Kadri Marmor - Tartu Ülikooli maailma keelte ja kultuuride kolledž
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Kadri Marmor - Tartu Ülikooli maailma keelte ja kultuuride kolledž
Universität Tartu Philosophische Fakultät Institut für germanische, romanische und slawische Philologie Die Umbenennung der Straßennamen in Tartu/ Dorpat zwischen 1918-1940 aus deutschbaltischer und estnischer Sicht am Beispiel der Publizistik Bakkalaureusarbeit Verfasserin: Kadri Marmor Betreuerin: Reet Bender Tartu 2008 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung ..................................................................................................................... 3 2. Forschungsgegenstand.................................................................................................. 4 3. Historischer Hintergrund .............................................................................................. 7 3.1 Die deutschbaltischen Anfänge .............................................................................. 7 3.2 Das nationale Erwachen ......................................................................................... 9 3.3 Die Deutschbalten nach 1918 ............................................................................... 12 4. Kulturelle und politische Bedeutung der Straßennamen ............................................ 14 4.1. Die Straßennamen als Spiegel der Geschichte .................................................... 14 4.2. Die Straßennamen als Mittel der politischen Propaganda................................... 16 4.3 Die Straßennamen als Träger der Identität ........................................................... 19 5. Die Umbenennung der Straßennamen in Tartu/ Dorpat zwischen 1918-1940........... 21 5.1 Die Standpunkte der Esten ................................................................................... 22 5.2 Die Standpunkte der Deutschbalten ..................................................................... 27 5.3 Die vorgenommenen Veränderungen und Schlussfolgerungen ........................... 30 6. Zusammenfassung ...................................................................................................... 35 Literaturverzeichnis ........................................................................................................ 37 Resümee ......................................................................................................................... 41 2 1. Einleitung Die Straßennamen tragen eine wichtige kulturgeschichtliche Bedeutung. Sie können sowohl die Geschichte, Kultur als auch politische Lage widerspiegeln. Einige Straßennamen bleiben durch Jahrhunderte dieselbe, aber es können auch zahlreiche Veränderungen durchgeführt werden. Solche Umbenennungen sind oft von der sich ändernden politischen Situation bedingt. Es kommt eine neue Macht, die sich im Straßenbild im Form neuer Straßennamen zeigt. Große Erneuerungen und Veränderungen haben in Europa bekanntlich nach dem Ersten Weltkrieg stattgefunden. Es sind mehrere neue Staaten entstanden, darunter auch die Republik Estland. In dieser Arbeit wird die der errungenen Selbständigkeit gefolgte Umbenennung von den Straßenamen untersucht. Die Stadt, die genauer unter die Lupe genommen wird, ist die Universitätsstadt Tartu/ Dorpat1 und der behandelnde Zeitraum bleibt zwischen 1918 und 1940. Die Problemstellung dieser Arbeit bezieht sich auf die Auseinandersetzungen zwischen den Esten und den Deutschbalten, die auf diesem Gebiet schon Jahrhunderte als Oberschicht gelebt hatten. Es soll herausgefunden werden, welche Einstellungen und Argumente die beiden Seiten in dieser Frage hatten. Um dazu eine Antwort zu bekommen und um diese Auseinandersetzungen zu verdeutlichen, werden verschiedene Standpunkte von den Esten und von den Deutschbalten, die sich auf die Frage der Umbenennung von Straßennamen beziehen, angeführt. Daher ist die vorliegende Arbeit im Großen und Ganzen in zwei Teile gegliedert. Um den Streit über die Straßennamen und seine Gründe zu verstehen, ist es wesentlich, dass zuerst ein historischer Überblick über Deutschbalten in Estland gegeben wird. Ebenso wird die kulturelle und politische Wichtigkeit der Straßennnamen erklärt. Darum geht es im ersten Teil dieser Arbeit. Im praktischen Teil wird der Umbenennungsprozess von Straßen in Tartu zwischen 1918 und 1940 näher erläutert. 1 Weiterhin wird von der Verfasserin die estnische Form Tartu verwendet. Bei der Wiedergabe der Diskussion werden diese Formen benutzt, welche die Beteiligten selbst angewendet haben. 3 2. Forschungsgegenstand Da es in der vorliegenden Arbeit im Allgemeinen um die Toponymik geht, wird zuerst erklärt, was man unter diesem Begriff versteht. Grundsätzlich handelt es sich um die Namenkunde, genauer gesagt konzentriert sich die Toponymik auf die geographischen Namen, darunter ebenso auf Orts- und Straßennamen. Die Entwicklung der Namen verschiedener geographischer Objekte wird durch mehrere Jahrhunderte beobachtet. Dabei werden sowohl die generellen Tendenzen der Sprachentwicklung als auch die Nachbarwissenschaften, wie z. B. die Archäologie und die Geschichte, in Betracht gezogen.2 Die erste toponymische Untersuchung über die Straßen von Tartu und ihrer Namen wurde von B. Wybers erfasst. In seinem Revisionsbuch (Revisionsbuch aller Gründe und Plätze 1582-1658) hat er einen gründlichen Überblick über den Tartuer Stadtplan gegeben. Weil diese wichtige Geschichtsquelle schon in das 16. Jahrhundert zurückgeht, gilt sie als der älteste schriftliche Beleg über das Tartuer Straßennetz.3 Generell über Ortsnamen berichtet August Wilhelm Hupel in seinem Werk „Topographische Nachrichten I-III“ (1774-1782).4 Der deutschbaltische Sammler und Kulturhistoriker Johann Christoph Brotze hat viel dazu beigebracht, die Altertümlichkeiten Livlands zu sammeln. Seine Aufzeichnungen von den Gebäuden, Straßen, Wegen, Plätzen, Mauern, Gewässern usw. geben ein informatives Bild über die Vergangenheit und Entwicklung der Städte. Alle größere Städte Estlands sind von ihm genau untersucht worden, darunter auch Haapsalu (Hapsal), Kuressaare (Arensburg), Paide (Weißenstein), Rakvere (Wesenberg), Tallinn (Reval) u. a. Ebenso schildert J. C. Brotze nicht nur den Stadtplan von Tartu mit wichtigsten Gebäuden, sondern auch Wappen, Siegel, Grabdenkmäler etc.5 Umfangreichere Forschungen über die Toponymik begannen in Estland erst im 19. Jahrhundert, seitdem man immer mehr Ortsnamen gesammelt hat. Damals war die 2 Pajusalu, K.; Hennoste, T.; Niit, E. u. a.: Eesti murded ja kohanimed. Tallinn: Eesti Keele Sihtasutus 2002, S. 233. 3 Raid, N.: Tartu tänavad aastani 1940. Tartu: ARC Projekt 1999, S. 2-3. 4 Kallasmaa, M.: Name Studies in Estonia. In: History of the Study of Toponyms in the Uralian Languages. Onomastica Uralica Band 2. Hrsg. von I. Nyirkos. Debrecen-Helsinki: Vider Plusz 2002. (S. 47-80), S. 47. 5 Brotze, J. C.: Estonica. Hrsg. von A. Hein, I. Leimus, R. Pullat, A. Viires. Tallinn: Estopol 2006. 4 Anführerin die Gelehrte Estnische Gesellschaft (Õpetatud Eesti Selts), die den Pastoren den Auftrag erteilte, Ortsnamen zu sammeln. Weiterhin hat sich mit dieser Thematik in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts die Akademische Gesellschaft für die Muttersprache (Akadeemiline Emakeele Selts) befasst.6 Eine zentrale Figur in diesem Bereich war ein estnischer Pastor und Volkskundler Matthias Johann Eisen. Er hat beachtlich viele Ortsnamen gesammelt, konnte aber seine Forschungen selbst nicht zu Ende führen und sie wurden später von Paul Ariste fortgesetzt.7 Außerdem hat M. J. Eisen, als eine sich für Toponymik interessierende Person, in der Zeitung Tartu Postimees mehrmals seine Meinung über den Straßennamenstreit geäußert. Teilweise stützt man sich in der vorliegenden Arbeit eben auf diesen Artikeln. Über einige Straßen von Tartu hat auch Alexander Rosenberg geschrieben. Vor allem beschäftigte er sich doch mit den Tartuer Friedhöfen, trotzdem stammen von ihm genauere Beschreibungen über die Blumenstraße8 (Lille tn), Ritterstraße (Rüütli tn), Promenadenstraße (Promenaadi tn) und über den Großen Markt (Suurturg). Weiterhin untersuchte A. Rosenberg die Geschichte von dem Domberg (Toomemägi) und außerdem interessierte er sich für die Vergangenheit einiger Gebäuden von Tartu, z. B. für das Gouvernementsgymnasium (Tartu kubermangugümnaasium).9 Im Jahre 1927 ist von dem Komitee der Stadt-Forschung das Gesamtwerk Tartu erschienen, das nicht nur über seine Geschichte, sondern auch über die Geographie, Bevölkerung, Industrie, den Handel, die Gesundheitspflege, Sozialversorgung, Schulen, und Wissenschafts- und Kulturinstitutionen berichtet.10 Über das alte Tartu hat noch Nikolai Stange geschrieben. Es handelte sich um eine archäologisch-topographische Beschreibung von Tartu, die im Jahre 1933 erschienen ist.11 Aus dem 20. Jahrhundert sind noch einige Wissenschaftler zu nennen, die sich mit der Toponymik Estlands befasst haben, z. B. Paul Ariste, Paul Johansen, Julius Mägiste, 6 Kallasmaa, M. (s. Anm. 4), S. 47-48. Ebd., S. 48. 8 Die deutschsprachigen Namensformen der Straßen stammen aus dem Buch von Niina Raid “Tartu tänavad aastani 1940”. Diese Namen, die für die Straßen nach 1918 gegeben wurden, hatten mehr keine deutschsprachigen Parallelformen und in diesem Fall stammen die Übersetzungen von der Verfasserin. 9 Taal, K.: Tartu ajalugu eesti- ja saksakeelses perioodikas 1918-1944. S. 6-7. [http://linnamuuseum.tartu.ee/pdf/tartu_ajalugu.pdf] (15.04.08) 10 Ebd., S. 10. 11 Ebd., S. 7. 7 5 Valdek Pall und Jaak Simm.12 Doch kann man im Allgemeinen sagen, dass die Toponymik der Straßen von Tartu wenig erforscht ist. Konkret mit den Tartuer Straßen haben sich nur einige Forscher befasst. Die Straßen von Tartu sind gründlich von der Kunsthistorikerin Niina Raid untersucht worden. In ihren mehreren Publikationen betrachtet sie aber eher die Entwicklung des Straßennetzes und die Etymologie der Straßennamen. Sie untersucht die Tartuer Straßen während mehrerer Jahrhunderte und konzentriert sich auf keinen bestimmten Zeitabschnitt, wie es in dieser Arbeit gemacht wird. Eine weitere Person, die über Tartuer Straßen geschrieben hat, ist Aili Raendi. In ihrer Arbeit geht es aber um die Straßen, die Personennamen tragen. Für die beiden Autorinnen stehen also im Mittelpunkt die Straßen selbst. In der vorliegenden Arbeit spielt aber auch der gesellschaftliche und politische Hintergrund eine wichtige Rolle. Die Umbenennung von Straßennamen wird untersucht, aber es ist nicht das Wesentlichste, worauf man sich konzentriert. Wichtig ist hier nämlich auch der Kontext des Konfliktes zwischen den Esten und den Deutschbalten. Die Publikationen von Niina Raid und Aili Raendi dienen daher in dieser Arbeit als Sekundärliteratur. Die Hauptquelle bilden Zeitungsartikel aus der entsprechenden Periode, vor allem handelt es sich um Artikel, die in den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts erschienen sind. Der Großteil aller Artikel stammt aus der Zeitung Tartu Postimees. Diese Zeitung widerspiegelt die Standpunkte der Esten. Die deutschbaltichen Einstellungen sind in den Zeitungen Baltische Blätter und Dorpater Zeitung vertreten. Das Thema ist interessant, weil es von einem neuen Blickwinkel betrachtet wird. Schon seit langem sind die Deutschbalten, ihre Geschichte und ihr Leben als eine Minderheit geforscht worden und man hat darüber viel geschrieben. Das Ziel dieser Arbeit ist nicht das alles noch einmal zu behandeln, sondern auf neue Aspekte hinzuweisen. Diese Aspekte sind die Meinungen der Esten und der Deutschbalten über die Umbenennung der Straßennamen. Das Thema umfasst außer der politischen Geschichte auch noch die Kulturgeschichte. Somit wird auch das historische Bewusstsein über die Heimat und über die Stadt Tartu verstärkt. 12 Kallasmaa, M. (s. Anm. 4), S. 49ff. 6 3. Historischer Hintergrund In diesem Kapitel geht es um die Geschichte der Deutschen im Baltikum. Die heutigen Deutschbalten und ihre Vorfahren hatten dieses Land etwa 700 Jahre lang bewohnt. Das Nebeneinander zweier Nationen, wobei die eine als Machthaber und die anderen als Untertan galt, verursachte gewisse Spannungen und Konflikte. Mit den Esten und den Deutschbalten ist es auch so gewesen, aber die Machtpositionen sind im Laufe der Zeit nicht immer gleich geblieben. Das Ziel dieses Kapitels ist nämlich diese Umwandlung darzustellen. 3.1 Die deutschbaltischen Anfänge Die deutsche Geschichte im Baltikum beginnt im 12. Jahrhundert, als die deutschen Geistlichen im Rahmen der Missionierung die Gebiete der heutigen Republiken Estland und Lettland ansiedelten. Den deutschen Mönchen gelang es aber nicht die Heiden bloß mit Hilfe der Worte zu christianisieren und erst mit der Unterstützung von Kreuzfahrern wurden zunächst die Liven und dann die lettischen Stämme gezwungen, das Christentum anzunehmen. Trotz eines starken Widerstandes, mussten auch die estnischen Stämme sich im Jahre 1227 ergeben.13 Nachdem die jetztigen estnischen und lettischen Territorien christianisiert wurden, folgten den Mönchen und Kreuzrittern noch Kaufleute und Handwerker – es waren die Vorfahren der heutigen Deutschbalten. Seitem folgte in den baltischen Ländern mehrere Jahrhunderte deutsche Oberherrschaft. Die einheimischen Völker wurden aber infolge der Einführung von Feudalsystem in eine lange Knechtschaft gestürzt.14 Die Ankunft neuer Machthaber lag also vieler Veränderungen zugrunde. Die Christianisierung bedeutete für die Bauern nicht gerade Beginn der Leibeigenschaft, sondern den Verlust ihrer politischen Selbstständigkeit. Im Laufe der Zeit hat man aber über sie zunehmend Pflichte und Besteuerungen verhängt, so dass sie von den 13 Taube, A. F. von; Thomson, E.: Die Deutschbalten. Schicksal und Erbe einer eigenständigen Stammesgemeinschaft. Lüneburg: Nordland-Druck Gmbh 1973, S. 17 –18. 14 Ebd., S. 18. 7 Grundbesitzern immer mehr abhängig wurden. So wurden die Bauern langsam leibeigen, das bedeutete sie wurden zum Eingentum des Gutbesitzers. Außer Einführung der Leibeigenschaft gab es noch wesentliche Veränderungen im Bereich der Kultur. Die einheimische Bevölkerung war wegen des Übergangs zum Christentum gezwungen, von vielen ihren heidnischen Traditionen und Bräuchen loszusagen. Man kann aber nicht behaupten, dass alles was die Eroberer mitgebracht hatten, schlecht war. Die neuen Ansiedler errichteten alle Strukturen, die für das Christentum charakteristisch sind, z. B. gründeten sie Bistümer und bauten Kirchen und Klöster. In diesen Institutionen wurden später beispielsweise Schulen eingerichtet und Bücher geschrieben.15 Die deutsche Kultur hat in Estland überhaupt am meistens Einflüsse ausgeübt, obwohl das heutige estnische Gebiet während Jahrhunderte ebenfalls unter der Herrschaft anderer Völker, wie z. B. der Dänen, Schweden, Russen und Polen, gewesen ist. Es liegt daran, dass Estland am längsten nämlich unter der Vorherrschaft des Deutschen Ordens gewesen ist. Eine deutsche Oberschicht hat auch dann Estland bewohnt, als hier andere Nationen an der Spitze gewesen sind. Deswegen sind in Estland noch heute in der Architektur, in der Küche, im Brauchtum und in der Sprache deutsche Auswirkungen zu spüren. So trägt z. B. der berühmte Turm in Tallinn Kiek in de Kök bis jetzt einen niederdeutschen Namen.16 Während der Zeit der Russifizierung ist zwar der deutsche Einfluss kleiner geworden, aber doch immer da gewesen. Die Rechte der Deutschbalten wurden wohl beschränkt, ihre Position in der Gesellschaft konnte aber nicht wesentlich zum Wanken gebracht werden.17 Wenn z. B. den Straßenschildern auch russische Namen hinzugefügt wurden, dann wurden die deutschen Namen nicht verdrägt. So waren für einige Zeit die Straßennamen sogar dreisprachig.18 Bis zum 19. Jahrhundert gab es also in der Gesellschaft zwei voneinander abgegrenzte Stände. Einerseits lebten in Estland die Deutschen, die der Oberschicht 15 Kiaupa, Z.; Mäesalu, A.; Pajur, A.; Straube, G.: Geschichte des Baltikums. Tallinn: Avita 2002, S. 24. Ariste, P.: Das Niederdeutsche im Estnischen. Hrsg. von . Tallinn: 1972, S. 91. 17 Jansen, E. Eestlane muutuvas ajas. Seisusühiskonnast kodanikuühiskonda. Tartu: Eesti Ajalooarhiiv 2007, S. 220. 18 Saar, J.: Vanalinnas varjab end lihuniku tänav. [http://www.postimees.ee/281207/tartu_postimees/varia/301825.php?vanalinnas-varjab-end-lihunikutanav] (21.04.08) 16 8 oder der Mittelschicht angehörten, und andererseits bildeten die Bauern die Unterklasse. Ea Jansen bezeichnet diese Situation als „eine tiefe Kluft“.19 Sie sieht als Gründe für diese soziale Isolation einerseits in der wirtschaftlicher Ungleichheit, andererseits in dem unterschiedlichen Brauchtum. Dies bedingte laut Jansen auch das Gefühl, das man einander fremd war.20 Derartige Lage herrschte zwischen den Esten und den Deutschen grundsätzlich bis zum nationalen Erwachen im 19. Jahrhundert. Solcher Tiefstand der Verhältnisse dauerte daher etwa siebenhundert Jahre. Diese Zeit war lang genug um negative Spuren zu hinterlassen und prägte aus diesem Grunde gewissermaßen den Umgang zwischen den beiden Völkern auch während und nach der Emanzipation der Esten. 3.2 Das nationale Erwachen Das 19. Jahrhundert bedeutete in Estland eine Zeit vieler gesellschaftlicher Veränderungen und dies betraf sowohl die Bauern als auch den Adel. Unter den Intellektuellen und Handwerkern befanden sich immer mehr ehemalige Bauern. Auf der anderen Seite gab es auch Deutschbalten, die sozial abgesunken waren und so der Umvolkung unterlagen sind.21 Diese Umwandlungen waren von verschiedenen Ursachen bedingt. Eine bedeutungsvolle Veränderung war die Befreiung der Bauern von der Leibeigenschaft am Anfang des 19. Jahrhunderts. Das bedeutete wohl nicht ihre vollständige Selbstständigkeit, denn in vielen Fällen sind die Bauern bei ihren Herren geblieben und arbeiteten für sie weiter. Oft war es zwar davon bedingt, dass man keinen anderen Ort zu gehen hatte. Jedenfalls wuchs in ihnen schon das Gefühl der Freiheit und zunehmender Drang nach der Unabhängigkeit.22 19 Jansen, E.: Das „Baltentum“, die Deutschbalten und die Esten. In: Forschungen zur baltischen Geschichte. Band II. Hrsg. von M. Laur, K. Brüggemann. Tartu: Akadeemiline Ajalooselts 2007. (S.71111), S. 76. 20 Ebd., S. 87. 21 Taube, A. F. von (s. Anm. 13), S. 48ff. 22 Zimmermann, K.: Das Verhältnis zwischen den ehemaligen deutschen Gutbesitzern und der estnischen Landbevölkerung. In: Die deutsche Volksgruppe in Estland während der Zwischenkriegszeit und aktuelle Fragen des deutsch-estnischen Verhältnisses. Hrsg. von B. Meissner, D. A. Loeber, C. Hasselblatt. Hamburg: Bibliotheca Baltica 1996. (S. 84-97), S. 85. 9 Die Bauern bekamen nach und nach mehr Rechte. Da man mehr Freiheit hatte, blieb auch Zeit für andere Beschäftigungen, wie z. B. Kultur und Bildung, übrig. Die Bauern wurden zuerst mit Hilfe der Pastoren der Schriftsprache und der Literatur näher gebracht. Immer mehr Schullehrer, Küster und Prediger stammten aus der Unterschicht. Beispielsweise einer der bedeutesten Männer in estnischer Kulturgeschichte, der ebenso von der untersten Schicht stammte, war der Journalist und Schriftsteller Johann Voldemar Jannsen.23 Von großer Wichtigkeit bei der Entwicklung der Kultur dienten eben die von ihm gegründete Zeitung Eesti Postimees (1864) und der Gesangverein Vanemuine (1865). Des Weiteren fand im Jahre 1869 auf Jannsens Initiative das erste estnische Sängerfest statt.24 Wichtig ist aber hier nicht nur das nationale Erwachen selbst, sondern auch die Rolle der Deutschbalten dabei. Die deutschbaltischen Geistlichen und Literaten haben viel dazu beigebracht, die estnische Schriftsprache zu schaffen und Kultur zu fördern. Anfänge der kulturellen Entwicklung haben die Deutschbalten selbst geprägt. Im 18. und 19. Jahrhundert begannen die deutschen Gebildeten, v. a. die Pastoren, estnische Sprache zu studieren, ihre Lieder zu sammeln und ihr dörfliches Brauchtum zu beschreiben. Erste ländliche Volksschulen mit allgemeiner Lehrpflicht und mit der estnischen Unterrichtsprache wurden geöffnet.25 Im 19. Jahrhundert entwickelte sich auch eine neue Gruppe von Menschen – die Estophilen. Es handelte sich nämlich um deutschstämmige Intellektuellen, die aktiv an nationalen Vorhaben der Esten teilgenommen haben. Die Herausgabe des estnischen Volksepos Kalevipoeg (1857) und Durchführung des ersten estnischen Sängerfestes in Tartu sind beispielsweise unter der Unterstützung von den Deutschbalten stattgefunden. Die Estophilen und die estnischen Gelehrten haben sich auch in Vereinen zusammengeschlossen um die estnische Kultur und Sprache zu fördern.26 So wurden von den Estophilen verschiedene kulturelle und landwirtschaftliche Institutionen, Gesellschaften, Zeitungen und Zeitschriften gegründet, die zur Förderung der Aufgeklärtheit von Menschen dienten. Die bedeutendsten Institutionen waren die 23 Jansen, E. (s. Anm. 17), S. 157ff. Rauch, G. von: Geschichte der baltischen Staaten. Hannover: Verlag Harro v. Hirschheydt 1986, S. 21. 25 Rexheuser, R.: Die Deutschbalten. Ein Überblick über ihre Geschichte. Lüneburg: Verlag Norddeutsches Kulturwerk 1991, S.15. 26 Taube, A. F. von (s. Anm. 13), S. 49. 24 10 Gelehrte Estnische Gesellschaft (Õpetatud Eesti Selts gegr. 1838) und die Estländische Literarische Gesellschaft (Eestimaa Kirjanduse Ühing gegr. 1842).27 Hier befindet sich aber ein Paradox. Wie auch Wolfgang Laur sagt, war das nationale Erwachen ein Protest gegen die deutsche Herrschaft und richtete sich damit gegen allen Deutschbalten. Dabei spielte keine Rolle die Tatsache, dass die Deutschbalten selbst oder wenigstens deutsche Einflüsse für die Emanzipation der Esten Grundlagen geschaffen hatten.28 Das heißt, die Voraussetzungen für diese antideutsche Bewegung wurden von den Deutschen selbst geschaffen. Teils war es wohl unwillkürlich, z. B. die Aufklärung und die deutsche Romantik, die mit ihren Ideen das nationale Erwachen Estlands beeinflusst hatten, waren in ganzem Europa verbreitet. Andererseits war die estnische Kultur fördernde Tätigkeit der deutschen Estophilen vollkommen bewusst. Es ist allerdings selbstverständlich, dass die Esten ihre eigene Kultur in ihrer Heimat, die so lange unter deutscher Herrschaft gewesen war, fördern wollten. Man kann nicht erwarten, dass man es nicht getan hätte, lediglich weil die Deutschbalten auch dazu einen Beitrag geleistet hatten, diese Kultur zu unterstützen. Man neigte sich gegen alles Deutsche ab, das war ja auch der Sinn des nationalen Erwachens. Man wollte die deutschen Einflüsse und Obermacht verkleinern. Hier spielt aber auch eine Rolle der Faktor der Russifizierung. Viele Esten haben eher die Russifizierung als das Deutschtum unterstützt. Daher bedeutete die Russifizierungszeit in Jahren 1881 bis 1905 einen schnellen Rückgang des baltischen Deutschtums. 29 Man kann sagen, dass die eingewurzelten Vorstellungen von den Positionen der Esten und der Deutschbalten in der Gesellschaft sich langsam zu verändern begannen. Zu Ende des 19. Jahrhunderts gab es schon unter den Großgrundbesitzern immer mehr Esten und in den Städten konnte man schon estnischen Intellektuellen begegnen.30 Diese zwei Völker wurden einander immer ähnlicher. Nach dem Ersten Weltkrieg sind allerdings die gesellschaftlichen Positionen in Estland vollkommen auf den Kopf gestellt worden. 27 Rauch, (s. Anm. 24), S. 21. Laur, W.: Unser herkömmliches deutsch-baltisches Geschichtsbild im Wandel der Zeit. In: Jahrbuch des baltischen Deutschtums. Band XII. Hrsg. von der Carl-Schirren-Gesellschaft im Auftrag der DeutschBaltischen Landsmannschaft. Lüneburg: Verlag Nordland-Druck 1973. (S. 127-137), S. 128. 29 Taube, A. F. von (s. Anm 13), S. 54-55. 30 Jansen, E. (s. Anm. 17), S. 223. 28 11 3.3 Die Deutschbalten nach 1918 Am 24. Februar 1918 wurde der selbstständige Staat Estland gegründet. Dieses Ereignis bedeutete für die Deutschbalten den Anfang ihres Untergangs. Als Jahrhunderte dominierende Schicht, begannen sie nach und nach ihre Position zu verlieren. In Bereichen wie Gesellschaft, Politik, Kultur und Wirtschaft galten sie ab dann als Außenstehende, die in der Regel mehr kein Mitspracherecht hatten. Eben der Verlust ihrer Macht prägte die Verhältnisse zwischen den Deutschbalten und den Esten. Trotz der Kulturautonomie (seit 1925), die in Europa als vorbildhaft vorgeführt wurde, war die Einstellung der Deutschbalten gegenüber dem jungen Staat Estland nicht gerade positiv. Eine wesentliche Rolle spielte dabei die in Jahren 1919/1920 durchgeführte Agrarreform. Es handelte sich um Gesetze, die das Grundeigentum regelten: das Land wurde von den Großgrundbesitzern weggenommen und zwischen den anderen aufgeteilt. Da die Mehrzahl der Großgrundbesitzer die Deutschbalten waren, haben diese neuen Gesetze vor allem sie negativ beeinflusst, während die meisten Esten davon profitierten.31 Die Agrargesetze hatten zwei wesentliche Zwecke, die beiden Ziele waren eben für die Esten lohnend. Einerseits gab es einen durchaus praktischen Grund: mit der Neuverteilung des Grundeigentums hat man den ärmeren Massen Land gegeben und so die Ungleichheit beseitigt. Es gab noch eine andere Absicht, die sich auf dem Gerechtigkeitsgefühl der Esten beruhte. Man wollte das Land von den Deutschbalten wegnehmen, weil sie in der Vergangenheit dieses Land von den Esten weggenommen hatten. Außerdem hat man dadurch die wirtschaftliche und politische Macht dem bisherigen deutschbaltischen Adel entzogen.32 Viele Deutschbalten sahen die Agrarreform als einen Angriff gegen sie. Ihrer Ansicht nach wurde die Agrarreform nicht von praktischen, sondern von emotionellen Hintergründen durchgeführt.33 Das hat die Beziehungen zwischen den Esten und den Deutschbalten ganz gespannt gemacht. Im Rahmen der Agrarreform mussten oft die 31 Taube, A. F. (s. Anm. 13), S. 64ff. Tausend Jahre Nachbarschaft. Die Völker des baltischen Raumes und die Deutschbalten. Hrsg. von W. Schlau. München: Bruckmann 1995, S. 128. 33 Meissner, B. zit. nach Knorring, G. B.: Erinnerungen an das kaiserliche Rußland und Estland. In: Zwischen Reval und St. Petersburg. Erinnerungen von Estländern aus zwei Jahrhunderten. Hrsg. von H. von Wistinghausen. Weissenhorn: Anton H. Konrad Verlag 1993. (S. 252-301), S. 289. 32 12 ehemaligen Gutsherren nicht nur das Land, sondern auch das Herrenhaus aufgeben. Oft konnten sie aber in den Nebengebäuden weiter wohnen und mussten zusehen, wie ihr ehemaliges Zuhause jetzt von den Esten bewohnt wurde oder wie es einfach verfiel. Man konnte nicht ertragen, dass die Rollen sich gewechselt hatten und dass man jetzt mit ihren einstigen Arbeitern wirtschaftlich gleichgestellt war. Viele sind in die Städte gezogen oder haben sogar Estland verlassen.34 Diese Beziehungen werden wahrheitsgetreu und humoristisch in Carl Mothanders Memoiren „Barone, Bauern und Bolschewiken in Estland“ dargestellt. Mothander, der selbst als ein Schwede in Estland gelebt hatte, schildert aus erster Hand Konflikte, die einerseits wegen der Agrarreform entstanden sind. So z. B. ist es Mothander misslungen ein gemeinsames geselliges Beisammensein zu organisierenien. Die Esten hatten Minderwertigkeitsgefühl und die Deutschbalten konnten die Bodenreform nicht vergessen.35 Trotz der physischen Nähe und immer größeren sozialen Gleichheit waren die zwei Welten der Esten und der einheimischen Deutschen voneinander ganz weit.36 Das war gewissermaßen von dem eben erwähnten Minderwertigkeitsgefühl der Esten, genauer gesagt der Estinnen, bedingt. Die Herren waren noch mit einem privaten Verkehr einverstanden, aber die Frauen sträubten sich, weil sie noch vor kurzem Dienstmädchen derselben Deutschen gewesen waren. Wie auch Mothander in seinen Erinnerungen schreibt, waren die Esten ein Kulturvolk erst seit einer Generation. Noch vor einigen Jahren sind sie selbst oder ihre Eltern den Deutschbalten untergeordnet gewesen. Jetzt war man zwar auf der gleichen gesellschaftlichen Ebene, aber man konnte ihre Herkunft nicht vergessen. Deswegen war man unsicher und hatte Angst vor einer Erniedrigung.37 Solche Beziehungen herrschten zwischen den Deutschbalten und den Esten am Anfang des 20. Jahrhunderts. Wieso aber die Umnennung der fremdsprachigen Straßennamen zugrunde so vieler neuer Spannungen lag, darauf sollte das nächste Kapitel eine Antwort geben. 34 Zimmermann, K. (s. Anm. 22), S. 88-89. Mothander, C.: Barone, Bauern und Bolschewiken in Estland. Weißenhorn/ Bayern: Anton H. Konrad Verlag 2005, S. 52-53. 36 Jansen, E. (s. Anm. 17), S. 459. 37 Mothander, C. (s. Anm. 35), S. 52-53. 35 13 4. Kulturelle und politische Bedeutung der Straßennamen In diesem Kapitel geht es darüber, die kulturelle Wichtigkeit und politische Bedeutung der Orts- bzw. Straßennamen zu erläutern. Das ist relevant, um zu verstehen, warum die Umbenennug der alten Straßennamen überhaupt so viel Polemik verursachte. Zuerst ist die Rede davon, wie die Straßennamen die Geschichte widerspiegeln können. Daher soll erklärt werden, auf welcher Weise man die Straßennamen als Mittel der politischen Propaganda benutzen kann. Im Zusammenhang mit der kulturgeschichtlichen und politischen Bedeutung der Straßennamen geht es auch darum, wie der Name als Träger der Identität gilt. 4.1. Die Straßennamen als Spiegel der Geschichte Heutzutage ist man gewöhnt, dass alle Straßen einen Namen tragen. Es ist aber nicht immer so gewesen. Das Bedürfnis, den Straßen Namen zu geben, ist erst im Mittelalter entstanden. Mit der Zeit ist die Einwohnerzahl auf der Erde ständig gewachsen und von den zunächst kleinen Siedlungen haben sich allmählich immer größere Städte entwickelt. Wenn es vor vielen Jahrhunderten noch möglich war, dass die Straßen keine Namen trugen, dann mit der Verbreitung des Straßennetzes brauchte man für eine bessere Orientierung Straßennamen. Im Gegensatz zu der heutigen Zeit gab es aber damals keine Kommissionen, die die Namen ausgedacht hätten. Sie sind im Laufe der Zeit auf Grund der Charakteristik jeglicher Straßen selbst entstanden und ihnen so langsam zugewachsen.38 Die Entstehung dieser Namen ist von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst worden. Eine Inspirationsquelle war sicherlich die Umwelt, z. B. die Teichstraße (Tiigi tn) und die Bergstraße (Mäe tn). Ganz verbreitet war auch die Tradition, dass ein Name für eine Straße dementsprechend entstanden ist, welche Handwerker da gearbeitet 38 Kettner, B.-U.: Straßennamen (am Beispiel der Stadt Marburg). In: Die Welt der Namen. Sechs namenkundliche Beiträge. Hrsg. von N. Nail. Marburg: Universitätsbibliothek Marburg 1998. (S. 101120), S. 101. 14 hatten. Nämlich sammelten sich die Meister einer bestimmten Tätigkeit auf einem Gebiet. So haben sich die Schmiedestraße (Sepa tn), die Krahmerstraße (Kraamipoodnike tn; estn. väikekaupmees heißt auf dt. Krämer, ursprünglich Krahmer) und die Küterstraße (Küütri tn) einen Namen bekommen.39 Einige Straßen wurden auch nach den Gebäuden oder Institutionen genannt. Beispielsweise die Magazinstraße (auch: Speicherstraße, estn. Magasini tn), wo es im 16.–19. Jahrhundert ein großes Magazin gegeben hat und die Mönchstraße (Munga tn) nach den da situierenden Dominikaner- und Franziskanerklöstern. Oft hat man eine Straße mit dem Namen der Person bezeichnet, die der Landbesitzer eines bestimmten Gebietes gewesen war, z. B. die Pepplerstraße (Pepleri tn) nach dem Landbesitzer Wilhelm Pöpler.40 Mit der Zeit können es in der Stadt große Veränderungen vollgezogen werden, teils unwillkürlich oder teils absichtlich. Zu solchen Änderungen gehören beispielsweise Kriegszerstörungen, Abrissarbeiten, Umbauen und Anbaus. Das Straßenbild kann sich zwar verändern, aber das Straßennetz bleibt im Großen und Ganzen gleich. Um eine Vorstellung von den alten Straßen zu bekommen, müssen eben die alten Straßennamen geforscht werden.41 Die Straßennamen sind in der früheren Zeit meistens gleich geblieben, wenn auch die Eigenschaften oder die Gründe, warum eine oder andere Straße genau diesen Namen bekommen hat, wohl nicht mehr existieren können.42 Beispielsweise die Kompagniestraße (Kompanii tn), die nach dem Gebäude von Brüderschaft der Schwarzhäupter (Mustpeade Vennaskond), die im Mittelalter an dieser Straße lag, genannt wurde, ist zwar schon längst zerstört worden, aber der Name ist gleich geblieben.43 Daher kann man sagen, dass die Straßennamen uns viel von der Geschichte erzählen können, sie sind nicht nur eine Orientierungshilfe. Aus diesem Grund bilden eben die Straßennamen heutzutage einen wichtigen Forschungsgegenstand. Sie können uns darüber Auskunft geben, welche berühmten Personen einmal auf dieser Straße gewohnt haben oder sie deuten auf die alten Gebäuden, Klöster, Kirchen und Institutionen. Die Straßennamen können damit sowohl 39 Raendi, A.: Isikunimelised tänavad Tartus. Tallinn: Eesti raamat 1987, S. 6. Ebd., S. 6. 41 Raid, N. (s. Anm. 3). 42 Kettner, B.-U. (s. Anm. 38), S. 103. 43 Raid, N. (s. Anm. 3), S. 12. 40 15 die Landschaft, die Wirtschaft als auch die Architektur widerspiegeln.44 Sie erzählen aber nicht nur über die Kulturgeschichte. Die Straßennamen können auch zum politischen Zweck ausgenutzt werden uns so auch etwas über die politische Lage einer Zeitetappe sagen. 4.2. Die Straßennamen als Mittel der politischen Propaganda In dem vorigen Kapitel wurde erwähnt, dass man früher den Straßen keine Namen gegeben hat, sondern sie sind anhand der Charakteristik der Straße entwickelt wurden. Bernd-Ulrich Kettner behauptet, dass seitdem man aber bewusst den Straßen die Namen ausgedacht hat, handele es sich bei der Straßennamengebung um ein Politikum. Da die Straßennamen nicht mehr von der Einigkeit der Massen, sondern von der Laune der Einzelpersonen entstanden sind, gab es die Möglichkeit, die Straßennamengebung für eigene Interessen auszunutzen.45 Heutzutage ist es auch manchmal der Fall, dass die Straßennamen zu politischen oder ideologischen Zwecken dienen. Die Tradition, die Straßen mit den Namen von bemerkenswerten Personen zu benennen, die selbst mit dieser Straße im keinen Zusammenhang standen, verbreitete sich auf dem estnischen Gebiet erst seit dem 19. Jahrhundert. Im Gegensatz zum Heute, war es früher auch nicht üblich, den Straßen Namen zu geben, die mit den geschichtlichen bzw. den politischen Ereignissen verbunden waren. Das erklärt auch, warum die Straßennamen ziemlich stabil waren. Sie wurden nicht mit jeder neuen politischen Richtung umbenannt. 46 Die Umbenennung der Straßen nach politischen Figuren bezieht sich bekanntlich nicht nur auf Estland. Die Straßennamen als Mittel des politischen oder ideologischen Einflusses sind in der ganzen Welt angewendet worden. Es handelt sich um eine Art der Propaganda. Wie B.-U. Kettner sagt, sei die Benennung von Straßen nach Politikern eine moderne Straßennamengebung und das sei auch der wesentlichste Unterschied im 44 Kivi, A.: Linna toponüümilisest uurimisest. In: Kodu-uurimise teateid. Metoodilisi materjale. Nr. 7. Tallinn: Eesti NSV Teaduste Akadeemia 1967. (S. 25-33), S. 25. 45 Kettner, B.-U. (s. Anm. 38), S. 109. 46 Raendi, A. (s. Anm. 39), S. 6-7. 16 Vergleich zu der alten Straßennamengebung. Er erläutert, dass so die Straßennamen oft zum Träger der politischen Ideen und Vorstellungen gemacht werden.47 Diese Tendenz hat besonders das 20. Jahrhundert gezeigt, als es in Europa mehrere politische Regimen gegeben hat. Es handelt sich um ein gutes Beispiel, um zu zeigen, wie die Straßennamen als Mittel der politischen Propaganda dienen können. Ein Bereich, auf dem sich z. B Adolf Hitlers Macht ausgedrückt hat, war nämlich das Straßennetz. Viele Straßen und Plätze haben neue Namen bekommen und das nicht nur in Deutschland, sondern auch in den von ihm eroberten Ländern, darunter auch in Estland. Daher war es in dieser Zeit ganz verbreitet, dass die Straßen und Plätze Hitlers Namen trugen. So wurde auch z. B. der Tartuer Rathausplatz im Jahre 1942 zum AdolfHitler-Platz (Adolf Hitleri plats) und in Tallinn wurde Narva mnt. zur Adolf-HitlerStraße (Adolf Hitleri tn).48 Es handelt sich hier eigentlich um den Personenkult; das bedeutet, eine anormale Verherrlichung eines Menschen. Es drückt sich auf solcher Weise aus, dass man auf Schritt und Tritt die Bilder und den Namen der verherrlichten Person sehen und hören kann. Die Benennung der Straßennamen nach diesem Menschen gehört mit Sicherheit zu einem Propagandamittel. So können sich die älteren Leuten aus dem sowjetischen Tallinn noch z. B. an den Stalin-Platz (Stalini plats) und an die Lenin-Allee (Lenini allee) erinnern. Im 20. Jahrhundert war es besonders üblich, dass die Straßennamen oft verändert wurden. Dies stand in Verbindung mit dem Machtwechsel. Aus diesem Grund wurde der oben genannte Tartuer Rathausplatz im Jahre 1949 zum Sowjetplatz (Nõukogude väljak). Es gibt noch Beispiele aus Tartu. Sowohl die Mönchstraße (Munga tn) als auch die Kleine Gildestraße (Väike-Gildi tn) trugen in Jahren 1949 bis 1963 den Namen Pionierstrasse (Pioneeri tn). Die Ritterstrasse (Rüütli tn) ist unter dem sowjetischen Einfluss sogar mehrmals umbenannt worden. Im Jahre 1940 wurde sie zur Straße des 21. Juni (21. Juuni tn), 1941 zurück zur Ritterstrasse, 1944 wieder zur Straße des 21. Juni und 1989 schließlich wieder zur Ritterstrasse.49 Man könnte darüber noch viele 47 Kettner, B.-U. (s. Anm. 38), S. 112. Alender, E., Henno K., Hussar A. u. a. Nimekorralduse analüüs. Tallinn: Eesti Keele Sihtasutus 2003. S. 38-39. S. 38. 49 Raid, N. (s. Anm. 3), S. 11. 48 17 ähnliche Beispiele bringen, wie die Straßennamen unter dem Einfluss politischer Winde gewesen sind.50 Der Grund, warum man den Straßen politische Namen gibt, besteht darin, die Menschen politisch zu beeinflussen. Man hofft, dass man mit diesen Namen nur positives verknüpft, wenn man sie irgendwo sieht, hört oder liest. So übt man Wirkung auf das politische Denken und Handeln der Einzelmenschen aus. Hier gibt es aber auch eine Bedingung. Nämlich muss es verständlich sein, wofür dieser Name steht und welche politische Ideen es propagiert.51 So hat es keinen Sinn, eine Straße zur Siegestraße (Võidu tn) zu nennen, wenn nur wenige wissen, von welchem Sieg man spricht. Dabei ist ebenso wichtig die Tatsache, dass die politischen Straßennamen nur eine gewisse Zeitetappe wirksam sind, d. h. die Verbreitung politischer Ideen durch die Straßennamen ist begrenzt. Nämlich ist darunter gemeint, wenn der Hintergrund des politischen Namens verloren geht, verliert er seine Wirkung. Daher wirken die politischen Namen bloß zur Zeit der Namensgebung und noch für eine kurze Zeit danach. Später können sie die Menschen in dieser Sinne nicht mehr beeinflussen, sie werden dann nur Zeugen der einstigen politischen Mächte.52 Die Namensgebung der Straßen aus politischen Interessen kann aber nicht immer ihr Ziel füllen. Es kann sogar eine gegensätzliche Wirkung haben. Es kann gegenüber den neuen Namen eine Widerwärtigkeit entstehen. Die neuen Namen können dem Wesen und der Geschichte der Straße nicht entsprechen und oft ist es auch der Fall gewesen. Sie passten einfach nicht in das Stadtbild. Daher konnten eben die alten Namen noch lange im Gedächtnis der Menschen bleiben und die neuen Namen wurden nicht gern benutzt.53 Heutzutage ist in Estland die Benennung der Straßen mit den Personennamen durch das Gesetz beschränkt und man versucht mit den Widmungsnamen möglichst vorsichtig umzugehen. Außerdem ist es schwer zu entscheiden, welche Personen mit den eigenen Straßennamen verehrt werden sollten und welche nicht. Im diesem Fall besteht immer die Gefahr, dass mit jemandem ungerecht behandelt wird. Deswegen werden die 50 Vgl. dazu: (s. Anm. 48), S. 38-39. Kettner, B.-U. (s. Anm. 38), S. 116. 52 Ebd., S. 117. 53 Kivi, A. (s. Anm. 44), S. 25. 51 18 verdienstvollen Personen heutzutage meistens anders verehrt, z. B. mit den Konzerten, Skulpturen, Büchern, Gedenktafeln usw.54 4.3 Die Straßennamen als Träger der Identität Victor Klemperer hat geschrieben, dass es in jeder Revolution, egal ob politisch oder soziales, immer zwei Tendenzen zu bemerken seien: zum einen der Wille nach etwas völlig Neues, zum anderen das Bedürfnis nach Anknüpfung und nach rechtfertigenden Tradition. Man sei aber nicht absolut neu, sondern kehre zurück in die Vergangenheit. Für beide Tendenzen seien eben die Umbenennungen typisch.55 Eine solche kulturelle Revolution fand in dem 1920er und 1930er Jahren im Estland statt. Es drückte sich als eine größere Umbenennungwelle der Straßennamen aus. Man wollte grundsätzlich fast für alle Straßen neue Namen geben. Nicht nur die Straßennamen mit fremder Herkunft, sondern auch schlecht klingelnde Namen sollten verändert werden. Wie kann man aber diesen plötzlichen Drang erklären, solche umfangreiche Veränderungen vorzunehmen? Generell kann man es darurch erklären, dass die Straßennamen Träger der Identität sind. Wenn der Mensch sich durch einen Eigennamen definiert, dann die Gebiete und Territorien werden mit einem Orts- bzw. Straßennamen bezeichnet.56 Vorher war die Rede davon, dass man die Straßen mit den Namen zu bezeichnen begann, weil man ein System für Lokalisierung benötigte. Es war auch ein Grund, aber ebenso spielte dabei eine Rolle das Gefühl der Zugehörigkeit, das die Menschen ja brauchten.57 Der Mensch als ein soziales Wesen, wollte einer Gruppe angehören und diese Gruppe bildeten daher alle Bewohner eines bestimmten Ortes bzw. einer bestimmten Straße. Des Weiteren können die Straßennamen die lange Geschichte einer Stadt und somit die Geschichte aller Einwohner derselben Stadt widerspiegeln. In Tartu gibt es einige 54 Ehrenbusch, S.: Stagnatsioon või kartus? Austada suurisikuid ja tähtpäevi teisiti kui tänavanimede kaudu. [http://www.sirp.ee/Arhiiv/11.06.99/Kunst/kunst1-4.html] (21.04.08). 55 Klemperer, V.: Lingua Tertii Imperii. Notizbuch eines Philologen. Leipzig: Reclam-Verlag 1991, S. 81-82. 56 Riiklik Kohanimeregister (KNR): [http://www.siseministeerium.ee/?id=10353&highlight=kohanimed]. (13.03.2008). 57 Zitiert nach K. Küttis aus dem Artikel “Kohanimede teema sisustas päeva” von A. Aotäht. [http://www.sakala.ajaleht.ee/051106/esileht/5023426.php] (13.03.2008). 19 Straßennamen, die schon aus dem Mittelalter stammen, z. B. die Kühnstraße (Küüni tn), die Schmiedestraße (Sepa tn), die Schloss Straße (Lossi tn), die Krahmerstraße (Kraamipoodnike tn), die Johannisstraße (Jaani tn), die Kompagniestraße (Kompanii tn), die Ritterstraße (Rüütli tn), die Breit Straße (Lai tn), die Jacobstraße (Jakobi tn) und die Mönchstraße (Munga tn). Damit haben diese Straßen einen großen kulturgeschichtlichen Wert. Die Straßennamen sind auch kulturelle Symbole, denn durch ihnen wird die Kultur verewigt. Die bedeutensten Personen aus dem Kulturbereich werden mit Hilfe von Straßennamen verehrt. So haben wir gegenwärtig in Tartu auch Straßen, die nach folgenden Personen benannt worden sind: K. E. v. Baer, A. Haava, C. R. Jakobson, J. V. Jannsen, A. Kitzberg, L. Koidula, J. Koort, F. R Kreutzwald, J. Liiv und E. Viiralt. Alle diesen Menschen haben in Estland dazu einen Beitrag geleistet, sowohl Kunst, Literatur als auch Medizin zu fördern. Genauso wie die Straßennamen eigene Kulturgeschichte vermitteln, refektiert in den Straßennamen der Einfluss fremder Nationen, die aus verschiedenen Gründen auf dem estnischen Gebiet gesiedelt haben. So haben wir neben den einheimischen Namen auch Namen vor allem deutscher und russischer Herkunft. Obwohl es sich um Fremdherrschaft handelte, sind sie doch ein Teil der Geschichte Estlands und deswegen werden sie einigermaßen auch in den Straßennamen behalten. Die Umbenennung der Straßennamen bildete für die Esten eine Art Basis für eine neue nationale Richtung. Damit konnte man die Vergangenheit hinter sich lassen und sich in die Zukunft richten. Man kann sagen, dass Estland eigentlich mit den neuen Straßennamen diesen neuen Staat am Finnischen Meerbusen propagierte. Die neuen Namen, vor allem die Namen der berühmten estnischen Schriftsteller und anderen Kulturschaffenden, dienten gerade diesem Ziel. Da die Straßennamen als Träger der Identität gelten, war es für einen jungen Nationalstaat besonders wichtig, dass die Straßennamen in der eigenen Sprache wären. Über die Bestrebungen, dieses Ziel zu erreichen, wird in dem nächsten Teil die Rede sein. Dabei werden aber auch die langzeitigen Bewohner Estlands, nämlich die Deutschbalten, nicht außer acht gelassen. 20 5. Die Umbenennung der Straßennamen in Tartu/ Dorpat zwischen 1918-1940 Auf dem historischen Hintergrund und der Erläuterung von der Wichtigkeit der Straßennamen beruhend folgt die Analyse. In diesem Kapitel wird die Umbenennung der Tartuer Straßennamen näher betrachtet. Dabei werden sowohl die Einstellungen und Vorschläge der Esten als auch der Deutschbalten vorgestellt und analysiert. Zuletzt werden die vorgenommenen Veränderungen dargestellt. Die Unabhängigkeit der Estnischen Republik hat wesentlich den Status der fremdsprachigen Straßen- und auch Ortsnamen verändert. Im Jahre 1920 wurde eine Bestimmung über die Sprache in der Öffentlichkeit getroffen. Laut dieser Vorschrift mussten sowohl die Anzeigen, die Titel von Kinofilmen als auch die Straßen, Plätze und Märkte auf Estnisch stehen.58 Dabei wurden sowohl Ausland als auch einige andere Städte Estlands wie z. B. Tallinn (Reval), Viljandi (Fellin) und Paldiski (Baltischport) zum Vorbild genommen.59 Im Rahmen der nationalen Propaganda wurden aber nicht nur die Straßennamen, sondern ab 1934 auch die fremdartigen Familiennamen geändert. Die Umbenennung der Straßennamen war allerdings ein langer Prozess. Erste Veränderungen wurden schon in den 1920er Jahren vollzogen. Dabei handelte es sich einerseits um die Namen, die sehr fremd klangen. Teilweise waren es auch Namen, die noch aus der Russifizierungszeit stammten, z. B.: Kroonuaia – Botaanika, Nikolai – Nigula, Peterburi – Narva, Pihkva – Kuperjanovi, Waleeria – Aardla, Wladimiri – Ihaste, Annovi – Annemõisa, Karlova – Kaarli. Andererseits gab es darunter auch solche Straßennamen, die zwar nicht fremd klangen, aber doch verändert wurden, so z. B.: Raatuse – Raekoja, Saeveski – Saekoja.60 Die Diskussion über die Straßennamen selbst dauerte etwa von Anfang der 1920er bis Mitte der 1930er Jahren. Die meisten Artikeln stammen eben aus dieser Periode, denn in dieser Zeit waren die Diskussionen am heftigsten. Insgesamt werden fast 30 Artikeln aus der entsprechenden Zeit analysiert, nicht alle von denen sind mit dem 58 Alender, E.; Henno, K.; Hussar, A. u. a. (s. Anm. 48), S. 35. Tähtwere tänawate ristsete ootel. Tänawate nimedest üldse ja eriti Tartus. In: Tartu Postimees (09.04.1932). S. 6. 60 Tänawate nimede muutmine. In: Tartu Postimees (04.05.1923). S. 5. 59 21 Namen der Autor versehen. Die Zahl der Diskutanten, die mit ihrer Meinung auch ihren Namen veröffentlicht haben, liegt bei neun Personen. Es handelte sich aber um Vertreter verschiedener Lebensbereiche. So gab es unter ihnen sowohl Professoren der Universität Tartu, Musiker, Pastoren, Schriftsteller, Journalisten, Politiker, Juristen als auch Historiker. 5.1 Die Standpunkte der Esten In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts entstand in Estland eine neue nationale Richtung und es bestand darin, verschiedene Veränderungen vollzuziehen. Dabei hat man besonders viel Wert darauf gelegt, dass die Straßennamen estnischsprachig wären. In dem vorigen Kapitel ging es genauer darum, in welcher Weise die Straßennamen als Träger der Identität gelten. Davon abhängend hatten sich einigermaßen auch die Standpunkte der Esten geprägt. Viele Straßennamen sind von der deutschen Sprache direkt ins Estnisch übersetzt worden, z. B. die Ritterstraße (Rüütli tn), die Schloss Straße (Lossi tn), die Promenadenstraße (Promenaadi tn) und die Küterstraße (Küütri tn). Diesen Namen wurde vorgeworfen, dass sie „beleidigend klingen“61 und deswegen verändert werden müssen. Tallinn (Reval) galt als das größte Vorbild, denn da wurden schon dementsprechende Umbenennungen vorgenommen. Noch weitere in Ungnade gefallene Straßennamen waren z. B. die Gildenstraße (Gildi tn), die Holmstraße (Holmi tn), die Kompagniestraße (Kompanii tn), die Magazinstraße (Magasini tn), die Klosterstraße (Kloostri tn) und die Mönchstraße (Munga tn). Diese Namen wurden als untauglich bezeichnet, weil sie entweder mehr überhaupt keine Bedeutung tragen oder weil sie zu der entsprechenden Zeit nicht passen und zu fremd klingen.62 61 Uulitsa nimede muutmisest. In: Tartu Postimees (19.06.1922). S. 2. Sowohl im diesem Fall als auch in einigen weiteren Artikeln kann man auf keinen Autor hinweisen, weil die Artikel in der Zeitung anonym erschienen sind. 62 Eestistagu ka tänawanimed! In: Tartu Postimees (05.11.1934). S. 4. 22 Trotz seines deutschen Namens kritisiert Professor Alexander Lipschütz63 heftig die fremdsprachigen Straßennamen. Er erhebt in einem Artikel über Tartuer Straßennamen hervor, dass Tartu eine Stadt der Poesie sei. Er betont, dass eben hier diese Literaten gearbeitet haben, die die Grundlagen für eine neue Poesie geschaffen haben. Auch wurde in Tartu der „Tempel der Wissenschaft“64, nämlich die Universität, gegründet. Daraus folgend schlägt er vor, dass die Straßen die Namen der „estnischer Söhne“65 tragen sollten. Professor Lipschütz wies darauf hin, dass diese Söhne unsere Dichtung gefördert und den nächsten Generationen weitergegeben haben. So sei es unsere Pflicht, diese bedeutungsvollen Menschen zu ehren. Noch betont Professor Lipschütz, wie wichtig es sei, den Straßen neue Namen zu geben. Es sei ein Symbol jeglicher guter Tat, die Wert sei nachzuahmen. Laut ihm sei es unsere Aufgabe das Volk mit tauglichen Straßennamen zu bereichern. Wenn man zu den alten, unschönen und für eine Stadt der Poesie gar nicht passenden Namen bleiben würde, wäre es ein Zeichen der Unkultur. So fordert er alle auf, schnell die Straßen umzubenennen. 66 Dafür, dass weiterhin die Straßen die Namen verdienstvoller Schriftsteller, Staatsmänner und legendärer Personen tragen würden, plädierte auch Eduard Markus67. Er erklärt, dass man aus den Straßennamen vieles über die Geschichte, Literatur, Legenden und wichtigste Ereignisse erfahren könne. Aus den Namen von Tartuer Straßen ist laut ihm dieses Kulturerbe aber nicht zu spüren. Nämlich kritisiert er, dass im Straßenbild die Namen der berühmten Esten fehlen. Dabei betont er, dass man nicht alle fremdsprachigen Namen verdrängen sollte, denn sie sind nicht immer mit den schlechten Erinnerungen verbunden.68 Ähnlich argumentiert auch Leonhard Neuman.69 Er weist zusätzlich darauf hin, dass es in dem Stadtzentrum kein berühmter Este zu finden sei, obwohl es unsere Ehrenpflicht sei, ihre Namen zu verewigen. Außer dieser Ehrenpflicht legt er ebenso Wert auf das nationale Selbstbewusstsein: 63 Alexander Lipschütz (1883-1980): Professor für Physiologie an der Universität Tartu. Zwar in Riga geboren, lebte er aber einige Zeit auch in Tartu. 64 Lipschütz, A.: Oa, Erne ja Kartuli tänaw. In: Tartu Postimees (18.05.1921). S. 5. 65 Ebd., S. 5. 66 Ebd., S. 5. 67 Eduard Markus (1889-1971): estnischer Professor für Geographie an der Universität Tartu. 68 Markus, E.: Tartu tänawanimede uuendamise puhul. In: Tartu Postimees (28.08.1923). S. 7. 69 Leonhard Neuman (1885-1933): estnischer Musiker, Chordirigent und Literat. 23 „...Und nicht allein die Ehrenpflicht gegenüber diesen Verstorbenen, sondern noch größere nationale Pflicht gegenüber unserer Zukunft und Sicherung unserer noch auf dem so schwachen Boden stehenden nationalen Selbstbewusstsein der Gegenwart“. 70 Daraus ergibt sich wieder die wichtige Rolle der Straßen als Träger der Identität und wie relevant es für einen jungen Staat war, dass die Straßen die eigene Nationalität und Kulturerbe widerspiegeln würden. Die Welle der Umbenennungen richtete sich nicht nur gegen die fremdsprachigen Namen, sondern gegen alle Namen, die unbrauchbar waren. M. J. Eisen71, der auch der Umbenennung von Tartuer Straßen Aufmerksamkeit zugewandt hat, kritisiert ebenso die Untauglichkeit einiger Straßennamen, die überhaupt nicht zu der entsprechenden Zeit passen. Er bringt folgende Beispiele: die Hasenstraße (Jänese tn), die Fuchsstraße (Rebase tn), die Quappenstraße (Lutsu tn), die Kartoffelstraße (Kartuli tn), die Bohnenstraße (Oa tn), die Erbsenstraße (Herne tn), die Melonenstraße (Meloni tn), die Beerenstraße (Marja tn). M. J. Eisen fragt ironisch, ob es z. B. auf der Hasenstraße Hasen herumlaufen oder ob es bei den Bewohnern der Quappenstraße die Eigenschaften einer Quappe zu erkennen seien. So wie A. Lipschütz, E. Markus und L. Neuman schlägt auch M. J. Eisen vor, dass die Straßen nach den berühmten Esten benannt werden könnten.72 Im Übrigen hat M. J. Eisen heftig die Ermahnungen der Deutschbalten kritisiert, was das Umgehen mit den alten Straßennamen betrifft. Er bringt andere Nationalitäten als Vorbild und weist sogar auf die Russen hin, die z. B. Tartu gegen Jurjev und Peterburi (dt. St. Petersburg) gegen Petrograd ausgewechselt hatten. Deshalb findet er, dass es kein „Mangel der Pietät“ sei, wie es von den Deutschbalten vorgeworfen wurde, wenn auch in Tartu derartige Veränderungen durchgeführt werden. Des Weiteren bestreitet M. J. Eisen den Vorwurf, dass es hier um eine „nationale Eifrigkeit“73 handele, denn man habe schon längst Namen umgetauft. Laut ihm solle mit der Zeit gehen und so ist er der Meinung, dass es keinen Grund gebe, z. B. den einstmaligen Geschäftsmann W. Pöpler mit dem eigenen Straßennamen zu verehren. 70 Neuman, L.: Tartu tänawate nimed. In: Tartu Postimees (08.09.1923). S. 4. (Diese und auch weitere Übersetzungen stammen von der Verfasserin; estn.: „Ja mitte üksi aukohus nende kadunute vastu, waid weel suurem rahwusline kohus meie tulewiku vastu ja meie alles weel nii nõrgal jalal seiswa olewiku rahwuslise iseteadwuse kindlustamises“). 71 Matthias Johann Eisen (1857-1934): estnischer Volkskundler und Pastor. 72 Eisen, M. J.: Tartu uulitsanimed. In: Tartu Postimees (27.08.1923). S. 2. 73 Eisen, M. J.: Teine seisukoht Tartu uulitsanimede asjus. In: Tartu Postimees (15.09.1923). S. 4. (estn.: “rahvuse tuhin”) 24 Die Küterstraße (Küütri tn) bezeichnet er sogar als „einen Bastard“74 und diesen Straßennamen dürfte man auf keinen Fall behalten.75 Nicht alle Esten waren eifrig, umfangreiche Umbenennungen vorzunehmen, z. B. Hugo Rebane76 hält es für gefährlich und warnt auch anderen davor. Nämlich deutet er auf die kulturelle und historische Bedeutung der alten Namen. Er bezeichnet es als „ein zweischneidiges Schwert“.77 Zwar können die fremdartigen Namen abgeschafft werden, aber es würde auch nah unsere eigene Altertümlichkeiten und Traditionen angehen, ermahnt er. „Eine Veränderung könnte nur als die letzte Möglichkeit in die Frage kommen, wenn der Name entweder völlig fremdsprachig oder unbestreitbar grob ist. Das ästhetische Kriterium, sog. „die banale Bedeutung“ als eine streitbare Geschmackssache sollte 78 vollkommen abseits bleiben oder möglichst im Hintergrund“. Der Streit fing wohl mit den Straßennamen an, aber es entwickelte sich wesentlich weiter und schließlich umfasste es alle deutschsprachigen Namen. Ebenso stark wie die Straßennamen wurden die fremdartigen Ortsnamen, so wie auch die fremdklingenden Zeitungsnamen kritisiert. Alle deutschsprachigen Namen wurden für die Esten ein Tabu, die man auf keinen Fall anwenden durfte. So mussten auch einige Zeitungen ihre Namen verändern. Die Revalsche Zeitung wurde zur Estländischen Zeitung und Dorpater Zeitung hat ihren Namen gegen Deutscher Zeitung gewechselt. Beide Parteien waren eigensinnig und wollten keine Kompromisse machen. Die Esten waren der Meinung, dass es die Kräfte der Dorpater Zeitung übersteigt, statt Dorpat Tartu zu schreiben.79 Obwohl die Esten im Großen und Ganzen ihre Kritik gegen die Deutschbalten richteten, gab es auch diejenige, die ihre Landsleute beschwichtigen versuchten. Einer von denen, der nicht so radikale Einsichten besaß, war Karl August Hindrey80. Er 74 Eisen, M. J. (s. Anm. 73), S. 4. ( M. J. Eisen verwendet auf Estn. das Wort “värdjas”. Er weist darauf hin, dass man den niederdeutschen Namen “Küter” (lihunik) mit “Küfer” (püttsepp) verwechselt hat. Ursprünglich ist der richtige Name „Küterstraße“ gewesen, später wurde es im Russischen wegen der falschen Übersetzung zur „ “ (dt. Küferstraße)). 75 Ebd., S. 4. 76 Hugo Rebane (1904-1946): Redakteur der Zeitschrift “Ajalooline Ajakiri”. 77 Rebane, H.: Kohanimede küsimus. In: Ajalooline Ajakiri (4/1938). Hrsg. von Akadeemiline Ajalooselts. Tartu: K. Mattieseni trükikoda 1940. (S. 206-222). S. 210. (estn.: “kaheteraline mõõk”) 78 Ebd., S. 210. (estn.: „Muutmine võiks tulla arvesse ainult viimases järjekorras juhtudel, kui nimi on kas täiesti moondumatult võõrkeelne või vaieldamatult ropp. Esteetiline kriteerium, nn. „labane tähendus“ kui vaieldav maitseküsimus peaks jääma täiesti kõrvale või võimalikult tagaplaanile“). 79 Tartu saksa leht muutis nime. In: Tartu Postimees (08.09.1934), S. 6. 80 Karl August Hindrey (1875-1947): estnischer Schriftsteller, Karikaturist und Journalist. 25 schreibt, dass ein selbstbewusster Mensch tolerant sei und nicht so handeln würde wie sich die Esten mit den Deutschbalten gerade benehmen. Das Verhalten der Esten sei für eine gebildete Nation nicht passend.81 Nicht konkret über die Straßennamen, sondern im Allgemeinen über die nationale Entwicklung berichtet Jaan Tõnisson82. In einem seiner Artikel gibt er einen kurzen Überblick über die Geschichte Estlands und über die Entwicklung der Esten. Aus der zuerst unterwürfigen und furchtsamen Esten während der deutschbaltischen Oberherrschaft habe sich ein nationales Selbstbewusstsein entwickelt.83 Man kann seine Rede als eine Lobpreisung auf die estnische Souveränität betrachten. Er beschreibt die höchste Entwicklung einer Nation folgend: „ ... die reif und mächtig sind selbst sich zu beherrschen und ihr Schicksal zu bilden. Nicht so wie die anderen es wollen, sondern wie man es selbst nach den eigenen Überzeugungen, eigenen Willen und eigenen Fähigkeiten für notwendig und richtig hält“.84 Da dieser Artikel in der Zeit geschrieben wurde, als die Umbenennung der alten Straßennamen ganz aktuell war, kann man es auch so interpretieren, dass J. Tõnisson die anderen aufgefordert hat, die Straßennamen zu verändern. Laut der Meinung von Professor Jüri Uluots85 solle man das alles wieder gut machen, was der Esten ungerecht angetan wurde. Damit solle man auch unsere historische Rechte wieder herstellen. Eben das müsste unser neues Ideal sein.86 Auch hier spricht man nicht direkt über die Straßennamen, doch kann man sagen, dass diese „Wiederherstellung der historischen Rechte“ sich genauso auf die Straßennamen bezieht. Diese Ansichten der Esten waren klar gegen das Deutschtum gerichtet. Logischerweise fanden diese Äußerungen von der Seite der Deutschbalten einen kritischen Widerstand. Mit welchen Argumenten die Deutschbalten die alten Straßennamen gewehrt hatten, erweist sich aus dem nächsten Kapitel. 81 Hindrey, K. A.: Rahwuslus ja salliwus. In Tartu Postimees (21.09.1934). S. 2. Jaan Tõnisson (1868-unbekannt): der berühmte estnischer Politiker, Staatsmann und Jurist. 83 Tõnisson, J.: Rahwusliku enesekaotuse sügawlaine tagasi valgumas?! In: Tartu Postimees (04.09.1934). S. 2. 84 Ebd., S. 2. (estn.: ... kes on küpsed ja wõimsad ise ennast walitsema ja oma saatust ise kujundama. Mitte selle järele, kuidas teiste poolt heaks arwatakse, waid nagu seda ise oma weendumuste, oma tahtmiste ja wõimiste järele tarwilikuks ja õigeks tunnistatakse“). 85 Jüri Uluots (1890-1945): estnischer Jurist und Politiker. 86 Uluots, J.: Püstitagem uus rahwuslik paleus. Ajaloolise ülekohtu heakstegemine ja ajalooliste õiguste jaluleseadmine saagu uueks rahwuslikuks ideaaliks. In: Tartu Postimees (25.04.1933). S. 2. 82 26 5.2 Die Standpunkte der Deutschbalten Die Deutschbalten haben bei diesem Thema nicht so oft das Wort ergriffen als die Esten. Ihre Antwort blieb im Vergleich zu der Kritik der Esten eher zurückhaltend. Doch haben sie das auch nicht ohne jegliche Aufmerksamkeit gelassen. Die Antworten der Deutschbalten bezogen sich zwar nicht nur auf die Straßennamen, sondern ebenso auf die Umbenennung der Ortsnamen. Eigentlich waren die Argumente, die sich gegen die Umbenennung sowohl der Straßen- als auch der Ortsnamen richteten, ganz ähnlich. Jedenfalls sind die Vorwürfe der Esten nicht ohne Antwort geblieben, wobei bei diesen Antworten meistens ein überlegener und lächerlich machender Unterton zu spüren ist. So kann man aus der Zeitung Baltische Blättern die Meinung eines Deutschbalten lesen, der aber nur seine Initialen S. R. angegeben hat: „Da diese Namensplaudereien den Lieblingssport einer gewissen Richtung des estnischen Nationalismus bilden, ...“.87 Zwar sagt der Autor, dass es keinen Zweifel gebe, wer in der Frage von Umbenennungen sowohl Orts- als auch Straßennamen, die entscheidende Macht hat. Er anerkennt die neue höhere Position der Esten, aber erwartet, dass die Deutschbalten als schon langzeitige Bewohner dieses Landes doch eine Mitberechtigung hätten.88 Derselbe anonyme Autor S. R. begründet auch den Unwillen der Deutschbalten gegenüber der Umbenennungen. Er erklärt es dadurch, dass diese Namen ein lebendiges Zeugnis ihrer Geschichte seien und die sie mit ihrer Vergangenheit verbinden. Deswegen sei ihr Widerstand in dieser Frage so stark, denn sie wollen nicht mit dem Verlust der urspünglichen Namen auch den Kontakt zu ihren historischen Wurzeln verlieren. Er bringt den Esten die Geschichte in Erinnerung: „ ... wir Deutschen, d. h. unsere Vorfahren und Ahnen, sind es doch gewesen, die diese Städte begründet, erbaut, in die Höhe gebracht, durch Jahrhunderte bevölkert und verwaltet haben. Das Dasein dieser Städte ist vom Dasein unseres Volkstums gar nicht zu trennen und dieses Bewusstsein kommt für uns im Namen zum äußeren symbolischen Ausdruck“.89 Er ermahnt die Esten, dass wenn diese historischen Namen verändert werden, dann lösche man auch einen großen Teil ihrer eigener Geschichte. 87 Tartu (Dorpat). In: Baltische Blätter (13/1930). S. 593. Ebd., S. 594. 89 Ebd., S. 594. 88 27 Ebenso hat Arnold Hasselblatt90 die Esten darauf Aufmerksam gemacht, dass man mit den alten Straßennamen pietätvoll und vorsichtig umgehen solle. Die Geschichte einiger dieser Straßen, die man jetzt umbenennen will, gehe schon viele Jahrhunderte zurück. Er bringt viele Beispiele, darunter auch über die Pepplerstaße (Pepleri tn) und über die historische Figur Wilhelm Pöpler, nachdem diese Straße einen Namen bekommen hat.91 Der schon oben erwähnte S. R. erläutert noch, dass bei der Umbenennung der Straßen und bei dem Mitspracherecht der Deutschbalten eine wichtige Rolle die Kernfrage spiele, als was die Deutschen in Estland gelten. Seien sie entweder „Eindringlinge, Fremdstämmige, Fremdkörper im Organismus dieses Landes“92 oder handle es sich um einen „heimatberechtigten, bodenständigen Stamm“93. Es gehe hier um das Heimatrecht und man sah bei den Umbenennungen den Wunsch der Esten, die Deutschbalten aus ihrer rechtmäßigen Heimat auszutilgen. Ebenso machte es ihm den Eindruck, dass die Esten so ihre Geschichte und Erinnerungen durchschneiden wollten. Weiterhin weist er darauf hin, dass es sich um einen Versuch der Esten handele, zu zeigen, wer in Estland der einzige Machthaber ist. Es sei ein „krankhaftes Prestigebedürfnis“94, denn die Esten seien innerlich selbst unsicher und zweifelhaft. Mit den Umbennennungen würden sie bloß ihre Macht demonstrieren. „Und diese Äußere Beglaubigung der Macht meint man sich schaffen zu können, indem man Städte, Ortschaften, Straßen, Menschen, Ideen äußerlich zu seinem ausschließlichen Eigen umstempelt, ohne zu ahnen, daß man nichts wahrhaft besitzt, was man sich 95 innerlich voll zu Eigen erworben hat“. Der neue Nationalismus der Esten sei nichts Anderes als „neue Etiketten auf alte Dingen kleben“96. Man rät den Esten, dass sie sich neue geistige Werte schaffen sollten. Nur so könnten die Esten und die Deutschbalten in einer gegenseitiger Achtung und Verständnis leben.97 Diese nationale Frage wurde zu einem echten Zankapfel, der teilweise schon kindisch behandelt wurde. Der Streit entwicklete sich schon zu einem Gegensatz 90 Arnold Hasselblatt (1852-1927): deutschbaltischer Journalist und Historiker. Hasselblatt, A.: Mõnda Tartu uulitsatest. In: Tartu Postimees (15.09.1923). S. 4. 92 Tartu (Dorpat) (s. Anm. 87), S. 594. 93 Ebd., S. 594. 94 Ebd., S. 595. 95 Ebd., S. 595. 96 Ebd., S. 595. 97 Ebd., S. 595. 91 28 zwischen den zwei größten Zeitungen Estlands – zwischen Tartu Postimees und Dorpater Zeitung. Sowohl Tartu Postimees als auch Dorpater Zeitung beschuldigten einander in der nationalen Unduldsamkeit. Derartige erste Anschuldigungen stammten von der estnischen Zeitung.98 Außerdem bezeichnete Tartu Postimees die Dorpater Zeitung als “das Dorpater deutsche Blättchen“99, was die deutsche Zeitung wohl schwer beleidigt hat, besonders weil es sich um die größte deutschsprachige Zeitung in Estland handelte. Darauf antwortete die Dorpater Zeitung folgend: „Nicht wir sind die national Unduldsamen, sondern der „Postimees“, ... . Mit Recht gilt „Postimees“ als eine der in nationalen Dingen unduldsamsten Tageszeitungen in Estland“.100 Tartu Postimees verspottete die Antwort der deutscher Zeitung und kommentierte, dass es bloß im Stil „Nein, Du bist“ geschrieben ist.101 Die Antwort der estnischer Zeitung lautete ziemlich arrogant und man konnte da eine klare Überlegenheit über die Deutschbalten spüren: „Die „Dorpater Zeitung“ widmet jetzt die ganze Vorderzeite der wütenden Antwort auf unsere Bemerkung. Leider können wir den Nebenfragen nicht so viel Raum widmen ...“102 Darauf wehrte die Dorpater Zeitung die Anschuldigungen von Tartu Postimees folgendermaßen ab: „Das wichtigste Kennzeichen für die nationale Unduldsamkeit ist bekanntlich die Unfähigkeit, sich in die Logik und die Gedankenwelt eines anderen Volkes hineinzuversetzen. Und an dieser Unfähigkeit leidet der „Postimees“, in einem so hochen Grade, dass wir die Verseitigung dieser Eigenschaft wohl mit Recht als hoffnungslos bezeichnen können.“.103 Der Streit ist also relativ heftig geworden und man blieb dabei nicht immer höflich, obwohl es sich in der Regel doch um gebildete Menschen handelte. Es wurde schon üblich, dass man die andere Seite beleidigt und wohl auch an etwas beschuldigt hat. 98 Vgl. Tartu-saksa “wälispoliitika”. In: Tartu Postimees (14.11.1930). S. 2. Ebd., S. 2. (estn.: “Tartu saksa leheke”) 100 Dorpater deutsche „Außenpolitik“. In: Dorpater Zeitung (14.11.1930). S. 1. 101 Kumb on sallimatu? (dt.: Wer ist unduldsam?) In: Tartu Postimees (17.11.1930). S. 2. (estn: “ise oled”) 102 Ebd., S. 2. (estn.: ““Dorpater Zeitung” pühendab nüüd kogu oma esikülje vihasele vastusele meie märkuse peale. Meie ei saa kahjuks nii palju ruumi pühendada kõrvalküsimustele, …”) 103 Der “Postimees” hat das Monopol auf die Logik gepachtet. In: Dorpater Nachrichten (19.11.1930). S. 1. 99 29 Doch hatten die langen und eifrigen Streitigkeiten zwischen den Esten und den Deutschbalten letztlich auch einige Veränderungen zum Ergebnis. 5.3 Die vorgenommenen Veränderungen und Schlussfolgerungen Nach einer langen Diskussion sowohl zwischen den Esten und den Deutschbalten, als einigermaßen auch unter den Esten selbst hat man im Allgemeinen entschlossen, dass nur diese Straßennamen umbenennt werden sollten, die wirklich fremdartig klingen oder unpraktisch sind. Man hat vermieden, umfangreichere vorzunehmen, weil dies zu viele Verwirrung verursacht hätte. Veränderungen 104 So hat man z. B. nicht die fremdklingenden Kompagniestraße (Kompanii tn), die Magazinstraße (Magasini tn), die Philosophenstraße (Filosoofi tn) und die Fortunastraße (Fortuuna tn) umbenannt. Diese Namen seien historisch entwickelt worden und haben eine international neutrale Bedeutung.105 Auch die Ritterstraße (Rüütli tn) wurde von einer Umbenennung geschont, da es sich um einen historischen Namen handelte, der außerdem auch nicht besonders fremd klang. So konnte die Ritterstraße ihren Namen erhalten und es wurde nicht zur Technikstraße (Tehnika tn), so wie es vorgeschlagen wurde.106 Man hat auch diese Vorschläge abgelehnt, die Straßen nach den berühmten estnischen Kulturschaffenden zu benennen, deren Namen fremdartig klingen. Man solle diese Menschen anders verehren und nicht durch die Straßennamen.107 Es wurde z. B. mehrmals vorgeschlagen, dass die Pepplerstraße (Pepleri tn) nach dem Schriftsteller Friedrich Reinhold Kreutzwald benennt werden könnte.108 Man hat aber nicht nach 104 Uusi nimetusi Tartu tänawaile. In: Tartu Postimees (17.04.1936). S. 7. Tänawatele uusi nimesid. Lõpp wõõrastele ja ebapraktilistele tänawanimetustele. In: Tartu Postimees (10.04.1936). S. 3. 106 Uusi nimetusi Tartu tänawaile (s. Anm. 104), S. 7. 107 Ebd., S. 7. 108 Vgl. Eisen, M. J. (s. Anm. 72), S. 2.; Linna tänawate nimede muutmise ja uute linnaosade tänawatele nimede panemise küsimus edasi lükatud. In: Tartu Postimees (29.08.1923). S. 5.; Tartu tänawatele uued nimed. Ettepanekud ja kawatsused. In: Tartu Postimees (25.01.1926). S. 5.; Tänawate ristimine Tartus. Hulgale tänawatele Eesti tegelaste nimed. In: Päevaleht (31.01.1926). S. 8. (Dieser Name wurde oft vorgeschlagen, weil Fr. R. Kreutzwald viele Jahre auf der Pepplerstraße gewohnt hat und da auch gestorben ist). 105 30 diesen Empfehlungen behandelt und so wurde die Pepplerstraße im Jahre 1932 zur Straße des Generals Põder (Kindral Põderi tn).109 Einige Straßen mit einem fremdartigen Namen wurden aber nicht verändert. Die Tolstoi Straße (Tolstoi tn) ist unverändert geblieben, nämlich weil dieser Name zu einem weltweit berühmten Schriftsteller gehöre.110 Die fremdklingende Alexanderstraße (Aleksandri tn) konnte auch bei seinem alten Namen bleiben, denn damit sollte Alexander I. verehrt werden, der die Universität neu gegründet hat und auch „der Befreier des estnischen Volkes“ war.111 Es wurde auch darauf aufmerksam gemacht, dass es in einer Universitätsstadt keine Straße gibt, die diesen Namen trägt.112 So wurde im Jahre 1932 die Johannisstraße (Jaani tn) zur Universitätsstraße (Ülikooli tn). Da es von der Gründung der Universität 300 Jahre vergangen waren, wurden im Jahre 1932 die Jacobsstraße (Jakobi tn) und die Küterstraße (Küütri tn) zur Gustav-Adolf-Straße (Gustav Adolfi tn) umbenannt. In dem gleichen Jahr wurde die Kleine Gildenstraße (Väike-Gildi tn) zur Straße von Peeter Põld (Peeter Põllu tn).113 Im Jahre 1936 wurden die Kühnstraße (Küüni tn) und ein Teil der Promenadenstraße (Promenaadi tn) und der Rigischen Straße (Riia tn) zur Siegestraße (Võidu tn) zusammengeschlossen. Diese Entscheidung wurde so begründet, dass nach der Befreiung von Tartu durch diese Straße die sieghaften Truppen Estlands einmarschiert haben. Deshalb sei es für eine Straße in dem Stadtzentrum ein guter Name.114 Das Ergebnis dieses Streites war also die Umbenennung mehrerer Straßen. Der Streit war eigentlich schon in der Mitte der 1930er Jahren zu Ende. Als Hitler in Deutschland an die Macht kam, haben viele Deutschbalten nach Deutschland umsiedelt. Dann waren solche Probleme wie die Umbenennung der Straßen nicht mehr von Bedeutung, denn man hate schon andere Probleme. Eigentlich spielte die Umbenennung 109 Uusi tänawate nimesid (s. Anm. 107). S. 6. (General Ernst Põdder 1879-1932: ein legendärer Feldherr aus dem Estnischen Freiheitskrieg.) 110 Uusi tänawate nimesid. In: Tartu Postimees (29.04.1936). S. 6. 111 Uusi nimetusi Tartu tänawaile (s. Anm. 104), S. 7. (Estn.: „Eesti rahwa wabastaja“) 112 Vgl. Tähtwere tänawate ristsete ootel (s. Anm. 59), S. 6. 113 Raid, N. (s. Anm. 3), S. 10ff. (Peeter Põld 1878-1930: der erste estnische Bildungsminister, der Wegweiser des estnischen Bildungwesens und Gründer der estnischsprachigen Universität.) 114 Uusi nimetusi Tartu tänawaile (s. Anm. 104), S. 7. 31 der Straßennamen allein eine eher kleinere Rolle, wichtig war nämlich das, was sich eigentlich dahinter steckte. Für die Esten war es eine Möglichkeit ihre errungene Macht zu verkünden, die Deutschbalten dagegen versuchten ihre einstige Machtpositionen und Kulturerbe noch auf irgendeiner Weise festzuhalten. Nämlich waren die Deutschbalten der Ansicht, dass sie in Estland das Christentum gebracht hatten und damit auch die Kultur. Aus ihrer Sicht haben eben sie die Entwicklung dieses Landes geprägt und gefördert. Auch Ea Jansen erläutert, dass die heutige estnische Kultur sich einerseits von ihrer alten Kultur und andererseits von der Kultur, die die Deutschbalten mitgebracht hatten, zusammengeschmelzt.115 Die Deutschbalten glaubten fest, dass es ihre Heimat ist. Sie hatten auf diesem Gebiet schon viele Jahrhunderte gelebt und ebenso gegen verschiedene Eindringlinge Kriege geführt. So haben auch viele Deutschbalten an dem Estnischen Freiheitskrieg 1918-1919 teilgenommen und für die Freiheit gekämpft.116 Wie auch K. Taal schreibt, war Tartu für die Deutschbalten ihre Stadt, in der es auch Esten gewohnt hat.117 Es war für sie nicht einfach, die einzige Heimat, die sie je gekannt haben, sozusagen aus den Händen fallen zu lassen. Die Beziehungen zwischen den Esten und den Deutschbalten wurden besonders dadurch kompliziert, dass die Rollen sich gewechselt hatten. Die Deutschbalten wurden von der Oberschicht zu einer geduldeten Minderheit und so ist es auch verständlich, dass jegliche positiven Verhältnisse mit den Esten unmöglich waren. Trotz der Kulturautonomie hat man das Leben für die Deutschbalten schwierig gemacht. Beispielsweise die Agrargesetze dienten ebenso dazu, den Boden unter den Füßen der Deutschbalten zu höhlen. Obwohl die Esten jetzt selbst in der Gesellschaft eine führende Position hatten, konnten sie nicht die Ungerechtigkeit der Vergangenheit vergessen, die ihnen vor 700 Jahren im Rahmen der Christianisierung angetan wurde. Bei der Zulassung zu dieser Position spielte auch eine wesentliche Rolle das Mythos der 700jährigen Knechtschaft. Die Esten sahen in ihrer kürzlich erhaltenden Macht eine Möglichkeit, diese historische 115 Jansen, E. (s. Anm. 19), S. 109. Helme, R. Die Beteiligung der baltischen Deutschen am Freiheitskrieg. In: Die deutsche Volksgruppe in Estland während der Zwischenkriegszeit und aktuelle Fragen des deutsch-estnischen Verhältnisses. Hrsg. von B. Meissner, D. A. Loeber, C. Hasselblatt. Hamburg: Bibliotheca Baltica 1996. S. 28-36. 117 Taal, K. (s. Anm. 9), S. 5. 116 32 Ungerechtigkeit wieder gut zu machen. Sie haben ihre neue Machtposition genossen. Das wird auch dadurch klar, dass in dieser Umbenennungswelle viele Namen unter Kritik geraten sind, die überhaupt nicht fremd klingten, sondern bloß „untauglich“ waren. Es macht einen Eindruck, dass man unüberlegt die alten historischen Namen liquidiert hat, bloß weil man es konnte. Es war wirklich eine nationale Eifrigkeit, so wie auch einige Deutschbalten es bezeichnet hatten. Man wollte fast alles umbenennen – die Eigennamen, die Straßennamen, die Ortsnamen – und dachte nicht immer daran, ob der neue Name beispielsweise für eine Straße überhaupt passt. Vor dieser Eifrigkeit bei den massenhaften Umbenennungen haben aber nicht nur die Deutschbalten (z. B. Arnold Hasselblatt), sondern auch einige Esten (z. B. Hugo Rebane) gewarnt. Andererseits ist es auch verständlich, dass die Esten es nicht wollten, in ihrem neuen Nationalstaat die Namen ihrer ehemaligen Herrscher zu sehen. Die deutschsprachigen Namen hätten auf Schritt und Tritt die Geschichte und die Oberherrschaft der Deutschbalten in ihre Erinnerung gebracht. Die neuen estnischsprachigen Namen waren wie ein neuer Anfang – eine Grundlage für ihren Nationalstaat. Man könnte hier auch mit Finnland eine Parallele ziehen. Finnland war ebenso viele Jahrhunderte unter einer fremden Macht, nämlich der schwedischen. Wenn in Estland die deutsche Sprache die Sprache der Oberschicht, der Geschäftsführung und der Gebildeten war, dann in Finnland hatte diese Rolle das Schwedische. Die Sprache der Bauern waren entsprechend das Estnische und das Finnische. Nachdem es in Finnland die Selbständigkeit erreicht wurde, wurden aber die schwedischen Straßen- und Ortsnamen erhalten. So sind noch heute in Finnland alle Straßen- und Ortsnamen zweisprachig. Die Esten wollten aber keine Kompromisse machen. Eine verbreitete Ansicht war, dass die deutschsprachigen Namen abgeschafft werden müssen und im Allgemeinen ist es ihnen auch gelungen. Der Übergang zu den eigenen Namen war allerdings nicht plötzlich. Dies zeigt auch schon etwa der 20jährige Zeitabschnitt, in dem man die Veränderungen durchgeführt hat. Man hat darüber lange diskutiert und es ging nicht so schnell wie die Abschaffung der russischen Straßennamen. Es ist auch verständlich, denn die russischen Straßennamen waren im Rahmen der Russizfizierung den Esten aufgezwungen gewesen. Die deutschsprachigen Namen waren aber während 700 Jahren 33 entwickelt worden und es war eigentlich nicht so einfach eine Grenze zu ziehen, welche Namen sind dann fremd und welche nicht. Die beiden Parteien waren auf jeden Fall hartnäckig und wollten keine Zugeständnisse machen. Dies zeigt auch z. B. diese Tatsache, wie die Deutschbalten ihre Zeitungen umbenannten. Als es die Bestimmung verabschiedet wurde, dass alle fremdartigen Namen verändert werden müssen, hat die Dorpater Zeitung sich zur Deutscher Zeitung umbennant. Man wollte in dieser Frage den Esten nicht nachgeben und statt Dorpat den Namen Tartu verwenden. Deswegen kann man sagen, dass man trotz einer physischen Nähe nie über ein Zusammengehörigkeitsgefühl sprechen konnte. Auf einem kleinen Gebiet lebten zusammen zwei ganz verschiedene Welten, die eigentlich einander nicht verstanden haben. Sowohl die Esten als auch die Deutschbalten jagten ihren historischen Rechten nach, die sie ihrer Meinung nach hatten. Einerseits hatten die beiden Seiten wohl recht, andererseits hätten sie auch einander gegenüber toleranter sein können. Man konnte sich nicht in die Lage der anderen Seite setzen und eben das hat die Uneinigkeiten verursacht. 34 6. Zusammenfassung In dieser Arbeit geht es um die Umbenennung der Straßennamen in Tartu/ Dorpat zwischen 1918-1940. Das Ziel war herauszufinden, welche Standpunkte in dieser Frage die Esten und die Deutschbalten hatten. Die historischen Rollen hatten sich verändert und so wurden von den ehemaligen Leibeigenen Machthaber, während die einstige Oberschicht ihre Position verloren hatte. Die Arbeit basiert auf alten Zeitungsartikeln, in denen sowohl die Meinung der Esten als auch der Deutschbalten vertreten sind. Die Artikeln stammen aus der größten estnischen Zeitung Tartu Postimees und aus der größten deutschen Zeitung in Estland Dorpater Zeitung. Viele Artikel sind wohl anonym erschienen, aber unter den Personen, die auch ihre Namen veröffentlicht hatten gab es Vertreter verschiedener Lebensbereichen, wie z. B. Musiker, Pastoren, Schriftsteller u. a. Auf Grund dieser Artikeln kann man sagen, dass die Esten im Allgemeinen der Ansicht waren, dass mit ihnen in der Vergangenheit ungerecht umgegangen wurde. Sie sahen die Deutschbalten als Eindringlinge, die von ihnen die Freiheit weggenommen hatten. Als man nach 1918 die Selbständigkeit erreicht hatte, war es für sie eine Möglichkeit diese Ungerechtheit wieder gut zu machen. Die Umbenennung der Straßennamen diente eben als Grundlage für ihren neuen Nationalstaat. Aus der Sicht der Deutschbalten wurden aber ihnen eine Ungerechtigkeit angetan, nämlich weil für sie Estland ihre Heimat war. Wohl eine Heimat, in der es auch estnischsprachige Völker lebten, aber doch ihr Zuhause. Nach 700 Jahren wurden sie aber bloß zu einer geduldeten Minderheit, deren Kulturerbe man jetzt vernichten wollte. Nicht nur die Abschaffung ihres Kulturerbes, aber auch die Agrargesetze haben die Deutschbalten in eine unangenehme und schwierige Lage gesetzt. Sie akzeptierten wohl die neue Machtposition der Esten, zwar waren sie der Meinung, dass es sich bloß um einen Versuch der Esten handelt, ihre neue Macht zu propagieren. Der Streit umfasste aber nicht nur die Straßennamen, es war viel umfangreicher. Der Streit spielte sich nicht nur zwischen diesen Menschen ab, die in dieser Frage das Wort ergreiften, sonder zwischen zwei Nationen, deren Einsichten entweder in Tartu Postimees oder in Dorpater Zeitung vertreten wurden. Teilweise wurde aber ihr 35 Verhalten schon kindisch und man hat einander gegenseitig in der nationalen Unduldsamkeit beschuldigt. Man kann aber sagen, dass es trotz der vielen Diskussionen relativ wenige Veränderungen vorgenommen wurde. Die verbreitete Meinung der Esten war, dass die Straßen nach den bemerkenswerten estnischen Personen benannt werden sollten und nach diesen Empfehlungen wurde auch meistens behandelt. Dabei wurden nicht alle fremdsprachigen Straßennamen verändert, nur diese Namen, die wirklich fremd klangen oder mehr keine Bedeutung trugen. Dagegen historische Namen wurden erhalten. Es wurde auch einige Straßen zusammengeschlossen und in der Universitätsstadt ist auch eine Universitätsstraße entstanden. Im Zusammenhang mit diesem Thema, könnte man in der Zukunft auch die Veränderungen der Eigennamen, die in den 30er Jahren durchgefüchrt wurden, genauer forschen. Auch könnte man die Umbenennung der Straßennamen Ende 80er und Anfang 1990er untersuchen. Nämlich wurden dann viele veränderten Straßenamen wieder mit ihren historischen Namen bezeichnet. 36 Literaturverzeichnis Primärquellen: • Der “Postimees” hat das Monopol auf die Logik gepachtet. In: Dorpater Zeitung (19.11.1930). S. 1. • Dorpater deutsche “Außenpolitik“. In: Tartu Postimees (14.11.1930). S. 1. • Eestistagu ka tänawanimed! In: Tartu Postimees (05.11.1934). S. 4. • EISEN, Matthias Johann: Tartu uulitsanimed. 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S. 2. • Uulitsa nimede muutmisest. In: Tartu Postimees (19.06.1922). S. 2. • Uusi nimetusi Tartu tänawaile. In: Tartu Postimees (17.04.1936). S. 7. • Uusi tänawate nimesid. In: Tartu Postimees (29.04.1936). S. 6. Sekundärquellen: • ALENDER, Eve; HENNO, Kairit; HUSSAR, Annika u. a.: Nimekorralduse analüüs. Tallinn: Eesti Keele Sihtasutus 2003. • ARISTE, Paul: Das Niederdeutsche im Estnischen. Hrsg. von ! • A . Tallinn: 1972. BROTZE, Johann Christoph: Estonica. Hrsg. von Ants HEIN, Ivar LEIMUS, Raimo PULLAT, Ants VIIRES. Tallinn: Estopol 2006. • HELME, Rein: Die Beteiligung der baltischen Deutschen am Freiheitskrieg. In: Die deutsche Volksgruppe in Estland während der Zwischenkriegszeit und aktuelle Fragen des deutsch-estnischen Verhältnisses. Hrsg. von Boris MEISSNER, Dietrich A. LOEBER, Cornelius HASSELBLATT. Hamburg: Biblitheca Baltica 1996. 38 • JANSEN, Ea: Das „Baltentum“, die Deutschbalten und die Esten. In: Forschungen zur baltischen Geschichte. Band II. 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Töö eesmärgiks on välja selgitada, kuidas suhtusid vanade tänavanimede muutmisesse ühelt poolt värskelt võimule saanud talupoegadest eestlased ning teiselt poolt baltisakslased, kes olid oma 700 aasta pikkuse ülemvõimu kaotanud. Et mõista antud konflikti tagamaid, annab töö esimene osa ülevaate baltisakslaste ajaloost Eestis. Samuti analüüsitakse nii tänavanimede kultuuriloolist kui ka poliitilist tähtsust. Tänavanimede roll identiteedi kandjana selgitab poleemikat, mis nende vahetamisega paratamatult kaasneb. Töö teises pooles uuritakse vanu ajaleheartikleid, kus mitmed avaliku elu tegelased, aga ka anonüümsed kirjamehed tänavanimede muutmise kohta oma arvamusi ning ettpanekuid on esitanud. Suurem osa artikleid pärineb ajalehest Tartu Postimees, kus kajastuvad eelkõige eestlaste seisukohad. Sakslaste vaatenurgad ilmusid seevastu eesti suurimas saksakeelses lehes Dorpater Nachrichten. Sel teemal võtsid sõna mitmete tegevusalade esindajad, nii oli nende seas ülikooli professoreid, muusikuid, teolooge, kirjanikke, poliitikuid, juriste, ajaloolasi ning ajakirjanikke. Antud artiklite põhjal saab öelda, et eestlased olid veendunud neile ajaloo jooksul osaks saanud ülekohtus. Nad ei soovinud oma rahvusriigis näha tänavanimesid, mis pärineksid võõrvalitsejatelt. Eestlaste jaoks olid baltisakslased sissetungijad, kes olid röövinud neilt vabaduse. 1918 aastal saavutatud iseseisvus andis neile vähemalt nende endi meelest võimaluse ajalooline ülekohus tagasi teha. Tänavate ümbernimetamisega taheti minevik justkui kustutada, ning alustada uuelt lehelt. Samas oli nii eestlaste kui ka baltisakslaste seas neidki, kes hoiatasid suurema ümbernimetamiste laine eest. Tänavanimed olid ju ometigi tükike ajalugu, mida nüüd mõtlematult kustutada püüti. Just sellisel arvamusel olid ka baltisakslased, kes nägid tänavate ümbernimetamises eestlaste soovi oma võimu kuulutada ja jalgealust kindlustada. Nende suhtumine 41 värskesse rahvusriiki polnud seetõttu kaugeltki positiivne. Baltisakslased pidasid ju Eestit oma kodumaaks ning ühtlasi oldi arvamusel, et just nemad tõid siia koos ristiusuga ka kultuuri. Muutumine valitsevast ülemkihist sallitavaks vähemuseks riivas jällegi nende uhkust ja õiglustunnet. Mõlemad süüdistasid vastaspoolt rahvuslikus sallimatuses. Baltisakslaste jaoks oli eestlaste käitumine „rahvuslik tuhin“, millega ühtlasi püüti enda võimu kuulutada. Samas vajasidki eestlased uusi eestipäraseid tänavate (ja ka kohtade) nimesid, et väljendada sellega oma uut rahvuslikku suunda. Ei eestlased ega baltisakslased näidanud aga teineteise vastu üles piisavalt lugupidamist, mis oligi konfliktide põhjuseks. Mõlemad pooled nõudsid taga oma ajaloolisi õigusi ega suutnud seejuures saavutada kompromissi. 42 Erklärung Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst und keine weiteren als die angegebenen Quellen benutzt habe. ..................... ..................... (Ort) (Datum) ......................... (Unterschrift) 43