GANG-MEDIATION
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GANG-MEDIATION
1 Gang-Mediation GANG-MEDIATION EINFÜHRUNG 1 DEFINITION: GANG Was ist eine Gang? Es gibt viele verschiedene Arten von Gangs und auch viele unterschiedliche Gruppen, die als Gangs bezeichnet werden. In Großbritannien sind Gangs oft lose Verbindungen von Freunden und nur eine Minderheit von Gruppen sind organisierte, hierarchische, kriminell aktive, bewaffnete junge Leute, wie dies in den USA oder auch Südafrika meistens der Fall ist. Der gemeinsame Nenner dieser Gruppen ist, dass alle diese Gruppen, unabhängig davon, ob sie sich als Clique oder als Gang bezeichnen, in gewalttätige Auseinander-setzungen mit anderen Gruppen geraten. Die Faktoren, die diese Konflikte anheizen variieren: zum Beispiel Rache verüben, ein Territorium verteidigen, einem Freund helfen eine Rechnung zu begleichen, Mädchen, Respekt einflössen wollen, Taten unter Drogeneinfluss, materielle Güter eintreiben. ABGRENZUNG ZU ANDEREN GRUPPEN Was unterscheidet eine Gang von einer üblichen Gruppe von Freunden? Der bedeutsamste Unterschied zwischen Gang- und Nicht-Gang-Mitgliedern ist vermutlich das kriminelle Potential. Gang-Mitglieder beteiligen sich eher an kriminellen Handlungen, die nach außen gut sichtbar sind und gemeinsam mit anderen vollzogen werden, wie z.B. Graffiti oder „Gang fights“. Grund hierfür könnte sein, dass die Jugendlichen die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe bzw. einen bestimmten Ruf kommunizieren möchten. Junge Menschen werden von anderen als Gang-Mitglieder eingestuft, wenn sie als bedrohlich und lokal ansässig angesehen werden. Umgekehrt betrachten junge Leute sich oftmals nicht als einer Gang zugehörig, wenn sie jedoch ihre Rivalen beschreiben (die ihnen oft nicht unähnlich sind), dann würden sie diese Gruppe als Gang einordnen. THEORETISCHER HINTERGRUND Warum sind junge Leute in einer Gang? 6 Es gibt viele Ansätze, die zu erklären versuchen, warum Jugendliche Gangs beitreten, obwohl dies im Extremfall ein für sie sehr gefährliches Leben bewirken kann. Für viele junge Menschen ist die Mitgliedschaft in einer Gang ein natürlicher Teil des Übergangs zum Erwachsen-Sein. Für viele ist die Gang auch eine Quelle von Freundschaft und Spaß. Je nach Land bietet die Gruppenzugehörigkeit auch Schutz oder einfach Beschäftigung. Viele junge Menschen in Gangs haben schlechte Schulleistungen vorzuweisen und begrenzten Zugang zu Ausbildung und Arbeit, was oft in einem schlechten Selbstbewusstsein resultiert. In einer Gang zu sein kann also ein Weg sein ein Zugehörigkeitsgefühl zu erlangen, als auch Macht, Status und Sicherheit, wenn diese Dinge nicht in anderen Lebensbereichen gefunden werden. Die Gewalt, die das Gang-Leben begleitet, gibt den Jugendlichen ein Gefühl von Aufregung (Adrenalinschübe) und verstärkt ihre Gruppenidentität. Martina Hinsberger 2 Gang-Mediation TERROR-MANAGEMENT-THEORIE 2 Ein weiterer Erklärungsansatz bildet die Terror-Management-Theorie, welche Ende der 80er Jahre von Solomon, Greenberg und Pyszczynski entwickelt wurde. Sie entstand aus der Forschung zum Thema „Angst vor dem Tod“ und besagt, dass das Bewusstwerden der eigenen Sterblichkeit (Mortalitätssalienz) eine lähmende Angst (engl. „terror“) verursacht, die durch die Selbsterhaltung ausgelöst wird. Zur Bewältigung bzw. Kontrolle 3 der Angst dienen zwei unterschiedliche Mechanismen: Zum Einen die kulturelle Weltanschauung , in der Wertestandards dem Individuum ein Gefühl von Sicherheit geben (z.B. durch soziale Normen, Sinn), zum 4 Anderen der Selbstwert , der durch den Glauben an und eine Lebensführung nach den Wertestandards dieser Weltanschauung erworben werden kann. Letzerer ist eine emotionale Ebene der Selbsterhaltung. Die kulturelle Weltanschauung ist keine unumstößliche Wahrheit, sondern ein komplexes System aus subjektiven Einstellungen und spezifischen Überzeugungen, also einer individuellen Realität. Da diese somit keine allgemeingültige Realität ist, wird die Bestätigung durch andere Menschen benötigt. Vertritt nun eine andere Person eine zur eigenen Meinung konträre Meinung, führt dies zu einer wahrgenommenen Bedrohung des eigenen Weltbildes, zu einer stereotyperen Wahrnehmung dieser Person, der vermehrten Unterstützung für Personen der eigenen Weltsicht und einer negativeren Bewertung von Personen mit anderen Überzeugungen. EIN BEISPIEL EINER STUDIE Wird einer Person experimentell das Bewusstsein für ihren eigenen Tod zugänglicher gemacht (Mortalitätssalienz), besteht also das Bedürfnis, die eigene kulturelle Weltsicht zu verteidigen. In einer Studie 5 von Pyszczynski et al. (2006) konnte entsprechend gezeigt werden, dass nach der Induktion von Mortalitätssalienz amerikanische Studenten eher einen militärischen Präventivschlag gegen den Iran mit mehr zivilen Opfern unterstützen als eine Kontrollgruppe ohne diese Manipulation. In derselben Untersuchung wurden auch iranische Studenten nach ihrer Einstellung zu Selbstmordattentaten befragt. Diese Personen berichteten nach einer Mortalitätssalienz-Induktion eine positivere Einstellung zu solchem Verhalten sowie eine größere Bereitschaft, sich selbst an einem solchen Anschlag zu beteiligen. AGENDA UND RAHMEN EINER GANG-MEDIATION 1, 6 Als Beispiel für die Durchführung einer Gang-Mediation wurde die der Washington Middle School in Albuquerque, New Mexico gewählt und teilweise ergänzt. Aufgrund von Vorfällen an der Schule, hat diese es sich zur Aufgabe gemacht die bereits etablierte Form der Peer-Mediation zu adaptieren an die Bedürfnisse und Gegebenheiten einer Gang-Mediation. RAHMENBEDINGUNGEN Aufgrund des gewalttätigen Potentials von Gangs und den damit einhergehenden Vertrauensverlusten auf beiden Seiten, ist der Rahmen, in den die Mediation eingebettet ist, mindestens so wichtig, wie die professionelle Durchführung der Mediation an sich. Gibt es diesen Rahmen nicht, ist die Gefahr groß, dass getroffene Vereinbarungen innerhalb kürzester Zeit gebrochen und der Status quo ante wieder eintritt. Um einen Rahmen zu schaffen, der Offenheit und gegenseitiges Verständnis ermöglicht, ist es notwendig eine vertrauensvolle Atmosphäre zu kreieren. Es gilt den Gang-Mitgliedern den Raum zu schaffen ihre Gefühle ausdrücken zu können, ohne dabei wie befürchtet ihr Gesicht zu verlieren. Neben der Freiwilligkeit der Teilnahme an der Mediation, gehört hier z.B. das Aufstellen und Unterstützen der Einhaltung von Umgangsregeln. Martina Hinsberger 3 Gang-Mediation UMGANGSREGELN Diese lauten wie folgt: 1. Tatsächliches Bemühen das Problem lösen zu wollen. 2. Niemanden zu beleidigen oder abzuwerten. 3. Niemanden zu unterbrechen, sondern Respekt zu zeigen. 4. Keine Waffen, Drohungen oder Einschüchterungsversuche zu nutzen. 5. So ehrlich wie möglich zu sein. 6. Die Schweigepflicht über die Dauer des Mediationsprozesses einzuhalten gegenüber allen am Mediationsprozess Unbeteiligten. Weitere auf die Atmosphäre einwirkende Faktoren sind: DIE SCHULE Die Schule nimmt die Gegenwart von Gangs in der Schule und der Gemeinde als Gegebenheit hin. Die Angestellten der Schule (d.h. auch alle Lehrer) handhaben die Themen Gang-Mitgliedschaft und Gang-Gewalt eher proaktiv, als reaktionär. Obwohl die Mitgliedschaft einer Gang als persönliche Entscheidung des Schülers angesehen wird, wird negatives Gang-Verhalten (kriminelles, körperlich oder emotional verletzendes Verhalten) nicht geduldet und konsistent und fair gehandhabt. Das Gang-Mediation-Programm, dass die Schule anbietet, soll den Schülern eine gewaltfreie Möglichkeit der Konfliktlösung liefern. Die Schule differenziert nicht zwischen Gang- und Nicht-Gang-Mitgliederns, sondern sieht in allen Schülern gleichsam das Potential eines erfolgreichen Teils der Schulgemeinde. DIE MEDIATOREN Gewöhnlich gehen die Mediatoren aktiv auf die Jugendlichen zu, wenn sie feststellen, dass es Auseinandersetzungen gibt und schlagen die Mediation als Konfliktlösungsverfahren vor. Je nach Ausprägung des Konfliktpotentials kommen entweder geschulte und erfahrene Peer-Mediatoren zum Einsatz (wenn Einzelpersonen betroffen) oder professionelle, gegebenenfalls externe, Mediatoren (z.B. wenn ganze Gangs betroffen sind). Es ist wichtig, dass die Mediatoren in Beziehung stehen mit den Gang-Mitgliedern, z.B. über Schulaktivitäten oder Gruppenangebote. Die Beziehungen sollen basieren auf gegenseitigem Respekt, Fördern der Würde und des Verständnisses füreinander. DIE RÄUMLICHKEITEN Alle Beteiligten müssen sich am Mediationsort sicher fühlen und es sollte ein für beide Parteien neutraler Ort sein. Die Privatsphäre soll hier gewährt sein, als auch, dass alle Beteiligten Platz finden. Die Atmosphäre soll formell und seriös sein. Dies wird unterstrichen indem jeder Teilnehmer einen eigenen Tisch inkl. Namenskärtchen erhält, als auch Stift und Papier für Notizen. Eine Tafel wird benötigt, um die Regeln für die Mediation für alle sichtbar aufzuhängen, als auch die genannten Problembereiche und die erarbeiteten Lösungen. Jeder Teilnehmer erhält eine Liste der Gang-Mitglieder, als auch die Agenda zur Mediation, welche den Ablauf beschreibt. VORBEREITUNGEN Martina Hinsberger 4 Gang-Mediation Nachdem die Gangs ihr Interesse an einer Mediation bekundet haben, beginnt der Prozess damit, dass sich der Mediator und die Schulverwaltung jeweils einzeln mit den betroffenen Parteien treffen. Der Zweck, die Rollen und der Prozess der Mediation werden dargelegt und die einzelnen Gruppen geben ihre freiwillige Zustimmung, dass sie diese Methode der Konfliktlösung nutzen möchten. Jede Gang wählt dann zwei Repräsentanten für ihre Gruppe, die die Interessen der Gruppe bei der Mediation vertreten sollen. Die Namen aller Gang-Mitglieder werden auf einer Liste notiert, welche an den Mediator geht. Dieser legt abschließend Ort und Zeit für die Mediation fest. MEDIATIONSPROZESS 1. MEETING Das erste Meeting beginnt mit der Vorstellung der Teilnehmer. Die Mediatoren verlesen die Regeln und rufen den Grund bzw. Zweck für und das Ziel der Mediation in Erinnerung. Das Ziel der ersten Sitzung ist es herauszukristallisieren, welches Problem zwischen den Parteien vorliegt. Hierzu ist es wichtig, dass die Mediatoren geduldig sind, damit die Teilnehmer die Zeit haben, Vertrauen zu entwickeln und sich offen mit ihren Gefühlen und Bedenken mitzuteilen. Es soll eine gemeinsame Basis geschaffen werden, auf der sich alle Beteiligten wohl und sicher fühlen. Wenn Emotionen eskalieren, ist es die Aufgabe des Mediators an die Regeln zu erinnern, als auch an Zweck und Ziel des Zusammenkommens und alle zurück zum Thema zu führen. Üblicherweise ist es nach ca. 1,5 bis 2 Stunden möglich einen Konsens für die definierten Probleme gefunden zu haben. 2. MEETING Das zweite Meeting folgt unmittelbar am nächsten Tag und beginnt mit wieder mit der Zitation der Regeln, des Zwecks der Mediation und dem Rückblick auf die Problembereiche, die am vorherigen Tag gemeinsam definiert wurden. Im zweiten Treffen geht es weiter darum, das Vertrauen zu stärken und die Offenheit zu fördern. Die Jugendlichen sollen Ihre Gefühle und Bedenken in Bezug auf die offengelegten Problembereiche mitteilen können. Gegebenenfalls kann es nötig sein Zeugen zu bestimmten Punkten zu befragen, dies wird dann zu diesem Zeitpunkt getan. Ziel dieses Treffens ist die Spezifizierung und weitere Klärung der Problembereiche. Die Länge des zweiten Treffens kann zwischen 1 und 2 Stunden betragen. 3. MEETING Im dritten Meeting sollen nun Lösungen für die Probleme gefunden werden. Hierfür gibt es eine geregelte Vorgehensweise insofern, dass zuerst ein Brainstorming erfolgt und alle Lösungsvorschläge ohne Wertung sichtbar gelistet werden. Erst im zweiten Schritt sollen die Beteiligten die negativen und positiven Aspekte dieser Ansätze beleuchten. Nach der Diskussion soll sich auf 2-4 Lösungen geeinigt werden. Nach der Auswahl der Lösungen wird eingehend darüber gesprochen, ob diese Lösungen tatsächlich in die Realität umgesetzt werden können oder ob es Probleme gibt, die einer Umsetzung im Wege stehen. Die festgelegten Lösungen fließen in eine schriftliche Vereinbarung ein, welche von allen Beteiligten unterzeichnet wird. 4. MEETING Das letzte Meeting dauert eine Stunde und beginnt mit dem Rückblick auf die Vereinbarung mit den festgelegten Lösungen und zwar im Hinblick auf den Zweck der Mediation. Nachdem die Vereinbarung ein zweites Mal bestätigt wurde von allen Beteiligten, wird jedes Gang-Mitglied einzeln zur Unterschrift in den Raum gebeten. Die Repräsentanten der jeweiligen Gang erklären dem Mitglied die Vereinbarung und das Mitglied unterzeichnet diese. Martina Hinsberger 5 Gang-Mediation FOLLOW UP-MEETING Das Follow up-Meeting dient der Überwachung der Umsetzung der Vereinbarung. Das Follow up-Meeting kann auf zwei Arten durchgeführt werden- entweder wieder mit den beiden Repräsentanten oder auch mit jeweils einer der Gangs. Die Washington Middle School setzt dieses bereits eine Woche nach Abschluss der Mediation an, es könnte aber auch denkbar sein dieses Meeting zu einem späteren Zeitpunkt anzusetzen oder ein erneutes Follow up-Meeting beispielsweise einige Monate später, falls sich nach einer Woche noch nicht abzeichnet, ob die Vereinbarung umsetzbar ist oder nicht. Falls Unterschriften noch nicht geleistet wurden, werden diese nachgeholt und es wird angeschaut, ob es neue Konflikte gibt, die die Umsetzung der Vereinbarung torpedieren. QUELLEN UND LITERATUR 1 Feinstein, J., Kuumba, N. (2006): Working with gangs and young people: a toolkit for resolving group conflict. London/Philadelphia: Jessica Kingsley Publishers. 2 http://en.wikipedia.org/wiki/Terror_management_theory (22.11.2012) 3 Solomon, S., Greenberg, J & Pyszczynski, T. (2004): The cultural animal: Twenty years of Terror Management Theory and research. In J. Greenberg, S. L. Koole, & T. Pyszczynski (Eds.): Handbook of experimental existential psychology (pp. 13–34). New York: Guilford. 4 Greenberg, J., Solomon, S., Pyszczynski, T. (1992): Why do people need self-esteem? Converging evidence that self-esteem serves an anxiety-buffering function. Journal of Personality and Social Psychology. 5 Pyszczynski, T., Abdollahi, A., Solomon, S., Greenberg, J., Cohen, F., & Weise, D. (2006): Mortality Salience, Martyrdom, and Military Might: The Great Satan Versus the Axis of Evil. Personality & Social Psychology Bulletin, 32(4), 525-537. 6 Tabish, K., Orell, L. (1996). RESPECT: Gang mediation at Albuquerque, NewMexico's Washington Middle School. School Counselor, 44(1), 65−70. Martina Hinsberger