Rechtsprechung 2/04

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Rechtsprechung 2/04
RECHTSPRECHUNG / JURISPRUDENCE
Rechtsprechung
Jurisprudence
Sozialversicherungsrecht
Assurances sociales
Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 2 FZG,
Art. 1 Abs. 2 FZV: Übertragung der Austrittsleistung
Solange nach dem Austritt aus der früher Vorsorgeeinrichtung keine andere gesetzliche Form für die
Erhaltung des Vorsorgeschutzes gewählt wird, bleibt
der Grundsatz der obligatorischen Übertragung der
Austrittsleistung an die neue Vorsorgeeinrichtung vollumfänglich bestehen, auch wenn in der Zwischenzeit
ein Vorsorgefall eingetreten ist und der Versicherte seiner Meldepflicht nicht nachgekommen ist.
Art. 11 Abs. 2 FG bedeutet, dass die neue Einrichtung
über das allfällige Vorhandensein von Austrittsleistungen aus früheren Vorsorgeverhältnissen von Amtes
wegen Nachforschungen anstellen kann, nicht aber
muss. Diese Bestimmung schränkt die Tragweite des
Art. 3 Abs. 1 FZG in keiner Weise ein. ■
(BGer., 10.7.03, BGE 129 V 440)
Art. 3 al. 1, art. 9 al. 1 et art. 11 al. 2 LFLP, art. 1 al. 2
OLP: Transfert de la prestation de sortie
Aussi longtemps qu’aucune autre forme légale de
maintien de la prévoyance n’a été mise en place après
qu’un aussuré quitte son ancienne institution de
prévoyance, la principe du transfert obligatoire de la
prestation de sortie à la nouvelle institution de prévoyance reste pleinement valable même si, dans l’intervalle, un cas de prévoyance s’est réalisé et que l’assuré n’a pas respecté son obligation d’informer.
L’art. 11 al. 2 LFLP signifie que la nouvelle institution
peut mais n’est pas tenue d’effectuer des recherches
d’office sur l’existence éventuelle de prestations de
sortie d’anciens rapports de prévoyance. Cette disposition ne réduit en aucune manière la portée de l’art. 3
al. 1 LFLP. ■
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(TF, 10.7.03, ATF 129 V 440)
Art. 5 Abs. 2 FZG und Art. 97 ff. OR:
Barauszahlung dank gefälschter Unterschrift;
Pensionskasse muss nur einmal zahlen
Das Eidgenössische Versicherungsgericht (EVG) hat ein
Urteil des Zürcher Versicherungsgerichts aufgehoben,
laut dem eine Pensionskasse einer Witwe und ihren
Kindern eine Austrittsleistung von über 200 000 Franken hätte bezahlen müssen. Der versicherte Ehemann
und Vater hatte sich das Pensionskassenguthaben zwei
Jahre vor seinem Tod im Hinblick auf die Aufnahme
einer selbstständigen Erwerbstätigkeit bar auszahlen
lassen und dabei die erforderliche Zustimmung der
Ehefrau mit einer gefälschten Unterschrift «belegt».
Laut dem Urteil aus Luzern hat die gesetzliche Bestimmung, wonach eine Barauszahlung an Verheiratete
nur mit Zustimmung des Ehegatten erfolgen darf
(Art. 5 Abs. 2 Freizügigkeitsgesetz) mit dem neuen
Scheidungsrecht noch an Bedeutung gewonnen, da
nunmehr die während der Ehe erworbene Austrittsleistung bei der Scheidung hälftig geteilt wird. Was
gilt, wenn eine Barauszahlung ohne gültige Zustimmung erfolgt, ist im Gesetz nicht geregelt. Nach Auffassung des EVG ist indes in solchen Fällen «die Austrittsleistung nicht gehörig erbracht» worden.
Daraus folgt gemäss den allgemeinen Regeln des Vertragsrechts, dass die Pensionskasse gegenüber dem
Ehegatten Schadenersatz leisten muss, wenn sie auch
nur ein geringes Verschulden trifft (Art. 97 ff. Obligationenrecht). Diese Voraussetzung ist indes aus Sicht
der Bundesrichter in Luzern nicht erfüllt. Die Pensionskasse musste nicht damit rechnen, dass der Versicherte
die Unterschrift seiner Frau fälschen könnte, um auf
kriminellem Weg eine Barauszahlung zu erlangen. Es
handelte sich um einen der Pensionskasse seit Jahren
bekannten Vizedirektor einer Bank, auf dessen Seriosität sie vertrauen durfte.
Anzumerken bleibt, dass die Barauszahlung Ende der
neunziger Jahre erfolgt war, als die Unterschriften der
Ehefrauen in solchen Fällen generell nicht überprüft
wurden. Im Jahre 2000 wies dann das Bundesamt für
Sozialversicherung die Kassen auf Missbrauchsgefahren hin und mahnte zu Vorsicht. Seither könnte
wohl ein Verschulden nicht mehr verneint werden,
wenn eine Pensionskasse unbesehen auf eine ihr nicht
bekannte Unterschrift eines Ehegatten abstellen
würde. ■
(BGer. 10.10.03, {B 19/01} Jusletter, 26.1.04)
RECHTSPRECHUNG / JURISPRUDENCE
Steuerrecht / Droit fiscal
Art. 20 und Art. 33 DBG: Lebensversicherung
mit fremdfinanzierter Einmalprämie
Bei rückkaufsfähigen Lebensversicherungen mit darlehensfinanzierter Einmalprämie stellt das Bundesgericht bei der Prüfung der Steuerumgehung u.a. darauf ab, ob im Einzelfall sachlich einleuchtende Gründe dafür sprechen, die Einmalprämie durch Darlehensaufnahme und nicht durch eigene Mittel zu finanzieren. Falls hinreichende eigene Mittel verfügbar sind,
um die Prämie zu finanzieren, ist ein Vergleich zwischen dem Ertrag der eigenen Mittel bei anderweitiger
Kapitalanlage sowie der für das Darlehen zu bezahlenden Passivzinsen anzustellen. Ob die verfügbaren Mittel dem Versicherungsnehmer oder aber dessen Gatten, mit welchem er in ungetrennter Ehe lebt, gehören, spielt bei alledem keine Rolle. Liegt eine Steuerumgehung vor, so ist davon auszugehen, der Versicherungsnehmer hätte bei sachgerechter Gestaltung der
Verhältnisse keine Einmalprämienversicherung gewählt, sondern die Finanzierung mittels periodischer
Prämien, Deshalb ist es ausgeschlossen, eine hypothetische Einkaufsverminderung anzunehmen, welche
dem Ertrag auf den verfügbaren eigenen Mitteln im
Umfang der Einmalprämie entspricht. ■
(BGer., 22.10.03, StE 2004, A 12 Nr. 12)
Art. 27 Abs. 2 lit. b DBG: Abzug von Verlusten eines
Quasiwertschriftenhändlers
Ist ein Steuerpflichtiger aufgrund der gesamten Umstände als Wertschriftenhändler im Sinn der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu würdigen, gelten aus
seinen Börsengeschäften stammende Verluste als Geschäftsverluste gemäss Art. 27 As. 2 lit. B DBG. Indes
sind sie nach dieser Bestimmung bloss dann einkommenssteuerlich abzugsfähig, wenn sie «verbucht» sind.
Zwar ist dafür nicht erforderlich, dass nach kaufmännischer Art Buch geführt wird. Doch muss der Steuerpflichtige Aufstellungen über Aktiven und Passiven,
Einnahmen und Ausgaben sowie Privatentnahmen
und Privateinlagen erstellen. Solche Aufzeichnungen
müssen jedenfalls Gewähr für die vollständige und zuverlässige Erfassung des Geschäftseinkommens und
–vermögens bieten sowie eine zumutbare Überprüfung durch die Steuerbehörden erlauben. ■
(BGer., 13.12.03, StE 2004, B 23.9 Nr. 7)
Art. 35 und Art. 33 Abs. 1 Bst. g DBG:
Einkommen natürlicher Personen;
Sozial- und Versicherungsprämienabzüge
Der Wortlaut von Art. 35 Abs. 1b DBG schliesst nicht
aus, dass das Kumulationsverbot von Sozialabzügen
nur auf eine steuerpflichtige Person allein bezogen
wird. Nach dieser gesetzlichen Regelung ist der Unterstützungsabzug gegenüber dem Kinderabzug subsidiär und nicht umgekehrt. Diese Bestimmung lässt bei
richtigem Verständnis lediglich nicht zu, dass einem Elternteil, der bereits den Kinderabzug geltend macht,
zusätzlich noch der Unterstützungsabzug gewährt
wird. Dagegen kann daraus nicht abgeleitet werden,
einem steuerpflichtigen Elternteil sei der Kinderabzug
zu verweigern, wenn dem anderen, Aliment zahlenden Elternteil der Unterstützungsabzug gewährt wird.
Ebenso ist in einem solchen Fall der erhöhte Abzug für
Versicherungsprämien zu bewilligen, da dieser Abzug
an die Gewährung des Kinderabzuges anknüpft. ■
(BGer., 9.4.02, ASA Bd. 72, S. 468)
Art. 35 et art. 33, 1er al., let. g LIFD:
Revenu des personnes physiques; déductions sociales
et déductions des primes d’assurance
La teneur de l’art. 35, 1er al., let. g LIFD n’exclut pas que
l’interdiction de cumuler les déductions sociales se
réfère uniquement à un seul et même contribuable. Selon cette règle légale, la déduction pour personne nécessiteuse est subsidiaire à la déduction pour enfant et
non l’inverse. Cette disposition, bien comprise, exclut
seulement d’accorder en plus la déduction pour personne nécessiteuse à un parent qui fait déjà valoir la
déduction pour enfant. Mais on ne peut pas en déduire
que la déduction pour enfant serait refusée à l’un des
parents contribuables, si la déduction pour personne
nécessiteuse est accordée à l’autre parent qui paie une
pension alimentaire. De même, dans un tel cas, il y a
lieu d’accorder la déduction plus élevée pour les primes
d’assurance, étant donné que cette déduction dépend
de l’octroi de la déduction pour enfant. ■
(TF, 9.4.02, Archives Bd. 72, p. 468)
StG SZ: Gartenunterhaltskosten
Für die Beurteilung, ob bei selbstbenutzten Liegenschaften abzugsfähiger Gartenunterhalt vorliegt, sind
einerseits die Abgrenzungskriterien in der Weisung
des Vorstehers der Steuerverwaltung über die Abgrenzung zwischen Anlage- und Unterhaltskosten vom 24.
Mai 1995 massgebend. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass wiederkehrende Aufwendungen für den
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Gartenunterhalt nur dann abziehbar sind, wenn der
Garten als Nutzungsobjekt in die Bemessung der
Eigenmiete einfliesst. ■
(Verwaltungsgericht Schwyz, 12.2.03, StE 2004 B 25.6 Nr. 50)
§§ 18 Abs. 1, 27 StG ZH und Art. 81 Abs. 1 BVG:
Beiträge an die Arbeitgeberbeitragsreserven für die
eigene berufliche Vorsorge
Einlagen in die Arbeitgeberbeitragsreserven für die
eigene berufliche Vorsorge des selbstständigerwerbenden Unternehmers, welcher sich der Vorsorgeeinrichtung seines Personals angeschlossen hat, stellen keinen
geschäftsmässig begründeten Aufwand dar. ■
(Steuer-Rekurskommission II Zürich, 16.6.03, StE 2004 B 23.45.2 Nr. 6)
§§ 132, 139 Abs. 2, 140 Abs. 2, 142 Abs. 2 StG ZH:
Ermessenseinschätzung
Es ist das gesetzlich festgelegte Ziel der Sachverhaltsermittlung, die massgebenden Verhältnisse einer vollständigen und richtigen Besteuerung festzustellen, und
es steht nicht im Belieben des Steuerpflichtigen, ob er
daran mitwirken will oder nicht. Hinfällig für das neue
Recht ist die Differenzierung nach altem Recht
zwischen ermessensweiser Schätzung (bei steuermehrenden Tatsachen) und gewöhnlicher Schätzung (bei
steuermindernden Tatsachen); das neue Recht sieht immer eine ermessensweise Schätzung vor (soweit nicht
beweislos gebliebene steuermindernde Tatsachen einfach unberücksichtigt bleiben). Bei der Ermessenseinschätzung muss deren offensichtliche Unrichtigkeit im
Einsprache-, spätestens im Rekursverfahren, durch
Sachdarstellung und Beweismittel erbracht werden.
Hat der Steuerpflichtige den Nachweis nicht erbracht,
wird die Schätzung (immerhin noch) auf Willkür geprüft. Die Kostenauflage im Einspracheverfahren ist bei
einer Verfahrenspflichtverletzung statthaft. ■
(Verwaltungsgericht ZH, 21.5.03, ZStP S. 343)
Schuldbetreibungs- und
Konkursrecht
Droit de la poursuite
pour dettes et la faillite
Art. 14 Abs. 1 SchKG: Verstösst der Absendervermerk
«Betreibungsweibel» auf dem Umschlag gegen die
gebotene Diskretion?
Nach Kenntnis der Aufsichtsbehörde ist der beanstandete Stempelaufdruck im betreffenden Weibelbezirk
durchwegs gebräuchlich und fällt somit, wie das gesamte äussere Erscheinungsbild der behördlichen Korrespondenz, unter die allgemeine Amtstätigkeit. Diese
aber unterliegt – im Gegensatz zu einer Verfügung im
Sinne von Art. 17 SchKG Abs. 1 SchKG – nicht der Beschwerde, sondern der periodischen administrativen
Geschäftsprüfung, die im Kanton Bern durch die Justiz, Gemeinde- und Kirchendirektion ausgeübt wird
(Art. 14 Abs. 1 SchKG; Art. 10 Abs. 5 EGSchKG-BE). Da es
an einem Beschwerdegegenstand fehlt, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. Im Übrigen sei jedoch an
die Zustellung der Zahlungsbefehle und der Konkursandrohungen erinnert, die ebenfalls keine absolute
Diskretion gewährleistet. Die genannten Betreibungsurkunden werden offen, d.h. ohne Briefumschlag, zugestellt und nennen sogar den Schuldgrund und -betrag (Art. 69 Abs. 2 und 72 Abs. 2 SchKG). Solche Unannehmlichkeiten liegen im Wesen der Zwangsvollstreckung. Freilich beruht diese offene Zustellung auf
sachlich begründeten, zwingenden Formvorschriften,
während es dem Weibel weit gehend frei steht, wie er
sich als Absender zu erkennen gibt. In einer korrekten
Berufsbezeichnung kann indes keine Pflichtverletzung
liegen, die ein aufsichtsrechtliches Einschreiten rechtfertigen würde. Es bleibt den Betreibungsbeamten
überlassen, die schriftlichen Formen der ihnen unterstellten Weibeldienste in einer Weise festzulegen, welche die Privatsphäre der Betroffenen so wenig wie
möglich tangiert. ■
(Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen, Bern,
28.11.02, BISchK 2004, S. 26)
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StG ZH: Begrenzung des Abzuges privater
Schuldzinsen bei Ehegatten
Die Auslegung der Bestimmung über die Abziehbarkeit der privaten Schuldzinsen ergibt nach Auffassung
der Zürcher Rekurskommission, dass der Freibetrag
von Fr. 50 000.– für den Abzug von privaten Schuldzinsen bei Ehegatten nicht zu verdoppeln ist. ■
(Steuer-Rekurskommission I Zürich, 26.6.03, StE B 27.2 Nr. 27)
Art. 14 al. 1 LP: Le devoir de discrétion
La mention «Betreibungsweibel» sur les actes de poursuites à notifier ne constitue pas une violation du devoir de discrétion. ■
(Tribunal de surveillance, Berne, 28.11.02, BISchK 2004, p. 26)
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Art. 82 Abs. 1 SchKG, Art. 32 Abs. 1 OR: Durch einen
Bevollmächtigten der betriebenen Aktiengesellschaft
unterzeichnete Schuldanerkennung
Es ist willkürlich, die provisorische Rechtsöffnung auf
Grund eines Wechsels zu erteilen, der von einem Bevollmächtigten unterzeichnet ist, dessen Befugnisse,
wären sie auch durch konkludentes Verhalten der
schuldnerischen Aktiengesellschaft erteilt, sich nicht
klar aus den Akten ergeben. ■
(BGer., 25.11.03, BGE 130 III 87)
par le juge quant au montant des aliments dus par le
débiteur à des membres de sa famille. Elles s’en tiennent toutefois généralement au chiffre fixé par le juge,
sauf s’il apparaît que le créancier d’aliments n’a nullement besoin de toute la contribution mise à la charge
du débiteur. Leur liberté d’appréciation est en tous les
cas entière lorsque le juge ne fixe pas lui-même la contribution d’entretien, mais se contente de ratifier une
convention passée à ce sujet par le débiteur et son conjoint. ■
(TF, 11.11.03, ATF 130 III 45)
Art. 82 al. 1 LP, art. 32 al. 1 CO: reconnaissance
de dette signée par un représentant de la société
anonyme poursuivie
Il est arbitraire de prononcer la mainlevée provisoire
de l’opposition sur la base d’effets de change signés
par un représentant dont les pouvoirs, fussent-ils conférés par un comportement concluant de la société
anonyme débitrice, ne ressortent pas clairement du
dossier. ■
(TF, 25.11.03, ATF 130 III 87)
Art. 93 SchKG: Bestimmung des pfändbaren Einkommens; Frage der Verbindlichkeit einer zwischen dem
Schuldner und seiner Ehegattin über die Unterhaltsbeiträge abgeschlossenen und vom Eheschutzrichter
genehmigten Vereinbarung für das Betreibungsamt
Bei der Anwendung von Art. 93 SchKG sind die Betreibungsbehörden grundsätzlich nicht an den richterlichen Entscheid über die vom Schuldner an den Unterhalt vom Familienmitgliedern zu leistenden Beiträge
gebunden. In der Regel werden sie sich jedoch an den
vom Richter festgelegten Betrag halten, es sei denn, es
sei ersichtlich, dass der Unterhaltsgläubiger keineswegs den ganzen Unterhaltsbeitrag benötigt. Ein uneingeschränktes Ermessen steht den Betreibungsbehörden auf jeden Fall dann zu, wenn der Richter
nicht selbst den Unterhaltsbeitrag festgelegt, sondern
sich damit begnügt hat, eine Vereinbarung der Ehegatten zu genehmigen. ■
(BGer., 11.11.03, BGE 130 III 45)
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Art. 93 LP: Détermination du revenu saisissable selon
l’art. 93 LP: question de savoir si l’office est lié par
une convention passée par le débiteur avec son conjoint au sujet du montant de sa contribution d’entretien et approuvée par le juge pour valoir prononcé de
mesures protectrices de l’union conjugale
Dans l’application de l’art. 93 LP, les autorités de poursuite ne sont en principe pas liées par la décision prise
Art. 230 Abs. 2 SchKG: Sicherheit für das Verfahren
eines mangels Aktiven eingestellten Konkurses
Die Höhe der Sicherheitsleistung ist eine reine Ermessensfrage, sodass die Beschwerde an das Bundesgericht nur wegen Ermessensüberschreitung oder -missbrauch zulässig ist. Die im konkreten Fall erhobene
Rüge gegen den verlangten Betrag von Fr. 50 000.– ist
– soweit zulässig – im Hinblick auf den Umfang (etwa
500 Mio. Franken) und die in gewissen Teilen komplizierte Abklärung der Schulden, die Ermittlung, Verwaltung und Verwertung der insbesondere im Ausland
gelegenen Aktiven (mehr als 180 Mio. Franken) und
die ungenügenden Angaben in der Bilanz der Gemeinschuldnerin unbegründet. Festlegung einer neuen
Frist zur Zahlung der Sicherheitsleistung, um die Gewährung der aufschiebenden Wirkung zu berücksichtigen. ■
(BGer., 3.12.03, BGE 130 III 90)
Art. 230 al. 2 LP: Sûreté pour la liquidation
d’une faillite suspendue faute d’actif
La question du montant de la sûreté à fournir étant
une pure question d’appréciation, le recours au Tribunal fédéral n’est recevable que pour abus ou excès du
pouvoir d’appréciation. Rejet, dans la mesure de sa recevabilité, d’un tel grief soulevé à propos du montant
de 50 000 fr. réclamé en l’espèce, eu égard à l’importance du passif (quelque 500 millions de francs), à la
complexité de l’étude de certains de ses éléments, aux
actifs à déterminer, administrer et réaliser (plus de 180
millions de francs), en particulier à l’étranger, et à
l’insuffisance des indications figurant au bilan de la
faillie. Fixation d’un nouveau délai de paiement de la
sûreté pour tenir compte de l’octroi de l’effet suspensif. ■
(TF, 3.12.03, ATF 130 III 90)
RECHTSPRECHUNG / JURISPRUDENCE
Art. 293 und Art. 307 SchKG, Art. 88 OG:
Entscheid betreffend Nichtbestätigung eines Nachlassvertrages, Beschwerdelegitimation der Gläubiger
Wenn die Bestätigung eines Nachlassvertrages von der
letzten kantonalen Instanz verweigert worden ist, ist
ein Gläubiger zur Führung einer staatsrechtlichen Beschwerde nach Art. 88 OG nur berechtigt, falls er selbst
die Eröffnung des Nachlassverfahrens verlangt oder im
kantonalen Verfahren wenigstens ausdrücklich um Bestätigung des Nachlassvertrages ersucht hat. ■
qui exclut, pour le cas d’un excédent d’actif, que les
créances soient productives d’intérêts. ■
(BGer., 26.8.03, BGE 129 III 559 ff)
Zivilrecht / Droit civil
(BGer., 29.10.03, BGE 129 III 758)
Art. 293 et art. 307 LP, art. 88 OJ: Décision refusant
d’homologuer un concordat, qualité pour recourir des
créanciers
Lorsque l’homologation d’un concordat est refusée en
dernière instance cantonale, un créancier n’a qualité
pour former un recours de droit public, au regard de
l’art. 88 OJ, que s’il a lui-même requis l’ouverture de la
procédure concordataire, ou s’il a à tout le moins conclu expressément à l’homologation du concordat devant la juridiction cantonale. ■
(BGer., 29.10.03, BGE 129 III 758)
Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung;
Verwendung eines Liquidationsüberschusses
Legitimation des Nachlassschuldners zur Beschwerde
gegen eine provisorische Verteilungsliste, zulässige
Rügen und Prüfungsbefugnis der Aufsichtsbehörden.
Ein Liquidationsüberschuss nach Deckung der kollozierten Forderungen dient zur Bezahlung der Zinsen,
die die Gläubiger für die Zeit nach der Bewilligung der
Stundung hätten verlangen können, wenn es nicht
zum Abschluss des Nachlassvertrags mit Vermögensabtretung gekommen wäre. Vorbehalten bleibt der
Nachlassvertrag, in dem die Verzinslichkeit der Forderungen für den Fall eines Aktivenüberschusses ausgeschlossen wird. ■
(BGer., 26.8.03, BGE 129 III 559 ff)
Concordat par abandon d’actif;
affectation d’un excédent de liquidation
Qualité pour recourir du débiteur concordataire contre
un tableau de répartition provisoire, griefs admissibles
et pouvoir d’examen des autorités de surveillance. Un
excédent de liquidation après couverture des créances
colloquées sert au paiement des intérêts que les créanciers auraient pu exiger pour la période postérieure à
l’octroi du sursis si le concordat par abandon d’actif
n’avait pas été conclu. Demeure réservé le concordat
Art. 122, Art. 141 und Art. 142 ZGB, Art. 22 und 25a
FZG: Teilung der Austrittsleistungen bei Scheidung;
Zuständigkeit des Sozialversicherungsgerichts zur
Prüfung der Durchführbarkeit einer von den Ehegatten ohne eindeutige Bestätigungen der Vorsorgeeinrichtungen vereinbarten Scheidungskonvention
Ein Scheidungsurteil, in welchem eine Vereinbarung
der Ehegatten über die Teilung der Austrittsleistungen
der beruflichen Vorsorge genehmigt wird, ist gegenüber den beteiligten Vorsorgeeinrichtungen insoweit
vollstreckbar, als diese die Durchführbarkeit der getroffenen Regelung im Sinne von Art. 141 Abs. 1 ZGB
bestätigt haben.
Verweigert eine Vorsorgeeinrichtung den Vollzug
eines Scheidungsurteils mit der Begründung, die vorgesehene Teilung sei nicht durchführbar, hat das vom
forderungsberechtigten Ehegatten klageweise angerufene Sozialversicherungsgericht zu prüfen, ob das
ergangene Urteil der Vorsorgeeinrichtung entgegengehalten werden kann. Bejaht es dies, hat es die klägerische Partei auf den Weg der Zwangsvollstreckung
zu verweisen. Andernfalls ist auf die Klage materiell
einzutreten, die Durchführbarkeit der vom Scheidungsrichter genehmigten Vereinbarung zu prüfen
und, sofern diese gegeben ist, ein die Vorsorgeeinrichtung verpflichtendes Urteil auszufällen. ■
(BGer., 10.9.03, BGE 129 V 444)
Art. 122, art. 141 et art. 142 CC, art. 22 et art. 25a LFLP:
Partage des prestations de sortie en cas de divorce;
compétence du juge des assurances sociales pour
statuer sur le caractère réalisable de l’accord entre
époux, en l’absence d’attestations idoines des
institutions de prévoyance
Un jugement de divorce approuvant la convention
entre époux relative au partage des prestations de
sortie de la prévoyance professionnelle est exécutoire,
vis-à-vis des institutions de prévoyance concernées,
pour autant que celles-ci aient attesté le caractère
réalisable de l’accord conformément à l’art. 141 al. 1
CC.
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Si une institution de prévoyance refuse d’exécuter un
jugement de divorce au motif que le partage prévu
n’est pas réalisable, le juge des assurances sociales, saisi
d’une action par l’époux créancier, doit vérifier si le
jugement en question est opposable à l’institution de
prévoyance. Dans l’affirmative, il doit renvoyer le
demandeur à agir par la voie de l’exécution forcée.
Dans la négative, il doit entrer en matière sur l’action,
vérifier le caractère réalisable de l’accord approuvé par
le juge du divorce et rendre, le cas échéant, un jugement condamnatoire à l’encontre de l’institution de
prévoyance. ■
Art. 604 und Art. 635 Abs. 1 ZGB:
Grundsätzlich sind in einen Erbteilungsprozess alle
Miterben einzubeziehen
Verzichtet ein Erbe ohne rechtsgültige Ausschlagung
oder Abtretung im Sinne von Art. 635 Abs. 1 ZGB auf
seine Erbansprüche, so behält er seine Erbenstellung
bei und ist folglich in den Erbteilungsprozess mit einzubeziehen. ■
(TF, 10.9.03, ATF 129 V 444)
Art. 646 Abs. 3 ZGB, Art. 32 GBV: Unselbstständiges
Miteigentum, Teilung des Hauptgrundstückes
Ist eine Parzelle im Grundbuch als unselbstständiges
Miteigentum von mehreren Hauptgrundstücken eingetragen, können die Beziehungen zwischen diesen
Liegenschaften ohne Zustimmung sämtlicher Miteigentümer nicht geändert werden. Eine solche Änderung liegt nicht nur vor, wenn ein Miteigentumsanteil
von einem Hauptgrundstück losgelöst wird, insbesondere um auf einen Dritten übertragen oder an ein anderes Grundstück gebunden zu werden, sondern auch
wenn ein Hauptgrundstück geteilt wird und der daran
gebundene unselbstständige Miteigentumsanteil vollständig auf eine der aus der Teilung hervorgegangenen Parzellen übertragen wird. (Präzisierung der
Rechtsprechung) ■
Art. 518 und Art. 595 ZGB: Aufsichtsbeschwerdeverfahren gegen einen Willensvollstrecker
Säumnisfolgen. Die Aufsichtsbehörde hat keine Kognitionsbefugnis hinsichtlich materieller Rechtsfragen,
die in endgültiger und dauernder Weise ein zwischen
den Parteien streitiges zivilrechtliches Verhältnis
regeln. ■
(Kantonsgericht SZ, 21.5.02, SJZ 2004, S. 141)
Art. 518 et art. 595 CCS: Procédure de plainte contre
un exécuteur testamentaire
Conséquences du défaut. L’autorité de surveillance n’a
pas de pouvoir de cognition sur les questions de droit
matériel, qui règlent de manière définitive et durable
les relations de droit civil litigieuses entre les parties. ■
(Tribunal cantonal SZ, 21.5.02, SJZ 2004, p. 141)
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(Obergericht Kt. ZH, 15.4.03, ZR 2004 Nr. 4)
(BGer., 10.10.03, BGE 130 III 1)
Art. 646 al. 3 CC, art. 32 ORF: Copropriété
dépendante, division d’un immeuble principal
Lorsqu’une parcelle est inscrite au registre foncier comme copropriété dépendante de plusieurs immeubles
principaux, les relations entre les biens-fonds intéres-
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sés ne peuvent être modifiées sans l’accord de tous les
copropriété cesse d’être liée à un autre bien-fonds,
mais aussi lorsqu’un immeuble principal est divisé et
que la part de copropriété dépendante qui y est liée est
reportée entièrement sur l’une des parcelles issues de
la division (précision de la jurisprudence). ■
versammlung auch den Fälligkeitstermin der zu leistenden Einlagen mit dem erforderlichen Mehr gültig
festlegen. ■
(Obergericht Zürich, 22.11.03, ZR 2003 Nr. 51)
(TF, 10.10.03, ATF 130 III 1)
Art. 712h Abs. 2 Ziff. 2, Art. 712m Abs. 1 Ziff. 5 ZGB
und Art. 77 OR: Kosten für die Verwaltungstätigkeit
von Stockwerkeigentümern; Äufnung
eines Erneuerungsfonds durch Sonderzuweisungen;
Fälligkeit von Vorschüssen
Zu den Kosten für die Verwaltungstätigkeit im engeren Sinn gehören auch die Auslagen für die Durchführung der Stockwerkeigentümerversammlung. Darunter lassen sich auch Konsumationskosten subsumieren, soweit sie etwa an die Stelle einer Saalmiete treten und sich in einem vernünftigen Rahmen bewegen.
Es ist der Stockwerkeigentümergemeinschaft unbenommen, die effektive Geltung ihrer reglementarischen Vorschriften durch blosse Zusätze (zusätzliche
eigentliche Reglementsbestimmungen, zusätzliche
besondere
Stockwerkeigentümerversammlungsbeschlüsse) unter Einhaltung allfälliger Quoten abzuändern. Schreibt das Benutzungs- und Verwaltungsreglement eine jährliche Einlage in bestimmter Höhe in den
Erneuerungsfonds vor, ist die Stockwerkeigentümerversammlung befugt, jedenfalls mit dem auch für Reglementsänderungen erforderlichen Mehr auch über
den im Reglement fixierten Betrag hinausgehende Einlagen in den Erneuerungsfonds (Sonderzuweisung) zu
beschliessen. Dabei kann die Stockwerkeigentümer-
Art. 7121 und Art. 712q ZGB: Richterliche Ernennung
eines Verwalters. Passivlegitimation bei einer
Stockwerkeigentümergemeinschaft, wenn die
Gemeinschaft nur aus zwei Mitgliedern besteht
Die Kläger und die Beklagte bilden zusammen die
Stockwerkeigentümergemeinschaft R. in Luzern mit je
einer Wertquote von 500/1000 am Stammgrundstück.
Mit Gesuch vom 12. Dezember 2001, gerichtet gegen
die Beklagte, verlangten die Kläger die Ernennung
eines externen Verwalters durch den Richter für die
Stockwerkeigentümergemeinschaft R. in Luzern. Wie
schon vor dem Amtsgerichtspräsidenten bestritt die
Beklagte ihre Passivlegitimation. Passivlegitimiert sei
die Stockwerkeigentümergemeinschaft. Das Obergericht verwarf diesen Einwand.
Aus den Erwägungen:
Die Stockwerkeigentümergemeinschaft besitzt eine
beschränkte passive Prozessfähigkeit. Diese erstreckt
sich ausschliesslich auf den Bereich ihrer Nutzungsund Verwaltungstätigkeit und damit auf den Umfang
der Vermögensfähigkeit der Gemeinschaft (Bösch,
Basler Komm., N 15 f. zu Art. 7121 ZGB; MeierHayoz/Rey, Berner Komm., N 98 zu Art. 7121 ZGB). Im
richterlichen Verfahren um Ernennung eines Verwalters ist grundsätzlich die Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer passivlegitimiert (Bösch, a.a.O,. N 11 zu
Art. 712q ZGB). Im vorliegenden Fall besteht die Stock-
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werkeigentümergemeinschaft aus nur zwei Stockwerkeigentümerschaften, nämlich den Klägern einerseits und der I.AG anderseits, die erst noch eine Wertquote von je 500/1000 halten. Die Stockwerkeigentümergemeinschaft ist in ihrer Willensbildung daher
stark eingeschränkt, Beschlüsse können nur einstimmig gefasst werden. Mehrheitsbeschlüsse sind unmöglich. Diese Besonderheit rechtfertigt bzw. verlangt
sogar in prozessualer Hinsicht Abweichungen vom genannten Grundsatz. Sind sich die Parteien in der Willensbildung der Gemeinschaft gegenseitig ausgeliefert, muss die eine Seite die andere Seite allein beklagen können. Die Passivlegitimation der I. AG ist als gegeben zu betrachten.
Selbst wenn man nicht so weit ginge, könnte den Klägern die alleinige Belangung der I.AG nicht schaden.
Aus Gesuch und Replik ist deutlich erkennbar, dass die
Kläger um die Ernennung eines Verwalters für die
Stockwerkeigentümergemeinschaft R. in Luzern ersuchen (je Titelblatt). In diesem Fall hätte es bei der Korrektur der Parteibezeichnung der beklagten Seite entsprechend dem wirklichen prozessualen Willen der
Kläger sein Bewenden. ■
(Obergericht Kt. LU, 18.12.02, ZBJV 2003 S. 922)
Obligationenrecht
Droit des obligations
Art. 1 und Art. 23f. OR: Vereinbarung über
Entschädigung bei Auszug
Vereinbaren die Parteien nach einer Kündigung durch
den Vermieter eine Entschädigung für den Fall, dass
der Mieter bis zu einem vereinbarten Zeitpunkt auszieht, so ist die Entschädigung geschuldet, auch wenn
der Mieter zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Vertrags bereits über ein geeignetes Ersatzobjekt verfügte. ■
(BGer., 21.7.03, mp 2003 S. 126)
Art. 260 Abs. 1 und Art. 257h Abs. 1 OR:
Zumutbarkeit von Renovationen
Umfasst eine Renovation sowohl Unterhalts- und Reparaturarbeiten als auch Erneuerungen, muss sie der
Mieter nur dulden, wenn sie für ihn zumutbar sind. Die
Zumutbarkeit richtet sich vor allem nach dem Mass der
Beeinträchtigung im Gebrauch während der Bauarbeiten. Auch das Ausmass der anschliessenden Mietzinserhöhung und die Komfortsteigerung für den Mieter
sowie die Möglichkeit weniger einschneidender baulicher Massnahmen sind zu berücksichtigen. Keine
Rolle spielt das Vorliegen einer kantonalen Bewilligung zum Umbau. ■
(BGer., 4.3.03, mp 2003 S. 185)
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Art. 266 und Art. 272 OR: Stillschweigende
Fortsetzung des Mietverhältnisses; Erstreckung
Verbleibt ein Mieter nach der Auflösung eines Mietverhältnisses 7 Monate in der Wohnung und bezahlt
die Miete weiter, ohne dass der Vermieter reagiert, ist
die stillschweigende Fortsetzung des Mietverhältnisses
RECHTSPRECHUNG / JURISPRUDENCE
anzunehmen. Bei fehlenden Eigenbedarf ist für einen
betagten Mieter in prekären finanziellen Verhältnissen nach einer Mietdauer von fast 30 Jahren eine
Erstreckung um 4 Jahre angemessen, auch wenn der
Mieter keine Bemühungen, eine Ersatzwohnung zu
finden nachweist. ■
(Cour de justice ct. GE, 7.4..03, mp 2003, S. 139)
Art. 266g und Art. 271a Abs. 3 lit. e OR: Kündigung
aus wichtigem Grund während Sperrfrist
Bei gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen
Mieter und Vermieter handelt es sich um Rechtsbehelfe des Mietrechts, deren Inanspruchnahme nicht zum
Vornherein auf ein schlechtes oder gar heillos zerstrittenes persönliches Mieter-/Vermieterverhältnis schliessen lässt. Mit ihrer Erledigung haben diese Verfahren
als abgeschlossen zu gelten und können insbesondere
der unterliegenden Partei in der Zukunft nicht als Begründung für ein Zerwürfnis dienen.
Die Parteien haben im Juni 2001 einen gerichtlichen
Vergleich betreffend einer Mietzinserhöhung abgeschlossen. Mit amtlichem Formular hat der Vermieter
das Mietverhältnis am 16. Juli 2002 auf den nächstmöglichen vertraglichen Kündigungstermin, den
1. April 2003, gekündet. Die Kündigung enthielt weder
eine Begründung noch einen Vermerk, dass eine ausserordentliche Kündigung aus wichtigen Gründen beabsichtigt werde. Die Kündigung wurde vom Mieter –
da sie innerhalb der dreijährigen Sperrfrist ausgesprochen wurde – als missbräuchlich angefochten.
Vor der Schlichtungsbehörde machte der Vermieter
geltend, dass zwischen den Parteien das Vertrauensverhältnis massiv gestört sei, ja eine eigentliche Feindschaft bestehe und er deswegen unter erheblichen
gesundheitlichen Problemen leide. Es lägen somit
wichtige Gründe vor, welche ihm eine Fortführung des
Mietverhältnisses unzumutbar machen würden, und
die Auflösung des Mietverhältnisses sei medizinisch
geboten.
Wiederholte Reibereien oder Provokationen gelten als
wichtiger Grund, der eine vorzeitige Vertragsauflösung rechtfertigt, wenn dadurch das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien derart gestört ist, dass
eine Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht mehr zumutbar ist (SVIT-Kommentar Mietrecht II, N 15 zu
Art. 266g CR). Vorliegend ist aber zu beachten, dass die
Parteien nicht in derselben Liegenschaft wohnen und
sich deswegen nicht zwangsläufig regelmässig begeg-
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nen, auch wenn sie im gleichen Quartier leben. Nach
dem Entscheid der Schlichtungsbehörde vom 12. Februar 2002, mit welchem das Mietzinsherabsetzungsbegehren des Mieters abgewiesen worden war, fand zwischen den Parteien kein Kontakt mehr statt, weder
persönlich/telefonisch mündlich, noch schriftlich, noch
im Zusammenhang mit einem weiteren Gerichtsverfahren. Es ist daher nicht ersichtlich, dass es ab diesem
Zeitpunkt zu weiteren Reibereien, Unstimmigkeiten
oder gar Gehässigkeiten gekommen ist. Ein ständiger
und zermürbender «Kleinkrieg» lässt sich nicht ausmachen und wird auch gar nicht behauptet. Dass die abgeschlossenen Gerichtsverfahren und der Erhalt einer
Strafverfügung beim Vermieter emotional möglicherweise länger nachwirkten und diesen belasteten, stellt
keinen wichtigen Kündigungsgrund im Sinne von
Art. 266g CR dar, auch wenn die durch diese Verfahren
ausgelösten persönlichen Differenzen mit der Erledigung der Gerichtsverfahren nicht beigelegt worden
sind, sondern weiterhin bestehen, aber zwischenzeitlich anscheinend nicht mehr offen ausgebrochen sind.
Fehlt ein wichtiger Grund im Sinne von Art. 266g CR,
entfällt die Prüfung der Frage, ob die Fortsetzung des
Mietverhältnisses unzumutbar sei. Die ausgesprochene
Kündigung ist demnach missbräuchlich. Die Frage nach
einer Erstreckung des Mietverhältnisses wird damit
gleichfalls obsolet. ■
(Obergericht Kt. ZH, 5.9.03, mp 2003, S. 194)
Art. 267 Abs. 1 OR: Fehlendes Protokoll bei Einzug
Eine vorformulierte allgemeine Vertragsklausel, welche den Mieter verpflichtet, allfällige Mängel der
Mietsache innert 10 Tagen nach Mietantritt zu melden,
andernfalls das Mietobjekt als in gutem Zustand übernommen gilt, ist ungültig. Der Vermieter genügt seiner
Beweispflicht nicht durch den Nachweis, dass es sich
um eine Erstvermietung handelte. ■
(Obergericht Kt. AG, 12.11.02. mp 2003 S. 197)
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Bonuszahlung, Abgrenzung von Lohnbestandteil
und Gratifikation
Ob ein Bonus für die Parteien zur entscheidenden Entschädigung für die Arbeitsleistung und damit zum
Lohn geworden ist oder ob er eine blosse Zusatzvergütung und damit eine Gratifikation geblieben ist, hängt
von seiner Regelmässigkeit und der Höhe des Fixlohnes
ab. Der akzessorische Charakter erscheint kaum mehr
gewahrt, wenn der Bonus regelmässig einen höheren
Betrag erreicht als der Lohn. Ein Bonus von Fr. 30 000.–
neben einem Fixlohn von Fr. 130.– stellt eine Gratifikation dar, wenn klar vereinbart ist, dass kein Anspruch
auf den Bonus besteht. ■
(BGer., 24.4.03, ARV 2003 S. 154)
Paiement d’un bonus, distinction d’avec le salaire
et la gratification
Pour déterminer si un bonus est la contrepartie convenue du travail est ainsi devenu une partie du salaire, ou
s’il constitue seulement une rémunération accessoire
sous forme de gratification, il faut se fonder sur sa
régularité et le montant du salaire fixe. Le bonus paraît
perdre son caractère accessoire s’il atteint régulièrement un montant supérieur à celui du salaire fixe. Un
bonus de 30 000 fr., à côté d’un salaire fixe de 130 fr.
constitue une gratification, lorsqu’il a été clairement
convenu que le travailleur n’y a pas un droit. ■
(TF, 24.4.03, DTA 2003 p. 154)
Art. 323b Abs. 3 und Art. 329c OR, GAV Nachwirkung
nach Ablauf der Geltungsdauer;
Verwirkung des Ferienanspruchs; «Truckverbot»
Der Wegfall des GAV verändert den Inhalt der unterstellten Einzelarbeitsverträge vorbehältlich anderer
Abreden nicht. Die Rechtsprechung, nach welcher der
Anspruch verwirkt, wenn die Ferien des laufenden
Dienstjahres nicht spätestens im Folgejahr bezogen
werden, ist überholt. Eine Verpflegungsvereinbarung,
wonach der Arbeitnehmer verpflichtet ist, beim
Arbeitgeber Mahlzeiten zu beziehen, ist unzulässig. ■
(Ber., 2.10.03, BGE 130 III 19)
Art. 323b al. 3 et art. 329c CO, CCT: Effet après
l’expiration de sa durée de validité; péremption du
droit aux vacances; interdiction des accords sur
l'utilisation du salaire dans l’intérêt de l’employeur
(«Truckverbot»)
La caducité de la CCT ne modifie pas le contenu des
contrats individuels de travail lui étant soumis, sauf
accord contraire. Est dépassée la jurisprudence selon
laquelle le droit aux vacances de l’année de service
courante se périme s’il n’est pas exercé au plus tard
l’année qui suit. Invalidité d’une convention d’entretien par laquelle le travailleur s’oblige à prendre ses
repas auprès de l’employeur. ■
(TF, 2.10.03, ATF 130 III 19)
RECHTSPRECHUNG / JURISPRUDENCE
Art. 337 OR: Fristlose Kündigung; wichtiger Grund
Der Arbeitgeber ist befugt, einen Arbeitnehmer, welcher die gesamte elektronische Post seines Vorgesetzten ohne dessen Wissen in seinen eigenen elektronischen Briefkasten umgeleitet hat, fristlos und ohne
Vorwarnung zu entlassen. ■
(BGer., 21.10.03, BGE 130 III 28)
Art. 337 CO: Licenciement immédiat; juste motif;
argument juridique nouveau
L’employeur est en droit de licencier avec effet immédiat et sans avertissement préalable le salarié qui a
dévié sur sa propre messagerie tout le courrier électronique de son supérieur hiérarchique à son insu. Caractère tardif du licenciement invoqué comme un argument juridique nouveau. Question laissée ouverte,
faute de constations de fait suffisantes. ■
(TF, 21.10.03, ATF 130 III 28)
Versicherungsvertragsrecht
Droit du contrat
d’assurance
Strafrecht / Droit pénal
EG SVG Kt. GE: Verkehrssünder im Firmenauto;
Pflicht zur Nennung des Fahrers
Das Bundesgericht hat eine Busse von 480 Franken für
den Verwaltungsrat eines Unternehmens bestätigt,
der sich geweigert hatte, den Strafbehörden Auskunft
über die Identität des Fahrers eines Firmenfahrzeugs
zu erteilen. Diese Angabe muss der Halter eines Firmenwagens gemäss Genfer Einführungsgesetz zur eidgenössischen Strassenverkehrsgesetzgebung machen,
wenn mit dem Fahrzeug gegen eine Verkehrsregel verstossen wurde.
Laut einstimmig gefälltem Urteil der I. Öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts darf mit solchen
kantonalen Bestimmungen zwar nicht erzwungen
werden, dass der Verantwortliche eines Unternehmens
sich selber oder nahe Familienangehörige der Gefahr
einer Strafverfolgung aussetzt. Andernfalls wäre die
Europäische Menschenrechtskonvention verletzt
(Art. 6). Im beurteilten Fall indes hatte der angefragte
Verwaltungsrat nicht geltend gemacht, er würde
durch die Preisgabe der Identität des Fahrers sich oder
Angehörige belasten. Er hatte vielmehr überhaupt
nicht auf die behördliche Anfrage reagiert und damit
seine gesetzliche Pflicht zur Kooperation verletzt,
wofür er gebüsst werden durfte. ■
(BGer., 8.1.04 {1P.631/2003} Jusletter, 23.2.04)
Art. 6 VVG: Versicherungsvertrag;
Anforderungen an eine Rücktrittserklärung
Um gültig zu sein, muss eine Rücktrittserklärung ausführlich auf die verschwiegene oder ungenau mitgeteilte Gefahrstatsache hinweisen. Sie muss die ungenau beantwortete Frage erwähnen. ■
(BGer., 3.4.03, BGE 129 III 702)
Art. 6 LCA: Contrat d’assurance;
conditions de validité d’une déclaration de résolution
Pour être valable, la déclaration de résolution du
contrat doit décrite de manière circonstanciée le fait
important non déclaré ou inexactement déclaré ; elle
doit mentionner la question qui a fait l’objet d’une
réponse inexacte. ■
(TF, 3.4.03, ATF 129 III 702)
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