M. Zumbusch
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M. Zumbusch
Erasmus Erfahrungsbericht 2013/14 Vorbereitungen Die im Voraus zu treffenden Vorbereitungen werden von den französischen Gastunis meistens genau vorgegeben. Wer sich an die Anweisungen in den Mails der Gastunis hält, die Anreise gebucht und sich um eine Unterkunft gekümmert hat, ist gut vorbereitet. Wer fliegen möchte, sollte einen Flug nach Paris und anschließend einen Zug nach Nancy buchen, für den sich schon ab zwei, drei Fahrten eine Carte Jeune lohnt (http://www.sncf.com/de/reduziertetarife/carte-jeune). Von den meisten Städten Deutschlands aus gibt es aber sehr gute Zugverbindungen, sodass ich grundsätzlich empfehlen würde, die ganze Strecke mit dem Zug zu fahren. Weil ich von Frankreich-Urlauben schon ein paar Studenten aus Nancy kannte, die mir von französischen Wohnheimen abgeraten hatten, habe ich diese Option gar nicht erwogen. Bis auf Monbois, das ziemlich zentral - im Viertel der Fac de Lettres, zu Fuß 15 Minuten vom Stadtzentrum entfernt - liegt und verhältnismäßig schöne Zimmer - meistens mit eigenem Bad hat, würde ich nach eigener Inspektion einiger Wohnheime auch eher abraten. Zu den meisten Wohnheime braucht man vom Zentrum aus mind. 15 Minuten mit dem Bus (der nachts nur noch sehr sporadisch fährt), die Küchen und Bäder sind mit dem ganzen Stockwerk zu teilen und deshalb oft in unzumutbarem Zustand (vor allem von den Wohnheimen Mèdreville und Monplaisir würde ich absehen). Wer keine Angst vor Spießigkeit hat, dem kann ich - wenn es sich irgendwie einrichten lässt - sehr empfehlen schon im Voraus, also mindestens einen Monat vor Semesterbeginn für ein, zwei Tage zur Wohnungssuche in die Austauschstadt zu fahren, weil am Anfang des Semesters so viel mehr Gerangel um Studentenwohnungen und Wg-Zimmer herrscht. Die größte Seite für Wohnungs- und Wg-Suche ist LeBonCoin (http://www.leboncoin.fr/). Wg-Zimmer sind zu finden, aber Wgs sind in Frankreich weniger verbreitet als in Deutschland; die meisten Franzosen nehmen sich ein Studio, eine Studenten konzipierte Ein-Zimmer-Wohnung, für die ich die Agentur Bed & School sehr empfehlen kann (http://www.bedandschool.com/). Es ist zwar eine Vermittlungsgebühr von ca. einer Monatsmiete zu zahlen, aber die Agentur hat sehr schöne und zentrale Wohnungen (vor allem die Zimmer in der Rue St. Julien fand ich schön). Sich im Voraus ein paar Besichtigungstermine auszumachen ist sicher sinnvoll, zusätzlich sollte man aber unbedingt auf die Aushängeschilder achten, die an zu vermietenden Wohnungen am Fenster hängen. Wer es schafft schon im Juli/August nach einer Wohnung zu suchen, wird an jeder Ecke solche Schilder sehen, da in Nancy wegen der hohen Studentendichte im Sommer viele Wohnungen frei werden, von denen oft die schönsten gar nicht ins Netz gestellt werden, sondern über Schilder mit der Nummer des Vermieters, der einem die Eckdaten und einen (oft spontanen) Besichtigungstermin gibt, vermietet werden. Natürlich ist die Altstadt sehr schön zum Wohnen, aber auch das ruhigere Viertel `Trois Maisons´, das an die Altstadt anschließt und das Viertel hinter St. Sebastien (Richtung Place des Vosges) ist schön und deutlich billiger; vor allem die Ecke um die Science Po, in der viele Araber und dazwischen die Science Po Studenten wohnen, fand ich sympathisch. Wer zu der FacebookGruppe, in die die Science Po-Studenten ihre freiwerdenden Wohnungen oder Wg-Zimmer reinstellen, hinzugefügt werden möchte, kann sich gerne an mich wenden([email protected]). Universitäres Um die anderen Erasmus-Studenten schnell kennen zu lernen und einen Überblick über die Veranstaltungen und wichtigen Termine der Fakultät zu bekommen, lohnt es sich, rechtzeitig zum Willkommens-Tag Anfang September anzureisen. Weitere Informationen bekommt man anschließend im Erasmus Amt bei Madame Stephien. Zu beachten ist, dass zwei Einschreibungen vorzunehmen sind, eine formelle gleich zu Beginn und eine pädagogische, drei bis vier Wochen nach Semesterbeginn, im Rahmen derer auch das Learning Agreement verfasst wird. Die ersten Wochen dürfen die Erasmus-Studenten dazu nutzen, sich verschiedene Vorlesungen anzuschauen bevor sie ihre endgültige Wahl treffen. Im zweiten Semester folgt das gleiche Prozedere; es ist zwar nicht unbedingt notwendig, die Folgekurse der im ersten Semester gewählten Kurse zu belegen, allerdings haben mir die Kenntnisse aus dem ersten Semester für die daran anschließenden Kurse geholfen. Im ersten Semester habe ich verpasst, mich den Professoren, deren Kurse ich gewählt habe, kurz vorzustellen und zu fragen, ob der Kurs für Erasmus-Studenten geeignet ist; das war etwas ungünstig, da vor allem ein Professor Erasmus-Studenten sehr ungern in seinem Kurs gesehen hat und dementsprechend wenig kooperativ war. Man sollte also kurz mit den Professoren besprechen, ob der Kurs sich für Erasmus-Studenten anbietet; die meisten Professoren sind sehr nett und bieten auch gleich an, einen französischen Studenten um die Weiterleitung der Mitschriften des Kurses zu bitten. Ist dies nicht der Fall, sollte man sich auf jeden Fall selbst darum bemühen, die Mitschriften von einem Muttersprachler zu bekommen, da die Prüfungen sehr stark auf den im Kurs besprochenen Stoff ausgerichtet sind, Bücher werden höchstens zur Ergänzung verwendet. Die während des Semesters stattfindenden Prüfungen - die Colles - sind von den Erasmusstudenten mitzuschreiben, am Ende des Semesters haben die Erasmusstudenten jedoch nur mündliche Prüfungen. In der Regel muss nach 10 Minuten Vorbereitungszeit über ein relativ spezielles Thema referiert werden und im Anschluss auf einige allgemeine Fragen zum Kurs geantwortet werden. Der Vorlesungsbetrieb wirkte auf mich am Anfang etwas einschüchternd, vor allem wenn ich noch Schwierigkeiten hatte, alles zu verstehen (englische Kurse werden in Nancy nicht angeboten), aber letztendlich war sich alles als sehr gut machbar. Um die Vorlesungen schneller zu verstehen hilft es, zumindest am Anfang den von der Uni an der Fac de Lettres angebotenen Sprachkurs wahrzunehmen; den Termin für den Einstufungstest, auf den am Willkommens-Tag hingewiesen wird, sollte man nicht verpassen. Leben in Nancy Wer über die Plätze der Innenstadt läuft, vom kleinen Platz an der Porte de la Craffe aus über Place Êpvre und Place Stanislas und den großen Platz vor der Kirche St. Sébastien bis zur Place des Vosges, wird einen ersten Eindruck erhalten von dem entspannten Lebensgefühl, das französische Kleinstädte verströmen. Den Ruf einer hässlichen Industriestadt verdient Nancy nicht mehr, seit es Ende der 80-Jahre einem intensiven Verschönerungsprogramm unterzogen wurde. Der nach dem ehemaligen König Lorraines Stanislas benannte Hauptplatz ist Teil des UNESCO-Welterbes, die Cathédrale St. Epvre, die Église St. Jean und die vielen Jugendstilhäuser sind nur eine Auswahl der beeindruckenden Gebäude, die das Stadtbild prägen. Kulturinteressierten ist die Opéra de Lorraine (http://www.opera-national-lorraine.fr/), als auch die Theater - das Petit Theatre und vor allem das Theatre de la Manufacture (http://www.theatremanufacture.fr/thmanufacture/sites/thmanufacture/accueil/actualites)zu empfehlen, das Theater und Orchester der Uni sind auch nicht schlecht. Wer in die Hipsterszene von Nancy einsteigen will, sollte sich bei offculture (http://www.offkultur.com/)einschreiben: jeden Monat öffnen Nancianer ihre Wohnungen für Konzerte verschiedenster, immer sehr undergroundiger Musikrichtungen, oft wird anschließend in der Wohnung noch gefeiert. Anschließend kann man ins 915, an Freitagen ins l´Envers oder ins Cave am Place Stanislas weiterziehen. Von den anderen Clubs am Place Stanislas und vom Chat Noir würde ich abraten, der Erasmus Club Love Boat ist am Anfang, um andere Erasmus-Studenten kennen zu lernen ganz gut. Wer lieber einen gemütlichen Abend verbringen will, kann zwischen Les Artistes, McCarthy, zwei traditionellen Studentencafés, und einem der vielen Kinos wählen. Ich war begeistert von der französischen Kinokultur. Es werden weniger amerikanische Blockbuster als in Deutschland und mehr eigene Produktionen gezeigt, die Liste an guten zeitgenössischen Regisseuren ist lang, vor allem Valerie Donzelli z.B., die für ihren bizarr-absurden Stil bekannt ist. So schön Nancy ist, so sehr empfehle ich, es ab und zu mal für ein Wochenende oder auch länger zu verlassen. Ich bin ein paar Mal nach Paris gefahren, das anderthalb Stunden mit dem Zug entfernt ist und natürlich Programm für unendlich viele Wochenendausflüge bietet, aber auch Lyon ist nicht weit und befriedigt Großstadtbedürfnisse. Wer in der Erasmus-Stimmung aufgeht und Geld sparen möchte kann mit der Erasmus-Organisation ESN wegfahren, die in der Adventszeit z.B. zum Weihnachtsmarkt in Strasbourg, in ein nahe gelegenes Gebirge - die Vogesen - und im Frühling in die Bretagne fährt. Ich würde die Entscheidung, ein Jahr in Nancy zu leben und zu studieren, sofort noch einmal treffen. Die Auslandserfahrung eröffnet nicht nur neue Welten, sondern durch das Verlassen des bekannten Umfeldes und das Eintauchen in ein neues, verändert sie auch den Blick auf sein eigenes Land, seine gewohnte Umgebung und hilft, sich selbst zu konstruieren und zu entwickeln.