Fall 14 Lösung - Juristische Fakultät

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Fall 14 Lösung - Juristische Fakultät
PROPÄDEUTISCHE Ü BUN GEN ZUM GRU NDKURS ZIVILRECHT II
SOMMERSEMESTER 2015
JURISTISCHE FAKULTÄT
LEHRSTUHL FÜR BÜR GERLICH ES RECHT, INTERNATIONALES
PRIVATRECHT UND RECHTSVE RGLEICHUNG
PROF. DR . STEPHAN LORENZ
F ALL 14 – L ÖSUNG
O RKAN
ÜBER
B AYERN
A. Ansprüche des Elias (E) gegen Malthe (M) ........................................................................ 2
I.
aus § 823 Abs. 1 BGB ................................................................................................. 2
1.
Rechtsgutsverletzung ........................................................................................... 2
2.
durch ein Verhalten des M .................................................................................... 3
3.
Rechtswidrigkeit der Rechtsgutsverletzung ............................................................ 3
a)
Vorliegen einer Verkehrssicherungspflicht ....................................................... 3
b) Person des Verpflichteten ............................................................................... 4
c)
Verletzung der Verkehrssicherungspflicht ........................................................ 4
4.
Verschulden des M bzgl. der Rechtsgutsverletzung ................................................ 4
5.
Rechtsfolge: kausaler Schaden .............................................................................. 5
a)
Schadenspositionen wegen Gesundheitsschädigung ......................................... 5
aa) Arztkosten ................................................................................................ 5
bb) Entgangenes Arbeitsentgelt ....................................................................... 5
cc) Schmerzensgeld ....................................................................................... 6
b) Schadenspositionen wegen Eigentumsverletzung ............................................. 6
aa) Reparaturkosten ....................................................................................... 6
bb) Wertminderung des Pkw ........................................................................... 7
cc) Mietwagenkosten ...................................................................................... 8
dd) abstrakte Nutzungsausfallentschädigung .................................................... 8
6.
Ergebnis .............................................................................................................. 9
II. aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 229, 13 StGB .............................................................. 9
1.
Schutzgesetz ........................................................................................................ 9
a)
Gesetz ........................................................................................................... 9
b) Eigenschaft als Schutzgesetz ........................................................................... 9
2.
Verstoß gegen das Schutzgesetz ......................................................................... 10
a)
Tatbestandsmäßiger Erfolg ........................................................................... 10
b) Unterlassen trotz physisch-realer Handlungsmöglichkeit ................................ 10
c)
Hypothetische Kausalität / Quasi-Kausalität ................................................... 10
d) Garantenstellung gem. § 13 StGB .................................................................. 10
e)
VERONIKA EICHHORN
Objektive Sorgfaltspflichtverletzung .............................................................. 10
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f)
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Objektive Zurechnung ................................................................................... 11
aa) Objektive Vorhersehbarkeit ..................................................................... 11
bb) Pflichtwidrigkeitszusammenhang ............................................................. 11
g) Zwischenergebnis......................................................................................... 11
3.
Rechtswidrigkeit ................................................................................................ 11
4.
Verschulden ....................................................................................................... 11
5.
Rechtsfolge: kausaler Schaden ............................................................................ 11
6.
Ergebnis ............................................................................................................ 12
B. Ansprüche des Elias (E) gegen Patrick (P) ....................................................................... 12
I.
aus § 831 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BGB (für das Verhalten des M) .................................... 12
II. aus § 823 Abs. 1 BGB ............................................................................................... 12
1.
Rechtsgutsverletzung ......................................................................................... 12
2.
durch ein Verhalten des P ................................................................................... 12
3.
Rechtswidrigkeit der Rechtsgutsverletzung .......................................................... 12
a)
Verkehrssicherungspflicht ............................................................................ 13
4.
Verschulden des P bzgl. der Rechtsgutsverletzung ............................................... 13
5.
Rechtsfolge: kausaler Schaden ............................................................................ 13
6.
Ergebnis ............................................................................................................ 14
C. Ansprüche des Elias (E) gegen Benjamin (B) aus § 831 Abs. 1 S. 1 BGB ........................... 14
I.
Verrichtungsgehilfe ................................................................................................. 14
II. Erfüllung des Tatbestands einer unerlaubten Handlung durch M ................................ 14
III. Verschulden des Geschäftsherrn ............................................................................... 14
IV. Rechtsfolge: kausaler Schaden .................................................................................. 15
V. Ergebnis .................................................................................................................. 15
D. Ergebnis ....................................................................................................................... 15
A.
Ansprüche des Elias (E) gegen Malthe (M)
I.
aus § 823 Abs. 1 BGB
E hat gegen M einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB, wenn dieser ein
absolut geschütztes Rechtsgut des E rechtswidrig und schuldhaft verletzt
hat.
1.
Rechtsgutsverletzung
Vorliegend könnten die gem. § 823 Abs. 1 BGB absolut geschützten
Rechtsgüter Eigentum und Gesundheit des E verletzt sein. Der im
Eigentum des E stehende Pkw des E wurde in seiner Substanz beschädigt.
Weiterhin hat sich E Prellungen und eine Gehirnerschütterung zugezogen,
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mithin eine Gesundheitsverletzung erlitten. Rechtsgutsverletzungen i.S.v.
§ 823 Abs. 1 BGB liegen damit vor.
2.
durch ein Verhalten des M 1
Die Rechtsgutsverletzungen müssten durch ein Verhalten des M
eingetreten sein. M selbst hat E und dessen Eigentum nicht aktiv verletzt.
Die Rechtsgutsverletzungen sind vielmehr kausal auf die Kollision mit dem
umgestürzten Kran zurückzuführen. Eine „Verletzungshandlung“ des M
könnte aber in der unterlassenen Sicherung des Krans liegen.
Diese müsste auch kausal für den Verletzungserfolg gewesen sein. Ein
Unterlassen ist kausal im Sinne der Äquivalenztheorie, wenn die
vorzunehmende Handlung nicht hinzugedacht werden kann, ohne dass der
Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Hätte der M den Kran ausreichend
gesichert, wäre dieser während des Orkans nicht umgestürzt und die
Kollision des E mit seinem Pkw und die dadurch eingetretenen
Rechtsgutsverletzungen wären vermieden worden. Die unterlassene
Handlung ist damit kausal für die entstandenen Rechtsgutsverletzungen
(sog. „haftungsbegründende Kausalität“).
3.
Rechtswidrigkeit der Rechtsgutsverletzung
Das Unterlassen ist jedoch nur dann rechtswidrig, wenn M gegen eine
Rechtspflicht zum Handeln verstoßen hat. Dies wäre dann der Fall, wenn M
eine Verkehrssicherungspflicht trifft, welche er verletzt hat.
a)
Vorliegen einer Verkehrssicherungspflicht
Inhalt dieser Pflicht ist, dass derjenige, der durch Übernahme einer
Aufgabe oder durch vorangegangenes Tun eine objektive Gefahrenlage
schafft oder eine solche in dem von ihm beherrschten Gefahrenbereich
andauern lässt, auch die notwendigen Vorkehrungen zum Schutze Dritter
treffen muss. Allerdings braucht der Verkehrssicherungspflichtige nicht
allen denkbaren Gefahren vorzubeugen. Nur hinsichtlich der Gefahren, die
so real sind, dass ein sachkundig Urteilender mit der naheliegenden
Möglichkeit der Verletzung anderer Rechtsgüter rechnen muss, besteht
eine Verkehrssicherungspflicht.
Gruppen von Verkehrssicherungspflichten 2:
- Bereichshaftung: Verantwortlichkeit für den eigenen Herrschaftsbereich
(Schaffung von Gefahrenherden, Kinder, Gebäude, Produkthaftung etc.)
- Übernahmehaftung: Übernahme einer Aufgabe / vertragliche Verpflichtung
- Ingerenz: Haftung aus vorangegangenem, besonders gefährlichem Tun
Durch das Aufstellen des Krans hat Bauunternehmer Benjamin (B) in
seinem Herrschaftsbereich (Baustelle) eine Gefahrenquelle geschaffen.
Damit bestand die Verkehrssicherungspflicht Vorkehrungen zu treffen,
dass Dritte durch den Kran z.B. dessen Umstürzen nicht verletzt werden
können.
1
2
Vgl. Fall 4 B.II.
Vgl. zu den Verkehrssicherungspflichten etwa Raab, JuS 2002, 1041.
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b)
Person des Verpflichteten
Wie soeben festgestellt, hat B und nicht M hat den Kran aufgestellt. Somit
hat dieser die Gefahrenquelle eröffnet und ist grundsätzlich für diese
verantwortlich und mangels entgegenstehender Anhaltspunkte auch in der
Lage, die erforderlichen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu treffen.
Diese Verkehrssicherungspflicht könnte B jedoch auf M übertragen haben.
Primär hat B seine Verkehrssicherungspflicht vertraglich auf seinen
örtlichen Bauleiter Patrick (P) übertragen, der auch die Bauaufsicht
durchführte. 3 Dieser könnte die Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich des
Krans weiter auf M übertragen haben.
Maurermeister M hat die Bedienung des Krans übernommen. Somit hat
sich die Möglichkeit der Gefahrbeherrschung primär auf ihn verlagert.
Zwar haben P und M keine ausdrückliche Absprache hinsichtlich der
Übernahme der Verkehrssicherungspflicht getroffen, jedoch liegt in der
„Beauftragung“ durch P und Übernahme der Kranführung durch M die
konkludente
Übernahme
auch
der
diesbezüglichen
Verkehrssicherungspflichten.
Folglich war M verkehrssicherungsverpflichtet.
c)
Verletzung der Verkehrssicherungspflicht
M hat den Kran nach Feierabend nicht ausreichend gesichert. Aufgrund
der tagsüber im Rundfunk verbreiteten Sturmwarnungen hätte er die
Gefahr erkennen können, dass der Kran bei starken Windböen umstürzen
und Schäden verursachen könnte.
Folglich hat er die ihn als Kranführer treffende Verkehrssicherungspflicht
verletzt.
Hinsichtlich des Prüfungsstandorts von Verkehrssicherungspflichten ist im
Einzelnen vieles umstritten.
Dient die Verkehrssicherungspflicht dazu bloße Unterlassungen deliktsrechtlich zu
erfassen, so wird einerseits die deliktsrechtlich erhebliche Handlung als
Prüfungsstandort favorisiert.
Andererseits kann die Frage der Pflicht zum Handeln im Rahmen der
Rechtswidrigkeit geprüft werden. Dieser Aufbau trennt die Frage des bloßen
tatsächlichen Unterlassens und dessen Kausalität für die Rechtsgutsverletzung von
der rechtlichen Wertung der Normwidrigkeit.
Beide Verortungen sind in der Klausur vertretbar.
4.
Verschulden des M bzgl. der Rechtsgutsverletzung
M müsste weiterhin schuldhaft gehandelt haben, also vorsätzlich oder
fahrlässig die Sicherung des Krans unterlassen haben. In Frage kommt hier
Fahrlässigkeit. Gem. § 276 Abs. 2 BGB handelt fahrlässig, wer die im
Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Unabhängig von der
konkreten Wetterlage ist ein Kran stets so zu sichern, dass Verletzungen
3
Hier wird von einem Arbeitsvertrag ausgegangen, nach welchem eine einheitliche Tätigkeit geschuldet wird, die verschiedene Zwecke erfüllt. Nur ein Zweck der Bauleitung und Bauaufsicht ist die
Wahrnehmung der Verkehrssicherungspflichten.
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Dritter vermieden werden. Dies gilt umso mehr, als im Rundfunk
Warnungen vor starken Windböen verbreitet wurden. Dass ein Kran bei
starken Windböen umstürzen kann ist vorhersehbar und durch
entsprechende Sicherungsmaßnahmen – bis zu einem gewissen Grad –
vermeidbar. Indem M diese Sicherungsmaßnahmen unterlassen hat, hat er
fahrlässig i.S.v. § 276 Abs. 2 BGB und somit schuldhaft gehandelt.
5.
Rechtsfolge: kausaler Schaden
Weiter muss dem E ein kausaler und ersatzfähiger Schaden entstanden
sein. E ist gem. § 249 Abs. 1 BGB so zu stellen, wie er (jetzt) ohne die
Rechtsgutsverletzung (Gesundheitsschädigung und Eigentumsverletzung)
stünde.
a)
Schadenspositionen wegen Gesundheitsschädigung
aa) Arztkosten
Die Gesundheitsbeschädigung ist an sich ein immaterieller Schaden, der
sich aber durch die angefallenen Arztkosten in einen Vermögensschaden
i.H.d. entstandenen Behandlungskosten von € 1.500,– verwandelt hat.
Die Heilungskosten sind äquivalente und adäquat kausale Folge der
Gesundheitsbeeinträchtigung. Der Schaden fällt auch in den Schutzbereich
der Norm.
Nachdem wegen der Verletzung einer Person Schadensersatz zu leisten ist,
kann E den für die Heilung erforderlichen Geldbetrag gem. § 249 Abs. 2
S. 1 BGB verlangen.
bb) Entgangenes Arbeitsentgelt
Ohne die Gesundheitsbeschädigung hätte E für die Dauer einer Woche
weiter seiner unselbstständigen Tätigkeit nachgehen können und hätte
dafür Arbeitsentgelt erhalten. Das entgangene Arbeitsentgelt ist
äquivalente und adäquat kausale Folge der Gesundheitsbeeinträchtigung.
Der Schaden fällt auch in den Schutzbereich der Norm.
Fraglich ist, ob wegen der Lohnfortzahlung des Arbeitgebers – zu der
dieser gem. § 3 Abs. 1 i.V.m. § 1 EFZG bis zu sechs Wochen verpflichtet
ist – eine Vorteilsausgleichung vorzunehmen ist, so dass bei normativer
Betrachtung E insoweit kein Schaden entstanden ist. Indes dient die
Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers nicht dazu, den Schädiger zu
entlasten. Das Vorliegen eines Schadens folgt vielmehr aus § 6 Abs. 1
EFZG.
Soweit der Arbeitgeber geleistet hat, ist der Anspruch gem. § 6 Abs. 1
EFZG auf ihn übergegangen (cessio legis). Dies setzt voraus, dass der
Anspruch nicht mangels Schadens wertlos ist. Obwohl also nach der
Differenzhypothese der Schaden an sich durch die Leistung des
Arbeitgebers
ausgeglichen
ist,
ist
aufgrund
einer
normativen
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Schadensbetrachtung
dennoch
ein
Schaden
4
Ausgleichung des Vorteils ist zu versagen.
anzunehmen.
Die
cc) Schmerzensgeld
§ 253 BGB ist nach h.M. anders als § 847 BGB a.F. (vor Inkrafttreten der
Schuldrechtsreform)
keine
eigene
Anspruchsgrundlage,
sondern
ein
Schadensposten.
Die durch den Aufprall mit dem Kran und die Verletzungen erlittenen
Schmerzen stellen an sich einen immateriellen Schaden dar. § 253 Abs. 2
BGB bestimmt, dass u.a. für den Fall der Verletzung des Körpers und der
Gesundheit auch für einen Nichtvermögensschaden Schadensersatz in
Form einer billigen Entschädigung in Geld zu leisten ist. 5
Der Schadensersatzanspruch ist wegen einer Verletzung an der Gesundheit
des E entstanden. Folglich kann E von M eine billige Entschädigung in
Geld (Schmerzensgeld) verlangen.
Maßgeblich sind bei der Bemessung des Schmerzensgeldes dessen
Funktionen, die Ausgleichsfunktion und die Genugtuungsfunktion.
Durch das Schmerzensgeld soll der Verletzte einerseits in die Lage
versetzt werden, sich Erleichterungen und Annehmlichkeiten zu
verschaffen, deren Genuss ihm durch die Verletzung unmöglich wurden
(Ausgleichsfunktion). Andererseits soll der Schädiger dem Geschädigten
Genugtuung für das verschaffen, was er diesem angetan hat.
Der Richter orientiert sich dabei an den nachteiligen Folgen für das
körperliche und/oder seelische Wohlbefinden des Verletzten (z.B.
Schmerzen, Ängste, Bedrückung infolge Entstellung, Einschränkung der
Lebensfreude). 6
b)
Schadenspositionen wegen Eigentumsverletzung
aa) Reparaturkosten
Der Schadensberechnung liegt das Wirtschaftlichkeitsgebot zugrunde, d.h. es ist
die günstigere Möglichkeit (Wiederbeschaffung oder Reparatur) der
Schadensausgleichung zu wählen. Jedoch darf dadurch das Integritätsinteresse
des Geschädigten nicht verkürzt werden. Diese sind in Ausgleich zu bringen.
Insbesondere bei Kfz-Reparaturkosten ist das „4-Stufen-Modell“ des BGH zu
beachten. Hierzu sind folgende Werte zu unterscheiden:
- Wiederbeschaffungswert: Kosten der Wiederbeschaffung einer wirtschaftlich
gleichwertigen Sache.
- Restwert: Der Preis, den der Geschädigte bei Inzahlunggabe des Kfz bei einem
Gebrauchtwagenhändler erzielen kann.
- Wiederbeschaffungsaufwand: Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert
- Reparaturaufwand: Reparaturkosten zuzüglich Minderwert
4 Stufen:
4
Vgl. Palandt/Grüneberg, 74. Aufl. 2015, Vor § 249 BGB Rn. 87, 112 ff.
Zum Immaterialschadensersatz vgl. Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 12. Aufl. 2013, Rn. 702 ff.
6
Um für vergleichbare Verletzungen ein annähernd gleiches Schmerzensgeld zu gewähren, orientiert
sich die Praxis an Schmerzensgeldtabellen.
5
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1. Reparaturaufwand < Wiederbeschaffungsaufwand:
fiktive oder konkrete Reparaturkosten zu ersetzen
ggf. Abrechnung auf Neuwagenbasis wenn fabrikneues Fahrzeug mit weniger als
1000 km-Laufleistung erheblich beschädigt
2. Wiederbeschaffungsaufwand < Reparaturaufwand < Wiederbeschaffungswert:
a) Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts zu ersetzen, wenn
tatsächliche Reparatur
b) fiktive Netto-Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes zu
ersetzen, wenn Kfz verkehrssicher und mindestens sechs Monate Weiterbenutzung
c) im Übrigen nur Wiederbeschaffungsaufwand ersatzfähig
3. Wiederbeschaffungswert < Reparaturaufwand < 130% Wiederbeschaffungswert
(Integritätszuschlag)
Reparaturkosten bis zu 130% des Wiederbeschaffungswerts zu ersetzen, wenn
tatsächliche
und
fachgerechte
Reparatur
(im
Umfang
des
Sachverständigengutachtens) + sechs Monate Weiterbenutzung
4. 130% Wiederbeschaffungswert < Reparaturaufwand
- „wirtschaftlicher Totalschaden“, entsprechende Anwendung des § 251 Abs. 2
BGB
- Ersatzpflicht auf Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt
Zu den sonstigen Besonderheiten bei Beschädigung eines Kfz vgl. den Überblick bei
Palandt/Grüneberg, 74. Aufl. 2015, § 249 BGB Rn. 11 ff., insb. 23 ff. und Wellner, Typische
Fallgestaltungen bei der Abrechnung von Kfz-Schäden, NJW 2012, 7 ff.
Ohne die Eigentumsverletzung am Pkw des E wären die Reparaturkosten
i.H.v. € 7.500,– nicht angefallen. Die Reparaturkosten sind äquivalente und
adäquat kausale Folge der Eigentumsverletzung. Der Schaden fällt auch in
den Schutzbereich der Norm.
über
dem
Der
Reparaturaufwand
liegt
mit
€ 8.958,– 7
8
aber
unterhalb
des
Wiederbeschaffungsaufwand
€ 6.000,– ,
Wiederbeschaffungswertes von € 18.000,–. E hat die Reparaturen
tatsächlich und fachgerecht ausführen lassen. Somit ist ihm im Wege der
Naturalrestitution gem. § 249 Abs. 2 BGB der für die Reparatur
erforderliche Geldbetrag zuzüglich Umsatzsteuer, mithin € 7.500,– zu
ersetzen.
bb) Wertminderung des Pkw
Auch wenn das Fahrzeug technisch vollständig wiederhergestellt wird,
kann eine merkantile Wertminderung verbleiben. Diese liegt in dem
niedrigeren Verkaufspreis, den der Eigentümer des Pkw bei einem
sofortigen Verkauf wegen des Makels „Unfallwagen“ erzielen könnte. In
der Rechtsprechung ist anerkannt, dass dieser merkantile Minderwert
einen
sofort
ersatzfähigen
äquivalenten
und
adäquat
kausalen
Schadensposten darstellt, unabhängig davon, ob der Eigentümer das
Fahrzeug überhaupt jemals verkaufen will/wird.
7
Reparaturkosten € 7.500,– + merkantile Wertminderung [6% von € 18.000,– (Wiederbeschaffungswert) + € 6.302,–(Netto-Reparaturkosten) (= € 1.458,–)]. Zur Berechnungsmethode s. sogleich unten.
8
Wiederbeschaffungswert € 18.000,– – Restwert € 12.000,–.
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Eine merkantile Wertminderung ist ausgeschlossen bei Bagatellschäden
(Reparaturkosten < 10% Wiederbeschaffungswert), älteren Fahrzeugen mit hoher
Laufleistung (wohl älter als 5 Jahre und mehr als 100.000 km Laufleistung) und
i.d.R. bei Nutzfahrzeugen.
Nachdem insoweit eine Naturalrestitution unmöglich ist, hat M gem. § 251
Abs.1 Alt. 1 BGB Ersatz in Geld zu leisten. Die Berechnung erfolgt im
Wege der Schätzung (vgl. § 287 ZPO). Kriterien für die Schätzung sind vor
allem die Höhe der Reparaturkosten, der Wert des Pkw, und das Alter des
Pkw (Zulassungsjahr). 9 Vorliegend wird die merkantile Wertminderung auf
6% des Wiederbeschaffungswertes zzgl. Netto-Reparaturkosten, mithin
€ 1.458,– geschätzt.
cc) Mietwagenkosten
Ohne die Eigentumsverletzung am Pkw des E wäre die Reparatur nicht
erforderlich geworden und E hätte nach seiner Genesung kein Fahrzeug
anmieten müssen. Folglich stellen auch die Mietwagenkosten i.H.v. € 150,–
pro
Tag
eine
ersatzfähige
äquivalente
und
adäquat
kausale
Schadensposition dar.
E muss sich jedoch ersparte Eigenaufwendungen im Wege der
Vorteilsausgleichung anrechnen lassen, die infolge der unterlassenen
Nutzung des eigenen Pkw eingetreten sind. Diese betragen nach h.M. 10%
der Mietwagenkosten. 10 Folglich sind von den Mietwagenkosten € 1.050,–
10%, mithin € 105,– in Abzug zu bringen.
Die Mietwagenkosten stellen damit i.H.v. € 945,– eine ersatzfähige
Schadensposition dar.
Es ist str., ob dieser Abzug auch zu erfolgen hat, wenn man einen (um 10%)
billigeren Pkw mietet. Denn dann würde der Ersparnisabzug der Billigkeit
wiedersprechen. 11
dd) abstrakte Nutzungsausfallentschädigung
Wäre die Eigentumsverletzung am Pkw nicht eingetreten, dann hätte E sein
Fahrzeug nutzen können. Der Verlust dieses abstrakten Gebrauchsvorteils
wegen der erforderlichen Reparaturen stellt nach der Rechtsprechung eine
ersatzfähige Schadensposition dar, welche gem. § 251 Abs. 1 Alt. 1 BGB zu
entschädigen ist.
Dies gilt jedoch nur, wenn der Geschädigte keine Mietwagenkosten
verlangt.
Somit
beschränkt
sich
die
mögliche
abstrakte
Nutzungsausfallentschädigung auf die ersten sieben Tage der Reparatur
nach dem Unfall. In dieser Zeit musste E jedoch verletzungsbedingt das
Bett hüten, so dass er weder eine Nutzungswillen noch eine hypothetische
Nutzungsmöglichkeit gehabt hätte. 12
9
Auch dafür haben sich Methoden und Tabellen entwickelt, weit verbreitet ist die Methode
Sahm/Ruhkopf.
10
Vgl. BGH NJW 2010, 1445 m.w.N.
11
Palandt/Grüneberg, 74. Aufl. 2015, § 249 BGB Rn. 36.
12
Es gibt keine Hinweise darauf, dass Angehörige des E den Pkw hätten nutzen können und wollen.
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Folglich steht E keine abstrakte Nutzungsausfallentschädigung zu.
6.
Ergebnis
E kann von M aus § 823 Abs. 1 BGB Arztkosten i.H.v. € 1.500.,–,
Reparaturkosten i.H.v. € 7.500,–, den merkantilen Minderwert i.H.v.
€ 1.458,–, Mietwagenkosten i.H.v. € 945,–, Verdienstausfall und ein
angemessenes Schmerzensgeld verlangen.
II. aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 229, 13 StGB
Kenntnisse des Strafrechts werden von Ihnen zum derzeitigen Stand Ihrer
Ausbildung nicht erwartet. Der Prüfungsaufbau des § 823 Abs. 2 BGB im
Allgemeinen muss jedoch beherrscht werden.
E hat gegen M einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 229, 13
StGB, wenn dieser durch seine Handlung schuldhaft ein Schutzgesetz
i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB verletzt hat.
Für die Prüfung des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. mit einem Schutzgesetz empfiehlt
sich folgender Aufbau:
1. Schutzgesetzverletzung
a) Gesetz, Art. 2 EGBGB
b) Schutzgesetz
– Bestimmtes Verhalten ge- oder verboten
– Gesetz bezweckt (ggf. neben Schutz der Allgemeinheit) Individualschutz
– persönlicher Schutzbereich: Geschädigter gehört zum geschützten
Personenkreis
– sachlicher Schutzbereich: Das verletzte Interesse/Rechtsgut ist vom
Schutzbereich
der Norm umfasst
c) Verstoß gegen das Schutzgesetz
– Tatbestandsmäßigkeit
– Rechtswidrigkeit
– Schuld/Verschulden, auch wenn von Schutzgesetz kein Verschulden
vorausgesetzt (§ 823 Abs. 2 S.2 BGB)
ggf. Verschuldensfähigkeit (h.M. immer nach §§ 827, 828 BGB)
3. Rechtsfolge: SE gem. §§ 249 ff. BGB
– ggf. modaler Schutzbereich: Art und Weise der Rechtsgutsverletzung. Es
muss sich gerade das Risiko verwirklicht haben, vor dem die Rechtsnorm
schützen soll.
1.
Schutzgesetz
a)
Gesetz
Gesetze im Sinne des BGB ist gem. Art. 2 EGBGB jede Rechtsnorm.
b)
Eigenschaft als Schutzgesetz
Ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB ist jede Norm, die ein
bestimmtes Verhalten gebietet oder verbietet, und dabei auch den Schutz
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des einzelnen oder einzelner Personenkreise vor der Verletzung eines
bestimmten Rechtsguts (Individualschutz) bezweckt.
§ 229 StGB ist systematisch im Abschnitt über die Straftaten gegen die
körperliche
Unversehrtheit
verortet.
Diese
Norm
verbietet
die
Körperverletzung einer anderen Person und will somit Schädigungen
Einzelner an ihrer Gesundheit verhindern.
E gehört als natürliche Person zum geschützten Personenkreis des § 229
StGB. Der sachliche Schutzbereich des § 229 StGB ist auf den Schutz der
körperlichen Unversehrtheit beschränkt. Der Schutz des Eigentums des E
ist folglich sachlich nicht vom Schutzbereich des § 229 StGB umfasst.
Folglich stellt § 229 StGB ein Schutzgesetz dar, welches auch den Schutz
der körperlichen Integrität des E bezweckt.
2.
Verstoß gegen das Schutzgesetz
Die Fahrlässige Körperverletzung gem. § 229 StGB wird hier in Form eines
fahrlässigen unechten Unterlassungsdelikt geprüft.
M könnte den E durch die unterlassene Sicherung des Krans an seiner
Gesundheit beschädigt haben gem. §§ 229, 13 StGB.
a)
Tatbestandsmäßiger Erfolg
Eine Gesundheitsbeschädigung hier in Form von Prellungen und einer
Gehirnerschütterung bei E stellt einen Körperverletzungserfolg i.S.d. § 229
i.V.m. § 223 Abs. 1 Alt. 2 BGB dar.
b)
Unterlassen trotz physisch-realer Handlungsmöglichkeit
Indem M den Kran nicht gesichert hat, hat er eine geeignete und
erforderliche Verhinderungshandlung trotz physisch-realer individueller
Handlungsmöglichkeit unterlassen.
c)
Hypothetische Kausalität / Quasi-Kausalität
Die erforderliche Handlung kann nicht hinzugedachtet werden, ohne dass
der
Körperverletzungserfolg
mit
an
Sicherheit
grenzender
Wahrscheinlichkeit entfiele.
d)
Garantenstellung gem. § 13 StGB
Dem M kommt durch Delegation eine Verkehrssicherungspflicht
hinsichtlich des Krans und somit eine Überwachungsgarantenstellung
i.S.d. § 13 StGB zu.
e)
Objektive Sorgfaltspflichtverletzung
Ein einsichtiger und besonnener Mensch in der konkreten Lage des Täters,
namentlich in dem jeweiligen Verkehrskreis, hätte den Kran stets,
insbesondere aber bei einer Sturmwarnung gesichert. M hat somit objektiv
pflichtwidrig gehandelt.
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f)
Objektive Zurechnung
aa) Objektive Vorhersehbarkeit
Der Kausalverlauf und
vorhersehbar (s.o.).
der
Körperverletzungserfolg
waren
objektiv
bb) Pflichtwidrigkeitszusammenhang
Der Erfolg wäre bei gehöriger Sorgfalt mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit vermieden worden (sog. Vermeidbarkeitstheorie) bzw.
die Sorgfaltspflichtverletzung hat bei ex-post-Betrachtung das Risiko des
Erfolgseintritts gegenüber dem erlaubten Risiko signifikant erhöht (sog.
Risikoerhöhungslehre). Der Pflichtwidrigkeitszusammenhang ist folglich
gegeben.
g)
Zwischenergebnis
M hat folglich durch die unterlassene Sicherung des Krans den E an seiner
Gesundheit beschädigt und damit den Tatbestand ds § 229 StGB
verwirklicht.
3.
Rechtswidrigkeit
Die Rechtswidrigkeit wird durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert.
Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich.
4.
Verschulden
Für den Verschuldensmaßstab ist grundsätzlich der Verschuldensmaßstab
des Schutzgesetzes maßgeblich. Bei Fahrlässigkeitsdelikten ist jedoch
nach h.M. im Rahmen des Verschuldens abweichend vom Strafrecht kein
subjektiver Fahrlässigkeitsmaßstab anzulegen. Es bleibt bei dem
objektivierten Fahrlässigkeitsmaßstab des § 276 Abs. 2 BGB.
Wie bereits oben dargelegt hat M die im Verkehr erforderliche Sorgfalt
außer Acht gelassen, als er es unterlassen hat, den Kran zu sichern. Dies
war für M auch vermeidbar. M handelte somit fahrlässig und damit
schuldhaft.
Das Verschulden richtet sich bei Straf- oder Ordnungswidrigkeiten nach dem
jeweiligen
Schutzgesetz,
bei
anderen
Schutzgesetzen
nach
dem
Verschuldensbegriff des BGB. Bei Schutzgesetzen ohne subjektiven Tatbestand ist
gem. § 823 Abs. 2 S. 2 BGB Verschulden gleichwohl erforderlich und richtet sich
ebenfalls nach dem Verschuldensbegriff des BGB.
5.
Rechtsfolge: kausaler Schaden
Weiter muss dem E ein kausaler und ersatzfähiger Schaden entstanden
sein. E ist gem. § 249 Abs. 1 BGB so zu stellen, wie er (jetzt) ohne die
Schutzgesetzverletzung stünde. Ohne die Schutzgesetzverletzung wäre die
Gesundheit des E nicht beeinträchtigt und die Arztkosten und das
entgangene Arbeitsentgelt vermieden worden. Weiter ist gem. § 253 Abs. 2
BGB ein angemessenes Schmerzensgeld vom Umfang der Haftung umfasst.
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6.
Ergebnis
E kann von M aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 229, 13 StGB Arztkosten
i.H.v. € 1.500.,–, Verdienstausfall und ein angemessenes Schmerzensgeld
verlangen.
B.
Ansprüche des Elias (E) gegen Patrick (P)
I.
aus § 831 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BGB (für das Verhalten des M)
E könnte gegen P einen Schadensersatzanspruch aus § 831 Abs. 2 i.V.m.
Abs. 1 BGB haben. Dies setzt voraus, dass P die Baustellenaufsicht durch
Vertrag i.S.v. § 831 Abs. 2 BGB übernommen hat.
§ 831
Abs. 2
BGB
ist
jedoch
auf
Personen,
die
ihrerseits
Verrichtungsgehilfe i.S.d. § 831 Abs. 1 S. 1 BGB sind, nicht anwendbar.
Der Polier ist als Arbeitnehmer des B nur ein sog. Zwischengehilfe und
nicht tauglicher Geschäftsherr i.S.d § 831 Abs. 1 BGB. Nur der Arbeitgeber
zieht die Vorteile aus der arbeitsteiligen Tätigkeit und nur er kommt daher
als Geschäftsherr in Betracht. 13
Folglich hat E gegen P keinen Schadensersatzanspruch aus § 831 Abs. 2
i.V.m. Abs. 1 BGB.
II. aus § 823 Abs. 1 BGB
E könnte gegen P aber einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB haben, wenn
dieser ein absolut geschütztes Rechtsgut des E rechtswidrig und
schuldhaft verletzt hat.
1.
Rechtsgutsverletzung
Wie gesehen, hat E eine Gesundheits- und Eigentumsverletzung, mithin
eine Rechtsgutsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB erlitten.
2.
durch ein Verhalten des P
Die Rechtsgutsverletzungen müssten durch ein Verhalten des P
eingetreten sein. P selbst hat E und dessen Eigentum nicht aktiv verletzt.
Die Rechtsgutsverletzungen sind vielmehr kausal auf die Kollision mit dem
umgestürzten Kran zurückzuführen. Eine „Verletzungshandlung“ des P
könnte aber in der unterlassenen Sicherung des Krans liegen.
Wie oben gesehen war die unterlassene Sicherung des Krans kausal für die
Rechtsgutsverletzungen.
3.
Rechtswidrigkeit der Rechtsgutsverletzung
Das Unterlassen ist jedoch nur dann rechtswidrig, wenn P gegen eine
Rechtspflicht zum Handeln verstoßen hat. Dies wäre dann der Fall, wenn P
eine Verkehrssicherungspflicht trifft, welche er verletzt hat.
13
S. dazu mit Nachweisen BeckOK/Spindler, 35. Ed. 2013, § 831 BGB Rn. 45 ff.
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FALL 14 – LÖSUN G
a)
Verkehrssicherungspflicht
B
hat
seine
Verkehrssicherungspflicht
durch
Eröffnung
einer
Gefahrenquelle wirksam auf P übertragen. Als Arbeitnehmer haftet er im
Außenverhältnis
zu
Dritten
für
die
Verletzung
von
Verkehrssicherungspflichten, die ihm im Rahmen seines Aufgabenkreises
(hier Sicherung der Baustelle als Bauleiter) übertragen wurden. Dadurch
wird der Übernehmende der Verkehrssicherungspflicht unmittelbar selbst
deliktsrechtlich verantwortlich gegenüber Dritten.
Die Verkehrssicherungspflicht zur Sicherung des Krans hat P weiter auf M
übertragen. Eine generelle Befreiung kann der Delegierende jedoch nicht
erreichen, ihm verbleibt eine Aufsichtspflicht. Der Delegierende bleibt
weiterhin zur Überwachung dieses Dritten verpflichtet und ist insofern
neben diesem selbst noch verantwortlich. Durch Übertragung der Pflicht
an
M,
den
Kran
zu
sichern,
verwandelt
sich
diese
Verkehrssicherungspflicht des P in die Verkehrssicherungspflicht, den M
zu beaufsichtigen.
Es kommt auf den Einzelfall und den Grad der Gefahr an. Der Delegierende
darf im Allgemeinen darauf vertrauen, dass der Dritte den ihm
übertragenen Verpflichtungen auch nachkommt, solange nicht konkrete
Anhaltspunkte bestehen, die dieses Vertrauen erschüttern. Solche
konkreten Anhaltspunkte waren vorliegend gegeben: Denn durch die
Sturmwarnung war das stark erhöhte Gefahrenpotential für P klar
erkennbar. M war als Maurermeister auch nicht so erfahren wie der
erkrankte Kranführer Thomas (T). Deswegen ist anzunehmen, dass P in
dieser Ausnahmesituation die Sicherung der Baustelle persönlich
überprüfen musste und sich hierbei nicht auf andere verlassen durfte. 14
Folglich hat P seine Verkehrssicherungspflicht verletzt.
4.
Verschulden des P bzgl. der Rechtsgutsverletzung
P müsste weiterhin schuldhaft gehandelt haben, also vorsätzlich oder
fahrlässig die Sicherung des Krans unterlassen haben. Aufgrund der
besonderen Situation der Sturmwarnungen war die Rechtsgutsverletzung
vorhersehbar und vermeidbar (s.o.). Indem P Sicherungsmaßnahmen
unterlassen hat, hat er fahrlässig i.S.v. § 276 Abs. 2 BGB und somit
schuldhaft gehandelt.
5.
Rechtsfolge: kausaler Schaden
Weiter muss dem E ein kausaler und ersatzfähiger Schaden entstanden
sein. E ist gem. § 249 Abs. 1 BGB so zu stellen, wie er (jetzt) ohne die
Rechtsgutsverletzung (Gesundheitsschädigung und Eigentumsverletzung)
stünde. Hinsichtlich der einzelnen Schadenspositionen kann auf oben
verwiesen werden. 15
14
15
a.A. mit guter Argumentation vertretbar.
A.I.5.
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FALL 14 – LÖSUN G
6.
Ergebnis
E kann von P aus § 823 Abs. 1 BGB Arztkosten i.H.v. € 1.500.,–,
Reparaturkosten i.H.v. € 7.500,–, den merkantilen Minderwert i.H.v.
€ 1.458,–, Mietwagenkosten i.H.v. € 945,–, Verdienstausfall und ein
angemessenes Schmerzensgeld verlangen.
C.
Ansprüche des Elias (E) gegen Benjamin (B) aus § 831 Abs. 1 S. 1
BGB
E könnte gegen B einen Schadensersatzanspruch aus § 831 Abs. 1 S. 1
BGB haben.
§ 831 BGB ist – im Gegensatz zu § 278 BGB – nicht Zurechnungsnorm, sondern
selbständige Anspruchsgrundlage. Anders als bei § 278 BGB handelt es sich bei
der Anspruchsgrundlage § 831 BGB nicht um eine Haftung für fremde
Pflichtverletzungen, sondern für vermutetes eigenes Verschulden (und damit für
vermutete eigene Pflichtverletzungen) des Geschäftsherrn bei Auswahl und
Beaufsichtigung seiner Verrichtungsgehilfen. Nur unter den Voraussetzungen des
§ 831 Abs. 1 S. 2 BGB kann sich der Geschäftsherr exkulpieren.
I.
Verrichtungsgehilfe
M müsste Verrichtungsgehilfe des B sein und in Ausführung seiner
Verrichtung (und nicht nur bei deren Gelegenheit) gehandelt haben.
Verrichtungsgehilfe ist, wem von einem anderen, in dessen Einflussbereich
er allgemein oder im konkreten Fall tätig wird und zu dem er in einer
gewissen Abhängigkeit steht (sog. Weisungsabhängigkeit), eine Tätigkeit
übertragen worden ist.
Der Verrichtungsgehilfe muss immer weisungsabhängig sein, da nur dann ein
Anknüpfungspunkt für Aufsichtsverschulden des Geschäftsherrn besteht.
M ist als dessen Angestellter weisungsabhängig von B und daher dessen
Verrichtungsgehilfe. Auch hat M beim Kranführen und dem damit
verbundenen Unterlassen der Sicherung nach Feierabend in Ausführung
der Verrichtung gehandelt.
II. Erfüllung des Tatbestands einer unerlaubten Handlung durch M
M muss weiter den objektiven Tatbestand einer unerlaubten Handlung in
Ausführung der Verrichtung erfüllt haben. M hat indem er die Sicherung
des Krans unterlassen hat den Tatbestand einer unerlaubten Handlung aus
§ 823 Abs. 1 BGB und aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 229, 13 StGB in
Ausführung der Verrichtung erfüllt.
§ 831 BGB setzt nicht voraus, dass der Verrichtungsgehilfe schuldhaft gehandelt
hat. Denn die Vorschrift konstituiert ja eine Haftung des Geschäftsherrn für dessen
eigenes (!) Auswahl- oder Überwachungsverschulden.
III. Verschulden des Geschäftsherrn
Das Verschulden des Geschäftsherrn hinsichtlich Auswahl und
Überwachung des Gehilfen sowie die Kausalität des Verschuldens für den
Schaden werden vermutet. B könnte aber den Entlastungsbeweis des § 831
Abs. 1 S. 2 BGB (sog. Exkulpation) führen, wenn er nachweisen kann, dass
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er bei Auswahl und Überwachung des M nicht schuldhaft gehandelt hat
oder der Schaden auch bei einwandfreiem Verhalten seinerseits
entstanden wäre.
B selbst hat den M nicht ausgesucht und überwacht, sondern der P.
Diesen hat B dazwischengeschaltet und ihn mit der Sicherung der
Baustelle betraut. Möglicherweise gelingt dem B jedoch der
dezentralisierte Entlastungsbeweis. Voraussetzung dafür ist, dass der
Geschäftsherr den höheren Angestellten sorgfältig ausgewählt, angeleitet
und überwacht hat und dieser seinerseits den schädigenden Angestellten
sorgfältig ausgewählt, angeleitet und überwacht hat. 16
Vorliegend hat P bereits mehrmals die Bauleitung fehlerfrei innegehabt. Es
ist deshalb davon auszugehen, dass B bei der Auswahl und Überwachung
des P jede erforderliche Sorgfalt beachtet hat. M hat seine Aufgabe zur
Zufriedenheit des P erledigt, womit P den M – eine sorgfältige Auswahl
und Anleitung vorausgesetzt – auch generell überwacht hat. In dieser
besonderen Situation durfte sich P aber nicht darauf verlassen, dass M
seiner Verkehrssicherungspflicht auf jeden Fall nachkommen werde (s.o.).
Insofern gelingt der dezentralisierte Entlastungsbeweis gem. § 831 Abs. 1
S. 2 BGB nicht.
IV. Rechtsfolge: kausaler Schaden
Weiter muss dem E ein kausaler und ersatzfähiger Schaden entstanden
sein. E ist gem. § 249 Abs. 1 BGB so zu stellen, wie er (jetzt) ohne die
Rechtsgutsverletzung (Gesundheitsschädigung und Eigentumsverletzung)
stünde. Hinsichtlich der einzelnen Schadenspositionen kann auf oben
verwiesen werden. 17
V. Ergebnis
E kann von B aus § 831 Abs. 1 BGB Arztkosten i.H.v. € 1.500.,–,
Reparaturkosten i.H.v. € 7.500,–, den merkantilen Minderwert i.H.v.
€ 1.458,–, Mietwagenkosten i.H.v. € 945,–, Verdienstausfall und ein
angemessenes Schmerzensgeld verlangen.
D. Ergebnis
M, P und B haften dem E als Gesamtschuldner (§§ 840 Abs. 1, 426 BGB)
auf Ersatz der Arztkosten i.H.v. € 1.500.,–, Reparaturkosten i.H.v.
€ 7.500,–, den merkantilen Minderwert i.H.v. € 1.458,–, Mietwagenkosten
i.H.v. € 945,–, Verdienstausfall und ein angemessenes Schmerzensgeld.
Die gesamtschuldnerische Haftung greift also auch, wenn einer nach § 823 Abs. 1
BGB und der andere nach § 831 Abs. 1 S. 1 BGB haftet; dann ist aber im
Innenverhältnis grundsätzlich § 840 Abs. 2 BGB zu beachten.
16
17
Zum dezentralisierten Entlastungsbeweis s. Palandt/Sprau, 74. Aufl. 2015, § 831 BGB Rn. 11.
A.I.5.
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Diese Regelung wird jedoch durch die Besonderheiten des Arbeitsrechts
überlagert: Wirtschaftlicher Nutznießer der Tätigkeiten des M und P ist der
Bauunternehmer B. Daher haben M und P im Verhältnis zu ihrem Arbeitgeber B
jeweils einen (teilweisen) Freistellungsanspruch, der sich aus den
arbeitsrechtlichen Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs bei
betrieblich veranlassten Tätigkeiten ergibt. 18
Weiterführende Literatur:
Raab, Thomas
Die Bedeutung der Verkehrspflichten und ihre
systematische Stellung im Deliktsrecht, JuS 2002
S. 1041 – 1048.
Wellner, Wolfang
Typische Fallgestaltungen bei der Abrechnung
von Kfz-Schäden, NJW 2012 S. 7–13.
Zur Übung:
Dolff, Christian
Deliktsrecht – Die schockierte Ehefrau, JuS 2009
S. 1007–1011.
Röpke, Melanie /
Pasch, Esther
Anfängerklausur – Zivilrecht: Deliktische Beteiligung mehrerer und Schadenszurechnung – Cave
Equos!, JuS 2014 S. 510 – 523.
Schlinker, Steffen
Anfängerklausur – Zivilrecht: Deliktsrecht - Produzentenhaftung, JuS 2010 S. 224–228.
Seibt, Christoph H. /
Wollenschläger,
Bernward
Fortgeschrittenenklausur – Zivilrecht: Vertragliche und deliktische Haftung – Ein Fernsehinterview mit Folgen, JuS 2008 S. 800–804.
18
Vgl. hierzu Walker, JuS 2002, 736.
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