Interview boesner-Zeitschrift (2012)

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Interview boesner-Zeitschrift (2012)
JULI / AUG. 2012
SCHUTZGEBÜHR
EUR 4,80 / CHF 7,80
Sonder thema
dOCUMENTA (13)
Künstlerpor trait
Herber t Maier
Augen-Blick
Goethe und das
Straßburger Münster
ISSN 1868-7946
Ausstellung
Architekturmodelle
im DAM Frankfur t
Das Museum
75 Jahre Haus
der Kunst München
KÜNSTLERPORTRAIT · HERBERT MAIER
Malerei als sehendes Denken
Herber t Maier erzeugt
Dinglichkeit durch Transparenz
von Anita Brockmann
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Betrachtet man die Ölgemälde des Malers Herbert Maier, so
nehmen sie nicht nur durch ihre beeindruckende Größe gefangen. Es ist vielmehr der perlmutterne Schimmer, der den
Betrachter fesselt. Unwillkürlich zieht dieser Glanz den Blick
auf sich und in die Tiefe der Bildfläche, beginnt sich die Fläche
in Raum aufzulösen und gerät in Bewegung.
Diese Faszination entsteht unter anderem aus dem Widerspruch, „dass in meinen Arbeiten eine Fläche haptisch dingfest gemacht wird, die aus einer ungreifbaren Farbe, die transparent ist, entsteht. Bei der Lasurtechnik bricht sich das Licht
nicht an der Bildoberfläche, sondern geht durch die Farbe
hindurch und reflektiert am Bildgrund“, erklärt Maier.
Das zu erreichen, bedarf es eines langwierigen Arbeitsprozesses, dessen Verlauf der Künstler mit der Tätigkeit eines Gärtners vergleicht, der den Wuchs der Pflanzen auf dem von ihm
vorbereiteten Boden unter bestimmten Witterungsbedingungen beobachtet und fördert: Auf direkten Untermalungen
Foto: Klaus Zinser
KÜNSTLERPORTRAIT · HERBERT MAIER
KÜNSTLERPORTRAIT · HERBERT MAIER
entstehen rote, gelbe, grüne, blaue, graue und schwarze Farbflächen, indem die Ölfarbe in einem aufwendigen Prozess
hauchzart und dünnflüssig immer wieder lasierend in
Schichten übereinander aufgetragen wird. Dabei geht nichts
verloren. „Die eingeschriebenen und über Monate eingemalten Schichten und Raum-Zeit-Ebenen verbinden sich mitund zueinander und werden füreinander durchlässig (das Auge
gleitet unbemerkt von einer Ebene in eine andere)“, schreibt
Maier in seinem Skizzenbuch 2012.1 – Lissabon/Paris. Anders
als bei der Collage, wo die zueinandergesetzten Elemente sich
addieren, spricht er daher bei seinen Werken von einer Multiplikation der Ebenen.
Da die Arbeit an einem Bild bis zu 70 Lagen umfassen kann
und jede einzelne etwa eine Woche Trockenzeit benötigt, kann
es schon einmal länger als ein Jahr dauern, bis ein Werk fertiggestellt ist. Der abschließenden ganzflächigen Lasurschicht
fügt der Künstler dann durch Harzsubstanzen etwas Glanz
bei, ohne den das Licht nicht ins Bild käme. Die Farbbrillanz
und das Farbspektrum, die auf diese Weise in Maiers Bilder
einziehen, sind überwältigend. „Ich selbst behandele die Farbe aber immer gleichwertig, neben dem Licht sind es die subtraktive Farbmischung und das Übereinanderschichten der
Lasuren, die die Farbe beeinflussen“, erläutert er deren ungewohnte und reizvolle Wirkung, durch die etwa Gelbocker wie
Gold anmuten kann. In der vormodernen Malerei wurde
diese Farbe für Kelche und prachtvolle Brokatgewänder verwendet, bei Maier entziehen sich die Glanzfarben der traditionellen Verwendung, die jeder Betrachter in sich gespeichert
hat. Sie sind befreit von bekannten Oberflächen und präsentieren lediglich sich selbst.
Neue Bildweisen durch
traditionelle Technik
Das sind die maltechnischen Voraussetzungen für Experimente
und Erfahrungen mit der Wahrnehmung. Sie fußen auf den
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[2] Speicher/Naturzeit – Gebautezeit, 2006/2007, Öl auf Leinwand, 240 x 200 cm in der Ausstellung
im Morat-Institut für Kunst und Kunstwissenschaft, Freiburg, 2009/2010, Foto: Rüdiger Buhl
KÜNSTLERPORTRAIT · HERBERT MAIER
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„Farbfeldmalereien“ in den Gemälden florentinischer und niederländischer Maler, insbesondere in den Werken Jan van Eycks,
dessen Technik Maier weiterentwickelt und perfektioniert.
Im Zuge einer Schaffenskrise Ende der 1990er-Jahre keimte
in ihm das Bedürfnis nach mehr Komplexität und Transparenz
in den Bildern. Gleichzeitig suchte er nach Möglichkeiten,
die Fläche als Ausgangspunkt der Malerei in ihrer elementaren Wesenheit darzustellen und das Erbe der Malerei in seine
Bilder zu integrieren, ohne direkt darauf Bezug zu nehmen.
Das führte ihn zu der altmeisterlichen Lasurtechnik. Er begann im Hinblick auf die Fragestellungen „Ist diese Technik
auf heutige Bildsprachen anwendbar?“ und „Kann ich mit ihr
neue Bildweisen schaffen?“ (Skizzenbuch 2008.4 – Reflexionen) mit ihr zu experimentieren. „Schließlich habe ich die
ursprüngliche Absicht dieser Technik in ihr Gegenteil verkehrt“, stellt Maier fest. „Wo die Lasur früher für mehr Volumen und Plastizität sorgen sollte, erreiche ich mittels Schichtenverschachtelung mehr Fläche durch Tiefe und Bewegung.“
Sehzeit
In den Lasurschichten bleiben die einzelnen Pinselstriche
nachvollziehbar. Sie sind als eigenständiges Element raumkonstituierend am strukturellen Aufbau der Bilder beteiligt:
Als Linien, die horizontal oder vertikal über die Leinwandfläche gestrichen werden oder sich in Wellenbewegungen kreuzen, erzeugen sie verschiedene Ebenen, die trotz des Fehlens
einer perspektivischen Konstruktion auf der Bildfläche Räume entstehen lassen. Diese Räume sind mit dem Blick des
Betrachters begehbar und werden lediglich durch einen zumeist hell abgesetzten Streifen an den Bildrändern umfasst.
Maier nennt diese Streifen „die harte Grenze“. Es ist die
Schnittstelle, die dem Betrachter einerseits den Raum eröffnet, ihn jedoch andererseits auch wieder auf die Flächigkeit
des Malgrundes zurückführt. So ergibt sich eine eigenwillige
Dynamik: Obwohl vom Maler fertiggestellt, scheinen sich die
Bilder weiter im Prozess des Entstehens zu befinden: Sie tre-
[3] Speicher/New York – Bamako II, 2005–2007, Öl auf Leinwand, 200 x 650 cm, fünfteilig, Foto: Bernhard Strauss
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KÜNSTLERPORTRAIT · HERBERT MAIER
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ten nach vorne, verschränken sich für einen kurzen Augenblick, gehen dann wieder in die Tiefe, um sich erneut nach
vorne zu drängen. „Diese Räume, die sich vor dem Betrachter
auf der Fläche der Bilder ohne die illusionäre Konstruktion
der Perspektive aufbauen, sind keine statischen Räume, schon
gar nicht Räume von einer festen hierarchischen Ordnung:
Wo hinten war, ist vorne, wo das Zentrum sich zu bilden
schien, breitet sich die Leere aus“, beschreibt Noemi Smolik
den Prozess der Betrachtung. „Die Zeit ist gegenwärtig. Die
Bilder sind nicht einfach da, sie geschehen und um dieses Geschehen verfolgen zu können, braucht das betrachtende Auge
Zeit, viel Zeit.“ Herbert Maier nennt das ‚Sehzeit'. Sie steht
in Relation zur Entstehungsdauer der Bilder.
der heutigen Physik Raum nicht denkbar. Bei Herbert Maier
öffnet sich durch die Zeitlichkeit des Sehens die Zeit zum
Raum. Was das konkret bedeutet, lässt sich an den neueren
Werken aus der Serie der „Scheibenräume“ nachvollziehen,
die derzeit in seinem Freiburger Atelier entstehen. Schon der
widersprüchliche Titel deutet die bildimmanente Dualität an:
Was oberflächlich wie das Bild einer Scheibe erscheint, öffnet
sich zum Raum. Maier notiert in seinem Skizzenbuch 2012.1
– Lissabon/Paris: „Scheibenraum Raumkörper Raumzeitkörper: „Die Inwendigkeit der Körper als Raum- und
Körpererfahrung aus der (Seh)zeit heraus.“ Was geschieht beim
Betrachten eines solchen Bildes? Je länger sich der Betrachter
in es versenkt und je nachdem, wie er seinen Blick steuert,
ob er ihn fixiert oder weitet, erhält die Scheibe Volumen
und Struktur. Das Auge bildet daraus einen Raum, der sich
entweder zur bildinneren Ferne hin öffnet oder in den
Betrachterraum erstreckt. Weil es keinen Fluchtpunkt gibt,
läuft der Betrachter regelrecht in das Bild hinein und kommt
zu keinem Ende – erst wenn der Blick an die harte Grenze
der Scheibe stößt, zerfällt der Raum und das Auge wird wie-
Scheibenraum Raumkörper Raumzeitkörper
In der Sehzeit spiegelt sich auch das Interesse des Malers an
den Naturwissenschaften, speziell der Physik. Ohne Zeit ist in
[4] Speicher/Scheibenraum 6 und [5] Speicher/Scheibenraum 7, jeweils 2011-2012, Öl auf Leinwand, 130 x 140 cm, Fotos: Bernhard Strauss
KÜNSTLERPORTRAIT · HERBERT MAIER
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der der Fläche gewahr. Doch sogleich öffnet sich wieder der
Raum ... In dieser Kontinuität und Wechselhaftigkeit wird
Sehen zu einem konstitutiv erfahrenen Akt.
Polarität
Dass Herbert Maier dies gelingt, ist neben dem lasierten Farbauftrag auch auf die Spannungsbögen zurückzuführen, die er
in seine Bilder bringt. Dabei gilt es ihm, „möglichst viele
Widersprüche ins Bild zu setzen, sie einerseits nicht in einem
neutralen, lavierenden Einerlei ihrer Kraft zu berauben“,
andererseits aber auch nicht im bloßen Nebeneinandersetzen von Dualismen die bildnerische Lösung zu sehen.
Paare wie Raum – Fläche, Form – Farbe, Geometrisches –
Vegetabilität, Figur – Grund, Wärme – Kälte, Oberfläche –
Tiefe, Entrückung – Annäherung, Statik – Dynamik, Flüssiges
– Festes, Licht – Schatten, Transparenz – Verhüllung,Vorher –
Nachher, Fülle – Reduktion versteht er als komplementäre
Pole ein und derselben Sache.
Speicher
Die Polarität seiner Arbeiten spiegelt sich auch in den Benennungen, die Maier für seine Serien wählt. Schon als er noch
pastos malte, hatte er den Begriff „Speicher“ gefunden, um
seine Vorstellung von der Malerei adäquat in einem Bildtitel
zu fassen. Dabei ist der Prozess des Speicherns niemals als
abgeschlossen zu verstehen. Er unterliegt keinerlei Grenzen
und ist wie Herbert Maiers Malerei ein nie endender Prozess,
der sich immer weiter fortsetzt. Er impliziert den Gedanken
eines Speichers von Zeit, eines Speichers von Erinnerungen,
eines Speichers von Erfahrungen, eines Speichers von Energie. – Im Ansammeln und Verdichten von Ereignissen, Abläufen oder Lebenserfahrung sind die Speicher somit malerische Verdinglichung von Zeiten und Räumen und enthalten
als solche auch die Informationen, mit denen der Maler vorgibt, welche Bilder er im Betrachter auslöst.
Kaum ein Bild vereint die Vielschichtigkeit der maierschen
Bildtheorie so augenfällig wie das dreiteilige Monumentalge-
[6] Speicher/Grosses Mexiko, 2008/2009, Öl auf Leinwand, 240 x 990 cm, dreiteilig, Foto: Bernhard Strauss
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KÜNSTLERPORTRAIT · HERBERT MAIER
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mälde „Speicher – Grosses Mexiko“. Angefangen bei den im
Lasurauftrag entstandenen Pinselspuren und der Leuchtkraft
der Farbpigmente über die Assoziation an südamerikanische
Pyramiden, die sich aus der Anordnung der Farbriegel ergibt,
ohne dass ein Architekturbild beabsichtigt wäre, bis hin zum
unvermittelten Vor- und Zurückspringen der Farbbalken, die
die Wahrnehmung von Fläche und Raum fortwährend hinterfragen, offeriert es dem Betrachter zahlreiche Möglichkeiten, das Bild zu erfahren.
Obwohl in ihrer ästhetischen Anmutung, in Pinselduktus und
Farbgebung gänzlich anders ausgerichtet, speisen sich auch
die zeitgleich in Freiburg entstandenen Speicher-Bilder des
Zyklus „Naturzeit – Gebautezeit“ aus einer variantenreichen
Verarbeitung gesammelter Formerscheinungen, schreibt Rüdiger Heinze im Ausstellungskatalog 2009. Ohne die gerinste Absicht zur mimetischen Darstellung zu offenbaren, verleiten sie zu der Vermutung, es könne sich dabei um Chromosomen-Darstellung oder die Hell-Dunkel-Strukturen von
Birkenrinde handeln.
LeereKörper
Beinahe genauso lange, also schon, bevor er mit der Lasurtechnik zu experimentieren begann, arbeitet Maier mit dem
Begriff der „LeereKörper“. Während einer Reise nach Neapel wurde ihm beim Anblick einer Grottenöffnung bewusst,
dass auch die Leere, die Aussparung, das Nichts über Dichte,
Materie, Dinglichkeit verfügen kann. Diesen Gedanken greift
er in seinen Holzschnitten auf. Mit einem begrenzten Vokabular von meist schwarzen gehaltenen blockhaft umgesetzten
Gestalttypen auf weißem Papiergrund wachsen die Farbflächen in sich verräumlichende, verdringlichende (Seh)Zeit
aus, nehmen physische Präsenz an, wölben sich aus der Fläche
oder graben sich in den Malgrund.
Die übergroßen Aquarelle heben als LeereKörper sogar den
vermeintlichen Widerspruch von Transparenz, Durchlässigkeit und opaker, dinghafter Dichte auf, denn der Lasurenblock
kann beides gleichzeitig sein: Nichts und Körper/Raum, leer
und dicht wie Schwarze Löcher im Universum, schreibt
[7] Aus der Serie „Speicher/Naturzeit – Gebautezeit“, 2006/2007, Öl auf Leinwand, die beiden Bilder links je 240 x 200 cm, die drei Bilder
rechts je 240 x 330 cm, Ausstellung im Morat-Institut für Kunst und Kunstwissenschaft, Freiburg, 2009/2010, Foto-Panorama: Rüdiger Buhl
KÜNSTLERPORTRAIT · HERBERT MAIER
Herbert Maier im Skizzenbuch 2008.5 – Kreta. Durch die
Schichtung, die sukzessive sich verdichtende Flüssigkeit, vertiefen sich die Blätter nach innen, und „der Betrachter schaut
förmlich in die Bilder hinein, als wären sie räumlich“, umschreibt Volker Bauermeister die Wirkung. „Selbst wenn sie
sich oberflächlich zu verschließen scheinen, ist Öffnung ihre
Potenz.“
Die Lasurmalerei in Öl ist letztlich eine Synthese aus der
Transparenz der Aquarellmalerei, Leere und Körper kommen
aus dem Holzschnitt.
Parallelität
Die Parallelität der Widersprüchlichkeiten, die sich in den
einzelnen Arbeiten ausmachen lässt, ist auch ein Aspekt, der
sich durch das Gesamtwerk von Herbert Maier zieht. Immer
arbeitet er gleichzeitig an mehreren Arbeiten, an unterschiedlichen Serien, oft in verschiedenen Gattungen. Zu seinem
Repertoire gehören neben Öl- und Aquarellmalerei sowie
Holzschnitt unter anderem auch Fotografie, Radierung und
Skizzenbuch: Sie alle stehen für ihn gleichberechtigt nebeneinander. Dabei denkt er immer von den Bedingungen des
Materials aus, die Bilder müssen sich aus ihrer Stofflichkeit
erklären.Wäre die Arbeit in einer Gattung ersetzbar durch die
in einer anderen, würde er sie nicht weiterverfolgen. Indem
er die spezifischen Unterschiede der jeweiligen Techniken
herausarbeitet, kommt auch hier wieder das Speicherprinzip
zum Tragen: Die Gattungen fungieren wie Brennstrahlen, die
auf einen Brennpunkt hin ausgerichtet sind. Was auf den
ersten Blick wie Zerstreuung wirkt, baut lange aufeinander
auf und fügt sich am Ende zusammen.
So finden sich in Maiers Fotografien häufig Motive, die auf
die Malerei zu verweisen scheinen, tatsächlich aber erst danach entstanden sind. „Was die Fotografien betrifft, und darin
liegt ihre Wichtigkeit auf meine malerische Arbeit bezogen,
so finde ich Motive auf Reisen oder im Alltag, die meine
Malerei, die von ihren reinen Mitteln ausgeht (Fläche/Farbe)
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KÜNSTLERPORTRAIT · HERBERT MAIER
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und sich in Richtung der (sichtbaren) Wirklichkeit bewegt
(...), die meine Malerei geradezu als empirische Wirklichkeit
zu bestätigen scheinen, ohne dass ich auf ein Abbildhaftes zurückgegriffen hätte“, erklärt er die Bedeutung dieser Gattung.
Seine Skizzenbücher begleiten Herbert Maier seit Jahren. Sie
haben ihren Ursprung im Text. In ihnen reflektiert er unter
anderem seine Ideen und überprüft, ob und inwiefern sie mit
den Bildern, an denen er arbeitet, übereinstimmen. Diese Reflexionen stellt er häufig erst an, nachdem er eine Fragestellung oder eine Serie abgeschlossen hat. So kommt es, dass
Text und Bild zwar auf einer Skizzenbuchdoppelseite nebeneinanderstehen, aber nicht zwingend in einem engen Zusammenhang zueinander. Auch in den Radierungen, die ganz
ohne Farbe auskommen und ein weiteres eigenständiges Feld
seiner Arbeit darstellen, rekapituliert und reflektiert der Künstler die Malerei eines vorangegangenen Zyklus.
[8] Aus dem „Skizzenbuch 2008.4 – Freiburg“, Foto: Bernhard Strauss
[9] Aus der „Visuellen Bibliothek“, seit 2010, Aquarell, je 30 x 20 cm,
Foto: Herbert Maier [10] Detail aus der „Visuellen Bibliothek“, seit
2010, Aquarell, je 30 x 20 cm, Foto: Herbert Maier
BIOGRAPHIE
1959
Geboren in Haslach / Schwarzwald
1983
Rotary-Stipendium Paris
1992
Regio-Preis für Bildende Kunst
1994
Preis der Kritik, Internationale Graphik
Triennale Prag, Tschechien
seit 1994 Lehrauftrag für Radierung an der
Pädagogischen Hochschule in Freiburg
1997
Stipendium der Kunststiftung
Baden-Wür ttemberg
1999
Stipendium Cité Internationale
des Ar ts in Paris (2000/2001)
2002
Workshop an der Pontificia Universidad
del Peru, Facultad de Ar te, Lima, Peru
2002/03
Dozent für Kunstgeschichte
an der Hochschule Holzen
Neben den 20-30 Ölbildern, an denen er im Atelier parallel
malt und „die sich gegenseitig korrigieren“, wächst seit 2010
auch eine auf 500 Aquarelle angelegte Kulturgeschichte der
Welt, die der Künstler „Visuelle Bibliothek“ nennt. Immer
auf weißem Papier stehend, werden „Forminkunabeln der
Menschheit“ zigmal mit Farblasur überschichtet. Die bekannten Gesichter von Lebenden und Toten oder wegweisende
Erfindungen der Menschen aus aller Welt werden dadurch
flächig und leuchten von innen – es entsteht Ferne über Präsenz, Gleichzeitigkeit im Ungleichzeitigen, die der Betrachter
darüber hinaus durch eine unchronologische Hängung in
mehreren Reihen erlebt.
2005
Ar tist in Residence der Edward F. Albee
Foundation, Montauk, New York, USA
In seinem Bestreben, „eine Parallelwelt, eine Art Gegenwelt
zu dieser äußeren, empirischen, in sinnenhafter Wahrnehmung
und Empfindung sich mitteilenden Welt zu schaffen“, entwickelt Herbert Maier in dieser noch unvollendeten Serie
eine weitere Facette seiner Raum-Zeit-Überlegungen: Mit der
ganzflächigen Lasur als Stilmittel der Volumenbildung erhalten
die aquarellierten Figuren und Köpfe wieder eine Flächenhaftigkeit, durch die sie wie Scherenschnitte auf weißem
Papier ohne Hintergrund stehen und wie Stempel wirken.
AUSSTELLUNGEN 2012
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Visuelle Bibliothek
2004 + 2005 + 2008
Ar tist in Residence of the
Josef and Anni Albers Foundation,
Bethany, Connecticut, USA
2011
Arbeitsstipendium im Künstlerhaus Lukas
Ahrenshoop, geförder t durch das Land
Mecklenburg-Vorpommern
lebt und arbeitet in Freiburg im Breisgau
Juli 2012
Based on AD (Albrecht Dürer)
Galerie Bode Nürnberg
September/Oktober 2012
Kimreeaa Galley, Seoul/Korea
K O N TA K T
www.herber tmaier.org
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IM GESPRÄCH
Marcel fragt Herbert
Valentin Louis Georges Eugène Marcel Proust
(1871-1922), französischer Schriftsteller,
Kritiker und Intellektueller.
Herbert Maier (*1959)
Maler und Radierer in Freiburg i. Br
„Offen und in
Fragestellung bleiben“
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Streng genommen fragt hier gar nicht Marcel Proust selbst – vielmehr hat der berühmte Schriftsteller, dessen Werk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ als
einer der größten Romane der Weltliteratur gilt, dem berühmt gewordenen Fragebogen seinen Namen gegeben. Proust hat einen solchen Fragebogen wohl mindestens zweimal selbst beantwortet – um die Wende zum 20. Jahrhundert galt das
Ausfüllen als beliebtes Gesellschaftsspiel in gehobenen Kreisen. Der erste Bogen, ausgefüllt vom heranwachsenden Proust während eines Festes, wurde posthum 1924
veröffentlicht. Den zweiten Fragebogen betitelte Proust mit „Marcel Proust par luimême“ („Marcel Proust über sich selbst“). Die ursprünglich 33 Fragen wurden für
Kunst & material auf 29 reduziert – und bieten spannende und nachdenkliche Einblicke in die Gedanken- und Gefühlswelt unserer Befragten.
Wo möchten Sie leben? Da wo ich lebe.
Wenn es mir zu eng wird, reise ich. Was
ist für sie das vollkommene irdische Glück?
Kein Kuhhandel mit dem Glück, es sind
stille wunderbare Momente, in denen alles
stimmig ist. Welche Fehler entschuldigen
Sie am ehesten? Jeden der geklärt werden kann. Was ist für Sie das größte Unglück? Ein Leben in Unfreiheit und
Fremdbestimmung. Ihre liebsten Romanhelden? Die wechseln, meist menschliche Antihelden. Ihre Lieblingsgestalt in
der Geschichte? Es gibt einfach viele. Zu
den Lieblingsfragen hier kann ich sagen,
dass mich mit Entschiedenheit Unterschiedlichstes interessiert, auf einen Liebling ist das nicht zu reduzieren. Trotzdem: Heraklit, Gandhi. Ihr Lieblingsmaler? Giorgio Morandi, Edouard Manet u.a. Ihr Lieblingsautor? Jean-Philippe
Toussaint, John Berger u.a. Ihr Lieblingskomponist? Anton Bruckner und Miles
Davis gehören dazu. Welche Eigenschaften schätzen Sie bei einem Menschen am
meisten? Inspiriertes Einfühlungsver mögen, Großzügigkeit. Ihre Lieblingstugend?
Zuviel Tugenden auf der Welt und also
zuviel Heuchelei. Ihre Lieblingsbeschäftigung? Malen, lesen und in Cafes rumsitzen, reisen. Wer oder was hätten Sie gern
sein mögen? Was ich bin. Ihr Hauptcharakterzug? Ich bin vielseitig interessiert. Was schätzen Sie bei Ihren Freun-
den am meisten? Dass sie meine Freunde
sind und sein wollen. Ihr größter Fehler?
Ich werde mich hüten; also gut: Misstrauen zuweilen. Ihr Traum vom Glück?
Wie schon gesagt, kein Kuhhandel mit
dem Glück! Es stellt sich spontan ein
wie Regen. Der kann lange ausbleiben
und kommt doch sicher immer wieder.
Ihre Lieblingsfarbe? Jeder Farbe ihren
Wirkraum. Ihre Lieblingsblume? Ein
blühender Garten,Vielfalt mit blutroten
Mohnblumen. Ihr Lieblingsvogel? Jedes
Gezwitscher. Ihre Helden der Wirklichkeit? Den Heldenbegriff mag ich nicht.
Wie Menschen eine Familie durchbringen ist schon beachtenswert. Ihre Lieblingsnamen? Jeder Name, den ich ganz
subjektiv zu einem Gesicht oder einer
Gestalt passend finde. Was verabscheuen
Sie am meisten? Ungerechtigkeit. Welche
geschichtlichen Gestalten verabscheuen
Sie am meisten? Jeden Diktator. Welche
Reform bewundern Sie am meisten? Zuerst eine Doktrin, dann eine Reform, also
wieder eine Doktrin. Welche natürliche
Gabe möchten Sie besitzen? Es geht um
die Verfeinerung derer, die ich habe. Wie
möchten Sie gern sterben? Malen können
bis zum letzten Tag und dann im letzten
Hauch mit dem Gelebten einig sein. Ihre
gegenwärtige Geistesverfassung? Spannend,
was gerade passiert. Ihr Motto? Offen
und in Fragestellung bleiben.

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