Die Spielzeugfalle - pressesyndikat.de

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Die Spielzeugfalle
Eltern wollen gerne die sehnlichsten Wünsche ihrer Kinder erfüllen. Aber was
tun, wenn diese hässlich, unpädagogisch und aus Plastik sind?
Text: Ulrike Schattenmann
Erschienen in zitty Familie / November 2012
Kinder zu beschenken ist eigentlich das Einfachste der Welt. Bereits in jungen Jahren sind sie in der
Lage, ihre Wünsche unmissverständlich zu formulieren. Der Brief, den meine Tochter im Alter von
vier Jahren an den Weihnachtsmann diktierte, umfasste zehn Positionen, darunter eine BarbiePferdekutsche (rosa), alle Filly-Pferdchen mit Leuchte-Flügeln und das Aufklapp-Zuklapp-Dings, mit
dem ihr großer Cousin immer spielt, gemeinhin bekannt unter dem Namen Nintendo DS.
Und schon wird es kompliziert: Natürlich möchte man als Mutter die sehnlichsten Wünsche der
Tochter erfüllen. Aber was, wenn sie hässlich, unpädagogisch und aus Plastik sind? Oder schlichtweg
zu teuer? Seit einigen Jahren befragt die Gesellschaft für erfahrungswissenschaftliche Sozialforschung
(Gewis) im Auftrag des Berliner Spielwarenhändlers myToys.de Eltern, wie viel Geld sie für
Spielzeug einplanen. Letztes Jahr waren das im Schnitt 292 Euro pro Kind, auf Weihnachten entfielen
dabei 81 Euro. Das erscheint wenig, wenn man bedenkt, dass man für eine tragbare Spielkonsole
mindestens das Zweifache hinblättern muss.
Glücklichweise habe ich in Bezug auf Playstations und Spielekonsolen von Anfang eine klare Haltung
eingenommen: Es gibt keine, jedenfalls nicht von mir. Wenn sie unbedingt will, darf die Tochter ihr
Sparschwein dafür plündern. Aber das Geld reicht noch lange nicht. Ich hoffe nur, dass das Ganze
nicht irgendwann so endet wie bei dem 12-jährigen Sohn einer Bekannten: Der kam eines Tages
weinend nach Hause, weil ihn keiner mehr aus der Klasse besuchen wollte. Er war der einzige ohne
Wii.
Gruppenzwang ist nicht zu unterschätzen. Wenn alle Mädchen in der Kita-Gruppe diese kleinen
bonbonfarbenen Ponys sammeln, soll die Tochter nicht außen vor sein. Und eine Barbie-Puppe hat
wohl jedes Mädchen auf der ganzen Welt im Kinderzimmer. Einerseits. Andererseits: Ist das nicht der
erste Schritt in die Falle der großen Spielzeugkonzerne, die mit immer neuem schrillen
Schnickschnack die Kinder zu kritiklosen Konsumenten erziehen wollen? Es ist ja wohl kein Zufall,
dass die Firma Mattel jedes Jahr kurz vor Weihnachten einen computeranimierten Film auf den Markt
bringt, in dem Barbie und ihre Freunde Fantasy-Abenteuer erleben. Kurze Zeit später sind Puppen und
Outfits im Handel.
Auch Designerspielzeug hat seine Tücken
„Kinder brauchen Spielzeug, das die Fantasie anregt und mit dem sie Erlebnisse nachspielen können“,
sagt Ingetraud Palm-Walter vom Verein spiel gut, der jährlich 600 Spielzeuge unter die Lupe nimmt.
Gut geeignet sind Spielsachen, die möglichst vielfältig einsetzbar sind. Wenig geeignet sind alle
Sachen, die blinken, klappern und elektrisch bewegt werden, denn sie lenken Kinder davon ab, sich in
ihr Spiel zu vertiefen. Ein schlichter Puppenwagen lässt sich schnell zum Einkaufsbuggy oder
Kuscheltier-Krankenbett umfunktionieren. Die Riesen-Plüschkatze, die vom Handel als
Weihnachtstrend 2012 beworben wird, läuft, mauzt und schnurrt, aber wenn die Batterien alle sind,
taugt sie nicht mal zum Kuscheln, denn dazu ist der mit Fell bezogenen Plastikkörper viel zu hart.
Dummerweise sind es aber die genau die Figuren, die man aufziehen, verdrehen oder zum Leuchten
bringen kann, die Kinder besonders faszinieren. Wenn sie dann auch noch thematisch an Kinofilme
oder Trickfilmserien andocken, gibt es kein Halten mehr. Nie werde ich das seelige Lächeln
vergessen, das ein dreifarbiges Laserschwert mit Soundeffekten in das Gesicht des sechsjährigen
Lukas zauberte. Seitdem pflegt der tapfere Yedi-Ritter mit dem Lichtsäbel in der Hand einzuschlafen.
Selbst die Klassiker der Kinderstube machen seit Jahren mit Merchandising und Lizenz-Produkten
Kasse. Wer einen Grundbaukasten von Lego erwerben will, muss lange suchen. Dafür gibt es zig Star
Wars-Editionen zum Nachbau intergalaktischer Duelle.
Wenn Kinder formschöne Stoffpüppchen oder reduziert gestaltetes Holzspielzeug links liegen lassen,
mag das vielleicht auch daran liegen, dass pädagogisch wertvolles Spielzeug aus deutschen Landen
wenig ansprechend gestaltet ist. Irgendwie scheinen die Designer von haba, sigikid und Co. ästhetisch
in den 80er Jahren stehen geblieben zu sein. Dass es auch anders geht, beweisen Marken aus
Frankreich, England und Skandinavien, die mit kreativem Design Zeitgeist durchs Kinderzimmer
wehen lassen. Ein Roboter-Steckpuzzle aus Holz oder eine Matryoshka-Puppe im schlichten
Marimekko-Stil ist Balsam für die Seele von Eltern, denen Diddel-Mäuse Schauer über den Rücken
jagen.
Aber auch Designerspielzeug hat seine Tücken, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Bisher hat es nur
ein Bastelbogen mit stilisierten Hasen- und Katzenmotiven der französischen Firma Djeco an die
Kinderzimmer-Wand geschafft. Die Tochter findet nämlich die Tierbaby-Poster der kostenlosen
Apotheken-Kinderzeitung viel „süßer“. Und das Gesellschaftsspiel zum Mathe-Üben sieht zwar aus
wie von Walter Gropius entworfen, hat aber eine völlig unzureichende Altersempfehlung: Welcher
Sechsjähriger kann schon multiplizieren?
Am besten, man geht geschickte Kompromisse ein. Die Kinder meines Kollegen dürfen so viele Fillys
haben, wie sie wollen. Die wohnen aber nicht im halbmeterhohen Elfenpalast aus Plaste, sondern im
selbstgebastelten Schloss aus Pappmaché. Wer alles nicht so eng sieht, auf den warten sogar noch
Überraschungen: Seitdem Barbie in einem ihrer Filme den Modezauber der französischen Hauptstadt
entdeckt, will meine Tochter unbedingt nach Paris.