Migränetherapie 2006

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Migränetherapie 2006
fortbildung –originalie
–
Dem Kopfschmerz vorbeugen, die Attacke behandeln
Aktuelle Migränetherapie in der
Praxis
Von H. Göbel
Leichte Migränekopfschmerzen sprechen gut auf Analgetika und
Antiemetika an, schwere Attacken werden dagegen mit so genannten Triptanen behandelt. Zu deren Einsatz gibt es einige Regeln, die
unser Autor im Folgenden schildert. So sollte z. B. die 10-Tage-proMonat-Grenze nicht überschritten werden. Greift der Patient nämlich an mehr als zehn Tagen zur Akutmedikation, handelt er sich
womöglich „medikamenteninduzierten“ Kopfschmerz ein.
– Migräne zählt zu den besonders
schwer behindernden Leiden. Sie geht
mit starken Schmerzen, ausgeprägten
Begleitsymptomen und nachhaltiger
Reduktion der Lebensqualität einher.
Neben dem individuellen Leid bedingt
die Migräne eine große Belastung der
Versichertengemeinschaft durch direkte und indirekte Kosten. Migräne zählt
zu den teuersten neurologischen Erkrankungen. Ziel der Migränetherapie
muss daher sein, möglichst schnell und
initial eine effektive Behandlung der
Attacken zu ermöglichen, Ausfallzeiten
zu vermeiden und die migränebedingte
Behinderung zu reduzieren.
Sieben wichtige Fragen an
Kopfschmerzpatienten
An wie vielen Tagen pro Monat treten Kopfschmerzen auf?
Kopfschmerzen an mehr als zehn
Tagen pro Monat müssen an einen
Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch denken lassen. Kopfschmerzen, die an mehr als an sieben bis zehn
Tagen pro Monat auftreten, erfordern
eventuell eine medikamentöse Vorbeugung. Kopfschmerzen an mehr als 15
Tagen pro Monat erfordern in der Regel
eine spezialisierte Behandlung.
Wie viele Formen von Kopfschmerzen können Sie unterscheiden?
MMW-Fortschr. Med. Sonderheft 2 / 2006 (148. Jg.)
Bei den meisten Patienten mit mehreren Kopfschmerzformen bestehen eine Migräne und ein episodischer oder
chronischer Kopfschmerz vom Spannungstyp. Für jede dieser einzelnen
Kopfschmerzformen muss das Vorliegen der diagnostischen Kriterien geprüft werden (einzusehen im Internet
unter www.ihs-klassifikation.de).
Wie lange dauern die einzelnen
Kopfschmerzepisoden?
Migräneattacken dauern vier Stunden bis zu drei Tage an. Der Kopfschmerz vom Spannungstyp weist
diese Zeitcharakteristik nicht auf, Clusterkopfschmerz-Attacken dauern 30 Minuten bis zu drei Stunden an.
Prof. Dr. med.
Dipl.-Psych.
Hartmut Göbel
Neurologisch-verhaltensmedizinische
Schmerzklinik Kiel
Können Sie einen typischen Kopfschmerzanfall schildern?
Welches sind die Schmerzmerkmale?
Migräneattacken kennzeichnen sich
durch Einseitigkeit der Schmerzen, pochenden Schmerzcharakter, Verstärkung
durch körperliche Aktivität und Behinderung der Tätigkeit. Von diesen vier
Kriterien müssen nur zwei erfüllt sein.
Welche Begleitsymptome treten auf?
Übelkeit, Erbrechen, Lärm und
Lichtempfindlichkeit können auftreten.
Auch von diesen vier Kriterien müssen
nur zwei für die Migräne erfüllt sein.
An wie vielen Tagen pro Monat
benötigen Sie Medikamente zur Kopfschmerzbehandlung?
– Tabelle 1
Verhaltensmedizinische Vorbeugung
_ Einhalten eines regelmäßigen
Schlaf-Wach-Rhythmus
_ Regelmäßige Nahrungs- und Flüs-
sigkeitsaufnahme
_ Regelmäßiges Frühstücken und
Mittagessen
_ Kohlenhydratreiche Ernährung
_ Regelmäßige sportliche Ausdau-
erbetätigung
_ Abbau von Stress und Unregelmäßigkeit im Alltag
_ Erlernen und regelmäßiges
Durchführen eines Entspannungsverfahrens wie der progressiven
Muskelrelaxation nach Jacobson
insbesondere in Stressphasen
(Informationen s. www.neuromedia.de)
_ Identifizierung und Meiden von
individuellen Auslösefaktoren
(z. B. Geschmacksverstärker, Alkohol, Stress, Lärm, Rauch etc.)
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Nimmt der Patient an
mehr als zehn Tagen pro
Monat Akutmedikation ein,
muss an einen Kopfschmerz
bei Medikamentenübergebrauch als Komplikation der
Migräne gedacht werden. Die
10-Tage-pro-Monat-Grenze
ist mittlerweile auch in die
aktuellen Kopfschmerzklassifikation der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft
aufgenommen worden und
damit internationaler Standard.
Diagnose
– Tabelle 2
Migränebehandlung mit Antiemetika
und Analgetika
Antiemetikum
_ Metoclopramid (10 mg oral/i. v./rektal)
_ Domperidon (10–30 mg oral)
_ Dimenhydrinat (50 mg oral, 150 mg rektal,
10 ml/62 mg i. v.)
_ Diphenhydramin (50 mg oral, 50 mg rektal)
plus Analgetikum
_ Azetylsalizylsäure (1000 mg oral, 2 x 500 mg i. v.)
_ Paracetamol (1000 mg oral, 1000 mg rektal)
_ Ibuprofen (400–800 mg oral, 400–600 mg rektal)
_ Naproxen (500–1000 mg oral, 500 mg rektal)
_ Diclofenac (50–100 mg oral)
_ Phenazon (1000 mg oral, 500–1000 mg rektal)
_ Metamizol (1000 mg oral, 1000 mg i. v.)
bei einem Patienten, der die
Kriterien einer Migräne erfüllt,
zu einem länger anhaltenden
(üblicherweise Wochen bis
Monate) Anstieg der Schwere
und Häufigkeit der Attacken.
Triggerfaktoren, d. h. Auslöser,
erhöhen die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Migräneattacke innerhalb eines kurzen Zeitraumes (üblicherweise
< 48 Stunden). Obwohl einige
Triggerfaktoren in epidemiologischen Erhebungen (Menstruation) oder klinischen Studien (Schokolade, Aspartam)
gut untersucht wurden, ist es
häufig schwierig, im individuellen Fall eine kausale Verknüpfung herzustellen.
Nach der aktuellen zweiten
Auflage der internationalen
Kopfschmerzklassifikation
Die Effektivität von Analgetika kann durch Beachten
folgender Regeln optimiert werden:
(IHS-ICHD-II) werden zwei
_ Einnahme einer ausreichenden Startdosis
Attackentherapie
Hauptformen der Migräne
_ Einnahme möglichst früh in einer Migräneattacke
Patienten sollten feste Theraunterschieden: die Migräne
_ Einnahme wenn möglich in resorptionsbeschleunigenpieschemata an die Hand beohne Aura und die Migräne
der Brauselösung, bei Erbrechen als Suppositorium
kommen, mit denen sie Attamit Aura. Eine internetbasier_ Möglichst Kombination mit einem Antiemetikum
cken in Abhängigkeit von ihrer
te Version der gültigen interSchwere und den Begleitsympnationalen Kopfschmerzklastomen behandeln können.
sifikation ist im März 2006
Oberstes Ziel ist, es dem Patienten zu
publiziert worden und unter www.ihsdie familiär gehäuft als autosomal-doermöglichen, seine Attacken selbststänklassifikation.de aufrufbar.
minat vererbte Erkrankung oder sporadig ohne ärztliche Hilfe in den Griff zu
Bei der Migräne mit Aura finden sich
disch auftreten kann.
bekommen.
zusätzlich fokale neurologische SympTherapie
Während die überwiegende Zahl der
tome, die den Kopfschmerzen meist voDie Migränetherapie setzt sich aus den
Patienten ihre Attacken ausschließlich
rangehen oder sie begleiten. Die AuraBausteinen Prophylaxe und Attackenmit Analgetika und Antiemetika erfolgsymptome entwickeln sich allmählich
behandlung zusammen. Grundsätzlich
reich bekämpfen kann, also definitionsüber 5–20 Minuten hinweg und halten
stehen drei Strategien zur Verfügung:
gemäß unter leichten Attacken leidet,
meist weniger als 60 Minuten an. In der
ó Vorbeugung durch Vermeidung von
benötigt ein kleinerer Teil der PatienRegel folgen diesen Aurasymptomen
Auslösefaktoren,
ten mit definitionsgemäß schweren
Kopfschmerzen, die die Merkmale einer
ó Vorbeugung durch Reduktion der
Attacken regelmäßig Triptane. Diese
Migräne ohne Aura aufweisen. Seltener
Anfallsbereitschaft, durch Verhalten
Patienten weisen aber auch durchaus
entsprechen die Kopfschmerzen nicht
und/oder Medikamente,
in unterschiedlicher Häufigkeit leicheiner Migräne oder sie fehlen sogar.
ó Behandlung der akuten Auswirkungen
tere Attacken auf, sodass sie nicht jede
Zu den neurologischen Symptomen
der Migräneattacke durch Verhalten
Attacke mit Triptanen behandeln müseiner typischen Aura zählen homonyund Medikamente.
sen. Daher sollten Patienten mit beiden
me Sehstörungen, einseitige sensible
Optionen versorgt werden.
Störungen und Sprachstörungen. Am
Verhaltensmedizinische Prophylaxe
Behandlungsverlauf und -erfolg
häufigsten bestehen ausschließlich
Die verhaltensmedizinische Vorbeusollten in einem diagnostischen KopfSehstörungen. Treten verschiedene
gung der Migräne ist für alle Betroffeschmerzkalender dokumentiert werden.
Symptome auf, folgen die einzelnen
nen die Basis der Behandlung. Sie zielt
Dies ermöglicht eine Optimierung der
Symptome gewöhnlich aufeinander
auf die Beseitigung von aggravierenden
Attackenbehandlung und Anpassung
beginnend mit visuellen Symptomen,
Faktoren und Triggerfaktoren ab (Tader Therapie. Die allgemeinen Regeln
gefolgt von Sensibilitätsstörungen und
belle 1). Aggravierende Faktoren, z. B.
für die Attackenbehandlung sind
aphasischen Störungen. Falls die Aura
ó Rückzug in eine ruhige und abgedunpsychosozialer Stress, häufiger Alkoholeine motorische Schwäche beinhaltet,
kelte Umgebung,
konsum oder Umweltfaktoren, führen
liegt eine hemiplegische Migräne vor,
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–
ó
ó
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körperliche und psychische Ruhe,
lokale Kälte und/oder Wärmeanwendung.
Analgetika und Antiemetika
Sowohl im klinischen Alltag als auch
in kontrollierten Studien wirksam sind
Azetylsalizylsäure, Ibuprofen, Naproxen und Diclofenac. Für Paracetamol,
Phenazon und Metamizol ist die Studienlage weniger umfangreich, die Wirkung ist in der Praxis jedoch ebenfalls
unstrittig. Kombinationspräparate mit
mehreren analgetischen Komponenten
und Koffein sind nicht zu empfehlen.
Ein Vorteil insbesondere von Dreierkombinationen in der Migränetherapie
ist nicht belegt. Da sie darüber hinaus
mit einem erhöhten Risiko der Entwicklung von medikamenteninduzierten
Kopfschmerzen und Nephropathien in
Verbindung gebracht werden, sollten
sie nicht zum Einsatz kommen. Tabelle
2 listet die Optionen einer Behandlung
mit Analgetika und Antiemetika auf.
Serotonin-Rezeptorantagonisten
(Triptane)
Die wirksamsten Substanzen in der
Akuttherapie der Migräne sind die 5HT1B/1D-Rezeptoragonisten, auch
Triptane genannt. Ergotamine haben
aufgrund ihrer im Vergleich zu den
Triptanen schlechteren Wirksamkeit
und Verträglichkeit praktisch keinen
Stellenwert mehr in der Migränetherapie. Die sieben in Deutschland erhältlichen Triptane unterscheiden sich hinsichtlich Effektivität, Verträglichkeit,
Wirkgeschwindigkeit und Wirkdauer.
Zudem sind sie in unterschiedlichen
Darreichungsformen erhältlich (Tabelle
3). Bei frühem Erbrechen in der Attacke
oder ausgeprägter Übelkeit empfiehlt
sich der Einsatz der Nasensprays von
Sumatriptan oder Zolmitriptan bzw.
von Sumatriptan rektal oder subkutan.
Schmelztabletten haben den Vorteil,
dass sie unterwegs ohne Wasser eingenommen werden können. Ihr Wirkeintritt ist im Vergleich zur Tablette jedoch
eher verzögert.
Für die Praxis ist es ausreichend, die
Triptane in drei Gruppen einzuteilen:
ó Gruppe 1: Sehr schnelle und sehr star-
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– Tabelle 3
Triptane im Jahr 2006
(alphabetische Reihenfolge)
_ Almotriptan (12,5 mg Tbl.)
_ Eletriptan (20 und 40 mg Tbl.,
maximale Startdosis: 2 x 40 mg)
_ Frovatriptan (2,5 mg Tbl.)
_ Naratriptan* (2,5 mg Tbl.)
_ Rizatriptan (5 und 10 mg Tbl., 5
Einnahmezeitpunkt
Triptane können auch bei bereits fortgeschrittenen Migräneattacken effektiv sein, aber auch bei den Triptanen
gilt: Je früher in der Migräneattacke
eingenommen, desto vollständiger
und anhaltender ist der Behandlungserfolg. Die Einnahme sollte jedoch erst
nach Abklingen einer eventuellen Aura mit Beginn der Kopfschmerzphase
erfolgen.
und 10 mg Schmelztablette)
_ Sumatriptan** (50 und 100 mg
Tbl., 10 und 20 mg nasal, 25 mg
rektal, 6 mg s. c.)
_ Zolmitriptan (2,5 und 5 mg Tbl.,
2,5 mg Schmelztablette und
5 mg nasal)
* Seit April 2006 auch im Bereich der
Selbstmedikation erhältlich
** Seit 2006 auch als Generikum erhältlich
ke Wirkung, aber kurze Wirkdauer
und höheres Nebenwirkungspotenzial:
_ Sumatriptan 6 mg s. c.
ó Gruppe 2: Ausgeglichenes Wirkprofil
zwischen Wirkung und Verträglichkeit sowie Wirkgeschwindigkeit und
Wirkdauer:
_ Almotriptan 12,5 mg Tbl.,
_ Eletriptan 40 mg Tbl.,
_ Rizatriptan 10 mg Tbl./10 mg Schmelztbl.,
_ Sumatriptan 100 mg Tbl./20 mg nasal/25 mg Supp.,
_ Zolmitriptan 5 mg Tbl./5 mg Nasenspray.
Die nicht aufgeführten Darreichungsformen mit niedrigerer Dosis, d. h.
_ Eletriptan 20 mg Tbl.,
_ Rizatriptan 5 mg Tbl./Schmelztbl.,
_ Sumatriptan 50 mg Tbl.,
_ Sumatriptan 10 mg nasal und
_ Zolmitriptan 2,5 mg Tbl./Schmelztbl.
sind jeweils tendenziell schwächer
wirksam bei weniger Nebenwirkungen
als die höhere Dosis.
ó Gruppe 3: Anhaltende Wirkung und
sehr gute Verträglichkeit, geringe
Wiederkehrkopfschmerz-Rate, aber
eher langsamerer Wirkeintritt:
_ Frovatriptan 2,5 mg Tbl.,
_ Naratriptan 2,5 mg Tbl.
Nichtansprechen
Wirkt ein Triptan in einer Migräneattacke nicht, ist die Wiederholung der
Einnahme des Triptans in der gleichen
Attacke in der Regel auch nicht wirksam, sofern die Startdosis gleichzeitig
die empfohlene Höchstdosis der Einmalgabe war (z. B. Sumatriptan 100
mg oral oder Sumatriptan 6 mg s. c.).
Beginnt der Patient jedoch mit einer
niedrigen Dosis, z. B. Sumatriptan 50
mg oral oder Eletriptan 20 mg oral,
kann eine Wiederholung der Einnahme nach zwei Stunden in der Praxis
durchaus noch eine Linderung bringen.
In folgenden Attacken empfiehlt es sich
dann jedoch, primär eine höhere Startdosis zu wählen.
Triptanrotation
Ist ein Triptan auch bei wiederholter
Anwendung nicht effektiv, bedeutet
dies bei einem Patienten nicht eine
grundsätzliche Unwirksamkeit von
Triptanen. In diesem Fall sollte ein
Triptan aus einer Gruppe mit höherer
Wirksamkeit (s. o.) gewählt werden.
Endgültig Aufschluss über die individuelle Wirksamkeit von Triptanen bringt
schließlich ein Therapieversuch mit Sumatriptan s. c.
Kontraindikationen
Die Sicherheit von Triptanen ist sehr
gut, sofern die Kontraindikationen
– hier insbesondere jegliche Durchblutungsstörungen – beachtet werden.
Triptane sollten aufgrund einer noch
unzureichenden Datenlage zur Sicherheit in der Schwangerschaft nicht eingesetzt werden. In der Stillzeit ist nach
Einnahme eines Triptans eine Stillpause
von 24 Stunden erforderlich.
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– Tabelle 4
Migräneprophylaktika der
ersten und zweiten Wahl
Substanzen der ersten Wahl
_ Metoprolol (50–200 mg)
_ Propranolol (40–240 mg)
_ Bisoprolol (5–10 mg)
_ Flunarizin (5–10 mg)
_ Valproinsäure (500–600 mg)
_ Topiramat (25–100 mg)
Substanzen der zweiten Wahl
_ Amitriptylin (50–150 mg)
_ Gabapentin (2400 mg)
_ Naproxen (500 mg)
_ Pestwurz (150 mg)
_ Azetylsalizylsäure (300 mg)
_ Magnesiumsalz (600 mg)
_ Mutterkraut (13 mg)
zen entgegenzutreten. Für Patienten
mit häufigen Attacken bedeutet dies,
eventuell auch einmal Migräneattacken
unbehandelt durchstehen zu müssen.
Die Praxis zeigt jedoch, dass nach einer
unbehandelten Attacke das beschwerdefreie Intervall häufig deutlich länger
ist als nach einer (erfolgreich) behandelten Attacke.
Zulassung erweitert
Triptane waren zunächst erst ab dem
18. Lebensjahr zugelassen. Kontrollierte
Untersuchungen haben jedoch gezeigt,
dass insbesondere Sumatriptan 10 mg
nasal zuverlässig wirksam und gut verträglich ist, sodass diese Darreichungsform nun offiziell ab dem 12. Lebensjahr zur Anwendung kommen kann.
–
– Tabelle 5
Gründe für stationäre
Aufnahme
_ Schmerzintensität und Ausmaß
der Behinderung durch die
Schmerzen
_ Therapieineffizienz von ambulan-
ten Maßnahmen
_ Notwendigkeit für invasive Thera-
pieverfahren
_ Schwer wiegende Nebenwirkun-
gen und Medikamentenübergebrauch
_ Mangelnde Schmerzbewältigung
_ Schwer wiegende psychische
Begleiterkrankungen
_ Schwer wiegende körperliche
Begleiterkrankungen
Die Migräneattacke im ärztlichen
Notdienst
Wiederkehrkopfschmerz
Bei Auftreten von Wiederkehrkopfschmerzen ist eine nächste Dosis eines
Triptans in der Regel wieder genauso
effektiv wie die vorherige. Die Einnahme sollte aber nicht häufiger als
zweimal in 24 Stunden und an maximal drei konsekutiven Tagen erfolgen.
Berichten Patienten regelmäßig über
Wiederkehrkopfschmerzen, sollte zunächst ein lang wirksames Triptan wie
z. B. Naratriptan oder Frovatriptan erprobt werden. Alternativ bewährt hat
sich in diesen Fällen auch die Kombination von Triptanen mit einem
lang wirksamen nicht steroidalen
Antiphlogistikum wie Naproxen oder
Piroxicam.
Kombination mit Antiemetikum
Die Kombination eines Triptans mit einem Antiemetikum ist möglich, um die
Resorption zu verbessern, meist jedoch
nicht erforderlich.
Höchstdosen
Kopfschmerz-Akutmedikation und damit auch Triptane sollten insgesamt
nicht häufiger als an zehn Tagen im
Monat eingesetzt werden, um einer
Häufung der Migräneattacken und in
letzter Konsequenz der Entstehung von
medikamenteninduzierten Kopfschmer-
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In der Notfallsituation sieht sich der behandelnde Arzt zwei Problemen gegenüber. Zum einen muss er sich in einer
für den Patienten zumutbaren Zeitspanne davon überzeugen, dass tatsächlich
eine Migräne vorliegt. Eine weiterführende Diagnostik wird immer dann erforderlich, wenn der Patient beschreibt,
dass sich der Kopfschmerz von seinen
typischen Migräneattacken unterscheidet und sei es nur von der Dauer. Differenzialdiagnostische Überlegungen
müssen hier insbesondere intrakranielle Blutungen (subarachnoidal/intrazerebal), eine Sinusvenethrombose oder
eine Meningitis mit einschließen.
Der zweite Punkt ist die anschließende Wahl des Notfallmedikaments
möglicherweise in Unkenntnis der von
den Patienten in der Attacke bereits
eingenommenen Substanzen. Ergotalkaloide und Triptane eigenen sich aufgrund möglicher Wechselwirkungen
mit bereits eingenommenen Substanzen daher weniger für den Notdienst
als intravenös zu applizierendes Lysinacetylsalicylat in Kombination mit
Metoclopramid.
Nicht durch Studien belegt, aber in
der Praxis bewährt hat sich im Status
migränosus auch die zusätzliche Kombination mit einem Kortikosteroid
(z. B. Prednisolon 100 mg i. v.).
Bedingungen für eine wirksame
medikamentöse Prophylaxe
Das übergeordnete Ziel der medikamentösen Migräneprophylaxe ist das
Verhindern der Entstehung von medikamenteninduzierten Kopfschmerzen. Die Anzahl der Migränetage pro
Monat muss möglichst niedriger als
10 sein. Dadurch ist die Notwendigkeit
zur Einnahme von Akutmedikation
begrenzt und die Komplikation eines
Kopfschmerzes bei Medikamentenübergebrauch wird vermieden.
Damit eine medikamentöse Prophylaxe wirksam sein kann, sind folgende
Bedingungen zu beachten:
ó Um die Compliance des Patienten
auch dauerhaft zu gewährleisten,
sollten bei der Auswahl der jeweiligen
Substanz sowohl Grunderkrankungen
als auch Bedürfnisse des Patienten berücksichtigt werden.
ó Typische Nebenwirkungen, über die
der Patient bereits im Vorfeld informiert wurde, werden erfahrungsgemäß eher toleriert. Die erforderlichen
Dosierungen liegen häufig relativ
hoch. In den meisten Fällen ist die
Verträglichkeit bei ausreichend langsamer Aufdosierung jedoch gut.
ó Unrealistische Erwartungen der Patienten nach Attackenfreiheit sollten
bereits vor Beginn der Behandlung
73
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korrigiert werden. Wichtig ist auch
die Information, dass mit einem Wirkeintritt erst nach einer mehrwöchigen
Einnahme zu rechnen ist. Im Idealfall
sollte ein Kopfschmerzkalender nicht
nur während der medikamentösen
Prophylaxe, sondern auch bereits
mindestens einen Monat vorher geführt werden, um eine objektive Einschätzung des Behandlungserfolges zu
ermöglichen.
ó Wirkt eine Substanz nach Erreichen
und regelmäßiger Einnahme der Zieldosis über einen Zeitraum von drei
Monaten nicht, sollte entweder die
Substanz gewechselt werden oder eine
Kombination mit einer anderen Substanz in Erwägung gezogen werden.
ó Nach einem Zeitraum von sechs bis
neun Monaten kann bei einer erfolgreichen Prophylaxe ein Auslassversuch
erfolgen. Steigt die Migränehäufigkeit
erneut an, kann eventuell eine niedrigere Erhaltungsdosis der gleichen
Substanz versucht werden.
ó Eine Migräneprophylaxe kann nur
wirksam sein, wenn auch eine Migräne vorliegt. Insbesondere kann
ein medikamenteninduzierter Kopfschmerz nur durch eine konsequente
Medikamentenpause, nicht jedoch
durch prophylaktische Maßnahmen
durchbrochen werden. Anschließend
ist eine medikamentöse Prophylaxe
aber meist erforderlich, um eine Reinduktion von medikamenteninduzierten Kopfschmerzen zu vermeiden.
ó
Ist die Indikation Migräne aufgrund
eines „Out-of-label“-Einsatzes im Beipackzettel nicht aufgeführt, sollten
die Patienten im Vorfeld auf diese
Tatsache hingewiesen werden (z. B.
trizyklische Antidepressiva, Antikonvulsiva). Eine Aufklärung ist auch
sinnvoll, wenn Patienten mit Substanzen behandelt werden sollen,
die zwar für die Migränebehandlung
zugelassen sind, deren primäres Anwendungsgebiet jedoch ein ganz anderes ist (z. B. Betarezeptorenblocker).
Damit können Irritationen seitens der
Patienten vermieden werden.
Auswahl der Migräneprophylaktika
Anders als für die modernen Akuttherapeutika liegt für die meisten in der
Migräneprophylaxe eingesetzten Substanzen nur eine geringe Anzahl kontrollierter Studien vor. Ein Überblick
zeigt eine durchschnittliche Responderrate von ca. 60%. Dieser Prozentsatz
der Patienten wies in den Studien eine
Reduktion der Migränehäufigkeit um
50% gegenüber der Vorlaufphase auf.
Vermisst werden jedoch vor allem Vergleichsstudien zwischen den verschiedenen Substanzen.
Ein Ranking der verschiedenen
Migräneprophylaktika ist damit gezwungenermaßen in einem beträchtlichen Maße subjektiv, womit die
Unterschiede auch in verschiedenen
nationalen und internationalen Therapieempfehlungen zu erklären sind.
Die DGN-Leitlinie 2006 unterscheidet
Substanzen der ersten und zweiten
Wahl (Tabelle 4).
Bewährt hat sich in der Praxis, die
individuellen Bedürfnisse und Gegebenheiten des Patienten als Auswahlkriterium heranzuziehen. Dieses Vorgehen berücksichtigt die individuellen
Wünsche des Patienten und bestehende
Komorbiditäten.
Stationäre Behandlung
Insgesamt ist die Notwendigkeit für
eine stationäre Behandlung von Migränepatienten niedrig. Bestehen jedoch komplexe Begleiterkrankungen,
schwer wiegende Komplikationen der
Migräne oder ist ein umfangreiches
Behandlungsregime erforderlich, ist
die Weiterführung der ambulanten Behandlung nicht zielführend. Spezielle
multimodale stationäre schmerztherapeutische Maßnahmen können dagegen in solchen Situationen zu einer
nachhaltigen Besserung führen (siehe
Tabelle 5).
Literatur beim Verfasser
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Hartmut Göbel
Neurologisch-verhaltensmedizinische
Schmerzklinik Kiel
Heikendorfer Weg 9–27
D-24149 Kiel
E-Mail: [email protected]
Internet: www.schmerzklinik.de
– Summary | MMW-Fortschr Med. Sonderheft 2/2006 May 15;148:69–74
Migränetherapie 2006 in der Praxis
Die Migränetherapie setzt sich aus den
Bausteinen Prophylaxe und Attackenbehandlung zusammen, wobei jeweils
medikamentöse und nicht medikamentöse Strategien zur Verfügung stehen.
Zur Kupierung leichter Migräneattacken
werden Analgetika und Antiemetika
eingesetzt, bei schweren Attacken sind
Triptane erforderlich.
Die Triptane unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Effektivität, Verträglichkeit, Wirkgeschwindigkeit und Wirkdauer. Es gibt verschiedene Darreichungs-
74
formen. Bei koronaren, zerebralen und
peripheren Gefäßerkrankungen sind
Triptane kontraindiziert, ebenso in der
Schwangerschaft. Zur Notfallbehandlung sind sie nicht geeignet.
Schlüsselwörter: Migräne – Prophylaxe
– Therapie – Triptane
Migraine Therapy in General Practice
2006
Migraine therapy consists of two elements, prophylaxis and abortive treatment, for each of which both drug and
nondrug strategies are available. To stop
mild migraine attacks, analgesics and
antiemetics are employed; for severe
attacks, triptans are necessary.
Triptans differ in their efficacy, tolerance, speed of onset of effect and duration
of effect. Moreover, there are different
pharmaceutical forms. Triptans are contraindicated for coronary, cerebral and
peripheral vascular diseases and, likewise, during pregnancy. They are not
suitable for emergency treatment.
Keywords: Migraine – Prophylaxis – Therapy – Triptans
MMW-Fortschr. Med. Sonderheft 2 / 2006 (148. Jg.)

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