LandderEinfamilienhäuser - vlp

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LandderEinfamilienhäuser - vlp
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Schweiz
Samstag, 22. Oktober 2016
Land der Einfamilienhäuser
Unia zahlt Burger
Weiterbildung
Trennung Die
Affäre schlug
hohe Wellen.
Vor gut einem
Monat trat Roman Burger (39,
Bild) als Chef
der Unia-Sektion Zürich-Schaffhausen zurück, weil er eine Angestellte via SMS sexuell belästigt hatte. Die Unia Schweiz stellte Burger darauf sofort frei, für
eine fristlose Kündigung reichte
dessen Fehlverhalten aber nicht,
Burger blieb auf der Lohnliste
der Gewerkschaft.
Nun haben sich die Unia und
Burger über die Abgangsmodalitäten geeinigt. Roman Burger
kündigt auf Ende Januar, dies
unter Einbezug der ordentlichen
Kündigungsfrist wie Unia-Sprecher Pepo Hofstetter auf Anfrage
mitteilte. Bis zum Ende der Anstellung wird die Unia Burger helfen, einen neuen Job zu finden
oder eine geeignete Weiterbildung zu organisieren. Die
Kosten, die Burger dadurch entstehen, übernimmt die Unia bis
zum Maximalbetrag von 40 000
Franken. Diese Summe legte die
Unia aufgrund der Dauer der Anstellung fest. Burger arbeitete 18
Jahre für die Gewerkschaft. (kä.)
Nette Worte aus
der Slowakei
EU Der slowakische Präsident
Andrej Kiska hat der Schweiz gestern einen offiziellen Besuch abgestattet. Dies ist insbesondere
darum von Interesse, weil die Slowakei derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Im Zentrum
der Gespräche standen denn
auch die bilateralen Beziehungen
und die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative.
Kiska sagte, die Beziehungen
zwischen der Schweiz und der EU
seien gut. Jegliche Beeinträchtigung würde niemandem dienen.
Er sei froh, dass während der slowakischen EU-Ratspräsidentschaft miteinander gesprochen
werde. Dabei sei mehr und mehr
Verständnis aufgekommen. «Ich
bin überzeugt, dass bis Ende Jahr
ein Vorschlag auf gutem Weg
ist», sagte Kiska. Zum vorliegenden Vorschlag des Nationalrats –
zum «Inländervorrang light» –
wollte sich Kiska nicht konkret
äussern (sda.)
Raumplanung Die Zahl der Einfamilienhäuser steigt. Täglich wird eine Grünfläche von zehn Fussballfeldern
bebaut. Die Jungen Grünen fordern eine Trendwende. Sie haben eine Initiative eingereicht.
Kari Kälin
Anteil Einfamilienhäuser nach Kantonen 2014
Ein Einfamilienhaus in naturnaher Umgebung: Davon träumen
mehr als die Hälfte der Schweizer, wie eine Umfrage des
Zürcher Politologen Michael
Hermann zeigt. Jeder dritte
Schweizer hat sich den Wunsch
vom eigenen Heim bereits erfüllt. Das schlägt sich auch in
der Gebäudestatistik nieder.
2014 waren 57,4 Prozent der
rund 1,7 Millionen bewohnbaren
Bauten Einfamilienhäuser (siehe Grafik).
Der Trend ist ungebrochen.
70 Prozent aller Wohngebäude,
die seit 2000 errichtet wurden,
sind Einfamilienhäuser. Dichtestress herrscht darin nicht. In fast
jedem zweiten Einfamilienhaus
wohnen nur eine oder zwei Personen, wie aktuelle Daten des
Bundesamtes für Statistik zeigen. Nur in 9 Prozent aller Einfamilienhäuser leben mehr als vier
Personen. Es ist nur logisch, dass
damit eine Einzelperson immer
mehr Wohnfläche beansprucht.
Im Jahr 2014 waren dies 45 Quadratmeter.
Aufstockung
von Gebäuden
Der Boom bei den Einfamilienhäusern ist mit ein Grund, weshalb hierzulande jeden Tag eine
Landwirtschaftsfläche von zehn
Fussballfeldern verschwindet –
und sich die Siedlungsfläche immer stärker ausdehnt. Die Jungen
Grünen wollen diese Entwicklung mit einer Initiative gegen die
Zersiedelung bremsen. Gestern
haben sie der Bundeskanzlei
135 000 Unterschriften übergeben, davon 112 000 beglaubigte.
Die Initianten verlangen unter
anderem, dass kein neues Bauland mehr eingezont werden
darf, ohne dass anderenorts eine
gleich grosse Fläche ausgezont
wird. Um die Verdichtung zu fördern, akzeptieren die Initianten
eine moderate Aufstockung von
Gebäuden. Sie sind überzeugt,
dass damit genug Wohnraum für
die wachsende Bevölkerung geschaffen werden kann.
Hohe Häuser: Da liegt noch
einiges Potenzial brach. Mehr als
die Hälfte aller Wohnbauten haben nur eine oder zwei Etagen,
70% und mehr
SH
60% bis 69,9%
BS
50% bis 59,9%
40% bis 49,9%
30% bis 39,9%
TG
ZH
AG
BL
JU
AR
SO
SG
AI
ZG
LU
NE
BE
SZ
NW
OW
FR
GL
UR
GR
VD
TI
VS
GE
seit Mai 2014 in Kraft, das Volk
hatte es im März 2013 mit 62,9
Prozent Ja-Stimmen gutgeheissen. Es besagt, dass die Kantone
und Gemeinden nur noch so viel
Bauland einzonen dürfen, wie sie
in den nächsten 15 Jahren voraussichtlich benötigen. Das bedeutet, dass einige Kantone überdimensionierte Baulandreserven
rückzonen müssen. Betroffen ist
vor allem der Kanton Wallis. Gemäss einer Statistik aus dem Jahr
2012 ist dort bis zu einem Drittel
des Baulands unbebaut.
Die Besitzer, deren Land
durch die Rückzonung massiv an
Wert verliert, erhalten in gewissen Fällen eine Entschädigung.
Diese wird finanziert durch die
Mehrwertabgabe. Kantone und
Gemeinden müssen seit dem Ja
zum RPG mindestens 20 Prozent
des Mehrwerts einkassieren,
wenn neues Land eingezont wird
und es der Besitzer verkauft oder
wenn das Bauland überbaut wird.
Kantone drücken
aufs Tempo
Anteile Wohngebäude und Bewohner in der Schweiz 2014
Einfamilienhäuser
Mehrfamilienhäuser
57,4%
Gebäude
51,4%
Bewohner
28,0%
Bewohner
Wohngebäude
mit Nebennutzung
Gebäude
mit Wohnnutzung
Wohnhäuser mit Gewerbe,
Bauernhäuser
Verwaltungsgebäude oder
Schulhäuser mit Abwartwohnungen, aber auch Hotels,
Spitäler,
er Heime usw.
er,
26,1%
Gebäude
16,0%
11,7% Bewohner
Gebäude
4,8% 4,6%
Gebäude Bewohner
Quelle: BFS / Grafik: Oliver Marx
sieben bis neun Geschosse gibt es
in 1,3 Prozent der Wohnbauten,
zehn und mehr wie bei den Hochhäusern auf der Luzerner Allmend lediglich in 0,2 Prozent der
Fälle.
Lukas Bühlmann ist Direktor
der Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung (VLP).
Diese versteht sich als Informations- und Diskussionsplattform
für Kantone, Gemeinden und
Private in Raumplanungs- und
Umweltfragen. Bühlmann ist
überzeugt, dass künftig vermehrt
in die Höhe gebaut wird. Den hohen Anteil an Einfamilienhäusern und den Wunsch nach dem
Eigenheim im Grünen findet er
problematisch – auch, weil neue
Quartiere für den Verkehr erschlossen werden müssen, was
zusätzliches Land wegfrisst. Er
stellt aber auch andere gesellschaftliche Trends fest: dass es
die Menschen vermehrt in Zentren zieht, weil dort die Infrastruktur, etwa der Zugang zum
öffentlichen Verkehr, besser ist
oder es mehr Krippenplätze für
Familien gibt.
Der Initiative der Jungen Grünen steht Bühlmann kritisch
gegenüber. Sie sei überstürzt,
man müsse zuerst abwarten, welche Erfahrungen man mit dem
revidierten Raumplanungsgesetz
(RPG) mache. Damit will der
Bundesrat erreichen, dass dank
verdichteter Bauweise mehr
Wohn- oder Büroraum auf weniger Fläche entsteht. Das RPG ist
Die Kantone haben noch bis 2019
Zeit, das RPG umzusetzen. Bereits genehmigt hat der Bund die
neuen Richtpläne der Kantone
Luzern, Bern, Zürich, Basel-Stadt
und Genf. Die meisten anderen
Kantone haben einen Richtplan
zur Vorprüfung eingereicht, wie
Claudia Guggisberg, Leiterin
Richtplanung beim Bundesamt
für Raumentwicklung, sagt. VLPDirektor Bühlmann sieht das
RPG auf Kurs. Er zeigt sich vom
Tempo der Kantone «beeindruckt». Diese haben auch ein
Interesse daran, sich zu beeilen.
Ohne neuen Richtplan dürfen sie
kein neues Land einzonen, falls
nicht eine gleich grosse Fläche
ausgezont wird.
Das grösste Problem ortet
Bühlmann heute bei Gebäuden
ausserhalb der Bauzone. Beispiele sind die vielen bestehenden Bauten, die für die Landwirtschaft nicht mehr benötigt
und für Wohn- und Freizeitzwecke umgenutzt werden, oder
landwirtschaftlich genutzte Remisen und Ställe für Mastbetriebe. «Es geht mir nicht um einzelne Anlagen. Aber in ihrer Summe sind sie ein Problem», sagt
Bühlmann.
Akademisches Jubiläum ohne Pomp
Tessin Vor 20 Jahren wurde die Universität der italienischen Schweiz gegen beträchtliche Widerstände
gegründet. Seither ist sie stark gewachsen. Die Zahl der Studenten hat sich verzehnfacht.
Genau 326 Studenten nahmen
am 21. Oktober 1996 ihr Studium
an der Universität der italienischen Schweiz auf: Wirtschaft
und Kommunikation in Lugano,
Architektur in Mendrisio. Es war
für den kleinen italienischsprachigen Kanton ein Ereignis von
epochaler Bedeutung, denn das
Tessin wurde damit zum Universitätskanton. Was im Kleinen begann, ist mittlerweile zu einer formidablen Institution mit 3000
Studierenden, 800 Professoren
und Dozenten sowie 50 Forschungsinstituten gewachsen.
Mit Informatik ist eine weitere
Fakultät dazugekommen. Das
Jahresbudget beträgt stolze
90 Millionen Franken.
Die Gründung der Università della Svizzera italiana (USI) war keine Selbstverständlichkeit. In Politik und Bevölkerung gab es Widerstand gegen eine Hochschule,
noch in den 1980er-Jahren fiel ein
ähnliches Projekt an der Urne
durch. Auch fand die Gründung
gegen den Willen Berns und
anderer Kantonaluniversitäten
statt. Der damalige Erziehungsdirektor Giuseppe Buffi (FDP)
liess aber nicht locker, tapfer
unterstützt von seinem Parteikollegen Mauro dell’Ambrogio, heute Staatssekretär für Bildung, Forschung und Innovation.
Ursprünglich war angestrebt
worden, dass je ein Viertel der
Studentenschaft aus dem Tessin,
der restlichen Schweiz, aus Italien und dem restlichen Ausland
stammen sollte.
Vorwurf: Privatuniversität
für reiche Italiener
Diese Verteilung konnte nicht erreicht werden. Der Anteil der Italiener beträgt inzwischen 45 Prozent, die Präsenz von Deutschschweizern und Welschen ist
geringer als erhofft. Manche sprechen, insbesondere im Hinblick
auf die Architekturakademie, von
einer «Privatuniversität für reiche Italiener». Damit ist auch die
Tatsache gemeint, dass die Immatrikulationsgebühren die
höchsten aller Universitäten in
der Schweiz sind. Diese betragen
4000 Franken für Ausländer, die
Schweizer zahlen die Hälfte. Vor
kurzem hat der Mathematiker
Boaz Erez das Rektorat übernommen. Es wird auch an ihm liegen,
die USI weiterzuentwickeln. Sein
Vorgänger Piero Martinoli hatte
in seinem letzten Amtsjahr angeregt, aus der USI allenfalls eine
eidgenössische Hochschule zu
machen, die sich noch stärker als
Katalysator für die lokale Wirtschaft betätigt.
Neben der ETH in Zürich und
dem Pendant in Lausanne wäre
es tatsächlich denkbar, dass die
italienische Schweiz künftig mit
einer eidgenössischen Schule
zum Zug käme. Doch es handelt
sich um ein langfristiges Projekt,
das erst angedacht ist. Der amtierende Erziehungsdirektor Manuele Bertoli (SP) ist skeptisch. Er
setzt auf eine Konsolidierung als
kantonale Universität.
Künftig werden auch Ärzte
im Tessin ausgebildet
Aufgegleist ist indes die Ausweitung auf eine Biomedizinische
Fakultät, zu der das Biomedizinische Forschungsinstitut in Bellinzona (IRB) und das dortige Onkologische Institut (IOR) gehören.
Ab 2020 wird es möglich sein, ein
Master-Studium in Humanmedizin im Tessin zu absolvieren. So
will das Tessin einen Beitrag zur
Behebung des Ärztemangels in
der Schweiz leisten. Die Auf-
bruchsstimmung ist spürbar,
auch dank einer Erweiterung des
Campus in Lugano.
Interessant ist die Tatsache,
dass sich das Tessin durch die
Universität auf wissenschaftlicher Ebene in den letzten 20 Jahren internationalisiert und geöffnet hat, sich jedoch im gleichen
Zeitraum politisch zusehends abgekapselt hat, parallel zum Vormarsch der Regionalbewegung
Lega dei Ticinesi. Gross begangen wird das 20-Jahr-Jubiläum im
Übrigen nicht. «Die wirklich
grosse Feier ist zum 25-jährigen
Bestehen geplant», sagt USISprecher Giovanni Zavaritt.
Gerhard Lob

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