Eines Tages stand Spitzenkoch Anton Mosimann vor der Tür
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Eines Tages stand Spitzenkoch Anton Mosimann vor der Tür
23 — Donnerstag, 9. August 2012 Bern Rüstmesserstich im Asylzentrum – vier Jahre Haft für Georgier Das Regionalgericht sah es als erwiesen an, dass ein Georgier seinem Zimmernachbarn im Durchgangszentrum in Unterseen ein Schälmesser in die Brust gestochen hat. Werner Engels Sauvignon blanc ist in seinem Weinkeller zu haben, aber auch im House of Switzerland in London. Foto: Adrian Moser Eines Tages stand Spitzenkoch Anton Mosimann vor der Tür An den Olympischen Spielen trinkt man Werner Engels Weissen aus Twann. Philipp Schori «Mosimann am Apparat.» Werner Engel hat sich nicht viel dabei gedacht, als sich am anderen Ende der Leitung ein gewisser Herr Mosimann meldete. Denn beim Winzer aus Twann klingelt das Telefon im Akkord: Oft sind es Restaurants, die einige Flaschen Wein nachbestellen, manchmal sind es Private, die seine Tropfen degustieren möchten. So war es auch bei Mosimann. Gerne wolle er in den nächsten paar Tagen vorbeikommen, sagte dieser. Zum Schluss des Gesprächs fragte Werner Engel standesgemäss nach der Telefonnummer des Interessenten. Die Nummer trug eine britische Vorwahl; plötzlich ging Engel ein Licht auf: «Das muss Starkoch Anton Mosimann sein.» Es war Starkoch Anton Mosimann. Prinz Williams Koch Einige Tage später standen Mosimann und Sohn Philipp vor der Tür. Das war vor gut einem Jahr. «Sie tranken sich durch mein ganzes Sortiment», sagt Engel heute. Dann erklärte Mosimann – der 2011 das Hochzeitsmahl für Prinz William und Kate Middleton angerichtet hat – auch endlich, worum es geht: «Mosimann’s Party Service» werde während der Olympischen Spiele im House of Switzerland für Speis und Trank zuständig sein. Es fehle noch an passenden Weinen. Das House of Switzerland ist das offizielle Schweizer Gästehaus während der laufenden Sommerspiele in London. Der Bund versucht mit Kulinarik, Konzerten und den – bis dato spärlichen – Medaillenfeiern gegen aussen ein vorteilhaftes Bild der Schweiz zu zeichnen. Die Türen des Hauses stehen jedermann offen. «Klar, Neider gibt es immer», sagt Engel. Doch sei er überzeugt, dass das ganze Weingebiet «von der Publicity profitiert». Bern ist im House of Switzerland mit zwei von insgesamt zwölf Weinen vertreten: Zu den auserlesenen gehört auch Charles Steiners Pinot noir aus Schernelz. Der Wein mit der Litschi-Note Eigentlich hätte Werner Engel gar nicht Winzer werden sollen; er studierte Betriebswirtschaft an der Universität St. Gallen. Sein Bruder war für die Übernahme des Familienbetriebs in der siebten Generation vorgesehen. «Nach der Lehre ist es ihm aber verleidet», sagt Werner Engel. «Und ich übernahm.» Heute ist Engel eine One-Man-Show. Im Sommer liest er Trauben und keltert, im Winter ist er der Önologe im Weinkeller und im Frühling füllt er rund 40 000 Weinflaschen ab. Für diese Arbeit erhielt Engel schon diverse Auszeichnungen: Beispielsweise wurde sein Pinot noir vom bernischen Regierungsrat mehrfach zum Staatswein erkoren. Ob das der Grund war, weshalb die Mosimanns letzten August ausgerechnet Engels Weine degustierten? «Keine Ahnung», sagt Engel. «Das wollten sie mir nicht verraten.» Des Rätsels Lösung könnte Anton Mosimanns Biografie sein: In den 1960er-Jahren war er Kochlehrling im Restaurant Bären. In Twann. Engels Sauvignon blanc hat es den Mosimanns besonders angetan. Sie bestellten 1000 Flaschen, die nun für 30 Pfund in allen drei Restaurants des House of Switzerland serviert werden: im Bernese Chalet, in der Brasserie und der Rösticceria. In Bern ist der Tropfen im Restaurant Les Terroirs an der Gerechtigkeitsgasse zu haben. «Ein riesiger Auftrag für einen so kleinen Weinbauern wie mich», sagt Engel. Das sei ein Viertel seiner Jahresproduktion an Sauvignon blanc. Der Winzer aus Twann musste heuer darum überdurchschnittlich viele Sauvignon-Trauben dazukaufen. Sein insgesamt gut vier Hektaren grosses Rebgut warf nicht genug ab, um allen Bestellungen nachzukommen. Die Qualität des Weins habe darunter aber nicht gelitten, beteuert Engel. Sein Sauvignon habe nichts von seiner Komplexität eingebüsst, sei knackig im Abgang und mit seiner Litschi-Note genauso exotisch wie eh und je. Mosimann war Lehrling in Twann Timo Kollbrunner Es geschah in Zimmer Nummer 44 des Durchgangszentrums Krone in Unterseen, in der Nacht auf den 9. November 2011. Nur – was genau geschah damals? Diese Frage wurde gestern am Regionalgericht Oberland in Thun diskutiert. Klar ist: Die beiden Bewohner des Zimmers, ein Georgier und ein Weissrusse, gerieten aneinander – verbal zuerst, handfest danach. Und dann kam ein rotes Schälmesser ins Spiel. Aus der Ikea, rechtsseitig durchgehend angeschliffen, links partiell mit Wellenschliff, Klingenlänge 9 Zentimeter – so steht es in der Anklageschrift. Irgendwie kam dieses Messer oberhalb der linken Brustwarze des Weissrussen zu stecken, sechs bis acht Zentimeter tief. Es durchschnitt die Brustwand und die ganze linke Lunge, gelangte aber glücklicherweise nicht ganz bis zur grossen Lungenarterie – das Leben des Mannes war nie in Gefahr. «Von selbst ins Messer gelaufen» Der Weissrusse erholte sich rasch, und bald darauf wurde er ausgeschafft. Wo er heute ist, wusste gestern Morgen niemand im Gerichtssaal. Und so sass nur der mittlerweile 37-jährige Georgier vor Gerichtspräsident Jürg Santschi und den vier Laienrichtern. Er war angeklagt wegen versuchter vorsätzlicher Tötung. Nachdem der Georgier erzählt hatte, wie das Messer in die Brust seines Mitbewohners gekommen sei in dieser Nacht, fragte Gerichtspräsident Santschi sicherheitshalber noch einmal nach: «Hab ich das richtig verstanden? Sie sagen also, der Weissrusse sei von selbst ins Messer gelaufen?» Ja, genau das sagte er, der Georgier. Seine Version der Geschichte geht nämlich so: Man habe an diesem Abend mit zwei weiteren Zentrumsbewohnern im Zimmer 44 Wein getrunken und sich unterhalten. Der Weissrusse sei betrunken gewesen, wie er es oft gewesen sei, und wenn der Weissrusse betrunken gewesen sei, «dann war er nicht normal». Er dagegen habe kaum etwas getrunken, wie immer, «ich bin nicht ein Mensch, der trinkt». Als die beiden anderen Männer das Zimmer bereits verlassen hatten, habe der Weissrusse ihn erst beleidigt, und plötzlich sei er mit einem Messer in der Hand da gestanden. Da habe er ihn festgehalten und die Hand umfasst, in der er das Messer gehalten habe, erzählte der Georgier. Aber es sei ihm nicht gelungen, seinem grösseren, stärkeren und betrunkenen Zimmerkumpanen das Rüstmessers zu entwinden. Er habe die Hand, in der dieser das Messer hielt, allerdings gegen innen wegzudrehen vermocht – und just in diesem Moment habe der Weissrusse eine sprunghafte Bewegung zu ihm hin gemacht und sei ins Messer gelaufen. Für die Downsyndrom-Kinder wird es vor der Geburt immer enger Am Berner Frauenspital wird bald ein neuer Bluttest angeboten. Die Frage, ob ein Kind Trisomie 21 hat, lässt sich nun ohne Risiko klären. Dölf Barben Ab Mitte August arbeiten die Ärzte an der Frauenklinik des Berner Inselspitals mit einem neuen Bluttest aus Deutschland. Wie das Regionaljournal von Radio DRS gestern berichtete, zeigt dieser Test, ob das ungeborene Kind Trisomie 21 beziehungsweise das Downsyndrom hat. Der Test kostet 1500 Franken und wird von der Krankenkasse nicht bezahlt. Wesentlich ist bei diesem Test der Umstand, dass er ohne Risiko durchgeführt werden kann, wie Daniel Surbek, Co-Direktor der Frauenklinik, bestätigt. Der herkömmliche Test, bei dem der Bauch der Mutter durchstochen wird, um Fruchtwasser entnehmen zu können (Punktion), hat in einem von 100 bis 200 Fällen eine Fehlgeburt zur Folge. Bei der neuen Methode dagegen wird der Mutter lediglich etwas Blut abgenommen. Der Test wird laut Surbek vor allem in jenen Fällen in Anspruch genommen werden, wo erste Ultraschallund Blutuntersuchungen darauf hindeuten, dass das Ungeborene das Downsyndrom haben könnte. Die bisherigen Blutuntersuchungen sind vergleichsweise ungenau. «Die Möglichkeiten für Eltern, die es wissen wollen, werden verbessert», sagt Surbek. Beratung bleibt sehr wichtig Damit wird es aber umgekehrt für die ungeborenen Kinder mit Downsyndrom immer enger. Ja, sagt Subek. aus dieser Perspektive betrachtet, sei das der Fall. Auf der anderen Seite werde das Risiko verkleinert, dass gesunde Kinder nach einer Fruchtwasserpunktion durch eine Fehlgeburt verloren gehen. Der neue Test ist zurzeit zwar nur in jenen Fällen vorgesehen, wo bereits ein erhöhtes Risiko für ein Downsyndrom besteht. Weil der Test aber sehr zuver- lässig ist und ohne Risiko angewendet werden kann, sei es denkbar, dass er in wenigen Jahren bei allen Schwangeren zur Anwendung kommen könnte, sagt Surbek. Wichtig bleibe dabei stets die ausführliche, objektive Beratung durch Spezialisten. «Und am Schluss muss es immer die Frau sein, die den Entscheid fällt, ob sie den Test durchführen will oder nicht.» Problematisch würde es erst dann, sagt Surbek, wenn auf die Frauen Druck ausgeübt würde, zum Beispiel durch Krankenkassen. Aber das sei aus seiner Sicht nicht zu befürchten. «Das ist genau der Punkt, der nicht sein darf.» Insieme ist «sehr skeptisch» Die Befürchtungen von Behindertenorganisationen gehen jedoch in diese Richtung. Heidi Lauper, Co-Geschäftsführerin von Insieme Schweiz, der Organisation, die sich für Menschen mit geistiger Behinderung einsetzt, steht dem neuen Test «sehr skeptisch» gegenüber. Gerade weil er ohne Risiko ausgeführt werden könne, bestehe die Gefahr, dass er «leichtfertig – einfach so» gemacht werde. Sie befürchte, dass dadurch zunächst einmal die Qualität der Beratung und damit die Qualität des Entscheids der künftigen Eltern abnehmen werde. Dabei handle es sich um einen Entscheid von grosser Tragweite: den Entscheid über den Abbruch oder die Fortsetzung einer Schwangerschaft. Fast alle werden abgetrieben Würden keine vorgeburtlichen Tests durchgeführt, würde ungefähr eines von 600 Neugeborenen mit Trisomie 21 zur Welt kommen. In einer Gemeinde mit 6000 Einwohnern würden demnach rund zehn Menschen mit Downsyndrom leben. Dies ist aber längst nicht mehr der Fall. Wie Fachleute übereinstimmend sagen, werden mittlerweile über 90 Prozent der Ungeborenen abgetrieben, bei denen Tests ergeben, dass sie das Downsyndrom haben. Weil Eltern vor dem neuen Test nicht mehr zurückzuschrecken brauchen – da kein Fehlgeburtsrisiko mehr besteht –, könnte sich diese Tendenz noch verstärken. Das rechtsmedizinische Gutachten kommt zum Schluss, dass es möglich ist, dass sich der Weissrusse tatsächlich selbst verletzt hat, als der Georgier dessen Hand festhielt. Im Gutachten steht jedoch auch, dass die Verletzungen eher den Tathergang stützten, wie ihn der Weissrusse in der Einvernahme geschildert hatte – dass er vom Georgier angegriffen worden sei, ohne selbst tätlich geworden zu sein. Dafür spricht weiter, dass der Weissrusse auch einen Schnitt am Arm (laut Gutachten möglicherweise von einer «passiven Abwehrbewegung» herrührend) und einen in der einen Handfläche beklagte (von einer «aktiven Abwehrbewegung» wohl). Der Georgier sagte gestern, sein Zimmerkollege habe keine Verletzung am Arm gehabt, nachdem sie aneinandergeraten waren. Auch die DNA-Analyse taugte nicht viel: Nur die Abdrücke des Weissrussen, dem das Messer von der Zentrumsleitung ausgehändigt worden war, konnten festgestellt werden – weitere Abdrücke waren qualitativ zu schlecht, um sie Personen zuordnen zu können. 6,5 Jahre gefordert, 4 verhängt Staatsanwalt Thomas Wyser schenkte der Version des Georgiers gar keinen Glauben. Seine Schilderungen vom Tathergang seien «abenteuerlich und lebensfremd» – er sei es gewesen, der auf den Weissrussen eingestochen habe. Er habe sich «die Trunkenheit des Opfers zu Nutzen gemacht». Der Staatsanwalt forderte dafür eine Freiheitsstrafe von sechseinhalb Jahren. Verteidigerin Michaela Hamberger hielt entgegen: «Mein Mandant hatte überhaupt kein Motiv.» Ihm sei zu glauben, wenn er sage, er habe aus Notwehr gehandelt. Er sei freizusprechen, und weil er neun Monate lang zu Unrecht im Gefängnis gesessen habe, müsse man ihm eine Genugtuung von knapp 33 000 Franken zusprechen. Das Verdikt der Richter lag dann deutlich näher an der Forderung des Staatsanwalts: Die Zweifel am Hergang reichten ihrer Meinung nach nicht aus, um den Georgier gemäss dem Grundsatz «in dubio pro reo» freizusprechen. Sie verurteilten ihn stattdessen zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von vier Jahren. Die Verletzungen am Arm des Weissrussen seien bei der Beweiswürdigung «wesentlich» ins Gewicht gefallen, sagte Jürg Santschi. Das Gericht gehe davon aus, dass er sich diese Verletzungen bei der Auseinandersetzung mit dem Georgier zugezogen habe. Und wenn der Weissrusse das Messer tatsächlich – wie es der Georgier schilderte – die ganze Zeit in den eigenen Händen gehalten hätte, «dann hätte diese Verletzung gar nicht geschehen können.» Überhaupt seien am Georgier keinerlei Zeichen von physischer Gewalt entdeckt worden. «Das Gericht geht davon aus, dass der Beschuldigte das Messer in der Hand hatte und mehrmals zustach» – so Santschi. Und wer mit solch einem Messer einer Person in die Brust steche, nehme deren Tod in Kauf. Der Georgier bleibt vorläufig im Regionalgefängnis Thun, er kann das Urteil am Obergericht anfechten. Das Rüstmesser wird vernichtet. Tagestipp Museumsführung «Holotypen sind coole Typen» Der Insektenforscher Charles Huber zeigt an Beispielen, welche Tücken und Klippen bei der Entdeckung einer neuen Tierart lauern. Eintritt: 8 Franken. (lok) Naturhistorisches Museum Bern, Bernastrasse 15, 12.15 Uhr Anzeige