Der Untergang

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Der Untergang
Einmal Führer sein – Hirschbiegels Film „Der Untergang“
Er hätte so gut werden können: Das „Kinoereignis des Jahres“, der Film, „der Deutschland
aufwühlen“ werde, der „wichtigste Film der letzten zehn Jahre“ – ja, im Vorhinein sah man
viel Potenzial in Bernd Eichingers Mammut-Projekt „Der Untergang“. Aber wie so oft, wenn
die Erwartungen am höchsten sind, können sie meist automatisch nicht anders, als zu
enttäuschen. Und doch klingen die Grundvoraussetzungen für dieses Filmprojekt so gut: Die
letzten Tage des dritten Reiches im Führerbunker filmisch zu dokumentieren, die letzten
Atemzüge einer sterbenden Illusion für ein Millionenpublikum spürbar zu machen – nicht
intellektuell, das liefern die Geschichtsbücher, sondern so, wie sie sich unmittelbar angefühlt
haben muss – das weckt in der Tat Hoffnungen darauf, dass sowohl jene Generation, die sich
dem Vergessen und Verdrängen, als auch jene jüngere, die sich dem Desinteresse
verschrieben haben, wieder wach gerüttelt werden: Diese Narben dürfen nicht heilen – sonst
kann alles noch einmal geschehen.
Er hätte so gut werden können. Aber was lief schief? Die technischen und personalen
Bedingungen sind überragend: Ein begabter Regisseur, Oliver Hirschbiegel, der seit seinem
„Experiment“ geübt ist in klaustrophobischer Kammerspiel-Atmosphäre; ein 13-MillionenBudget, dass es sogar erlaubte, den gesamten Führerbunker originalgetreu nachzubauen;
Deutschlands erfolgreichsten Produzenten, Bernd Eichinger, der mit seiner Jahre langen
Filmerfahrung sogar das Drehbuch schrieb; und nicht zuletzt die vermutlich gesammelte
deutsche Schauspiel-Elite als Darsteller-Riege. An letzteren lag es am wenigsten, das muss
ausdrücklich gesagt werden – natürlich rettet dieser geniale Bruno Ganz den gesamten Film
und lässt über die vielen Schwächen hinweg sehen. Es ist seine schwerste Rolle, und den
Führer seriös zu spielen, das läuft ganz schnell Gefahr, lächerlich zu wirken. Ein Drahtseilakt,
den Ganz gekonnt meistert. Eichingers und Hirschbiegels Vorgabe, Hitler menschlich zu
zeigen, als „dreidimensionale Figur“, gelingt ihm zweifellos – vielleicht gelingt es ihm zu gut.
Denn obwohl er keine Sympathie schürt, ist er so geschrieben, inszeniert und gespielt, dass
diese erbärmliche, verblendete, kleine Kreatur eigentlich nur bemitleidet werden kann. Und
Mitleid motiviert ebenso Identifikation. Auch, wenn man es sich nicht eingestehen will, und
wenn es nicht im Sinne der Macher ist: Man selbst ist Hitler in diesem Film – vielleicht sind
deshalb die ersten Reaktionen so verhalten. Wer will schon der Führer sein?
Wie so oft aber, wenn man nicht weiß, warum ein Film irgendwie nicht so richtig durchdringt,
in das Bewusstsein der Zusehenden, ist auf einen Sündenbock immer wieder verlass, und das
zu Recht: Das Drehbuch. Natürlich ist man bei historischen Stoffen immer an die Fakten
gebunden, vor allem, wenn man einen „authentischen“ Film machen will, und so ziehen sich
die Macher geschickt aus der Affäre – „es war nun einmal so“. Dabei hat die Wirklichkeit viel
zu bieten: Die Kunst bei historischen Stoffen besteht weniger im Erfindungsreichtum des
Autoren, sondern darin, nur die interessantesten und konsistentesten Fakten zusammen zu
lesen und diese zu einer Geschichte zu spinnen. Bei dieser Selektion ging beim „Untergang“
viel flöten, obwohl durch Joachim Fests und Traudl Junges Buchvorlagen sehr viel
persönliches Material vorhanden ist.
Er hätte so gut werden können – das Leben dieses Films wird besonders durch der Flut an
Charakteren erstickt, bei denen viele schlicht aus dem Grund eingesetzt wurden, um noch
mehr Emotionen künstlich zu erzeugen. Die vielen Anti-Kriegsfilm-Versatzstücke
beispielsweise, an der Oberfläche Berlins, wo der eigentliche Krieg tobt – es sterben wieder
Kinder und Frauen und Alte und Unschuldige. Und alles hat man schon viel, viel besser
gesehen. Radikaler wäre es gewesen, und mutiger, den Film fast gänzlich im Bunker spielen
zu lassen, mit weit weniger Figuren, und außer Hitler auch den anderen eine
„Dreidimensionalität“ zu geben. Da sind schließlich noch Eva Braun und Goebbels und
Traudl Junge – aber alle wirken schal und uninteressant, weil ihnen der Autor keine Konflikte
gegeben hat. Aber Menschen ohne Konflikte gibt es nicht, und Figuren ohne Konflikte sind
langweilig. Aber vielleicht hat sich Eichinger da auf die historischen Tatsachen beschränkt,
die da sagen: Magda Goebbels vergiftet ihre sechs Kinder. Punkt. So steht es in den
Geschichtsbüchern. Wen interessiert da noch, wie es dabei in dieser Frau aussah? Die
Vielzahl solcher unfreiwillig unklar bleibender Stellen trüben den Gesamteindruck des Films
erheblich, und es hat en gros eher den Anschein, das selbst die Macher dem übermenschlichen
Charisma des Führers verfallen sind und alles andere um ihn herum als zweitrangig erachtet
haben – und scheinbar nichts aus der Geschichte gelernt haben, die sie selbst erzählen.
Und doch ist „Der Untergang“ mit Sicherheit der vielleicht beste deutsche Film des Jahres,
der die internationale Konkurrenz nicht zu scheuen braucht – aber er hätte deutlich besser
werden können.