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Wenn Querdenker quer denken
Geschwurbel um Anti-Raketen-Raketen
Autor: Frank Unger
Datum: 21. März 2007
Wer regelmäßig wissen will, was die maßgeblichen außenpolitischen Eliten der
USA jeweils denken bzw. was sie wollen, dass wir denken sollen, der braucht
bloß einmal die Woche in den Berliner »Tagesspiegel« zu schauen. Jeden
Montag beantwortet nämlich der Mit-Herausgeber der »Zeit«, Josef Joffe, unter
der etwas obskuren Überschrift »Was macht die Welt?« ihm vom Leiter des
Washingtoner Büros Christoph von Marschall im Doppelsinn vorgelegte Fragen
zur aktuellen geopolitischen Lage. Joffe gibt dann die jeweils vom Standpunkt
der oben Genannten (die nicht automatisch immer mit der gerade exekutierten
Politik der amtierenden Regierung in allen Punkten übereinstimmende) gültige
Auffassung vom jeweils aktuell Angesagten. Vor abrupten Meinungswechseln
scheut er sich dabei ebenso wenig wie vor groben Entstellungen der Wahrheit
oder schlichten Erfindungen von angeblichen statistisch gesicherten
Erkenntnissen, wenn es darum geht, eine bestimmte »atlantizistische« Position
überzeugend zu begründen. Inzwischen ist er – in krassem Gegensatz zu seiner
Haltung während der Vorbereitungen – zu einem ausgesprochenen Kritiker
des Krieges geworden, behauptet sogar kühn, dass Bush mit seinem
Schlamassel im Irak die Geschäfte des Iran besorge, denn der sei doch
eigentlich der viel gefährlichere Feind. Anders gesagt: Joffe ist das genaue
Gegenteil eines anständigen, unabhängig denkenden Intellektuellen. Er ist ein
schamloser Klopffechter des amerikanischen Imperiums, das er durch den
Krieg geschwächt sieht. Damit steht er einmal mehr in haargenauer
Übereinstimmung mit der rekonstruierten Meinung des politischen
Establishment in den USA, das verzweifelt nach einem Weg sucht, das
Irak-Abenteuer ohne zu großen Gesichtsverlust zu beenden. Joffe ist also in
seiner selbst gewählten Rolle als praeceptor imperii bis zur Peinlichkeit
voraussagbar – was dieses Musterexemplar eines atlantischen Karrieristen
wiederum nicht daran hindert, ein Buch mit herauszugeben, das vorgibt, eine
Art Anthologie von »politisch unkorrektem« Denken zu sein, worunter man sich
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wohl ein bisschen so etwas wie das gute alte »Querdenken« vorstellen soll.
(Josef Joffe, Henryk M. Broder, Dirk Maxeiner, Michael Miersch: Schöner
denken. Wie man politisch unkorrekt ist, München 2007) Zur Begriffsklärung:
Unter »politisch korrektem« Denken versteht man heute nicht etwa die
millionenfach durch Presse und Fernsehen mit Erfolg unter die Leute
gebrachten Ansichten über die absolute Alternativlosigkeit unserer
politisch-ökonomischen Zustände, sondern umgekehrt die von den
anti-amerikanischen und natürlich anti-semitischen Linkseliten den geistig
wehrlosen Massen vorgeschriebenen und gnadenlos überwachten
populistisch-antikapitalistischen Sprech- und Denkregeln. Aber wir schweifen
ab: Nicht um Joffe persönlich als Protagonisten des »politisch unkorrekten«
Denkens soll es hier eigentlich gehen, sondern um ihn als klassisches Beispiel
für die eigentlich vernünftigerweise längst ausgestorben gehörte Spezies des
Absonderers atlantizistischen Geschwurbels und vorsintflutlichen
Spieltheorie-Strategien. In solchen Kategorien verstanden seinerzeit die
politischen Führer Amerikas und ein paar internationale Staatsmänner wie der
unvergessene Altkanzler Helmut Schmidt die Weltpolitik während der Zeit der
Blockkonfrontation: Jeder »Gewinn« des »Westens« wurde als »Verlust« der
Sowjetunion interpretiert wurde, und umgekehrt. »Geopolitik« nannte man das
damals. Joffe sieht mit kongenialer Einfühlung (oder wohl eher nach
intensivem Hineinhören ) in seine amerikanischen Freunde aus dem »Council
on Foreign Relations« die Welt immer noch als der alte coole Geopolitiker. Mit
dem Gestus des wahren Durchblickers belehrt er uns auch, wie man das
gegenwärtig aufgeregt debattierte Thema »US-Raketenabwehr auf
mittel-osteuropäischem Territorium« zu sehen habe. Pudelchen von Marschall
pitcht Joffe beflissen eine Frage nach dessen Ansicht über »den deutschen
Außenminister«, der sich kritisch über das amerikanische Vorhaben geäußert
hatte. Joffe kommt, schön, dass Sie mich das fragen, ohne Umschweife zur
Sache: Die Deutschen, erläutert er seinem Eckermann, hätten »in der
Raketenabwehr-Frage« sich »erstaunlich schnell« der »russischen Lesart«
angeschlossen, allen voran Frank-Walter Steinmaier, denn der warne allen
Ernstes vor einem »Wettrüsten,« und das schließlich bloß, » weil die Polen eine
Handvoll Anti-Raketen haben wollen.« Dabei wisse doch erstens jeder, fabuliert
er ohne jeden Beleg weiter, dass Moskau »längst wieder aufrüste«, und dass,
zweitens, die »polnischen Systeme Putins globales Angriffspotential nicht
einmal ankratzen können«. Weiter informiert er uns, dass »Deutsche und
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Franzosen ebenfalls Abwehrsysteme bauen«, und dass es »unverantwortlich
wäre, (wenn die Amerikaner in Osteuropa keinen Raketenschild errichteten)
angesichts der Atom- und Raketenrüstung Irans und seiner kommenden
Nachahmer.« Womit Joffe, sich bewusst dumm stellend, hinter dem Berg hält,
ist mit der ihm natürlich wohl bekannten Tatsache, dass es bei der
losgetretenen Debatte um die Raketenabwehrsysteme in Osteuropa gar nicht
um die Frage von irgendwelchen militärischen Einrichtungen schlechthin geht,
sondern ausschließlich darum, w e r sie w o baut und vor allem, wer schließlich
das Kommando und die Kontrolle darüber ausübt. Seit dem Beginn des
Irak-Kriegs unterscheiden die außenpolitischen Eliten Amerikas bekanntlich
zwischen einem »alten« und einem »neuen« Europa. Mit dem »alten Europa«
meinen sie jene Länder, die sich der solidarischen Teilnahme am Irak-Krieg
verweigert hatten, mit dem »neuen Europa« meinen sie jene Länder vor allem in
Osteuropa, die sich bereitwillig angeschlossen hatten, vor allem Polen und die
Tschechische Republik. Das »alte Europa« ist nun zufällig auch jene Fraktion
des Kontinents, die gewisse Emanzipations- um nicht zu sagen
Herausforderungsambitionen gegenüber dem atlantischen Großen Bruder hegt,
angeführt von Frankreich und Deutschland. Umgekehrt fühlen sich einige der
osteuropäischen Länder von Frankreich und Deutschland zu sehr dominiert,
und die Möglichkeit zum Aufbau eines Gegengewichts wurde gern ergriffen,
auch um den Preis einer unpopulären Kriegsteilnahme. Während der Zeit des
Kalten Krieges waren die Nukleararsenale der Supermächte einschließlich aller
mit ihnen verbundenen Abwehrsysteme mitnichten dafür vorgesehen,
wirkliche Kriege zu führen. Sie waren vielmehr gedacht (und fungierten in der
Tat) ausschließlich als virtuelle Instrumente der Machtprojektion. Und darum
allein geht es heute wieder. Wenn nämlich die Amerikaner in Polen oder
Tschechien (natürlich nur auf deren dringende Bitten hin!) ein
Raketenabwehrsystem installieren sollten, dann haben sie damit ein weiteres
politisches Einflussinstrument auf dem Territorium der EU. Es hat
ausschließlich politischen, keinen militärischen Wert. Nicht einmal ein
ausgesprochener Idiot dürfte ernsthaft glauben, dass irgendwer im Iran einen
Atomangriff auf Westeuropa vorbereite. Also sollen auch die geplanten
US-Abwehrsysteme auf polnischem Boden der Machtprojektion dienen. Aber
gegen wen soll sich diese Projektion richten? Etwa gegen Russland? Natürlich
nicht, das sagt ja auch Joffe: Russische Interkontinentalraketen auf Amerika
würden nicht über Europa fliegen, und Angriffe auf Polen könnte der geplante
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Raketenschild gar nicht abwehren. Was bleibt dann übrig? Nun, nichts
Geringeres als die Projektion US-amerikanischer Macht gegenüber Frankreich
und Deutschland! Wenn die USA im »neuen Europa« hochgezüchtete
militärische Einrichtungen unterhält, ist das »alte Europa« erst einmal vorläufig
»eingedämmt« bei seinen offenkundigen Versuchen, eine EU-Einheitsfront für
eine von den USA unabhängige Machtpolitik aufzubauen. Das möchte unser
Außenminister gern verhindern, deshalb beklagt er laut einen »möglichen
Rüstungswettlauf«. In Wirklichkeit meint er: Trojanisches Pferd der USA!Die
Gefahr, dass in absehbarer Zukunft die Europäer sich selbständig machen
könnten, haben die außenpolitischen Eliten der USA bereits unmittelbar nach
der Abdankung der Sowjetunion 1991 heraufziehen sehen. In den »Richtlinien
für die Verteidigungsplanung 1994 – 1997«, verfasst in den letzten Monaten der
scheidenden Regierung Bushs des Älteren vom Amt des damaligen
Verteidigungsminister Cheney, heißt es unmissverständlich: »Unser oberstes
Ziel muss sein, den Wiederaufstieg eines neuen Rivalen zu verhindern – sei es
auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion oder sonst irgendwo auf der
Welt – der eine Bedrohung von der Größenordnung der ehemaligen
Sowjetunion darstellen würde.« Dass damit perspektivisch u. a. die sich damals
gerade zu gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik verständigende EU eher
als das marode Russland gemeint war, ist so nahe liegend wie uns Deutschen
unangenehm. Jetzt geht es nämlich nicht mehr um Weltanschauungen,
sondern um Rohstoffe! Da hört, wie beim Geld, auch in so genannten
Wertegemeinschaften die Freundschaft auf. Aber wir wollen es einfach nicht
wahrhaben, dass die amerikanischen Freunde uns gegenüber andere denn
fürsorgend-altruistische Gedanken hegen könnten.In der demnächst
erscheinenden April-Ausgabe der »Blätter für deutsche und internationale
Politik« wird der bekannte neokonservative US-Intellektuelle Robert Kagan in
einem wahrlich aufschlussreichen Artikel diesen kindlichen Illusionen über
Amerika mit schneidender Ironie den Boden entziehen. Stars and Stripes
empfiehlt nachdrücklich die Lektüre dieses Artikels. Bleibt allerdings die Frage,
welche Alternative besser ist: eine fortgesetzte Dominanz Amerikas über
Europa oder eine militärisch ebenbürtige EU auf imperialer Augenhöhe mit den
USA?Es muss etwas Drittes geben!
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