„DOING DEPORTATION – MORAL UND KONTINGENZ IN DER

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„DOING DEPORTATION – MORAL UND KONTINGENZ IN DER
 Tagung „DOING DEPORTATION – MORAL UND KONTINGENZ IN DER ABSCHIEBEPRAXIS“ OrganisatorInnen: Heike Drotbohm und Albert Scherr ABSTRACTS TEIL I: ABSCHIEBUNG UND GESELLSCHAFTLICHE DISKURSE Sarah Meyer und Didier Ruedin (Wien, Neuchâtel) Politisierung von unten? Das Abschiebungs-­‐Thema im öffentlichen Diskurs in Österreich, der Schweiz und Deutschland. Abschiebung ist ein Zentraler Mechanismus um Immigration zu kontrollieren, speziell von Asylwerbern deren Gesuch abgelehnt wurde. Für lange Zeit war Abschiebung kein öffentliches Thema und wurde ohne wesentliche öffentliche Opposition oder Aufmerksamkeit durchgeführt. In letzterer Zeit machen sich aber in gewissen Bevölkerungsgruppen Unbehagen und moralische Empörung breit, und es gibt vermehrt öffentliche Proteste gegen die Abschiebung von Individuen: Abschiebung wird umstritten und politisiert. Wir analysieren die Politisierung von Abschiebung in drei Ländern – Deutschland, Österreich, und Schweiz – zwischen 1993 und 2013 aufgrund Berichterstattung in den Medien. Anders als Immigration oder Asyl, welche beide „von oben“ (d.h. durch Regierungs-­‐ und Parteiakteuren) politisiert werden, scheint es dass die Politisierung von Abschiebung vor allem „von unten“ statt findet: durch Protestaktivitäten die sich gegen die Abschiebung von Einzelfällen und Familien richten. Wir präsentieren die die Hauptakteure in der Politisierung gegen Abschiebung (NGO, Regierungsstellen, Medien, Parteien, usw.) und suchen Erklärungen für Unterschiede des Grades der Politisierung über Zeit und zwischen Ländern. Während Regierungsstellen wegen den hohen Kosten geringe Anreize haben Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken, versuchen Proteste gegen Abschiebung Sympathien und Solidarität zu mobilisieren – es liegt in der Natur des Themas dass es „von unten“ politisiert wird. Ist das Abschiebungs-­‐Thema einmal politisiert, nehmen auch Regierungs-­‐ und Parteiakteure an der Debatte teil. In Österreich und in der Schweiz sind „neue“ politische Dimensionen dominant geworden; in Deutschland dominiert weiterhin „links“ und „rechts“. Daher erwarten wir eine größere Politisierung von Abschiebung in Österreich und der Schweiz als in Deutschland. 1 Sebastian Muy (Berlin) „Schützen“ oder „außer Landes schaffen“? Ausschließung als Kehrseite des Flüchtlingsschutzdiskurses beim UNHCR Das internationale Flüchtlingsschutzregime bietet Menschen, die vor Verfolgung über eine Grenze fliehen, eine Möglichkeit, in einem anderen Staat Schutz zu finden. Durch die Definierung von Kriterien zur Erteilung des Flüchtlingsstatus wird jedoch zugleich die Kategorie jener Menschen mit konstruiert, die von den mit der Statusvergabe verbundenen Rechten ausgeschlossen sind. Sie werden illegalisiert, exkludiert und ‚abschiebbar‘ gemacht. Um den Ambivalenzen des Flüchtlingsschutzdiskurses nachzuspüren, bietet sich eine Analyse des Diskurses des UNHCR als zentralem Akteur des internationalen Flüchtlingsschutzregimes an. Parallel zur im Diskurs des UNHCR zentralen Subjektposition des ‚Flüchtlings‘ wird als ihr negatives Gegenüber die Kategorie des ‚Migranten‘ konstruiert. Die Grenze wird entlang der Kriterien ‚Gründe‘ und ‚Freiwilligkeit‘ der Migration sowie ‚Schutz durch den Heimatstaat‘ gezogen. Daraus werden unterschiedliche Rechtspositionen und legitime staatliche Behandlungsweisen abgeleitet. Während Staaten gegenüber ‚Flüchtlingen‘ völkerrechtlich zum Schutz verpflichtet sind und ihnen Zugang zu zivilen und sozialen Rechten gewähren müssen, haben sie gemäß dem Souveränitätsprinzip gegenüber Menschen, die als ‚nicht schutzbedürftig‘ klassifiziert werden, das Recht auf Exklusion. Die Abschiebung dieser Personen wird als notwendige Voraussetzung für effektiven Flüchtlingsschutz konstruiert. Begrenzt wird dieses Recht des Staates wiederum durch menschenrechtliche Verpflichtungen. Flüchtlingsschutz wird als Teil einer Politik des Migrationsmanagements konzipiert, die die Bekämpfung irregulärer Migration mit der Förderung ökonomisch erwünschter Zuwanderung und dem Schutz von als schutzbedürftig anerkannten Flüchtlingen kombiniert. Sozialarbeiter_innen, Jurist_innen und Aktivist_innen bewegen sich hier also auf einem diskursiven Terrain, auf dem der Einschluss in die juridische Kategorie der ‚Schutzbedürftigen’ einerseits eine Grundlage dafür darstellt, in einer Welt von souveränen Nationalstaaten Menschen Zugang zu Abschiebeschutz und zivilen und sozialen Rechten zu sichern, andererseits aber die affirmative Bezugnahme auf die Kategorien des Flüchtlingsschutzdiskurses droht, Migrationskontrollen und die Ausschließung von Menschen zu legitimieren, die aus der Kategorie der ‚Schutzbedürftigen‘ herausdefiniert werden. Albert Scherr (Freiburg) Nationalstaatlichkeit, Moral und Recht: Die Paradoxie der Unvermeidbarkeit und Nicht-­‐
Legitimierbarkeit von Abschiebungen Für die Legitimation von Abschiebungen ist das Recht von Staaten, über Zugang und Aufenthalt auf ihrem Territorium zu entscheiden, die entscheidende Grundlage. Dieses Recht wird in der vorherrschenden Interpretation der Menschenrechte und des Völkerrechts zwar eingeschränkt (Asylrecht, GFK, exit rights), aber gerade nicht prinzipiell in Frage gestellt. Gegen eine philosophische Kritik an der Aufrechthaltung globaler Ungleichheiten durch staatliche Grenzen, wie sie prominent von Thomas Pogge vorgetragen wurde, wird auch seitens kritischer Sozialwissenschaftler/innen (wie Etienne Balibar, Claus Offe und Seyla Behabib) argumentiert, dass staatliche Grenzen als Bedingungen von Demokratie und Wohlfahrtstaatlichkeit anzuerkennen sind und deshalb ein unkonditioniertes Recht auf Zuwanderung (entry rights) nicht eingefordert werden kann. Folgt man 2 dieser Argumentation, dann kann zwar über die Kriterien von Zuwanderungsregulierungen kontrovers diskutiert werden, nicht aber über die prinzipielle rechtliche und moralische Rechtfertigbarkeit auch von Abschiebungen. Gleichwohl gibt es gute Gründe, insbesondere unter Bedingungen der Verstrickung der nordwestlichen Demokratien in die Erzeugung von Fluchtursachen, die moralische Legitimierbarkeit von Migrationsregimen und ihrer Abschiebepraxis prinzipiell zu bestreiten. Dies wird nicht zuletzt an Interpretationskonflikten über legitime Fluchtursachen und die Definitionskriterien des Flüchtlingsstatus deutlich. Im Vortrag soll insbesondere gezeigt werden, dass rechtliche Entscheidungen über die Zulässigkeit und Nicht-­‐Zulässigkeit von Abschiebungen keineswegs die Bedingungen einer moralischen Rechtfertigung erfüllen, da sie in einem hohem Maße durch zahlreiche kontingente Faktoren beeinflusst werden und deshalb nicht eindeutig sind. Damit zeigt sich, dass keine moralische Eindeutigkeit und deshalb eine erhebliche politische Gestaltbarkeit der Kriterien gegeben ist, auf deren Grundlage über den Flüchtlingsstatus und die Erzwingung von Ausreise entschieden wird. Harald Bauder (Toronto) "Illigalisierung als Grundlage für Abschiebung – Plädoyer für den Begriff "Illegalisierte" Migranten und Flüchtlinge" In diesem Beitrag plädiere ich dafür den Begriff “illegalisierte” Migrantinnen und Flüchtlinge in wissenschaftlichen sowie öffentlichen Debatten zu verwenden, wenn über Menschen ohne legale Aufenthaltsberechtigung geredet wird. Das Wort “illegalisiert” lenkt die Aufmerksamkeit auf die institutionellen und politischen Prozesse, die Menschen entrechten, kriminalisieren und somit “illegal” machen. Diese Prozesse sind Voraussetzung dafür, dass Menschen aus einem territorialen Staat abgeschoben werden können. Einerseits entstellt und untergräbt der Begriff der “Illegalisierung” die Sprachfigur des “illegalen” Zuwanderers (absichtlich maskulin), dem implizit selbst die Schuld an seiner nicht-­‐rechtmäßigen Existenz zugeschoben wird. Andererseits beinhaltet dieser Begriff keine negativen Assoziationen mit Mangel, wie z.B. “ohne Status”, “undokumentiert” oder “irregulär”. Der Gebrauch von “illegalisierten” Migranten und Flüchtlinge stellt eine politische Strategie dar, über Intervention in den wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs einen Bewusstseinswandel herbeizuführen und schließlich materielle Veränderungen – auch bezüglich bestehender Abschiebepraxis – zu erreichen. TEIL II: PERSPEKTIVEN DES PROTESTS Freiburger Forum aktiv gegen Ausgrenzungen Erfahrungen aus dem Protest gegen Abschiebungen und die Perspektive eines humanitären Bleiberechts David Lorenz und Maren Kirchoff (Kassel) Proteste, Widerstand und der Wandel des bundesdeutschen Abschiebesystems „Fliegen ist freiwillig!“ So lautete der zentrale Slogan der ab 2000 gegen die Lufthansa gerichteten deportation.class-­‐ Kampagne. Anlass für die Initiative des Netzwerkes kein mensch ist illegal war der 3 Tod des geflüchteten Mohammed Aamir Ageeb, der während seiner Abschiebung im Jahr 1999 erstickt wurde. Eine Vielzahl verschiedener Protestaktionen skandalisierte infolge das tödliche Geschäft der Lufthansa. Dies führte zwar nicht zu einem generellen Stopp von Abschiebungen, jedoch erklärte die Lufthansa öffentlich keine Abschiebungen mehr durchzuführen, bei denen die Betroffenen erkennbar Widerstand leisteten. Dieses Beispiel steht für viele andere Protestereignisse und Widerstand gegen Abschiebungen, deren Wirkung nur selten von der bestehenden Migrationsforschung berücksichtigt wird. Im Gegensatz dazu analysieren wir die Entwicklung des deutschen Abschieberegimes aus der Perspektive der Migration, d.h. wir verstehen Protest und Widerstand als eine der treibenden Kräfte hinter der Änderung der Abschiebepraxis. Dabei fassen wir Abschiebungen als Konflikte zwischen staatlichen Akteuren und Betroffenen der (potenziellen) Abschiebung, in denen auch andere Akteure, wie Fluggesellschaften oder einer kritischen Öffentlichkeit eine wichtige Rolle spielen. Aus einer solchen Perspektive lässt sich eine dreifache Verlagerung in der Abschiebepraxis, im Sinne eines „scale shifting“, feststellen. Nationalstaatliche Institutionen versuchen, den Konflikt um Abschiebungen zu depolitisieren, indem diese zum Teil unsichtbar gemacht werden, zum Teil auf die europäische Ebene verlagert werden. Dies verändert das Setting des Konfliktes und somit auch die Möglichkeiten und Bedingungen von Widerstand und Protest gegen Abschiebungen. Unsere Analyse basiert auf ersten Erkenntnissen aus dem vergleichenden D-­‐A-­‐CH Forschungsprojekt „Proteste gegen Abschiebungen in Österreich, Deutschland und der Schweiz“ bzw. der deutschen Teilstudie, in der Proteste gegen Abschiebungen zwischen 1993 und 2013 in der Bundesrepublik Deutschland untersucht werden. Die Grundlage stellt einerseits eine Kontextanalyse, andererseits eine Medienanalyse zweier deutscher Tageszeitungen dar. TEIL III: ERMESSENSSPIELRÄUME Angela Furmaniak (Freiburg) Erfahrungen aus der rechtsanwaltlichen Praxis mit Flüchtlingen Sind Entscheidungen über die Beendigung des Aufenthalts eine Ausländers tatsächlich immer zwingend wie dies oft von Behörden und Gerichten dargelegt wird? Oder gibt es im Lauf des behördlichen und gerichtlichen Verfahrens Spielräume, die es ermöglichen, in eigentlich aussichtslosen Fällen Abschiebungen zu vermeiden oder gar eine Aufenthaltsverfestigung zu erreichen? Handelt es sich dabei lediglich um „willkürliche“ Einzelfälle oder sind in der Praxis Leitlinien erkennbar, die Handlungsspielräume eröffnen? Gibt es möglicherweise eine Tendenz zur Institutionalisierung von humanitären Lösungen? Im Beitrag sollen aus rechtsanwaltlicher Sicht Erfahrungen aus der Praxis der Arbeit mit Flüchtlingen und MigrantInnen geschildert werden. Dabei soll der Versuch einer Systematisierung der etwa vorhandenen Entscheidungs-­‐ und Handlungsspielräume gemacht werden. 4 Carla Küffner (Wien) Nicht-­‐Durchführung von Ausweisungsentscheiden: empirische Untersuchung zu Ermessensspielräumen von Fremdenpolizist_innen und Strategien von Abschiebung bedrohter Migrant_innen in Wien. Liberale Demokratien verzichten in einer bedeutenden Anzahl von Fällen auf die Durchführung von Abschiebungen. Allein im Jahr 2010 waren innerhalb der Europäischen Union etwa 280.000 Personen betroffen. Sie alle haben zwar eine Ausweisungsentscheidung erhalten, die Abschiebung wird jedoch nicht durchgeführt. In meinem Tagungsbeitrag widme ich mich methodologischen Überlegungen zur empirischen Erforschung der Gründe, warum eine solch beträchtliche Anzahl von Abschiebungen nicht implementiert wird. Im Mittelpunkt steht dabei einerseits die Frage, über welche Ermessenspielräume Fremdenpolizist_innen bei der (Nicht-­‐) Implementierung von Ausweisungsentscheiden verfügen und von welchen Motiven ihre Entscheidungen geleitet werden. Andererseits ist von Interesse, welche Strategien von Abschiebung betroffene Migrant_innen in der Verhandlung mit Fremdenpolizist_innen einsetzen, um Abschiebungen zu verhindern. Zur forschungspraktischen Umsetzung argumentiere ich für die Anwendung der Ethnographischen Grenzregimeanalyse, ein multi-­‐methodisches Verfahren, welches es ermöglicht, eine Vielzahl von Akteur_innen und Diskurse in die Forschung mit einzubeziehen. Mittels einer solchen interdisziplinären Vorgehensweise kann Verhandlung aus einer mikro-­‐soziologischen Perspektive untersucht werden. Daneben ermöglicht das methodische Überschreiten disziplinärer Grenzen die Verwebung eines politikwissenschaftlichen Blickes auf die Aspekte Strategie und Macht mit einer soziologischen Herangehensweise, welche die Alltagspraxen als Einschreibung des Sozialen im praktischen Wissen und Können erforscht. Judith Welz (Wien) Abschiebepolitik im Spannungsfeld des liberal-­‐demokratischen Paradoxons: Ermessensspielräume in asylrechtlichen Ausweisungsentscheidungen Abschiebungen stellen eine besonders schwerwiegende Form der Exklusion von Menschen dar, da sie gleichsam einen territorialen, einen gesellschaftlichen und einen Ausschluss der Personen als Rechtssubjekte des betreffenden Staates begründen. Neben symbolischer Gewalt wie beim Abführen von Abzuschiebenden durch uniformierte Polizist_innen, kommt es dabei in Europa immer wieder zu schweren Menschenrechtsverletzungen bis hin zu Todesfällen (Fekete 2005, 2011). Aber nicht nur die Durchführung von Abschiebungen ist höchst sensibel, bereits in den behördlichen und gerichtlichen Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung wird über menschenrechtlich relevante Fragen entschieden. So normiert die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) einige Rechte, die von Abschiebungen bedrohte Personen bis zu einem gewissen Grad vor der Zwangsmaßnahme schützen, allen voran das non-­‐refoulement-­‐Gebot und das Recht auf Privat-­‐ und Familienleben (Art. 3 und 8 EMRK). Diese Rechte -­‐ indem sie die reibungslose Umsetzung von Abschiebegesetzen erschweren -­‐ stehen in einem konflikthaften Verhältnis zu den in den meisten europäischen Staaten dominierenden restriktiven Fremdenpolitiken. In der wissenschaftlichen Literatur zu Abschiebungen wird dieses Spannungsverhältnis im Rahmen der Debatte um das liberal-­‐demokratische Paradoxon (vgl. Gibney 2008; Gibney/Hansen 2003) diskutiert. 5 Der Beitrag untersucht dieses Paradoxon anhand von 58 asylrechtlichen Ausweisungsentscheidungen in Österreich (Zeitraum: 2011-­‐2013), insbesondere der darin vorgenommenen Abwägung zwischen dem Recht auf Achtung des Privat-­‐ und Familienlebens und öffentlichen Interessen. Der Beitrag zeigt, welche Ermessensspielräume sich aus den beiden unbestimmten Rechtsbegriffen ergeben und wie diese von den zuständigen Beamt_innen und Richter_innen mit Bedeutung gefüllt werden. Entgegen der vorherrschenden Debatten rund um das Paradoxon argumentieren wir, dass das Spannungsverhältnis -­‐ unter diskursiver Wahrung der Menschenrechte -­‐ in der Praxis zugunsten der nationalen Interessen aufgelöst wird Bernd Mesovic (Pro Asyl) „Die Erde ist gewaltig schön, doch sicher ist sie nicht.“ Wie die Bundesregierung an allen Fakten vorbei „sichere Herkunftsstaaten“ kreiert. Die Regelung über die sicheren Herkunftsstaaten, vor mehr als 20 Jahren einer der zentralen Bestandteile des sog. Asylkompromisses, hat seitdem lediglich begrenzte Wirkungen entfaltet. Die Liste dieser Staaten blieb kurz. Doch die Bundesregierung hat sich auf den Weg gemacht, dies zu ändern und einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem Serbien, Mazedonien und Bosnien asylrechtlich als „sichere Herkunftsstaaten“ eingestuft werden. Gestern der Krisenherd Europas – heute auf der Liste der Staaten, bei denen davon ausgegangen wird, dass Verfolgung nicht stattfindet und Menschenrechtsverletzungen nicht an der Tagesordnung sind. Wie geht das? Indem man die Vorgaben des europäischen Rechts ebenso mit großkoalitionärer Souveränität missachtet wie Vorgaben zum Thema aus Karlsruhe. Indem sich die Politik gemein macht mit dem antiziganistischen Mainstream, denn die größte Gruppe der Betroffenen sind Roma. Deren strukturelle existenzgefährdende Ausgrenzung in den keineswegs sicheren Balkanstaaten wird auf ein Armutsproblem reduziert. Dass etwa Artikel 9 der EU-­‐Qualifikationsrichtlinie Anlass bietet, im Asylverfahren individuell zu prüfen, ob sog. kumulative Verfolgung vorliegt, wird ignoriert. Wo der Gesetzgeber methodisch unsauber und ignorant arbeitet, herrscht letzten Endes Willkür. Schon sind Albanien und Montenegro als weitere angeblich sichere Herkunftsstaaten ins Auge gefasst. Wird die gated community EU nach dieser Methode eine Welt sicherer Herkunftsstaaten konstruieren und ihre asylrechtlichen Verpflichtungen auf ein Minimum reduzieren? Der Vortrag stellt das aktuelle Gesetzesvorhaben in den Kontext einer europäischen Flüchtlingspolitik, die neben der Fluchtverhinderung seit Langem versucht, mit beschleunigten Verfahren flüchtlingsrechtliche Verpflichtungen zu umgehen und zu schnellen Abschiebungen zu kommen. TEIL IV: POLITIKEN UND ERFAHRUNGEN DER RÜCKKEHR Heike Drotbohm (Freiburg) Jenseits des Opferdiskurses: Verwandtschaft und Gender im Abschiebekontext Die immanente Widersprüchlichkeit einer staatlichen Abschiebepraxis zeigt sich im Kontext Familie besonders deutlich: Während auf der einen Seite die allgemeinen Menschenrechte „die Familie“ als eine Beziehungsform definieren, die durch gesellschaftliche und staatliche Akteure geschützt werden soll, und die Kinderrechtskonvention verlangt, dass „das Kindeswohl“ in staatlichen Handlungen zu berücksichtigen sei, behalten sich auf der anderen Seite Staaten das Recht vor, unerwünschte 6 „Ausländer“ von ihrem Territorium zu entfernen, womit sie in aller Regel die Trennung von Familien bewirken. In diesem Vortrag beleuchte ich aus einer gendersensiblen Perspektive die sozialen und emotionalen Folgen von Abschiebungen für die Angehörigen von Familien. Das familiale Gefüge mit seinen geschlechter-­‐ und generationenspezifischen Asymmetrien soll hier als ein moralisches Terrain verstanden werden, das nicht nur zwischen Politikgestaltern und Familien, sondern auch unter den Angehörigen von Familien ausgehandelt wird. Gestützt auf empirische Daten aus einer ethnologischen Feldforschung auf den kapverdischen Inseln und mit kapverdischen Migranten möchte ich zeigen, dass die Wahrnehmung der Abschiebung auf spezifische Verhaltensnormen und Erwartungen rekurriert, die innerhalb transnational angelegter Familienstrukturen etabliert sind. Anne Koch (Berlin) Synergien zwischen unterschiedlichen rückkehrpolitischen Ansätzen: eine Untersuchung staatlicher Depolitisierungsstrategien In meinem Beitrag schlage ich vor, Abschiebungen als eine Facette einer breiter angelegten staatlichen Rückkehrpolitik zu betrachten. Diese Perspektive erlaubt es mir zum Einen, Wechselbeziehungen zwischen unterschiedlichen rückkehrpolitischen Ansätzen zu untersuchen. Anhand von Fallstudien aus Deutschland und Großbritannien nehme ich dabei insbesondere von staatlichen Akteuren strategisch genutzte Synergien zwischen Abschiebungen und sogenannten freiwilligen Rückkehrprogrammen in den Blick. Meine Kritik an letzteren erschöpft sich nicht in der schon häufig betonten Fragwürdigkeit ihrer Freiwilligkeit, sondern lenkt den Blick darauf, inwiefern sie zum Ausbau von kooperativen Beziehungen zwischen Gast-­‐ und Herkunftsländern dienen und hierbei zum Beispiel die Aushandlung neuer Rückübernahmeabkommen erleichtern. Zum Anderen dient eine Gesamtschau rückkehrpolitischer Ansätze auch dazu, staatliche Strategien der Depolitisierung aufzuzeigen. Die Wirkungsmacht zivilgesellschaftlicher Proteste gegen Abschiebungen ist gut dokumentiert (vgl. Gibney 2008, Ellermann 2009). Freiwillige Rückkehrprogramme sind hierbei nur eine Art und Weise, auf die staatliche Akteure versuchen, das politische Mobilisierungspotential von Abschiebungen zu vermindern. Andere Politikansätze haben eine ähnlich depolitisierende Stoßrichtung: Hierzu zählen zum Beispiel die weitgehende Isolation von unerwünschten Migranten, um den Aufbau sozialer Beziehungen – die Voraussetzung für ein aktives Unterstützernetzwerk sind – zu unterbinden, oder – wie in England der Fall – die Verbesserung materieller Bedingungen in Abschiebehaftanstalten, um längerfristige Abschiebehaft weniger angreifbar zu machen. Der Bereich Rückkehrpolitik hat in Großbritannien ein größeres Maß an Institutionalisierung erreicht als in Deutschland, und wird dort zurzeit auch aktiver verfolgt. Meine vergleichende Analyse beider Länderkontexte verortet diese Unterschiede historisch und zeigt auf, welche Kontrollmacht eine zielgerichtet verfolgte Rückkehrpolitik entfalten kann. Das meinem Beitrag zugrunde liegende empirische Material besteht aus historischen Parlamentsdebatten zum Thema Rückkehrmigration und aus Interviews mit relevanten Entscheidungsträgern in Deutschland (BAMF, Bundespolizei) und Großbritannien (UK Border Agency). 7 Katharina Schoenes (Berlin) Politiken der freiwilligen Rückführung – eine ‚humane Alternative‘ zu Abschiebungen? Im Rahmen von sogenannten Rückkehrförderungsprogrammen können ausreisepflichtige Migrant_innen in Migrationsberatungsstellen Geld für ein Flugticket und – je nach Herkunftsland – geringe finanzielle Hilfen für die Zeit nach ihrer Rückkehr beantragen, um ihrer drohenden Abschiebung zuvorzukommen. Solche Programme sind mittlerweile in doppelter Hinsicht konstitutiver Bestandteil staatlicher Rückführungspolitiken: Einerseits, weil jährlich mehrere Tausend Migrant_innen über entsprechende Programme dazu ‚bewegt‘ werden, die Bundesrepublik zu verlassen; andererseits, weil der zugehörige politisch-­‐mediale Diskurs, der Rückkehrprogramme als humane Alternative zu erzwungenen Rückführungen präsentiert, zur Legitimation von Abschiebungen beiträgt. In meinem Beitrag untersuche ich aus der „Perspektive der Migration“ (Hess 2011) das Verhältnis zwischen erzwungenen Abschiebungen und Politiken der freiwilligen geförderten Rückkehr. Theoretisch und methodisch knüpfe ich damit an Arbeiten an, die auch repressive Politiken wie Abschiebungen aus der Perspektive widerständiger migrantischer Praktiken in den Blick nehmen (u. a. Bojadžijev 2008; Oulios 2013). Meine Analyse beginnt mit einem Überblick über verschiedene Formen des organisierten Protests gegen Abschiebungen und andere Momente des Widerstands, in denen es Migrant_innen individuell oder kollektiv gelungen ist, die reibungslose ‚Reduzierung von unerlaubtem Aufenthalt‘ zu verzögern. Davon ausgehend werden offizielle Darstellungen sowie Interviews, die ich im Herbst 2012 mit Mitarbeiter_innen zweier Rückkehrberatungsstellen, der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport und des Bundesinnenministeriums geführt habe, im Hinblick auf widersprüchliche Äußerungen und Praktiken untersucht, in denen möglicherweise ‚Spuren‘ abschiebungskritischer Proteste zum Ausdruck kommen. Meine Untersuchung deutet darauf hin, dass der vermehrte Rückgriff auf Politiken der freiwilligen Rückführung nur als Reaktion auf die seit Ende der 1990er Jahre europaweit geführten Proteste gegen Abschiebungen adäquat verstanden werden kann. Die Repräsentation der Rückkehrprogramme als ‚humanere Variante der Abschiebung‘ lässt sich als Rekuperation antirassistischer Forderungen aufschlüsseln, in denen Abschiebungen nicht selten als ‚inhuman‘ kritisiert werden. Diese zunächst auf der Diskursebene beobachtbare Rekuperation hat in der zunehmenden personellen Einbeziehung vormals staatskritischer NGOs und Beratungsstellen in die Regierung der Migration zugleich eine materielle Basis. *** KURZBIOGRAPHIEN (in alphabetischer Reihenfolge) Harald Bauder ist akademischer Direktor des ‚Ryerson Centre for Immigration and Settlement’ und lehrt als Professor im Department of Geography und dem Graduate Program zu Immigration and Settlement Studies an der Ryerson University in Toronto, Kanada. Seine Forschung beschäftigt sich u.a. mit nationalen Migrationsdebatten und Zuwanderungspolitik in Kanada und Deutschland, Arbeitsmarktintegration von Migranten, und open-­‐border und no-­‐border-­‐Diskursen. Zu seinen Büchern zählen „Immigration Dialektik: Imagining Community, Economy and Nation“ (University of Toronto Press), „Labor Movement: How Migration Regulates Labor Markets“ (Oxford University Press) und „Work on the West Side: Urban Neighborhoods and the Cultural Exclusion of Youths“ 8 (Lexington Books). Mit John Shields arbeitet er gerade an einem englischsprachigen Lehrbuch zu Immigration in North Amerika. Heike Drotbohm, Dr. habil., ist Privatdozentin am Institut für Ethnologie der Albert-­‐Ludwigs-­‐
Universität Freiburg. Sie war fellow und Gastprofessorin an renommierten Instituten der Universitäten Berlin (HU), Konstanz und Bayreuth. Ihre Forschungsthemen konzentrieren sich auf transnationale Familienstrukturen, die sozialen Folgen von Abschiebungen, ebenso wie auf Fürsorge und Pflege (Care & Care Work) in transnationalen sozialen Feldern. Regional befasst sie sich mit Westafrika und (Afro-­‐)Lateinamerika. Sie publizierte in Zeitschriften wie Journal of Ethnic and Migration Studies, Citizenship Studies und History of the Family und in zahlreichen Sammelbänden. Angela Furmaniak ist Rechtsanwältin und ist seit 1997 im Bereich des Asyl-­‐ und Aufenthaltsrechts tätig. Fachanwältin für Strafrecht, Verwaltungsrecht mit Schwerpunkt Ausländer-­‐ und Asylrecht sowie Polizeirecht. Anwaltsbüro in Lörrach. Mitgliedschaft in und Beratung von zahlreichen Vereinigungen und Initiativen der Flüchtlingshilfe. Maren Kirchhoff ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Politik der Arbeitsmigration im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und am International Center for Development and Decent Work der Universität Kassel im Rahmen des DFG-­‐geförderten D-­‐A-­‐CH-­‐Projektes zu Protesten gegen Abschiebungen. Im WiSe 2013/14 und SoSe 2013 lehrte sie am Institut für Politikwissenschaft an der Philipps-­‐Universität Marburg (Fachgebiet Europäische Integration und Politische Ökonomie). Zwischen Juli 2012 und April 2013 koordinierte sie am ICDD das partizipative Forschungsprojekt „Social Security for Domestic Workers“ (siehe: www.uni-­‐kassel.de/go/rn-­‐dwr). Im Frühjahr 2012 schloss sie ihr Studium (M.A. Global Political Economy, GPE) an der Universität Kassel ab. Zuvor studierte sie Politikwissenschaft an der Universität Bremen und der Universität València. Anne Koch ist Doktorandin an der Berlin Graduate School for Transnational Studies und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft an der Europa-­‐
Universität Viadrina in Frankfurt Oder. Im Rahmen ihres Promotionsstudiums war sie Gastwissenschaftlerin am Refugee Studies Centre der Universität Oxford. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit Migrationspolitik in unterschiedlichen europäischen Ländern, insbesondere mit der praktischen Umsetzung staatlicher Kontrollmaßnahmen und der Rolle internationaler Akteure in diesem Prozess. Sie hat in den Zeitschriften Journal of Ethnic and Migration Studies, Forced Migration Review, Human Rights Law Review und Human Rights Quarterly publiziert. Carla Küffner hat Internationale Entwicklung an der Universität Wien studiert und promoviert dort zum Thema „Nicht-­‐Durchführung von Ausweisungsentscheidungen: empirische Untersuchung zu Ermessensspielräumen von Fremdenpolizist_innen und Strategien nicht-­‐abgeschobener Migrant-­‐
_innen“. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Asyl-­‐ und Integrationspolitik sowie Postkoloniale Theorie und Entwicklungspolitik. David Lorenz absolvierte sein Magisterstudium in Soziologie und Philosophie an der Goethe-­‐
Universität Frankfurt am Main im Jahr 2013. Im Rahmen des Forschungsprojekts "Staatsprojekt Europa" kurz für: Die Transnationalisierung des Staates im Prozess der Europäisierung der Migrationskontrollpolitik) am Institut für Sozialforschung Frankfurt arbeitete er zum Konflikt um die Neufassung der Dublin-­‐Verordnung, die den größten Teil der intra-­‐EU-­‐Abschiebungen regelt. Seit Januar 2014 ist er im Forschungsprojekt "Proteste gegen Abschiebung in Österreich, Deutschland und der Schweiz" beschäftigt. 9 Bernd Mesovic ist Diplom-­‐Sozialarbeiter und stellvertretender Geschäftsführer der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft PRO ASYL e.V. in Frankfurt. Er ist seit 1980 in der Flüchtlingsarbeit tätig. Sarah Meyer, Dr, forscht und lehrt am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien, wo sie 2012 promovierte. Sie ist Absolventin des Postgraduiertenprogramms am Institut für Höhere Studien in Wien. In ihrer Forschung befasst sie sich mit Issue-­‐Politisierung insbesondere von Abschiebungen, Immigration und Europäischer Integration. Sebastian Muy studierte Soziale Arbeit (Diplom) an der Fachhochschule Ludwigshafen am Rhein, und ist derzeit Absolvent des Masterstudiengangs „Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession” in Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Rolle Sozialer Arbeit im Migrations-­‐ und Grenzregime sowie Ein-­‐ und Ausschließung im Asylrechts-­‐ und Flüchtlingsschutzdiskurs. Neben Deutschland/Europa liegt sein regionaler Interessenschwerpunkt auf Lateinamerika. Didier Ruedin forscht am Schweizerischen Forum für Migrations-­‐ und Bevölkerungsstudien der Universität Neuchâtel. Er promovierte an der Universität Oxford und beschäftigt sich mit politischer Repräsentation, Einstellungen gegenüber Ausländern, und der Politisierung von Immigranten. Albert Scherr, Prof. Dr., 1982 -­‐ 1983 und 1985-­‐1989 Berufstätigkeiten in der Sozialen Arbeit, 1985 Promotion am Fachbereich Gesellschaftswisssenschaften der Universität Frankfurt, 1989 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bielefeld, 1990-­‐2001 Professor für Soziologie an der Fachhochschule Darmstadt, 1998 Habilitation für Allgemeine Soziologie an der Universität Karlsruhe, seit 2001 Professur für Soziologie an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Angaben zu Forschungsprojekten und Veröffentlichungen auf der Homepage https://www.ph-­‐
freiburg.de/fr/soziologie/institut/mitglieder/prof-­‐dr-­‐albert-­‐scherr.html-­‐ Katharina Schoenes, MA, hat in Düsseldorf, Istanbul und Berlin Sozialwissenschaften studiert und lebt in Berlin. Momentan bereitet sie ein Promotionsprojekt zur Rolle der Rechtsprechung bei der Durchsetzung von Grenzregimen vor. Zu ihren Interessen zählen kritische Migrations-­‐ und Rassismusforschung, historische und aktuelle Einwanderungsdiskurse und -­‐politiken sowie kritische Theorien des Rechts. Empirisch hat sie zur Konstruktion und Verfolgung aufenthaltsrechtlicher Scheinehen sowie zu Politiken der freiwilligen Rückführung gearbeitet. Judith Welz ist Politologin und Kultur-­‐ und Sozialanthropologin und derzeit für die Forschungsplattform Migrations-­‐ und Integrationsforschung an der Universität Wien tätig. Sie ist Mitglied der Forschungsgruppe „INEX – Politics of Inclusion and Exclusion“ und hat sich wissenschaftlich bisher hauptsächlich mit Abschiebepolitik, Deutungsrahmen in politischen Debatten und kritischer Entwicklungsforschung beschäftigt. 10