Interview boesner-Zeitschrift (2012)
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Interview boesner-Zeitschrift (2012)
JULI / AUG. 2012 SCHUTZGEBÜHR EUR 4,80 / CHF 7,80 Sonder thema dOCUMENTA (13) Künstlerpor trait Herber t Maier Augen-Blick Goethe und das Straßburger Münster ISSN 1868-7946 Ausstellung Architekturmodelle im DAM Frankfur t Das Museum 75 Jahre Haus der Kunst München KÜNSTLERPORTRAIT · HERBERT MAIER Malerei als sehendes Denken Herber t Maier erzeugt Dinglichkeit durch Transparenz von Anita Brockmann 4 Betrachtet man die Ölgemälde des Malers Herbert Maier, so nehmen sie nicht nur durch ihre beeindruckende Größe gefangen. Es ist vielmehr der perlmutterne Schimmer, der den Betrachter fesselt. Unwillkürlich zieht dieser Glanz den Blick auf sich und in die Tiefe der Bildfläche, beginnt sich die Fläche in Raum aufzulösen und gerät in Bewegung. Diese Faszination entsteht unter anderem aus dem Widerspruch, „dass in meinen Arbeiten eine Fläche haptisch dingfest gemacht wird, die aus einer ungreifbaren Farbe, die transparent ist, entsteht. Bei der Lasurtechnik bricht sich das Licht nicht an der Bildoberfläche, sondern geht durch die Farbe hindurch und reflektiert am Bildgrund“, erklärt Maier. Das zu erreichen, bedarf es eines langwierigen Arbeitsprozesses, dessen Verlauf der Künstler mit der Tätigkeit eines Gärtners vergleicht, der den Wuchs der Pflanzen auf dem von ihm vorbereiteten Boden unter bestimmten Witterungsbedingungen beobachtet und fördert: Auf direkten Untermalungen Foto: Klaus Zinser KÜNSTLERPORTRAIT · HERBERT MAIER KÜNSTLERPORTRAIT · HERBERT MAIER entstehen rote, gelbe, grüne, blaue, graue und schwarze Farbflächen, indem die Ölfarbe in einem aufwendigen Prozess hauchzart und dünnflüssig immer wieder lasierend in Schichten übereinander aufgetragen wird. Dabei geht nichts verloren. „Die eingeschriebenen und über Monate eingemalten Schichten und Raum-Zeit-Ebenen verbinden sich mitund zueinander und werden füreinander durchlässig (das Auge gleitet unbemerkt von einer Ebene in eine andere)“, schreibt Maier in seinem Skizzenbuch 2012.1 – Lissabon/Paris. Anders als bei der Collage, wo die zueinandergesetzten Elemente sich addieren, spricht er daher bei seinen Werken von einer Multiplikation der Ebenen. Da die Arbeit an einem Bild bis zu 70 Lagen umfassen kann und jede einzelne etwa eine Woche Trockenzeit benötigt, kann es schon einmal länger als ein Jahr dauern, bis ein Werk fertiggestellt ist. Der abschließenden ganzflächigen Lasurschicht fügt der Künstler dann durch Harzsubstanzen etwas Glanz bei, ohne den das Licht nicht ins Bild käme. Die Farbbrillanz und das Farbspektrum, die auf diese Weise in Maiers Bilder einziehen, sind überwältigend. „Ich selbst behandele die Farbe aber immer gleichwertig, neben dem Licht sind es die subtraktive Farbmischung und das Übereinanderschichten der Lasuren, die die Farbe beeinflussen“, erläutert er deren ungewohnte und reizvolle Wirkung, durch die etwa Gelbocker wie Gold anmuten kann. In der vormodernen Malerei wurde diese Farbe für Kelche und prachtvolle Brokatgewänder verwendet, bei Maier entziehen sich die Glanzfarben der traditionellen Verwendung, die jeder Betrachter in sich gespeichert hat. Sie sind befreit von bekannten Oberflächen und präsentieren lediglich sich selbst. Neue Bildweisen durch traditionelle Technik Das sind die maltechnischen Voraussetzungen für Experimente und Erfahrungen mit der Wahrnehmung. Sie fußen auf den [2] [2] Speicher/Naturzeit – Gebautezeit, 2006/2007, Öl auf Leinwand, 240 x 200 cm in der Ausstellung im Morat-Institut für Kunst und Kunstwissenschaft, Freiburg, 2009/2010, Foto: Rüdiger Buhl KÜNSTLERPORTRAIT · HERBERT MAIER [3] „Farbfeldmalereien“ in den Gemälden florentinischer und niederländischer Maler, insbesondere in den Werken Jan van Eycks, dessen Technik Maier weiterentwickelt und perfektioniert. Im Zuge einer Schaffenskrise Ende der 1990er-Jahre keimte in ihm das Bedürfnis nach mehr Komplexität und Transparenz in den Bildern. Gleichzeitig suchte er nach Möglichkeiten, die Fläche als Ausgangspunkt der Malerei in ihrer elementaren Wesenheit darzustellen und das Erbe der Malerei in seine Bilder zu integrieren, ohne direkt darauf Bezug zu nehmen. Das führte ihn zu der altmeisterlichen Lasurtechnik. Er begann im Hinblick auf die Fragestellungen „Ist diese Technik auf heutige Bildsprachen anwendbar?“ und „Kann ich mit ihr neue Bildweisen schaffen?“ (Skizzenbuch 2008.4 – Reflexionen) mit ihr zu experimentieren. „Schließlich habe ich die ursprüngliche Absicht dieser Technik in ihr Gegenteil verkehrt“, stellt Maier fest. „Wo die Lasur früher für mehr Volumen und Plastizität sorgen sollte, erreiche ich mittels Schichtenverschachtelung mehr Fläche durch Tiefe und Bewegung.“ Sehzeit In den Lasurschichten bleiben die einzelnen Pinselstriche nachvollziehbar. Sie sind als eigenständiges Element raumkonstituierend am strukturellen Aufbau der Bilder beteiligt: Als Linien, die horizontal oder vertikal über die Leinwandfläche gestrichen werden oder sich in Wellenbewegungen kreuzen, erzeugen sie verschiedene Ebenen, die trotz des Fehlens einer perspektivischen Konstruktion auf der Bildfläche Räume entstehen lassen. Diese Räume sind mit dem Blick des Betrachters begehbar und werden lediglich durch einen zumeist hell abgesetzten Streifen an den Bildrändern umfasst. Maier nennt diese Streifen „die harte Grenze“. Es ist die Schnittstelle, die dem Betrachter einerseits den Raum eröffnet, ihn jedoch andererseits auch wieder auf die Flächigkeit des Malgrundes zurückführt. So ergibt sich eine eigenwillige Dynamik: Obwohl vom Maler fertiggestellt, scheinen sich die Bilder weiter im Prozess des Entstehens zu befinden: Sie tre- [3] Speicher/New York – Bamako II, 2005–2007, Öl auf Leinwand, 200 x 650 cm, fünfteilig, Foto: Bernhard Strauss 7 KÜNSTLERPORTRAIT · HERBERT MAIER 8 [4] [5] ten nach vorne, verschränken sich für einen kurzen Augenblick, gehen dann wieder in die Tiefe, um sich erneut nach vorne zu drängen. „Diese Räume, die sich vor dem Betrachter auf der Fläche der Bilder ohne die illusionäre Konstruktion der Perspektive aufbauen, sind keine statischen Räume, schon gar nicht Räume von einer festen hierarchischen Ordnung: Wo hinten war, ist vorne, wo das Zentrum sich zu bilden schien, breitet sich die Leere aus“, beschreibt Noemi Smolik den Prozess der Betrachtung. „Die Zeit ist gegenwärtig. Die Bilder sind nicht einfach da, sie geschehen und um dieses Geschehen verfolgen zu können, braucht das betrachtende Auge Zeit, viel Zeit.“ Herbert Maier nennt das ‚Sehzeit'. Sie steht in Relation zur Entstehungsdauer der Bilder. der heutigen Physik Raum nicht denkbar. Bei Herbert Maier öffnet sich durch die Zeitlichkeit des Sehens die Zeit zum Raum. Was das konkret bedeutet, lässt sich an den neueren Werken aus der Serie der „Scheibenräume“ nachvollziehen, die derzeit in seinem Freiburger Atelier entstehen. Schon der widersprüchliche Titel deutet die bildimmanente Dualität an: Was oberflächlich wie das Bild einer Scheibe erscheint, öffnet sich zum Raum. Maier notiert in seinem Skizzenbuch 2012.1 – Lissabon/Paris: „Scheibenraum Raumkörper Raumzeitkörper: „Die Inwendigkeit der Körper als Raum- und Körpererfahrung aus der (Seh)zeit heraus.“ Was geschieht beim Betrachten eines solchen Bildes? Je länger sich der Betrachter in es versenkt und je nachdem, wie er seinen Blick steuert, ob er ihn fixiert oder weitet, erhält die Scheibe Volumen und Struktur. Das Auge bildet daraus einen Raum, der sich entweder zur bildinneren Ferne hin öffnet oder in den Betrachterraum erstreckt. Weil es keinen Fluchtpunkt gibt, läuft der Betrachter regelrecht in das Bild hinein und kommt zu keinem Ende – erst wenn der Blick an die harte Grenze der Scheibe stößt, zerfällt der Raum und das Auge wird wie- Scheibenraum Raumkörper Raumzeitkörper In der Sehzeit spiegelt sich auch das Interesse des Malers an den Naturwissenschaften, speziell der Physik. Ohne Zeit ist in [4] Speicher/Scheibenraum 6 und [5] Speicher/Scheibenraum 7, jeweils 2011-2012, Öl auf Leinwand, 130 x 140 cm, Fotos: Bernhard Strauss KÜNSTLERPORTRAIT · HERBERT MAIER [6] der der Fläche gewahr. Doch sogleich öffnet sich wieder der Raum ... In dieser Kontinuität und Wechselhaftigkeit wird Sehen zu einem konstitutiv erfahrenen Akt. Polarität Dass Herbert Maier dies gelingt, ist neben dem lasierten Farbauftrag auch auf die Spannungsbögen zurückzuführen, die er in seine Bilder bringt. Dabei gilt es ihm, „möglichst viele Widersprüche ins Bild zu setzen, sie einerseits nicht in einem neutralen, lavierenden Einerlei ihrer Kraft zu berauben“, andererseits aber auch nicht im bloßen Nebeneinandersetzen von Dualismen die bildnerische Lösung zu sehen. Paare wie Raum – Fläche, Form – Farbe, Geometrisches – Vegetabilität, Figur – Grund, Wärme – Kälte, Oberfläche – Tiefe, Entrückung – Annäherung, Statik – Dynamik, Flüssiges – Festes, Licht – Schatten, Transparenz – Verhüllung,Vorher – Nachher, Fülle – Reduktion versteht er als komplementäre Pole ein und derselben Sache. Speicher Die Polarität seiner Arbeiten spiegelt sich auch in den Benennungen, die Maier für seine Serien wählt. Schon als er noch pastos malte, hatte er den Begriff „Speicher“ gefunden, um seine Vorstellung von der Malerei adäquat in einem Bildtitel zu fassen. Dabei ist der Prozess des Speicherns niemals als abgeschlossen zu verstehen. Er unterliegt keinerlei Grenzen und ist wie Herbert Maiers Malerei ein nie endender Prozess, der sich immer weiter fortsetzt. Er impliziert den Gedanken eines Speichers von Zeit, eines Speichers von Erinnerungen, eines Speichers von Erfahrungen, eines Speichers von Energie. – Im Ansammeln und Verdichten von Ereignissen, Abläufen oder Lebenserfahrung sind die Speicher somit malerische Verdinglichung von Zeiten und Räumen und enthalten als solche auch die Informationen, mit denen der Maler vorgibt, welche Bilder er im Betrachter auslöst. Kaum ein Bild vereint die Vielschichtigkeit der maierschen Bildtheorie so augenfällig wie das dreiteilige Monumentalge- [6] Speicher/Grosses Mexiko, 2008/2009, Öl auf Leinwand, 240 x 990 cm, dreiteilig, Foto: Bernhard Strauss 9 KÜNSTLERPORTRAIT · HERBERT MAIER [7] 10 mälde „Speicher – Grosses Mexiko“. Angefangen bei den im Lasurauftrag entstandenen Pinselspuren und der Leuchtkraft der Farbpigmente über die Assoziation an südamerikanische Pyramiden, die sich aus der Anordnung der Farbriegel ergibt, ohne dass ein Architekturbild beabsichtigt wäre, bis hin zum unvermittelten Vor- und Zurückspringen der Farbbalken, die die Wahrnehmung von Fläche und Raum fortwährend hinterfragen, offeriert es dem Betrachter zahlreiche Möglichkeiten, das Bild zu erfahren. Obwohl in ihrer ästhetischen Anmutung, in Pinselduktus und Farbgebung gänzlich anders ausgerichtet, speisen sich auch die zeitgleich in Freiburg entstandenen Speicher-Bilder des Zyklus „Naturzeit – Gebautezeit“ aus einer variantenreichen Verarbeitung gesammelter Formerscheinungen, schreibt Rüdiger Heinze im Ausstellungskatalog 2009. Ohne die gerinste Absicht zur mimetischen Darstellung zu offenbaren, verleiten sie zu der Vermutung, es könne sich dabei um Chromosomen-Darstellung oder die Hell-Dunkel-Strukturen von Birkenrinde handeln. LeereKörper Beinahe genauso lange, also schon, bevor er mit der Lasurtechnik zu experimentieren begann, arbeitet Maier mit dem Begriff der „LeereKörper“. Während einer Reise nach Neapel wurde ihm beim Anblick einer Grottenöffnung bewusst, dass auch die Leere, die Aussparung, das Nichts über Dichte, Materie, Dinglichkeit verfügen kann. Diesen Gedanken greift er in seinen Holzschnitten auf. Mit einem begrenzten Vokabular von meist schwarzen gehaltenen blockhaft umgesetzten Gestalttypen auf weißem Papiergrund wachsen die Farbflächen in sich verräumlichende, verdringlichende (Seh)Zeit aus, nehmen physische Präsenz an, wölben sich aus der Fläche oder graben sich in den Malgrund. Die übergroßen Aquarelle heben als LeereKörper sogar den vermeintlichen Widerspruch von Transparenz, Durchlässigkeit und opaker, dinghafter Dichte auf, denn der Lasurenblock kann beides gleichzeitig sein: Nichts und Körper/Raum, leer und dicht wie Schwarze Löcher im Universum, schreibt [7] Aus der Serie „Speicher/Naturzeit – Gebautezeit“, 2006/2007, Öl auf Leinwand, die beiden Bilder links je 240 x 200 cm, die drei Bilder rechts je 240 x 330 cm, Ausstellung im Morat-Institut für Kunst und Kunstwissenschaft, Freiburg, 2009/2010, Foto-Panorama: Rüdiger Buhl KÜNSTLERPORTRAIT · HERBERT MAIER Herbert Maier im Skizzenbuch 2008.5 – Kreta. Durch die Schichtung, die sukzessive sich verdichtende Flüssigkeit, vertiefen sich die Blätter nach innen, und „der Betrachter schaut förmlich in die Bilder hinein, als wären sie räumlich“, umschreibt Volker Bauermeister die Wirkung. „Selbst wenn sie sich oberflächlich zu verschließen scheinen, ist Öffnung ihre Potenz.“ Die Lasurmalerei in Öl ist letztlich eine Synthese aus der Transparenz der Aquarellmalerei, Leere und Körper kommen aus dem Holzschnitt. Parallelität Die Parallelität der Widersprüchlichkeiten, die sich in den einzelnen Arbeiten ausmachen lässt, ist auch ein Aspekt, der sich durch das Gesamtwerk von Herbert Maier zieht. Immer arbeitet er gleichzeitig an mehreren Arbeiten, an unterschiedlichen Serien, oft in verschiedenen Gattungen. Zu seinem Repertoire gehören neben Öl- und Aquarellmalerei sowie Holzschnitt unter anderem auch Fotografie, Radierung und Skizzenbuch: Sie alle stehen für ihn gleichberechtigt nebeneinander. Dabei denkt er immer von den Bedingungen des Materials aus, die Bilder müssen sich aus ihrer Stofflichkeit erklären.Wäre die Arbeit in einer Gattung ersetzbar durch die in einer anderen, würde er sie nicht weiterverfolgen. Indem er die spezifischen Unterschiede der jeweiligen Techniken herausarbeitet, kommt auch hier wieder das Speicherprinzip zum Tragen: Die Gattungen fungieren wie Brennstrahlen, die auf einen Brennpunkt hin ausgerichtet sind. Was auf den ersten Blick wie Zerstreuung wirkt, baut lange aufeinander auf und fügt sich am Ende zusammen. So finden sich in Maiers Fotografien häufig Motive, die auf die Malerei zu verweisen scheinen, tatsächlich aber erst danach entstanden sind. „Was die Fotografien betrifft, und darin liegt ihre Wichtigkeit auf meine malerische Arbeit bezogen, so finde ich Motive auf Reisen oder im Alltag, die meine Malerei, die von ihren reinen Mitteln ausgeht (Fläche/Farbe) 11 KÜNSTLERPORTRAIT · HERBERT MAIER [8] [9] 12 und sich in Richtung der (sichtbaren) Wirklichkeit bewegt (...), die meine Malerei geradezu als empirische Wirklichkeit zu bestätigen scheinen, ohne dass ich auf ein Abbildhaftes zurückgegriffen hätte“, erklärt er die Bedeutung dieser Gattung. Seine Skizzenbücher begleiten Herbert Maier seit Jahren. Sie haben ihren Ursprung im Text. In ihnen reflektiert er unter anderem seine Ideen und überprüft, ob und inwiefern sie mit den Bildern, an denen er arbeitet, übereinstimmen. Diese Reflexionen stellt er häufig erst an, nachdem er eine Fragestellung oder eine Serie abgeschlossen hat. So kommt es, dass Text und Bild zwar auf einer Skizzenbuchdoppelseite nebeneinanderstehen, aber nicht zwingend in einem engen Zusammenhang zueinander. Auch in den Radierungen, die ganz ohne Farbe auskommen und ein weiteres eigenständiges Feld seiner Arbeit darstellen, rekapituliert und reflektiert der Künstler die Malerei eines vorangegangenen Zyklus. [8] Aus dem „Skizzenbuch 2008.4 – Freiburg“, Foto: Bernhard Strauss [9] Aus der „Visuellen Bibliothek“, seit 2010, Aquarell, je 30 x 20 cm, Foto: Herbert Maier [10] Detail aus der „Visuellen Bibliothek“, seit 2010, Aquarell, je 30 x 20 cm, Foto: Herbert Maier BIOGRAPHIE 1959 Geboren in Haslach / Schwarzwald 1983 Rotary-Stipendium Paris 1992 Regio-Preis für Bildende Kunst 1994 Preis der Kritik, Internationale Graphik Triennale Prag, Tschechien seit 1994 Lehrauftrag für Radierung an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg 1997 Stipendium der Kunststiftung Baden-Wür ttemberg 1999 Stipendium Cité Internationale des Ar ts in Paris (2000/2001) 2002 Workshop an der Pontificia Universidad del Peru, Facultad de Ar te, Lima, Peru 2002/03 Dozent für Kunstgeschichte an der Hochschule Holzen Neben den 20-30 Ölbildern, an denen er im Atelier parallel malt und „die sich gegenseitig korrigieren“, wächst seit 2010 auch eine auf 500 Aquarelle angelegte Kulturgeschichte der Welt, die der Künstler „Visuelle Bibliothek“ nennt. Immer auf weißem Papier stehend, werden „Forminkunabeln der Menschheit“ zigmal mit Farblasur überschichtet. Die bekannten Gesichter von Lebenden und Toten oder wegweisende Erfindungen der Menschen aus aller Welt werden dadurch flächig und leuchten von innen – es entsteht Ferne über Präsenz, Gleichzeitigkeit im Ungleichzeitigen, die der Betrachter darüber hinaus durch eine unchronologische Hängung in mehreren Reihen erlebt. 2005 Ar tist in Residence der Edward F. Albee Foundation, Montauk, New York, USA In seinem Bestreben, „eine Parallelwelt, eine Art Gegenwelt zu dieser äußeren, empirischen, in sinnenhafter Wahrnehmung und Empfindung sich mitteilenden Welt zu schaffen“, entwickelt Herbert Maier in dieser noch unvollendeten Serie eine weitere Facette seiner Raum-Zeit-Überlegungen: Mit der ganzflächigen Lasur als Stilmittel der Volumenbildung erhalten die aquarellierten Figuren und Köpfe wieder eine Flächenhaftigkeit, durch die sie wie Scherenschnitte auf weißem Papier ohne Hintergrund stehen und wie Stempel wirken. AUSSTELLUNGEN 2012 [10] Visuelle Bibliothek 2004 + 2005 + 2008 Ar tist in Residence of the Josef and Anni Albers Foundation, Bethany, Connecticut, USA 2011 Arbeitsstipendium im Künstlerhaus Lukas Ahrenshoop, geförder t durch das Land Mecklenburg-Vorpommern lebt und arbeitet in Freiburg im Breisgau Juli 2012 Based on AD (Albrecht Dürer) Galerie Bode Nürnberg September/Oktober 2012 Kimreeaa Galley, Seoul/Korea K O N TA K T www.herber tmaier.org 13 IM GESPRÄCH Marcel fragt Herbert Valentin Louis Georges Eugène Marcel Proust (1871-1922), französischer Schriftsteller, Kritiker und Intellektueller. Herbert Maier (*1959) Maler und Radierer in Freiburg i. Br „Offen und in Fragestellung bleiben“ 78 Streng genommen fragt hier gar nicht Marcel Proust selbst – vielmehr hat der berühmte Schriftsteller, dessen Werk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ als einer der größten Romane der Weltliteratur gilt, dem berühmt gewordenen Fragebogen seinen Namen gegeben. Proust hat einen solchen Fragebogen wohl mindestens zweimal selbst beantwortet – um die Wende zum 20. Jahrhundert galt das Ausfüllen als beliebtes Gesellschaftsspiel in gehobenen Kreisen. Der erste Bogen, ausgefüllt vom heranwachsenden Proust während eines Festes, wurde posthum 1924 veröffentlicht. Den zweiten Fragebogen betitelte Proust mit „Marcel Proust par luimême“ („Marcel Proust über sich selbst“). Die ursprünglich 33 Fragen wurden für Kunst & material auf 29 reduziert – und bieten spannende und nachdenkliche Einblicke in die Gedanken- und Gefühlswelt unserer Befragten. Wo möchten Sie leben? Da wo ich lebe. Wenn es mir zu eng wird, reise ich. Was ist für sie das vollkommene irdische Glück? Kein Kuhhandel mit dem Glück, es sind stille wunderbare Momente, in denen alles stimmig ist. Welche Fehler entschuldigen Sie am ehesten? Jeden der geklärt werden kann. Was ist für Sie das größte Unglück? Ein Leben in Unfreiheit und Fremdbestimmung. Ihre liebsten Romanhelden? Die wechseln, meist menschliche Antihelden. Ihre Lieblingsgestalt in der Geschichte? Es gibt einfach viele. Zu den Lieblingsfragen hier kann ich sagen, dass mich mit Entschiedenheit Unterschiedlichstes interessiert, auf einen Liebling ist das nicht zu reduzieren. Trotzdem: Heraklit, Gandhi. Ihr Lieblingsmaler? Giorgio Morandi, Edouard Manet u.a. Ihr Lieblingsautor? Jean-Philippe Toussaint, John Berger u.a. Ihr Lieblingskomponist? Anton Bruckner und Miles Davis gehören dazu. Welche Eigenschaften schätzen Sie bei einem Menschen am meisten? Inspiriertes Einfühlungsver mögen, Großzügigkeit. Ihre Lieblingstugend? Zuviel Tugenden auf der Welt und also zuviel Heuchelei. Ihre Lieblingsbeschäftigung? Malen, lesen und in Cafes rumsitzen, reisen. Wer oder was hätten Sie gern sein mögen? Was ich bin. Ihr Hauptcharakterzug? Ich bin vielseitig interessiert. Was schätzen Sie bei Ihren Freun- den am meisten? Dass sie meine Freunde sind und sein wollen. Ihr größter Fehler? Ich werde mich hüten; also gut: Misstrauen zuweilen. Ihr Traum vom Glück? Wie schon gesagt, kein Kuhhandel mit dem Glück! Es stellt sich spontan ein wie Regen. Der kann lange ausbleiben und kommt doch sicher immer wieder. Ihre Lieblingsfarbe? Jeder Farbe ihren Wirkraum. Ihre Lieblingsblume? Ein blühender Garten,Vielfalt mit blutroten Mohnblumen. Ihr Lieblingsvogel? Jedes Gezwitscher. Ihre Helden der Wirklichkeit? Den Heldenbegriff mag ich nicht. Wie Menschen eine Familie durchbringen ist schon beachtenswert. Ihre Lieblingsnamen? Jeder Name, den ich ganz subjektiv zu einem Gesicht oder einer Gestalt passend finde. Was verabscheuen Sie am meisten? Ungerechtigkeit. Welche geschichtlichen Gestalten verabscheuen Sie am meisten? Jeden Diktator. Welche Reform bewundern Sie am meisten? Zuerst eine Doktrin, dann eine Reform, also wieder eine Doktrin. Welche natürliche Gabe möchten Sie besitzen? Es geht um die Verfeinerung derer, die ich habe. Wie möchten Sie gern sterben? Malen können bis zum letzten Tag und dann im letzten Hauch mit dem Gelebten einig sein. Ihre gegenwärtige Geistesverfassung? Spannend, was gerade passiert. Ihr Motto? Offen und in Fragestellung bleiben.