Zwischenbericht

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TIME Doppeldiplomprogramm an der Ecole Centrale de Lyon
1. Teil von Olaf Christiansen (Student der Physikalische Ingenieurwissenschaft)
Studieren im Ausland, diesen Wunsch hatte ich schon relativ zu Beginn meines Studiums.
Aber in der TU Berlin ist es die Regel, dass man erst nach erfolgreichem Abschluss des
Grundstudiums in die Ferne schweifen darf und die notwendigen Grundkenntnisse erworben hat, um
auch im Ausland erfolgreich zu sein. Zunächst habe ich immer über den Atlantik geschielt, die
Universitäten in Amerika und Kanada zogen mich in ihren Bann. Die Voraussetzungen für die
Zulassung der nordamerikanischen Masterprogramme sind meist Vordiplom plus zwei Semester
Hauptstudium, was einem amerikanischen Bachelor entsprechen würde. Dies erklärt weshalb ich
mich erst relativ spät um meinen Auslandsaufenthalt bemüht habe. Im Endeffekt habe ich mich dann
aber gegen ein englischsprachiges Land entschieden und für Frankreich, da ich mein Schulfranzösisch
schon fast vollständig vergessen hatte und ein englischsprachiges Land eine geringere
Herausforderung gewesen wäre, als der Neuanfang in unserem schönen Nachbarland.
Warum Lyon?
Als gebürtigem Berliner und Großstadtkind entschied ich mich mit voller Absicht gegen Paris
und für Lyon, der zweitgrößten Stadt Frankreichs. Natürlich ist Paris immer die erste Adresse in
Frankreich, aber Lyon hat auch jede Menge Vorzüge und ich wollte mir selbst beweisen, dass ich
auch in einer Nichtmetropole leben könnte. Die weiteren Vorzüge Lyons erfuhr ich dann größtenteils
vor Ort: Die günstige geographische Lage zwischen Paris, den Alpen und dem Mittelmeer (jeweils 2h
Zug). Der frisch renovierte Campus mit einem tollen Studentenwohnheim und die großartige
Stimmung unter den Studenten.
Ein Erasmusjahr oder ein Doppeldiplom?
Zunächst bewarb ich mich für ein Erasmusjahr an der EC Lyon und füllte pünktlich alle
notwendigen Formulare aus. Während meines Französischsprachtests traf ich durch Zufall auf
Christian Kupper, einen zweiten Studenten der TU Berlin, der auch nach EC Lyon gehen wollte.
Allerdings nicht für ein Jahr, sondern für zwei um an einem Doppeldiplomprogramm teilzunehmen.
Nach dem bestandenen Test begann bei mir die Phase des Grübelns, sollte ich etwa auch verlängern?
Ein Gespräch mit Frau Dr. Carola Beckmeier half mir meine Entscheidung zu festigen und so
entschied ich mich für den zweijährigen Aufenthalt und gegen den Partyurlaub, wie sich später
herausstellen sollte.
Olaf Christiansen und Christian Kupper
Doppeldiplom an der Ecole Centrale de Lyon 09/06 - 05/08
Vorbereitung
Jeder, der sich gedanklich mit einem Auslandsaufenthalt beschäftigt, weiß, man sollte
möglichst ein halbes bis ganzes Jahr im Voraus mit der Planung anfangen, um nicht an der Fülle der
Anforderungen und Probleme zu verzweifeln. Meine Entscheidung habe ich im Januar 2006 getroffen,
dies war etwas knapp, da bereits Mitte Januar der Einsendeschluss für die Erasmusbewerbungen war.
Innerhalb einer Woche schaffte ich es dann trotzdem alle notwendigen Formulare auszufüllen, mein
Vordiplomzeugnis zu übersetzen und zu beglaubigen, meine Hauptdiplomsnoten vom Prüfungsamt
bestätigt zubekommen und das geforderte Hochschullehrergutachten zu erbringen. Später erfuhr ich
allerdings, dass man im Zweifel auch fehlende Dokumente nachreichen kann. Umso besser war es
aber zeitig die fertigen Dokumente zusammen zu haben.
Als zusätzliche Informationsquelle, neben den Erfahrungsberichten und
Informationsmaterialien in der hervorragenden Infothek des Auslandsamtes der TU Berlin empfehle
ich auf jeden Fall einen Besuch im Informations- und Dokumentationszentrum für das Studium in
Frankreich im Maison de France am Kurfürstendamm in Berlin. Dort gibt es neben teuren
Sprachkursen auch die Möglichkeit jede Menge kostenlose Informationen abzustauben.
Fast kostenloser Sprachkurs
Das Beste: Das deutsch-französische Jugendwerk bietet allen Deutschen Studenten, die in
Frankreich entweder ein Praktikum oder ein Studium durchführen möchten ein Stipendium für einen
drei bis vierwöchigen Sprachkurs in Paris, La Rochelle oder Monaco an. Diese tolle Gelegenheit habe
ich mir natürlich nicht entgehen lassen, da Sprachkurse am Meer einen gewissen Unterhaltungswert
haben. Einzige Voraussetzungen für das Stipendium sind eine Bewerbung zwei Monate vor Beginn
des Kurses, ein Abschlussbericht und eine Praktikumsbestätigung oder eine französische
Immatrikulationsbescheinigung. Als Gegenleistung gibt es einen Zuschuss für die Unterrichts-,
Übernachtungs- und Anreisekosten. Summa summarum 900€. Ich hatte lange nicht mehr so viel Spaß
für so wenig Geld, meine Beteiligung für drei Wochen Sprachkurs, Unterbringung inklusive
Halbpension, Anreise und Ausflüge blieben unter 300€. Ich hatte mich für La Rochelle entschieden
und als Unterbringung in einer französischen Gastfamilie am Ende meiner Prüfungszeit. Leider ließ
die Vielzahl an offenen Prüfungen nur einen dreiwöchigen Aufenthalt zu, aber ich habe keinen
einzigen Tag davon bereut. Am Ende war die Liste meiner Freunde länger geworden, mein
Französisch nicht mehr ganz so grausam und es konnte direkt nach Lyon weitergehen.
Hier die ausführliche Version meines Abschlussberichtes, für alle die sich einen Eindruck verschaffen
oder sich inspirieren lassen wollen. Alle anderen bitte überspringen.
Bericht über einen Intensivkurs in Frankreich
In La Rochelle hatte ich, dank des Deutsch-Französischen Jugendwerkes, die Möglichkeit drei
Wochen lang (14.08.-01.09.2006) mein Schulfranzösisch aufzufrischen und mich intensiv auf
meinen zweijährigen Studienaufenthalt in Lyon vorzubereiten. Die Zeit verging wie im Fluge, da
Olaf Christiansen und Christian Kupper
Doppeldiplom an der Ecole Centrale de Lyon 09/06 - 05/08
die abwechslungsreich gestalteten Sprachkurse den Vormittag und die Nachbereitung und der
Kontakt mit der französischen Kultur den Rest des Tages füllten.
Aufmerksam wurde ich auf das Sprachkursangebot und das Stipendium während meines Besuches
im CIDU Berlin, der zentralen Anlaufstelle für alle Fragen bezüglich eines Studiums in Frankreich.
Zur Wahl standen unterschiedliche Städte in Frankreich, doch meine Wahl fiel sofort auf La
Rochelle, da ich schon immer den Sommer an der französischen Atlantikküste verbringen wollte.
Die Anmeldung und Buchung erfolgte problemlos und nach Abschluss aller meiner Prüfungen in
Berlin stellte sich die Wahl einer Gastfamilie als Unterkunft als Glücksgriff heraus.
Meine Gastmutter lebte zwar alleine in ihrer Wohnung, aber langweilig wurde es dennoch nie, da
fast immer Gäste zu Besuch kamen und ich damit unterschiedliche Gesprächspartner hatte: Unter
der Woche wohnte bei uns die Tochter einer Freundin und an den Wochenenden kam der Freund
meiner Gastmutter zu Besuch. Darüber hinaus besuchten uns ein befreundetes Ehepaar und ein
Bekannter so waren wir zeitweise zu sechst in der 3-Zimmer Wohnung. Perfekte Bedingungen für
einen deutschen Sprachstudenten um seinen Wortschatz zu erweitern.
Am ersten Tag wurden in der modernen Sprachschule vier Stunden lang unsere bisherigen
Französischkenntnisse überprüft. Mein Französischunterricht in der Schule lag schon etwas länger
zurück und ich war froh in den letzten Semesterferien einen Intensivkurs in Berlin besucht zu
haben, aber richtig flüssig und sicher fühlte ich mich im Französischen noch nicht. Der Test
bestand aus einem Aufsatz, sowie einem Grammatik-, Verständnis- und einem freien
Gesprächsteil. Man bewertete meine Kenntnisse mit A2+, dies entspricht dem Niveau eines
fortgeschrittenen Anfängers, und zusammen mit gleichstarken Studenten begann am nächsten
Tag der Unterricht. In den ersten zwei Wochen haben wir die Grammatik wiederholt, Vokabeln
und Redewendungen gelernt und in freien Gesprächen zu unterschiedlichsten, anspruchsvollen
und weniger anspruchsvollen Themen angewendet.
Hierbei kam es immer dann zu spannenden Diskussionen, wenn Teilnehmer mit unterschiedlichem
kulturellen Hintergrund aufeinander trafen. Zwar waren rund 70% aller Sprachschüler der Schule
Deutsche oder deutschsprachig, aber ich hatte Glück und in meinen Klassen war ich jeweils der
einzige Deutsche zusammen mit ein paar Schweizern. Manche Diskussionen wurden so hitzig
geführt, dass zeitweise auf das Englische zurückgegriffen werden musste, um seinen Standpunkt
klar zu vertreten, aber dies waren Einzelfälle und Hauptkommunikationssprache blieb das
Französisch.
Nach der zweiten Woche wechselte ich die Klasse, da ich in einem weiteren Test als Niveau B1
eingestuft wurde. Hier begegnete ich einer besonders engagierten Lehrerin, die noch intensiver als
die Lehrerin zuvor auf alle meine Fragen und Anregungen einging und mir Arbeitsmaterialien für
jedes Interessengebiet, das ich auch nur anschnitt, besorgte. Unter diesen hervorragenden
Arbeitsbedingungen und der Flut der Aufgaben ließ es sich auch nachmittags gut in der Schule
aushalten. Vorteilhaft war die reichhaltig ausgestattete Médiathèque, die nach dem Ende der
Kurse noch geöffnet war. Einziger Wehmutstropfen war die Ausstattung im Stil Anfang der 90er,
d.h. Kassetten und Videos statt CDs und DVDs, aber da sich die französische Sprache seitdem nicht
grundlegend weiterentwickelt hat, konnte ich auch so einiges lernen. Neben der Médiathèque war
die Schule generell gut ausgestattet, der moderne mit vielen Glasflächen versehene Bau wirkte
immer offen und einladend. Wenn die Schule nicht abends gegen 18h geschlossen worden wäre,
wäre ich abends gerne noch länger dort geblieben.
Olaf Christiansen und Christian Kupper
Doppeldiplom an der Ecole Centrale de Lyon 09/06 - 05/08
So nutzte ich die Abende und Wochenenden um zusammen mit anderen Nicht-Franzosen um die
Umgebung zu erkunden. Die benachbarten Inseln Ré und Aix waren besonders schön, darüber
hinaus fuhren wir noch nach Rochefort und Saintes. Der Großteil der übrigen Sprachschüler aus
Deutschland, mit dem ich in Kontakt war, waren Stipendiaten der Studienstiftung des Deutschen
Volkes oder aus Abiturvorbereitungsklassen. Die übrigen Teilnehmer kamen zumeist aus den
oberen Schichten südamerikanischer Länder und waren Selbstzahler. Um der deutschsprachigen
Kommune auszuweichen war es immer hilfreich ein paar Nichtdeutsche mitzunehmen. Schon
wechselten alle die Sprache und nutzen ihr neu gewonnenes Französisch. Neben unseren
Ausflügen gab es noch ein reichhaltiges Sport und Rahmenprogramm, das ich bei gutem Wetter
als Alternative zur Médiathèque nutzte. Fussball- und Volleyballmatches am Strand, französische
Filmvorführungen am Abend oder Stadtbesichtigungen wurden fast täglich angeboten.
Nach zwei Wochen lernen konnte ich wieder auf dem Niveau Französisch verstehen und sprechen,
wie während meiner Schulzeit. Nach der dritten Woche war mein Französisch besser als je zu vor
und besonders die intensiven Hilfestellungen meiner neuen Lehrerin taten ihr übriges. So erfüllte
ich am Ende der drei Wochen in meinem Abschlusstest die Anforderungen des Niveaus B1+ und
fühlte mich sicher im Französisch und allgemein im französischen Umfeld gut aufgehoben.
Ich finde das Stipendium für den Sprachkurs ist eine tolle Sache, ohne dies wäre ich nicht in den
Genuss der herrlichen letzten drei Wochen gekommen und der Beginn meines Studiums in Lyon
hätte mich vor größere Probleme gestellt. Die Höhe des Stipendiums halte ich für ausreichend,
durch den Selbstzahlungsanteil geht nicht die Motivation verloren. Gerne wäre ich noch eine
weitere Woche geblieben, aber mein Prüfungsplan vorher und die vorgeschriebene Ankunft in
Lyon hinterher ließen dies nicht zu. Ich hatte in den drei Wochen in La Rochelle die Möglichkeit in
das Leben einer französischen Familie hineinschauen zu können, mich intensiv auf meinen
Studienaufenthalt vorzubereiten und gleichzeitig viele neue Freunde zu gewinnen.
Auch nach längerem Nachdenken kann ich keine negative Kritik an der Sprachschule oder dem
Programm finden und möchte mich hiermit ganz herzlich für das vergebene Stipendium des
Deutsch-Französischen Jugendwerkes bedanken. Ich werde meine Zeit in La Rochelle immer in
guter Erinnerung behalten und hoffe nächstes Jahr meine Gastfamilie besuchen zu können.
Anreise nach Lyon
La Rochelle mit dem TGV direkt nach Lyon gehen, einmal Umsteigen war natürlich notwendig.
Tipp: Lieber über St. Pierre de Corps fahren, als über Paris, denn dort muss man nur den Bahnsteig
zur Weiterfahrt wechseln und nicht eine halbe Stunde bis Stunde durch die Stadt fahren, um den
Bahnhof zu wechseln.
Bisher gab es keine Direktflugverbindung Berlin-Lyon, daher bin ich öfters in den Ferien mit
EasyJet über Genf nach Berlin gependelt. Von Lyon nach Genf kommt man mit dem TER Vorstadtzug
für günstige 15-20€ nach Genf, wenn man früh genug bucht und mit EasyJet kann man ebenfalls sehr
günstig fliegen (15-80€), wenn man Monate vorher bucht. Dies ist aber möglich, da man seinen
Ferienplan am Beginn des Studiums mit allen Feiertagen erhält. Meistens wird auf der Strecke Genf>Lyon nicht kontrolliert und da für die französischen Bahntickets auf dem Hoheitsgebiet der Schweiz
keine Entwerter vorhanden sind, kann man ab und zu Bahntickets mehrfach verwenden. Nicht ohne
Olaf Christiansen und Christian Kupper
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Stolz verkünde ich meinen Rekordpreis Lyon nach Berlin und zurück für knapp 50€ bei einer Reisezeit
von Tür zu Tür von ungefähr sieben Stunden, diesen gilt es nach wie vor von Dir zu schlagen.
Ab Oktober 2007 gibt es dann endlich die Direktverbindung von EasyJet zwischen Berlin und
Lyon, das wird die Reisezeit wohl noch ein wenig drücken. Wohlgemerkt der Flughafen St. Antoine de
Saint Exupéry ist relativ weit weg von Lyon. Der Bus braucht ungefähr 40 Minuten für den Transfer.
Als Student bekommt man eine Ermäßigung auf den Fahrpreis und zahlt ca. sieben Euro.
Wohin mit dem Auto in Lyon?
Ein Auto in Lyon ist zwar an und für sich eine praktische Sache, um von dem Campus, der
etwa 20 Busminuten von der letzten U-Bahnstation entfernt liegt, zu verschwinden. Aber in
Frankreich werden Autofahrer nicht besonders glücklich. Tempolimits auf den Autobahnen, überall
Mautkontrollen, bzw. Verkehrskontrollen auf den Nationalstraßen und in den Innenstädten keine
Parkplätze oder nur zu überhöhten Preisen. Außerhalb der bewachten Parkplätze werden Autos
(besonders deutsche?) verstärkt von randalierenden Jugendlichen beschädigt. Eine kurze
Zusammenstellung: geklautes Radio, eingeschlagene Scheibe, abgetretener Außenspiegel, geklaute
Autoantenne,… Ich habe mich irgendwann entschieden, doch mein Auto nach Lyon zu überführen, da
man wenige Möglichkeiten hat, Frankreich zu erkunden, wenn man immer auf den letzten Bus vom
Bahnhof zum Studentenwohnheim angewiesen ist. Inzwischen suche ich noch nach einem
bezahlbaren Parkplatz in Lyon, bzw. lasse mein geliebtes Fahrzeug solange auf dem Campus der Uni
stehen und hoffe, dass die jugendlichen Bewohner dieses Nobelvorortes andere Hobbies haben, als
Autos anzustecken.
Gepäck
Aufgrund meiner Anreise mit dem Flugzeug (RyanAir über London Stansted) nach La Rochelle
und dann weiter mit der Bahn, beschränkte sich mein Gepäck auf das notwendigste. Besonders von
den West- und Süddeutschen, die mit dem Auto angereist sind, wurde ich später um meine
Flexibilität und meinen geringen Hausstand beneidet. Spätestens als es am Ende des ersten Jahres zu
einem Umzug nach Lyon, und dann nochmal innerhalb Lyons kam, hatten die ersten bereits ihre
Eltern angefordert und diese mit vollen Autos und unnützen Dingen wieder nach Hause geschickt.
Also lass Deine Probleme zu Hause und nimm nur mit, was Du wirklich brauchst. Dazu sollten Deine
Lieblingsmathebücher (Bronstein,…) Mechanik und Physikbücher gehören. Aber am Besten eben
nicht alle. Ein Laptop sollte mittlerweile selbstverständlich sein und wird von der Uni vorausgesetzt,
kann aber eventuell auch geliehen werden. Im Zweifel kann man alle Haushaltsgegenstände direkt
neben dem Campus, zu Fuß erreichbar, in einem riesen Einkaufszentrum erwerben.
Ankunft
Ein Montag war Anreisetag, irgendwo hatte ich gelesen, man möge bitte morgens gegen 9h
vor Ort sein. Diese Information haben andere wesentlich großzügiger ausgelegt als ich und kamen
entsprechend erst im Tagesverlauf an. Wer pünktlich kommen möchte, man verpasst bis mittags
Olaf Christiansen und Christian Kupper
Doppeldiplom an der Ecole Centrale de Lyon 09/06 - 05/08
nicht viel, eventuell ein Mittagessen, reist am Sonntag und schläft die letzte Nacht entweder in der
Jugendherberge in Lyon oder im Formule 1 Hotel in Dardilly, dem Nachbarort. Wer ganz viel Glück
hat, kann auch versuchen die Leitung des Wohnheimes rechtzeitig vorher über seine Ankunft zu
informieren und darum bitten, dass ein Schlüssel hinterlegt wird. Dies funktioniert aber leider nur
unter der Woche und nicht am Wochenende, es sei denn man hat eben Glück und man erhält eine
positive Antwort, der Regelfall ist aber eine Absage. Auch total verplantes Anreisen, Abends am
Wochenende à la „hallo hier bin ich, wo kann ich schlafen!?!“, kann funktionieren, wenn man die
richtigen Leute trifft, zerstört aber schon vorzeitig das gute Deutschlandbild, das Du doch vermitteln
willst.
Semaine d’intégration
Gut angekommen wirst Du erst einmal herzlich von Studenten des Bureau International
begrüßt und es erwartet Dich ein gut geplantes Wochenprogramm mit Lyonerkundsspaziergängen,
Begrüssungsbarbecue, Französischsprachunterricht und jeder Menge abendlicher Aktivitäten.
Allerdings sollte man beim ersten Abend etwas kürzer treten, um am nächsten Tag fit für den
Sprachtest zu sein, ansonsten landet man nämlich mit den weniger begabten Chinesischen
Kommilitonen im Kurs mit Anfängerniveau, der einerseits wesentlich mehr Stunden Zeitaufwand
beschert als ein höherer Level, Du wirst Zeit für die anderen Kurse brauchen!, und dem andererseits
nahezu unmöglich ist zu entkommen. Ich schreibe nahezu, denn nach meiner Ankunft haben wir mit
unseren neugewonnenen Freunden am Abend zu vor etwas zu lange gefeiert und mein Testergebnis
war eher bescheiden, nach einem zweiten Verständnistest an einem anderen Tag und Dauermeldens
während des Französischkurs konnte ich, als Einziger von Vielen die es versucht haben, aus dem
Anfänger in das normale Kursniveau nachrücken. Ansonsten verläuft die erste Woche sehr friedlich,
es sind bisher nur die Ausländer eingetroffen und nur ein paar engagierte Franzosen auf dem Campus.
Man hat Zeit Kontakte zu knüpfen, die französischen Bezeichnungen der mathematischen
Operationen und Konstruktionen kennenzulernen und sich in seinem Zimmer einzurichten.
In der zweiten Woche kommen dann die Franzosen des ersten Jahres und zweiten Jahres an
und man hört vieles ein zweites Mal, was nicht wirklich schlecht ist. Der wesentliche Vorteil ist, man
hat bereits wichtige Kontakte geknüpft und kann den Franzosen schon einiges erklären. Außerdem
gilt es noch einige Unterlagen auszufüllen und Sportkurse zu wählen, Lyon unsicher zu machen und
viele neue französische Freunde zu gewinnen.
Week-end d’intégration
Dieses Wochenende gilt als Jahreshighlight und ist mit der Abifahrt zu vergleichen. Das Ziel
bleibt bis zur letzten Sekunde, also bis zur Ankunft, geheim und mehr möchte ich nicht verraten, nur
man muss mitfahren, sonst kann man nicht mitreden und es ist ein riesen Kulturschock für alle
Ausländer.
Olaf Christiansen und Christian Kupper
Doppeldiplom an der Ecole Centrale de Lyon 09/06 - 05/08
2. Teil von Christian Kupper (Student der Energie- und Verfahrenstechnik)
Studienverlauf
Der Studienverlauf ist Blockweise und streng verschult. Es gibt Vorlesungen (cours), Übungen
(TD) und Praktika (TP). Jeder Student ist in einer Jahrgangshälfte, einem Tutorium (TD) und einer
Praktikumsgruppe eingeteilt. Während bei den Vorlesungen die Anwesenheit freiwillig ist, ist die
Anwesenheit in den Übungen Pflicht und wichtig um sich später bei einer eventuell schlechten Note
rechtfertigen zu können (siehe Jury).
Normalerweise gibt es eine Vorlesung und eine Übung zu einem Fach pro Woche. Im Schnitt
ist nach sieben Wochen ein Kurs zu einem Thema (z.B. Mécanique des Solides, Physik Microscopique,
Automatique, Gestion d’Entreprise) abgeschlossen und dann gibt es nach etwa zwei weiteren
Wochen die Klausur dazu. Der Stundenplan ist im Allgemeinen so geregelt, dass man nur eine Klausur
pro Woche schreibt. Wenn man aber bedenkt, dass gerade mal 2 Monate Zeit für ein Fach eingeplant
ist, gibt es folglich, nach einer freien Phase zu Beginn, praktisch jede Woche eine Klausur. Die
Klausuren beinhalten dafür natürlich (meist) nicht den Inhalt eines ganzen Semesters und sind
deswegen à priori leichter zu bewerkstelligen. Die Noten gehen von 0 (so schlecht kann man kaum
sein) bis 20 (Superman²) und 12-14 Punkte ist das, was man im Schnitt eine gute und noch realistisch
erreichbare Note nennen kann. Ab 10 Punkten hat man an sich bestanden. Eine Nachschreibeklausur
ist eigentlich im System nicht vorgesehen, die Note geht direkt in das Jahrgangsergebnis ein. Eine
schlechte Note kann man durch eine gute Note in einer themenverwandten Klausur wieder
ausgleichen. Es gibt 7 große Themenbereiche (so genannte Unité d’Enseignement):
UE Matériaux (Werkstoffe, Chemie und Physik),
UE Mécanique Énergétique (Fertigungstechnik, Festkörper- und Fluidmechanik),
UE Génie Électrique (Elektronik, Elektrotechnik und Reglungstechnik),
UE Langage Scientifique (Mathe & Info),
UE Science Economie (BWL, VWL und Psychologie),
UE Langues Vivantes (Französisch, Spanisch, Chinesisch etc.) und
UE Professionelle (Studentenprojekt, Unternehmensbesichtigung und Sport)
Innerhalb dieser UE’s muß man im Schnitt nach dem kompletten Jahr über 10 Punkte kommen. Alle
Ausländer haben im Vergleich zu den Franzosen im ersten Jahr meist eine Stunde länger Zeit für die
Aufgaben in den Klausuren und fast immer das Recht die Wiederholungsklausuren zu schreiben.
Diese Wiederholungsklausuren (Rattrapages) sind in dem Sinne keine und werden eigentlich nur für
Franzosen angeboten die krankheitsbedingt nicht zum ersten Termin erscheinen konnten. Unter
einem dementsprechend schlechten Stern steht das ganze Unterfangen auch: Verkorkste Termine
(Mittwoch 13.00-16.00 reguläre Klausur, Mittwoch 16.15-18.15 Nachschreibekausur) kurzfristige
Entscheidungen (Rattrapage Mi 16.15, Note der ersten Klausur Mo abends im Internet). Wer hiervon
weiß lässt sich gar nicht erst auf den „Teufelskeis“ des Nachschreibens ein und schreibt zu Beginn des
Jahres die Besonders wichtigen Klausuren (zu klären vor Ort mit den Zweitjährlern) gut und hat
danach keine Sorgen mehr.
Aufbessern kann man sich die Notenbilanz durch die Praktika/Laborarbeiten (TP’s) die
passend zu den jeweiligen Themen über das ganze Jahr verteilt stattfinden und in die UE-Note
einfließen. Man ist etwa zu acht für 4h in den Instituten und arbeitet meist sogar nur zu zweit an
einem Arbeitsbereich. Mit Hilfe des Nachbarn erreicht man 12-13 Punkten. Auch bessere Noten sind
mit etwas mehr Anstrengung vergleichsweise leichter zu erreichen als in den großen Klausuren. Bei
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Doppeldiplom an der Ecole Centrale de Lyon 09/06 - 05/08
den TP’s ist Anwesenheit ebenfalls Pflicht und da es nach (fast) jeder Lehreinheit eine Note gibt,
drückt sich hier eine Abwesenheit schnell in einer schlechten Note aus.
Die Vorlesungen sowie die Übungen (TD’s) dauern immer volle zwei Zeitstunden! Sicherlich
gewöhnt man sich bis zu einem gewissen Grad daran, aber prinzipiell heißt es hier gute Nerven zu
bewahren, denn die Franzosen scheinen sich im allgemeinen um die moderne Pädagogik nicht zu
scheren (siehe 2h Kurs ohne Pause aber auch der Rechenfetisch). Manchmal hatte man das Gefühl
die Übungen sind nur dazu da den Studenten zu zeigen, was sie noch nicht können, es empfiehlt sich
also unbedingt sich schon vorher immer den neuen Stoff anzuschauen um dann nicht sinnlos seine
Zeit in den Übungen abzusitzen.
Eine willkommene Abwechslung zu diesem Rechenalltag ist das Studentenprojekt welches
man sich zu Beginn des Jahres unter etwa 70 verschiedenen Offerten wählt. Gemeinsam mit etwa 5-6
anderen Studenten des gleichen Jahrgangs hat man nun 15 Monate(!) Zeit dem Projekt nachzugehen.
Sei es den Vogelflug technisch nachzuempfinden oder ein Elektroauto bauen, es ist alles möglich und
die Mittel für wirklich motivierte Gruppen sind vorhanden! Leider sind laut Stundenplan nur 4h pro
Woche vorgesehen, welches selbst für wenig ambitiöse Projekte viel zu gering ist, also heißt es auch
hier zusätzlich Energie reinstecken, die Möglichkeiten jedenfalls sind faszinierend!
Es gibt keine Semesterferien nur ein ganzes Schuljahr welches mit 2x zweiwöchigen und 2x
einwöchigen Ferien praktisch auf die gleiche Ferienzeit kommt wie die Wintersemesterferien in
Deutschland. Sommerferien gibt es den kompletten Juli, August und noch etwas vom September.
Hier müsst ihr jedoch noch euer einmonatiges Praktikum unterbringen (siehe Praktikum). Wer nach
den typisch französischen Trimestern sucht, findet das Jahr auch in etwa durch die großen
Weihnachtsferien und Osterferien in drei gleich große Teile aufgeteilt, in der Praxis spielt das jedoch
kein Rolle. Je nach Sprachkenntnissen (unterschiedliche Pflichtstundenanzahl für Französisch) und
Studentenprojekt hat man mit etwa 30 SWS zu kämpfen, Nacharbeitung und Klausurvorbereitung
nicht mitgezählt, die ohne sehr gutes Französisch etwa die doppelte Zeit in Anspruch nimmt als
gewohnt. Meine persönliche Empfehlung ist, die ersten Ferien im November auf dem Campus zu
bleiben und durch zu büffeln, hat man erstmal den Einstieg gut geschafft, dann ist zu den anderen
Ferien Frankreich erkunden natürlich drin.
Wer es trotzdem nicht schafft in allen UE’s über die 10 Punkte zu kommen der wird nach
Ende des Jahres vor eine Jury aus unterschiedlichen Professoren geladen. Kann man glaubhaft
begründen, dass es nicht an der eigenen Einstellung lag (siehe Anwesenheit) und dass es im nächsten
Jahr aufwärtsgeht, so kann man auch schon mal in einem UE unter 10 liegen.
Generell gilt an der Ecole Centrale: das Niveau ist zwar hoch, aber nie das Problem, die
eigentliche Herausforderung liegt darin sich die Zeit richtig einzuplanen und schnell und effektiv zu
lernen (siehe TD, Klausuren).
Summa summarum ist der Frontalunterricht in den Vorlesungen und Übung von der Art her
rückständig, die praktischen Erfahrungen die man in den TP’s sammeln kann enorm (etwa 40x4h im
Jahr) und die gute Gelegenheit ein ernsthaftes Langzeitprojekt zu verfolgen.
Olaf Christiansen und Christian Kupper
Doppeldiplom an der Ecole Centrale de Lyon 09/06 - 05/08
Campusleben
Für das erste empfiehlt es sich ein Studentenappartement direkt auf dem Campus zu mieten.
Nicht nur das man so das rege Gemeinschaftsleben der ECL richtig mitbekommt sondern auch der
Fakt das es für Ausländer sehr schwer ist eine Wohnung in Lyon zu bekommen sprechen eindeutig
dafür. Es gibt zwei Wohnheime mitten auf dem Campus:
Résidence Paul Comparat, 315€ /13m², der Mittelpunkt des sozialen Lebens, besonders der
Erstjährler, die Zimmer mit eigenem Minibad und Klo und einer Gemeinschaftsküche pro Etage.
ARPEJ, 425€ / 18m² 537€ / 28m² 555€ / 30m², ruhig mit vollständigen (Kochecke, Bad)
Appartements und mindestens einem Chinesen auf der Etage.
Die Ecole Centrale ist stolz auf ihr lebendiges Studentenleben und sorgt durch üppige
finanzielle Unterstützung dafür, dass die Studenten ihre Kreativität frei ausleben können. Zahlreiche
Clubs, Sport-, Reise- Veranstaltungsangebote sorgen für viel Unterhaltung und ein gewisses
Gemeinschaftsgefühl. Es ist definitiv so das die ECL in diesem Bereich eine Menge zu bieten hat,
gerade wer bereits über sehr gute Französischkenntnisse verfügt, kann dies als großes Plus
einrechnen, wer noch größere Probleme mit der Sprache hat dürfte für derartige
Extrabeschäftigungen allerdings kaum Zeit haben.
Praktikum
Dieses Praktikum ist, wie man bei einer Dauer von nur einem Monat leicht einsieht
als Grundpraktikum geplant. Ein Praktikum zu finden ist eigentlich gar kein Problem, aber das
Problem bleibt eines zu finden welches den eigenen Ansprüchen genügt. Um es richtig ins Bild zu
rücken muss man konstatieren, dass praktisch alle Franzosen zum Ende des ersten Jahres an der ECL
noch nie ein Unternehmen von innen erlebt haben (nach drei Jahren Hochschule!) und so nun zum
Sommer ausschwärmen um Büchsen auf den Laufbändern der Welt zu sortieren. Leider ist die
Administration der Ecole bisher zu engstirnig um die 13 Wochen Praktika aus unserem Grundstudium
anzuerkennen und uns in die Ferien zu entlassen. Immerhin wird man im Allgemeinen dann
wenigstens von der Pflicht entlassen einen etwas besseren Roboter zu spielen und kann auch z.B. ein
Praktikum im Bankenwesen absolvieren. Womit natürlich sich die Frage stellt wie man ein so
hochwertiges Praktikum findet und gleichzeitig im Rahmen von einem Monat bleibt? Also eine Bitte
an die Folgenden: Beschwert euch weiter! Bis es irgendwann hoffentlich endlich zu einer Einsicht
kommt. Ansonsten bleibt wohl nur die Möglichkeit sich wieder etwas von den Ferien abzuknapsen
oder zu versuchen während des Praktikums zum „Ingénieur“ aufzusteigen (klappt wenn man mit
offenen Augen und Ohren durchs Unternehmen läuft).
Olaf Christiansen und Christian Kupper
Doppeldiplom an der Ecole Centrale de Lyon 09/06 - 05/08

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