausstechende Eigenschaft von großen Trainern wie Klopp, Guardiola oder
Mourinho besteht im Gegenteil dazu in deren Fähigkeit, die Leistungen und Stärken
ihrer Spieler zu erkennen und herauszustellen. Das ist insbesondere in Deutschland
wichtig, wo der Hang zum Perfektionismus
etwaige Fehler überproportional in die
Wahrnehmung rückt und wo starke Leistungen womöglich als selbstverständlich
hingenommen werden. Das ist schade,
denn positive Wertschätzung ist leistungsförderlich und kostet nicht einmal Geld.
Simon Engels | [email protected]