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Er stotterte und trug Baggypants 15.01.2014. Schauspielschüler der HfMDK zeigen ein schockierendes Stück über den wahren Mord an einem Jugendlichen. Von Alexander Jürgs Sie stehen da, hinter einer Glasscheibe, und starren uns an. Intensiv, skeptisch, grimmig. Nach einer gefühlten Ewigkeit wird das Licht dunkler. Leise hört man das Knistern der Scheinwerfer. Die Schauspieler drehen sich langsam um, erscheinen nun als Silhouetten, gehen durch zwei Türen in den hinteren Teil der weitläufigen Halle. Dort senken sie die Köpfe, schauen auf den Boden. Man malt sich aus, dass sie dort auf die Leiche blicken. Die Leiche von Marinus Schöberl, 16 Jahre alt, im Juli 2002 in Potzlow, Brandenburg, ermordet von drei rechtsextremen Jugendlichen. "Der Kick" ist ein Theaterstück, das auf einer wahren Begebenheit basiert. 2005 wurde es zum ersten Mal aufgeführt. Nun zeigen junge Schauspieler von der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK) in der Naxoshalle ihre Version. Mit dem Projekt hatten sich die Darsteller an der Crowdfunding-Kampagne "KulturMut" der Aventis Foundation, einer Frankfurter Stiftung, beteiligt. Über 16000 Euro haben sie für ihr Stück zusammenbekommen. Damit konnten sie Kostüme, Maske, Veranstaltungstechnik und eine Werbekampagne für die Inszenierung finanzieren. Regie führt Werner Wölbern. Der bekannte Schauspieler und Regisseur unterrichtet seit 2008 an der HfMDK. "Der Kick" erzählt von unfassbarer, unbegreifbarer Gewalt. Marinus Schöberl hatte den stark alkoholisierten Täter nichts getan. Er war nur etwas anders: trug Baggypants, hatte gefärbte Haare, stotterte. Lange und grausam haben die Täter ihn gequält, haben ihn als Juden beschimpft und auf ihn uriniert. Zuletzt brachten sie Schöberl zu einer stillgelegten Schweinemastanlage und zwangen ihn, auf die Kante eines Steintrogs zu beißen. Einer sprang dann auf seinen Kopf. Das Vorbild für ihre brutale Tat hatten sie in dem Kinofilm "American History X" entdeckt: Dort tötete ein amerikanischer Neonazi einen Schwarzen per "Bordsteinkick". Andres Veiel, eigentlich Dokumentarfilmregisseur ("Black Box BRD"), hat das Stück geschrieben, besser gesagt: aus unzähligen Interviews zusammengestellt. Er ist an den Ort des Geschehens, das Dorf Potzlow in der Uckermark, gefahren und hat versucht, mit den Menschen, die dort leben, über das Geschehene zu sprechen. Er brauchte lange, bis jemand dazu bereit war. Mehrere Wochen arbeitete er vor Ort. Am Ende kamen über 1500 Seiten Gesprächsprotokolle zusammen, aus denen er die Text-Collage für "Der Kick" entstehen ließ. Die Eltern der Täter und des Opfers kommen darin zu Wort, Freunde der Jugendlichen, aber auch eine Psychologin. Außerdem zitiert Veiel aus den Protokollen der Tätervernehmungen. Auf Kommentare, Interpretationen oder Wertung verzichtet er. Die Inszenierung fokussiert sich ganz auf die Texte. Nur sparsam setzen die jungen Darsteller Gesten ein. Mal wird ein Blick gewechselt, mal ballt einer die Faust, mehr nicht. Als Zuschauer hat man gar keine andere Möglichkeit, als sich auf das zu konzentrieren, was die Beteiligten sagen. Vieles ist monströs. Etwa, wenn einer der Täter lapidar davon erzählt, wie sie Schöberl "zwo- bis dreimal in die Fresse schlagen" und mit Alkohol abfüllen, bis dieser sich erbricht. "Dann war für eine halbe Stunde Ruhe und wir haben den Rest vom Schnaps getrunken." Das Stück nimmt jugendliche Gewalt sehr genau und detailliert unter die Lupe, darum ist es so beklemmend und verstörend. Einfache Antworten oder Lösungen liefert es nicht. Auf Trost oder gar Versöhnung wartet man vergeblich. Warum musste Marinus Schöberl sterben? Diese Frage bleibt immer präsent. "Er war zur falschen Zeit am falschen Ort" zitiert eine Schauspielerin eine der Befragten. Es klingt unglaublich banal. Und ist kaum auszuhalten. "Der Kick" wird vom 17. bis zum 19. Januar, jeweils um 20 Uhr, in der Naxoshalle, Wittelsbacher Allee 29, gezeigt. Karten kosten 15 Euro, Reservierung: Telefonnummer 069/430 54 73 oder www.theater-willypraml.de