Pnina Navè Levinson: Was wurde aus Saras Töchtern? – Frauen im
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Pnina Navè Levinson: Was wurde aus Saras Töchtern? – Frauen im
Pnina Navè Levinson: Was wurde aus Saras Töchtern? – Frauen im Judentum“. GTB Siebenstern. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 1989 (3. Aufl. 2002), GTB 495, 192 S., Abb. --- ISBN 978-3579004952 Mit fundierter Sachkenntnis untersucht die bekannte jüdische Theologin Bedeutung, Stellung und Rolle der Frau im Judentum. Sie beschreibt neben dem Ideal der starken würdevollen Frau sowohl tragische Schicksaale als auch Antitypen dieses Frauenbildes und befasst sich kritisch mit dem alten Vorwurf, die Bibel sei frauenfeindlich.“ Die Autorin: Dr. theol. Pnina Navé Levinson, geboren 1921 in Berlin, lebte seit 1935 in Palästina/Israel und starb im August 1999. Sie promovierte in Israel und hatte eine Professur in Heidelberg. Frau Levinson war unter anderem Mitbegründerin der ersten liberalen Synagoge in Israel. Das Buch ist in sieben Kapitel gegliedert. Jedes Kapitel behandelt jüdische Frauen in verschiedenen Kontexten: Zunächst werden jüdische Grundlagen erklärt, danach werden verschiedene Frauen der Bibel behandelt, als nächstes die Frauen der Talmudmeister. Chronologisch weiter geht es mit den Fürstinnen. In den darauffolgenden Kapiteln wird von Frauen und Büchern und von tragischen Frauen geschrieben. Das abschließende Kapitel widmet sich den Kämpferinnen der Moderne. In Ihrem Buch beleuchtet die Autorin die jüdische Frau aus verschiedenen Zeitperspektiven. Sie steigt in die Thematik mit der Beschreibung der jüdischen Frau in den 1990er Jahren ein. Sie beschreibt unter anderem die Entwicklung der Frauen in der Gesellschaft, indem sie erklärt, dass die Selbstbestimmtheit der modernen Jüdin sich gemeinsam mit der der nichtjüdischen Frauen entwickelte: Wenn Frauenverbände entstanden, so gründeten auch Jüdinnen jüdische Frauenverbände. Ebenso durften Jüdinnen erst eine Hochschulausbildung genießen, nach dem Frauen an Universitäten zugelassen wurden. Die Frau hat in einer Familie, welche die jüdische Tradition bewahrt, eine starke Stellung, denn nach dem jüdischen Recht muss der Ehemann die Sorge dafür tragen, dass es seiner Frau wohl ergeht. Auf der anderen Seite bringt die Tradition auch ihre Nachteile für die Frau mit sich, so darf sie z.B. nicht in einem streng orthodoxen Rabbinatsgericht amtieren. Spannend zu erfahren ist, wie sich einige Namen aus dem jüdischen Sprachgebrauch ableiten lassen. Namen sagen viel über die Geschichte aus. Levinson weist daraufhin, dass viele Familiennamen nach den Müttern kommen, zum Beispiel der weitverbreitete Name „Malkin“ kommt von dem Vornamen „Malka“, was zu Hebräisch „Königin“ bedeutet. Die Buchautorin beschäftigt sich im zweiten Kapitel ausführlich und hingabevoll mit den Frauen der Bibel und stellt ihre besonderen Schicksale heraus. Sie beginnt bei Eva, der Urmutter, sie erzählt von den Matriarchinnen, von den weisen Jungfrauen, von den ehrbaren Huren, von Debora und Jaël und von anderen Frauen des Alten Testaments. Als Beispiel seien vier wichtige Matriarchinnen genannt: Die Bibel berichtet nämlich neben den Stammvätern auch von vier Stammmüttern Sara, Rebekka, Rachel und Lea. Wenn Abraham als „Vater des Glaubens“ bezeichnet wird, so ist seine Frau Sara die „Mutter des Glaubens.“ Sara spielte eine besondere Rolle, denn sie war nicht nur visionär begabt, sondern wurde durch die Namensänderung zu Sarai zur „Fürstin für die Ihren“ und damit für die Welt schlechthin. Unter Rabbinnen zählt sie zu den vier schönsten Frauen der Welt. Dass Abraham alles befolgen sollte, was Sara ihm sagte, blieb richtungsweisend für das Eheleben im Judentum. „Sara, die Gefährtin, Mutter, Prophetin, Fürstin und Missionarin für Gott blieb ein Vorbild für viele Frauen der jüdischen Geschichte. Wir alles sind ihre Töchter“(S. 41). Die zweite Matriarchin Rebekka kümmert sich aktiv um die Erziehung ihrer schwierigen Kinder Jakob und Esau. Sie hält stets zu Jakob, dem schwächeren Sohn, der schließlich zum „Gotteskämpfer“ wurde. Die Autorin bemerkt, dass sich die Paradoxien jüdischen Schicksaals im beharrlichen Sinn der Mutter Rebekka nachzeichnen (S. 42). Die Schwestern Rachel und Lea waren zwar, wie auch Rebekka, lange Zeit kinderlos, aber anders als ihre Schwiegermutter machten sie vom Matriarchatsrecht Gebrauch. Sie gaben ihrem Mann die Magd als Nebenfrau, um für Nachkommen zu sorgen. Auf diese Weise hat Jakob gleich mit vier Frauen Kinder gezeugt. Bei den Jakobssöhnen wird später nicht zwischen denen von Lea und Rachel und denen der Mägde unterschieden. Jeder wird zusammen mit dem Namen seiner Mutter erwähnt. Beide Frauen waren Prophetinnen, sie sind der Inbegriff des „Hauses Israels.“ 1 Eine bedeutende Rolle haben in der Geschichte auch die sechs Frauen um Mose gespielt, die von Levinson „fordernde Förderinnen“ genannt werden. Diese Frauen waren es, die Moses‘ Sendung ermöglicht haben: Die Hebammen Schifra und Pua haben sich Pharaos Mordbefehl widersetzt. So konnte Mose überhaupt am Leben bleiben, um im nächsten Schritt von Marjam aus dem Fluss gerettet und aufgezogen und von der eigenen Mutter Jochebet gestillt zu werden. Ohne die Frauen gäbe es keine Geschichte zu berichten, in welcher Mose Israel aus der Knechtschaft befreit. In dem Kapitel „Frauen der Talmudmeister“ wird anhand vieler Details, die dem Talmud zu entnehmen sind, aufgezeigt wie außerordentlich die Männer von ihren Frauen geprägt und beeinflusst wurden. Die Autorin erzählt von den weisen Entscheidungen und von der Gottesnähe der Frauen, die der Talmud erwähnt. Dies ist sehr authentisch, weil der Talmud sehr lebendig biblische Traditionen aufnimmt. Er zeigt zahlreiche kleine Szenen aus dem echten Leben der Juden und gibt den Fragenden damit Ratschläge. Das nächste Kapitel stellt einige Königinnen und Fürstinnen des nachbiblischen Judentums vor. Es sind Frauen, die sich bewusst der Verantwortung für jüdisches Leben, Erziehung und Kultur angenommen haben und ihre Machtposition sinnvoll zu nutzen wussten. Es waren die beliebte Königin Esther, ihre Nachfolgerin, die Hasmonäerkönigin Salome Alexandra (140[?]–67 v. Chr.), die im Gegensatz zu ihren Zeitgenossen statt auf Kriege eher auf Verhandlungen und Kompromisse setzte. Mit dieser Politik gelang es ihr einmal, die Eroberung Israels abzuwenden. Das Wirken der vorderasiatischen Königin Helena von Adiabene (1. Jh. n. Chr.) die berühmt für ihre Armenhilfe und Freundlichkeit war, wird genauso beleuchtet wie das von Kiera = Esther (gest. 1600), jüdische Favoritin der osmanischen Sultanin Baffa, Ehefrau von Murad III. (1546–1595). Kiera war eine geschickte politische Vermittlerin zwischen den im Harem eingesperrten Müttern und Frauen sowie der Außenwelt. Die verwitwete Jüdin war eine Kauffrau und Diplomatin, auch mit ausländischen Kontakten. Außerdem war sie eine Wohltäterin der jüdischen Gemeinschaft, „… eine hochgerühmte Helferin, vor der sich alle großen Herren zu Boden warfen“ (S. 108). Geschäftssinn und Handlungsfestigkeit besaß auch Flora Sassoon (1859–1936), eine Fürstin aus einer Familie königlicher Kaufleute. Nach dem Tod ihres Mannes leitete sie das Familienunternehmen weiter und wurde in der Gesellschaft mit ihrer männlichen Dominanz anerkannt. Später in der Zeit des Nationalsozialismus verhalf sie deutschen Juden zu einer Existenz in England. Ebenso werden andere hochangesehene, heute jedoch nicht mehr bekannte Frauen beschrieben, die darauf warten, in diesem Buch wiederentdeckt zu werden. Die Beziehung zwischen Buch und Jüdin findet in einem eigenen Kapitel Platz. Es gibt viele jüdische Schriftstellerinnen, die an verschiedenen Orten, zu verschiedenen Zeiten Bücher verfassten. Ebenso fleißig wurden Bücher bzw. Schriften von Jüdinnen gelesen. Hier erfährt der Leser zum Beispiel von Paola Anau, einer Kopistin aus dem 13. Jahrhundert, welche eine der Vorgängerinnen der zahlreichen hebräischen Setzerinnen nach der Erfindung des Buchdrucks war. Man erfährt über die Hilfsgesten reicher Gemeindemitglieder, die Bücher an Talmudschulen schenkten, damit das jüdische Studium mit Grundschriften versorgt werden konnte. Im mittelalterlichen hebräischen „Buch der Frommen“ wird über eine fromme Frau berichtet, welche sich gegen ihren gierigen Mann mit ihr zur Verfügung stehenden Mitteln durchsetzte, damit dieser ebenfalls Bücher abschreiben ließ und an die Schule schenkte. Das Buch erzählt neben erfolgreichen und glückstiftenden auch von tragischen Frauen. Eine von ihnen ist die Tochter des Kriegsoberhauptes Jifta (Jiftach/Jeftah): Dieser hatte ein Gelübde abgegeben, das versehentlich das Leben seiner eigenen Tochter traf. Obwohl diese die Gelehrten um Rat und Hilfe gebeten hatte, wurde sie von ihnen im Stich gelassen und von ihrem Vater getötet. Später erst wurde den Außenstehenden das Grauen der Tat bewusst. Jifta wurde bestraft. Davids Tochter Tamar wurde ebenfalls Opfer: Sie wurde von ihrem Halbbruder vergewaltigt und schließlich aus dem Hause vertrieben. Obwohl das Opfer ihren Halbbruder anflehte, sie zu heiraten, um ihr das Leben in Schande zu ersparen, wollte er nichts mehr von ihr wissen. Um sich für seine Schwester zu rächen, tötete ein anderer Bruder Tamars den Vergewaltiger. Die schreckliche Angelegenheit führte zur Verschärfung der Bestimmungen über das allein Unter-sich-Sein von Mann und Frau. Die Märtyrerin Sol haZadika (Sol die Gerechte) wurde im 19. Jahrhundert öffentlich enthauptet, weil sie sich nicht von ihrem Judentum ablassen wollte. Dieses Kapitel erzählt weitere Geschichten jüdischer Frauen, wie die der Königin Bereneike II. (217-221 v. Chr.) oder Hanna Szenesch (1921–1944) – eine jüdische Jeanne d‘Arc. Es kommen noch die Biografien einiger anderer Jüdinnen zur Sprache, die sich ihrem tragischen Schicksaal fügen mussten. Es sind Geschichten, welche der Nachwelt als Zeugnis und Mahnung dienen und nicht in Vergessenheit geraten sollen. Im abschließenden Kapitel warten auf den Leser die Kämpferinnen der Moderne. Frauen wie Olga Belkind (18521943), die eine Kompromisslösung erreichen konnte und somit für mehr Freiraum für Juden in den Dörfern des Baron Rothschild sorgte. Es wird über das herausragende Leben von Henrietta Szold (1860–1945) erzählt, über ihr lebenslanges Engagement und den Einsatz für Bildung. Sie war sehr gebildet, arbeitete lange Zeit als Lehrerin und gab Schriften heraus. Später förderte sie das Gesundheitswesen in Palästina und rettete bis zu ihrem Lebensende Kinder vor den Nationalsozialsten. Wir erfahren etwas von Lily Montagu (1873–1963), der Verfechterin des religiös-liberalen Judentums und der ersten Frau, die 1928 auf einer Berliner Synagogenkanzel predigte. Schlaglichter aus dem Leben der großartigen Golda Me‘ir (1899–1978), die als die Debora des Staates Israel gilt, findet man neben den Erzählungen über Jeanette Wolff (1888–1976) und Bertha Pappenheim (1859– 1936). Es sind allesamt jüdische starke Frauen, die sich für ihre Ideen und Ideale in einer männerbestimmten Welt durchgerungen haben. Es ist wichtig, dass sie als geschichtliche Impulsgeberinnen im Gedächtnis bleiben! Alexandra Rallo im Rahmen eines Seminars an der TU Dortmund, Sommersemester 2011, Rz-Levinson, 12.10.11 2