Corporate Law Newsletter

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Corporate Law Newsletter
Ausgabe 5 | 3. Quartal 2012
Corporate Law Newsletter
Neuste
Rechtsprechung und
aktuelle
Entwicklungen
aus dem Bereich
Corporate Law
Inhalt
Brennpunkt
3 G
arantenpflicht und persönliche
Haftung von Organmitgliedern 5 P
atronatserklärung: Vermeidung
von unerwünschten Nebenwirkun­
gen und Begleiterscheinungen
7 Insolvenzfestigkeit von Lizenzen –
aktuelle Entwicklungen
Rechtsprechung aktuell
10 Beratungsverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern im Fokus der
Rechtsprechung
12 E
inverständliche Amtsniederlegung und sofortige Wiederbe­
stellung eines Vorstandsmitglieds
14 Verweigerung einer Auszahlung
von gebundenem Kapital nach dem
Ausscheiden eines Gesellschafters
16 Leichter Verschmelzen
18 Erfüllung der 90 %-Schwelle bei
übernahmerechtlichem Squeeze-out
21 Corporate Mobility: Kleiderwechsel
beim Gang über die Grenze
Aktuelle Meldung
23 BFH: Terrorlistenscreening datenschutzrechtlich zulässig
25 Entwurf eines einheitlichen
Kapitalanlagegesetzbuches
26 Ist die Erbschaftsteuer
verfassungswidrig?
27 Bundeskabinett beschließt
Entlastungen für Kleinstkapitalgesellschaften im Bereich der
Rechnungslegungs- und Offenlegungspflichten
27 Änderungen bei der steuerlichen
Organschaft
28 Ansprechpartner
2
Corporate Law Newsletter, Ausgabe 5 | 3. Quartal 2012
Gericht betont besondere Verantwortung von Compliance Officern
Brennpunkt
Garantenpflicht und persönliche Haftung von Organmitgliedern
Ein Vorstandsmitglied einer Aktiengesell­
schaft kann gegenüber der Gesellschaft
bei Pflichtverletzungen nach Maßgabe von
§ 93 AktG haften, bei Mitgliedern des Auf­
sichtsrats kommt eine Haftung nach
§ 116 AktG in Betracht. Eine persönliche
Haftung von Organmitgliedern setzt eine
Garantenpflicht voraus, die gegenüber
Dritten besteht. Diese Außenhaftung
kommt dagegen in seltenen Ausnahme­
fällen in Betracht. Im Jahr 2009 hatte der
Bundesgerichtshof mit Urteil vom
17.07.2009 (Az.: 5 StR 394/08) eine
Garantenpflicht des Leiters einer Rechtsabteilung und Innenrevision zur Verhinde­
rung von Rechtsverstößen und Straftaten
aufgrund dessen besonderem Verantwor­
tungsbereich bejaht. In diesem Zusam­
menhang hatte das Gericht auch die besondere Verantwortung von Compliance
Officern betont. Mit zwei spannenden Ent­
scheidungen hat sich die Rechtsprechung
nun kürzlich zur Frage der Garantenpflicht von Organmitgliedern geäußert.
Keine Garantenpflicht von Vorstandsmit­
gliedern gegenüber Vertragspartnern der
Gesellschaft aufgrund Organstellung
Urteil des Bundesgerichtshofs vom
10.07.2012, Az.: VI ZR 341/10
Der Bundesgerichtshof hat sich mit seinem
Urteil vom 10.07.2012 mit der Klage eines
Vertragspartners einer Aktiengesellschaft
gegen zwei Vorstandsmitglieder befasst und
klargestellt, dass aus der Organstellung des
Vorstandsmitglieds weder eine Garanten­
pflicht noch eine persönliche Haftung
gegenüber Dritten folgt. Im entschiedenen
3
Fall war eine Aktiengesellschaft, bei der
zwei Vorstandsmitglieder bestellt waren, in
Scheingeschäfte verwickelt, die eines der
beiden Vorstandsmitglieder mit dem Geschäftsleiter einer inzwischen insolventen
Gesellschaft als Vertragspartner eingefädelt
hatte. Der Insolvenzverwalter der Gesellschaft nahm die beiden Vorstandsmitglieder
der Aktiengesellschaft persönlich auf Scha­
densersatz in Höhe von ca. 10 Mio. EUR in
Anspruch. Sein Vorwurf: beide würden auf­
grund von Pflichtverletzungen auch im Ver­
hältnis zu der von ihm vertretenen Gesell­
schaft nach § 823 Abs. 1 BGB im Außenver­
hältnis haften. Dabei legte er dem einen
Vorstandsmitglied eine direkte Mitwirkung
an den Scheingeschäften zur Last. Das
zweite Vorstandsmitglied hatte nach Akten­
lage zwar keine nachweisliche Kenntnis von
den strafrechtlich relevanten Vorgängen,
der Insolvenzverwalter vertrat aber den
Standpunkt, dass es gegen die Unregel­
mäßigkeiten hätte einschreiten müssen.
Letztendlich wurde dem zweiten Vorstands­
mitglied der Vorwurf gemacht, es habe die
Straftaten des anderen Vorstandsmitglieds
verhindern müssen, hierzu sei es – auch im
Verhältnis zum Vertragspartner – als Garant
verpflichtet gewesen.
Genau an dieser Stelle war der Bundes­
gerichtshof aber anderer Meinung: allein
aus der Organstellung ergebe sich keine
Garantenpflicht eines Organmitglieds,
Schädigungen des Vermögens Dritter zu
verhindern. Aus der Organstellung ergebe
sich zwar unter Berücksichtigung der
§§ 93 AktG, 43 GmbHG eine Pflicht des
Organmitglieds, für eine Rechtmäßigkeit
des Handelns der Gesellschaft Sorge zu
tragen, bei einer Verletzung dieser Pflicht
könne aber nur die Gesellschaft und keine
Dritten Schadensersatzansprüche gegen
das Organmitglied geltend machen.
Etwas anderes könne nur gelten, wenn ein
Organmitglied selbst eigenhändig Schäden
am Eigentum oder sonstigen in den Schutz­
bereich des § 823 Abs. 1 BGB fallenden
Rechtsgütern eines Dritten verursache. In
diesem Fall komme nach § 823 Abs. 1 BGB
eine persönliche Haftung in Frage. Der
Bundesgerichtshof hat eine solche Haftung
eines Organmitglieds bereits bei einer vor­
sätzlichen unzulässigen Veräußerung von
Gegenständen, die im Eigentum eines
Dritten stehen, bejaht (BGH, Urteil vom
05.12.1989 – VI ZR 335/88). Auch in
eigenen öffentlichen Äußerungen des Auf­
sichtsratsvorsitzenden einer Aktiengesell­
schaft, die die Rückzahlung eines Kredits
eines Kunden der Bank in Frage stellten,
sah der Bundesgerichtshof bereits im Jahr
2006 einen die direkte persönliche Haftung
gegenüber dem Kunden begründenden
Eingriff in den eingerichteten und ausge­
übten Gewerbebetrieb (BGH, Urteil vom
24.01.2006 – XI ZR 384/03). Der hier zur
Entscheidung stehende Fall war aber anders
gelagert, da das Vorstandsmitglied an den
schädigenden Geschäften nicht beteiligt
war. Da gegenüber Dritten keine rechtliche
Verpflichtung bestand, solche Geschäfte zu
verhindern, wurde die Klage des Insolvenz­
verwalters gegen das Vorstandsmitglied
abgewiesen. •
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Brennpunkt
Garantenpflicht und persönliche Haftung von Organmitgliedern
• Fortsetzung
Garantenpflicht und Strafbarkeit von
Aufsichtsratsmitgliedern
OLG Braunschweig, Beschluss vom
14.06.2012, Az.: Ws 44/12 und Ws 45/12
Das OLG Braunschweig befasste sich in
einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung
mit der Frage einer Garantenpflicht von Auf­
sichtsratsmitgliedern in Bezug auf die Ver­
hinderung von rechtswidrigen Auszahlun­
gen von Sitzungsgeldern an sich selbst.
Dabei ging es nicht um gravierende Pflicht­
verletzungen sondern um ein satzungs­
widriges Abrechnungsverhalten. Nach Mei­
nung des Gerichts ist bei Verfahrensweisen,
die durch die Satzung vorgegeben werden,
jede Pflichtverletzung haftungsbegründend
und für eine mögliche Untreue relevant.
Dabei bejahte das Gericht eine Garanten­
stellung von Aufsichtsratsmitgliedern im
Sinne des auf den Untreuetatbestand nach
§ 266 StGB anwendbaren § 13 StGB. Die
vom Gericht geforderten Maßnahmen
gegen die rechtswidrige Praxis hatten die
betroffenen Aufsichtsratsmitglieder im kon­
kreten Fall unterlassen. Allein in diesem
Unterlassen traf sie aufgrund ihrer Garan­
tenpflicht eine strafrechtliche Verantwor­
tung. Demnach war der Aufsichtsratsvor­
sitzende nach Kenntniserlangung von
bevorstehenden, satzungswidrigen Zahlun­
gen an andere Aufsichtsratsmitglieder ver­
pflichtet, unverzüglich den Aufsichtsrat
gemäß § 110 Abs. 1 AktG einzuberufen,
um einen Beschluss zu erwirken, der den
Vorstand zur Änderung der rechtswidrigen
Vorgehensweise anhält. Das Gericht sah
außerdem die einfachen Aufsichtsratsmit­
glieder in der Pflicht, den Aufsichtsratsvor­
sitzenden zur Einberufung des Kontrollgre­
miums zu veranlassen – oder bei Weigerung
des Vorsitzenden – den Aufsichtsrat selbst
gemäß § 110 Abs. 2 AktG einzuberufen.
Diese Maßnahmen hatten die betroffenen
Aufsichtsratsmitglieder unterlassen. Auch
das Argument, bei einer Aufsichtsratssit­
zung wäre die erforderliche Stimmenmehr­
heit verfehlt worden, ließ das Gericht nicht
gelten. Eine Befreiung von der strafrechtlichen Mitverantwortung setze vielmehr vor­
aus, dass die Aufsichtsratsmitglieder alles
Zumutbare unternehmen, um die notwen­
dige Kollegialentscheidung herbeizuführen.
Fazit
Die Legalitätspflicht von Organmitgliedern gilt grundsätzlich nur im Verhältnis zur Gesell­
schaft. Pflichtverletzungen können nur in extrem gelagerten Ausnahmefällen eine per­
sönliche Haftung von Organmitgliedern gegenüber Dritten begründen. Das Urteil des
Bundesgerichtshofs zur Garantenpflicht von Vorstandsmitgliedern zieht eine wichtige
Grenze bei der Organhaftung gegenüber Dritten. Mit dem Urteil des OLG Braunschweig
wird – anders als von einigen voreiligen Kommentatoren vermutet – keine allgemeine
Garantenpflicht von Aufsichtsratsmitgliedern für die Compliance des Unternehmens
begründet. Gleichzeitig nimmt es Aufsichtsratsmitglieder, die Anhaltspunkte für konkrete
Pflichtverstöße im Unternehmen haben, sehr stark in die Pflicht und unterstreicht die
Notwendigkeit der intensiven Befassung von Aufsichts­gremien mit der unternehmens­
internen Compliance.
Autor
Dr. Christian Bosse
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Ernst & Young Law GmbH, Stuttgart
Telefon + 49 711 9881 25772
[email protected]
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Corporate Law Newsletter, Ausgabe 5 | 3. Quartal 2012
Objektive Zahlungsunfähigkeit der Tochtergesellschaft trotz harter Patronatserklärung
Brennpunkt
Patronatserklärung: Vermeidung von unerwünschten Nebenwirkungen
und Begleiterscheinungen
Patronatserklärungen werden häufig bei
konzernrechtlichen Konstellationen ver­
wendet. Bei einer Patronatserklärung gibt
eine in der Regel übergeordnete Konzern­
gesellschaft (sog. Patron) eine Erklärung
ab, in der sie gegenüber der Tochterge­
sellschaft ein bestimmtes Verhalten
zusagt. Die häufigste Art der Patronats­
erklärung ist die Zusage des Patrons, die
Tochtergesellschaft bei finanziellen
Schwierigkeiten mit finanziellen Mitteln
auszustatten. Bei Patronatserklärungen
ist einerseits zwischen harten und wei­
chen Patronatserklärungen und anderer­
seits zwischen internen und externen
Patronatserklärungen zu unterscheiden.
Bei einer harten Patronatserklärung
räumt der erklärende Patron dem Erklä­
rungsempfänger einen Rechtsanspruch
auf die Leistung ein, wohingegen die
weiche Patronatserklärung keinen recht­
verbindlichen Charakter hat. Die Unter­
scheidung zwischen interner und exter­
ner Patronatserklärung differenziert,
wem gegenüber die Erklärung abgegeben
wird. Diese vielfältigen Gestaltungsmög­
lichkeiten können oft zu unerwünschten
Nebenwirkungen und Begleiterscheinung
führen.
Im Folgenden werden daher zwei Konstella­
tionen dargestellt, die kürzlich Gegenstand
höchstrichterlicher Rechtsprechung waren.
5
Kündbarkeit einer harten Patronatserklärung
Bei Abgabe einer harten Patronatserklä­
rung stellt sich die Frage, wie sich der Pat­
ron wieder von dieser rechtsverbindlichen
Verpflichtung lösen kann. In der Entschei­
dung des BGH vom 20.09.2010 - Az. II ZR
296/08 nimmt der BGH Stellung zu den
Kündigungsmöglichkeiten einer Patronats­
erklärung, die eine Muttergesellschaft
gegenüber ihrer in der Krise befindlichen
Tochtergesellschaft abgegeben hat.
Gibt eine Muttergesellschaft gegenüber
ihrer bereits bilanziell überschuldeten Toch­
tergesellschaft eine Patronatserklärung
während des Zeitraums, der zur Prüfung
der Sanierungsfähigkeit erforderlich war in
der Weise ab, dass sie sich verpflichtet, im
Fall der Überschuldung oder Zahlungsunfä­
higkeit der Tochtergesellschaft fällige Ver­
bindlichkeiten in dem Umfang zu erfüllen,
wie dies zur Beseitigung der Überschuldung
oder Zahlungsunfähigkeit erforderlich ist,
und ist die Patronatserklärung gleichzeitig
mit einem Rangrücktritt verknüpft, in dem
die Muttergesellschaft bezüglich aller Forde­
rungen gegen die Tochtergesellschaft, mit­
hin auch für eventuelle Regressforderungen
aufgrund der Befriedigung von Gläubigern
der Tochtergesellschaft im Rang zurücktritt
und im Falle der Insolvenz der Tochterge­
sellschaft sogar ganz auf die Forderungen
verzichtet, so kann sich die Muttergesell­
schaft nach Eintritt der Krise wieder von
der Patronatserklärung lösen, wenn ein ent­
sprechendes Kündigungsrecht vereinbart
wurde.
Der BGH stellte in seiner Entscheidung aus­
drücklich klar, dass auch bei einer harten
Patronatserklärung, die Parteien in Aus­
übung der ihnen zustehenden Privatautono­
mie ein ex nunc wirkendes Kündigungsrecht
des Patrons vereinbaren können.
Keine Anwendbarkeit des Eigenkapital­
ersatzrechts oder der Grundsätze des
Finanzplankredits
Ferner stellte der BGH klar, dass das Kündi­
gungsrecht nicht wegen des Eigenkapitaler­
satzrechts oder der Grundsätze des Finanz­
plankredits ausgeschlossen sei.
Die Vereinbarung könne nicht als eigenkapi­
talersetzende Gesellschafterhilfe angesehen
werden, da für die Anwendung des Eigen­
kapitalersatzrechts nur Raum sei, soweit
der Gesellschafter eine Leistung tatsächlich
erbracht hat. Dies war vorliegend aber nicht
der Fall, da die Muttergesellschaft keine
Leistung in das Vermögen der Tochterge­
sellschaft erbracht hat, sondern lediglich
die Freistellung von Verbindlichkeiten auf
Anforderung der Tochtergesellschaft ver­
sprochen hat. Des Weiteren sei die Patro­
natserklärung auch keine Sicherheit für
einen in der Krise gewährten Drittkredit
gewesen und könne deshalb nicht unter
diesem Gesichtspunkt in funktionales Eigen­
kapital umqualifiziert werden. •
Corporate Law Newsletter, Ausgabe 5 | 3. Quartal 2012
Brennpunkt
Patronatserklärung: Vermeidung von unerwünschten Nebenwirkungen und Begleiterscheinungen
• Fortsetzung
Es bestand auch keine Unkündbarkeit der
Patronatserklärung nach den Grundsätzen
des sog. „Finanzplankredits“, da es sich bei
der Patronatserklärung um keine einlagen­
ähnliche Darlehenszusage im Sinne dieser
Grundsätze gehandelt hat. Maßgeblich sei
der Überbrückungscharakter, der mit einer
Einlage nicht vereinbar sei. Zudem scheitert
die Annahme eines aufschiebend bedingten
Darlehensversprechens daran, dass die
Muttergesellschaft in der Patronatserklä­
rung eine Rückzahlungsverpflichtung bei
Insolvenz der Tochtergesellschaft ausdrück­
lich ausgeschlossen hat.
Abschließend verneinte das Gericht auch
eine wirksame Anfechtung der Kündigung
nach § 135 InsO, da die berechtigte
Kündigung einer Patronatserklärung
keine „Befriedigung“ im Sinne des
§ 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO sei.
Objektive Zahlungsunfähigkeit der
Tochtergesellschaft und Kenntnis des
Gläubigers trotz harter Patronats­
erklärung
In einem weiteren Urteil vom 19.05.2011 –
Az. IX ZR 9/10 hat der BGH entschieden,
dass eine harte Patronatserklärung der
Muttergesellschaft, die an den Gläubiger
der Tochtergesellschaft gerichtet ist, weder
die objektive Zahlungsunfähigkeit der Toch­
tergesellschaft noch die darauf bezogene
Kenntnis des Gläubigers beseitigt.
Insolvenzreife komme nach Ansicht des
BGH erst in Betracht, wenn der Patron seine
eingegangene Verpflichtung durch eine
Liquiditätsausstattung der begünstigten
Gesellschaft tatsächlich erfüllt.
Eine externe harte Patronatserklärung der
Muttergesellschaft beseitigt somit weder
die objektive Zahlungsunfähigkeit der Toch­
tergesellschaft noch die darauf bezogenen
Kenntnis des Gläubigers.
Bedeutung für die Praxis
Für die Sanierungspraxis bedeutet dies,
dass es grundsätzlich möglich ist Patronats­
erklärungen als Überbrückungsvereinbarun­
gen auszugestalten. Benötigt die Gesell­
schaft keine akute Liquidität, so ist die Pat­
ronatserklärung in der Regel günstiger als
der Überbrückungskredit. Eine Risikobe­
grenzung des Patrons – um nicht für alle
während der Laufzeit eingegangen Ver­
pflichtungen der Gesellschaft einstehen
zu müssen – kann durch die Vereinbarung
einer Haftungshöchstgrenze erreicht wer­
den.
Zur Vermeidung der objektiven Zahlungsun­
fähigkeit der begünstigten Gesellschaft und
der diesbezüglichen Kenntnis des Gläubi­
gers ist es des Weiteren erforderlich, dass
der Patron seine Erklärung auch gegenüber
der begünstigten Tochtergesellschaft
(interne Patronatserklärung) abgibt und
damit der Tochtergesellschaft ungehinder­
ten Zugriff auf die versprochenen Mittel ein­
räumt. Anderenfalls kann die Vermeidung
der objektiven Zahlungsunfähigkeit nur
erreicht werden, falls der Patron seiner Aus­
stattungsverpflichtung im Falle von Liquidi­
tätsproblemen der Gesellschaft tatsächlich
nachkommt.
Autoren
Dr. Christian Bosse
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Ernst & Young Law GmbH, Stuttgart
Telefon +49 711 9881 25772
[email protected]
Yasmin von Khurja
Rechtsanwältin
Diplom-Kauffrau
Ernst & Young Law GmbH, Stuttgart
Telefon +49 711 9881 13603
[email protected]
Die Konzernmuttergesellschaft gab eine
harte Patronatserklärung gegenüber dem
Gläubiger der Tochtergesellschaft ab. Eine
derartige Patronatserklärung ist als externe
Patronatserklärung zu verstehen, da sie
lediglich gegenüber der Gläubigerin und
nicht auch gegenüber der Tochtergesell­
schaft selbst abgegeben wird. Aufgrund des
externen Charakters der Patronatserklärung
erlangt die Tochtergesellschaft keinen eige­
nen Leistungsanspruch gegenüber der Mut­
tergesellschaft. Deshalb kann eine solche
Erklärung für sich genommen die Insolvenz­
reife der Gesellschaft nicht vermeiden und
auch die diesbezügliche Kenntnis des Gläu­
bigers nicht beseitigen. Die Vermeidung der
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Weitreichende Folgen für Softwarelizenzen bei Insolvenz des Lizenzgebers
Brennpunkt
Insolvenzfestigkeit von Lizenzen – aktuelle Entwicklungen
In so gut wie jedem Unternehmen werden
Immaterialgüterrechte genutzt, sei es
Software, Marken oder gar Patente. Dabei
ist häufig nicht das Unternehmen selbst,
sondern ein Dritter Rechteinhaber, der
lediglich eine „Lizenz“ einräumt. Die
Insolvenz eines solchen Lizenzgebers hat
für Unternehmen als Lizenznehmer ggf.
schwerwiegende Folgen. Sofern derartige
Lizenzverträge zum Zeitpunkt der Insol­
venz nicht oder nicht vollständig erfüllt
sind, unterfallen diese als gegenseitige
Verträge § 103 Abs. 1 InsO und damit
dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters.
Auch bei dauerhaften Patentlizenzen mit
Einmalzahlung kann in den jährlichen den
Inhaber treffenden Patentgebühren eine
unvollständige Erfüllung gesehen werden.
Lehnt der Insolvenzverwalter eine Erfül­
lung des Lizenzvertrages ab, fällt die
Lizenz auf den Lizenzgeber zurück. Dem
Lizenznehmer bleibt lediglich ein Scha­
densersatzanspruch wegen Nichterfül­
lung gem. § 103 Abs. 2 InsO. Als einfache
Insolvenzforderung läuft dieser in der
Praxis allerdings häufig leer. Entspre­
chendes gilt, wenn ein Lizenznehmer/geber in der weiteren Rechtekette Insol­
venz anmeldet.
Ausgangssituation
Ein Rückfall der Lizenz kann für den Lizenz­
nehmer gerade bei Patentlizenzen – namentlich in der Automobil- oder Pharmaindustrie
– schwerwiegende Folgen haben: Der
Lizenznehmer darf ein bestimmtes Verfah­
ren bzw. eine bestimmte Erfindung mit
sofortiger Wirkung nicht mehr verwenden.
Zeit für die Entwicklung alternativer Metho­
7
den steht regelmäßig nicht zur Verfügung,
so dass bestimmte Produkte in Ermange­
lung der erforderlichen Lizenz ggf. nicht
mehr hergestellt werden können und dies­
bezügliche Investitionen umsonst getätigt
wurden. Zudem kann der Insolvenzverwal­
ter die auf den Lizenzgeber zurückgefallene
Lizenz einem Dritten – ggf. auch einem
direkten Konkurrenten des Lizenznehmers –
einräumen. Häufig kündigen Insolvenzver­
walter solche Lizenzverträge aber auch nur,
um nochmals zusätzliche Vergütungen zu
erlangen.
Bei Softwarelizenzen kann die Insolvenz des
Lizenzgebers ähnlich weitreichende Folgen
haben. Die Lizenz an einer (Standard-)
Software umfasst regelmäßig nicht die Wei­
tergabe des für deren Weiterentwicklung
erforderlichen Quellcodes. Bei einer Insol­
venz des Lizenzgebers ist der Quellcode
daher als wesentlicher Vermögenswert Teil
der Insolvenzmasse. Die Entscheidung über
die Erfüllung entsprechender Softwarepfle­
geverträge obliegt damit dem Insolvenzver­
walter. Lehnt dieser eine Erfüllung ab,
erhält der Lizenznehmer keine Updates der
betreffenden Software mehr. Eine erforder­
liche Anpassung oder Weiterentwicklung ist
somit unmöglich. Bei Softwarelizenzen kön­
nen derartige Folgen allerdings durch den
Abschluss sog. „Escrow“-Vereinbarungen in
gewissem Umfang gemildert werden.
Lizenzgeber, Lizenznehmer und EscrowAgent treffen dazu für den Fall einer Insol­
venz des Lizenzgebers eine Vereinbarung
über die Hinterlegung des Quellcodes bei
einem Treuhänder und die Einräumung
eines entsprechenden Bearbeitungsrechts.
Wird über das Vermögen des Lizenzgebers
später tatsächlich das Insolvenzverfahren
eröffnet, erhält der Lizenznehmer den Quellcode und kann die erforderlichen Anpassun­
gen an seiner Software vornehmen.
Bei Patentlizenzen bzw. bei Lizenzen an
anderen Immaterialgütern – etwa bei urheberrechtlichen Nutzungsrechten oder Mar­
kenlizenzen – bestehen solche Möglichkei­
ten nicht. Die Insolvenz des Lizenzgebers ist
daher für den Lizenznehmer oftmals mit
dem endgültigen Verlust der eingeräumten
Lizenz verbunden. Ob diese Folge sich auch
auf gewährte Unterlizenzen erstreckt, hatte
nun der BGH zu entscheiden.
Die Entscheidungen des BGH
Die Entscheidungen des BGH „M2Trade“
(GRUR 2012, 916) und „Take Five“
(GRUR 2012, 914) betreffen Fallkonstella­
tionen aus dem Bereich der Software-Lizen­
zen („M2Trade“) bzw. aus dem Musikver­
lagsrecht („Take Five“). Das unmittelbar
vom Lizenzgeber abgeleitete Nutzungsrecht
(„Hauptlizenz“) war dabei aufgrund einer
Kündigung wegen Zahlungsverzuges
(„M2Trade“) bzw. einer einvernehmlichen
Vertragsaufhebung („Take Five“) zwischen­zeitlich jeweils erloschen. Da in beiden Fäl­
len Unterlizenzen an Dritte erteilt wurden,
wurde nach Fortfall der Hauptlizenz über
den Fortbestand der Unterlizenz gestritten.
Der I. Zivilsenat des BGH hat diesbezüglich
entschieden, dass das Erlöschen einer vom
Rechteinhaber eingeräumten Hauptlizenz
nicht automatisch zu einem Erlöschen der
vom Hauptlizenznehmer eingeräumten
Unterlizenz führt. •
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Brennpunkt
Insolvenzfestigkeit von Lizenzen – aktuelle Entwicklungen
• Fortsetzung
Der BGH begründet dies u. a. mit dem im
gewerblichen Rechtsschutz geltenden Sukzessionsschutz und einer umfassenden
Abwägung der betroffenen Interessen. Aus­
gangspunkt bildet dabei die Annahme, dass
ein vom Rechteinhaber eingeräumtes Nut­
zungsrecht im Regelfall – d. h., wenn nichts
Gegenteiliges vereinbart wurde – mit der
Beendigung des Lizenzvertrages „ipso iure“
an diesen zurückfällt. Dies leitet der BGH
aus §§ 41 Abs. 5, 42 Abs. 5 UrhG sowie
der „exemplarischen“ Vorschrift des
§ 9 Abs. 1 VerlG ab. Zudem besage der
Grundsatz des Sukzessionsschutzes, dass
ausschließliche und einfache Nutzungs­
rechte wirksam blieben, wenn derjenige,
der das Nutzungsrecht eingeräumt habe,
wegfalle. Entsprechendes gelte gem.
§ 33 S. 2, 2. Alt. UrhG im Falle eines nach­
träglichen Verzichts des Rechteinhabers auf
das einem Dritten eingeräumte Nutzungs­
recht. Dem entnimmt der BGH die (allge­
meine) gesetzgeberische Aussage, dass
das Erlöschen eines Nutzungsrechts nicht
per se zu dem Erlöschen abgeleiteter Nut­
zungsrechte führt. Vielmehr solle das Ver­
trauen des Rechteinhabers in den Fortbe­
stand seines Rechts geschützt und die
Amortisation seiner Investitionen ermög­
licht werden. Auch ein Erlöschen der Haupt­
lizenz soll deshalb nicht automatisch zum
Erlöschen etwaiger Unterlizenzen führen.
Deren Fortbestand sei vielmehr „in aller
Regel“ angemessen und interessengerecht.
Maßgeblich soll allerdings letztlich das
Ergebnis einer Interessenabwägung sein. In
den konkret entschiedenen Fällen ergab
diese einen Vorrang des Interesses des
Unterlizenznehmers am Fortbestand seines
Nutzungsrechts. Dieser könne die Ursache
für das Erlöschen der Hauptlizenz nicht
beeinflussen und auch nicht vorhersehen.
8
Zudem führe das Erlöschen des Nutzungs­
rechts ggf. zur Vernichtung seiner wirt­
schaftlichen Existenz. Die Interessen des
Rechtsinhabers seien demgegenüber auch
bei einem Fortbestand der Unterlizenz
gewahrt – zumindest wenn er, was wegen
§§ 812 ff. BGB regelmäßig der Fall sei – von
dem Hauptlizenznehmer Abtretung etwai­
ger Lizenzzahlungsansprüche gegen den
Unterlizenznehmer verlangen könne.
Die Entscheidungen des I. Zivilsenats
betreffen spezifisch urheberrechtlich gela­
gerte Fragestellungen. Der Senat begründet
seine Auffassung aber gesetzesübergrei­
fend und weist zudem darauf hin, dass der
für Patentrecht zuständige X. Zivilsenat auf
Nachfrage „keine Bedenken“ gegen diese
Wertungen gehabt habe. Dies legt die Ein­
schätzung nahe, dass der BGH seine Auffas­
sung über die konkrete Fallkonstellation hin­
aus auch auf andere Erlöschensgründe und
auf Lizenzen an anderen Immaterialgütern etwa auf solche im Bereich des Patentrechts übertragen will. Auch sein Hinweis, dass
Unterlizenzen bestehen bleiben, wenn die
Hauptlizenz „aus anderen Gründen“ als den
konkret entschiedenen (Kündigung des
Hauptlizenzvertrages wegen Zahlungsver­
zuges („M2Trade“) bzw. einvernehmliche
Aufhebung des Hauptlizenzvertrages
(„Take Five“)) erlischt, spricht für eine sol­
che Annahme. Ob die Insolvenz des Hauptli­
zenznehmers einen solchen „anderen
Grund“ darstellt, lässt der BGH offen. Gute
Gründe sprechen jedoch dafür: Auch die
Insolvenz des Lizenznehmers führt nach
herrschender Auffassung zum Erlöschen
der eingeräumten Lizenz. Eine solche Kons­
tellation dürfte daher auch hinsichtlich der
Rechtsfolgen (Fortbestand etwaiger Unter­
lizenzen) den vom BGH angesprochenen
„anderen“ Erlöschensgründen gleichzu­
stellen sein.
Gesetzgeberische Aktivitäten
Auch die Reformbemühungen des Gesetz­
gebers gehen dahin, Lizenzen „krisensicher“ zu machen. § 108 Abs. 1 InsO-E des
Referentenentwurfes des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens, zur Stärkung der Gläubigerrechte
und zur Insolvenzfestigkeit von Lizenzen
(abrufbar unter http://www.bmj.de/Shared­
Docs/Downloads/DE/pdfs/RefE_InsoII.pdf?_
blob=publicationFile) sieht daher vor, dass
der Lizenznehmer im Falle der Weigerung
des Insolvenzverwalters den Lizenzvertrag
zu erfüllen, binnen eines Monats den
Abschluss eines neuen Lizenzvertrag zu
„angemessenen Bedingungen“ verlangen
kann. Dieses Recht soll auch gegenüber
Rechtsnachfolgern bestehen, also insbeson­
dere den Fall erfassen, dass der Insolvenz­
verwalter die zurückgefallene Lizenz zwi­
schenzeitlich einem Dritten eingeräumt hat.
§ 108a Abs. 2 InsO-E bestimmt zudem,
dass der Unterlizenznehmer bei Insolvenz
des Hauptlizenznehmers einen Anspruch
gegen den Rechteinhaber auf Abschluss
eines Lizenzvertrages zu „angemessenen
Bedingungen“ haben soll. Gem. § 108a
Abs. 3 InsO-E soll der Lizenznehmer die
ursprüngliche Lizenz dabei bis zum
Abschluss eines entsprechenden Lizenzver­
trages weiter nutzen dürfen – nach Ablauf
von drei Monaten jedoch nur bei Zahlung
einer angemessenen Vergütung und sofern
er nachweisen kann, dass er Klage auf
Abschluss eines Lizenzvertrages erhoben
hat. •
Corporate Law Newsletter, Ausgabe 5 | 3. Quartal 2012
Brennpunkt
Insolvenzfestigkeit von Lizenzen – aktuelle Entwicklungen
• Fortsetzung
Der vorgenannte Gesetzesentwurf sieht
eine erhebliche Stärkung der Position des
Lizenznehmers vor. Zwar statuiert § 108a
InsO-E keine Insolvenzfestigkeit von Lizen­
zen, gibt dem Lizenznehmer aber zumin­
dest einen Anspruch auf Abschluss eines
neuen Lizenzvertrages zu „angemessenen
Bedingungen“, sofern der Insolvenzverwal­
ter die Erfüllung des ursprünglichen Lizenz­
vertrages verweigert. Der Lizenznehmer
muss dementsprechend nicht befürchten,
seine Lizenz im Falle der Insolvenz des
Lizenzgebers zu verlieren, sondern lediglich
in Kauf nehmen, dass er bei einem mögli­
chen Neuabschluss des Lizenzvertrages
ggf. nur schlechtere Vertragsbedingungen,
also etwa höhere Lizenzzahlungen, aushan­
deln kann.
Fazit
Eine endgültige Klärung der Frage nach der Insolvenzfestigkeit von Lizenzen bleibt ungeachtet der Entscheidungen des BGH dem Gesetzgeber vorbehalten. Mit § 108a InsO-E
existiert allerdings ein Entwurf, der zu praktikablen Ergebnissen und einem angemessenen
Ausgleich der betroffenen Interessen führt. Für den von ihm entschiedenen Teilbereich
der Problematik hat der BGH eine gangbare Lösung aufgezeigt. Der Fortbestand der
Unterlizenz trotz Er­löschens der Hauptlizenz schafft für den Unterlizenznehmer dabei ein
erhebliches Maß an Rechtssicherheit: Erfüllt er seine vertraglichen Verpflichtungen, kann
er umgekehrt auf eine Wirksamkeit seiner Unterlizenz vertrauen.
Autoren
Dr. Peter Katko
Rechtsanwalt, licencié en droit
Ernst & Young Law GmbH, München
Telefon +49 89 14331 25951
[email protected]
Dr. Sebastian Eckhardt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz
Ernst & Young Law GmbH, Stuttgart
Telefon +49 711 9881 25262
[email protected]
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Corporate Law Newsletter, Ausgabe 5 | 3. Quartal 2012
Gericht beanstandet Abwicklung von Verträgen mit Aufsichtsratsmitgliedern, die aufgrund von
§ 114 AktG der Zustimmung des Aufsichtsrats unterliegen
Rechtsprechung aktuell
Beratungsverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern im Fokus der Rechtsprechung
Die Vorschrift des § 114 AktG stellt Ver­
träge der Gesellschaft mit Aufsichtsratsmit­
gliedern über entgeltliche Tätigkeiten
außerhalb deren Aufsichtsratstätigkeit
unter den Vorbehalt der Zustimmung des
Aufsichtsrats. Im Zusammenspiel mit der
Regelung des § 113 AktG soll dadurch eine
unsachliche Beeinflussung von Aufsichts­
ratsmitgliedern durch den Vorstand vermie­
den werden. Die zusätzliche Transparenz
durch eine Erörterung derartiger Vertrags­
verhältnisse im Aufsichtsrat ist dazu geeig­
net, sachfremde Motive bei dem Abschluss
und der Durchführung solcher Vertrags­
verhältnisse zu verhindern. Der Bundes­
gerichtshof hat mit seinem Urteil vom
10. Juli 2012 (Az.: II ZR 48/11) im Rah­
men eines aktienrechtlichen Anfechtungs­
prozesses seine Rechtsprechung zur Zuläs­
sigkeit von Zahlungen des Vorstands an
Aufsichtsratsmitglieder für Tätigkeiten
außerhalb deren organschaftlichen Auf­
sichtsratstätigkeit nochmals deutlich ver­
schärft. Das Urteil war von der Praxis mit
Spannung erwartet worden. Erneut wurde
die Verfahrensweise einer börsennotierten
Gesellschaft bei der Abwicklung von Verträ­
gen mit Aufsichtsratsmitgliedern, die auf­
grund von § 114 AktG der Zustimmung des
Aufsichtsrats unterliegen, als rechtswidrig
beanstandet. Bereits im Frühjahr 2011
hatte die Entscheidung der Vorinstanz für
erhebliches Aufsehen gesorgt (vgl. OLG
Frankfurt/M, Urteil vom 15. Februar 2011,
Az.: 5 U 30/10). Das OLG Frankfurt/M
hatte die erst nachträglich erteilte Zustim­
mung des Aufsichtsrats einer Europäischen
Aktiengesellschaft (SE) zu einem bereits
vollzogenen anwaltlichen Beratungsvertrag
mit einer Anwaltskanzlei, der ein Aufsichts­
ratsmitglied als Partner angehörte, als
10
schweren, zur Anfechtung der Entlastungs­
beschlüsse führenden Gesetzesverstoß
beurteilt.
beanstandete Verfahrensweise des betroffe­
nen Unternehmens ist daher in der Praxis
nicht unüblich.
Der Bundesgerichtshof hat diese Entschei­
dung nun aufgehoben. Damit blieben die
von zwei Aktionären gegen die Beschlüsse
zur Entlastung von Vorstand und Aufsichts­
rat gerichteten Anfechtungsklagen in dieser
Instanz zunächst erfolglos. Die Aktionäre
hatten beanstandet, dass der Vorstand
einer Anwaltskanzlei, der ein Aufsichtsrats­
mitglied als Partner angehörte, Beratungs­
aufträge in größerem Umfang ohne vorhe­
rige Mitwirkung des Aufsichtsrats erteilt
und abgewickelt hatte. Der Aufsichtsrat des
Unternehmens hatte für solche Anwaltstä­
tigkeiten zwar ein Jahresbudget beschlos­
sen. Zu den einzelnen Tätigkeiten wurde
aber keine vorherige Zustimmung durch
das Gremium erteilt, obgleich die Aufträge
nach § 114 AktG der Zustimmung des Auf­
sichtsrats bedurften. Der Aufsichtsrat
wurde jeweils erst nachträglich, nach Bezahlung der Beratungshonorare, mit den
konkreten Mandaten befasst und hatte
diese dann genehmigt. Die in den ersten
drei Quartalen des Jahres erbrachten Zah­
lungen wurden damit erst im vierten Quar­
tal des Jahres durch Beschluss des Auf­
sichtsrats genehmigt. Angesichts des Hono­
rarvolumens für das betreffende Jahr von
knapp 1 Mio. EUR dürfte es sich um eine
größere Anzahl Mandate gehandelt haben,
mit denen die Kanzlei beauftragt worden
war. Vor diesem Hintergrund ist davon aus­
zugehen, dass eine vorherige Zustimmung
zu jedem einzelnen Mandat kaum prakti­
kabel war, jedenfalls aber zu einer starken
Erhöhung der Sitzungs- und Beschlussfre­
quenz des Aufsichtsrats geführt hätte. Die
Die Befassung des Aufsichtsrats erfolgte
nach Ansicht des Bundesgerichtshofs zu
spät. Er beurteilte die vorherige Auszahlung
der Vergütung für die nach § 114 AktG
zustimmungsbedürftigen Tätigkeiten ebenso wie die Vorinstanz als Verstoß gegen
§ 114 AktG und damit als Pflichtwidrigkeit
des Vorstands. Dabei bejahte der Bundesge­
richtshof auch eine Pflichtwidrigkeit des
Aufsichtsrats. Dieser habe sich ebenfalls
rechtswidrig verhalten, weil er die Verfah­
rensweise des Vorstands nicht beanstandet
hatte.
Ein Vorstand darf demnach gemäß § 114
Abs. 1 AktG grundsätzlich keine Honorare
an ein Aufsichtsratsmitglied zahlen, bevor
der Aufsichtsrat den zugrunde liegenden
Beratungsverträgen zugestimmt hat. Nach
Ansicht des Bundesgerichtshofs sei der
Regelungszweck von § 114 AktG in Zusam­
menhang mit demjenigen des § 113 AktG
zu sehen. Dieser stelle die Zahlung der Auf­
sichtsratsvergütung unter den Vorbehalt
einer Satzungsregelung oder Beschlussfas­
sung der Hauptversammlung. Dabei diene
§ 114 AktG in erster Linie einer Absiche­
rung vor Umgehungen des § 113 AktG.
Diese Absicherung werde nur erreicht, wenn
es dem Aufsichtsrat ermöglicht werde, geplante Vereinbarungen des Vorstands mit
Aufsichtsratsmitgliedern „präventiv“ darauf
zu überprüfen, ob sie tatsächlich in Über­
einstimmung mit dem gesetzlichen Gebot
des § 114 AktG nur Dienst- oder Werkleis­
tungen außerhalb der organschaftlichen
Tätigkeiten zum Gegenstand haben. •
Corporate Law Newsletter, Ausgabe 5 | 3. Quartal 2012
Rechtssprechung aktuell
Beratungsverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern im Fokus der Rechtsprechung
• Fortsetzung
Der dadurch bewirkte Zwang, den Bera­
tungsvertrag offenzulegen und dem Auf­
sichtsrat zur Zustimmung vorzulegen, soll
diesem nach Ansicht des Bundesgerichts­
hofs zugleich die Möglichkeit eröffnen,
sachlich ungerechtfertigte Sonderleistun­
gen der Aktiengesellschaft an einzelne Auf­
sichtsratsmitglieder – etwa in Form über­
höhter Vergütungen – zu verhindern. Damit
verfügt der Aufsichtsrat über ein wirksames
Instrumentarium, unsachliche und die neut­
rale und pflichtgemäße Erfüllung der Kont­
rollaufgabe gefährdende Beeinflussungen
von Aufsichtsratsmitgliedern zu erkennen
und zu verhindern. Diese Kontrolle ist nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesge­
richtshofs (vgl. hierzu BGH, Urteil vom
20. November 2006 - II ZR 279/05, BGHZ
170, 60 Rn. 8; Urteil vom 2. April 2007 - II ZR 325/05, ZIP 2007, 1056 Rn. 11)
auch dann geboten, wenn der Beratungs­
vertrag – wie im entschiedenen Fall – nicht
mit dem Aufsichtsratsmitglied persönlich,
sondern mit einer Gesellschaft abgeschlos­
sen wird, an welcher das Aufsichtsratsmit­
glied beteiligt ist. Voraussetzung ist in die­
sem Fall, dass dem Aufsichtsratsmitglied
aus der an die Gesellschaft geleisteten Ver­
gütung persönlich Vorteile entstehen, die
im Vergleich zur Aufsichtsratsvergütung
nicht völlig zu vernachlässigen sind. Auch
die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit
einer nachträglichen Genehmigung des
Beratungsvertrages nach § 114 Abs. 2
Satz 1 AktG besagt nach Ansicht des BGH
keineswegs, dass der Vorstand pflichtge­
mäß handele, wenn er dem Aufsichtsrats­
mitglied schon vor der Genehmigung des
Vertrages durch den Aufsichtsrat eine Ver­
gütung zahle. In solchen Fällen bezahle der
Vorstand rechtsgrundlos auf einen noch
nicht entstandenen Zahlungsanspruch, da
der Vertrag bis zur Entscheidung über die
Genehmigung schwebend unwirksam sei.
Die Frage einer Zustimmung durch den Auf­
sichtsrat sei zu diesem Zeitpunkt noch
offen, so dass eine Zahlung in Erwartung
einer Genehmigung des Aufsichtsrats regel­
mäßig unzulässig sei. An der Rechtswidrig­
keit einer solchen Vergütungszahlung
ändere sich nichts, wenn der Aufsichtsrat
den Vertrag anschließend genehmige.
11
Dass der Aufsichtsrat den Vertrag nachträg­
lich als unbedenklich einordne spiele ledig­
lich für das Entstehen des Vergütungsan­
spruchs des Aufsichtsratsmitglieds eine
Rolle. Dies ändere aber nichts daran, dass
die nach dem Gesetzeszweck erforderliche
präventive Kontrolle durch den Aufsichtsrat
zum Zeitpunkt der (rechtsgrundlosen) Ver­
gütungszahlung noch nicht stattgefunden
habe. Auch die fehlende Praktikabilität einer
vorherigen Zustimmung könne diese Über­
legungen nicht entkräften. In diesem Zusammenhang weist der Bundesgerichtshof
außerdem auf die Möglichkeit hin, die Ertei­
lung der Zustimmung nach § 114 AktG
einem Ausschuss zuzuweisen. Durch die
Übertragung einzelner Aufgaben auf Auf­
sichtsratsausschüsse wird eine schnelle und
vergleichsweise kurzfristige Beschlussfas­
sung ermöglicht.
Im Ergebnis war das Verhalten von Vor­
stand und Aufsichtsrat aber nach Ansicht
des Bundesgerichtshofs kein schwerer und
vor allem auch kein eindeutiger Gesetzes­
verstoß und führe deshalb nicht zur Anfechtbarkeit der Entlastungsbeschlüsse.
Da die Frage einer Anfechtbarkeit der
Beschlüsse aufgrund einer Auskunftsver­
weigerung offen geblieben war, verwies der
Bundesgerichtshof den Rechtsstreit zurück
an die Vorinstanz.
Bewertung
Mit dieser Entscheidung äußert sich der
Bundesgerichtshof zu praxisrelevanten
Aspekten des Verfahrens bei der Abwick­
lung von Verträgen, die dem Anwendungs­
bereich des § 114 AktG unterfallen. Dabei
blieben auch einige für die Praxis span­
nende Fragen offen. Hierzu zählt insbeson­
dere, ob eine nachträgliche Zustimmung
des Aufsichtsrats ausnahmsweise zulässig
ist, falls – wie im vorliegenden Fall – das Gre­
mium eine Gebührenobergrenze für Man­
date an bestimmte Aufsichtsratsmitglieder
oder deren Sozietäten festgelegt hatte. Aus
unserer Sicht ist dies zu verneinen, da sich
der Aufsichtsrat bei einer pauschalen Ober­
grenze weder über den Gegenstand der
konkreten Leistungen und damit die Abgrenzung zur Aufsichtsratstätigkeit noch
über die Angemessenheit der Gebühren
für den konkreten Einzelauftrag ein Urteil
machen kann.
Der Bundesgerichtshof hat ebenfalls offen
gelassen, ob Beratungsverträge mit verbun­
denen Unternehmen grundsätzlich – etwa
analog § 115 Abs. 1 Satz 2 AktG – in den
Anwendungsbereich des § 114 AktG fallen
(vgl. hierzu MünchKommAktG/Habersack,
3. Aufl., § 114 Rn. 16 f.; Hüffer, AktG,
10. Aufl., § 114 Rn. 2b). Jedenfalls in den
Schutzzweck des § 114 AktG fallen seiner
Ansicht nach Beratungsverträge von Auf­
sichtsratsmitgliedern mit von der Gesell­
schaft abhängigen Unternehmen, wenn
der Vorstand in der Lage ist, den Vertragsschluss mit dem abhängigen Unternehmen
zu beeinflussen.
Die Unternehmenspraxis wird sich nun dar­
auf einzustellen haben, dass Vergütungen
für Leistungen, die aufgrund von Verträgen
bezahlt werden, die dem Anwendungsbe­
reich des § 114 AktG unterfallen, erst nach
der Zustimmung des Aufsichtsrats erfolgen
dürfen. Daran ändert – unseres Erachtens
nach – die Festlegung einer Gebührenober­
grenze für Mandate an bestimmte Auf­
sichtsratsmitglieder oder deren Sozietäten
nichts. Falls allerdings Aufsichtsratsmitglie­
der auf der Grundlage eines schwebend
unwirksamen Vertrags in Vorleistungen
gehen und ihre Leistung erbringen, ist dies
nicht zu beanstanden. Dies erfolgt dann
aber auf eigenes Risiko.
Autoren
Dr. Christian Bosse
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Ernst & Young Law GmbH, Stuttgart
Telefon +49 711 9881 25772
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Yasmin von Khurja
Rechtsanwältin
Diplom-Kauffrau
Ernst & Young Law GmbH, Stuttgart
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Corporate Law Newsletter, Ausgabe 5 | 3. Quartal 2012
Vorzeitige Amtsbeendigung und gleichzeitige Wiederbestellung für die gesetzlich zulässige
Maximaldauer widerspricht nicht dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung
Rechtsprechung aktuell
Einverständliche Amtsniederlegung und sofortige Wiederbestellung
eines Vorstandsmitglieds
AktG § 84 Abs. 1
Die Wiederbestellung eines Vorstandsmit­
glieds für (höchstens) fünf Jahre nach ein­
verständlicher Amtsniederlegung früher als
ein Jahr vor Ablauf der ursprünglichen Bestelldauer ist grundsätzlich zulässig und
stellt auch dann, wenn für diese Vorgehens­
weise keine besonderen Gründe gegeben
sind, keine unzulässige Umgehung des
§ 84 Abs. 1 Satz 3 AktG dar. (amtl. Leit­
satz)
BGH, Urteil vom 17. Juli 2012 - II ZR
55/11 – Vorinstanzen: OLG Zweibrücken,
LG Frankenthal
Sachverhalt
Zu Mitgliedern des Vorstands der Aktienge­
sellschaft waren u. a. die Vorstände A und B
jeweils für die Zeit bis zum 21. Januar 2010
bestellt. Am 6. Juli 2007 beschloss der Auf­
sichtsrat einstimmig, die Bestellung der Vor­
standsmitglieder A und B einvernehmlich
aufzuheben und sie zugleich für die Dauer
von fünf Jahren erneut zu Mitgliedern des
Vorstands zu bestellen. Am folgenden Tag
fand eine Hauptversammlung der Beklagten
statt, auf der ein neuer Aufsichtsrat gewählt
wurde. In der Folgezeit scheiterte ein Ver­
such, die Vorstandsmitglieder A und B abzuberufen, an einer Pattsituation im neuen
Aufsichtsrat. Der Kläger ist Mitglied des
Aufsichtsrats der Gesellschaft und begehrt
die Feststellung der Nichtigkeit der Auf­
sichtsratsbeschlüsse vom 6. Juli 2007.
12
Inhalt der gesetzlichen Regelung
Gemäß § 84 Abs. 1 AktG kann der Auf­
sichtsrat Vorstandsmitglieder für eine Amts­
zeit von höchstens fünf Jahren bestellen.
Eine wiederholte Bestellung oder Verlänge­
rung der Amtszeit, jeweils für höchstens
fünf Jahre, ist zulässig. Sie bedarf eines
erneuten Aufsichtsratsbeschlusses, der frü­
hestens ein Jahr vor Ablauf der bisherigen
Amtszeit gefasst werden kann.
Die im vorliegenden Fall gewählte Vorgehensweise, durch einvernehmliche Amtsnieder­
legung vor dem vom Gesetz gewählten Zeit­
punkt, d.h. ein Jahr vor Ablauf der bisheri­
gen Amtszeit, die Amtszeit zu verlängern,
war in Rechtsprechung und juristischem
Schrifttum umstritten. Von der Vorinstanz
und zahlreichen Autoren im Schrifttum
wurde darin ein Verstoß gegen § 84 Abs. 1
AktG oder jedenfalls eine unzulässige Geset­
zesumgehung gesehen. Andere hielten
dagegen einen solchen Bestellungsbe­
schluss für zulässig. Zum Teil wurde mit
Verweis auf Ziffer 5.1.2 des Deutschen Cor­
porate Governance Kodex (DCGK) das Vor­
liegen besonderer Gründe für eine solche
Verfahrensweise gefordert.
Die Entscheidung des BGH
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seiner
Entscheidung eindeutig Stellung bezogen
und die Wiederbestellung eines Vorstands­
mitglieds für (höchstens) fünf Jahre nach
einverständlicher Amtsniederlegung früher
als ein Jahr vor Ablauf der ursprünglichen
Bestelldauer als grundsätzlich zulässig
erklärt. Nach Auffassung des entscheiden­
den Senats stelle dies auch dann, wenn für
diese Vorgehensweise keine besonderen
Gründe gegeben sind, keine unzulässige
Umgehung des § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG dar.
In seiner Begründung orientiert sich der
BGH eng am Wortlaut des § 84 Abs. 1 AktG:
Die einvernehmliche Aufhebung der Bestel­
lung habe zu einer Beendigung der „bisheri­
gen Amtszeit” geführt. Unter Berufung auf
die Gesetzesbegründung führt der BGH aus,
dass durch § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG ledig­
lich sichergestellt werden solle, dass der
Aufsichtsrat zumindest alle fünf Jahre einen
Beschluss über die wiederholte Bestellung
oder Verlängerung der Amtszeit der Vor­
standsmitglieder fasst. Die hier zu beurtei­
lende Wiederbestellung für fünf Jahre nach
einverständlicher Amtsniederlegung wider­
spreche dem nicht. Auch komme es zu kei­
ner Bindung der Aktiengesellschaft an ein
Vorstandsmitglied für länger als fünf Jahre
und damit nicht zu wirtschaftlich untragba­
ren Belastungen, etwa dadurch, dass die
Gesellschaft bei vorzeitiger Beendigung die
gesamte Restlaufzeit des Vorstandsdienst­
vertrages vergüten müsste. Tatsächlich
lasse das Gesetz durch die Regelung des
§ 84 Abs. 1 Satz 3 AktG sogar eine längere
Bindung, nämlich sechs Jahre, zu. Der BGH
stellt auch klar, dass der „alte“ Aufsichtsrat
seinen Nachfolger, den „neuen“ Aufsichts­
rat, im Rahmen der gesetzlichen Regelung
binden kann: Der „neue“ Aufsichtsrat
müsse den Vorstand so akzeptieren, wie ihn
der alte Aufsichtsrat bestellt habe. Anhalts­
punkte für eine treuwidrige Umgehung sah
der BGH nicht. •
Corporate Law Newsletter, Ausgabe 5 | 3. Quartal 2012
Rechtssprechung aktuell
Einverständliche Amtsniederlegung und sofortige Wiederbestellung eines Vorstandsmitglieds
• Fortsetzung
Praxis
Der BGH stellt mit seiner Entscheidung von
hoher praktischer Bedeutung in einer umstrittenen Frage klar, dass eine vorzeitige
Amtsbeendigung und gleichzeitige Wieder­
bestellung von Vorstandsmitgliedern für die
gesetzlich zulässige Maximaldauer von fünf
Jahren nicht dem Sinn und Zweck der
gesetzlichen Regelung widerspricht. Zwar
hatte der BGH einen Fall der vorzeitigen
Amtsbeendigung durch „einverständliche
Amtsniederlegung“ zu entscheiden; es kann
jedoch vor dem Hintergrund der tragenden
Urteilsbegründung mit dem Normzweck des
§ 84 Abs. 1 Satz 3 AktG und dem Verzicht
des BGH auf das Erfordernis „eines beson­
deren Grundes“ davon ausgegangen wer­
den, dass auch eine „vorzeitige Abberu­
fung“ der Vorstandsmitglieder und Wieder­
bestellung für die Maximaldauer künftig
zulässig ist.
Die im vorliegenden Fall offensichtlich ange­
strebte Bindung des nachfolgenden Auf­
sichtsrats sieht der BGH jedenfalls als nicht
rechtsmißbräuchlich an. Börsennotierte
Aktiengesellschaften haben allerdings die
Empfehlung in Ziffer 5.1.2 des DCGK zu
berücksichtigen, wonach eine Wiederbestel­
lung vor Ablauf eines Jahres vor dem Ende
der Bestelldauer bei gleichzeitiger Aufhe­
bung der laufenden Bestellung nur bei Vor­
liegen besonderer Umstände erfolgen soll.
Autoren
Dr. Nicole Franke
Rechtsanwältin
Ernst & Young Law GmbH, Düsseldorf
Telefon +49 211 9352 23800
[email protected]
Dr. Philipp Grenzebach
Rechtsanwalt
Ernst & Young Law GmbH, Düsseldorf
Telefon +49 211 9352 16256
[email protected]
13
Corporate Law Newsletter, Ausgabe 5 | 3. Quartal 2012
§ 30 Abs. 1 S. 1 GmbHG verbietet der Gesellschaft, das Gesellschaftsvermögen an die Gesellschafter auszubezahlen, wenn das Stammkapital der Gesellschaft nicht durch Gesellschaftsvermögen gedeckt ist
Rechtsprechung aktuell
Verweigerung einer Auszahlung von gebundenem Kapital nach dem Ausscheiden
eines Gesellschafters
Das Urteil des OLG Hamburg
(11 U 135/ 11) vom 27.07.2012 betrifft
die Verweigerung einer Auszahlung von
nach § 30 Abs. 1 S. 1 GmbHG gebunde­
nem Kapital nach dem Ausscheiden eines
Gesellschafters.
Leitsätze
• Auch nach dem formalen Ausscheiden
eines Gesellschafters kann die GmbH
eine Auszahlung nach § 30 Abs. 1
S. 1 GmbHG verweigern, wenn die
Forderung im Zusammenhang mit
dem Ausscheiden begründet wurde
• Die Stundung einer Forderung, die
vom Auszahlungsverbot des § 30
Abs. 1 S. 1 GmbHG erfasst wird, ist
keine Rechtshandlung, die einem
Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich
entspricht (§ 30 Abs. 1 S. 3 GmbHG)
Praxisrelevanz
Das Auszahlungsverbot gem. § 30 Abs. 1
S. 1 GmbHG verbietet der Gesellschaft, das
Gesellschaftsvermögen an die Gesellschaf­
ter auszuzahlen, wenn das Stammkapital
der Gesellschaft nicht durch Gesellschafts­
vermögen gedeckt ist. Das OLG Hamburg
präzisiert in seinem Urteil die Reichweite
des Verbotes selbst sowie den Anwendungs­
bereich der Ausnahmetatbestände (i) voll­
wertiger Gegenleistungsanspruch und (ii)
Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens.
14
Rechtlicher Rahmen
Das Urteil des OLG Hamburg hatte eine Ver­
einbarung zum Gegenstand, welche die
Beklagte, einen Kurierdienst, zur Zahlung
von 10.000 € für eine bereits beurkundete,
aber eventuell schwebend unwirksame
Übertragung von Geschäftsanteilen an den
ausgeschiedenen Gesellschafter verpflich­
tete. Die Beklagte verweigerte die Zahlung
der vorübergehend gestundeten Forderung
aufgrund des Auszahlungsverbotes nach
§ 30 Abs. 1 S. 1 GmbHG unter Berufung auf
das Vorliegen einer Unterbilanz.
Das OLG Hamburg erkannte mit Urteil vom
27.07.2012 grundsätzlich das Bestehen
des Zahlungsanspruches an, obwohl die
Gesellschaft im Ergebnis eine Verpflichtung
des ausscheidenden Gesellschafters erfüllte. Es verneinte jedoch mit der Feststel­
lung der Anwendbarkeit des Auszahlungs­
verbotes im vorliegenden Fall dessen Durch­
setzbarkeit, da die Gesellschaft an der
Auszahlung gemäß § 30 Abs. 1 S.1 GmbHG
– wegen der bestehenden Unterbilanz –
gehindert sei. Das Auszahlungsverbot gilt
auch im Verhältnis zum ehemaligen Gesell­
schafter, wenn wie vorliegend die Forderung
unmittelbar im Zusammenhang mit dem
Ausscheiden begründet wird. Daher sei
auch derjenige noch als Gesellschafter i.S.d.
§ 30 Abs. 1 S. 1 GmbHG zu behandeln, dem
während der Zugehörigkeit zur Gesellschaft
eine Leistung zugesagt worden ist, die erst wie hier deutlich nach seinem Ausscheiden
erbracht wird. Im vorliegenden Fall war dies
evident, da die Abtretung der Geschäftsan­
teile erst anlässlich der Verpflichtung der
Gesellschaft zur Zahlung rückwirkend
genehmigt wurde – das OLG hat gleichwohl
für die Begründung einen generellen Ansatz
gewählt.
Eine Auszahlung ist auch nicht auf Basis
der Ausnahmeregelungen gem. § 30 Abs. 1
S. 2, 3 GmbHG n.F. (nach MoMiG) zulässig.
Diese sind, obwohl die Zahlungsvereinba­
rung vor Einführung des MoMiG und damit
zu einem Zeitpunkt in dem Ausnahmerege­
lungen gesetzlich nicht vorgesehen waren
(Vgl. § 30 GmbHG a.F.) getroffen wurden,
grundsätzlich anwendbar (BGH NJW 2012,
682). „Alte“ eigenkapitalersetzende Darle­
hen können daher von den Gesellschaftern
grundsätzlich auf Basis der Neuregelungen
(bilanzielle Betrachtungsweise) zurückge­
führt werden.
Die Ausnahmetatbestände waren vorlie­
gend aber inhaltlich nicht einschlägig, was
im Hinblick auf den ersten Ausnahmetatbe­
stand „Vorliegen eines vollwertigen Gegen­
leistungsanspruchs“, der in erster Linie
Cash-Pool-Systeme ermöglichen soll, auf­
grund des Sachverhalts auf der Hand lag.
Der Gesellschaft stand weder gegen den
ehemaligen Gesellschafter noch den, mittel­
bar profitierenden, aktuellen Gesellschafter
ein Gegenleistungsanspruch zu. Bei Letzte­
rem wäre schon nach der Regierungsbe­
gründung fraglich, ob dieser überhaupt aus­
reichen würde – nach dem Sachverhalt
bestand er im Einzelfall nicht. •
Corporate Law Newsletter, Ausgabe 5 | 3. Quartal 2012
Rechtssprechung aktuell
Verweigerung einer Auszahlung von gebundenem Kapital nach dem Ausscheiden eines Gesellschafters
• Fortsetzung
Der zweite Ausnahmefall „Rückgewähr
eines Gesellschafterdarlehens bzw. auf Leis­
tungen, die einem Darlehen wirtschaftlich
entsprechen“, war nach Ansicht des OLG
ebenfalls nicht gegeben. Zwar habe das
MoMiG an der Einordnung einer Stundung
als einem Darlehen entsprechender Leis­
tung nichts geändert (nach altem Recht
wurde die Stundung einer Forderung eines
Gesellschafters wie ein eigenkapitalerset­
zendes Darlehen behandelt), zusätzliche
Voraussetzung für den Ausnahmetatbe­
stand des § 30 Abs. 1 S. 3 GmbHG sei
jedoch, dass die gestundete Forderung aus
einem Verkehrsgeschäft stamme und der
Forderung eine gleichwertige Leistung an
die Gesellschaft gegenübersteht. Nur wenn
der Gesellschafter eine solche Forderung
stundet, wird aus der Forderung mittels
der Stundung ein – auch im Falle der Unter­
bilanz – rückzahlbares „Gesellschafterdarle­
hen“. Vorliegend basierte die Forderung auf
dem (ehemaligen) Gesellschaftsverhältnis,
so dass die Stundung nicht zu einem nach
§ 30 Abs.1 S. 3 GmbHG privilegierten
Gesellschafterdarlehen führen konnte.
Fazit
Das OLG Hamburg betritt mit dem Urteil kein Neuland – dass aus einer verbotenen Auszahlung nicht durch eine Stundung eine erlaubte Auszahlung werden kann, dürfte nicht
überraschen. Das Urteil zeigt aber deutlich, dass die Gerichte im Zweifel zu einer exten­
siven Auslegung des „Gesellschafters“ im Zusammenhang mit nach § 30 GmbHG ver­
botenen Zahlungen tendieren. Ausreichend sind insoweit alle Zahlungen, die auf der
ehemaligen Mitgliedschaft „beruhen“. Will ein Gesellschafter gegen Abfindung aus einer
– kapitalschwachen – GmbH ausscheiden, sollte diese Tendenz immer berücksichtigt
werden. Ein Insolvenzverwalter wird auf Basis dieser Rechtsprechung alle Zahlungen an
Altgesellschafter zurückfordern, die auch nur ansatzweise mit der ehemaligen Gesell­
schafterstellung in Verbindung zu bringen sind. Der ausscheidende Gesellschafter sollte
daher darauf bestehen, dass eine etwaige Abfindung für zu übertragende Geschäftsan­
teile von den verbleibenden Gesellschaftern geleistet oder jedenfalls von diesen, über
den Zeitpunkt der Zahlung hinaus, abgesichert wird.
Autoren
Jan Schulz
Rechtsanwalt
Ernst & Young Law GmbH, Hamburg
Telefon +49 40 26132 17511
[email protected]
Ilja Schneider
Rechtsanwalt
Ernst & Young Law GmbH, Hamburg
Telefon +49 40 36132 25778
[email protected]
15
Corporate Law Newsletter, Ausgabe 5 | 3. Quartal 2012
Verschmelzungsrechtlicher Squeeze Out verstößt nicht gegen Art. 14 GG
Rechtsprechung aktuell
Leichter Verschmelzen
Die Übernahme von Unternehmen ist
einfacher geworden. Beim umwandlungs­
rechtlichen Squeeze Out reichen
90 Prozent der Aktien, bestätigt ein
wichtiges Urteil.
Minderheitsaktionäre sollen leichter aus
einer Aktiengesellschaft ausgeschlossen
werden können, um so den Weg zu einer
Verschmelzung mit der Mehrheitsgesell­
schafterin freizumachen. Zu diesem Zweck
hat die Regierungskoalition in Berlin das
Dritte Umwandlungsänderungsgesetz
beschlossen, in dem die Schwelle zum Aus­
schluss von Minderheitsaktionären sinkt.
Beim sogenannten Squeeze-Out-Merger
reichen dem übernehmenden Unternehmen
nur noch 90 Prozent der Aktien statt der
sonst nötigen 95 Prozent, um die übrigen
Anteilseigner herauszukaufen. Die gesetz­
liche Änderung erfolgte vor einem Jahr.
Inzwischen hat sich auch Justitia mit der
Neuerung beschäftigt – und die 90-ProzentSchwelle bestätigt.
Das Oberlandesgericht Hamburg befasste
sich mit der Zulässigkeit des in § 65 Abs. 5
Umwandlungsgesetz geregelten Verfahrens
zum Ausschluss von Minderheitsaktionären
im Rahmen einer Verschmelzung (OLG
Hamburg vom 14.06.2012, Az.: 11 AktG
1/12). Gegenstand des Verfahrens war der
Freigabeantrag einer börsennotierten Akti­
engesellschaft nach § 246a Aktiengesetz.
16
Diese wollte den Ausschluss von Minder­
heitsaktionären beim verschmelzungsrecht­
lichen Squeeze Out eintragen lassen, so wie
es die Hauptversammlung zuvor beschlos­
sen hatte. Ein Aktionär erhob jedoch Anfechtungsklage. Nach Ansicht des Aktionärs
verstieß der verschmelzungsrechtliche
Squeeze Out gegen Artikel 14 Grundgesetz.
Dies war nach Einführung des regulären
Squeeze Out ein oft erhobener Einwand in
Anfechtungsprozessen gewesen; allerdings
hatten sowohl der Bundesgerichtshof
(BGH vom 25.07.2005 Az.: II ZR 327/03)
und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG vom 30.05.2007 1 BvR 390/04)
dies verneint.
Legitimes Interesse
Unter Bezugnahme auf die beiden höchst­
richterlichen Entscheidungen sah nun das
OLG Hamburg keine Verfassungswidrigkeit
beim verschmelzungsrechtlichen Squeeze
Out. Die Hamburger Richter stellten fest,
dass auch die auf 90 Prozent abgesenkte
Mindestbeteiligung des Hauptaktionärs
keine andere Bewertung erfordere. Anteile
von bis zu zehn Prozent würden Minder­
heitsaktionären keine Einwirkungsmöglich­
keiten auf die Unternehmensführung ein­
räumen. Es gebe überdies ein legitimes
Interesse, per verschmelzungsrechtlichem
Squeeze Out die Konzernstruktur zu verein­
fachen und zu ordnen. Und durch die
Sicherstellung eines angemessenen Werter­
satzes für den Verlust des Eigentums seien
die Interessen der Minderheitsaktionäre
gewahrt, urteilte das OLG Hamburg.
Von der GmbH zur AG
In dem Verfahren vor dem Oberlandesge­
richt ging es auch um den Vorwurf des
Rechtsmissbrauchs, da die Mehrheitsgesell­
schafterin erst unmittelbar vor Einleitung
des Squeeze-Out-Verfahrens von einer
GmbH zur AG umfirmierte. Dieser Schritt
war zwingende Voraussetzung für das
Verfahren, da eine GmbH – anders als eine
AG – keine gesetzlich vorgesehene Rechts­
form beim umwandlungsrechtlichen
Squeeze out ist. Trotz des unmittelbaren
zeitlichen Zusammenhangs der beiden
Strukturmaßnahmen verneinte das OLG
einen Rechtsmissbrauch. Das Gericht
befand, dass der umwandlungsrechtliche
Squeeze Out der Vereinfachung von Kon­
zernstrukturen diene, weshalb der vorhe­
rige Formwechsel zur Schaffung der Vor­
aussetzungen nicht zu beanstanden sei.
Damit befinden sich die hanseatischen
Richter auf der Linie des Bundesgerichts­
hofs. Dieser hatte in einer grundlegenden
Entscheidung aus dem Jahr 2009 zum
regulären Squeeze Out entschieden, dass
die Frage eines Rechtsmissbrauchs nicht
allein anhand der Ziele des Vorgehens,
sondern nur in Relation zu der gesetzgebe­
rischen Zielsetzung beurteilt werden könne
(BGH v. 16.3.2009, Az: II ZR 302/06). •
Corporate Law Newsletter, Ausgabe 5 | 3. Quartal 2012
Rechtssprechung aktuell
Leichter Verschmelzen
• Fortsetzung
Fazit
Das Urteil des OLG Hamburg klärt einige
wichtige Fragen zum Verfahren des
umwandlungsrechtlichen Squeeze Out
und leistet einen Beitrag zur Rechtssi­
cherheit. Unternehmen dürften auch
weiterhin von diesem Verfahren regen
Gebrauch machen.
Drei Wege zur Übernahme
• Der aktienrechtliche Squeeze Out erfordert mindestens 95 Prozent des Stamm­kapitals (die auch indirekt gehalten werden können) und einen Beschluss auf der
Hauptversammlung (§§ 327a ff. Aktiengesetz).
• Der übernahmerechtliche Squeeze Out sieht ebenfalls mindestens 95 Prozent des
Stammkapitals vor, es sind aber keine Hauptversammlung, keine Unternehmensbewertung und keine Angemessenheitsprüfung notwendig (§§ 39a ff. Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz).
• Der umwandlungsrechtliche Squeeze Out setzt mindestens 90 Prozent des
Stammkapitals in einer Hand voraus und muss mit einer Verschmelzung der
Aktiengesellschaft auf die Hauptaktionärin als Upstream-Merger verbunden sein
(§ 62 Abs. 5 Umwandlungsgesetz).
Autoren
Dr. Christian Bosse
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Ernst & Young Law GmbH, Stuttgart
Telefon +49 711 9881 25772
[email protected]
17
Dr. Achim Grothaus
Rechtsanwalt
Ernst & Young Law GmbH, Berlin
Telefon +49 30 25471 21195
[email protected]
Corporate Law Newsletter, Ausgabe 5 | 3. Quartal 2012
Die Angemessenheitsvermutung des § 39 a Abs. 3 S. 3 WpÜG hält verfassungsrechtlichen
Bedenken stand
Rechtsprechung aktuell
Erfüllung der 90 %-Schwelle bei übernahmerechtlichem Squeeze-out
(Beschluss des OLG Frankfurt/Main vom 21.05.2012, Az.: WpÜG 10/11)
Mit wesentlichen Fragen zur Berechnung
bzw. Erfüllung der 90 %-Schwelle beim
übernahmerechtlichen Squeeze-out setzte
sich jüngst das OLG Frankfurt/Main in
einem Beschluss vom 21.05.2012
(Az.: WpÜG 10/11) ausführlich ausein­
ander. Entscheidungen zum übernahme­
rechtlichen Squeeze-out sind vergleichs­
weise selten. Der zu besprechende Beschluss des OLG Frankfurt/Main konkretisiert in für die Praxis besonders hilfreicher
Weise die Voraussetzungen, unter denen
die 90 %-Schwelle beim übernahmerecht­
lichen Squeeze-out erreicht wird. Letzere
ist Voraussetzung für das Eingreifen
der Angemessenheitsvermutung nach
§ 39 a Abs. 3 Satz 3 WpÜG, welche den
übernahmerechtlichen Squeeze-out zu
einer kosten- und zeitsparenden Alternative
gegenüber dem aktienrechtlichen Squeezeout macht. Der Beschluss des OLG Frank­
furt/Main vom 21.05.2012 und seine Kon­
sequenzen für die Strukturierung der Über­
nahme börsennotierter Unternehmen
sollten bei entsprechenden Planungen
berücksichtigt werden.
Mehrheitsaktionäre einer Aktiengesellschaft können Minderheitsaktionäre im
Wege des aktienrechtlichen Squeeze-out
(§§ 327 a ff. Aktiengesetz oder AktG)
gegen Abfindung aus der Gesellschaft aus­
schließen. Soweit es sich um eine börsen­
notierte Gesellschaft handelt, besteht
da­neben unter den Voraussetzungen der
§§ 39a ff. Wertpapiererwerbs- und Über­
nahmegesetz (WpÜG) die Möglichkeit, im
18
Nachgang zu einem öffentlichen Über­
nahme- oder Pflichtangebot einen soge­
nannten „übernahmerechtlichen Squeezeout“ durchzuführen.
In beiden Fällen ist Voraussetzung, dass
dem Mehrheitsaktionär im Zeitpunkt der
Einleitung des Squeeze-out-Verfahrens
mehr als 95 % des Grundkapitals der betrof­
fenen Gesellschaft gehören und den auszu­
schließenden Minderheitsaktionären eine
angemessene Abfindung für das Aktienei­
gentum gezahlt wird. Den übernahmerecht­
lichen Squeeze-out muss der Mehrheitsakti­
onär innerhalb von drei Monaten nach
Ablauf der Annahmefrist des vorausgehen­
den Übernahme- oder Pflichtangebots beim
Landgericht Frankfurt beantragen. Für den
aktienrechtlichen Squeeze-out ist ein
Beschluss der Hauptversammlung der
Gesellschaft notwendig, mit dem auch über
die Höhe der Abfindung zu entscheiden ist,
die an die Minderheitsaktionäre zu zahlen
ist. Dieser Hauptversammlungsbeschluss
kann von Minderheitsaktionären gerichtlich
angefochten werden und schließlich in
einem langwierigen Spruchverfahren über
die Angemessenheit der beschlossenen
Abfindung enden.
Der übernahmerechtliche Squeeze-out
(mittels der Angemessenheitsvermutung
des § 39a Abs. 3 S. 3 WpÜG) bietet hinge­
gen den entscheidenden Vorteil, dass es
eines Beschlusses der Hauptversammlung
der betroffenen Gesellschaft nicht bedarf.
Vor allem aber ist die im Rahmen des
öffentlichen Übernahme- oder Pflichtange­
bots gewährte Gegenleistung als angemes­
sene Abfindung anzusehen, wenn der spä­
tere Mehrheitsaktionär Aktien in Höhe von
mindestens 90 % des vom Angebot betroffe­
nen Grundkapitals aufgrund besagten Ange­
bots erworben hat. Unter diesen Vorausset­
zungen sind kostenträchtige Sachverständi­
gengutachten und zeitaufwendige Spruchverfahren über die Angemessenheit zu zah­
lender Abfindungen nicht notwendig. Dies
war – wie das OLG Frankfurt/Main ausdrück­
lich betont – auch die Vorstellung des Gesetzgebers, der erfolgreichen Bietern mit
dem übernahmerechtlichen Squeeze-out
eine im Verhältnis zum aktienrechtlichen
Ausschlussverfahren schnellere und kosten­
günstigere Möglichkeit an die Hand geben
wollte, noch verbliebene Minderheitsaktio­
näre auszuschließen – nicht zuletzt um
Umstrukturierungen zu erleichtern.
Das OLG Frankfurt/Main behandelt in
seinem Beschluss vom 21.05.2012
(Az.: WpÜG 10/11) nun wesentliche
Fragen zur Berechnung bzw. Erfüllung
besagter 90 %-Schwelle. Es kommt zu
dem Ergebnis, dass in die Berechnung der
90 %-Schwelle auch Parallelerwerbe über
die Börse und von Organmitgliedern einbe­
zogen werden können, vorausgesetzt diese
Erwerbe sind kausal mit dem Angebot ver­
knüpft. Entscheidend für diese kausale Verknüpfung soll sein, dass die fraglichen
Aktien ohne das Übernahmeangebot nicht
erworben worden wären. Dies ist grundsätz­
lich ein sehr offener Maßstab. •
Corporate Law Newsletter, Ausgabe 5 | 3. Quartal 2012
Rechtssprechung aktuell
Erfüllung der 90 %-Schwelle bei übernahmerechtlichem Squeeze-out
• Fortsetzung
Eine zeitliche Einschränkung auf Erwerbe,
die während der Annahmefrist des öffentli­
chen Übernahmeangebots getätigt werden,
wie in der Literatur teilweise bisher vertre­
ten, nimmt das OLG Frankfurt/Main dabei
ausdrücklich nicht vor. Die gesetzliche
Regelung sehe eine solche zeitliche Ein­
schränkung gerade nicht vor.
Zwar konnte das OLG Frankfurt/Main die
Frage, ob sogar solche Aktien in die Berech­
nung der 90 %-Schwelle einbezogen werden
können, die erst nach Ablauf der weiteren
Annahmefrist oder sogar nach Stellung des
Squeeze-out-Antrags erworben werden,
ausdrücklich offenlassen. Die Schwellen­
werte wurden im konkreten Fall auch ohne
derart erworbene Aktien erreicht.
Laut OLG Frankfurt/Main spricht aber für
eine Einbeziehung in die Berechnung der
90 % Schwelle, dass auch solche Aktien
wegen des Angebots erworben wurden und
damit die allein notwendige kausale Ver­
knüpfung mit dem Übernahmeangebot
besteht. Außerdem könnten gemäß
§ 39 c WpÜG solche Aktionäre, die das
öffentliche Übernahmeangebot ursprüng­
lich nicht angenommen haben, noch für
einen Zeitraum von 3 Monaten nach Ablauf
der Annahmefrist das Übernahmeangebot
annehmen. Damit werde das Übernahmean­
gebot für einen erheblichen Zeitraum nach
der ursprünglichen Annahmefrist als fortbe­
stehend fingiert. Dies könnte als kausale
Verknüpfung im Sinne der Berechnung der
90 %-Schwelle schon ausreichen, wenn dar­
aufhin Aktien erworben würden.
Auch im Hinblick auf die Ausschlussschwelle
von 95 %, deren Erreichen erste Vorausset­
zung ist für die Möglichkeit, das Verfahren
des übernahmerechtlichen Squeeze-out
überhaupt einzuleiten, sieht der Wortlaut
des Gesetzes laut Beschluss des OLG Frank­
furt/Main keine Einschränkung derart vor,
dass nur Parallelerwerbe in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Angebot
einbezogen werden könnten. Ein solcher
19
Zusammenhang sei lediglich in der Geset­
zesbegründung allgemein angesprochen,
dort aber nicht weiter konkretisiert worden.
Da der Squeeze-out-Antrag gemäß § 39 a
Abs. 1 WpÜG ohnehin binnen einer kurzen
zeitlichen Frist von drei Monaten nach
Ablauf der Annahmefrist gestellt werden
müsse, besteht laut OLG Frankfurt/Main
kein Anlass, zusätzlich eine weitere Frist
vorzusehen, innerhalb derer die 95 %Schwelle erreicht sein müsse. Dies bedeutet
konkret, dass der Schwellenwert von 95 %
auch unter Einbeziehung von Aktien
erreicht werden kann, die erst nach Ablauf
der Annahmefrist oder der weiteren Annah­
mefrist des öffentlichen Übernahmeange­
bots erworben worden sind.
Schließlich betont das OLG Frankfurt/Main,
dass die gesetzliche Regelung des übernah­
merechtlichen Squeeze-out nicht gegen die
Eigentumsgarantie des Art. 14 GG ver­
stoße, sondern verfassungsrechtlich unbe­
denklich sei.
Gerade im Hinblick auf die Angemessen­
heitsvermutung des § 39 a Abs. 3 Satz 3
WpÜG hat dies auch jüngst das Bundesver­
fassungsgericht in seinem Beschluss vom
16.05.2012 (BVerfG, 3. Kammer des
Ersten Senats, Az. 1 BvR 96/09; 1 BvR
117/09, 1 BvR 118/09, 1 BvR 128/09,
veröffentlicht ZIP 2012, 1408) bestätigt.
Die gesetzliche Vermutung, dass das Über­
nahmeangebot im Fall seiner Annahme
durch mehr als 90 % des Grundkapitals den
Aktionären eine dem Verkehrswert ihrer
Aktien entsprechende Entschädigung ver­
schaffe (auch als „Markttest“ bezeichnet),
sei verfassungsrechtlich nicht zu bestan­
den. Im Übrigen bestehe aus verfassungs­
rechtlicher Sicht gerade keine Verpflich­
tung, bei Ermittlung des im Sinne von Art.
14 GG angemessenen Unternehmenswertes
stets jede denkbare Methode der Unterneh­
mensbewertung anzuwenden. •
Corporate Law Newsletter, Ausgabe 5 | 3. Quartal 2012
Rechtssprechung aktuell
Erfüllung der 90 %-Schwelle bei übernahmerechtlichem Squeeze-out
• Fortsetzung
Die gesetzliche Vermutung der Angemes­
senheit der Gegenleistung beruht darauf,
dass beim übernahmerechtlichen Squeezeout zwingend in zeitlich kurzer Frist vor dem
Ausschlussverfahren ein überwältigender
Markttest gerade in Bezug auf den konkre­
ten Angebotspreis stattgefunden hat und
eine große Zahl unabhängiger Marktteilneh­
mer zum Preis des Übernahmeangebots
jeweils unabhängig voneinander Desinves­
titionsentscheidungen getroffen haben.
Wenn das Übernahmeangebot von 90 % des
vom Angebot betroffenen Grundkapitals
angenommen wird, kann nach der Lebens­
erfahrung grundsätzlich kein Zweifel daran
bestehen, dass das Angebot jedenfalls aus
Sicht der weit überwiegenden Mehrheit den
Unternehmenswert angemessen widerspie­
gelt.
Unter diesen besonderen Umständen ist es
laut Bundesverfassungsgericht verfassungsrechtlich unbedenklich, im Rahmen der Ver­
mutung nach § 39a Abs. 3 WpÜG allein auf
diesen Markttest abzustellen und daraus die
Angemessenheit des Angebots im Sinne
von Artikel 14 GG abzuleiten. Es bedarf in
diesen Fällen keiner weiteren Überprüfung
des angebotenen und offensichtlich für
angemessen empfundenen Angebotsprei­
ses. Die Bewertung durch einen Sachver­
ständigen wird aus Vereinfachungsgründen
durch den Markttest ersetzt, nicht zuletzt
weil laut OLG Frankfurt/Main ein Bewer­
tungsverfahren in diesen Fällen gegenüber
dem Markttest keinen überlegenen Erkennt­
niswert für sich in Anspruch nehmen könne.
Auch das Bundesverfassungsgericht betont,
dass eine Unternehmensbewertung – wie
20
die Ertragswertmethode – in diesen Fällen
keine „richtigeren Ergebnisse zeitigt als der
Markttest“.
Insgesamt zeigt der Beschluss des OLG
Frankfurt/Main ein vergleichsweise weites
Verständnis der gesetzlichen Vorschriften,
soweit es um die Berechnung der maßgebli­
chen Schwellenwerte geht. Dies ist für die
Praxis von besonderer Relevanz, weil auf
diese Weise der 90 %-Schwellenwert der
Angemessenheitsvermutung nach § 39 a
Abs. 3 Satz 3 WpÜG häufiger erreicht wer­
den dürfte als bisher angenommen.
Im Ergebnis erweitert sich damit das poten­
tielle Anwendungsfeld des übernahmerecht­
lichen Squeeze-out. Die Entscheidung des
OLG Frankfurt/Main sollte dazu ermutigen,
den übernahmerechtlichen Squeeze-out als
schnelleres und kostengünstigeres Instru­
ment zum Ausschluss verbliebener Minder­
heitsaktionäre schon im Rahmen der Struk­
turierung der Übernahme von börsennotier­
ten Unternehmen in den Blick zu nehmen –
nicht zuletzt bestärkt durch die Bestätigung
des Bundesverfassungsgerichts, dass die
Angemessenheitsvermutung des § 39 a
Abs. 3 S. 3 WpÜG verfassungsrechtlichen
Bedenken Stand hält.
Autor
Frank Schäfer, LL.M.
Rechtsanwalt
Ernst & Young Law GmbH, Hannover
Telefon +49 511 8508 23755
[email protected]
Corporate Law Newsletter, Ausgabe 5 | 3. Quartal 2012
Rechtsprechung aktuell
Corporate Mobility: Kleiderwechsel beim Gang über die Grenze
Der Europäische Gerichtshof
(Rs. C-378/10, „VALE Építési kft“) hat
mit seinem Urteil vom 12. Juli 2012 die
grundsätzliche Zulässigkeit eines Rechtsformwechsels über die Grenze innerhalb
der EU bestätigt. Unternehmen können
damit ohne Auflösung und Liquidation
ihren Satzungssitz ins EU-Ausland ver­
legen und dort das „Rechtskleid“ einer
nach dem Recht des Aufnahmestaates
bestehenden Gesellschaftsform „anzie­
hen“.
Bisherige Rechtslage
Seit dem 1. November 2008 können deut­
sche Aktiengesellschaften und Gesellschaf­
ten mit beschränkter Haftung den Sitz ihrer
tatsächlichen Verwaltung ins Ausland verle­
gen. Diese Änderung des deutschen Rechts
beruhte auf den Entscheidungen des Euro­
päischen Gerichtshofs in Sachen Centros
(1999), Überseering (2002) und Inspire
Art (2003).
Der Satzungssitz, also der Ort, an dem
deutsche Kapitalgesellschaften im Handels­
register eingetragen sind, muss dagegen
gemäß §§ 4a GmbHG, 5 AktG zwingend im
deutschen Inland liegen. In Sachen Cartesio
(2008) hatte der Europäische Gerichtshof
entschieden, dass die Verlegung des Sat­
zungssitzes ohne gleichzeitigen Wechsel in
eine Gesellschaftsform des Zuzugsstaates
nicht von der europarechtlich garantierten
Niederlassungsfreiheit gedeckt ist. Dement­
21
sprechend führt ein solcher Wegzug einer
deutschen Gesellschaft ins Ausland unter
Verlegung des Satzungssitzes, jedoch ohne
Wechsel in eine Gesellschaftsform des
Zuzugsstaates, zur Auflösung und Liquida­
tion der Gesellschaft.
Zugleich führte der Europäische Gerichts­
hof in Sachen Cartesio in einer das Urteil
nicht tragenden und damit unverbindlichen
Nebenbemerkung („obiter dictum“) aus,
dass eine Verlegung des Satzungssitzes
unter Änderung der Gesellschaftsform in
eine dem Aufnahmemitgliedstaat unterlie­
gende Rechtsform von der Niederlassungs­
freiheit umfasst ist. In den letzten Jahren
war die Auslegung dieses obiter dictum
jedoch kontrovers und daher nur bedingt
für die praktische Umsetzung gesellschafts­
rechtlicher Gestaltungen geeignet.
Weiterer Meilenstein der grenzüber­
schreitenden Mobilität von Gesell­
schaften in Europa geklärt
Diese Rechtsunsicherheit hat der Europäi­
sche Gerichtshof nunmehr mit seinem Urteil
vom 12. Juli 2012 (Rs. C-378/10, „VALE
Építési kft“) beseitigt und damit eine der
grundlegenden Fragen der grenzüberschrei­
tenden Mobilität von Gesellschaften in
Europa geklärt:
Sieht ein EU-Mitgliedstaat die Möglichkeit
eines Rechtsformwechsels für inländische
Gesellschaften vor, darf er diese Möglichkeit
einer dem Recht eines anderen Mitglieds­
staates unterliegenden Gesellschaft im Fall
der Verlegung des Satzungssitzes über die
Grenze nicht verwehren. Die grenzüber­
schreitende Satzungssitzverlegung unter
Änderung der Rechtsform ist allerdings nur
dann von der Niederlassungsfreiheit geschützt, wenn eine „tatsächliche wirtschaft­
liche Tätigkeit mittels einer festen Einrich­
tung im Aufnahmemitgliedstaat“ erfolgt.
Der grenzüberschreitende Rechtsformwech­
sel einer Briefkastengesellschaft ist somit
nicht von der Niederlassungsfreiheit
geschützt.
Das deutsche Umwandlungsrecht regelt
zwar die grenzüberschreitende Verschmel­
zung von Kapitalgesellschaften in §§ 122a
ff. UmwG. Den grenzüberschreitenden
Formwechsel hat der deutsche Gesetzgeber
dagegen bislang nicht geregelt. Auch auf
europäischer Ebene fehlt eine Regelung, da
der Entwurf der Sitzverlegungsrichtlinie der
Kommission von 1997 nie umgesetzt
wurde. Diesbezüglich stellt der Europäische
Gerichtshof ausdrücklich klar, dass eine
unterschiedliche Behandlung, die davon
abhängt, ob es sich um eine grenzüber­
schreitende oder eine innerstaatliche Umwandlung handelt, nicht mit dem Fehlen
nationaler Vorschriften über einen grenz­
überschreitenden Formwechsel gerechtfer­
tigt werden kann. •
Corporate Law Newsletter, Ausgabe 5 | 3. Quartal 2012
Rechtssprechung aktuell
Corporate Mobility: Kleiderwechsel beim Gang über die Grenze
• Fortsetzung
Fehlende Regelung des grenzübeschreitenden Formwechsels im Umwand­
lungsgesetz
Es dürfte davon auszugehen sein, dass der
deutsche Gesetzgeber den grenzüberschrei­
tenden Formwechsel nun relativ zeitnah im
UmwG regeln wird; hierzu ist der Gesetzge­
ber auch verpflichtet. Bis dahin ist durch
den Europäischen Gerichtshof geklärt, dass
der Zuzugsmitgliedsstaat der zuziehenden
Gesellschaft sämtliche innerstaatlich vor­
handenen Rechtsformwechselmöglichkeiten
eröffnen muss, allerdings auch nur diese
und nicht etwa Formwechselkombinationen,
die im innerstaatlichen Recht nicht bekannt
sind. Im Detail bestehen jedoch Unklarhei­
ten hinsichtlich der Modalitäten einer Sitz­
verlegung nach Deutschland unter Wechsel
der Rechtsform in eine deutsche Gesell­
schaftsform. Nach der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs darf der Zuzugs­
staat die konkreten Modalitäten der Durch­
führung des grenzüberschreitenden Form­
wechsels festlegen. Diese Modalitäten der
Umwandlungsmaßnahme dürfen jedoch
nicht ungünstiger sein als diejenigen, die
gleichartige innerstaatliche Sachverhalte
regeln (Äquivalenzgrundsatz) und die Aus­
übung der Niederlassungsfreiheit nicht
praktisch unmöglich machen oder übermä­
ßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz).
Aus deutscher Sicht bedeutet dies, dass,
solange eine gesetzliche Regelung im
UmwG fehlt, davon auszugehen sein wird,
dass die innerstaatlichen Bestimmungen
über entsprechende Umwandlungsmaßnah­
men analoge Anwendung finden. Somit
dürften die für den innerstaatlichen Form­
wechsel geltenden Anforderungen gemäß
§§ 190 Abs. 2, 192 ff. UmwG (z. B. Umwandlungsbericht und Umwandlungsbe­
schluss) entsprechend auf den grenzüber­
schreitenden Formwechsel nach Deutsch­
land Anwendung finden. Im Einzelnen
22
werden hier aber noch ungeklärte Anpas­
sungen erforderlich sein. Beispielsweise
wird das Registergericht Übersetzungen
ausländischer Dokumente verlangen kön­
nen; ebenso die für innerstaatliche Regis­
teranmeldungen geforderten Formerforder­
nisse und Echtheitsnachweise (d. h., Legali­
sation oder Apostille). Gläubigern, die
aufgrund des grenzüberschreitenden Form­
wechsels die konkrete Gefährdung ihrer
Ansprüche glaubhaft machen können,
dürfte auf Verlangen analog §§ 192 ff.,
204, 22 Abs. 1 Satz 2 UmwG Sicherheit zu
leisten sein. Jedenfalls dürfen die Register­
gerichte keine übertriebenen, dem Effekti­
vitäts- und Äquivalenzgrundsatz wider­
sprechenden Anforderungen stellen.
Ähnliche Probleme bzw. Unsicherheiten
dürften für formwechselnde Sitzverlegun­
gen von Deutschland in das europäische
Ausland bestehen, da in den meisten Län­
dern derzeit ebenfalls entsprechende aus­
drückliche Regelungen fehlen.
Gestaltungsüberlegungen („seat and law
shopping“)
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs in
Sachen VALE Építési kft dürfte Ausgangs­
punkt für vielfältige Gestaltungsüberlegun­
gen sein, denn es ermöglicht die identitäts­
wahrende Verlegung nicht nur des Verwal­
tungssitzes, sondern auch des Satzungssitzes über die Grenze.
Anders als im Fall der (grenzüberschreiten­
den) Verschmelzung kommt es bei der
formwechselnden Satzungssitzverlegung
über die Grenze nicht zum Wechsel des
Rechtsträgers. Dies kann in verschiedenen
Bereichen von erheblichem Vorteil sein,
denn ein Rechtsträgerwechsel kann z. B.
grunderwerbsteuerschädlich sein oder zum
Verlust öffentlich-rechtlicher Genehmigungen
(z. B. Rundfunklizenzen) führen. Auch ver­
gaberechtlich kann ein Auftragnehmer­
wechsel nach Zuschlagserteilung kraft Ver­
schmelzung u.U. als Neuvergabe anzusehen
sein. Ebenso dürften reine vertragliche
Change-of-Control-Klauseln beim Form­
wechsel nicht tangiert werden.
Zudem ermöglicht die grenzüberschrei­
tende formwechselnde Sitzverlegung gegebenenfalls die Wahl eines attraktiveren
rechtlichen Umfelds („seat and law shop­
ping“), etwa die Modifikation der Unterneh­
mensmitbestimmung, attraktivere Corpo­
rate-Governance-Strukturen (z. B. mehr
Einfluss des nicht-geschäftsführenden
Board-Mitglieds als im Aufsichtsrat deut­
scher Prägung) oder Haftungsstrukturen
(z. B. englische LLP versus deutsche Part­
nerschaftsgesellschaft). Ebenso ist an Vor­
teile im Hinblick auf die Kapitalerhaltung
oder hinsichtlich der Dauer und Kosten
einer Liquidation zu denken. Schließlich
sind die steuerlichen Gestaltungsoptionen
auszuleuchten.
Auch in der Praxis hat die Vale-Rechtspre­
chung des EuGH bereits Anwendung gefun­
den, nach Presseberichten etwa bei einer
konzerninternen, grenzüberschreitenden
Verschmelzung von Frankreich nach
Deutschland im Rahmen der Konzentration
des Europageschäfts der Edel AG in
Deutschland.
Autor
Dr. Felix von Bredow
Rechtsanwalt
Ernst & Young Law GmbH, Frankfurt
Telefon +49 6196 996 24443
[email protected]
Corporate Law Newsletter, Ausgabe 5 | 3. Quartal 2012
Sicherheitsüberprüfung mittels Terrorlistenscreening stehen keine datenschutzrechtlichen
Bedenken gegenüber
Aktuelle Meldung
BFH: Terrorlistenscreening datenschutzrechtlich zulässig
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil
vom 19.6.2012 – VII R 43/11 – entschieden,
dass ein Hauptzollamt (HZA) die Erteilung
des AEO (Authorised Economic Operator) - Zertifikats „Zollrechtliche Vereinfachungen/
Sicherheit“ von der Bedingung abhängig
machen darf, dass der Antragsteller seine in
sicherheitsrelevanten Bereichen tätigen
Bediensteten einer Sicherheitsüberprüfung
anhand der sogenannten EU-Terrorlisten
unterzieht. Diese Entscheidung des BFH
führt zu Rechtssicherheit, indem klarge­
stellt wird, dass einer Sicherheitsüberprü­
fung mittels Terroristenscreening keine
datenschutzrechtlichen Bedenken entge­
genstehen.
Hintergrund des Terrorlistenscreenings ist
das sogenannte Bereitstellungsverbot, das
in verschiedenen EU-Verordnungen geregelt
ist (z. B. die EG Verordnung Nr. 881/2002
(ABl EG Nr. L 139) vom 29.5.2002).
Danach ist die Bereitstellung finanzieller
Mittel an Personen untersagt, die in Terror­
listen aufgeführt sind, da diese Personen in
dem Verdacht stehen, terroristische Hand­
lungen begehen zu wollen oder begangen
zu haben. Unter „Bereitstellung finanzieller
Mittel“ fällt insbesondere auch die Lohn- und Gehaltszahlung an Beschäftigte. Ziel ist
es, Terrororganisationen finanziell „auszu­
trocknen“. In Deutschland ist das Bereitstel­
lungsverbot durch die Strafvorschriften des
Außenwirtschaftsgesetzes in § 34 AWG
umgesetzt, die nicht nur für Unternehmen
der Außenwirtschaft, sondern für jedes
Unternehmen in Deutschland gelten.
23
Außenhandelsunternehmen können den
Status eines zugelassenen Wirtschaftsbe­
teiligten (Authorised Economic Operator –
AEO) erwerben und so zollrechtlich als
besonders zuverlässig gelten und Vergünsti­
gungen bei sicherheitsrelevanten Zollkont­
rollen und/oder zollrechtliche Vereinfachun­
gen beanspruchen. Dazu müssen sie nach
den geltenden zollrechtlichen Bestimmun­
gen unter anderem die Einhaltung „ange­
messener Sicherheitsstandards“ nachwei­
sen und Mitarbeiter in sicherheitsrelevanten
Bereichen einer Sicherheitsprüfung unter­
ziehen, soweit dies gesetzlich zulässig ist;
Art. 14k Abs. 1 Buchst. f der ZollkodexDurchführungsverordnung (ZKDVO). Das
EU-Recht macht keine weiteren Vorgaben
hinsichtlich der Art und Weise der Sicher­
heitsüberprüfung.
Das Terrorlistenscreening, also der auto­
matisierte Abgleich von Beschäftigtendaten
mit europäischen Anti-Terror-Verordnungen,
ist von Art. 14k Abs. 1 Buchst. f ZKDVO
weder vorgeschrieben noch verboten. Die
Zollverwaltung kann einen solchen Abgleich
jedoch nur dann fordern, wenn er nach dem
Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) zulässig
ist.
Mit seinem jüngst veröffentlichten Urteil
vom 19. Juni 2012 beendet der BFH eine
seit einigen Jahren geführte Kontroverse
und erhebt – wie schon die Vorinstanz keine datenschutzrechtlichen Bedenken.
Der Datenabgleich von (jedenfalls) in
sicherheitsrelevanten Tätigkeitsbereichen
Beschäftigten mit den EU-Terroristen
stelle eine zulässige Datennutzung gemäß
§ 32 BDSG dar. Nach dieser Vorschrift
dürfen personenbezogene Daten für
Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses
genutzt werden, wenn die Nutzung für die
Entscheidung über die Begründung oder
Beendigung des Arbeitsvertrages erforder­
lich ist.
Gerade hiervon geht der BFH aus: Vor dem
Hintergrund des Bereitstellungsverbots
dürften Unternehmen keine gelisteten Per­
sonen beschäftigen und ihnen auf diese
Weise finanzielle Vermögenswerte oder
wirtschaftliche Ressourcen in Form von
Arbeitslohn zur Verfügung stellen. Letztlich
seien für den Abgleich nur die Stammdaten
der Personen relevant (etwa der Name und
der Wohnort); deren Speicherung und Ver­
wendung stehe nichts entgegen, da schon
die Einholung eines polizeilichen Führungs­
zeugnisses die Interessen der Betroffenen
stärker beeinträchtige. Der BFH ließ schließ­
lich den Einwand nicht gelten, dass der
Abgleich mit den Terrorismuslisten bereits
durch die Banken bei der Führung eines
Girokontos vorgenommen werde; die zoll­
rechtliche Verpflichtung zur Sicherheits­
überprüfung treffe den AEO-Antragsteller
und nicht Dritte. Damit dürfte freilich nicht
grundsätzlich eine Übertragung der Ver­
pflichtung ausgeschlossen sein, solange der
Dritte (etwa ein Dienstleister) im Auftrag
des AEO-Antragstellers tätig wird. •
Corporate Law Newsletter, Ausgabe 5 | 3. Quartal 2012
Aktuelle Meldung
BFH: Terrorlistenscreening datenschutzrechtlich zulässig
• Fortsetzung
Demnach bewegt sich die Sicherheitsüber­
prüfung von Beschäftigten anhand eines
Terrorlistenscreenings im Rahmen ihrer
datenschutzrechtlichen Grenzen. Jedes
deutsche Unternehmen unterliegt dieser
„Screening-Pflicht“.
Bei der Umsetzung des Abgleichs mit den
EU-Terrorlisten sollte in der Praxis darauf
geachtet werden, dass dies im Lichte des
Datenschutzes erfolgt, d. h. dass nur die für
das „matching“ erforderlichen Stammdaten
der Beschäftigten gegen die Terrorlisten
abgeglichen werden (Prinzip der Daten­
sparsamkeit) und für diesen Abgleich ein
Berechtigungsverfahren implementiert
wird, d. h. es darf nur ein begrenzter Per­
sonenkreis im Fall eines Treffers auf diese
Daten zugreifen können (z. B. ComplianceBeauftragter, betrieblicher Datenschutzbe­
auftragter). Zur eigenen Absicherung bie­
tet sich Unternehmen zusätzlich die Mög­
lichkeit, die Einwilligung ihrer Beschäftigten
gemäß § 4a BDSG einzuholen und den
Betriebsrat soweit möglich einzubinden.
Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträge
dienen dabei als taugliche Ermächtigungs­
grundlagen im Sinne von § 4 BDSG und
können Akzeptanz im Unternehmen schaf­
fen.
Autoren
Dr. Peter Katko
Rechtsanwalt
Ernst & Young Law GmbH, München
Telefon +49 89 14331 25951
[email protected]
Daniel Neulinger
Rechtsanwalt
Ernst & Young Law GmbH, Frankfurt
Telefon +49 6196 996 27797
[email protected]
24
Corporate Law Newsletter, Ausgabe 5 | 3. Quartal 2012
Schaffung eines einheitlichen Kapitalanlagegesetzbuchs als Regelwerk im Investmentbereich
Aktuelle Meldung
Entwurf eines einheitlichen Kapitalanlagegesetzbuches
Am 20.07.2012 hat das Bundesministe­
rium der Finanzen den Diskussionsentwurf
eines Gesetzes zur Umsetzung der Richt­
linie 2011/61/EU über die Verwalter alter­
nativer Investmentfonds vorgelegt (AIFMUmsetzungsgesetz/AIFM-UmsG). Durch das
AIFM-UmsG soll ein einheitliches Kapitalan­
lagegesetzbuch als Regelwerk im Invest­
mentbereich geschaffen werden. Das AIFMUmsG dient in erster Linie der Umsetzung
der europäischen Richtlinie über die Verwal­
ter alternativer Investmentfonds (AIFMRichtlinie). Diese ist bis zum 22.07.2013 in
nationales Recht umzusetzen. Darüber hin­
aus werden in das Kapitalanlagegesetzbuch
die bisherigen Regelungen des Investment­
gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie
2009/65/EG (OGAW-Richt­linie) integriert.
Das Kapitalanlagegesetzbuch wird nicht nur
die Regulierung der Manager alternativer
Investmentfonds (AIF) und Organismen
für gemeinsame Anlagen in Wertpapiere
(OGAW) beinhalten. Das Kapitalanlagege­
setzbuch soll auch die Investmentfonds
selbst regulieren. Es soll sowohl offene als
auch geschlossene Investmentfonds umfas­
sen. Das Kapitalanlagegesetzbuch bildet
damit ein in sich geschlossenes Regelwerk
für sämtliche Fonds und für ihre Manager.
Infolgedessen werden das Investmentgesetz
aufgehoben und geschlossene Fonds vom
Anwendungsbereich des Vermögensan­
lagengesetzes ausgenommen.
25
Im Wesentlichen beinhaltet das Kapitalanlagegesetzbuch
• Aufsichtsregeln, Zulassungsvorschriften sowie allgemeine Verhaltens- und
Organisationspflichten von Kapitalverwaltungsgesellschaften, d. h. Unternehmen
die Investmentvermögen verwalten;
• Vorschriften über Verwahrstellen, d.h. Kreditinstitute oder andere Einrichtungen,
welche das Investmentvermögen (Wertpapiere, sonstige Vermögensgegenstände)
verwahren;
• Vorschriften zu offenen und geschlossenen Investmentvermögen,
z. B. zur Rechtsform, zu den Anlagebedingungen, zur Abschlussprüfung;
• Vorschriften zu offenen und geschlossenen Publikumsinvestmentvermögen,
z. B. zu den Assetklassen, zur Risikomischung, zur Aufnahme von Fremdkapital,
zu den Mindestangaben von Prospekten;
• Vorschriften zum Vertrieb von Investmentvermögen, z. B. zu den Verkaufsunterlagen, zur Werbung, zur Prospekthaftung.
Das Bundesministerium der Finanzen hat zu
dem vorgelegten Diskussionsentwurf um
Stellungnahme der Verbände gebeten. Es
ist daher damit zu rechnen, dass der Diskus­
sionsentwurf noch in einzelnen Punkten
geändert wird. Diese Änderungen werden
weniger die Vorschriften betreffen, welche
die Kapitalverwaltungsgesellschaften, d. h.
die Verwalter von Investmentvermögen,
regulieren. Insoweit ist der Gesetzgeber an
die Vorgaben der AIFM-Richtlinie gebunden.
Dort, wo der Gesetzgeber über die Vorga­
ben der AIFM-Richtlinie hinaus Regelungen
betreffend offene und geschlossene Invest­
mentvermögen in das Kapitalanlagegesetz­
buch aufgenommen hat, bleibt dagegen
abzuwarten, ob diese Gesetz werden. So
sollen beispielsweise Immobilienfonds
zukünftig nur noch als geschlossene Invest­
mentvermögen aufgelegt werden können,
wobei geschlossene Investmentvermögen
nach dem Kapitalanlagegesetzbuch solche
Investmentvermögen sind, die eine Rück­
nahmemöglichkeit der Anteile nicht mindes­
tens einmal jährlich vorsehen. Ferner sollen
geschlossene Publikumsinvestmentvermö­
gen zum Beispiel nur noch in einen gesetz­
lich festgelegten Katalog von Vermögensge­
genständen investieren dürfen, Fremdkapi­
tal nur beschränkt aufnehmen können und
im Falle von Single Asset Fonds eine gesetz­
lich bestimmte Mindestbeteiligung vorsehen
müssen.
Autor
Egbert von Holtum
Rechtsanwalt
Ernst & Young Law GmbH, Essen
Telefon +49 201 2421 21890
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Corporate Law Newsletter, Ausgabe 5 | 3. Quartal 2012
Gute steuerliche Rahmenbedingungen für die Unternehmensnachfolge in Deutschland
Aktuelle Meldung
Ist die Erbschaftsteuer verfassungswidrig? Vorlagebeschluss des BFH vom 27.9.2012
Das aktuelle Erbschaftsteuerrecht war noch
nicht einmal drei Jahre in Kraft, die dazu­
gehörigen Erbschaftsteuerrichtlinien noch
nicht endgültig verabschiedet und schon
schickte sich das oberste deutsche Steuerge­
richt, der Bundesfinanzhof, an, dem Gesetz­
geber „die rote Karte“ zu zeigen.
Nicht genug, dass der BFH sich in einem
Revisionsverfahren (II R 9/11) mit der
Frage der Verfassungswidrigkeit der Gleich­
behandlung von Steuerpflichtigen der Steu­
erklassen II und III bei Erbfällen und Schen­
kungen im Laufe des Jahres 2009 auseinan­
dersetzen musste. Der Senat ging noch
deutlich weiter: Denn er stellte sich bereits in
seinem Beschluss vom 5.10.2011 (Auffor­
derung an den Bundesfinanzminister, dem
Revisionsverfahren beizutreten) die Frage,
ob nicht bereits darin ein Verfassungsver­
stoß erblickt werden müsse, dass §§ 13a
und 13b ErbStG es zuließen, „Vermögen
jeder Art und in jeder Höhe von Todes wegen
oder durch Schenkung unter Lebenden ohne
Anfall von Erbschaftsteuer oder Schenkung­
steuer zu erwerben, wenn der Erblasser
oder Schenker eine geeignete Gestaltung
gewählt hat, ohne dass es auf eine Gemein­
wohlverpflichtung und Gemeinwohlbindung
des erworbenen Vermögens ankommt.“
Vor diesem Hintergrund hatte der BFH den
Bundesminister der Finanzen aufgefordert,
dem in Rede stehenden Revisionsverfahren
beizutreten, was zwischenzeitlich auch
geschehen ist. Für den BFH waren aber die
Einlassungen des BMF nicht befriedigend,
so dass er nun den konsequenten nächsten
Schritt zu gehen hatte. Mit Beschluss vom
27.9.2012 hat der 2. Senat des BFH nun
die Frage der Verfassungsmäßigkeit des
geltenden Erbschaft- und Schenkungsteuer­
26
gesetzes (nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG)
dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung
vorgelegt.
Im Rahmen der Begründung geht das
Gericht ausdrücklich auf die Gestaltungs­
möglichkeiten ein, die das geltende Recht
für die steueroptimierte Vermögensübertra­
gung bereit hält, die aber nach Auffassung
des Senats eine Begünstigung bzw. vollstän­
dige Steuerfreistellung nicht rechtfertigen.
Besonders hervorgehoben wird dabei die
Möglichkeit, einen „Anteil an einer gewerb­
lich geprägten Personengesellschaft, deren
Betriebsvermögen aus 100 Mio. EUR Fest­
geldguthaben besteht, nach Maßgabe des
§ 13a Abs. 8 ErbStG“ zu erwerben, „ohne
dass Erbschaftsteuer oder Schenkung­
steuer anfällt und ohne dass dieses Vermö­
gen einer besonderen Gemeinwohlbindung
oder Gemeinwohlverpflichtung unterliegt.
Ebenso gegeißelt wird die Verschonung von
Kapitalgesellschaftsanteilen, wenn die
jeweilige Kapitalgesellschaft ein ähnlich
strukturiertes Vermögen besitzt.
Von derartigen Szenarien abgesehen zwei­
felt der BFH auch an der gleichheitsgerech­
ten Ausgestaltung der Arbeitsplatzklausel in
§ 13a Abs. 1 Sätze 2ff. ErbStG. Dies insbe­
sondere deshalb, weil auch diesbezüglich
Vermeidungsstrategien eingesetzt werden
könnten, durch die mit – vergleichsweise ein­
fachen Mitteln – das Eingreifen der Lohnsum­
menregelungen umgangen werden könnten.
Insgesamt sieht der 2. Senat des BFH in
Bezug auf die bestehenden erbschaftsteuer­
rechtlichen Regelungen dieselben Schwierig­
keiten wie bereits im Hinblick auf das bis
Ende 2008 geltende Recht. „Die verfas­
sungsrechtliche Problematik besteht auch
nach der Neuregelung fort und hat sich
sogar noch verschärft.“... „Die Möglichkei­
ten, durch Schaffung gewillkürten Betriebs­
vermögens und weitere Gestaltungen selbst
beim Erwerb größter Vermögen von Todes
wegen oder durch freigebige Zuwendung
die Höhe der Steuerbelastung zu vermin­
dern oder das Entstehen von Steuer zu ver­
meiden, sind darüber hinaus gegenüber
dem für Steuerentstehungszeitpunkte vor
dem 1. Januar 2009 geltenden Recht deut­
lich erweitert worden.“
Ungeachtet der monierten Kritikpunkte ist
aber festzuhalten, dass die steuerlichen
Rahmenbedingungen für die Unterneh­
mensnachfolge in Deutschland wohl noch
nie besser waren und denkbare Gesetzesän­
derungen (wie sie z. B. im Zusammenhang
mit dem Jahressteuergesetz 2013 bereits
diskutiert wurden bzw. werden) sicherlich
keine Verbesserungen erwarten lassen. Vor
diesem Hintergrund mahnt der aktuelle Vor­
lagebeschluss dazu, die bestehende güns­
tige Gesetzeslage rechtzeitig zu nutzen und
sich dem Thema Unternehmensnachfolge
besser jetzt als später anzunehmen. Dies
gilt umso mehr, als die Hoffnung, die Erb­
schaft- und Schenkungsteuer könnten abgeschafft oder das entsprechende Gesetz
durch das Bundesverfassungsgericht rück­
wirkend für nichtig erklärt werden, wohl
eher Wunschdenken denn als eine realis­
tische Möglichkeit anzusehen ist.
Autor
Dr. Christopher Riedel, LL.M.
Rechtsanwalt, Steuerberater
Ernst & Young Law GmbH, Essen
Telefon +49 201 2421 29688
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Corporate Law Newsletter, Ausgabe 5 | 3. Quartal 2012
Aktuelle Meldung
Bundeskabinett beschließt Entlastungen für Kleinstkapitalgesellschaften im Bereich
der Rechnungslegungs- und Offenlegungspflichten
Am 19. September 2012 beschloss das
Bundeskabinett den Entwurf des Gesetzes
zur Erleichterung für Kleinstkapitalgesell­
schaften (MicroBilG).
• wahlweiser Verzicht auf Veröffentlichung
im Bundesanzeiger, wenn beim Betreiber
des Bundesanzeigers eine Bilanz hinter­
legt wird, die auf Anfrage Dritten kosten­
pflichtig zur Verfügung gestellt wird.
Mit der Gesetzesänderung sollen unter
Inanspruchnahme der EU-Micro-Richtlinie
2012/6/EU Kleinstunternehmen Bilanzie­
rungs- und Offenlegungserleichterungen in
der Rechnungslegung geschaffen werden,
nämlich:
Voraussetzung für die Inanspruchnahme
der Erleichterungen soll sein, dass an zwei
aufeinanderfolgenden Abschlussstichtagen
zwei der drei nachfolgenden Merkmale nicht
überschritten werden:
• Optionen zur Verringerung der Darstel­
• 350.000 Euro Bilanzsumme nach Abzug
lungstiefe im Jahresabschluss (z. B. ver­
einfachte Gliederungsschemata);
eines auf der Aktivseite ausgewiesenen
Fehlbetrags;
• Entbehrlichkeit eines Anhangs zur Bilanz, • 700.000 Euro Umsatzerlöse in den zwölf
wenn bestimmte Angaben unter der
Bilanz ausgewiesen werden;
Monaten vor dem Abschlussstichtag;
• im Jahresdurchschnitt zehn
Arbeitnehmer.
Eine weitere Entlastung ergibt sich daraus,
dass die Befreiung einer in einen Konzern
integrierten Kapitalgesellschaft von der
Aufstellung, Prüfung und Offenlegung eines
Jahresabschlusses zukünftig auch dann gilt,
wenn das Mutterunternehmen seinen Sitz
im EU- bzw. EWR-Ausland hat.
Das Gesetz soll für alle Geschäftsjahre
gelten, deren Abschlussstichtag nach dem
30. Dezember 2012 liegt.
Autor
Ingo Windhagen
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Ernst & Young Law GmbH, Stuttgart
Telefon: +49 711 9881 26061
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Änderungen bei der steuerlichen Organschaft
Am 25. September 2012 hat der Deutsche
Bundestag den Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung und Vereinfachung der Unter­
nehmensbesteuerung und des steuerlichen
Reisekostenrechts verabschiedet (vgl. BTDrucks. 17/10774). Zentraler Bestandteil
der Neuregelungen ist eine Überarbeitung
des geltenden Rechts der steuerlichen
Organschaft. Geplant sind insbesondere die folgenden
Änderungen: Der für die Anerkennung einer
steuerlichen Organschaft – mit anderen als
den in § 14 Abs. 1 S. 1 KStG bezeichneten
Kapitalgesellschaften als Organgesellschaf­
ten – zugrunde liegende Gewinnabführungs­
vertrag muss künftig einen sog. dynami­
schen Verweis („eine Verlustübernahme
durch Verweis auf die Vorschriften des
§ 302 AktG in seiner jeweils gültigen
Fassung“) auf § 302 AktG zur Verlustüber­
nahmeverpflichtung enthalten.
27
Bezüglich der zwingend erforderlichen
Durchführung der steuerlichen Organschaft
sieht die geplante Neuregelung nunmehr in
§ 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 KStG vor, dass unter
bestimmten Bedingungen der Gewinnabfüh­
rungsvertrag auch dann als durchgeführt
gilt, wenn der abgeführte Gewinn oder aus­
geglichene Verlust auf einem Jahresab­
schluss beruht, der fehlerhafte Bilanzansätze
enthält.
Eine weitere geplante Änderung ist die
Aufgabe des doppelten Inlandsbezugs der
§§ 14 ff. KStG. Nach dieser Neuregelung soll
es künftig ausreichend sein, wenn die Organ­
gesellschaft ihre Geschäftsleitung im Inland
und ihren Sitz in einem Mitgliedstaat der
Europäischen Union oder in einem Vertrags­
staat des EWR-Abkommens hat. Für den
Organträger soll es nach der Gesetzesände­
rung nicht mehr erforderlich sein, die Geschäftsleitung im Inland zu haben.
Die Zustimmung des Bundesrats bezüglich
dieser Gesetzesänderungen ist für den
23.11.2012 terminiert. Ob der Bundesrat
diesen Änderungen zustimmen wird, ist aller­
dings noch ungewiss.
Autoren
Dr. Christian Bosse
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Ernst & Young Law GmbH, Stuttgart
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Yasmin von Khurja
Rechtsanwältin
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Berlin
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Ernst & Young Law GmbH, Frankfurt
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München
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Rechtsanwalt
Ernst & Young Law GmbH, München
Telefon +49 89 14331 28905
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Düsseldorf
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Ernst & Young Law GmbH, Düsseldorf
Telefon +49 211 9352 23800
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Hamburg
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Nürnberg
Jörg Leißner
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Essen
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Hannover
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Steuerberatung und Transaktionsberatung
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das Potenzial ihrer Mitarbeiter und Mandanten
zu erkennen und zu entfalten. Die 167.000
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Die globale Ernst & Young-Organisation besteht
aus den Mitgliedsunternehmen von Ernst &
Young Global Limited (EYG). Jedes EYGMitgliedsunternehmen ist rechtlich selbstständig und unabhängig und haftet nicht für das
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Mitgliedsunternehmen. Ernst & Young Global
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