Erlebnisbericht vom Trainingslager in der Toskana im Jahr 2012
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Erlebnisbericht vom Trainingslager in der Toskana im Jahr 2012
Trainingslager in der Toskana vom 30.03. bis 08.04.2012 Im vergangenen Jahr fragte mich mein tschechischer Sportfreund Láďa, ob ich nicht Lust hätte, im Frühjahr mit in das Trainingslager seines Sportklubs in die Toskana zu fahren. Jedes Jahr über die Osterfeiertage ist eine kleine Gruppe von ihnen in Scarlino, um sich dort konditionell für die neue Saison vorzubereiten. Natürlich war ich von diesem Angebot begeistert, bot es doch neben der sportlichen Herausforderung die Gelegenheit, auch meine Tschechischkenntnisse zu vertiefen. Daß ich dabei der einzige Teilnehmer mit Handicap war, sei nur am Rande vermerkt. Wir entschieden uns für die Anreise mit meinem Auto. Vollgepackt mit Handbike, Rennrad und allen nötigen Utensilien starteten wir am Freitagabend von Kulm (Chlumec) aus, wo mein Kamerad wohnt. Eine anstrengend Nachtfahrt über knapp 1200km brachte uns zu unserem Urlaubsziel. Der Rest der Gruppe kam etwas später im Kleinbus an. Blick von Norden auf Scarlino Scarlino liegt in der südlichen Toskana in der Region Grosseto. Von hier ist es auch nicht weit bis zur Insel Elba. Auf unserer ersten Ausfahrt zum Hafen Piombino hatten wir von dort einen schönen Blick über die Meerenge hinüber zum bergigen Eiland. Diese Tour war zwar ausgesprochen flach, doch mehr war nach 30 Stunden ohne Schlaf auch gar nicht drin. Denn nachdem wir uns im Quartier eingerichtet hatten, wollten die Jungs sofort auf die Piste. Das Wetter war einfach zu schön. Ein wolkenloser Himmel und frühlingshafte Temperaturen um die 20°C ließen die Strapazen der Autofahrt schnell vergessen. Nur zu dieser ersten Tour war ich gemeinsam mit Láďa unterwegs. In den folgenden Tagen zog ich alleine meine Kreise. Zwar waren die meisten meiner Fahrten ähnlich lang wie die meiner tschechischen Kollegen. Hinsichtlich der Geschwindigkeit gab es jedoch aufgrund des meist anspruchsvollen Streckenprofils erhebliche Unterschiede. Im Gegensatz zu den landläufigen Vorstellungen über die Toskana, ist die Region nämlich nicht (nur) ein liebliches Hügelland mit Olivenhainen und Weinbergen. Hier findet man auch die Höhenzüge des sogenannten Toskanischen Erzgebirges (Colline Metallifere) und des Toskanischen Anti-Apennins. Das sind Mittelgebirge mit teilweise sogar alpin anmutenden Höhenunterschieden. Während der Fahrt zum Monte Amiata wurde das besonders eindrucksvoll deutlich. Vom auf ca. 65m ü. NN gelegenen Startort Paganico fuhr ich dabei mit dem Handbike bis auf 1668m zur höchsten Erhebung in der Südtoskana. Auch meine zweite Tour hielt einige Überraschungen bereit. Sie führte in Richtung Norden bis nach Lustignano. Besonders empfohlen hatte mir Láďa dabei den Streckenabschnitt von Suvereto nach Sasetta. Dieser ist tatsächlich eine der Traumstraßen in der Toskana. Verkehrsarm und meist nur moderat ansteigend, führt sie anfangs durch offenes Gelände, später durch lichten Wald windungsreich auf gutem Straßenbelag zu dem kleinen Bergstädtchen. Immer wieder bieten sich wunderbare Ausblicke auf das Umland. Das scheint sich inzwischen unter Radfahrern herumgesprochen zu haben. Nirgendwo sonst sind mir so viele Zweiradfahrer in der Toskana begegnet. Überrascht war ich, als ich mitten in den Bergen plötzlich ausgedehnte Kraftwerksanlagen vorfand. Die Gegend zwischen Larderello und Monterotondo Marittimo profitiert von der vulkanischen Vergangenheit des Gebiets. Bereits zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts baute man hier das erste geothermische Kraftwerk, und auch heute noch wird ein großer Teil der Erdwärme zur Energiegewinnung genutzt. Es © Veit Riffer - http://www.saechsische-schweiz-barrierefrei.de Monterotondo und der Kühlturm Seite 1 von 4 sieht schon etwas eigenartig aus, wenn auf einem Berg über der Stadt ein großer Kühlturm ragt. Doch für die Leute hier ist das ein ganz normales Bild. Einer der historisch interessanten Orte in der Region Grosseto ist Vetulonia. Dieses Städtchen wurde von den Etruskern gegründet, von denen eine Nekropole und Ruinen von Wohnvierteln und Stadtmauern bis in unsere Zeit zeugen. Die antiken und mittelalterlichen Bewohner der Toskana waren wahrscheinlich ziemlich furchtsam oder auch kriegerisch. Sämtliche größeren Siedlungen befinden sich auf Bergkuppen oder Felsriffen, die hoch über den Niederungen der Ebenen thronen. Und so muß man als Handbiker stets ordentliche und teils lange Anstiege meistern, wenn man die pittoresken Altstädte besichtigen möchte. Beispielsweise auch Scarlino, Gavorrano, Montemassi und Roccastrada. Montemassi An meinem einzigen Ruhetag erkundete ich den nahegelegenen Ort Follonica sowie die Landzunge bei Punta Ala am tyrrhenischen Meer. Während der Woche sind die Strände und Straßen außerhalb der Saison tagsüber wie ausgestorben. Erst ab dem frühen Abend füllte sich allmählich die Fußgängerzone des Badeortes. Am interessantesten für mich war die öffentlich zugängliche Bastelstunde eines rumänischen Kulturvereins, dessen Frauen gemeinsam mit Kindern der Stadt Ostereier bemalten. Lohnenswert war da eher der Abstecher in die Provinzhauptstadt Grosseto. Sie hat ein gut erhaltenes Stadtzentrum aus der Zeit der Renaissance und lebt auch am Tage. Mitten in einer großen - heute trockengelegten - Schwemmlandebene gelegen, führen nahezu alle Straßen ziemlich geradlinig auf die Stadt zu. Das war nicht unbedingt meine Sache, zumal mir die Sonne auf den offenen Flächen an diesem Tag ordentlich einheizte. Wenn man mehr als 8km einfach nur geradeausfahren muß, ist man froh, endlich den Abschnitt bewältigt zu haben, dessen Ende bereits eine halbe Stunde davor zu sehen war. Als Kontrastprogramm dazu erwies sich hingegen der Abschnitt zwischen dem kleinen Hafen Portiglioni bei Puntone und Punte Ala. Um die vielbefahrene Hauptverkehrsstraße zu umgehen, hatte ich mich entschlossen, direkt auf einem in der Karte eingezeichneten kleinen Küstensträßchen zur Landzunge zu fahren. Diese war zwar mit einem großen Tor für den öffentlichen Kraftverkehr gesperrt, doch Radfahrer kamen daran vorbei. Bis zum ca. 3km weiter gelegenen Badestrand ging es auch auf dem unbefestigten breiten Weg ganz gut voran. Was danach kam, war Hardcore-Offroad. Erst ein ausgewaschener und steiler Anstieg. Dieser geröllbedeckte und mit Wurzeln durchzogene 200mAbschnitt kostete mich eine Viertelstunde und etliche Anläufe. Doch es kam noch schlimmer. Als ich dachte, das Gröbste läge hinter mir, weil Baumaterialien, die nur Autos hierhergebracht haben konnten, am Wegesrand lagen, kam eine Rampe von ca. 12-14%. Der größte Teil des Weges war mit Schotter bedeckt. Offensichtlich sollte hier die Straße ausgebaut werden. Nur am rechten Rand war ein schmaler lehmiger Streifen geblieben. Dort kämpfte ich mich Meter um Meter hinauf. Als es kurz vor dem Ende nicht mehr weiterging, weil das Antriebsrad durchdrehte, mußte ich vom Bock. Die letzten 2 Meter robbte ich und zog dabei das Handbike hinter mir her. Danach wurde es zwar wieder besser, doch die anschließende Abfahrt bereitete mir Kopfzerbrechen, weil sie genauso steil und holperig war. Bis dahin wußte ich nämlich nicht, ob ich überhaupt wieder in besser befahrbares Gelände kommen würde. Als ich dann endlich die Straße erreichte, war ich heilfroh und verzichtete auf jegliche weitere Experimente. Gipfelfoto vom Monte Amiata Vom Monte Amiata habe ich bereits berichtet. Die gewundene Straße von Castel di Piano führt gleichbleibend steil durch wunderschöne Wälder bis zur Ringstraße. Hin und wieder gibt es Lücken im Bewuchs, die den Blick auf die tieferliegende © Veit Riffer - http://www.saechsische-schweiz-barrierefrei.de Seite 2 von 4 Umgebung freigeben. Den eigentlichen Gipfel kann man mit dem Handbike leider nicht erreichen, denn die Straße endet einige Meter unterhalb der höchsten Erhebung bei einigen Gaststätten. So blieb mir auch der umfassende Rundblick verwehrt, den man von da oben haben soll. Zudem gab es viel Matsch und noch Schneereste, die zuvor auch meinen tschechischen Sportfreund von der endgültigen Gipfelbesteigung abgehalten hatten. Eine ebenfalls schöne Straße, auf der man es bei der Abfahrt zudem ordentlich laufen lassen konnte, war die Fahrt über den Sattel bei Tirli. Wie die meisten kleineren Straßen abseits der geraden Haupttrassen, wird sie ebenfalls nur wenig vom Kraftverkehr genutzt. Eine wunderbare Trainingsstrecke für Bergfahrer. Apropos Trainingsstrecke. Wettkampf-Handbiker und Gern-Schnell-Fahrer finden in den weiten Ebenen rund um Grosseto sowie zwischen Follonica, Piombino und San Vincenzo etliche Kilometer flacher Rennstrecken, teilweise sogar auf eigenen Radwegen. Man muß im Frühjahr also nicht unbedingt auf die Kanarischen Inseln fliegen, um sich für die Rennsaison vorzubereiten. Um das Thema Kultur nicht ganz untergehen zu lassen, stattete ich auf einer meiner Touren auch der ehemaligen Abtei von San Galgano einen Besuch ab. Die heute zur Ruine verfallene Basilika gilt als die Stunde Null der Gotik in der Toskana, deren Formensprache einen großen Einfluß auf die großen Bauprojekte der Zeit ausübte. Leider war die Basilika außen verschlossen und nur über das angrenzende Museum zugänglich, so daß ich in das Innere nur einen Blick durch die vergitterten Seiteneingänge werfen konnte. Dafür wurde ich aber in Siena reichlich belohnt. Am letzten Tag machten Láďa und ich auf unserer Heimreise noch einen kurzen Zwischenstop in Siena. Als Rollstuhlfahrer kann man mit dem Auto noch weit in die für den öffentlichen Kraftverkehr gesperrte Innenstadt hineinfahren und auf speziellen Parkplätzen sein Fahrzeug abstellen. Das ist ganz praktisch, denn die Altstadt liegt ebenfalls auf einem Hügel und ist damit im Rolli nur mit viel Kraftaufwand oder Hilfe zu besichtigen. Es war Ostersonntag. Im berühmten Dom von Siena kamen wir gerade noch zum Ende der Messe. Leider - das muß man an dieser Stelle erwähnen - wird während der Messe der Besucherverkehr nicht unterbunden, so daß ein ständiges Kommen und Gehen herrschte. Schade! Die großartige Atmosphäre in dieser Kathedrale beim Gesang des Chores war so nur mittelbar erlebbar. Wie ergriffen von der Erhabenheit und Schönheit dieses Bauwerks müssen wohl die Gottesdienstbesucher vergangener Zeiten gewesen sein. Am Ende der Feier ging der Erzbischof durch die Menge der Andächtigen und segnete sie. Doch als ich etwas später gemeinsam mit Láďa die Kirche verließ, kam dieser mir gerade mit seinen Begleitern am Zugang für Rollstuhlfahrer entgegen. Im Vorbeigehen segnete er mich, was nicht nur auf mich großen Eindruck machte. - Unterstützung von ganz oben kann ich prima für meine nächsten Projekte in diesem Jahr gebrauchen. Es waren tolle Tage in der Toskana, voller Erlebnisse und bei nahezu optimalen Witterungsbedingungen. Selbst das kurze Gewitter, in das ich auf meiner letzten Tour geriet, konnte daran nichts ändern. Es unterstrich nur noch, was für ein glückliches Händchen wir bei der Wahl des Termins gehabt hatten. Denn bei unserer Abreise schlug das Wetter gerade um. Heftiger Regen begleitete uns bis an die Grenze zu Südtirol, und am Brenner sowie in Oberbayern lag der Schnee selbst in den Tälern. Ostern im Dom von Siena Ganz zum Schluß möchte ich noch eine Lanze für die italienischen Autofahrer brechen. Die sind eine ganz eigene Gattung. Verkehrsschilder, und dabei besonders Geschwindigkeitsbegrenzungen, nehmen die meisten von ihnen allenfalls als Vorschläge oder Empfehlungen wahr. Doch habe ich NIEMALS erlebt, daß mich ein Fahrer böse angehupt hätte, obwohl er bei Gegenverkehr einige Zeit hinter mir herzotteln mußte. Im Gegenteil! Beim Überholen waren sie übervorsichtig und warteten oft, bis die Gegenfahrbahn frei war, um sehr viel Platz zwischen ihrem Fahrzeug und meinem Handbike lassen zu können. - Gegenüber radfahrenden Zeitgenossen sind Italiener jedenfalls überaus rücksichtsvoll. Vielleicht liegt dies daran, daß Italien eine Radfahrernation ist. Nicht selten wurde ich auf meinen Fahrten überschwenglich gegrüßt, worüber ich mich noch immer gefreut habe. Ich werde gern wiederkommen, denn hier fühle ich mich selbst auf vielbefahrenen Straßen absolut sicher. © Veit Riffer - http://www.saechsische-schweiz-barrierefrei.de Seite 3 von 4 Vielleicht das nächste Mal zu Ostern 2013. Blick von Gavorrano über Scarlino (im Hintergrund) zum Meer bei Follonica, am Horizont die Insel Elba Das waren die Touren im einzelnen: 31.03.2012 Tenuta Col di Sasso Scarlino – Bagno di Gavorrano – Via Aurelia – Venturina – Piombino – Vignale – Follonica – Puntone – Sarlino – Tenuta Col di Sasso (s. a. Tour auf Bikemap.net) 98 km 700 Hm 01.04.2012 Tenuta Col di Sasso Scarlino – Scarlino Scalo – Cura Nuova – Montioni – Suvereto – Sasetta – Monteverdi Marittimo – Canneta – Lustignano – Lagoni Rossi – Canneta – Monteverdi Marittimo – San Lorenzo – Casalappi – Riotorto – Viginale – Follonica – Puntone – Tenuta Col di Sasso (s. a. Tour auf Bikemap.net) 146 km 1310 Hm 02.04.2012 Tenuta Col di Sasso Scarlino – Bagno di Gavorrano – Bivio di Ravi – Bivio di Caldena – Grilli – Vetulonia – Macchiascandona – Grosseto – La Principina – Castiglione della Pescaia – Ampio – Tirli – Pian d’Alma – Puntone – Tenuta Col di Sasso (s. a. Tour auf Bikemap.net) 109 km 1150 Hm 04.04.2012 Tenuta Col di Sasso Scarlino – Bagno di Gavorrano – Stazione di Gavorrano – Collacchia – Ribolla – Roccastrada – Podere Vadopiano – Torniella – Monticiano – Bivio del Madonnino – Abbazia San Galgano – Palazetto – Gabellino – Cura Nuova – Scarlino Scala – Tenuta Col di Sasso Scarlino (s. a. Tour auf Bikemap.net) 120 km 1280 Hm 05.04.2012 Tenuta Col di Sasso Scarlino – Puntone – Portiglioni – Pian d’Alma – Pian d’Alma – Punte Ala – Pian d’Alma – Castiglione della Pescaia – Ampio – Grilli – Bivio di Caldena – Gavorrano – Filare – Tenuta Col di Sasso Scarlino (s. a. Tour auf Bikemap.net) 91 km 950 Hm 06.04.2012 Paganico – Borgo Santa Rita – Castel del Piano – Prato delle Macinae – Rifugio Cantore – Monte Amiata (1668m) – Aiole – Arcidosso – Castel del Piano – Borgo Santa Rita – Paganico (s. a. Tour auf Bikemap.net) 100 km 2120 Hm 07.04.2012 Tenuta Col di Sasso Scarlino – Filare – Bagno di Gavorrano – Stazione di Gavorrano – Collacchia – Ribolla – Montemassi – Melata – Tatti – Cerro Balestri – Gabellino – Montieri – Fontalcinaldo – Monterotondo Marittimo – Montioni – Cura Nuova – Scarlino Scalo – Tenuta Col di Sasso Scarlino (s. a. Tour auf Bikemap.net) 124 km 1540 Hm Veit Riffer 10.04.2012 © Veit Riffer - http://www.saechsische-schweiz-barrierefrei.de Seite 4 von 4