alle Tragödie überflüssig und unmöglich machen«.

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alle Tragödie überflüssig und unmöglich machen«.
NIKOLAS IMMER
»alle Tragödie überflüssig und unmöglich machen«.
Schiller und die Komödie
Für Bernd Auerochs
Am Ende von Platons Symposion meint der halbverschlafene Aristodemos, sich
an das zentrale Gesprächsthema des Gastmahls erinnern zu können. Sokrates
habe die Anwesenden zu dem Eingeständnis nötigen wollen, daß es »sich für
einen und denselben« Schriftsteller gehöre, »Komödien und Tragödien dichten
zu können«, ja daß »der künstlerische Tragödiendichter […] auch der Komödiendichter« sei. 1 Hätte sich Schiller ebenfalls zu diesem Eingeständnis bewegen
lassen? Einen bestätigenden Hinweis vermag hier seine Zeitschrift Neue Thalia
(1792-1795) zu geben, sofern die titelgebende Gestalt als Muse (ΘαλÁα) und
nicht als Grazie (Θαλία) identifiziert wird. 2 Denn als Muse der Komödie erscheint ihr Name noch immer als »THALIA« auf den Umschlägen der einzelnen
Hefte, doch nun in Gemeinschaft mit einer Vignette, die überraschenderweise
den Kopf des Sokrates zeigt. 3
Wenngleich diese Feststellung nicht als Zustimmung Schillers zu der von
Sokrates geforderten Doppelbegabung eines idealtypischen Dramatikers gewertet werden kann, so läßt sich doch im Anschluß daran fragen, ob auch Schiller
dieser Bestimmung entsprochen habe. Daß diese Frage eindeutig zu bejahen ist,
wird zuweilen von der großen Prominenz verdeckt, die »der künstlerische Tra1
2
3
Platon: Symposion, 223d, zit. nach: Platon: Werke in acht Bdn. Griechisch und Deutsch,
in der Übersetzung von Friedrich Schleiermacher hg. von Gunther Eigler, Darmstadt
[11974] 31990, Bd. 3, S. 209-393, hier S. 393.
Vgl. Benjamin Hederich: Art. »Thalía[1]« und »Thalia[3]«, in: Ders.: Gründliches Mythologisches Lexikon, Leipzig 1770, Darmstadt r1986, Sp. 2326f. – Für eine Identifizierung von
Schillers Thalia mit der Anmut spricht der programmatische Entwurf der Rheinischen
Thalia vom 11. November 1784: »alles, was fähig ist, den sittlichen Sinn zu verfeinern,
was im Gebiete des Schönen liegt, alles, was Herz und Geschmack veredeln, Leidenschaften reinigen und allgemeine Volksbildung wirken kann, ist in ihrem Plane begriffen« (NA
22, 95). Außerdem sind auf den einzelnen Heftrückseiten der Neuen Thalia die drei
Grazien – jeweils in Form einer Vignette – abgebildet (NA 26, 552).
NA 26, 552. Im Brief vom 10. Februar 1792 schreibt Schiller an Georg Joachim Göschen,
der diese Umschlaggestaltung veranlaßt hatte: »Der Umschlag über die Thalia hat mir
recht viel Freude gemacht. Er ist sehr glücklich erfunden und ausgeführt« (NA 26, 133).
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gödiendichter« Schiller besitzt. Zwar liegt der qualitativ-quantitative Schwerpunkt seines dramatischen Schaffens unzweifelhaft auf dem Gebiet der Tragödie, dennoch muß Schiller sowohl komödienpraktische als auch komödientheoretische Kompetenz zugesprochen werden.
I. Forschungsstand
Die eigentliche Würdigung von Schillers komischem Talent setzt gegen Mitte
des 19. Jahrhunderts ein, als Carl Künzel 1862 für eine öffentliche Verbreitung
der Avanturen des neuen Telemachs zu sorgen beginnt, die Schiller und Ludwig
Ferdinand Huber ihrem gemeinsamen Freund Christian Gottfried Körner am 2.
Juli 1786 zum dreißigsten Geburtstag überreicht hatten. 4 Die in diesem Freundschaftswerk enthaltenen Texte, die sämtlich aus Hubers Feder stammen und von
Zeichnungen Schillers illustriert werden, parodieren spezifische Charaktereigenschaften Körners oder beziehen sich auf konkrete Ereignisse aus dessen Lebensumfeld. Unter der Überschrift »Thalias vergebliches Flehen« wird dabei auf eine
Begebenheit angespielt, bei der »Thalia oder die Muse der Komödie« offenbar
vergeblich »einen schwarzsamtnen Rock« hatte erbitten wollen.5 Hermann Seyboth mutmaßt, daß sich diese Beschreibung auf eine »Stegreifkomödie« des
Körner-Kreises bezogen habe, für deren Aufführung der schwarze Rock von
Körners Vater, dem gleichnamigen Superintendenten, benötigt worden war. 6
Beinahe parallel zu Künzels Publikation hält der Jenaer Philosoph Kuno Fischer
am 30. Januar 1861 einen detailreichen Vortrag über »Schiller als Komiker«.7 Er
konstatiert eine »Fülle von komischen Wirkungen« in Schillers Werken und
begründet sie mit dem Auftreten »naiv-komisch[er]« Figuren – wie dem Mohr in
Die Verschwörung des Fiesko zu Genua (1783) oder dem Kapuziner in Wal4
5
6
7
Vgl. Avanturen des neuen Telemachs oder Leben und Exsertionen Koerners des decenten,
consequenten, piquanten etc. von Hogarth [= Friedrich Schiller] in schönen illuminirten
Kupfern abgefaßt und mit befriedigenden Erklärungen versehen von Winkelmann [= Ludwig Ferdinand Huber], Rom 1786, hg. von Carl Künzel, Leipzig 1862, neu hg. zum 150.
Todestag Schillers mit einem Nachwort von Hermann Seyboth, Stuttgart r1955, bzw.
Friedrich Schiller: Avanturen des neuen Telemachs. Eine Geschichte in Bildern. Texte
von Ludwig Ferdinand Huber, mit einem Nachwort hg. von Karl Riha, Frankfurt a.M.
1987.
Ebd., S. 34.
Hermann Seyboth: [Nachwort auf einem achtseitigen Faltblatt], in: Ders.: Avanturen des
neuen Telemachs (Anm. 4), S. 6.
Vgl. Kuno Fischer: Schiller als Komiker. Vortrag, gehalten in der Rose zu Jena am 30.
Januar 1861, Frankfurt a.M. 1861. Damit setzt Fischer die seit 1845 stattfindenden ›Rosen-Vorlesungen‹ fort, in deren Reihe er bereits über »Die Selbstbekenntnisse Schillers«
(1857) und über »Schiller als Philosoph« (1858) gesprochen hatte. Vgl. dazu Günter
Schmidt, Volker Wahl: Der Jenaer Schiller. Lebenswelt und Wirkungsgeschichte 17891959, Bucha bei Jena 2005, S. 147-151.
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lensteins Lager (1798) – sowie mit dem ›niederen Pathos‹ einzelner Figuren, das
er vom ›heroischen Pathos‹ differenziert. 8 Nachdem Adolf Schöll 1884 der
»entschiedenen Fähigkeit« Schillers »zum Komischen« nochmals neue Bestätigung verleiht, 9 setzt mit den Arbeiten Karl Holls die psychologisierende Einschätzung dieser »entschiedenen Fähigkeit« ein. In seiner Geschichte des deutschen Lustspiels (1923) wird Schillers vermeintliches Unvermögen zum Komischen mit der Eigenart seines Charakters begründet: »Schiller ist selbst der erhabene Charakter, dem er die Tragödie, und nicht der schöne Charakter, dem er
das Lustspiel zuweist«. 10 Holl kann sich dabei zwar auf den Brief Schillers vom
13. Mai 1801 an Körner berufen, jedoch wird seine Argumentation nur dann bestätigt, wenn der Brief verkürzt zitiert wird. Schiller dagegen schreibt:
Außer einigen andern noch mehr embryonischen Stoffen habe ich auch eine Idee zu
einer Comödie, fühle aber, wenn ich darüber nachdenke, wie fremd mir dieses Genre
ist. Zwar glaube ich mich derjenigen Comödie, wo es mehr auf eine comische Zusammenfügung der Begebenheiten, als auf comische Charactere und auf Humor ankommt,
gewachsen, aber meine Natur ist doch zu ernst gestimmt und was keine Tiefe hat, kann
mich nicht lange anziehen. (NA 31, 36)
Indem sich Holl einseitig auf das beruft, was Schiller als seine »Natur« kennzeichnet, verschiebt sich das Bild derart, daß Holl zu dem apodiktischen Urteil
gelangt: »die Seelenform Schillers ist schizothym«. 11 Unter Rekurs auf die
Temperamentenlehre Ernst Kretschmers wird Schiller damit eine mentale Disposition unterstellt, die zwischen »hyperästhetisch, empfindlich und anästhetisch, kühl« zu situieren sei und die seine vorgebliche ›Humorlosigkeit‹ bestätige. 12 Obwohl Artur Vogel in seiner Studie Die Weimarer Klassik und das Lustspiel (1952) von dieser eigenwilligen charakterologischen Etikettierung abrückt,
bleibt dennoch das methodische Verfahren in Geltung, das Themenfeld ›Schiller
und die Komödie‹ über die psychologische Bestimmung des Dichters zu erschließen. 13 Zugleich aber setzt mit Vogels Arbeit eine kritische Würdigung
sowohl des Komödientheoretikers als auch des komischen Bühnenpraktikers
8
9
10
11
12
13
Fischer: Schiller als Komiker (Anm. 7), S. 5, 41, 44f.
Adolf Schöll: Goethes und Schillers Verhältnis zur Komödie, in: Ders.: Gesammelte
Aufsätze zur klassischen Literatur alter und neuerer Zeit, Berlin 1884, S. 85-89, hier S. 86.
Karl Holl: Geschichte des deutschen Lustspiels, Leipzig 1923, S. 199.
Karl Holl: Schiller und die Komödie. Rede zur Schillerfeier im Freien deutschen Hochstift
zu Frankfurt a.M. am 10. November 1924, Leipzig 1925, S. 10.
Ebd., S. 11, 14 sowie S. 31, Anm. 17. Vgl. Ernst Kretschmer: Körperbau und Charakter.
Untersuchungen zum Konstitutionsproblem und zur Lehre von den Temperamenten, Berlin 1921.
»Der Willensmensch Schiller muß der Tendenz des Komischen, das aller höhern Ansprüche spottende Leben gegen jede Art von Absicht und Anstrengung auszuspielen, kritisch, ja ablehnend gegenüberstehen« (Artur Vogel: Die Weimarer Klassik und das Lustspiel, Beromünster 1952, S. 23).
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Nikolas Immer
Schiller ein, die insbesondere seit Helmut Koopmanns Beitrag Schiller und die
Komödie (1969) bis heute mit unterschiedlicher thematischer Gewichtung fortgeführt wird. 14
Doch trotz der inzwischen gängigen Feststellung, daß Schiller durchaus ein
»komisches Talent« zu bescheinigen ist,15 erstaunt es nach wie vor, welchen absoluten Status der Tragödiendichter Schiller der Komödie einräumt. Denn in
seiner Abhandlung Ueber naive und sentimentalische Dichtung (1795/1796) erkennt er ihr theoretisch sogar das Potential zu, »alle Tragödie überflüssig und
unmöglich machen« (NA 20, 446) zu können. Um über der Frage, weshalb die
Komödie bei Schiller derart aufgewertet wird, nicht den Komödienpraktiker aus
dem Auge zu verlieren, ist es im folgenden notwendig, auf verschiedene Facetten des ›ganzen Schiller‹ einzugehen.
II. Dramatisches Werk und frühe Schauspiel-Theorie
Bereits der Dramatiker Schiller integriert Elemente des Komischen in seine Tragödien. Für seine Jugenddramen adaptiert er die Bühnenfigur der lustigen Person, verleiht ihr aber individualisierende Kontur. Gemäß der Rollentradition besteht ihre maßgebliche Funktion auch bei Schiller darin, Meinungen und Handlungen des dramatischen Helden zu kontrastieren bzw. zu sabotieren. Dabei
werden jedoch typische Eigenschaften der lustigen Person – wie z. B. ihre Triebhaftigkeit, ihre Gerissenheit oder ihre Einfalt – an Figuren verschiedener Schiller-Stücke erkennbar. 16 So zeichnet sich Moritz Spiegelberg aus den Räubern
(1781) durch sexuelle Triebhaftigkeit und Spottlust aus, Muley Haßan, der Mohr
14
15
16
Vgl. Helmut Koopmann: Schiller und die Komödie, in: JDSG 13 (1969), S. 272-285;
Gerhard Kaiser: Wallensteins Lager. Schiller als Dichter und Theoretiker der Komödie, in:
JDSG 14 (1970), S. 323-346; Eckehard Catholy: Schiller. Theorie der Komödie als Ersatz
der Komödie, in: Ders.: Das deutsche Lustspiel. Von der Aufklärung bis zur Romantik,
Stuttgart u.a. 1982, S. 135-160; Lesley Sharpe: Schiller’s fragment Tragödie und Komödie, in: Modern Language Review 81 (1986), S. 116-122; Martin Stern: Zeitlose Komik
ohne Satire? Gedanken zur Komödientheorie der Weimarer Klassik?, in: Verlorene Klassik? Ein Symposium, hg. von Wolfgang Wittkowski. Tübingen 1986, S. 185-204; Jörg
Heininger: Schiller: Die Kanaille Franz, die ästhetische Erziehung und die Theorie der
Komödie, in: Weimarer Beiträge 34 (1988), H. 5, S. 841-850; Johannes Endres: Schiller
und die Geburt der Komödie aus dem Geist der »Indifferenz«, in: Ders.: Das »depotenzierte« Subjekt. Zu Geschichte und Funktion des Komischen bei Heinrich von Kleist,
Würzburg 1996 (Epistemata: Reihe Literaturwissenschaft, Bd. 173), S. 28-38.
Peter-André Alt: Schiller. Leben – Werk – Zeit, 2 Bde., München 2000, Bd. 1, S. 426 und
im Anschluß daran Grit Dommes: Art. »Körners Vormittag«, in: Schiller-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, hg. von Matthias Luserke-Jaqui unter Mitarbeit von Grit Dommes, Stuttgart/Weimar 2005, S. 88-92, hier S. 92.
Zur lustigen Person vgl. ausführlich: Die lustige Person auf der Bühne. Gesammelte Vorträge des Salzburger Symposiums 1993, hg. von Peter Csobádi u.a., 2 Bde., Salzburg 1994
(Wort und Musik, Bd. 23).
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aus dem Fiesko (1783), durch Gerissenheit und Schalkhaftigkeit und Hofmarschall von Kalb aus Kabale und Liebe (1784) durch Einfalt und Oberflächlichkeit. Von allen Seiten nur als Karikatur eines Menschen wahrgenommen, erweckt der Hofmarschall sogar den Eindruck, »[a]ls wenn ihn ein Tübinger
Buchhändler dem Allmächtigen nachgedrukt hätte« (NA 5N, 122, 124).
Daneben wird in den genannten Dramen die Komödie wiederholt als tendenziell negativ konnotiertes Unterhaltungsmedium thematisiert. Während jedoch in
den Räubern und in Kabale und Liebe diesen Erwähnungen eher marginale Bedeutung zukommt, besitzt die vermeintliche Komödie, zu der Fiesko lädt, strategischen Gehalt. In den Räubern ist die Stadt, die von der Räuberbande angezündet wird, deshalb weitgehend leer, weil alles, »was leichte Beine hatte, […]
ausgeflogen [ist] der Komödie nach« (NA 3, 64). Dabei wird diese Form der
Belustigung als Form sittenloser Vergnügungssucht gewertet, da es hier nicht
um ein Lustspiel im engeren Sinn, sondern um ein Schauspiel im weiteren Sinn
geht: um die öffentliche Exekution Rollers. In Kabale und Liebe hingegen fragt
der Hofmarschall, ob am Abend »Vauxhall […] oder teutsche Komödie« (NA
5N, 144) gegeben werden solle. Die Frage bekundet implizit ein einseitiges
höfisches Interesse an zerstreuenden Lustbarkeiten, das die soziale Realität der
niederen Stände schlichtweg ignoriert. Im Fiesko schließlich ist die Einladung
zu einer ›Komödie‹ Teil des umstürzlerischen Plans: »Poz tausend! Die Komödie wird freilich wol angehen müssen!« (NA 4, 93) Hier erwartet Fiesko von
Lavagna die adligen Zuschauer zu einem »Schauspiel«, das gewiß »zum todlachen« sei (NA 4, 83) – und meint damit die Revolte gegen das Adelshaus Doria,
die vielen den Tod bringen wird.
Schillers Bezüge auf die Komödie bleiben aber nicht auf die Jugenddramen
beschränkt. Noch in Wallensteins Lager (1798) läßt er die Figur des Kapuziners
auftreten, deren kommentierende Funktion gleichfalls die Nähe zur lustigen Person erkennen läßt. Überdies bezeichnet Schiller den ersten Teil seiner Wallenstein-Trilogie selbst als »Lustspiel«, 17 und auch Goethe erkennt darin die dramatische Form eines »Lust- und Lärmspieles«. 18 Insbesondere Schillers Bemerkung
gibt den Impuls, die Wallenstein-Trilogie auch späterhin als Abfolge von Lustspiel, Schauspiel und Trauerspiel zu werten. 19
Darüber hinaus setzt sich Schiller auch als Übersetzer und Bearbeiter ausländischer Stücke für das Weimarer Hoftheater mit der Komödie auseinander. 1802
17
18
19
Schillers Brief vom 30. September 1798 an Körner (NA 29, 280).
Johann Wolfgang Goethe: Weimarischer Neudecorirter Theatersaal. Dramatische Bearbeitung der Wallensteinischen Geschichte durch Schiller (1798; WA I, 40, 3-8, hier 5).
»Das dritte Stück heißt Wallenstein und ist eine eigentliche vollständige Tragödie, die Piccolomini können nur ein Schauspiel der Prolog ein Lustspiel heissen« (Anm. 17). Vgl.
Kaiser: Wallensteins Lager (Anm. 14), S. 323.
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bearbeitet er Carlo Gozzis Tragikomödie Turandot, 20 und ein Jahr später verdeutscht er zwei Komödien Louis-Benoît Picards: Der Parasit und Der Neffe als
Onkel. 21 Selbst als Komödiendichter versucht Schiller in dieser Zeit aktiv zu
werden. Doch sowohl Die Polizey als auch sein Lustspiel im Stil von Goethes
Bürgergeneral (1805) bleiben Fragment. 22 Die einzige abgeschlossene Komödie
dagegen, Körners Vormittag, entwirft Schiller im Jahr 1787 aus Anlaß von Körners 31. Geburtstag. Auf dieses Geburtstagsgeschenk, das noch von Helmut
Koopmann als »dramatischer Scherz« abgetan wurde, 23 wird noch zurückzukommen sein.
Schließlich ist es vor allem der Theoretiker Schiller, der einen eigenständigen
Zugang zur dramatischen Gattung Komödie entwickelt. Zwar orientiert er sich
argumentativ noch an Sulzer, wenn er der Komödie in seiner Schaubühnen-Rede
(1784) eine übergeordnete Position zuerkennt, 24 doch gründet diese Zuschreibung gleichfalls auf Schillers bühnenpraktischer Erfahrung.
Wenn wir es unternehmen wollten, Lustspiel und Trauerspiel nach dem Maas der erreichten Wirkung zu schäzen, so würde vielleicht die Erfahrung dem ersten den Vorrang geben. [Denn] Spott und Verachtung verwunden den Stolz des Menschen emp20
21
22
23
24
Zur Entstehungsgeschichte und Schillers Rückgriff auf Carlo Gozzis Tragikomödie Turandot (1762) vgl. NA 14, 276-285, 290-298. Vgl. auch William Witte: Turandot, in:
Papers read before the society 1968-1969, ed. by Elizabeth M. Wilkinson u.a., Leeds 1969,
S. 123-140.
Am 26. Januar 1803 schreibt Schiller an Goethe: »Sonst haben mich die neuesten französischen Theatralia aus der Bibliothek beschäftigt, die der Herzog wollte, daß ich sie lesen sollte« (NA 32, 6). Diese Lektüre gibt den Impuls für Schillers Übersetzung von Picards Lustspielen Médiocre et rampant, ou le moyen de parvenir (1797) und Encore des
Ménechmes (1791). Zur Entstehungsgeschichte dieser Übersetzungen vgl. NA 15, 501,
und zur Würdigung derselben Catholy: Das deutsche Lustspiel (Anm. 14), S. 155-160.
Picards Lustspiele selbst behandelt: Walter Staaks: The theatre of Louis-Benoît Picard,
Berkeley/Los Angeles 1952, abgedruckt in: University of California Publications in Modern Philology 28 (1952), Nr. 7, S. 359-462.
Auf den Stoff der Polizey kommt Schiller erstmals am 22. März 1799 gegenüber Goethe
zu sprechen: »Nach Tische kam Herr Hofrat Schiller. Gespräch über Tragödie und Komödie mit einem Polizeisujet« (WA III, 2, 238). Zum Komödiencharakter des geplanten
Dramas vgl. NA 12, 100, 130. Zum Lustspiel, das Goethes Bürgergeneral (1793) nachempfunden werden sollte, vgl. NA 12, 347-352, 616-618. Vgl. weiterführend: Mirjam
Springer: ›Legierungen aus Zinn und Blei‹. Schillers dramatische Fragmente, Frankfurt a.M. 2000, S. 17f., 72-74; Dies.: Art. »Dramatischer Nachlaß«, in: Schiller-Handbuch
(Anm. 15), S. 242-254, hier S. 244, 253f.
Koopmann: Schiller und die Komödie (Anm. 14), S. 273.
Vgl. NA 21, 144. »Es wäre nach dem, was bereits […] über die Natur der Comödie angemerkt worden, sehr überflüßig, noch besonders von ihrem Nutzen zu sprechen, da aus
dem angeführten schon hinlänglich erhellet, daß keine andre Dichtungsart ihr den Vorzug
der Wichtigkeit streitig machen könne« (Johann Georg Sulzer: Art. »Comödie«, in: Ders.:
Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Leipzig [11771-1774] 1792-1794, Hildesheim/
Zürich/New York r1994, Bd. 1, S. 486-572, hier S. 496).
Schiller und die Komödie
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findlicher, als Verabscheuung sein Gewissen foltert. Vor dem Schrecklichen verkriecht
sich unsre Faigheit, aber eben diese Faigheit überliefert uns dem Stachel der Satire.
(NA 20, 94f.)
Schiller stellt fest, daß sowohl Lustspiel als auch Trauerspiel befähigt sind, konkrete Wirkungen auf den Zuschauer zu entfalten. Während die Tragödie »[h]eilsame Schauer« (NA 20, 92) hervorrufe, operiere die Komödie mit »heilsamem
Spott« (NA 20, 94). Die in dem Adjektiv ›heilsam‹ kenntlich werdende therapeutische Funktion des Theaters, mit der sich Schiller in den ästhetischen Schriften der neunziger Jahre differenzierter auseinandersetzt, ist ihrerseits Voraussetzung für die didaktische Vermittlungsleistung der Schaubühne. Damit wird das
erzieherische prodesse-Prinzip aufgerufen, das Lessing in seiner für Schiller
bedeutsamen Hamburgischen Dramaturgie (1767-1769) mit der moralischen
Aufgabe der Komödie verknüpft hatte. 25
Die Komödie will durch Lachen bessern […]. Ihr wahrer allgemeiner Nutzen liegt in
dem Lachen selbst; in der Übung unserer Fähigkeit das Lächerliche zu bemerken; es
unter allen Bemäntelungen der Leidenschaft und der Mode, es in allen Vermischungen
mit noch schlimmern oder mit guten Eigenschaften, sogar in den Runzeln des
feierlichen Ernstes, leicht und geschwind zu bemerken. […] Ihr ist genug, [auch] wenn
sie keine verzweifelte Krankheiten heilen kann, die Gesunden in ihrer Gesundheit zu
befestigen. 26
Der letzte Satz nimmt jedoch die Hoffnung zurück, daß es der Komödie prinzipiell möglich sei, die sittliche Verbesserung der Zuschauer zu befördern. Vielmehr erlange sie als Prophylaxe für den sittlich ›gesunden‹ Zuschauer Geltung.
Dessen ›Gesundheit‹ wiederum könne durch die demonstrative Ausstellung des
Lächerlichen, die Lessing fordert, bewahrt und gestärkt werden. Auch Schiller
ist an der Entbergung des Lächerlichen interessiert, da das Ziel seiner »dramatischen Methode« darin besteht, wie es in der Vorrede zur ersten Auflage der
Räuber heißt, »die Seele gleichsam bei ihren geheimsten Operationen zu er25
26
Einerseits erinnern Lessings Ausführungen »noch an Formulierungen und Denkmuster
Gottscheds«, andererseits weisen sie »bereits auf Schillers Schaubühnen-Aufsatz« voraus
(Endres: Das »depotenzierte« Subjekt [Anm. 14], S. 22f., Anm. 10). – Zu Schillers späterer Diskussion der Horazischen Formel »aut prodesse volunt aut delectare poetae« (Ars
poetica, V. 333) vgl. NA 20, 486ff., NA 21, 310.
Gotthold Ephraim Lessing: Hamburgische Dramaturgie, in: Ders.: Gotthold Ephraim Lessing: Werke und Briefe in zwölf Bänden, hg. von Wilfried Barner zusammen mit Klaus
Bohnen u.a., Bd. 6: Werke 1767-1769, hg. von Klaus Bohnen. Frankfurt a.M. 1785,
S. 181-694, hier S. 323f. (= 29. Stück). Zum Neuansatz von Lessings Komödienauffassung, in der das Lachen vom Verlachen unterschieden wird (ebd., S. 322f. [= 28. Stück]),
vgl. ebd., S. 991. Das Postulat ›Die Komödie will durch Lachen bessern‹ finde sich ebenfalls, wie Madame de Staël ausführt, als Inschrift auf den französischen Schauspielhäusern: »Ridendo corrigit mores« (Anne Germaine de Staël: Über Deutschland, hg. und
mit einem Nachwort versehen von Monika Bosse, Frankfurt a.M. 1985, S. 414).
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Nikolas Immer
tappen« (NA 3, 5). Ähnlich formuliert er in der Abhandlung Ueber das gegenwärtige teutsche Theater (1782) seine Erwartung an die Schaubühne: Um noch
die geringsten Bewegungen des Bewußtseins offenzulegen, müsse das Theater
zum »offene[n] Spiegel des menschlichen Lebens« (NA 20, 79) avancieren. 27 In
der Schaubühnen-Rede wird die Metaphorik des entlarvenden Spiegels erneut
zur Anwendung gebracht, nun aber, um die Funktion der Komödie zu konkretisieren. Ihre Aufgabe sei es, »der großen Klasse von Thoren den Spiegel« vorzuhalten, um sie »mit heilsamem Spott« (NA 20, 94) zu beschämen. Im zeitgenössischen Komödiendiskurs wird die aufgerufene Topik des Spiegels als Medium
unverfälschter Wirklichkeitsdarstellung wiederholt auf diese Form des Narrenspiegels zugespitzt, so zum Beispiel auch in Carl Friedrich Flögels Geschichte
der komischen Litteratur (1784-1787):
Der Mensch sieht sich in der Satyre und Komödie wie in einem Spiegel; und Harlekin
reinigt durch Narrheit von Narrheit. Freylich wird ein Narr, der ganz Narr ist, in der
Komödie und Satyre nicht gebessert; denn dieser gehört eigentlich unter die Geissel
des Tollwärters. Aber es giebt verständige Leute, welche diesen und jenen Flecken an
sich haben, der ihnen durch lange Gewohnheit, durch andre Verdienste, durch Schmeicheley ihrer Anhänger, oder durch eingewurzeltes Vorurtheil unsichtbar geworden,
oder wohl gar Schönheit scheint; diese können durch das Lächerliche gewarnt werden. 28
Wenn das Lächerliche ›verständigen Leuten‹ zur Warnung dienen kann, so entspricht diese Überlegung Lessings postuliertem Komödienauftrag von der Gesunderhaltung der Zuschauer. Indem menschliche Eigenheiten und Schwächen
aufgedeckt werden, erweitern die Komödien das empirisch-psychologische Wissen vom Menschen und werden, wie Schiller schreibt, zu einer »Schule der
praktischen Weißheit« (NA 20, 95). Damit ist die didaktische Intention zwar
wieder eingeholt, aber nur insofern, als die allgemeine Menschenkenntnis zur
Beförderung der individuellen Selbsterkenntnis beitragen soll. Weil nun die
Komödie in diesem Vorgang den Zuschauer »empfindlicher« (NA 20, 94) zu affizieren vermag, so Schillers erfahrungsseelenkundliche Unterstellung, sei sie
der Tragödie überzuordnen. Im Hinblick auf das »Maas der erreichten Wirkung«
(ebd.) wird damit nur ein gradueller, kein prinzipieller Unterschied konstatiert.
27
28
»Allerdings sollte man denken, ein offener Spiegel des menschlichen Lebens, auf welchem
sich die geheimsten Winkelzüge des Herzens illuminirt und fresko zurückwerfen, wo alle
Evolutionen von Tugend und Laster, alle verworrensten Intriguen des Glücks, die merkwürdige Oekonomie der obersten Fürsicht, die sich im wirklichen Leben oft in langen
Ketten unabsehbar verliert, wo, sage ich, dieses alles in kleinern Flächen und Formen aufgefaßt, auch dem stumpfesten Auge übersehbar zu Gesichte liegt; […] eine solche Anstalt,
möchte man erwarten, sollte die reinern Begriffe von Glückseligkeit und Elend um so
nachdrücklicher in die Seele prägen« (NA 20, 79).
Carl Friedrich Flögel: Geschichte der komischen Litteratur, 4 Bde., Liegnitz/Leipzig
1784-1787, Bd. 1, S. 28.
Schiller und die Komödie
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Demnach strebt Schiller hier noch keine konzeptuelle Unterscheidung von
Tragödie und Komödie an, sondern schärft allein deren wirkungsästhetische Differenz. Auch gut zehn Jahre später, in der Schrift Ueber naive und sentimentalische Dichtung, behält er diese Zielrichtung letztlich bei, ist aber zunächst bestrebt, beide Dramenformen in die Architektur seines poetologischen Entwurfs
zu integrieren. Dabei merkt Schiller jedoch an, daß der »Komödiendichter, dessen Genie sich am meisten von dem wirklichen Leben nährt, […] auch am meisten der Plattheit ausgesetzt« (NA 20, 479) sei. Zwar sei dort die Verwendung
des »Niedrige[n] auch in der Kunst gestattet«, wie er in der kleinen Schrift Gedanken über den Gebrauch des Gemeinen und Niedrigen in der Kunst (um 1792/
1793) urteilt, »wo es Lachen erregen soll« (NA 20, 243). Doch könne dieses
Verfahren freilich »bloß […] ein Lachstück« (ebd.), keineswegs aber eine hohe
Komödie zum Ergebnis haben. 29
III. Die Dramatische Preisaufgabe (1800)
Das von Schiller kritisierte Übel, die Kontamination der Komödie mit »Trivialitäten« (NA 20, 479), sei seiner Meinung nach insbesondere bei »den neuesten
Schriftellern« (ebd.) zu beobachten. Beispielhaft werden »Lope de Vega, Moliere, Regnard, Goldoni« und der dänische Dichter Ludvig Holberg genannt,
dessen derb-realistische Komödien den Leser gar in den »Schlamm« (ebd.) hinabzögen und dessen Komik Madame de Staël später gleichfalls als »roh und
wild« disqualifiziert. 30 Um nun solchem »Naturalism in der Kunst« entgegenzuwirken, dem Schiller in der Vorrede zur Braut von Messina (1803) »offen und
ehrlich den Krieg […] erklären« (NA 9, 11) wird, rücken Goethe und Schiller
eine Dramatische Preisaufgabe in den dritten Band der Propyläen (1800) ein.
Während sie die Gattung der »Charakterstücke« bereits für zu anspruchsvoll
halten, setzen sie »dreißig Dukaten […] auf das beste Intrigenstück« (NA 22,
29
30
Vgl. Koopmann: Schiller und die Komödie (Anm. 14), S. 279. Zur bei Schiller mitgedachten Ständeklausel vgl. NA 20, 243 und Stern: Zeitlose Komik (Anm. 14), S. 199.
Mme. de Staël: Über Deutschland (Anm. 26), S. 414. Demgegenüber zählt Adam Müller,
fünf Jahre bevor Mme. de Staëls De l’Allemagne (1813) erscheint, »Gozzi und Holberg«
zu »den beiden größten Lustspieldichtern des 18ten Jahrhunderts« (Adam Müller: Ironie,
Lustspiel, Aristophanes: aus A. Müllers Vorlesungen über dramatische Poesie und Kunst,
in: Phöbus. Ein Journal für die Kunst I (1808), hg. von Heinrich von Kleist und Adam
Müller, mit einem Nachwort und Kommentar von Helmut Sembdner, Hildesheim/Zürich/
New York r1987, Heft 4/5, S. 56-67 [228-239], hier S. 66 [238]). Zu Holberg vgl. weiterführend Klaus von See: Holbergs Komödien und der dänische Absolutismus, in: Euphorion 72 (1978), H. 1, S. 1-19, sowie Ludvig Holberg: Nachricht von meinem Leben in drei
Briefen an einen vornehmen Herrn, mit einem Auszug aus dem Essay Ludvig Holberg und
seine Zeitgenossen von Georg Brandes, Leipzig 1982.
260
Nikolas Immer
199) aus. 31 Damit folgen sie einer gängigen Hierarchisierung von Charakter- und
Intrigenkomödie, wie sie unter anderem der französische Literaturtheoretiker
Jean François Cailhava de L’Estendoux in seiner Abhandlung De l’art de la comédie (1772) formuliert hatte: »Il est sans doute plus beau, plus grand de faire
une piece à caractere; mais elle est défectueuse si l’intrigue n’en lie des différents portraits, & ne les place dans une situation frappante«. 32 Den konkreten
Geltungsbereich von Charakter- und Intrigenkomödien, über den in der Poetik
des späten 18. Jahrhunderts weitgehend Einigkeit herrscht, stellt zum Beispiel
Johann August Eberhard, Hallenser Professor für Philosophie, in seiner Theorie
der schönen Wissenschaften (1783) vergleichsweise deutlich heraus:
Das Lächerliche eines Lustspiels […] ist entweder in den Begebenheiten oder in dem
Charakter der Personen desselben. Man hat die Lustspiele der ersten Art IntriguenComödien, und der andern Art Charakter-Comödien genannt. In diesen entsteht das
Lächerliche vornehmlich aus dem Contraste in der Situation, in jener aber aus dem
Contraste der Bestandtheile des Charakters oder der Handlungen mit den Absichten,
die dem Charakter gemäß sind. 33
Zwar hafte dem Intrigenstück – stehe es nun unter komischem oder tragischem
Vorzeichen – noch immer die Bedeutung »ränkevoller Liebes- und politischer
Händel« an, jedoch lasse es sich auf den vornehmlichen Gehalt einer spannungsvollen und konfliktreichen Handlung zuspitzen.34 Gemäß dieser literarischen
Konvention separiert Schiller in der Dramatischen Preisaufgabe die Handlungskomödie einerseits typologisch von der »echt-philosophische[n] Gattung« der
Charakterkomödie, wie sie Herder 1802 in seiner Adrastea nennt. 35 Weder in
Hinsicht auf darzustellende »Gattungen« noch in Hinsicht auf vorzuführende
»Individuen« (NA 22, 327) reiche die Kompetenz gegenwärtiger Dichter hin –
31
32
33
34
35
»Der Text der Dramatischen Preisaufgabe wurde von Schiller nach einem Vorgespräch
mit Goethe am 9.11.1800 formuliert« (Friedrich Schiller: Werke und Briefe in zwölf Bänden. Frankfurter Ausgabe [fortan: FA], hg. von Otto Dann u.a., Bd. 8: Theoretische
Schriften, hg. von Rolf-Peter Janz u.a., Frankfurt a.M. 1992, S. 1549). Zur Unterscheidung
von Charakter- und Intrigenstück vgl. auch Schillers Differenzierung von Handlungs-,
Charakter und Leidenschaftsdrama in seiner Egmont-Rezension (NA 22, 199).
M[onsieur] de Cailhava [= Jean François Cailhava de L’Estendoux]: De l’art de la comédie, ou détail raisonné des diverses parties de la comédie et des ses différents genres, 4
Bde., Paris 1772, Bd. 2, S. 123. Vgl. auch Sulzers Artikel »Comödie«, worin er Charakter-, Sitten- und Situationskomödie voneinander unterscheidet (Sulzer: Art. »Comödie«,
in: Ders.: Allgemeine Theorie [Anm. 24], Bd. 1, S. 486-572).
Johann August Eberhard: Theorie der schönen Wissenschaften. Zum Gebrauche seiner
Vorlesungen, Zweyte verbesserte Auflage, Halle [11783] 1786, S. 197. Vgl. auch Picards
Bestimmung der Intrigenkomödie (NA 15, 532f.).
Vgl. Catholy: Das deutsche Lustspiel (Anm. 14), S. 244.
Johann Gottfried Herder: Das Lustspiel. Unterredungen, in: Ders.: Werke in zehn Bänden,
hg. von Martin Bollacher u.a., Bd. 10: Adrastea (Auswahl), hg. von Günter Arnold u.a.,
Frankfurt a.M. 2000, S. 363-374, hier S. 362.
Schiller und die Komödie
261
so Schillers implizite Einschätzung –, eine anerkennenswerte Charakterkomödie
zu gestalten. Andererseits stärkt er das komische Potential der Handlungskomödie, um sie von der comédie larmoyante abzugrenzen. 36 Den potentiellen Einsendern bleibt damit nur ein solcherart eingeschränktes »Feld der Intrigenstücke
offen« (ebd.).
Obwohl die Resonanz auf die Preisaufgabe durchaus akzeptabel ist – denn
immerhin werden dreizehn Intrigenstücke eingeschickt –,37 scheint keines den
Vorstellungen der beiden Kunstrichter entsprochen zu haben. Zwar kann die angekündigte, nicht aber ins Werk gesetzte Rezension aller eingesandten Stücke
(ebd.) auch rein pragmatisch mit dem Ende der Propyläen begründet werden,38
zumal Goethe Clemens Brentanos Lustspiel Laßt es euch gefallen (später Ponce
de Leon, 1801) sogar einige Anerkennung zollt. 39 Dennoch legt die ausgebliebene Reaktion Goethes und Schillers nahe, daß der Komödienwettstreit mit
einem unausgesprochenen »Man lache nicht« beendet worden war. 40 Es bleibt
der Eindruck bestehen, daß die überwiegend dilettierenden Komödiendichter die
vorgegebenen Qualitätsansprüche nicht zu erfüllen vermochten. Wie also sollte
die Komödie gestaltet sein, um die hochgesteckten Erwartungen zu befriedigen?
In der Dramatischen Preisaufgabe gibt Schiller dazu nähere Hinweise. Um
nicht die moralische Selbständigkeit des Zuschauers – d. h. die praktische Vernunft als sittliche Willensinstanz 41 – rege zu machen, dürfe »die reine Komödie«
nicht »zu sehr aus der Empfindung und aus sittlichen Rührungen geschöpft«
(NA 22, 326) werden. Da Pathos und Sittlichkeit eine ernste Stimmung erzeugen, müsse »die moralische Tendenz« (NA 22, 327) des Dramenstoffes über36
37
38
39
40
41
NA 22, 326. Vgl. Walter Hinck: Einführung in die Theorie des Komischen und der Komödie, in: Die deutsche Komödie. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hg. von Walter
Hinck, Düsseldorf 1977, S. 11-31, hier S. 26.
Vgl. NA 31, 330f.; Carl Georg Brandis: Goethes dramatische Preisaufgabe, in: Zeitschrift
für Bücherfreunde N.F. 4 (1913), H. 2, S. 231-240; Georg Karpe: Handschriften von Johann Wolfgang Goethe im Autographenbestand der Universitätsbibliothek Jena, in: Weite
Welt und breites Leben. Festschrift für Karl Bulling, Leipzig 1966, S. 189-197, hier S. 196.
Vgl. FA, Bd. 8, S. 1549.
Vgl. Goethes Brief vom 16. Oktober 1802 an Clemens Brentano, in dem er den »guten
Humor und [die] angenehme[n] Lieder« des Stückes hervorhebt (WA IV, 16, 126). Zu
Brentanos Laßt es euch gefallen vgl. Catholy: Das deutsche Lustspiel (Anm. 14), S. 241268; Gerhard Kluge: Clemens Brentano: Ponce de Leon, in: Europäische Komödie, hg.
von Herbert Mainusch, Darmstadt 1990, S. 355-378.
Damit ist Goethes unwillige Äußerung angesichts des unbotmäßig lachenden Publikums
bei der Uraufführung von Friedrich Schlegels Alarkos am 29. Mai 1802 gemeint. Vgl.
Klaus Schwind: »Man lache nicht!« Goethes theatrale Spielverbote. Über die schauspielerischen Unkosten des autonomen Kunstbegriffs, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 21 (1996), H. 2, S. 66-112, hier S. 90f.
Vgl. Sigbert Latzel: Zu Schillers Vernunftauffassung. Betrachtung zur individuellen Verwendungsgeschichte eines Wortes, in: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch N.F. 13
(1972), S. 41-69, hier S. 55 (›Die praktische Vernunft in voluntärer Interpretation‹).
262
Nikolas Immer
wunden werden bzw. müsse, wie es dementsprechend im Nachlaßfragment Tragödie und Comödie (um 1795) heißt, »alles von dem moralischen Forum auf das
physische gespielt werden« (NA 21, 92). Wie der theoretische Vorgang praktisch vorzustellen sei, führt Lesley Sharpe aus:
That is not to say that all comedy must appeal only to the senses in the manner, for
example, of slapstick, and thus be essentialy shallow, but that the action of comedy
occurs within a framework in which only the laws of natural cause and effect are
important and moral judgement is not activated. 42
Gelinge es demnach, den Zuschauer in »absolute moralische Gleichgültigkeit«
(NA 22, 326) zu versetzen, habe die Komödie ihr wirkungsästhetisches Ziel erreicht. Der Rezipient erfahre die »geistreiche Heiterkeit« und »Freiheit des
Gemüts« (ebd.). Doch welche Komödie vermochte dies zu leisten? Dieser Frage
soll anhand von zwei exemplarischen Beispielen nachgegangen werden.
Erstens: Schillers einzige Komödie Körners Vormittag. – Wird für die Intrigenkomödie der Handlungsprimat in Geltung gebracht, kann Schillers einaktiges
Stück, obwohl sich darin keine eigentliche Intrige entspinnt, allein aufgrund
seiner zahlreichen Handlungswechsel der Intrigenkomödie zugeordnet werden.
Wie Peter-André Alt nahelegt, steht es in der Tradition der französischen Proverbes dramatiques, also jener »Einakter mit pointiert-witzigem Stil, die ein
Sprichwort, eine These oder Lebenshaltung im Rahmen einer Intrigenhandlung
auf die Probe stellen«. 43
In Schillers Lustspiel wird das gesellige Leben des Dresdener Körner-Kreises
parodiert. Dabei bildet der Protagonist Körner selbst den Mittelpunkt allen Geschehens, der anfangs noch glaubt, einen scheinbar freien Vormittag für eigene
Interessen nutzen zu können. Doch aufgrund seiner Pflichten gegenüber den
eintreffenden Besuchern muß er seine Pläne wieder und wieder aufschieben. Die
»Götterplane«, die mit der Erwähnung von Schillers Philosophischen Briefen
(1786) und Ludwig Ferdinand Hubers Aufsatz über die Verschwörung des römischen Volkstribuns Cola di Rienzi zur Sprache kommen (1788) (NA 5N, 284,
289), werden von den alltäglichen »Mäusegeschäfte[n]« konterkariert, 44 mit
42
43
44
Sharpe: Schiller’s fragment (Anm. 14), S. 118. Davon abweichend hat Walter Hinck behauptet, daß sich »mit dem Preisausschreiben […] wohl der geheime Wunsch nach zumindest selektiven Rückgriffen auf die Commedia dell’arte verbunden« habe (Walter Hinck:
Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts und die italienische Komödie. Commedia dell’arte und Théâtre italien, Stuttgart 1965 [Germanistische Abhandlungen, Bd. 8],
S. 383).
Alt: Schiller (Anm. 15), Bd. 1, S. 426, Hervorhebung von mir, NI. Vgl. auch NA 5N,
589f.
Die Räuber (NA 3, 78). Vgl. Dommes: Art. »Körners Vormittag« (Anm. 15), S. 90; NA
5N, 600, 610. So auch der Titel der Marbacher Schillerausstellung 2005 (Frank Druffner,
Martin Schalhorn: Götterpläne und Mäusegeschäfte. Schiller 1759-1805, Katalog zur Aus-
Schiller und die Komödie
263
denen sich Körner auseinanderzusetzen hat. Sie reizen ihn derart, daß er einem
Kandidaten der Theologie, der seine Dissertation vorlegt, mit einer »ausfallende[n] Reaktion« (NA 5N, 616) begegnet: »Er kann mich im Arsch leken« (NA
5N, 295), heißt es rüde. Am Ende sind die geplanten vormittäglichen Aktivitäten
auf nur eine Tätigkeit zusammengeschrumpft, die Körner trotzig verkündet: »Ich
habe mich rasieren lassen!« (NA 5N, 297) 45 Seine »aufgestaute Wut« macht
deutlich, 46 daß Schillers Komödie noch »zu sehr aus der Empfindung […] geschöpft« (NA 22, 326) ist. Da es ihr nicht gelingt, alles »Pathetische« (ebd.) abzuwehren, kann sie nicht als preiswürdig gelten. Zwar behauptet Schiller noch
im Mai 1801: »ich [fühle] mich derjenigen Komödie, wo es mehr auf komische
Zusammenfügung der Begebenheiten als auf komische Charaktere ankommt,
gewachsen« (NA 31, 36). Einen literarischen Beweis dieser Aussage hat er jedoch nie erbracht.
Zweitens: Ludwig Ferdinand Hubers Lustspiel Offene Fehde (1788). – Im
Jahr 1797 entwirft Schiller den Plan »eines Theater-Calenders« und diskutiert
dieses Vorhaben bis 1799 mehrfach mit Goethe. 47 Zwar wird es letztlich nicht
realisiert, doch sind von insgesamt 20 Dramentiteln 15 überliefert, die Schiller
offenbar für dieses Projekt in einer Liste zusammengestellt hatte (siehe Abbildung, S. 279). 48 Auffällig ist nun im Kontext seiner Beschäftigung mit der Komödie um das Jahr 1800 – dafür seien nochmals die zeitnahe Arbeit am PolizeySujet, die Gespräche mit Goethe über die Komödie 49 sowie die Dramatische
Preisaufgabe angeführt –, daß sich die notierten Dramen wahrscheinlich vorwie-
45
46
47
48
49
stellung vom 23. April bis 9. Oktober 2005 in Marbach und vom 30. Oktober 2005 bis 17.
April 2006 in Weimar, Marbach a.N. 2005 [Marbacher Kataloge, Bd. 58]).
Vgl. NA 5N, 618 mit dem von Grit Dommes gegebenen Hinweis auf Ludvik Holbergs
Lustspiel Der Geschäftige (1743), das Schiller offenbar in Hinsicht auf Körners Rasur als
Strukturmodell gedient hat. Das ist deshalb bemerkenswert, weil Schiller – wie oben zitiert – Holberg in Ueber naive und sentimentalische Dichtung scharf angreift.
Dommes: Art. »Körners Vormittag« (Anm. 15), S. 90.
Brief Schillers vom 22. Dezember 1797 an Friedrich Gottlieb Unger (NA 29, 173, 515).
Vgl auch den Brief Schillers vom 26. Juni 1799 an Goethe (NA 30, 65).
Zur Beschreibung dieser Dramenliste vgl. Nikolas Immer: Maria Stuart und der Graf von
Essex, in: DVjs 78 (2004), H. 4, S. 550-571, hier S. 563f., Anm. 73. Zu korrigieren ist jedoch, daß sich die Dramenliste glücklicherweise – wenngleich nicht vollständig – erhalten
hat, wie jetzt NA 41/IIA, 376, belegt. Wie mir der Herausgeber jenes Bandes, Herr Martin
Schalhorn, freundlicherweise mitteilte, befindet sie sich heute im Goethe-Museum Düsseldorf. Der von mir beschriebene Teil umfaßt dabei nur die ersten zwölf Titel der Gesamtliste, die offenbar in drei Stücke zerteilt wurde. Während die Titel 13-17 herausgeschnitten sind, verzeichnet ein dritter Teil noch drei weitere Dramen. Der erste Teil wurde
zudem – dies in Ergänzung zu meinen Ausführungen in dem oben angeführten Maria
Stuart-Aufsatz – 1955 vom Berliner Antiquar Gerd Rosen erworben, wie mich die Kustodin des Goethe-Museums Düsseldorf, Frau Heike Spies, dankenswerterweise wissen ließ.
Vgl. Catholy: Das deutsche Lustspiel (Anm. 14), S. 137.
264
Nikolas Immer
gend aus Komödien zusammensetzen. 50 Womöglich bildet der Vermerk von Hubers Offener Fehde auch den Anlaß, die Komödie nach knapp zehn Jahren Spielpause erneut ins Programm des Weimarer Theaters zu nehmen. 51
Schiller hatte bereits 1790 Hubers Trauerspiel Das heimliche Gericht und
1791 Hubers Lustspiel Juliane veröffentlicht. Doch sowohl das Ritterstück Das
heimliche Gericht, das sich motivisch an Goethes Götz von Berlichingen mit der
eisernen Hand (1773) anlehnt, das aber »mit häufig verwirrenden Dialogen […]
und Unstimmigkeiten« aufwartet, als auch das rührende Familienstück Juliane,
das ebenfalls von einer »oftmals verworren[en]« Sprache geprägt ist, finden
beim Publikum nur negativen oder gar keinen Anklang. 52
Schillers Förderung Hubers erstreckt sich jedoch nicht nur auf die Publikation seiner Dramen: Schon 1787 hatte er versucht, die Komödie Offene Fehde
bei verschiedenen Theatern unterzubringen. Im Brief vom 18. Juli 1787 an den
Hannoveraner Theaterdirektor Gustav Friedrich Wilhelm Großmann schreibt
Huber selbst: »Es ist ein lustiges Intrigenstück, ohngefähr im Geschmak des Figaro« (NA 24, 328). Pierre Augustin Caron de Beaumarchais’ Lustspiel La
Folle journée ou le Mariage de Figaro (UA: 1784; ED: 1785), das Huber bereits
1785 übersetzt und anonym bei Georg Joachim Göschen veröffentlicht hatte,53
50
51
52
53
Aufgrund des fehlenden Teils der Dramenliste (siehe Anm. 48) ist hier nur eine relative
Aussage zu treffen. Neun der fünfzehn Dramen sind Komödien; hier in chronologischer
Folge: François Marie Arouet de Voltaire: Das Caffee-Haus oder die Schottländerinn. Ein
Lustspiel, Berlin u.a. 1761; Jakob Michael Reinhold Lenz: Der Hofmeister oder Vortheile
der Privaterziehung. Eine Komödie, Leipzig 1774; Johann Christian Bock: Die Holländer,
oder: Was vermag ein vernünftiges Frauenzimmer nicht! Ein Lustspiel in drei Aufzügen
nach Carlo Goldoni, Leipzig 1778; Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer: Die väterliche Rache, oder Liebe für Liebe. Ein Lustspiel in vier Aufzügen nach William Congreve, Wien
1783; Johann Friedrich Jünger: Der offene Briefwechsel. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen,
Wien 1784; Friedrich Ludwig Schröder: Der Fähndrich oder der falsche Verdacht. Ein
Original-Lustspiel in drei Aufzügen, Hamburg 1786; Ludwig Ferdinand Huber: Offene
Fehde. Ein Lustspiel in drei Aufzügen nach dem Französischen, Mannheim 1788; Friedrich Wilhelm Gotter: Die Erbschleicher. Ein Lustspiel in fünf Akten, Leipzig 1789. Darüber hinaus verzeichnet die Dramenliste noch ein nicht näher spezifiziertes »Lustspiel.
von Brandes« (NA 41/IIA, 376).
Unter Joseph Bellomo wird Hubers Offene Fehde zuletzt am 17. Februar 1791 gegeben,
bevor sie am 3. November 1800 unter Goethe erneut inszeniert wird. Vgl. Sabine Dorothea Jordan: Ludwig Ferdinand Huber (1764-1804). His life and works, Stuttgart
1978 (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik, Nr. 57), S. 276f.
Andrea Hahn: Art. »Ludwig Ferdinand Huber: Das heimliche Gericht«, in: Dramenlexikon des 18. Jahrhunderts, hg. von Heide Hollmer und Albert Meier unter Mitarbeit von
Lars Korten und Thorsten Kruse, München 2001, S. 132f., hier S. 133; Dies.: Art. »Ludwig Ferdinand Huber: Juliane«, in: ebd., S. 134. Vgl. auch Jordan: Ludwig Ferdinand Huber (Anm. 51), S. 61-63, 173f., 175f.; Alt: Schiller (Anm. 15), Bd. 1, S. 399.
Zu Hubers vielfältiger Tätigkeit als Übersetzer vgl. Geneviève Roche: Übersetzen am laufenden Band. Zum Beispiel Ludwig Ferdinand Huber & Co, in: Kulturtransfer im Epo-
Schiller und die Komödie
265
findet schnell starke Verbreitung und avanciert zum Maßstab der zeitgenössischen Intrigenkomödie. 54 Beispielsweise orientiert sich auch Picard mit seinem
später von Schiller übersetzten Stück Médiocre et rampant, ou le moyen de parvenir an Beaumarchais’ Figaro. 55 Doch was bei Huber nur »ohngefähr im Geschmak des Figaro« gestaltet ist, wird vielmehr als eine Adaption von Antoine
Jean Bourlins Guerre ouverte ou ruse contre ruse (1786) kenntlich. 56 Sein werbewirksamer Figaro-Hinweis zielt dabei vor allem auf die Momente des Verkleidens und Verstellens, die in seiner Komödie sowohl beabsichtigte als auch
zufällige Verwechslungen provozieren. 57 Denn während der Kammerdiener Figaro die Pläne des Grafen Almaviva heimlich zu durchkreuzen versucht, wagen
es der Oberst von Haller und Baron von Seeburg, eine offene Fehde auszutragen.
Gegenstand der Fehde ist ein launiger Wettstreit um die Tochter des Oberst
von Haller: Im gleichen Maße wie der Vater sie vor den Annäherungsversuchen
des Barons von Seeburg zu bewahren hofft, ist dieser bestrebt, sie aus der
Schutzhaft seines zukünftigen Schwiegervaters zu befreien. Während der Vater
auf allerlei Präventivmaßnahmen verfällt und die Diener in seine Abwehrtaktiken einbindet, gelingt es dem Baron dennoch, sich unerkannt Karoline von
Haller zu nähern und sie für sich einzunehmen. Trotz des Geschicks des im
Grunde unerwünschten Liebhabers bleibt das Verhältnis zwischen Vater und
Tochter gefestigt, da die Stabilität ihrer familiären Beziehung nicht zuletzt auf
einer autoreferentiellen Reflexion über die zeittypischen Rollenbilder gründet.
Denn gegenüber dem Vater äußert Karoline:
Jezt spiel ich also die Rolle eines armen bedrängten Mädchens, dem ein mürrischer,
launischer Vormund beständig auflauert. Das Gesicht in steifen Falten, die Augen
niedergeschlagen, verstohlne Blicke, immer horchend und aufpassend, nicht wahr, so
54
55
56
57
chenumbruch. Frankreich – Deutschland 1770 bis 1815, hg. von Hans-Jürgen Lüsebrink
u.a., Leipzig 1997 (Deutsch-Französische Kulturbibliothek, Bd. 9.1), S. 331-359.
Bereits für das Erscheinungsjahr 1785 lassen sich neun deutsche Übersetzungen nachweisen. Vgl. Michel Grimberg: Die Rezeption der französischen Komödie. Ein Korpus
von Übersetzervorreden (1694-1802), Bern u.a. 1998 (Collection ›Contacts‹, Série II: Gallo-germanica, Vol. 24), S. LV.
Bereits Picards Titel zitiert den Figaro: Denn die Worte »médiocre et rampant« (›mittelmäßig und kriecherisch‹) äußert der Kammerdiener Figaro in Szene III/5 gegenüber dem
Grafen Almaviva. Vgl. Catholy: Das deutsche Lustspiel (Anm. 14), S. 155, und auch
Staaks: The theatre (Anm. 21), S. 385-387.
Hervorhebung von mir, NI. Vgl. Jordan: Ludwig Ferdinand Huber (Anm. 51), S. 50. Gegenüber Großmann nennt Huber sein Stück im Brief vom 11. August 1787 seinen »germanisirte[n] Franzose[n]« (ebd., S. 273).
Zur komischen Wirkung der Verwechslung schreibt Picard: »les méprises ouvrirent longtemps à ce genre une source abondante de comique; et comme rien ne produit plus de
méprises que les ressemblances, ce moyen fut mis en œuvre par une foule de comiques«
(zit. nach NA 15, 533).
266
Nikolas Immer
muß ich aussehen. Vergessen sie auch nicht, sich in ihren Karakter zu schicken,
polternd – unruhig, eifersüchtig. 58
Indem Extremformen der verbindlichen Verhaltensnormen spielerisch zu Bewußtsein gebracht werden, verliert der tatsächliche Konflikt an Schärfe. Daher
kann Oberst von Haller, der als Verlierer aus diesem »schnurrige[n] Handel«
hervorgeht, 59 in die abschließende Versöhnung miteinstimmen. Somit ist am
Ende die »Entwirrung aller Verlegenheiten« durch »die Heirath« eingetreten. 60
Doch hinter der gelösten Stimmung wird deutlich, daß Huber ein in der Literatur des 18. Jahrhunderts verbreitetes Thema variiert: Nämlich das Dilemma
der »mißratene[n] Töchter«, 61 sich zwischen Vaterpflichten und Liebesneigung
entscheiden zu müssen. Damit tritt zutage, daß Hubers Stück im Kern »aus sittlichen Rührungen geschöpft« (NA 22, 326) ist. Ob es daher noch für die in Aussicht gestellten dreißig Dukaten in Frage gekommen wäre, muß durchaus bezweifelt werden. Konnte es also überhaupt eine Komödie geben, die Schillers
Anforderungen entsprach?
Das grundsätzliche Problem besteht darin, daß Schiller seine komödientheoretischen Ausführungen an keinem literarischen Beispiel konkretisiert. Weder
hat er einen Prototyp gestaltet, noch einen Phänotyp benannt, der als idealtypische Ausformung des theoretischen Postulats zu gelten hätte. Selbst die Charakterkomödie, die in der Dramatischen Preisaufgabe nicht gefordert ist, wird
zwar, sofern sie »Gattungen« (NA 22, 327) behandelt, mit dem Vorbild Molière
58
59
60
61
Ludwig Ferdinand Huber: Offene Fehde. Ein Lustspiel in drei Aufzügen nach dem Französischen, Mannheim 1788, S. 50f. (= Szene II/11). Aufgrund solcher werkimmanenter
Reflexion über gängige Rollenvorstellungen ist dem Stück nicht schlechthin ein Mangel
an »feiner Charakteristik« zu unterstellen, wie dies Karl Heinrich Heydenreich indirekt für
das französische Original tut. Vgl. Karl Heinrich Heydenreich: Grundsätze der Kritik des
Lächerlichen mit Hinsicht auf das Lustspiel. Nebst einer Abhandlung über den Scherz und
die Grundsätze seiner Beurtheilung, Leipzig 1797, S. 121f.: »Daher täuschen sich die
Lustspieldichter so sehr, wenn sie durch blosse, wenn auch noch so kunstvolle, Gewebe
von Begebenheiten das Gefühl des Komischen bewirken wollen, und die Charakterzeichnung der Personen vernachlässigen. Ein so genanntes Intriguenstück, wo man alles Interesse von der Wirkung der Begebenheiten erwartet, ist ein höchst fades Product, welches
man kaum einmahl ohne Gähnen sieht. Erinnere man sich mancher Französischen Stücke,
z. B. Guerre ouverte von Dumaniant [= Pseudonym Bourlins]. Les noces de Figaro von
Beaumarchais [dagegen] ist ein Intriguenstück mit feiner Charakteristik.« Die Menge der
Inszenierungen von Offene Fehde spricht jedoch dafür, daß die Komödie das zeitgenössische Publikum keineswegs nur zum »Gähnen« brachte. Vgl. Jordan: Ludwig Ferdinand
Huber (Anm. 51), S. 272-277. Gegenüber Großmann räumt Huber jedoch selbst ein, daß
sein Stück »zwar nicht von ausgezeichnetem Verdienst«, aber von unfehlbarer allgemeiner
Würkung« (Brief vom 11. August 1787; ebd., S. 274) sei.
Huber: Offene Fehde (Anm. 58), S. 21 (= Szene I/5).
Johann Wolfgang Goethe: Nachlese zu Aristoteles’ Poetik (1827; WA I, 41/II, 249).
Peter von Matt: Verkommene Söhne, mißratene Töchter. Familiendesaster in der Literatur,
München/Wien 1995.
Schiller und die Komödie
267
in Verbindung gebracht (ebd.). Doch im Nachlaßfragment Tragödie und Comödie bewertet Schiller, wo er speziell auf Le Tartuffe ou l’impositeur (1669)
eingeht, Molières Komödie keineswegs als ein repräsentatives Exempel: 62
Wenn Moliere wirklich durch Darstellung seines Heuchlers unsre Indignation unsern
Abscheu erregt, so hat er freilich unrecht und in diesem Fall hätte ihn der Genius der
Comödie verlaßen. Auch den Heuchler kann die Comödie behandeln, aber dann muß
es so geschehen, daß nicht er abscheulich, sondern die welche er betrügt lächerlich
werden. (NA 21, 92)
Aufgrund dieser Einschätzung verwundert es nicht, daß Schiller, wenn er in
Ueber naive und sentimentalische Dichtung abwertend auf die »neuesten« (NA
20, 479) Komödiendichter zu sprechen kommt, auch Molière in seine Aufzählung einbezieht. Als darüber hinaus Schiller am 2. Mai 1798 den Danziger Philosophieprofessor Johann Karl Simon Morgenstern empfängt, lenkt er das Gespräch ebenfalls auf die »Komödie der Neuern«. 63 Doch leider berichtet Morgenstern weiter: Schillers »Äußerung von der großen Schwierigkeit des Echtkomischen, weil dazu ein Ideal gehöre etc., verstand ich nur halb«. 64
IV. Die theoretische Konzeption der Komödie
Um nicht in die Lage Morgensterns zu geraten, soll versucht werden, Schillers
Theorie der Komödie aus dem Nachlaßfragment Tragödie und Comödie, vor
allem aber aus der Abhandlung Ueber naive und sentimentalische Dichtung zu
rekonstruieren. Dabei macht jedoch die »vertrackte Duplizität des Naiven und
Sentimentalischen« eine solche Rekonstruktion nicht eben einfach. 65 Denn in
Schillers Text verschränken sich nicht nur Geschichtsphilosophie, Literaturtheorie und Künstlertypologie, auch changiert deren Darstellung zwischen zweiund dreigliedrigen Stufenmodellen. Daraus folgt, daß eine Interpretation, welche
die Spezifik von Schillers Komödienkonzeption hinterfragt, die skizzierte Komplexität aus rein pragmatischen Gründen reduzieren muß. Im folgenden wird –
62
63
64
65
Vgl. dagegen Sharpe: Schiller’s fragment (Anm. 14), S. 118: »Schiller […] quotes the
example of Molière’s Tartuffe to show how the theme of hypocrisy, a subject which might
seen inevitably to arouse moral distaste, can be treated successfully in comedy«.
Kurt Schreinert: Karl Morgenstern. Besuche in Weimar und Jena 1797 und 1798 [sowie]
Besuch in Weimar im Juli 1800, in: Goethe. Neue Folge des Jahrbuchs der Goethe-Gesellschaft 4 (1939), S. 60-91, 232-256, hier S. 86; auch NA 42, 240. Zur Beziehung von
Schiller und Morgenstern vgl. Nikolas Immer: Distanzierte Wertschätzung. Zum Verhältnis von Johann Daniel Falk und Friedrich Schiller, in: Wezel-Jahrbuch. Studien zur europäischen Aufklärung 8 (2005), S. 131-165, hier S. 151f.
Schreinert: Morgenstern (Anm. 63), S. 86; auch NA 42, 240.
Carsten Zelle: Art. »Über naive und sentimentalische Dichtung (1795/96)«, in: SchillerHandbuch (Anm. 15), S. 451-479, hier S. 454. Vgl. FA, Bd. 8, S. 1422.
268
Nikolas Immer
was zu begründen ist – einer triadischen geschichtsphilosophischen Perspektive
die Prädominanz eingeräumt.
Der sentimentalische Zustand ist aufgrund seines reflexiven Charakters immer schon zeitlich indiziert. Das heißt, daß die Verlusterfahrung einstiger Ganzheit, die das Sentimentalische kennzeichnet, stets auf ein Vergangenes referiert.
Das Naive dagegen kennt das Moment der Selbstdistanzierung nicht, sondern
steht für die Erfahrung ursprünglicher Einheit. Damit ist die Differenz von
›naiv‹ und ›sentimentalisch‹ zunächst als eine typologische bzw. individualgeschichtliche bestimmt. Doch mit Bezug auf den »empfindsame[n] Freund der
Natur« (NA 20, 428) formuliert Schiller zugleich eine Gegenwartsdiagnose im
Sinne Rousseaus, womit er die anthropologische Typologie zeitkritisch wendet.
Antike und Moderne werden als Oppositionsverhältnis von Natur und Kultur in
Stellung gebracht, die Entfremdungserscheinung der Moderne wird gegenüber
der Harmonieleistung der Antike abgewertet. Erst mit der Erweiterung in ein
dreigliedriges menschheitsgeschichtliches Modell, das die Option eines idealen
Zustands in Aussicht stellt, erfolgt die Umkehrung der Hierarchiepositionen von
Antike und Moderne. 66 Hier gewinnt das Sentimentalische essentielle Bedeutung, weil kenntlich wird, daß der sentimentalische Projektionsvorgang das geschichtsphilosophische Schema überhaupt erst konstituiert. Denn zum einen ist
die Konstruktion einer ursprünglichen naiven Einheit Resultat der modernen
Verlusterfahrung. 67 Zum anderen wird diese Einheit ihrerseits zu einem idealen
Ziel, das es unter den Bedingungen sentimentalischer Gegenwart neu anzustreben gilt. 68
Daß im folgenden einem triadischen Geschichtsmodell der Vorrang eingeräumt wird, läßt sich zunächst damit belegen, daß Schiller eine solche Konzeption bereits während seiner Kommentierung von Wilhelm von Humboldts Aufsatz Ueber das Studium des Alterthums und des Griechischen insbesondere
(1793) affirmiert. Schon dort wird ein dreistufiges Schema der Menschheitsge66
67
68
»Solange Schiller innerhalb eines dichotomischen, Antike und Moderne entgegensetzenden Schemas argumentiert, steht er auf der Seite Rousseaus, spielt Natur gegen Kunst
bzw. Kultur aus, benutzt dafür freilich auch einen ›gelifteten‹ Naturbegriff. Sobald Schiller dagegen das dichotomische Schema zugunsten eines trichotomischen Modells, das die
Entgegensetzung von Natur und Kunst um das Ideal erweitert, verlässt, kippen die bis
dahin gültigen Vorzeichen. Jetzt macht Schiller ›Front‹ gegen Rousseau, schwärzt den
Naturbegriff und entdeckt in der Entfremdung Freiheit« (ebd., S. 459).
Vgl. ebd., S. 455. So fragt schon August Wilhelm Schlegel in seinen Berliner Vorlesungen
1802/1803: »denn für wen ist denn das sogenannte Naive naiv, außer für den Sentimentalen?« (zit. nach FA, Bd. 8, S. 1443).
Wolfgang Düsing spricht dementsprechend von der »Herstellung einer höheren Einheit im
Durchgang durch die moderne Entzweiung« (Wolfgang Düsing: Ästhetische Form als
Darstellung der Subjektivität. Zur Rezeption Kantischer Begriffe in Schillers Ästhetik, in:
Schillers Briefe über die ästhetische Erziehung, hg. von Jürgen Bolten, Frankfurt a.M.
1984, S. 185-228, hier S. 215).
Schiller und die Komödie
269
schichte entfaltet: »In der ersten Periode waren die Griechen. In der zweyten stehen wir. Die dritte ist also noch zu hoffen, und dann wird man die Griechen
auch nicht mehr zurück wünschen« (NA 21, 63). Humboldt seinerseits, der den
brieflichen Austausch mit Schiller fortsetzt, kommt nach der Lektüre der ersten
zwei Teile von Ueber naive und sentimentalische Dichtung jedoch zu folgendem
Ergebnis:
Denn nur insofern von dem Dichter und seinem Werk […] die Rede ist, kann ich zugeben, daß die naive Poesie der sentimentalischen an die Seite gestellt werde, und daß
man den Vorzug der einen mit dem der andern vergleichen wolle; sobald man aber von
der Gattung spricht, kann ich die naive für nichts andres als für eine frühere Stufe und
nur die sentimentalische für den Gipfel erkennen. (NA 36/I, 56f.) 69
Darauf antwortet Schiller im dritten Teil seiner Abhandlung mit einer Anmerkung, die auf den »wissenschaftlich prüfenden Leser« (NA 20, 473) Humboldt
gemünzt ist, worin er unter Berufung auf Kants Kategorientafel ein trichotomisches Modell gegen Humboldts Interpretation in Geltung bringt:
Das Gegentheil der naiven Empfindung ist nehmlich der reflektirende Verstand, und
die sentimentalische Stimmung ist das Resultat des Bestrebens, auch unter den Bedingungen der Reflexion die naive Empfindung, dem Innhalt nach, wieder herzustellen. Dieß würde durch das erfüllte Ideal geschehen, in welchem die Kunst der Natur
wieder begegnet. Geht man jene drey Begriffe nach den Kategorien durch, so wird
man die Natur und die ihr entsprechende naive Stimmung immer in der ersten, die
Kunst als Aufhebung der Natur durch den frey wirkenden Verstand immer in der
zweyten, endlich das Ideal, in welchem die vollendete Kunst zur Natur zurückkehrt, in
der dritten Kategorie antreffen. (NA 20, 473)
In seinem bahnbrechenden Aufsatz Das Naive ist das Sentimentalische. Zur Begriffsdialektik in Schillers Abhandlung (1972) hat Peter Szondi diese Passage als
Beleg für seine Titelthese ausgewertet, die bis heute als schlüssiger Interpretationszugang gilt. 70 Schillers Rekurs auf Kants Kategorientafel schärft Szondi insofern, als er Kants Erklärung zitiert, derzufolge »die dritte Kategorie allenthalben aus der Verbindung der zweiten mit der ersten ihrer Klasse entspringt«.71
Damit ist eine Struktur vorgegeben, die mit Schillers Ausführungen zu vermitteln ist. Nach Szondi entspreche der ersten Kategorie das Naive (Natur), der
zweiten die Reflexion (Kunst) und der dritten, synthetisierenden Kategorie das
69
70
71
Brief vom 18. Dezember 1795 an Schiller. Ueber naive und sentimentalische Dichtung erscheint 1795 bis 1796 in drei Teilen in den Horen. Vgl. NA 21, 286.
Peter Szondi: Das Naive ist das Sentimentalische. Zur Begriffsdialektik in Schillers Abhandlung, in: Ders.: Schriften II: Essays: Satz und Gegensatz. Lektüren und Lektionen.
Celan-Studien. Anhang: Frühe Aufsätze, hg. von Jean Bollack u.a. Frankfurt a.M. [11977]
1978, S. 59-105. Zur an Szondi orientierten Interpretation vgl. exemplarisch Alt: Schiller
(Anm. 15), Bd. 2, S. 220f.
Zit. nach Szondi: Das Naive ist das Sentimentalische (Anm. 70), S. 97 (= KrV, § 11).
270
Nikolas Immer
Sentimentalische (Ideal). 72 Die Gleichsetzung von Sentimentalischem und Idealischem aber habe zum Resultat, daß, könne das Naive im Sentimentalischen
›wiedergewonnen‹ werden, die postulierte »Antithesis« von naiv und sentimentalisch nicht mehr aufrecht zu erhalten sei. 73
Gegen diese Interpretation lassen sich zwei Einwände geltend machen. Zum
ersten beruft sich Szondi auf einen Hinweis von Dieter Henrich, der darauf
aufmerksam gemacht hat, »daß bei Kant […] die zweite Kategorie nicht als
Gegenteil der ersten konzipiert« sei.74 Werden aber das Naive und die Reflexion
als erste und zweite Kategorie begriffen, dann läßt sich die Behauptung, hier
liege – gemäß Kant – kein oppositionales Verhältnis vor, nicht mehr mit Schillers Text vereinbaren. Denn Schiller formuliert in aller Deutlichkeit: »Das Gegentheil der naiven Empfindung ist nehmlich der reflektirende Verstand«
(ebd.). 75 Zum zweiten, und damit wird das eigentliche Argument gegen Szondis
strukturelle Zuschreibung vorgebracht, hängt die begriffliche Konturierung des
Dreischritts davon ab, in welcher Bedeutung das Wort »Resultat« (ebd.) verstanden wird. Carsten Zelle hat aufgezeigt, daß Szondi ›Resultat‹ im modernen
Sinne von ›Ergebnis‹, nicht aber im historischen Sinne von ›Wirkung‹ bzw.
›Hauptinhalt‹ gebraucht. 76 Wird jedoch der historische Wortsinn in Geltung gesetzt, ist das Sentimentalische als Hauptinhalt »des Bestrebens« zu begreifen,
»auch unter den Bedingungen der Reflexion die naive Empfindung, dem Innhalt
nach, wieder herzustellen« (ebd.). Damit wird die Supraposition des Idealischen
akzentuiert: Erst die gelungene Reinstallation des Naiven im Zustand des Sentimentalischen bezeichnet »das erfüllte Ideal« (ebd.).
Schillers Konzeption eines triadischen geschichtsphilosophischen Modells
läßt sich darüber hinaus stärken, sobald dem Moment einer implizierten Progression Bedeutung zugemessen wird. Läge nämlich der Akzent allein auf dem Dualismus von naiv und sentimentalisch, ergäbe sich eine nur statische Polarität, bei
der fraglich bliebe, woher sich die geforderte Entwicklung zum »erfüllte[n]
Ideal« (ebd.) ergeben sollte. Dagegen hatte Schiller bereits im zweiten Teil von
Ueber naive und sentimentalische Dichtung die Dynamik einer dreigliedrigen
Struktur angedeutet:
Vergleicht man […] die Arten [naiv und sentimentalisch] selbst mit einander, so zeigt
sich, daß das Ziel, zu welchem der Mensch durch Kultur strebt, demjenigen, welches
er durch Natur erreicht, unendlich vorzuziehen ist. Der eine erhält also seinen Werth
72
73
74
75
76
Ebd., S. 98.
Ebd.
Ebd., S. 97, Anm. 137. Anzumerken ist, daß für diese Interpretation kein Argument angeführt wird. Und selbst wenn Henrich hier zu folgen ist, heißt das noch nicht, daß
Schiller die Kant-Passage auch im Sinne Henrichs – also als nicht-oppositionalen Beziehungsmodus zwischen erster und zweiter Kategorie – verstanden habe.
Hervorhebung von mir, NI.
Zelle: Art. »Über naive und sentimentalische Dichtung (1795/96)« (Anm. 65), S. 461.
Schiller und die Komödie
271
durch absolute Erreichung einer endlichen, der andre erlangt ihn durch Annäherung zu
einer unendlichen Größe. (NA 20, 438)
Nur der zweite Weg, schreibt Schiller weiter, sei durch »Grade« und »Fortschritt« (ebd.) gekennzeichnet. Erst der Zielpunkt eines orientierenden Ideals
hebt durch die infinite Approximation an ebendieses Ideal jenen dualistischen
Stillstand auf. Somit kann Schiller gegenüber Humboldt präzisieren: »Die
sentimentalische [Empfindungsweise] wird von mir nur als nach dem Ideale
strebend vorgestellt« (NA 28, 144). 77
Das Sentimentalische wird jedoch nicht nur als Verbindungsglied zwischen
Natur und Ideal betrachtet. Schiller entwirft zugleich ein differenziertes poetologisches Modell, das er auf der Ebene des Sentimentalischen situiert und in
dessen Rahmen die Komödie abermals behandelt wird. Aus der hier favorisierten Prädominanz des geschichtsphilosophischen Schemas lassen sich für die
sentimentalische Poetik zwei Konsequenzen ziehen: Zum einen bleibt die typologische Unterscheidung künstlerischer Seinsweisen nurmehr tendenziell haltbar. Das heißt, daß es auf der Zeitstufe des Sentimentalischen grundsätzlich ausgeschlossen bleibt, naive Kunst hervorzubringen, daß eine Annäherung an solches Schöpfertum allenfalls noch der Tendenz nach gelingt.78 Dies ist schlichtweg damit zu begründen, daß der aktuell erreichte Grad sentimentalischer Reflektiertheit prinzipiell unhintergehbar ist. 79 Zum anderen läßt sich die triadisch77
78
79
Brief vom 25. Dezember 1795. Szondi, der die Überlegung auf die sentimentalische Poesie zuspitzt, gelangt dabei zu der Feststellung, daß »schon bei Schiller […] die sentimentalische Poesie eine progressive heißen« (Szondi: Das Naive ist das Sentimentalische
[Anm. 70], S. 95) könne. Dennoch bleibt zu beachten, daß die sentimentalische Poesie,
wie Schiller Humboldt mitteilt, stets Entwicklungsgrenze ihrer selbst bleibt: »Die sentimentalische Poesie ist zwar Conditio sine qua non von dem poetischen Ideale, aber sie ist
auch eine ewige Hinderniß desselben« (NA 28, 145).
»Fühlt sich der Moderne griechischen Geistes genug, um bey aller Widerspenstigkeit
seines Stoffs mit den Griechen auf ihrem eigenen Felde, nehmlich im Felde naiver Dichtung, zu ringen, so thue er es ganz, und thue es ausschließend, und setze sich über jede
Foderung des sentimentalischen Zeitgeschmacks hinweg. Erreichen zwar dürfte er seine
Muster schwerlich; zwischen dem Original und dem glücklichsten Nachahmer wird immer
eine merkliche Distanz offen bleiben« (NA 20, 471).
Heinrich von Kleist wird diese Problemlage in seinem Aufsatz Über das Marionettentheater (1810) folgendermaßen darstellen: »Doch das Paradies ist verriegelt und der
Cherub hinter uns; wir müssen die Reise um die Welt machen, und sehen, ob es vielleicht
von hinten irgendwo wieder offen ist« (Heinrich von Kleist: Sämtliche Werke und Briefe
in vier Bänden, hg. von Ilse-Marie Barth u.a., Bd. 3: Erzählungen. Anekdoten. Gedichte.
Schriften, Frankfurt a.M. 1990, S. 559). Diese Reise um die Welt unternimmt bei Schiller
die sentimentalische Poesie, die, wenn sie sich vervollkommnet hat, den Hintereingang ins
Paradies der idealischen Poesie gefunden hat. Vgl. auch Norbert Oellers: Heinrich von
Kleists ästhetische Konzepte, in: Kleist – ein moderner Aufklärer?, hg. von Marie HallerNevermann und Dieter Rehwinkel, Göttingen 2005 (Genshagener Gespräche, Bd. VIII),
S. 61-76, hier S. 71f.
272
Nikolas Immer
dynamische Struktur von naiv – sentimentalisch – idealisch im Rahmen der Poetologie sowohl auf phänomenologischer als auch auf teleologischer Ebene wiedererkennen. Das bedarf seinerseits erläuternder Ausführungen, die zurück auf
die Frage nach Schillers Konzeption der Komödie lenken.
Die sentimentalische Poetik, die Schiller entwirft, wird zunächst phänomenologisch aufgefächert. Dabei bildet das je spezifische Differenzverhältnis von
Wirklichkeit und Ideal das qualifizierende Kriterium in Schillers Systematisierungsversuch. Die »Dichtungsarten« werden daher nicht mehr gattungspoetisch,
sondern nach den in ihnen »herrschende[n] Empfindungsweise[n]« (NA 20, 449)
unterteilt. 80 Entgegen dem traditionellen Verständnis etabliert Schiller ein triadisches Schema, in dem die satyrische, die elegische und die idyllische Empfindungsweise unterschieden werden. Bei der Satyre stehen Wirklichkeit und Ideal
im Widerspruch, bei der Elegie treten sie sowohl in Opposition als auch in Übereinstimmung, und die Idylle bringt sie zur Deckung (NA 20, 466). Aufgrund
ihrer Binnendifferenzierung gewinnt die Idylle darüber hinaus einen zeitlichen
Index: Während die arkadische Idylle einen Zustand der Vergangenheit beschreibt und sich damit dem Naiven nähert, gestaltet die elysische Idylle einen
zukünftigen Zustand und deutet in dieser Perspektive auf das Idealische voraus.
Damit wird das dreigliedrige Stufenmodell eingeholt, ohne daß die Ebene der
sentimentalischen Poesie verlassen wird. Arkadische und elysische Idylle sind
daher nicht mit naiver und idealischer Kunst identifizierbar. Vielmehr zeigt sich
dort die Darstellungsmöglichkeit von Naivem und Idealischem im Geltungsraum
der sentimentalischen Poesie.
Im Herbst 1795 versucht Schiller selbst, eine elysische Idylle zu entwerfen,
vollendet aber die projektierte Vermählung des Herkules mit der Hebe nicht. Im
Brief vom 29. und 30. November 1795 an Humboldt schlägt er daraufhin die
Brücke zur Komödie: »Eine solche Idylle würde eigentlich das Gegenstück der
hohen Comödie seyn […]. Die Comödie schließt nehmlich gleichfalls alles
Pathos aus, aber ihr Stoff ist die Wirklichkeit« (NA 28, 119). Weil »ihr Stoff die
Wirklichkeit« ist, erkennt Schiller der Komödie den theoretischen Ort zu, Binnenform der ›Satyre‹ zu sein. Als »scherzhafte Satyre« steht sie der »strafende[n]« ›Satyre‹ (NA 20, 442), der Tragödie, gegenüber. 81
80
81
»Schließlich bemerke ich noch, daß die […] versuchte Eintheilung, eben deßwegen weil
sie sich bloß auf den Unterschied in der Empfindungsweise gründet, in der Eintheilung der
Gedichte selbst und der Ableitung der poetischen Arten ganz und gar nichts bestimmen
soll« (NA 20, 449). – Schon Karl Heinrich Heydenreich differenziert in seinem System der
Ästhetik (1790) die »dramatische Poesie« nach den »Empfindungszustände[n]«, in die der
Rezipient versetzt werde (Karl Heinrich Heydenreich: System der Ästhetik, mit einem
Nachwort von Volker Deubel, Leipzig 1790, Hildesheim r1978, S. 308f.).
Zu Schillers Satire-Begriff vgl. auch Burkhardt Lindner: Das Lachen im Tempel des Schönen. Zur Subversivität des Komischen in der Autonomieperiode, in: Deutsche Literatur
zur Zeit der Klassik, hg. von Karl Otto Conrady, Stuttgart 1977, S. 267-282, hier S. 270f.
Schiller und die Komödie
273
Diese Zuordnung scheint auf den ersten Blick fragwürdig zu sein. Denn
während Schiller die sentimentalische Poetik gerade nicht als eine Gattungspoetik konzipiert (NA 20, 449, 466), werden hier zwei literarische Gattungen,
die Tragödie und die Komödie, in die Architektur des poetologischen Modells
integriert. Der entstehende Widerspruch läßt sich jedoch lösen, sofern einzig die
sentimentalisch-satyrischen Ausprägungen beider Gattungen – und nicht die
jeweilige Gattung schlechthin – modellkonform gewertet werden. 82 Das heißt,
daß mit dieser Lesart eine Teilung der Gattungen in ihre naiven und ihre sentimentalischen Ausformungen vorgenommen wird. Gestützt wird diese These insbesondere von Schillers Reflexionen über die Komödie.
Indem er Fragen des Geschmacks anspricht, formuliert Schiller die Behauptung, »daß selbst gebildete Schriftsteller nicht immer von Plattheiten frey bleiben« (NA 20, 478). Da sich nun der Komödiendichter »am meisten von dem
wirklichen Leben nährt«, ist er »daher auch am meisten der Plattheit ausgesetzt«
(NA 20, 479). Auffällig ist dabei, daß in dem Abschnitt wiederholt von naiven
Dichtern die Rede ist – z. B. von Aristophanes, Shakespeare, Molière oder
Gellert –, daß aber gleichfalls die Komödie als »Satyre« (ebd.) angesprochen
wird. In dem Teil der Forschung, die ein konstitutives dichotomisches Strukturmodell favorisiert, um Schillers Theorie des Naiven und Sentimentalischen zu
fundieren, ist die Passage dahingehend interpretiert worden, daß Schiller die
Komödie letztlich doch als Kunstform des Naiven begreife. 83 Diese Perspektive
wird hier nicht eingenommen. Vielmehr scheint Schiller mit der erwähnten
»Plattheit« (ebd.) ein negatives Qualitätsmerkmal zu formulieren, das sowohl
für die naive als auch für die sentimentalische Komödie Geltung besitzt. Diese
Aufgliederung der Komödie ermöglicht darüber hinaus einen neuen Zugriff: die
Parallelsetzung mit dem Inhalt der Dramatischen Preisaufgabe. Denn während
die komischen Charakterstücke – für deren Unterarten einerseits der »naive[]
Dichter« (NA 20, 439) Molière und andererseits pauschal die englischen Dichter
genannt werden (NA 22, 327) 84 – der naiven Komödie zu entsprechen scheinen,
lassen sich die komischen Intrigenstücke mit der sentimentalischen Komödie in
Verbindung bringen. Sofern nun dieser Parallelsetzung Folge geleistet werden
kann, ist Schillers Schärfung des Komödienbegriffs vor allem als theoretische
Erkundung desjenigen Dramentyps zu verstehen, der in der Dramatischen Preisaufgabe als komisches Intrigenstück eingefordert wird.
82
83
84
Die theoretische Verortung der Tragödie relativiert Schiller selbst: »Wer daher […] noch
fragen könnte, zu welcher von den drey Gattungen [Satyre, Idylle, Elegie] ich die Epopee,
den Roman, das Trauerspiel u. a. m. zähle, der würde mich ganz und gar nicht verstanden
haben« (NA 20, 466, Hervorhebung von mir, NI).
Vgl. Heininger: Die Kanaille Franz (Anm. 14), S. 848; Endres: Das »depotenzierte« Subjekt (Anm. 14), S. 34.
Bei den englischen Dichtern kann durchaus an den »erhabene[n]« (NA 20, 479), weil
ebenfalls naiven Shakespeare gedacht werden (NA 20, 433).
274
Nikolas Immer
Daneben wird die triadisch-dynamische Struktur geschichtsphilosophischer
Prägung im Rahmen der sentimentalischen Poetik auch dort erkennbar, wo Tragödie und Komödie vergleichend behandelt und im Ergebnis teleologisch gestuft werden. Da aber aus der Perspektive sentimentalischer Zeit das Naive
prinzipiell nicht mehr einholbar ist – bzw. nur in Richtung einer Vervollkommnung im Idealischen –, bleibt es in dieser Staffelung ausgeblendet. Wie angedeutet, geht es Schiller zunächst darum, die Tragödie in eine strukturelle Beziehung zur Komödie zu setzen: 85
Die[] Freyheit des Gemüths in uns hervorzubringen und zu nähren, ist die schöne
Aufgabe der Comödie, so wie die Tragödie bestimmt ist, die Gemüthsfreyheit, wenn
sie durch einen Affekt gewaltsam aufgehoben worden, auf ästhetischem Weg wieder
herstellen zu helfen. In der Tragödie muß daher die Gemüthsfreyheit künstlicherweise
und als Experiment aufgehoben werden; […] in der Comödie hingegen muß verhütet
werden, daß es niemals zu jener Aufhebung der Gemüthsfreyheit komme. (NA 20,
445)
Die Bewertung der dramatischen Gattungen erfolgt hier letztlich – wie bereits in
der Schaubühnen-Rede – »nach dem Maas der erreichten Wirkung« (NA 20,
94). Zwar wird in beiden Fällen die Gemütsfreiheit des Zuschauers angestrebt,
nur kann sie auf indirektem oder direktem Weg erreicht werden. Die Tragödie,
der das Wirkungskonzept des Erhabenen eingeschrieben ist, muß ihrerseits den
Menschen als Sinnenwesen affizieren, um seine Vernunftkräfte aktivieren zu
können. Die Komödie dagegen, der das Wirkungskonzept des Schönen zugeordnet ist, muß nur »immer den Verstand« des Zuschauers »unterhalten« (NA 20,
446), um seine andauernde Gemütsfreiheit zu bewahren. 86 Wenn sie dieses Ziel
erreichte, würde die Komödie »alle Tragödie überflüssig und unmöglich machen« (ebd.). Ist dieser von Schiller selbst gebrauchte Konjunktiv aber ein Potentialis oder ein Irrealis? 87
An Johann Wilhelm Süvern schreibt Schiller am 26. Juli 1800: »Die Schönheit ist für ein glückliches Geschlecht, aber ein unglückliches muß man erhaben
zu rühren suchen« (NA 30, 177). Mit dieser zeitkritischen Diagnose, die mit
ähnlichen Beobachtungen Hubers (1795) 88 und Adam Müllers (1808) 89 konver85
86
87
88
Zur Komplementarität von Tragödie und Komödie bei Schiller vgl. das Schema Catholys:
Das deutsche Lustspiel (Anm. 14), S. 140f.
Daß schon Kant in seinen Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen
(1764) die Tragödie mit dem Wirkungsmechanismus des Erhabenen und die Komödie mit
dem des Schönen koppelt, haben bereits Hinck und Endres aufgewiesen. Vgl. Hinck:
Einführung in die Theorie des Komischen (Anm. 36), S. 26; Endres: Das »depotenzierte«
Subjekt (Anm. 14), S. 36.
Den utopisch-irrealen Charakter von Schillers Formulierung betonen Catholy: Das deutsche Lustspiel (Anm. 14), S. 142, und Sharpe: Schiller’s fragment (Anm. 14), S. 142.
Huber schreibt 1795 im Vorbericht zu der von ihm übersetzten Posse Picards Zwey Poststationen (Le Conteur ou Les deux Postes, 1793): »wenn es in unsern Zeiten scheint, als
Schiller und die Komödie
275
giert, hat Schiller das Publikum seiner Gegenwart im Blick, das zunächst durch
die erhabene Wirkung der Tragödie harmonisiert werden müsse. 90 Damit wird
die teleologische Stufung der dramatischen Gattungen erkennbar: Während es
Aufgabe der Tragödie ist, das sentimentalische ›unglückliche Geschlecht‹ in ein
idealisches ›glückliches Geschlecht‹ umzubilden, ist die Komödie überhaupt erst
jenem zukünftigen Publikum vorbehalten. Auf diesen Nexus hat bereits Hegel in
seinen Vorlesungen über die Ästhetik oder Philosophie der Kunst (1820/1821)
aufmerksam gemacht: »Die Komödie hat […] das zu ihrer Grundlage und ihrem
Ausgangspunkte, womit die Tragödie schließen kann: das in sich absolut versöhnte, heitere Gemüt«. 91 Im Hinblick auf das Wirkungspotential ergibt sich damit eine Höherbewertung der Komödie, 92 da sie imstande ist, den Zustand der
»Gemüthsfreyheit« (NA 20, 445) – der sowohl in Ueber naive und sentimentalische Dichtung als auch im Nachlaßfragment Tragödie und Comödie eindringlich beschrieben wird (NA 21, 392) – dauerhaft zu erhalten.
Ihr [der Komödie] Ziel ist einerley mit dem höchsten, wornach der Mensch zu ringen
hat, frey von Leidenschaft zu seyn, immer klar, immer ruhig um sich und in sich zu
schauen, überall mehr Zufall als Schicksal zu finden, und mehr über Ungereimtheit zu
lachen als über Bosheit zu zürnen oder zu weinen. (NA 20, 446)
Unser Zustand in der Comödie ist ruhig, klar, frei, heiter, wir fühlen uns weder thätig
noch leidend, wir schauen an und alles bleibt außer uns; dieß ist der Zustand der
Götter, die sich um nichts menschliches bekümmern, die über allem frei schweben, die
kein Schicksal berührt, die kein Gesetz zwingt. (NA 21, 92f.)
89
90
91
92
ob man das rein Lächerliche sehr geringschätzte, so hängt das […] mit einer Ertödtung der
Herzen und Geister für die Eindrücke der Kunst überhaupt zusammen […]. Man will nicht
mehr lachen, weil man nicht mehr zu weinen und zu bewundern weiß« (zit. nach Grimberg: Die Rezeption [Anm. 54], S. 302f.).
»Die alte Bühne begehrte mehr des Komischen zu ihrer Beruhigung, deshalb mischte sie
dem Tragischen das Komische bei […]: dreien Tragödien wurde ein satyrisches Drama,
ein heroisches Lustspiel beigemischt. Wir hingegen, recht im Gegensatze der Alten,
scheinen mehr Tragisches zu bedürfen, indem wir das Tragische in die bürgerliche Welt,
die eigentlich dem Komischen zum Tummelplatz angewiesen war, einführten, und so dem
heroischen Lustspiel der Alten unser deutsches bürgerliches Trauerspiel gegenüber stellten« (Müller: Ironie, Lustspiel, Aristophanes [Anm. 30], S. 66 [238]).
Entsprechend heißt es im Nachlaßfragment Tragödie und Comödie: »Aber wir sind
Menschen, wir stehen unter dem Schicksal, wir sind unter dem Zwang von Gesetzen. Es
muß also eine höhere rüstigere Kraft in uns aufgeweckt und geübt werden, damit wir uns
wieder herstellen können, wenn jenes glückliche Gleichgewicht, worinn die Comödie uns
fand [bzw. finden wird], aufgehoben ist.« (NA 21, 93)
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden, Bd. 15: Vorlesungen über die
Ästhetik III, Frankfurt a.M. [11970] 31990, S. 552. Zur Datierung der Vorlesungen vgl.
ebd., S. 575.
Gegen FA, Bd. 8, S. 1552.
276
Nikolas Immer
V. Konsequenzen für die Dramenpraxis
Um die Kontinuität der »Gemüthsfreyheit« gewährleisten zu können, muß die
Komödie in besonderer Form gestaltet sein. Daher fordert Schiller nicht nur in
Tragödie und Comödie, daß in »der Comödie […] alles von dem moralischen
Forum auf das physische gespielt werden« (NA 21, 92) müsse, sondern auch in
der Dramatischen Preisaufgabe, daß die Komödie den Zuschauer in »absolute
moralische Gleichgültigkeit« (NA 22, 326) setzen müsse. 93 Gewiß wird hier versucht, alle potentiellen Regungen der praktischen Vernunft stillzustellen, damit
das »Sittliche« den Zuschauer nicht ernsthaft stimme. Das Problem ist nur, daß
Schiller durch die Ausschließlichkeit seiner Formulierung (»alles«, »absolute«)
ein theoretisches Konstrukt etabliert, das praktisch nicht mehr umsetzbar ist. 94
Denn da die dramatische Kunst um 1800 per se anthropologische Seinsweisen
ausstellt, indem verschiedene Formen menschlichen Verhaltens – sei es in
Handlung oder Rede – zueinander in Beziehung gesetzt werden, ergeben sich
daraus soziale Konstellationen, denen ein moralischer Gehalt immer schon eingeschrieben ist. Wie dagegen eine rein auf das »physische« (NA 21, 92) ›Forum‹ verlagerte Komödie auszusehen habe, kann daher von Schiller weder erklärt noch durch ein Beispiel illustriert werden.95
Die eigentliche Verwerfung aber liegt darin, daß Schiller die spekulative Idee
einer idealtypischen Komödie – Friedrich Schlegel spricht hier zu Recht von
Schillers »Transzendentalpoesie« – 96 im Rahmen der Dramatischen Preisaufgabe auf die Dramenpraxis überträgt. 97 Das theoretische Konzept gewinnt normative Funktion, ohne dramenpraktisch erfüllbar zu sein. Für diese Konsequenz
bieten sich abschließend zwei Lesarten an.
93
94
95
96
97
Hervorhebungen von mir, NI.
Entgegen Sharpes Interpretation, siehe Anm. 42.
Obgleich es Spekulation bleibt, woran bei einer rein auf das ›physische Forum‹ verlagerten dramatischen Kunst zu denken sei, soll hier auf die Ausdrucksform des Tanzes
hingewiesen werden. Denn der Tanz, den Schiller nicht nur zum Thema eines Gedichts
(Der Tanz, 1795/1800), sondern auch zum Sinnbild »für das Ideal des schönen Umgangs«
(Brief vom 23. Februar 1793 an Körner, NA 26, 216f.) erhebt, verwirklicht artifiziell-regelhafte Bewegungsabläufe, die keinen konkreten Bedeutungsbezug mehr aufweisen. Sein
Formprimat und seine Abstraktheit lassen den Tanz damit als eine Kunst kenntlich
werden, die allein das ›physische Forum‹ bedient. Dabei realisiert sich der Zusammenhang
zur dramatischen Kunst über die Zwischenstufe der pantomimischen Ballette, die ihrerseits aufgrund der zumeist mythologischen Stoffwahl noch stark bedeutungsgeladen sind.
Zu Schillers Kenntnis der pantomimischen Ballette von Jean Georges Noverre vgl. Matthias Sträßner: Tanz-Meister und Dichter. Literatur-Geschichte(n) im Umkreis von Jean
Georges Noverre: Lessing, Wieland, Goethe, Schiller, Berlin 1994.
Athenaeums-Fragment (1798), Nr. 238, zit. nach Zelle: Art. »Über naive und sentimentalische Dichtung (1795/96)« (Anm. 65), S. 467.
Vgl. Stern: Zeitlose Komik (Anm. 14), S. 201.
Schiller und die Komödie
277
Zum einen läßt sich die ideale Komödie in positiver Wendung als Anreiz für
die literarische Avantgarde werten. Diese Überlegung gründet auf der Voraussetzung, daß Schiller die Komödie mit dem Wirkungsprinzip des Schönen koppelt. Daher muß sie wirkungsästhetisch darauf hinarbeiten, auf Seiten des Rezipienten das »Gleichgewicht« (NA 20, 360) von Stoff- und Formtrieb herzustellen. 98 Im 16. Brief von Schillers Abhandlung Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen (1795) heißt es jedoch: »Dieses
Gleichgewicht bleibt aber immer nur Idee, die von der Wirklichkeit nie ganz
erreicht werden kann« (ebd.). Demzufolge vermag es realiter auch die Komödie
nicht, den ästhetischen Zustand wenigstens »interimistisch« zu etablieren.99
Denn sowohl die tatsächlich gestaltbare Komödie als auch der tatsächlich erfahrbare ästhetische Zustand gelangen über eine graduelle Annäherung an die jeweilige Idealform nicht hinaus. In dieser Herausforderung, sich approximativ
auf das vorgezeichnete Ideal zuzubewegen, liegt der produktive Gehalt von
Schillers Dramatischer Preisaufgabe.
Zum anderen ist die Dramatische Preisaufgabe im Kontext der Preisaufgaben für bildende Künstler (1799-1805) zu sehen, mit denen insbesondere Goethe
und Heinrich Meyer beabsichtigen, programmatischen Einfluß auf die moderne
deutsche Kunstentwicklung zu nehmen. 100 Wie Andreas Beyer darlegt, »veranstaltete man Ausschreibungen und Ausstellungen, um die bildenden Künstler zu
einem Ideal zurückzuführen, das nach Form und Gehalt im Griechischen vollendet schien«. 101 Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen zur dreiglied98
99
100
101
Zur Konzeption von Schillers Spieltrieb vgl. vor allem Stefan Matuschek: Coincidentia
oppositorum und transzendentale Muße. Spiel als ästhetische Autonomie bei Kant und
Schiller, in: Ders.: Literarische Spieltheorie. Von Petrarca bis zu den Brüdern Schlegel,
Heidelberg 1998, S. 183-214.
Endres: Das »depotenzierte« Subjekt (Anm. 14), S. 38. Endres jedoch behauptet ebenda,
daß der durch die Komödie hervorgerufene Zustand nicht mit dem ästhetischen Zustand
gleichzusetzen ist, da dieser »die Zeit in der Zeit aufzuheben« (NA 20, 353) bestimmt sei,
die Komödie aber – aufgrund ihrer Stofflichkeit – stets ›in der Zeit‹ gebunden bleibe. Dagegen ist einzuwenden, daß trotz der Zeitverhaftung der Komödie ihre Wirkung dennoch
jenen Zustand evozieren soll, der im Regelfall die Wechselwirkung von zeitloser Freiheit
und gleichzeitigem In-der-Zeit-Sein zum Resultat hat und der im Idealfall – im Sinne einer
prinzipiellen Aufhebung der Zeit – ewig andauert. Vgl. dazu näher Wolfgang Janke: Die
Zeit in der Zeit aufheben. Der transzendentale Weg in Schillers Philosophie der Schönheit,
in: Schillers Briefe über die ästhetische Erziehung, hg. von Jürgen Bolten, Frankfurt a.M.
1984, S. 229-260.
Für diesen Anstoß danke ich Johannes Grave, Basel. Zu den Preisaufgaben siehe auch
Graves Beitrag in diesem Tagungsband mit Hinweisen auf weiterführende Literatur. Vgl.
darüber hinaus: Johannes Grave: Der »ideale Kunstkörper«. Johann Wolfgang Goethe als
Sammler von Zeichnungen und Druckgraphiken, Göttingen 2006 (Ästhetik um 1800,
Bd. 4) (im Druck).
Andreas Beyer: »Die Kunst ist deshalb da, daß man sie sehe, nicht davon spreche, als
höchstens in ihrer Gegenwart«, in: Wiederholte Spiegelungen. Weimarer Klassik 1759-
278
Nikolas Immer
rigen Konzeption der Abhandlung Ueber naive und sentimentalische Dichtung
wird diese Intention als ein Impuls kenntlich, naive Stoffe unter den Bedingungen sentimentalischer Zeit bildkünstlerisch zu gestalten. Doch die damit verfolgte Perspektivierung auf eine ideale Kunst bzw. auf einen »idealen Kunstkörper« wird von den jungen Künstlern selbst als Rückschritt empfunden. 102 Für
die Veranstalter der Preisaufgaben verbindet sich mit dem Scheitern ihres Bildungskonzepts zugleich der Lernprozeß, daß künstlerische Produktivität allenfalls in Ansätzen programmatisch gesteuert werden könne. 103
Für die Komödie heißt das gleichermaßen, daß die Erwartungen, die an ein
komisches Intrigenstück gestellt werden, schon die aktuellen Entwicklungen der
romantischen Komödie nicht mehr wahrnehmen. Zudem verhindert die transzendentalphilosophische Konzeption der idealtypischen Komödie deren praktische Umsetzung. Mit dieser spekulativen Wendung hat sich Schillers Freund
Körner offenbar nicht ganz einverstanden erklären können. Denn drei Jahre nach
Schillers Tod schreibt er in seiner Abhandlung Ueber das Lustspiel (1808):
»Nicht in den Treibhäusern der abstrakten Speculation, sondern unter dem günstigen Himmelsstriche einer schönen Wirklichkeit gedeihen die Ideale der
Kunst«. 104
102
103
104
1832. Ständige Ausstellung des Goethe-Nationalmuseums, hg. von Gerhard Schuster und
Caroline Gille, 2 Bde., München/Wien 1999, Bd. 1, S. 405-412, hier S. 405. Bemerkenswert ist dabei, daß Schiller in seiner Rezension der Arbeiten, die in Reaktion auf die Preisaufgabe des dritten Bandes der Propyläen eingereicht wurden, die Hektor-Figur Johann
August Nahls d.J. im Hinblick auf ihren »heitern Blick« und auf »das heitre Gebet des
Helden« (NA 22, 307, Hervorhebungen von mir, NI) auszeichnet. Diese Merkmale stehen
in auffälliger Analogie zum Zustand der »Gemüthsfreyheit« (NA 20, 445), der, wie ausgeführt, zum wirkungsästhetischen Resultat der Komödie erhoben wird. Zum Aspekt der
Heiterkeit vgl. Nikolas Immer: Heitere Kunst am Antritt des neuen Jahrtausends?, in:
JDSG 48 (2004), S. 399-403, sowie zu Schillers Bezug auf Hektor: Dieter Borchmeyer:
Hektors Abschied. Schillers Aneignung einer homerischen Szene, in: JDSG 16 (1972),
S. 277-298.
Johann Wolfgang Goethe: Einleitung in die Propyläen (1800; WA I, 47, 32). Vgl. Ernst
Osterkamp: Die Geburt der Romantik aus dem Geiste des Klassizismus. Goethe als Mentor der Maler seiner Zeit, in: Goethe-Jahrbuch 112 (1995), S. 135-148, hier S. 139.
Ebd., S. 143f. sowie Grave: Der »ideale Kunstkörper« (Anm. 100).
Christian Gottfried Körner: Über das Lustspiel, in: Ders.: Ästhetische Ansichten. Ausgewählte Aufsätze, hg. von Joseph P. Bauke, Marbach a. N. 1964, S. 80-91, hier S. 84. Zu
Körners Aufsatz vgl. weiterführend Christiane Krautscheid: Gesetze der Kunst und der
Menschheit. Christian Gottfried Körners Beitrag zur Ästhetik der Goethe-Zeit, Diss., Berlin 1998, S. 247-267.
Schiller und die Komödie
279
Friedrich Schiller: Zwei Fragmente eines eigenhändigen Verzeichnisses von Dramentiteln um
1800 (Goethe-Museum Düsseldorf, GMD 60/1955). – Zuerst abgedruckt in: Gesang und Rede,
sinniges Bewegen. Goethe als Theaterleiter. Ausstellungskatalog, hg. von Jörn Göres, Düsseldorf 1973, S. 168.

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