AUFGABENSTELLUNG UND GLIEDERUNG

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AUFGABENSTELLUNG UND GLIEDERUNG
AUFGABENSTELLUNG UND GLIEDERUNG
Das Essen nimmt einen zentralen Platz im Leben eines Menschen ein. Einen nicht unbedeutenden
Teil seines Lebens verbringt er mit der Nahrungsbeschaffung, -zubereitung und ihrem Verzehr.
Notwendigerweise wird auch viel darüber geredet, besonders bei Tisch. Denn Reden und Essen, das
sind zwei eng verwandte Grundbedürfnisse des Menschen1. Dementsprechend wenig erstaunlich ist
es, wenn das Thema „versprachlicht“ wird, sich also in der Sprache wiederfindet. So zweifelt
Neumann nicht daran, „dass es kaum einen erzählenden literarischen Text (Biographien,
Lebenserinnerungen, Romane oder Novellen) gibt, in dem Essensvorgänge keine Rolle spielen“2.
Auch existiert eine Vielzahl an Sprichwörtern, in denen gute Ratschläge etwa zur richtigen
Ernährungsweise gegeben werden, und Redewendungen, in denen Lebensmittel, sei es nun im
metaphorischen oder wörtlichen Sinn, ihre Zubereitung oder ihr Verzehr eine Rolle spielen. Um
eben diese kulinarischen Redewendungen soll es in dieser Arbeit gehen.
Anstoß zur Beschäftigung mit phraseologischen Verbindungen auf dem Gebiet der Kulinarik war
eine Sendung auf Deutschlandradio Kultur vom 11.11.2006, in der der italienische Schriftsteller und
Übersetzer Daniele Dell'Agli die These aufstellte, dass das Essen in deutschen Redewendungen
„verbal entwertet, denunziert und herabgewürdigt“ würde3. Weder im Italienischen oder
Französischen noch in anderen europäischen Sprachen sei dies der Fall. Nach Dell’Agli sei das auf
die „barbarische“ deutsche Esskultur zurückzuführen, in der man keinen Sinn für Genuss hätte. Die
Sprache würde diese äußerst negative Haltung der Deutschen zum Essen verraten, was er im Laufe
der Sendung anhand von negativen kulinarischen Redewendungen zu untermauern versucht.
Tatsächlich gilt Frankreich, ganz anders als Deutschland, allgemein als ein Land der Tafelfreuden
und Gourmets, als Sinnbild der Lebenslust und Esskultur, kurz des „savoir-manger“. Die
französische Küche ist weltberühmt, nicht von ungefähr schlägt sich kulinarisches Sprachmaterial
französischer Herkunft auch in der Sprache der deutschen Gastronomie nieder: Wir gehen ins
Restaurant oder ins Café, man isst à la carte, lässt sich vom Sommelier zu einem guten Wein raten
und nimmt zum krönenden Abschluss ein Dessert zu sich. Die Existenz kultureller Unterschiede
zwischen Deutschen und Franzosen, die sich in der Art der Ernährungsgewohnheiten, der
Essenszeiten, Speiseabfolge und Nahrungsvorlieben manifestieren, ist unbestritten.
Geht man weiterhin davon aus, dass sich Kulturspezifik in der Sprache, die ja die soziale Realität
des Alltags reflektiert, und speziell in den Redewendungen, die als Abbilder einer
konventionalisierten Weltsicht und Welterfahrung par excellence bezeichnet werden können,
wertend niederschlägt, stellt sich tatsächlich die Frage, ob französische kulinarische
1
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Wierlacher, in: Wierlacher et al. 1993: 18.
In: Teuteberg et al. 1997: 40.
Dell’Agli, Daniele, 21.11.2007.
Redewendungen im Vergleich zu deutschen eher dazu neigen, positive Sachverhalte auszudrücken
bzw. ob in ihnen die Elemente, die Nahrungsmittel benennen, positiver bewertet werden.
Aus linguistischer Sicht ist die für journalistische Zwecke sicher gewollt populistisch gehaltene
These Dell’Aglis zwar fragwürdig – innerhalb der phraseologischen Disziplin ist hinlänglich
bekannt, dass Redewendungen generell vorrangig negative Bedeutungen kolportieren4, demnach
müssten Nahrungsmittel auch in französischen Redewendungen negativ besetzt sein –, dennoch,
oder gerade deshalb erschien mir die von Dell’Agli aufgeworfene Idee für eine wissenschaftliche
Untersuchung interessant.
Weisen deutsche und französische kulinarische Redewendungen tatsächlich einen Unterschied
hinsichtlich ihrer Bewertung des Essens auf? Oder gilt für französische kulinarische
Redewendungen nicht auch, was allgemein für Redewendungen zuzutreffen scheint, nämlich dass
sie hauptsächlich die schlechten Seiten des Weltbildes ausdrücken?
Diese Fragestellung steht im Zentrum der vorliegenden Arbeit und soll im Empirie-Teil anhand
einer Analyse von vier phraseologischen Wörterbüchern geklärt werden.
Die Arbeit gliedert sich in zwei Hauptkomplexe, die annäherungsweise den Phasen des
Forschungsprozesses
entsprechen:
Literaturanalyse/Theorieteil
und
empirische
Unter-
suchung/Praxisteil.
Im Theorieteil werden zunächst Begriffe geklärt: Was versteht man unter einer „Redewendung“,
welche Sprachphänomene werden dazugerechnet, welche Ansichten gibt es dazu in der
Phraseologieforschung, d. h. in der Teildisziplin der Linguistik, die sich mit diesen Phänomenen
beschäftigt. Dabei sollen die Kulinarismen als Teilbereich der Phraseologie präziser beschrieben
werden und die Forschungsfrage in den Gesamt-zusammenhang eingebettet sowie bereits
bestehende internationale Forschungsergebnisse zu diesem Thema vorgestellt werden.
Da sich das untersuchte Material aus Wörterbüchern speist und insbesondere die richtige
Interpretation von Bedeutungsparaphrasen ein entscheidender Punkt für die Ermittlung des
negativen bzw. positiven Gehalts einer Wendung ist, wird der zweite Teil der theoretischen
Einführung dem großen Komplex „Bedeutung“ gewidmet, in dem es um Denotate, Konnotationen,
um Bedeutungsangaben in Wörterbüchern und die dabei auftretenden Schwierigkeiten, aber auch
um in den Bedeutungen sich ausdrückende Wertungen geht. Dabei soll ein methodisches
Bewertungsmodell für die empirische Analyse vorgestellt werden.
Eine Arbeit, die sich nicht nur mit rein linguistischen Fragestellungen beschäftigt, sondern in der
auch die (inter)kulturelle Komponente eine wichtige Rolle spielt, sollte zumindest in Ansätzen
klären, welches Kulturkonzept zugrunde liegt, inwiefern sich Kultur in Sprache niederschlägt und
Wörter demnach als Träger kulturgeprägter Wertungen und Prioritätssetzungen fungieren können.
4
Vgl. Burger 2007: 83; Fleischer 1997: 179; Dobrovol’skij 1988: 41f.
Dies soll im dritten und letzten Abschnitt der methodischen Einführung erläutert und mit einer
Darstellung der hier interessierenden Esskultur beider Länder abgerundet werden.
Der zweite Teil enthält die empirische Untersuchung. Nach der Vorstellung der Korpusgrundlagen
wird die Konzeption der Erhebung geschildert, bevor dann die hypothesengeleitete Analyse und
Interpretation deutscher und französischer kulinarischer Phraseologismen (PHRn) erfolgt. Dabei
werden auch grundsätzliche Überlegungen zur Qualität der Daten angestellt.
Das
gesamte
deutsch-französische
Material
wird
mit
Bedeutungsparaphrasen
und
Bewertungsinterpretation im Anhang dargeboten.
Die Arbeit hat den Anspruch, nicht nur für „etablierte“ Linguisten verständlich zu sein, sondern
wendet sich auch an sprachwissenschaftlich interessierte Laien, die einen tieferen Einblick in
deutsch-französische Beziehungen über den Weg des Sprachlich-Kulinarischen gewinnen möchten.
Zum Detailverständnis sind Kenntnisse des Französischen jedoch empfehlenswert, da aus Gründen
der besseren Lesbarkeit nicht jeder PHR übersetzt werden konnte.
Häufige persönliche Anfragen zeugen von einem großen Interesse an der Fragestellung, gerade bei
Nicht-Linguisten. Umso erstaunlicher ist es, dass sich bisher so wenige Sprachwissenschaftler für
das Thema der Kulinarik erwärmen konnten5.
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Dazu ausführlicher im Forschungsüberblick im Abschnitt 1. 2. 6.